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Marie Louise Fischer

Irrwege der Liebe

Roman

hockebooks

10

Eine halbe Stunde später hielt das Taxi vor dem Mietshaus in Düsseldorf-Oberkassel, in dessen Dachgeschoß Stefanie Sintrop ihre Junggesellinnenwohnung hatte.

Sie stieg aus, bezahlte den Fahrer, nahm ihren Koffer entgegen. Langsam, Schritt für Schritt durchquerte sie den Hausflur. Ihr graute vor der Öde ihrer verlassenen Wohnung. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihrer Putzfrau zu telegrafieren, damit sie die Zimmer in Ordnung bringen und das Nötigste hätte besorgen können.

Als sie die Wohnungstür aufschließen wollte, war es ihr, als wenn sie von drinnen Musik hörte.

Sie glaubte erst, sich getäuscht zu haben, stand einen Augenblick ganz still und lauschte – aber die Klänge blieben.

Das Radio! Hatte sie vielleicht vergessen, vor ihrer Abreise das Radio abzustellen? Hatte es womöglich die ganzen Wochen ihrer Abwesenheit ununterbrochen gespielt? Hastig drehte sie den Schlüssel im Schloss, stieß die Tür auf.

Ihre Wohnung war erleuchtet. Ehe sie noch einen Gedanken fassen konnte, sah sie Dr. Urban Zöllner. Er kam, eine Flasche Bier in der Hand, aus der kleinen Küche, sah sie an, gar nicht überrascht, sagte herzlich: »Da bist du ja, Stefanie! Willkommen daheim!«

»Du bist es?«, sagte sie verdutzt. »Du?«

Er lächelte, stellte die Flasche aus der Hand, half ihr aus dem Regenmantel. »Wen hattest du sonst erwartet?«

»Niemanden. Das ist es ja eben. Wie kommst du …«

»Ich habe immer noch deinen Schlüssel!«

Er nahm ihre Handtasche, öffnete sie und ließ den Ring mit Haustür- und Wohnungsschlüssel hineinfallen, klappte sie wieder zu, gab sie ihr zurück.

»Aber«, sagte sie, »bist du aus bloßem Verdacht hergekommen? Du konntest doch nicht wissen …«

»Doch, Stefanie. Ich wusste, du würdest heute zurückkommen.« Er lachte. »Nun mach nicht so ein Gesicht, als wenn du mich für einen Geisterseher hieltest. Es war ja nicht schwer, das herauszubringen.«

»Aber wir sind doch ganz überstürzt …«

»Und? Nehmen wir einmal an, ich hätte dich von einem Detektiv beschatten lassen.«

»Nein!«, sagte sie tonlos. »Das ist doch nicht wahr?«

»Natürlich nicht. Es war nur ein alberner Witz von mir. Tatsächlich habe ich einen Gewährsmann in den Berber-Werken, den Namen möchte ich nicht nennen, damit das Mädchen keinen Ärger kriegt …«

»Es ist also ein Mädchen?«

»Sicher. Aber gib dir keine Mühe, ich verrate dir nicht, wer es ist. Ich habe dieses Mädchen gebeten, mir mitzuteilen, sobald sie erfährt, wann du zurückkommst. Was ist schon dabei? Warum machst du so ein Gesicht?«

»Ich bin nur überrascht, Urban«, sagte sie schwach, »das ist alles.«

»Passt es dir nicht, dass ich hier bin? Ich dachte, es wäre dir angenehm, dass ich deine Wohnung habe in Ordnung bringen lassen und wie so oft deinen Eisschrank aufgefüllt habe.«

»Das war sehr nett von dir …«, sagte sie zögernd.

»Aber ich störe dich, wie?«

»Nein, überhaupt nicht, Urban«, sagte sie plötzlich entschlossen. »Vielleicht ist es ganz gut, dass wir uns gleich heute Abend sehen. Dann kann ich die Sache sofort ins Reine bringen.«

»Na, wunderbar. Es scheint, du hast mir was zu erzählen … und ich dir auch! Aber erst wollen wir mal einen Happen essen und einen Schluck trinken. Du siehst aus, als wenn du jeden Moment zusammenbrechen könntest.«

Unwillkürlich warf sie einen Blick in den Garderobenspiegel. Sie erschrak vor sich selber. Noch vor drei Tagen war sie ein junges, anmutiges, begehrenswertes Geschöpf gewesen, jetzt erschien ihr Gesicht trotz der Bräune verfallen, ihre Züge wirkten scharf; dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, und die kantige Schräge ihrer Backenknochen trat erschreckend hervor. »Ich bin wirklich ganz erledigt«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln.

Sie ließ es sich gefallen, dass er ihr ein Kissen in den Rücken stopfte, eine warme Decke über die Füße breitete, ihr Champignonsalat auf einen Teller tat, frisches Bier einschenkte. Sie sah sein klares, anständiges Gesicht, und zum ersten Mal wurde es ihr bewusst, wie sehr sie ihn ausgenutzt hatte – dass ihre Liebe zu Arnold Berber nicht etwas war, was nur sie anging, nicht nur Ines, seine Frau, und seine Kinder, sondern auch Urban Zöllner.

»Ich weiß nicht, ob du mir je verzeihen kannst«, sagte sie aus ihren Gedanken heraus.

Er zog eine kleine Grimasse. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du wirklich auf meine Absolution so viel Wert legst.«

Sie schob den Teller von sich, er bot ihr eine Zigarette an. »Sprich nur, Stefanie«, sagte er, »ich habe das Gefühl, dass du etwas loswerden musst.«

»Du wirst mich nicht verstehen.«

»Sicher nicht, Stefanie, aber wer versteht denn den anderen. Es ist schon sehr viel, wenn man jemanden hat, der bereit ist, einen in Ruhe und Geduld anzuhören. Also los! Was ist geschehen?«

»Arnold Berber und ich …« Sie stockte. Hundertmal hatte sie sich dieses Gespräch ausgemalt, aber alles war viel schwerer, als sie je gedacht hatte.

»Du liebst ihn, nicht wahr?«, fragte er ruhig.

»Woher weißt du …?«

»Ich müsste ein vollendeter Trottel sein, wenn ich es nicht wüsste, Stefanie. Mich interessiert nur eines … liebt er dich wieder?«

Bei dieser Frage brachen alle Wunden in ihr auf. Nur mit Mühe hielt sie ihre Stimme in der Gewalt. »Ich weiß es nicht.«

»Will er dich heiraten?«

»Heiraten!«, sagte sie. »Das ist so eine fixe Idee von dir. Glaubst du, dass das der Maßstab aller Dinge ist?«

»Ich glaube nicht. Ich weiß nur, dass ein richtiger Mann immer heiraten möchte. Ich meine, wenn er sicher ist, dass er die Frau gefunden hat, die er liebt.«

»Aber er kann sich doch nicht einfach scheiden lassen, meinetwegen seine Frau im Stich lassen und die Kinder.«

»Und warum nicht? Das ist kein Argument, Stefanie, und du weißt es selber. Du plapperst nach, was er versucht hat, dir einzureden. Wenn es ihm Ernst wäre mit seiner Ehe, dann hätte er seine Frau gar nicht erst betrügen dürfen. Denn das hat er doch getan?«

»Ja«, sagte sie mit einem tiefen Atemzug.

