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Zum Buch

Klara Thaler Stuefer ist die letzte Hausgeburtshebamme des Sarntals. Als Tochter einer vielköpfigen Bauernfamilie beschloss sie selbstbewusst, einen anderen Weg zu gehen als viele junge Frauen: Ohne Unterstützung holte sie die Mittelschule nach und wurde Hebamme. Bescheiden schildert Klara die Zeit der Ausbildung in Padua Anfang der 1950er-Jahre und ihren entbehrungsreichen Alltag, der von harter Arbeit zu jeder Tages- und Nachtzeit geprägt war. Die freudigen, aber auch die leidvollen Momente, an denen sie als Hebamme teilhaben durfte, lassen sie ehrfürchtig auf ein bewegtes Leben zurückblicken.

Klaras Erzählungen werden durch die Geschichten von fünf Sarner Frauen ergänzt, die beschreiben, wie sie Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett in einer von Männern dominierten Gesellschaft erlebt haben.

Mit vielen Fotos aus den Familienalben.

„Ein Büchlein voller Wahrheit und berührender Frauengeschichte“ Ingeborg Stadelmann

Die Autorin

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Anita Runggaldier, geboren 1981 in Bozen, lebt im Sarntal und ist Mutter von zwei Kindern. Nach der Matura besuchte sie die dreijährige Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe Claudiana in Bozen. Seit 2004 arbeitet sie als Hebamme im Gesundheitsbezirk Meran. Sie war zwei Jahre lang in der Hebammenausbildung tätig und ist ausgebildete Kursleiterin für Schwangerenschwimmen, Beckenbodengymnastik und Babymassage. Die Sommer verbringt sie gerne auf der Alm, um in der Natur einen Ausgleich zu ihrem Beruf zu finden.

Mit freundlicher Unterstützung der Raiffeisenkasse Sarntal, der Gemeinde Sarntal, der Autonomen Region Trentino-Südtirol und der Autonomen Provinz Bozen – Abteilung Deutsche Kultur über das Südtiroler Kulturinstitut

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© Edition Raetia, Bozen 2015
1. Auflage

Umschlaggestaltung: Dall’O & Freunde
Grafisches Konzept und Druckvorstufe: Typoplus, Frangart
Korrektur: Ex Libris Genossenschaft, Bozen

ISBN Print: 978-88-7283-514-2
ISBN E-Book: 978-88-7283-528-9

Unser Gesamtprogramm finden Sie unter www.raetia.com
Für Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an info@raetia.com

Wir danken Ingeborg Stadelmann für ihr Vorwort.

Inhalt

Vorwort von Ingeborg Stadelmann

Einleitung

Klaras frühe Kindheit

Arbeitsame Jahre

Ausbildung zur Hebamme

Aller Anfang ist schwer

Marianna

Weite Wege und eiskalte Bedingungen

Pius Nanne – Anna Unterkalmsteiner Thaler

Klaras Familienleben

Die Höfminin – Karolina Gasser Stofner

Männer

Schattenseiten des Hebammenberufes

Perar Müettr – Rosa Marzoner Villgrattner

Geburten im Spital

Pöltar Mariele – Maria Stuefer Mair

Nicht nur Hebamme

Klaras Hebammentasche

Ruhigere Tage

Bildnachweis

Die Autorin

Vorwort

Ein Büchlein voller Wahrheit und berührender Frauengeschichte

Die Südtiroler Hebamme Klara lebte im vergangenen Jahrhundert im Sarntal, einem Seitental unweit von Bozen. Das klingt, als läge es lange zurück, dabei war es fast gestern. Es war ein beschwerliches Hebammenleben. Heute sind 20 km Entfernung nicht der Rede wert. Damals, von 1953 bis Anfang 1980, während der Berufsjahre von Klara, war es eine mühevolle Wegstrecke für die freiberufliche Hebamme und vor allem im winterlichen Schneetreiben oft eine unmenschliche Herausforderung. Manchmal gab es nicht einmal Schlaf zwischen der einen und der nächsten Geburt. Außerdem mussten die Frauen ja auch im Wochenbett betreut werden, das war für Klara Ehrensache und nicht nur ein Pflichtdienst. Für die Wöchnerinnen war es oft ein lebenswichtiger Schutz.

Klara war damit aufgewachsen, ja fast dazu geboren, Lebensprobleme zu meistern, denn als ungewolltes Kind wurde ihr nichts in die Wiege gelegt, sondern sie musste sich alles hart erarbeiten. Ihr Leben war geprägt von Armut und Gottesfurcht, aber auch von Gewissenhaftigkeit und Ehrgeiz. Nur so erreichte sie, die Deutsch sprechende Bauernmagd, ihr Hebammendiplom an der italienischen Hebammenschule in Padua. Auch hier wurde ihr nichts geschenkt, im Gegenteil. Sie erlebte am eigenen Leib Belästigung und Schikane. Angesichts von Missbrauch und Gewalt, die viele Frauen heute noch prägen, blieb Klara jedoch nicht still, sie stellte sich schützend vor die Frauen und erreichte sogar, dass die hochgeachtete Kirche Entschuldigungen aussprechen ließ – kein wirklicher Trost angesichts des großen Unrechts, das die Frauen erdulden mussten und das durch nichts zu entschuldigen war. Zu erschreckend war das, was ihnen von Würdenträgern der Kirche angetan wurde, aber auch die Gewalt der Ehemänner, die die Frauen oftmals schon kurz nach der Geburt und im frühen Wochenbett zu ihren „ehelichen Pflichten“ zwangen.

