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Christian Schneider

Mit der Ferkeltaxe durch das Diemeltal

Kommissar Kellers dritter Fall





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03. Oktober 2014 - Tag der Deutschen Einheit

»Abbruch! Sofort!«

Kriminaloberkommissar Ernst Keller schrie in sein Funkgerät. Er hoffte, dass Scholz, der Leiter des Sondereinsatzkommandos, ihn überhaupt noch hörte. Die vereinbarte Funkstille hatte bereits vor einer Minute begonnen. Keller wusste, dass sich die Männer in diesem Augenblick um das alte Bahnwärterhäuschen verteilten und einige schon auf das kleine Vordach geklettert waren. Im nächsten Moment würden sie das Fenster vollständig einschlagen - es war ja bereits kaputt - und einen Flashbang, eine Blendgranate, hineinwerfen. Keller hatte die Zeichen lange nicht erkannt. Nach diesem Anruf wusste er jedoch, dass ›Knille Werner‹ im nächsten Moment - wie eine Biene im Todeskampf ihren Stachel einsetzt - einen Sprengsatz zünden würde. Dieser würde nicht nur den Beamten am Fenster, sondern auch noch weitere Kollegen in den Tod reißen.

Der Sprengstoffexperte Hermann Türmer hatte Keller nur wenige Sekunden zuvor darüber informiert, dass ›Knille Werner‹ nicht nur jahrelang als Sprengmeister bei einem norddeutschen Abbruchunternehmen gearbeitet hat. Wesentlicher war jedoch, dass er dort eine nicht unerhebliche Mengen eines Spezialsprengstoffs gestohlen hat. Eine auf Anraten der Polizei durchgeführte Überprüfung der Geschäftsunterlagen hatte ergeben, dass die entsprechenden Sprengberichte einschließlich der verbrauchten Sprengstoffmengen frisiert wurden.

›Knille Werner‹ hatte dann später, in den 90er Jahren, fünf Jahre wegen eines Sprengstoffanschlags auf die Garage seines Nachbarn im Gefängnis gesessen. Dieser Nachbar hatte immer vor dessen Haustür geparkt, ebenso seine zahlreichen Gäste. Irgendwann hatte ›Knille‹ die Nase voll und hatte das Problem ein für alle Mal und auf seine Weise gelöst. Noch in der Gerichtsverhandlung war er der Ansicht gewesen, dass der Nachbar durch sein Eingreifen eine exzellente Gelegenheit bekommen hatte, sich eine größere Garage zu bauen. Dass das kleine Mädchen, das just in diesem Moment mit ihrer Mama im Auto vorbeifuhr, verletzt wurde, war für ihn nicht mehr als ein Kollateralschaden. Auch dass das Kind durch umherfliegende Splitter sein rechtes Auge verloren hatte, schien ihn nicht weiter zu interessieren. Keller konnte nicht nachvollziehen, warum dieser Mann nicht zeitlebens in die Sicherungsverwahrung gesteckt wurde. Trotz intensiver Bemühungen wurde damals jedoch kein weiterer Sprengstoff gefunden.

Keller hatte eine lange Schrecksekunde, als er die Einzelheiten erfahren hatte. Doch noch war es nicht zu spät, noch konnte er seine Kollegen retten. Das hoffte er zumindest. Die Totenstille wurde nur von dem lauten Gurren mehrerer Tauben gestört. Doch dann gab es einen infernalischen Knall, eine der Tauben flog erschrocken auf und trudelte nach dem Zusammenstoß mit einem dicken Ast direkt neben Keller zu Boden.