Er schwieg, sah an ihr vorbei.

»Warum sagst du nichts?«, fragte sie nervös.

»Ich wüsste nicht, was: Soll ich sagen … wie konntest du mir das antun? Oder: Ich habe es gewusst? Was nutzt jetzt alles Gerede, wo es geschehen ist? Du wirst dich erinnern, dass ich dich gewarnt habe. Heute weiß ich, dass ich mir das hätte sparen können …«

»Bist du jetzt … sehr entsetzt?«

»Entsetzt? Warum soll ich entsetzt sein? Es wäre wunderbar gewesen, wenn es anders gekommen wäre … aber ich konnte ja nicht ernsthaft darauf hoffen. Nicht, nachdem ich wusste … aber ich glaube, darüber sollten wir ein andermal reden. Was du jetzt wirklich brauchst, das ist Schlaf.«

»Nein, nein«, sagte sie rasch, »ich fühle mich wieder ganz wohl. Was hast du da eben angedeutet? Was weißt du?«

»Dass du einen Meineid geschworen hast.«

»Ich?!« Sie fuhr auf. »Aber …«

»Bitte, Stefanie«, sagte er, »bitte mach jetzt kein Theater. Das ist deiner nicht würdig. Ich weiß, dass du einen Meineid geschworen hast und der feine Herr Berber dich dazu angestiftet hat.«

»Also das, Urban, das ist wirklich nicht wahr!«, sagte sie. »Arnold hat nicht im Traum daran gedacht! Ganz im Gegenteil, er hat mir ja noch Vorwürfe gemacht, weil ich …« Sie verstummte.

»Na, weiter! Sprich’s nur aus. Wenn er dich nicht angestiftet hat, warum hast du’s denn getan! Um ihm deine Liebe zu beweisen?«

»Ich weiß es selber nicht mehr. Ich wollte seinen Namen schützen, den Namen der Firma …du weißt nicht, wie abträglich diese Geschichte für den Ruf der Firma gewesen wäre.«

»Doch. Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Aber mir scheint, du begreifst nicht, wie abträglich es für dich selber werden wird, wenn dieser Meineid ans Licht kommt.«

»Das wird er nie!«

»Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Auf jeden Fall gibt es jemand, der sich das zunutze machen wird. Du kannst nur eins tun, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen!«

»Aber wie?«

»Du musst dich selber anzeigen. Das ist der einzige Ausweg.«

»Aber dann … dann fliegt doch alles auf? Dann wird doch Arnold Berber bestimmt auch mit hineingerissen! Dann war ja alles vergeblich!«

»Stefanie! Herrgott noch mal!« Urban Zöllner verlor die Geduld. »Begreifst du denn nicht, dass ein Meineid auf alle Fälle eine schlechte Methode ist, die schlechteste, die es überhaupt geben kann, um etwas zu vertuschen?

Ja, ich weiß, dass Arnold Berber seinerzeit an Pachner gezahlt hat! Aber das war unter den damaligen Verhältnissen durchaus verständlich. Warum, zum Teufel, steht er jetzt nicht dafür gerade?«

»Er würde es ja«, sagte sie verzweifelt, »er hat mir genau dasselbe gesagt wie du, Urban, du darfst nicht denken, dass er ein Feigling ist! Ich allein bin schuld! Ich wollte den Ruf der Firma schützen!«

»Ach, hör auf damit! Der Ruf der Firma! Das ist ja nicht zu ertragen! Du wolltest dich für ihn opfern! Gib es doch zu!« Er stand auf. »Sieh doch endlich ein, dass es ein Wahnsinn war, und mach auch Schluss damit! Du sollst ja deinen Arnold lieben, wenn es nicht anders geht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er Wert darauf legt, dass du dich seinetwegen ruinierst.«

*

Während der schwere Wagen die Uferstraße am Rhein entlangrollte, warf Arnold Berber einen Blick auf seine Uhr. Es war elf vorbei. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass er einen langen Tag hinter sich gebracht hatte. Aber er fühlte sich nicht abgespannt, sondern nur angenehm müde. Herr Heidler bremste den Wagen vor dem Haus auf dem Kaiser-Wilhelm-Ring, stieg aus und öffnete seinem Chef die Tür.

»Danke schön, Heidler!«, sagte Arnold Berber, während er ausstieg. »Morgen früh erst um neun!«

»Jawohl, Herr Berber! Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Heidler!«

Es hatte aufgehört zu regnen, aber es war sehr dunkel. Aus dem Wohnzimmer seines Hauses fiel ein warmer Lichtschein. Arnold Berber überquerte den Fahrdamm, öffnete das Tor zum Vorgarten, schritt die Stufen hinauf. Als er den Schlüssel ins Schloss steckte, hörte er, wie der Wagen sich entfernte.

Er knipste das Licht in der Garderobe an, legte seinen Mantel ab, trat in die große, behaglich eingerichtete Diele, rieb sich die kalten Hände. Es war schön, wieder daheim zu sein. Erst jetzt, nachträglich, spürte er, wie wenig ihm die Krankenhaus- und selbst die Hotelatmosphäre zugesagt hatte.

Aus dem Wohnzimmer tönten überlaute Stimmen vermischt mit Musik.

Er glaubte zu begreifen, warum Ines sein Heimkommen noch nicht bemerkt hatte. Wahrscheinlich saß sie vorm Fernsehapparat, der wieder einmal alle anderen Geräusche übertönte.

Er ging mit ein paar raschen Schritten auf die Wohnzimmertür zu, dann blieb er, plötzlich unsicher geworden, stehen. Es bestand kein Zweifel, dass die Kinder längst im Bett waren, und bei dem Gedanken, mit Ines allein sein zu müssen, überfiel ihn ein unbehagliches Gefühl, über das er sich selber keine Rechenschaft ablegen konnte.

Um Zeit zu gewinnen, ging er noch einmal in die Garderobe zurück, warf einen Blick in den Spiegel, kämmte sich das dunkle, von weißen Fäden durchzogene Haar. Der Anblick seines eigenen Gesichtes, aus dem die Spuren seiner schweren Krankheit fast verlöscht waren, gab ihm Auftrieb. Schließlich hatte er keinen Grund, der Begegnung mit Ines auszuweichen. An dem, was in Amerika geschehen war, trug sie selber mindestens so viel Schuld wie er. Wenn sie ihn nicht im Stich gelassen hätte, würde er niemals auch nur auf den Gedanken gekommen sein, in Stefanie Sintrop mehr als nur eine nützliche Mitarbeiterin zu sehen.