Das Wichtigste für Klara war, „immer für die Frauen zu arbeiten“. Nicht selten war die Hebamme die einzige Vertrauensperson für die Schwangeren und Mütter, die sie betreute. Klara kannte nie ein Klagen oder Jammern. Sie übte ihren Beruf trotz aller Widrigkeiten mit viel Liebe und Achtung für all die ihr anvertrauten Frauen aus. Ihrer Demut gebührt allerhöchster Respekt.

Die Lebensgeschichten von Klara und den anderen Sarner Frauen in diesem Buch sind spannend zu lesen, sie wühlen auf und gehen zu Herzen. Und sie sind ein Zeitzeugnis der Frauen- und Hebammengeschichte. Schon allein deshalb verdienen die Erzählungen eine große Leserschaft weit über die Südtiroler Landesgrenzen hinaus.

Die Geschichten zeigen aber auch, wie wichtig der Beruf der freiberuflichen Hebamme ist – und dass eine Geburt im häuslichen Umfeld leistbar ist! Möge das Buch dazu beitragen, dass sich weltweit, nicht nur in Südtirol, die derzeitige Situation der Hausgeburtshilfe und der Hebammenbetreuung verbessert und der Staat seiner Verpflichtung nachkommt, alle Geburten zu finanzieren, wo auch immer sie stattfinden. Es kann nicht angehen, dass im 21. Jahrhundert eine hebammengeleitete Geburt Privatsache ist.

Ingeborg Stadelmann

Autorin des Bestsellers „Die Hebammen-Sprechstunde“

Einleitung

„I bin froh, dass i net in dr heinting Zeit meine Kindr hobn müess, i hat an Grausn vör die gonzn Untrsüchingn und i glab es isch net schlecht gwen, dass mir net olls gwisst hobn und a net wissen hobn gwellt.“1

Karolina Gasser Stofner

War es wirklich Unwissenheit oder nur großes Vertrauen in den eigenen Körper? War es ein anderes Erleben der eigenen Weiblichkeit oder eine vertraute Hebamme? War es das eigene Durchhaltevermögen, das man durch schwere körperliche Arbeit schon von klein auf gewohnt war, oder etwa ein absolutes Gottvertrauen? Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was den Frauen von damals ihre Geburten erleichtert hat – wahrscheinlich war es von allem ein bisschen.

Den Beruf der Hebamme habe ich, ohne es immer schon gewollt zu haben oder eine genaue Vorstellung davon gehabt zu haben, ganz spontan und mit viel Glück auserwählt. Durch die drei Jahre Ausbildung, die Geburt meiner Tochter und die folgenden ersten Jahre Berufserfahrung hat sich meine Einstellung zu einer Geburt im Laufe der Zeit immer wieder verändert – bis hin zur Geburt meines Sohnes zu Hause.

Der Gedanke, unser Kind im trauten Heim zur Welt zu bringen, ließ mich nicht mehr los. Mein Vorhaben, mit einer mir vertrauten Hebamme eine Hausgeburt zu machen, stieß auf viel Unwissenheit und sogar auf Widerstand bis hin zum Vorwurf der Verantwortungslosigkeit. Als Hebamme weiß man um die vielen Komplikationen, die auftreten können, jedoch weiß man auch, wie natürlich und problemlos Gebären sein kann. Meine Gedanken kreisten in der Schwangerschaft oft um die Frauen von früher und ich dachte mir: Wenn sie es geschafft haben, wieso sollten wir es heutzutage nicht auch hinbekommen? Spontan gebären hat sich doch seit Jahrtausenden und seit Menschengedenken nicht verändert.

Meine Neugier für jene Zeit, als noch der Großteil der Frauen ihre Kinder zu Hause zur Welt brachten, wurde durch die erste zufällige Begegnung mit Klara noch verstärkt. Als Hebomm2 Klare ist sie vielen Sarnern bestens bekannt. Sie genoss großen Respekt und Ansehen – und so ist es immer noch. Klara muss man besser kennen, denn auf den ersten Blick wirkt sie etwas distanziert. Viele Begegnungen mit Menschen und verschiedene Lebenssituationen haben sie wohl gelehrt, nicht jedem sofort blind zu vertrauen. An ihre ersten Worte, als ich sie fragte, ob ich sie interviewen dürfe, erinnere ich mich noch gut: „Wos wilsch?“3 Es war ihr anfangs nicht geheuer, dass sich jüngere Generationen für ihre Erlebnisse als Berg- und Talhebamme interessieren könnte. Doch mit jedem meiner Besuche bei ihr wurden unsere Gespräche lockerer und vertrauter. Ich fing an, mir Notizen zu machen, denn ich kam durch die interessanten Erlebnisse von Klara immer mehr zur Überzeugung, dass es für uns und für weitere Generationen unheimlich wichtig ist, jene Zeit festzuhalten. Ich konnte mich immer mehr in die Zeit hineinversetzen, erkannte Gemeinsamkeiten, jedoch auch unbekannte Bräuche und erfuhr Unvorstellbares. Klara, die mit ihrem Beruf schon lange abgeschlossen hatte, tat es sichtlich gut, über manche Ereignisse in ihrem arbeitsreichen Leben nochmals oder auch zum ersten Mal zu sprechen. Sie blühte förmlich auf. Ihre Erinnerungen halten die damalige Zeit für sie lebendig und ließen mich in eine zwar nicht so lange vergangene, jedoch völlig fremde Zeit eintauchen.

Ich hatte die Idee, einen Erzählabend zu organisieren, an dem Frauen, die größtenteils zu Hause entbunden haben, von ihren Geburten damals öffentlich erzählen sollten. Ganz ungeniert sprachen diese Frauen über ihr Erlebtes und nach jenem Abend wurde von mehreren Personen der Wunsch geäußert, das Erzählte für alle zugänglich zu machen – und zwar in Form eines Buches. Eingestreut zwischen die Kapitel, die Klaras Leben und Beruf beschreiben, ergeben sie ein vollständiges Bild der damaligen Lebensumstände einer Frau.

Am meisten beeindruckt hat mich, wie Klara, aber auch die anderen Frauen, ihren verschiedenen Lebenslagen begegneten. Ihre Geburten, ihre oft viel zu harte Arbeit und auch ihre Verluste nahmen sie mit Selbstverständlichkeit, Natürlichkeit und großem Gottvertrauen hin. Alles was ihnen widerfuhr, lag in Gottes Hand und war von ihm gewollt – Hilfe erhofften sie sich im Gebet. Wie aus ihren Erzählungen immer wieder hervorgeht, war es oft eine schwere, entbehrungsreiche Zeit, die jedoch durch Zufriedenheit und Bescheidenheit geprägt war. „Des isch holt asöi gwen. Entwedr ischs gongn ödr a net.“4 Im Nachhinein muss ich mir eingestehen, dass die Gespräche mit Klara und den anderen Frauen entscheidend dazu beigetragen haben, dass ich mich intensiv mit dem Thema Hausgeburt auseinandergesetzt habe und mich immer mehr in meinem Vorhaben, zu Hause zu gebären, gestärkt fühlte.

Ich möchte mit diesem Buch Erinnerungen an die Zeit der Hausgeburten für Frauen, besonders auch für uns Hebammen, festhalten und in unser Gedächtnis rufen, dass die Geburt zwar ein einschneidendes, aber auch ganz natürliches Ereignis im Leben einer Frau ist. Zu dessen gutem Verlauf tragen wir als Frauen, aber auch als betreuende Hebammen, als Vertrauens- und Fachpersonen der Geburt, entscheidend bei.

Ich bin Klara und den Frauen für ihr entgegengebrachtes Vertrauen, ihren Einblick in zum Teil intime und ergreifende Erlebnisse zu tiefem Dank verpflichtet. Es hat mich in meinem Beruf um vieles reicher und ehrfürchtiger werden lassen.

Ein liebevolles Dankeschön gilt meiner gesamten Familie für ihre große Geduld während meines Schreibens und meiner Freundin Irmi für ihre hilfreichen Ratschläge.

Anita Runggaldier

Klaras frühe Kindheit

Dass so manche Lebensgeschichte eines Menschen schon lange vor seiner Geburt beginnt, ist vielen nicht bewusst. Es sind bestimmte Geschehnisse oder Schicksalsschläge, die ohne unser Zutun passieren und den Verlauf der Geschichte für immer ändern. In die Wirren der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges hineingeboren, fängt auch Klaras Geschichte bereits vor ihrer eigenen Geburt an, mit den Lebensgeschichten ihrer Eltern.

Klaras Vater, Stanislaus Thaler, wurde sofort mit Kriegsbeginn im Jahre 1914 in den Krieg einberufen. Stanis, der mit seiner Frau Anna Moser und vier kleinen Kindern – das letzte war erst 1913 geboren worden – den elterlichen Waldkleenhof in Unterreinswald im Sarntal bewirtschaftete, ging schweren Herzens auf unbegrenzte Zeit von seiner Heimat fort. Die Sorge um die Not und die viele Arbeit zu Hause war nicht unbegründet, denn es dauerte nicht lange, bis ihn eine traurige Nachricht aus der Heimat an der Kriegsfront ereilte: Seine Frau war am 20. Februar 1915 wenige Monate nach seiner Abreise an Tuberkulose verstorben. An eine baldige Rückkehr zu seinen Kindern war für Stanislaus aber nicht zu denken.