Entschlossen durchschritt er die Diele, öffnete die Tür zum Wohnzimmer mit einem Ruck – er brauchte eine Sekunde, bis sich seine Augen an das Halbdunkel des Raumes gewöhnt hatten. Aber bevor er noch Einzelheiten erkannte, wusste er, dass Ines nicht hier war.

»Herr Berber!«, rief Erika, das Stubenmädchen, erschrocken. »Wir haben Sie gar nicht kommen gehört!«

»Guten Abend, Herr Berber … ich werde Ihnen sofort etwas zu essen richten!«, sagte die Köchin. Die beiden Frauen waren bei Arnold Berbers Eintritt aufgesprungen, standen, rau aus dem Erlebnis eines Films gerissen, etwas verwirrt da.

»Bitte bleiben Sie nur sitzen«, sagte Arnold Berber, »es ist nicht nötig, dass Sie …«

»Aber wir haben doch auf Sie gewartet, Herr Berber«, sagte die Köchin. »Es dauert nur ein paar Minuten.«

Erika trat vor, drückte entschlossen auf die Abschalttaste. Das Bild schrumpfte in sich zusammen, der Ton erstarb.

»Ich habe schon in der Kantine gegessen«, sagte Arnold Berber, »lassen Sie sich durch mich nicht stören. Wo ist meine Frau?«

Erika und die Köchin wechselten einen Blick, als wenn sie nicht wüssten, wer von beiden auf diese Frage antworten sollte, dann sagte Erika. »Die gnädige Frau ist schon nach oben gegangen.«

»Danke.«

Arnold Berber wandte sich ab und verließ den Raum. Während er die Tür hinter sich ins Schloss zog, hörte er die beiden rufen: »Gute Nacht, Herr Berber!« – »Schlafen Sie gut, Herr Berber!«

Noch ehe er die unterste Treppenstufe erreicht hatte, grölte der Lautsprecher wieder los.

Arnold Berbers gute Laune war verflogen. Er fühlte sich empfindlich getroffen. Er hätte es verstanden, wenn ihm Ines zum Empfang eine Szene gemacht hätte, wie sie es oft in den vergangenen Jahren getan hatte – aber dass sie es nicht einmal für nötig gefunden hatte, auf ihn zu warten, da er nach über einem Monat zum ersten Mal wieder sein Heim betrat, das war – so empfand er es in diesem Augenblick – eine unverzeihliche Böswilligkeit.

Er war nahe daran, auf jede Begrüßung zu verzichten und sich sofort auf sein Zimmer zu begeben, aber er brachte es nicht über sich. Ohne es sich selber einzugestehen, sehnte er sich nach einer Aussprache mit seiner Frau, nach Versöhnung.

So blieb er, als er die Galerie erreicht hatte, vor ihrer Schlafzimmertür stehen, klopfte leise an.

Als von innen keine Antwort kam, drückte er auf die Klinke. Die Tür war unverschlossen. Er trat ein.

Frau Ines war schon zu Bett gegangen. Sie lag, auf die Ellbogen gestützt, und las in einem kleinen Buch. Sie hob den Kopf, sah ihm ohne zu lächeln entgegen. Das seidene, zartviolette Nachthemd, das sie trug, war am Hals reich mit schönen Spitzen garniert und ließ nur ihre schmalen hellen Arme und ihren schlanken Hals frei. Sie wirkte sehr kostbar und sehr zerbrechlich.

»Ines!«, sagte er.

Ihr schweigender Blick drängte ihn, ohne dass er sich dessen bewusst war, in die Verteidigung.

»Entschuldige bitte, dass es so spät geworden ist, Ines«, sagte er, »aber es ist unbeschreiblich, was sich alles ansammelt, wenn man sich nicht selber um jede Kleinigkeit kümmern kann. Obwohl«, fügte er, als sie immer noch nichts sagte, unsicher hinzu, »Doktor Schreiner wirklich recht tüchtig war. Tüchtiger jedenfalls, als ich gedacht hatte.« Seine Nervosität stieg. »Warum sagst du denn nichts?«

»Ich wollte dir erst Gelegenheit geben, dich auszusprechen«, erklärte sie ruhig, »ist das alles, was du mir zu sagen hast?«

»Natürlich tut es mir leid, dass es so spät geworden ist … ich nehme an, dass es das ist, was du hören willst. Aber es ließ sich tatsächlich nicht verhindern. Du kannst mir glauben, dass ich auch lieber, je eher desto lieber, bei dir gewesen wäre.«

»Nein, das glaube ich nicht.«

»Ines! Was soll das?«

»Du hast recht«, sagte sie, klappte ihr Buch zu und richtete sich auf. »Diese Bemerkung war ziemlich überflüssig. Es hat keinen Zweck mehr, wenn wir uns gegenseitig Vorwürfe machen oder auch nur die Wahrheit sagen. Ich werde mich scheiden lassen!«

»Aber … das ist doch nicht dein Ernst.« Arnold Berber lachte, um seinen Schrecken zu verbergen.

»Doch«, sagte Frau Ines, »ich bin fest entschlossen.« Sie zog wie in Abwehr die seidene Steppdecke bis zum Kinn.

»Nein, Ines, du weißt ja gar nicht, was du sagst! Du hast dich wieder einmal über mich geärgert. Gut, ich gebe zu, du hattest Grund dazu. Ich meine, aus deiner Sicht gesehen war es sicherlich unverantwortlich, dass ich heute Abend erst so spät nach Hause gekommen bin, aber deshalb gleich mit Scheidung zu drohen …«

»Ich drohe nicht, und ich habe mich auch nicht erst heute Abend entschlossen. Bitte lass mich jetzt allein, es hat keinen Sinn, dass wir darüber reden. Ich möchte schlafen.«

»Ines!« Er beugte sich über sie, fasste sie bei den Schultern. Die Decke glitt herab. »Ines, liebst du mich denn nicht mehr? Bedeute ich dir gar nichts?«

»Nein«, sagte sie und versuchte ihn zurückzustoßen, »du bist mir ganz und gar gleichgültig.«

Er ließ sie los. »Das ist doch nicht … das kann doch nicht wahr sein!«, sagte er tonlos.