Gegen Ende des Krieges geriet Stanis in polnische Gefangenschaft. Die Strapazen des Krieges und die Ängste um seine vier Kinder zehrten an ihm. Völlig geschwächt musste er in ein polnisches Lazarett verlegt werden. In einem Krankenlager inmitten vieler anderer vegetierte er dahin ohne Hoffnung auf eine baldige Heimkehr. Gottesfürchtig wie er war, blieb ihm nur noch das tägliche Gebet. Aufgrund seiner körperlichen Schwäche konnte er die auf der Brust zum Gebet gefalteten Hände nie lange aufrecht halten. Im Sarner Dialekt betete er laut vor sich hin: „Bitte Herrgött loss mi net sterbn, loss mi zi meine vier Waislein hoamkehrn, dei brauchn mi.“5 Dadurch fiel Stanis einem Offizier bei seinen täglichen Kontrollgängen durchs Krankenlager auf. Tagaus, tagein diesen betenden Mann vor Augen, forderte der Offizier einen Dolmetscher an und ließ sich Stanis’ Bitte übersetzen. Der Offizier und seine Frau wünschten sich Kinder und konnten Stanis’ Wunsch heimzukommen nachvollziehen. So veranlasste der Offizier persönlich, dass Stanis noch am selben Tag in sein Haus gebracht wurde, wo sich die Frau des Offiziers um ihn kümmern sollte. Mühevoll und langsam genas Stanis und als er durch die gute und liebevolle Versorgung dieses Ehepaars wieder zu Kräften gekommen war, kam für ihn die ersehnte Stunde der Heimkehr. Er hatte nichts, was er dieser Familie in seinem unendlichen Dank schenken hätte können. Die Herrin des Hauses meinte aber, er möge in einem kurzen täglichen Bitt- und Segensgebet um einen Sohn für sie beten, der Priester werden möge. Stanislaus erwiderte ihr: „Ich bete nicht nur für einen Geistlichen, sondern für einen Papst aus Polen!“

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Klaras Vater Stanislaus Thaler

Teils zu Fuß, teils durch kurze Mitfahrgelegenheiten, machte sich Stanis auf den Heimweg. Zu Hause erwartete ihn auf seinem eigenen Hof eine verschlossene Tür: Er wusste nicht, wo seine Kinder waren. So verbrachte er seine erste Nacht im Stall und machte sich tags darauf auf zu seinem Bruder. Vor dem Krieg hatten sich die beiden Brüder ein Versprechen gegeben: Derjenige, der früher aus dem Krieg heimkehren würde, würde sich der Kinder des anderen annehmen. Sein Bruder, der im Mai 1918 wohl nicht mehr mit Stanis’ Rückkehr gerechnet hatte, hatte sein Versprechen aber gebrochen. Die vier Halbwaisen waren voneinander getrennt und in die Obhut verschiedener Bauern gegeben worden, die Mitleid mit diesen Kindern hatten. Stanis, der immer ein liebender Vater war, holte seine vier Kinder wieder auf den Hof. Auch als Mann in den besten Jahren war er mit vier Kindern und all der Arbeit auf dem Hof völlig überfordert und brauchte so schnell wie möglich Unterstützung durch eine Frau. So konnte Stanis die Haushälterin seines Bruders, der ebenfalls Witwer war, davon überzeugen, bei ihm ihre Dienste zu tun. Katharina Brugger aus dem Durnholzer Tal muss wohl von Stanis mehr angetan gewesen sein als von seinem Bruder, denn sie nahm seine Bitte an. Stanis’ Absicht war es jedoch, nicht nur eine Haushaltshilfe, sondern auch eine Mutter für seine Kinder zu finden. Noch im selben Jahr, 1918, wurde Katharina von Stanis schwanger. Die Hochzeit fand im August 1918 statt und im März 1919 kam ihre erste gemeinsame Tochter Maria zur Welt.

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Klaras Mutter Katharina Brugger

Stanis hielt das Versprechen, das er dem polnischen Offiziersehepaar gegeben hatte und betete sein Leben lang täglich für einen polnischen Papst. Als Stanis merkte, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, vertraute er diese Geschichte, die er bis dahin für sich behalten hatte, seiner Tochter Klara an. Bevor er 1963 starb, nahm er ihr in seiner Dankbarkeit das Versprechen ab, an seiner Stelle weiter für einen polnischen Papst zu beten. Klara konnte ihrem sterbenden Vater diese Bitte nicht abschlagen und betete von diesem Tag an seiner statt, obwohl sie selbst nicht glaubte, einen polnischen Papst erbeten zu können. Wie erstaunt war sie dann, als im Jahre 1978 der Pole Karol Józef Wojtyła zum neuen Papst Johannes Paul II. ernannt wurde! Ob es Zufall oder Schicksal war, wusste sie nicht, doch das Hoffen ihres Vaters hatte sich erfüllt. Auf Zutun eines Geistlichen verfasste Klara einen Brief an den Papst, in dem sie die Geschichte ihres Vaters schilderte, jedoch erhielt sie nie Antwort aus dem Vatikan und somit nie Gewissheit, ob ihn der Papst überhaupt zu lesen bekommen hatte.

Klara kam am 5. Juli 1926 als siebtes von insgesamt neun gemeinsamen Kindern von Stanis und Katharina zur Welt. Sie hatte es nicht immer leicht und lernte buchstäblich schon von Geburt an sich durchzusetzen. Erst mit etwa 40 Jahren erfuhr Klara die Geschichte ihrer eigenen Geburt und vieles wurde ihr erst dann so richtig klar: Erlebnisse und Empfindungen aus ihrer Kindheit und Jugend fügten sich zu einem Ganzen. Von ihrer eigenen Mutter hatte sie von ihrer Geburt nur Bruchteile erfahren, denn über solch intime Dinge verlor man früher kein Wort – darüber zu sprechen galt als Sünde. Wohl auch durch ihre Berufung zur Hebamme war Klara ihre eigene Geburt immer wichtig. Erst als sie schon mehrere Jahre Hebamme war, erfuhr sie eines Abends bei ihrem Dienst im Spital Einzelheiten zu ihrer Geburt.

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Hochzeitsfoto von Stanislaus und Katharina, 1918. Links die Geschwister des Brautpaares, ein Neffe von Stanis und seine vier Kinder aus erster Ehe

An jenem Abend hatten sich der Hausarzt, ein Rechtsanwalt, ein Geistlicher und ein weiterer Arzt zu einer Tasse Kaffee in der Spitalsküche eingefunden. Klara war dort gerade mit dem Zubereiten eines Tees für eine Wöchnerin beschäftigt und wurde von ihnen aufgefordert, sich zu ihnen zu gesellen. Sie wollte nicht unhöflich erscheinen und kam der Bitte nach, obwohl sie sich in dieser Gesellschaft nicht wohlfühlte. Es wurde über alles Mögliche diskutiert und Klara verfolgte die Gesprächsrunde, beteiligte sich jedoch kaum. Auf die Frage „Wer kann denn heute noch ein Schutzengelgebet beten?“, die der Geistliche in die Runde warf, begann der Hausarzt Klaras Geburt zu schildern. Er selbst kannte ein Schutzengelgebet, denn er hatte es bis zu Beginn seines Medizinstudiums immer gebetet. Während des Studiums hörte er jedoch damit auf, obwohl ihm seine Mutter aufgetragen hatte, es täglich zu beten. Als er dann als junger Arzt im Sarntal seine Tätigkeit begann, veranlasste ihn die Geburt eines Kindes dazu, das tägliche Gebet wieder aufzunehmen: die Geburt von Klara.

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Klara (Dritte von links, vorne) mit ihren Eltern, vier Halbgeschwistern und acht Geschwistern. Einen Bruder (Erster von links, vorne) hatte Klara bis zu diesem Tag noch nie gesehen, weil er bei ihrem Onkel in Durnholz lebte. Es handelt sich um Franz Thaler, der zu einer Symbolfigur des Südtiroler Widerstands während des Zweiten Weltkriegs werden sollte.

Katharina, Klaras Mutter, war eine streng katholische Frau. Im Sommer 1926 erwartete sie ihr siebtes Kind. Gottesfürchtig wie sie war, hielt sie auch die Tatsache, dass sie hochschwanger war, nicht davon ab, zu Fuß zu einer Primizfeier von Unterreinswald nach Sarnthein zu pilgern. Tags darauf, wohl vom weiten Fußmarsch überanstrengt, setzten bei Katharina ungefähr einen Monat zu früh die Wehen ein. Da es sich um keine Vorwehen handelte und die Schmerzen immer stärker wurden, schickte sie ihre älteste Tochter, die damals sieben Jahre alt war, zu ihrer Nachbarin, der Keldrerin. Die Keldrerin war Anna Spornberger, verheiratete Kelderer. Sie war zu dieser Zeit die in Reinswald und Umgebung tätige Hebamme.

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Sterbebild der 1960 verstorbenen Hebamme Anna Kelderer

Katharina gebar jedoch in der Zwischenzeit alleine und da das eben geborene Mädchen regungslos vor ihr lag und nicht schrie, führte sie sofort die Nottaufe durch, denn das Kind sollte nicht ohne das Sakrament der Taufe sterben. Die Nottaufe kann beim Neugeborenen auch von den Eltern durchgeführt werden, wenn Lebensgefahr besteht. Dabei wird die Taufformel „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ gesprochen und das Kind mit Wasser übergossen, das nicht zwingend Weihwasser sein musste. Die Hebamme, Anna Kelderer, die kurz darauf bei Katharina eintraf, konnte auch nur noch feststellen, dass das Kind keinen Ton von sich gab, und so taufte sie das Kind nochmals. Die Mutter hätte angesichts ihres toten Kindes etwas vergessen haben können – dann wäre die Taufe nicht gültig gewesen.

In der Zwischenzeit setzte bei Katharina eine verstärkte Blutung ein und die Nachgeburt wollte sich nicht lösen. Das Kind wurde kurzerhand in Windeln eingewickelt und auf die Ofenbank gelegt. Dann wurde nach dem jungen Hausarzt geschickt. Beim Eintreffen auf dem Waldkleenhof war er bereits über den vermeintlichen Tod des Kindes in Kenntnis gesetzt worden und erkundigte sich sofort bei der Hebamme: „Jetzt wird es der Frau aber schlecht gehen, wenn ihr Kind verstorben ist.“ Die Hebamme erwiderte ihm jedoch: „Na, na sie hot ollm schun a Engele gwellt.“6 Die Nachgeburt konnte vom Arzt vollständig gelöst und somit die Blutung gestillt werden.