»O doch. Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen …«

»Lüg doch nicht. Leid tut es dir nicht im Geringsten, im Gegenteil, es ist dir eine Genugtuung!«

»Na schön, wenn dir das lieber ist!« Ihre Augen flammten auf. »Es ist mir eine Genugtuung, dir sagen zu können, dass ich dich nicht mehr liebe. Endlich bin ich über meine Liebe hinweg, und ich bin froh darüber. Jahrelang habe ich mir alles von dir gefallen lassen. Du hast mich behandelt wie … wie einen Gebrauchsgegenstand und nicht wie eine Frau! Du hast dir alles erlauben können, weil du sicher warst, dass ich dich liebe. Aber jetzt … jetzt ist das vorbei. Ich habe genug von dir, endgültig genug!«

»Hast du dich in einen anderen Mann verliebt?«

»Ein anderer Mann!« Frau Ines warf zornig den Kopf in den Nacken. »Das hätte ich mir denken können, das ist alles, was dir einfällt.«

»Nun, diese Ideenverbindung liegt doch ziemlich nahe. Als ich nach Amerika fuhr, war doch alles in Ordnung.«

»So? War es das? War es das wirklich?«

»Na ja, wir hatten gestritten, aber damals hast du mich doch noch geliebt, nicht wahr? Na also. Und jetzt komme ich zurück, und du liebst mich auf einmal nicht mehr. Du willst dich scheiden lassen. Ich bin dir völlig gleichgültig, die Kinder sind dir gleichgültig, das Familienleben, alles. Dafür gibt es doch nur eine einzige Erklärung: Du bist auf irgendeinen jungen Schnösel hereingefallen, der dir den Hof gemacht hat.«

»Danke«, sagte sie zornig. »Ich danke dir für diese schmeichelhafte Auslegung. Aber du irrst dich. Seit du in Amerika warst, ist mit dir etwas vorgegangen, nicht mit mir! Mach nicht so ein Gesicht, als wenn ich in Rätseln spreche. Du weißt genau, was ich meine.«

»Mit mir? In Amerika? Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«

»Ich rede von Stefanie Sintrop.«

»Ach so!« Es klang fast erleichtert. »Du bist eifersüchtig.«

»Nein, ich bin nicht eifersüchtig, ich habe genug von dir. Übergenug! Ich begreife gar nicht, warum ich mich mit dir überhaupt unterhalte …«

»Soll ich es dir sagen, Ines? Weil du genau weißt, dass alles, was du sagst, nicht stimmt. Ich bin dir nicht gleichgültig, du bist nur wütend auf mich. Das ist ein gewaltiger Unterschied.«

»Was ich für dich empfinde, das spielt hier gar keine Rolle«, sagte sie eiskalt. »Wichtig ist nur, du hast mich betrogen.«

»Nein!«

»Willst du es etwa auch noch leugnen?«

Er nahm ihre beiden Hände. »Ines«, sagte er, »nun höre mich bitte in aller Ruhe an, bitte! Ich schwöre dir … ich schwöre dir bei allem, was mir heilig ist, ich habe dich nicht betrogen. Zwischen mir und Stefanie hat es nicht das Geringste gegeben. Du musst mir das glauben, Ines, hörst du? Du musst!«

*

Frau Ines Berber war für diesen Nachmittag mit Wilhelm Hausmann im Foyer des Düsseldorfer Park-Hotels verabredet.

Sie hatten dieses Treffen miteinander ausgemacht, als Frau Ines die Nachricht von der plötzlichen Heimkunft ihres Mannes erhielt. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie – jedenfalls Frau Ines, Wilhelm Hausmann war klug genug gewesen, daran zu zweifeln – noch fest geglaubt, dass sie ihrem Mann gegenüber unerbittlich bleiben würde. Inzwischen hatte sich alles geändert, und sie war überzeugt, Wilhelm Hausmanns Rat nicht mehr zu brauchen. Sie war nahe daran gewesen, abzutelefonieren, die Verabredung nicht einzuhalten – aber dann fand sie, dass Wilhelm Hausmann ein Recht hatte, von ihrer Versöhnung zu erfahren.

Tatsächlich war es ihr jetzt nachträglich entschieden unangenehm, dem Jugendfreund ihres Mannes so viel von ihrer Eifersucht und ihrer unglücklichen Ehe erzählt zu haben. Sie bildete sich ein, ihn mit einer anderen Darstellung der Dinge alles vergessen lassen zu können. Es lag ihr sehr viel daran, Wilhelm Hausmann zu unbedingtem Schweigen zu verpflichten, denn sie wusste, wie leicht er einer Indiskretion fähig war. Sie kannte auch ihren Mann gut genug, um vorauszusehen, dass er ihr Verhalten nie verzeihen würde.

Frau Ines stellte ihren weißen Mercedes-Sportwagen auf dem großflächigen Parkplatz des Hotels ab. Es war ein trüber Tag, aber das Grün des Rasens auf dem Schadowplatz leuchtete sehr frisch, und schon waren die ersten Rosen aufgebrochen.

Frau Ines merkte es nicht einmal, sie war innerlich ganz auf das vor ihr liegende Gespräch konzentriert, von dem so viel für sie abhing.

Sie stieg die breiten Stufen zum Hoteleingang hoch. Der livrierte Portier riss die gläserne Schwingtür vor ihr auf. Sie trat in die eindrucksvolle, etwas düstere Halle mit den schweren Perserteppichen, den kostbaren Marmortischen und den tiefen, bequemen Sesseln.

Im Vorbeigehen warf sie einen Blick in den Spiegel. Sie trug ein blaugraues, auf Taille geschnittenes Sommerkostüm, dazu helle italienische Pumps, einen kleinen hohen Hut, der sie größer machte, Waschlederhandschuhe. Während sie ihr Spiegelbild kritisch betrachtete, musste sie unwillkürlich lächeln über das Glück, das aus ihren Augen leuchtete.

Ich sehe aus wie ein Kind nach der Weihnachtsbescherung, dachte sie verwundert. Ist es denn möglich, dass ich Arnold nach all den Jahren immer noch so liebe?

Das Blau ihrer Augen wirkte geradezu strahlend.

Sie wandte sich ab, trat mit raschen Schritten in die Halle, sah sich um – Wilhelm Hausmann saß schon an einem der kleinen Tische. Sie wunderte sich ein wenig darüber, denn sie wusste, dass sie sich selber nur kaum verspätet hatte.

Er wuchtete sich hoch, als er sie sah, kam ihr ein paar Schritte entgegen, ein schwerer Mann mit einem mächtigen Schädel, einem sehr energischen Kinn und einer kräftigen, ausdrucksvollen Nase. Sie hatte bisher noch nie bemerkt, wie erschreckend er als Persönlichkeit wirken konnte.

Dieser erste Eindruck verflüchtigte sich rasch, als er ihre Hand sehr zart und behutsam zwischen seine schweren Pranken nahm. Er lächelte sie jungenhaft, fast verschmitzt an.