Als Dank war es Brauch, dem Arzt eine Mrenn7 anzubieten. Als alle in der Küche beieinander saßen und Katharina sich in ihrer Kammer ausruhte, hörte der Arzt in der Stube ein Kätzchen schreien. Das Wimmern wurde immer lauter und störte den Arzt und so meinte er zur Auworterin8, einer Nachbarin, die bereits eingetroffen war, sie möge die Katze aus der Stube verjagen. Als diese jedoch kurze Zeit danach aus der Stube wieder zurückkehrte und dem Arzt antwortete „Ich kann in der Stube keine Katze finden“, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: In all der Hektik und im Vertrauen auf die Kenntnisse der Hebamme hatte er das tot geglaubte Kind keines Blickes gewürdigt. In jenem Moment fiel ihm das Schutzengelgebet seiner Mutter wieder ein und er betete, dass dem Kind nichts fehle, das er in der Aufregung völlig vergessen hatte. Es war die kleine Klara, die sich von der Geburt langsam erholt hatte und nun anfing zu schreien.

Katharina war nicht unbedingt erfreut darüber, dass Klara nun doch überlebt hatte. Bereits während ihrer Schwangerschaft hatte sie dafür gebetet, dass dieses Kind nun endlich ein Englein werden möge. Fast jede Frau hatte ein Engelein durch Fehlgeburten, Totgeburten oder Todesfälle im Kleinkindalter, und darauf war man damals sogar stolz – man hatte einen Fürsprecher im Himmel.

Als sich Klaras Vater und ihre junge Taufpatin mit ihr auf den Weg zur Taufe in die Kirche machten, wäre sie ihrer Patin um ein Haar aus den Armen gerutscht. In ihrer ungestümen jungen Art hatte diese sie nicht richtig in das Taufkissen gelegt und hüpfte mit dem Kind in den Armen so umher, dass Klaras Vater seine Tochter gerade noch halten konnte, bevor sie auf den steinigen Weg gefallen wäre. Noch einmal hatte Klara Glück. So wurde sie insgesamt dreimal getauft und heute ist sie davon überzeugt, deshalb so alt geworden zu sein.

Da Katharina auch die Tage nach der Geburt noch nicht recht glauben wollte, dass das Kind überleben würde, bekam Klara nur abgerahmte Milch zu trinken, später wurde dieser Milch dann etwas Gerstenmehl beigemischt. Klara hatte bereits damals einen eisernen Willen und allen Erwartungen und Hoffnungen ihrer Mutter zum Trotz entwickelte sie sich prächtig.

Viel wusste man damals noch nicht über die Wirkung mütterlicher Empfindungen auf das Kind während der neun Monate der Schwangerschaft. Umso gespannter folgte Klara, als sie bereits Hebamme war, dem Vortrag eines Facharztes. Er merkte schon damals an, dass die Beziehung der Mutter zum Kind bereits in der Schwangerschaft prägend sei und dass das Ungeborene die Gefühle der Mutter mitbekomme. Für Klara war das alles neu, an Gefühle oder die Wahrnehmungsfähigkeit des Ungeborenen glaubte man damals noch nicht, jedoch löste dieser Vortrag in ihr starke Emotionen aus, da ihr in Bezug auf ihre eigene Kindheit so vieles klarer wurde. Sie war von Anfang an ein unerwünschtes Kind.

Klara bekam die ablehnende Haltung ihrer Mutter auch in ihrem weiteren Leben immer wieder zu spüren. Doch sie war der erklärte Liebling ihres Vaters, der immer gerne seine Finger in ihren blonden Locken vergrub, ihren Kopf massierte und ihr so zu verstehen gab, dass er sie mochte. Sie hatte nämlich sein blondes lockiges Haar geerbt. Klara erzählt, sich nicht daran erinnern zu können, dass ihre Mutter jemals mit ihr gespielt hätte oder mit ihr zusammen über etwas gelacht hätte, wie es Mütter mit ihren Kindern wohl täten. Die Art und Weise, wie sie mit ihr sprach, war immer schnarrend – das hat Klara nicht vergessen. Die Beziehung zu ihrer Mutter blieb zeitlebens distanziert, denn auch als erwachsene Frau hätte sich Klara nie im Leben getraut, ihre Mutter darauf anzusprechen, wieso sie nie von ihr akzeptiert wurde. Dass jedoch auch ihre Mutter unter der gefühlskalten Beziehung zur Tochter litt, wurde ihr erst bewusst, als diese kurz vor ihrem Tod zu ihr meinte: „Na Klare, i konn fi dir nichts mehr tien außor betn.“9 Klara verstand, was ihre Mutter damit meinte, und versuchte sie zu beruhigen: „Sell isch mir is wichtigschte, is Gebet – sell brauch i am meischtn.“10

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Klara als Vierjährige mit ihren älteren Schwestern Rosa (links) und Maria (rechts), 1930