Sie gab ihm dieses Lächeln zurück. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht warten lassen, Wilhelm«, sagte sie, »ich habe mich ganz besonders beeilt!«

»Ich bin etwas früher gekommen, weil ich ohnehin in Düsseldorf im Industrieklub zu tun hatte.«

Dass er nicht eigens ihretwegen gekommen war, nahm ihr etwas von ihrer Befangenheit. Sie setzte sich in den Sessel, den er heranschob, ließ sich Tee bestellen, nahm eine Zigarette. Wilhelm Hausmann selber trank Kognak aus einem angewärmten, sehr bauchigen Glas, zündete sich, nachdem er sie um Erlaubnis gefragt hatte, eine seiner schweren schwarzen Importen an. Er plauderte unbefangen über dieses und jenes, und erst als der Tee vor ihr stand und sie sich schon die erste Tasse des duftenden Getränkes eingeschenkt hatte, kam er zum eigentlichen Thema.

»Wie haben Sie Arnold gefunden?«, fragte er. »Ist er noch sehr mitgenommen? Oder hat er die Operation und ihre Folgen schon überstanden?«

»Er sieht blendend aus, so gut wie seit Jahren nicht mehr. Hinzu kommt, dass er sehr braun ist. Aber ganz davon abgesehen, scheint er sich auch wesentlich besser zu fühlen.«

»Das freut mich, das freut mich wahrhaftig!«, sagte Wilhelm

Hausmann herzlich. »Der arme Arnold. Er hat mir damals bei diesem Anfall verdammt leidgetan.«

»Ja, es war schrecklich. Ich kann jetzt nur hoffen, dass es wirklich besser wird.«

Frau Ines rührte nervös in ihrer Teetasse. »Ich habe gestern Abend mit ihm gesprochen«, sagte sie dann und zwang sich, Wilhelm Hausmann anzusehen.

»Das habe ich gleich gemerkt«, sagte er lächelnd, »und ich kann Ihnen sogar noch mehr sagen … was auch immer das Ergebnis Ihrer Aussprache war, sie hat Ihnen gutgetan. Habe ich recht?«

»Ja«, sagte sie, »ja … ich bin sehr glücklich.«

»Sie haben ihm also verziehen, Ines? Sie sind wirklich eine wunderbare Frau, man kann Arnold nur beneiden.«

»Verziehen, nein!«, sagte sie strahlend. »Wir haben uns versöhnt, das ist alles!«

»Nun, ich glaube nicht, dass das ein so großer Unterschied ist«, sagte er, »aber auf alle Fälle ist es schön, dass es so gekommen ist. Arnold hat also gebeichtet, und Sie haben Verständnis für ihn gehabt!«

»Es gab nichts zu beichten«, sagte sie ruhig, »ich … es war alles ein Irrtum.«

»So?« Sein Gesicht war ganz ausdruckslos.

»Ganz bestimmt. Zwischen ihm und Stefanie hat es nicht das Geringste gegeben.« Sie lachte leise. »Es kommt mir heute schon selber komisch vor, wie ich so etwas glauben konnte. Arnold und seine Sekretärin … wirklich eine alberne Idee! Aber so was kann man sich einreden, wenn man eifersüchtig ist. Und eifersüchtig ist man wieder nur, wenn man liebt.«

»Das hat er Ihnen also gesagt?«

»Ja, natürlich. Im Grunde genommen bin ich selber an der ganzen Geschichte schuld. Wenn ich damals nicht so überempfindlich gewesen wäre, wenn ich ihm nicht diese dumme Szene gemacht hätte, wäre er ja nie allein mit seiner Sekretärin nach Amerika geflogen. Und nachher hat er sich so geärgert, dass ich ihm nicht wenigstens nachgekommen bin … diese ganze Situation mit Susannes Blinddarmentzündung hat er sich gar nicht richtig vorstellen können. Und all die Zeit, wo er in Palm Beach war, hat er sich geärgert, dass ich nicht bei ihm war. Aber einfach anzurufen und mich kommen zu lassen, dazu konnte er sich auch nicht überwinden. So sind die Männer.«

»Ja, so scheinen sie zu sein.«

»Ich weiß, Wilhelm, Sie sind genauso froh über die Entwicklung der Dinge wie ich, nicht wahr?« Sie legte ihre schmale, gepflegte Hand auf seinen Arm. »Sie waren mir in dieser schrecklichen Zeit wirklich ein guter Freund, ich werde Ihnen das nie vergessen. Aber …« Sie sah ihn flehend an. »Sie reden mit keinem Menschen darüber, nicht wahr? Sie wissen, wie Arnold ist. Er würde es mir nie verzeihen, wenn er … wenn er glauben müsste, ich hätte mich über ihn beklagt. Ich schäme mich ja schon selber, dass ich … dass ich so misstrauisch war!«

»Sie haben nicht den geringsten Grund, sich zu schämen, Ines«, erklärte Wilhelm Hausmann sehr ruhig.

Sie zog die feinen Augenbrauen zusammen. »Warum sagen Sie das, und dann in einem so merkwürdigen Ton?«

Er lächelte. »Das müssen Sie sich nur einbilden, Ines, ich habe mir nichts Besonderes dabei gedacht. Wirklich nicht. Ich gebe Ihnen jetzt einen guten Rat: Vergessen Sie die ganze Geschichte, fangen Sie mit Arnold wieder von vorne an. Allerdings …«

Er zögerte.

»Was wollten Sie sagen? Sprechen Sie es doch ruhig aus! Sie wissen, wie viel ich auf Ihren Rat gebe.«

Wilhelm Hausmann schien mit sich zu kämpfen. »Ich würde doch darauf dringen, dass er seine Sekretärin entlässt. Glauben Sie mir, es wäre besser, sehr viel besser für Ihre Ehe. Vielleicht können Sie es sogar durchsetzen, dass sie von Düsseldorf fortgeht. Ich glaube, das müsste zu machen sein.«

»Aber wie könnte ich das? Ich habe doch nichts gegen sie in der Hand! Sie hat mir nie etwas getan! Wie kann ich da hingehen und verlangen …«

»Wenn Sie es wünschen, werde ich es tun!«

»Sie? Aber Sie kennen Stefanie Sintrop ja gar nicht.«

»Das ist dazu auch nicht nötig. Sagen Sie mir ein Wort, und ich werde dafür sorgen, dass diese Frau aus dem Leben Ihres Mannes verschwindet!«

»Sie wissen etwas!«, rief Frau Ines interessiert. »Sie wissen etwas und wollen es mir nicht sagen.«

»Jetzt hören Sie mich einmal ganz gut an«, sagte er, und seine Stimme klang warm und väterlich. »Sie wissen doch, dass ich es gut mit Ihnen meine, nicht wahr, Ines?«

Sie nickte.

»Gut. Dann müssen Sie auch Vertrauen zu mir haben. Lassen Sie mich diese Sache in Ordnung bringen.«

»Aber warum?«, rief sie. »Warum muss das denn sein? Wenn Arnold mir doch geschworen hat …« Sie verstummte plötzlich.

»Es tut mir sehr leid, Ines«, sagte Wilhelm Hausmann.

»Er hat also … gelogen?« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern.

»Ja, Ines. Aber Sie dürfen es nicht so tragisch nehmen. Wahrscheinlich hat er es nur getan, um Ihnen …«

»Das ist mir gleichgültig. Sie sind sicher, dass er gelogen hat?«

»Ich würde es sonst nicht einmal anzudeuten wagen.«

»Aber woher können Sie so sicher sein? Woher können Sie wissen? Wer hat es Ihnen erzählt?«

»Sie dürfen mir nicht böse sein, Ines, aber ich habe eine Detektivagentur beauftragt. Ich habe es getan, weil ich hoffte, Ihnen Arnolds Unschuld beweisen zu können …«

»Weiter!«, sagte sie ungeduldig. »Weiter! Ich will jetzt alles wissen!«

»Gestern kam der Bericht«, erklärte Wilhelm Hausmann. »Das ist alles!«

»Aber was stand darin? Bitte spannen Sie mich doch nicht auf die Folter! Erzählen Sie mir alles! Ich muss es wissen! Ich muss.«

»Nun, Tatsache ist … Arnold Berber und Stefanie Sintrop haben in demselben Hotel gewohnt, und zwar in Zimmern, die durch ein gemeinsames Bad und einen gemeinsamen Balkon miteinander verbunden waren.«

»Das besagt noch nichts.«

»Sehr richtig. Ich freue mich, dass Sie unvoreingenommen urteilen können, Ines. Arnold Berber und seine Sekretärin haben das Frühstück stets zusammen auf dem Balkon eingenommen. Natürlich ist auch das noch kein wirklicher Beweis für eine Untreue, so viel steht fest. Allerdings will der Mann, der die Beobachtung durchgeführt hat, vom Zimmerkellner erfahren haben, dass beide das Frühstück im Negligé einzunehmen pflegten, was ja wohl doch auf eine gewisse Vertrautheit schließen lässt, nicht wahr?«

»Weiter«, sagte Ines, ihre Augen glänzten dunkel in dem sehr blassen Gesicht, »weiter!«

»Ja, mehr gibt es nicht zu berichten, liebe Ines. Sie haben sich jedenfalls nicht als Mann und Frau eingetragen. Dazu waren sie wohl doch zu vorsichtig.«

»Es kann alles ein Irrtum sein«, flüsterte sie, »ein schrecklicher Irrtum!«

»Ich wollte, auch ich könnte es glauben, Ines. Aber da sind diese Fotos …« Er stockte, als wenn er erst jetzt bemerkte, dass er zu viel gesagt hätte. »Bitte hören Sie nicht hin, Ines. Ich hatte mir geschworen, nicht davon zu reden.«

»Fotos? Von was für Fotos sprechen Sie?«

»Ach, dieser Detektiv hat ein paar Bilder von den beiden geknipst. Ohne dass sie’s merkten natürlich. An sich ganz belanglose Sachen.«

»Ich will sie sehen!« Die Stimme von Frau Ines war plötzlich hart wie geborstener Stahl. »Geben Sie sie mir her!«

Wilhelm Hausmann zog seine Brieftasche aus dem Rock, holte die Fotos heraus, reichte sie über den Tisch.

Es waren nur drei. Ines betrachtete sie, eines nach dem anderen, mit brennenden Augen. Es waren gelungene Bilder. Der Mann, der sie gemacht hatte, verstand unbedingt etwas vom Fotografieren. Wenn es sich bei dem Paar, das er aufs Korn genommen hatte, um Hochzeitsreisende gehandelt hätte, würden sie diese Bilder mit dem größten Vergnügen in ihr Album geklebt haben.

Das erste Foto zeigte Stefanie Sintrop und Arnold Berber am Strand. Sie lagen quer zueinander in dem weißen Sand. Sie hatte ihren Kopf auf seine Brust gelegt, er hielt sie mit dem linken Arm umschlungen. Das zweite Bild zeigte beide beim nächtlichen Tanz unter freiem Himmel, sie schmiegten sich eng aneinander, Wange an Wange, der Ausdruck von selbstvergessenem Glück in ihren Gesichtern schmerzte Ines mehr als alles andere. Auf dem letzten Bild schienen sie zusammen über eine Promenade zu bummeln. Stefanie Sintrop trug ein leichtes Kleid, das sich eng um ihre Brust und ihre Schenkel schmiegte, das dunkel glänzende Haar fiel ihr offen in einer schweren Welle über die Schultern und ließ sie Jahre jünger erscheinen. Es war nichts Besonderes an dem Bild, wenn man von der Tatsache absehen wollte, dass sie beide zärtlich Hand in Hand gingen.

Frau Ines schob die Bilder zusammen, legte sie mit dem Rücken nach oben vor sich hin. »Also doch«, war alles, was sie sagte.

Wilhelm Hausmann beugte sich vor, sah sie besorgt an. »Sind Sie mir böse, Ines?«

»Ihnen? Was können Sie denn dafür?« Ein Zittern überlief ihren zarten Körper. »Es ist alles so hässlich! So namenlos gemein!«

»Sie dürfen es nicht so tragisch nehmen«, sagte er, »so etwas kommt überall vor.«

»Glauben Sie, dass das ein Trost ist?«

»Wenn Sie Ihren Mann lieben …«

»Nein. Meine Liebe darf kein Freibrief für ihn sein.« Sie atmete tief. »Sehen Sie, Wilhelm, dass er mich betrogen hat mit dieser Stefanie, ist schlimm genug, es schmerzt, ich kann gar nicht sagen wie. Aber schlimmer als alles andere ist seine Lüge! Er hat mir geschworen … bei allem, was ihm heilig war, geschworen, dass zwischen ihm und Stefanie … ich habe geglaubt, ich musste es glauben. Wie konnte ich denn denken, dass er zu solch einer ungeheuren Lüge fähig ist!«

»Weil er Sie nicht verlieren wollte, Ines.«

»Ach was. Ich habe es ja schon all die Jahre geahnt. Mehr als einmal habe ich verlangt, dass Stefanie Sintrop gehen soll. Er hat mich ausgelacht, mich als eine eifersüchtige, hysterische Person hingestellt, dabei habe ich recht gehabt. Ich bin sicher, ich habe die ganze Zeit schon recht gehabt. Wenn er mich wirklich nicht hätte verlieren wollen, dann hätte er mit dieser Stefanie Sintrop erst gar nichts anfangen dürfen. Und wenn es doch geschehen wäre, hätte er sich von ihr trennen müssen. Nein, es gibt viel, was ich verzeihen kann, aber das nicht. Nein! Ich werde niemals darüber hinwegkommen. Beim besten Willen nicht. Niemals!«

»Urteilen Sie nicht zu voreilig, liebe Ines. Überschlafen Sie die ganze Sache. Morgen …«

»Morgen werde ich hierüber genauso denken wie heute. Sie brauchen keine Angst zu haben, Wilhelm, dass ich mich noch einmal überreden lasse. Ich habe meine Lehre bekommen, und ich habe gelernt.« Sie schob sich mit zitternden Fingern eine Zigarette aus ihrem Päckchen, und er gab ihr Feuer.