Gegenüber ihren Geschwistern wurde Klara von ihrer Mutter oft benachteiligt. So richtig bewusst wurde ihr das zum ersten Mal mit vier Jahren. Aus jenen frühen Kindheitstagen bleibt ihr unvergessen, wie ihre Mutter gerade mit dem Zubereiten des Abendessens beschäftigt war und Klara mit einigen ihrer Geschwister Feuerholz holen musste. Nach getaner Arbeit stellten Klaras Geschwister sie in die Mitte der Küche und schichteten die Holzscheite um sie herum auf. In einem Käfig aus Holzscheiten gefangen, geriet sie in Panik, als ihre Geschwister auch noch begannen, ihr Gefängnis oben zu schließen. Sie fing an, leise zu wimmern, und erhoffte sich dadurch Hilfe von ihrer Mutter. Diese belächelte das Ganze aber und fand es auch noch lustig. Entsetzt über diese Reaktion, wurde Klara in diesem Moment das erste Mal so richtig bewusst, dass sie sich von ihrer Mutter keine Hilfe erwarten konnte. Erst als ihr Vater von der Arbeit kam, traute sie sich lauter zu weinen. Ihr Vater war erbost und schimpfte mit den anderen. Zu ihm hatte Klara immer eine gute Beziehung, sie fühlte sich von ihm geliebt und verstanden. Wenn sie Sorgen hatte oder Rat suchte, wandte sie sich deshalb immer zuerst an ihren Vater.

Als kleines Mädchen wünschte sich Klara inständig eine Strohpuppe. Alle ihre Schwestern bekamen nach und nach eine von ihrer Patin. Klara aber, die als Einzige eine andere Patin hatte, bekam nie eine. Sie beneidete ihre Schwestern und so gab ihr ihre Mutter als Ersatz den Schemel, den sie als Schneiderin brauchte. Für Klara war es natürlich nicht dasselbe, diesen Schemel herumzutragen und ihm Kleider überzuziehen – die Puppen ihrer Schwestern durfte sie sich aber nicht ausleihen. Eines Tages nahm sie also eine der Puppen und warf sie ins Plumpsklo. Womit sie jedoch nicht rechnen konnte, war, dass die Puppe beim Entleeren des Heisslhöldrs11 unerwartet zum Vorschein kam. Klara wurde sofort verdächtigt und wurde zur Bestrafung von ihrer Mutter wie auch andere Male zum Brunnen neben dem Stall gebracht. Ihre Mutter riss eine Rute ab, tauchte sie ins eiskalte Wasser und schlug mehrere Male auf Klaras Gesäß ein. Danach hatte Klara so große Schmerzen, dass sie mehrere Tage nicht mehr sitzen konnte. Heute ist sie davon überzeugt, dass sie von den Ungerechtigkeiten und Bestrafungen immer verteufelter wurde. Sie behauptet sogar: „Mir hots ollm awie ouglott und awie abich getoun und deswegn bin i wöll a kloans Teifile gwörtn und tamisch gwen.“12

Während der Option13 im Jahr 1939 entschieden sich Klaras Eltern fürs Dableiben in Südtirol. Durch diese Entscheidung wurde nicht nur Südtirol zweigeteilt, sondern auch nahe Nachbarn und Verwandte wurden entzweit. Auch Klaras Familie wurde von Auswanderern als Walsche14 beschimpft und war täglichen Anfeindungen ausgesetzt, Klara konnte den Grund dafür aber noch nicht verstehen. Bereits ein gutes Jahrzehnt zuvor hatte ihr Vater einem italienischen Gemeindevertreter, der von ihm Unterschriften für die eingetriebenen Steuern verlangte, blind vertraut. Der italienischen Sprache nicht mächtig, hatte er diesem Fremden noch zwei Wechsel unterschrieben, in denen er seinen ganzen Besitz – Wald, Wiesen, Haus, Stadel und sein Erspartes – auf eine Bank in Bozen übertragen hatte. Jahre später wurden genau diese Unterschriften der gesamten Familie Thaler zum Verhängnis.

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Klara (Zweite von links) mit fünf ihrer Geschwister vor ihrem Geburtshaus, dem Waldkleenhof, 1930er-Jahre

Arbeitsame Jahre

Klaras Kindheit und Jugend unterscheiden sich wenig von denen anderer Mädchen der damaligen Zeit. Ihr wurde in ihrer arbeitsamen Kindheit und Jugend ziemlich schnell klar, dass sie nicht ein Leben lang im Dienste anderer arbeiten wollte. Allerdings wollte sie sich nicht der Arbeit entziehen, sondern lediglich der Unterwürfigkeit. Für eine Frau der damaligen Zeit war sie sehr selbstbewusst, hatte keine Angst vor Herausforderungen und entschied sich, einen anderen Weg zu gehen als die meisten Frauen. Dass sie sich für den Beruf der Hebamme entschieden hat, war wohl Schicksal. Und Frieda, eine Jugendfreundin, hat dazu einen großen Beitrag geleistet.