»Kennen Sie einen guten Rechtsanwalt, Wilhelm?«

»Eine Menge. Aber natürlich kommt niemand von den Herren in Frage, mit denen ich zu arbeiten pflege. Wenn Arnold irgendeinen Verdacht in dieser Hinsicht schöpft, würde das die Dinge nur komplizieren. Vielleicht Doktor Jahn … aber das wäre auch nicht das Richtige, er hat sich in letzter Zeit auf Industrievertretungen orientiert. Sie brauchen einen Mann, der jung ist, taktvoll und eine gewisse Erfahrung gerade in Scheidungssachen hat. Warten Sie mal, lassen Sie mich nachdenken.«

Wilhelm Hausmann sah in die Luft, während er in der linken

Hand unbeweglich eine Zigarre balancierte, um die Asche nicht abfallen zu lassen. »Ja, das wäre vielleicht gar nicht schlecht«, sagte er endlich. »Es gibt da einen jungen Doktor Zöllner … Urban Zöllner. Haben Sie den Namen schon mal gehört, Ines?«

»Nie.«

»Macht nichts. Mein Freund Boll hat mir gerade vor einigen Tagen von einem sehr komplizierten Prozess erzählt, in dem Zöllner sich hervorgetan haben soll. Natürlich könnte ich, wenn es Ihnen lieber ist, auch noch nähere Erkundigungen einziehen …«

»Wozu? Ich glaube, Ehebruch dürfte ein hinreichender Scheidungsgrund sein. Der Fall liegt ja völlig klar. Bestimmt kann Doktor Zöllner ihn genauso gut führen wie jeder andere.«

11

Dr. Urban Zöllner hatte Frau Ines Berber entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten einen Termin schon für den nächsten Vormittag eingeräumt. Ihr Wunsch, ihn zu sprechen, hatte sehr dringend geklungen, und er fürchtete fast, dass sie ihn nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt aufsuchen wollte, sondern um mit ihm über die Geliebte ihres Mannes zu reden. Trotz allem war ihm Stefanie Sintrop nicht so gleichgültig, als dass es ihn nicht interessiert hätte, was Frau Ines zu sagen hatte.

Aber nachdem sie die ersten Worte gewechselt hatten, hatte er den Eindruck, dass sie von seinen Beziehungen zu der Chefsekretärin nichts wusste. Er hatte sie so vor seinen Schreibtisch platziert, dass das volle Licht aus dem Fenster hinter seinem Rücken auf ihr helles Gesicht fiel. Sie saß ganz ruhig, und wenn sich ihre Hände nicht fester, als es notwendig gewesen wäre, um ihre kleine Krokodilledertasche verkrampft hätten, würde er ihre Erregung kaum angemerkt haben. Ihre Haltung, die damenhaft und doch frei von jeder Arroganz war, imponierte ihm sofort.

»Sie werden sich denken können, warum ich zu Ihnen gekommen bin, Herr Doktor«, sagte sie, »ich möchte mich scheiden lassen. Man hat Sie mir empfohlen …«

»Wer?«, fragte Dr. Urban Zöllner.

»Darüber möchte ich nicht sprechen … entschuldigen Sie bitte!«

»Aber natürlich. Es war eine dumme Frage. Nur weiß man eben gern, wer gut von einem denkt.« Er lächelte, um ihr die Situation zu erleichtern.

Sie blieb ganz ernst. »Ich möchte, dass Sie die Scheidung durchführen, Herr Doktor, und dass ich so wenig wie möglich damit zu tun habe. Ich wäre Ihnen auch sehr dankbar, wenn Sie dafür sorgen könnten, dass mein Mann so schnell wie möglich unser Haus verlässt … noch vor der Scheidung, meine ich. Ein Zusammenleben zwischen uns ist, nach dem, was geschehen ist, für mich jedenfalls eine Qual.«

»Wenn die Dinge so stehen«, sagte Dr. Urban Zöllner, »dann ist es wohl unnötig zu fragen, ob Sie sich diesen Schritt auch wirklich reiflich überlegt haben.«

»Es gibt keinen anderen Weg mehr.«

»Haben Sie Kinder?«

»Ja, zwei. Sie sind elf und dreizehn Jahre alt.«

»Sie wissen auch, gnädige Frau … bitte seien Sie mir nicht böse, wenn ich Sie darauf aufmerksam mache, aber ich halte es für meine Pflicht …, dass die Kinder mit größter Sicherheit unter der Scheidung leiden werden? Sie kommen ja gerade jetzt in ein Alter, wo das Leben für sie beginnt, schwierig zu werden.«

»Ich weiß. Aber ich kann es nicht ändern. Natürlich sollen die Kinder bei mir bleiben.«

»Sie legen also auch Wert auf das Sorgerecht?«

»Ja, dass ich über die Erziehung der Kinder bestimme. Das ist doch das, was man Sorgerecht nennt … oder?«

»Ja.« Dr. Zöllner machte sich Notizen. »Haben Sie sich schon überlegt, was wir als Scheidungsgrund angeben wollen?«

»Ehebruch.«

Wieder schrieb Dr. Zöllner.

»Ich nehme an, dass Ihr Gatte der Besitzer der Berber-Werke in Düsseldorf-Heerdt ist, nicht wahr?«

»Ja, kennen Sie ihn?«

Dr. Urban Zöllner wartete eine Sekunde mit der Antwort.

»Nein«, sagte er dann, »ich kenne Ihren Gatten nicht persönlich … nur dem Ansehen nach. Ich darf wohl annehmen, Ihr Gatte weiß, dass Sie heute bei mir sind, nicht wahr? Glauben Sie, dass er versuchen wird, den Vorwurf der Untreue zu bestreiten?«

»Bestreiten? Nein, das ist ganz ausgeschlossen.«

»Er ist also mit der Scheidung einverstanden. Entschuldigen Sie bitte, gnädige Frau, wenn ich so viele Fragen stelle, aber ich muss versuchen, mir ein Bild von der ganzen Sache zu machen.«

Sie hob erstaunt die Augenbrauen. »Ist es nötig, dass er einverstanden ist?«

»Nein, natürlich nicht. Es ist nur so, dass ich Ihre Belange besser vertreten kann, gnädige Frau, wenn ich von Anfang an klarsehe. Nur deshalb möchte ich wissen, ob Ihr Gatte einverstanden ist oder ob Sie annehmen, dass er Widerstand leisten wird … oder ob er am Ende sogar eine Gegenklage erheben wird.«

»Gegenklage?! Aber ich kann doch gar nicht dafür, dass alles so gekommen ist.«

»Das habe ich auch gar nicht angenommen, gnädige Frau. Aber es handelt sich einfach darum, dass Ihr Partner möglicherweise versuchen könnte, es so darzustellen, und zwar besonders dann, wenn er zwar prinzipiell nichts gegen eine Scheidung einzuwenden hat, aber Wert darauf legt, dass die Ehe mindestens aus beiderseitigem Verschulden geschieden wird. Das hat für den Richter eine gewisse Bedeutung bei der Frage des Sorgerechts und natürlich auch bei der finanziellen Auseinandersetzung. Wie steht es übrigens … haben Sie einen Ehevertrag mit Ihrem Gatten geschlossen? Irgendwelche Vereinbarungen über Gütergemeinschaft oder Gütertrennung?«

»Nein. Wir leben in einer Zugewinnehe.«

»Das ist natürlich sehr gut. Wann haben Sie geheiratet?«

»Am 21. April 1944.«

»Und wie war Ihre damalige Vermögenslage und die Ihres Gatten? Ich brauche das jetzt noch nicht ganz genau zu wissen, gnädige Frau, aber wenn Sie ein paar Hinweise geben könnten, wäre ich Ihnen doch sehr dankbar.«

»Der Betrieb meines Mannes, aber damals gehörte er noch Arnolds altem Vater, war von Bomben fast vollkommen zerstört. Wir dachten damals nicht, dass er jemals wieder aufzubauen wäre. Aber mein Mann hatte eine gründliche kaufmännische Ausbildung bekommen, und deshalb glaubten wir, uns irgendwie durchschlagen zu können.«

»Und Sie selber? Ich meine, wie waren Sie von Haus aus finanziell gestellt?«

»Mein Vater war Professor an der Kölner Universität, und meine Mutter stammt aus einer sehr wohlhabenden Familie. Es ist meinen Eltern gelungen, ihren persönlichen Besitz über den Krieg zu bringen, indem sie Wäsche, Möbel, Geschirr und so weiter in unserem Jagdhaus im Bergischen Land evakuierten.«

»Diese Einrichtung haben Sie also mit in die Ehe gebracht, wenn ich Sie recht verstehe.«

»Ja. Und außerdem noch ein Aktienpaket.«

»Was ist damit geschehen?«

»Ja, also nach dem Krieg entschlossen wir uns … das heißt, Arnold entschloss sich, die Firma seines Vaters zu übernehmen … da hat er die Aktien verkauft. Es kam damals übrigens zu schrecklichen Auseinandersetzungen mit meinem Vater, der das für eine große Dummheit hielt.«

»Wissen Sie etwas über den Wert dieser Aktien?«

»Nicht genau, es waren Mannesmann-Aktien, Gutehoffnungshütte, Farbwerke Hoechst und noch eine Menge kleinerer Sachen … das weiß ich nicht.«

»Könnten Sie versuchen, eine Liste dieser Aktien aufzutreiben?«

Frau Ines dachte eine Sekunde nach, dann sagte sie: »Ja, meine Schwester wird es wissen. Die Aktien sind nämlich damals genau geteilt worden, und wir haben beide gleich viel bekommen. Da meine Schwester nicht verkauft hat …«

»Gut. Das wäre wichtig. Leben Ihre Eltern noch?«

»Nein. Sie sind beide gestorben.«

»Und Sie haben geerbt?«

»Ja, mit meiner Schwester zusammen ein Haus in Köln auf dem Sachsenring. Es war ausgebrannt und ist inzwischen wieder aufgebaut worden. Meine Schwester wohnt mit ihrem Mann und den Kindern im Parterre. Die obersten Etagen sind vermietet. An den Mieteinkünften bin ich beteiligt … aber ich habe dieses Geld immer als Taschengeld genommen. Mein Mann hat da gar nichts mit zu tun. Dann ist noch dieses Jagdhaus im Bergischen, das gehört zu einem größeren Bauernhof, der verpachtet ist. Meine Schwester und ich haben uns so geeinigt, dass wir nach vorheriger Absprache dort Urlaub machen können. Allerdings habe ich es nur sehr selten benutzt. Der Besitz wirft nichts ab. Alles, was die Pacht einbringt, muss auf der anderen Seite wieder in die Erhaltung der Liegenschaften gesteckt werden.« Sie atmete tief durch. »Aber ist denn das so wichtig?«

»Doch, schon. Ich muss mir ein Bild machen können. Sehen Sie, gerade weil Sie in einer Zugewinnehe leben, spielt die Schuldfrage ja eine verhältnismäßig geringe Rolle. Die finanzielle Auseinandersetzung erfolgt völlig unabhängig von diesem Moment. Es muss geteilt werden, und zwar so, dass jeder der Ehepartner erst einmal das erhält, was er mit in die Ehe gebracht oder persönlich geerbt hat. Also Sie, gnädige Frau, den Anteil des Mietshauses in Köln und des Besitzes im Bergischen, weiter den Wert Ihrer Aktien. Ihr Gatte den Betrieb, aber nur so viel, wie bei Ihrer Eheschließung tatsächlich vorhanden war, also das Gelände und, nehme ich an, auch noch verschiedene Baulichkeiten. Dazu kommt natürlich noch der Firmenname.

Alles, was nun während Ihrer Ehe hinzugewachsen ist, ob durch das Verdienst Ihres Mannes oder durch Ihr eigenes Verdienst oder auch nur durch eine allgemeine wirtschaftliche Konjunktur, muss zwischen Ihnen beiden aufgeteilt werden. Sie können ohne Sorge sein, gnädige Frau, Sie werden bei einer Scheidung keinesfalls schlecht abschneiden. Mehr möchte ich, bevor ich die genauen Unterlagen habe, nicht sagen. Allerdings …« Dr. Urban Zöllner zögerte.

»Sie haben Bedenken?«, fragte sie sofort.

»Bedenken, das wäre zu viel gesagt. Nur kann ich mir nach alldem, was ich inzwischen von Ihnen erfahren habe, nicht recht gut vorstellen, dass sich Ihr Gatte ohne Weiteres mit einer Scheidung einverstanden erklären wird. Sie haben als Scheidungsgrund Ehebruch angegeben … Es liegt, scheint mir, ziemlich nahe, dass er diesen Vorwurf bestreiten wird. Wir sollten uns also, bevor wir die Sache angehen, erst einmal wirklich schlagende Beweise für seine ehelichen Verfehlungen beschaffen.«