Es war ein Tag wie jeder andere: Die zweijährige Klara spielte gerade in der Stube mit ihrem Schemel, als der Postbote ihrer Mutter einen Brief übergab. Beim Lesen des Briefes fing ihre Mutter an zu weinen und Klara erkundigte sich bei ihr, ob sie denn so starke Kopfschmerzen hätte. Da die Mutter aber nicht mehr aufhören konnte, begann auch Klara zu weinen. So fand ihr Vater sie beide in der Stube vor. Er meinte nur zu seiner Frau: „Jetzt leg doch erst einmal das Kind ins Bett.“

Der Brief war ein Pfandbrief. Drei Jahre vergingen, bis die Familie 1931 tatsächlich den eigenen Hof verlassen musste, der von drei ledigen Geschwistern gekauft wurde. Alles Wertvolle wurde gepfändet. Für Klara war es besonders bitter, als eine ältere Dame ihr Kinderbett erstand. Klara wollte es ihr nicht überlassen und musste mit Gewalt davon losgerissen werden. Von da an teilten sich Klara und ihre Schwestern zu dritt ein kleines Bett auf dem Außerebnerhof in Unterreinswald, beim Bruder ihres Vaters, der ihnen vorübergehend das obere Stockwerk seines Bauernhauses überließ. Jahre später errichteten Klaras Eltern auf dem Grund des Bruders ein kleines Häuschen und somit ihr neues Zuhause.

Viel Zeit verbrachte die Mutter Katharina mit den Kindern in der Stoangonn15, wo sie Stunden damit beschäftigt waren, Steine und Gehölz wegzuschaffen. In dieser Stoangonn sollte dann ihr Haus erbaut werden. Der Vater, der eigentlich der Stärkste gewesen wäre, half ihnen dabei aber nie. Er war damit beschäftigt, von Bauer zu Bauer zu gehen, um Hölz zi löttrn16 für den Hausbau. Es waren schwierige Zeiten, geprägt von arbeitsreichen Tagen bereits in frühester Kindheit, die jedoch auch lehrten, nur mit dem Allerwichtigsten genügsam und zufrieden zu sein.

Es war der Tag von Klaras Erstkommunion, als sie zum ersten Mal ihr Zuhause für längere Zeit verlassen musste. Am Vormittag fand die Erstkommunionfeier statt und ohne größeres Festessen oder Feier machte sich Klara zusammen mit ihrer Mutter am Nachmittag desselben Tages zu einem Bauernhof oberhalb von Astfeld auf. Für die damals erst siebenjährige Klara war es ein weiter Fußmarsch, der mit einer Mrenn in der Stube belohnt wurde. Als die siebzehnjährige Tochter des Bauern die Stube betrat, meinte diese schnippisch: „Hob es schu wiedr a Löttrkinn oungnummin?“17 Klara wurde sofort klar, dass sie keinen Ausflug mit ihrer Mutter unternommen hatte. Sie war das Löttrkinn und sollte nun hierbleiben. Von jenem Moment an ließ Klara ihre Mutter nicht mehr aus den Augen und wich ihr nicht mehr von der Seite – auch nicht als ihre Mutter die Toilette aufsuchen wollte. Darauf behauptete die Mutter, sie habe ihr Taschentuch auf dem Klo vergessen und damit Klara einen Beweis dafür hatte, dass sie wieder zurückkommen würde, überlasse sie ihr ihr Taschenmesser. Klara war sich sicher, dass ihre Mutter wiederkommen würde, denn ohne ihr Taschenmesser, das sie immer bei sich trug, würde sie nicht gehen. Umso enttäuschter war Klara, als ihre Mutter an jenem Sonntag und auch in den darauffolgenden Tagen und Wochen nicht mehr kam, um sie zu holen. Obwohl die Bäuerin zu Klara sehr nett war, plagte sie starkes Heimweh. Dazu trug auch die ältere Tochter des Bauern bei, die sie von der ersten Stunde an nicht leiden konnte.

Eines Tages sollte Klara mit der Bauerntochter die Glocke der Hofkapelle läuten. Doch diese sperrte Klara in die Kapelle und meinte: „Wenne an Mugs fi dir gibsch, donn follt dir di Glögg afn Köpf.“18 Klara war verängstigt und traute sich nicht, um Hilfe zu rufen, denn diese Glocke hätte sie erschlagen. Die Ziehmutter suchte verzweifelt nach ihr und Klara hörte auch ihre Rufe, antwortete jedoch nicht. In ihrer Verzweiflung fing sie an, zu ihrem Schutzengel zu beten, wie sie es immer tat, wenn sie Hilfe benötigte. Kurzerhand fasste sie dann den Entschluss, es trotzdem zu wagen. Sie hielt sich den Kopf mit beiden Händen fest und schrie aus Leibeskräften nach Hilfe. Dabei dachte sie nur: „Dann soll mich halt die Glocke erschlagen, dann habe ich alles hinter mir. Aber hier bleiben will ich auch nicht mehr.“ Nachdem sie um Hilfe gerufen hatte, dauerte es nicht mehr lange, bis sie aus dem kleinen Kirchlein befreit wurde.

Es vergingen ganze drei Wochen, bis Klara zum ersten Mal mit zum Sonntagsgottesdienst ins Dörf19Kiitl20Kiitl