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Über dieses Buch:

Mekka und Medina im Jahr 622. Sie ist die Schönste im Land der aufgehenden Sonne: Aischa. Auch der verarmte Schafhirte Mohammed wird sofort in ihren Bann gezogen. Schnell wird Aischa zu seiner Lieblingsfrau – und engsten Vertrauten. Nur im Beisein der schriftkundigen Aischa erhält der Analphabet Mohammed die Offenbarungen Gottes und wird so zum Prophet des Islam. Als Mohammed stirbt, ist es an Aischa, das Werk ihres Geliebten und Ehemannes in die Welt zu tragen und die heilige Botschaft zu verbreiten. Doch für ihren leidenschaftlichen Glauben muss sich die junge Frau in ungeahnte Gefahren begeben  …

 

Ein fundierter, sorgfältig recherchierter, historischer Roman voller Sympathie für eine starke Frau und voller Respekt für eine der großen Weltreligionen – hochspannend und hochaktuell!

 

Über den Autor:

Mattias Gerwald ist das Pseudonym des Erfolgsautors Berndt Schulz, dessen Kriminalreihe rund um den hessischen Ermittler Martin Velsmann ebenfalls bei dotbooks erscheint: Novembermord, Engelmord, Regenmord und Frühjahrsmord. Er lebt in Frankfurt am Main und in Nordhessen.. 

Unter dem Namen Mattias Gerwald veröffentlichte er historische Romane, in denen entweder eine außergewöhnliche Persönlichkeit oder ein ungewöhnliches historisches Ereignis im Mittelpunkt steht. Er gilt als Experte für die Geschichte der europäischen Mönchsritterorden.

 

Für die Tempelritter-Saga schrieb Mattias Gerwald folgende Bände:

 

Die Tempelritter-Saga – Band 5: Die Suche nach Vineta

Die Tempelritter-Saga – Band 8: Das Grabtuch Christi

Die Tempelritter-Saga – Band 9: Der Kreuzzug der Kinder

Die Tempelritter-Saga – Band 18: Das Grab des Heiligen

Die Tempelritter-Saga – Band 20: Die Stunde des Rächers

Die Tempelritter-Saga – Band 24: Die Säulen Salomons

 

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Überarbeitete Neuausgabe April 2015

Die überarbeiteten Neuausgaben der Romane »Die Geliebte des Propheten« von Mattias Gerwald, die bei dotbooks in vier Bänden erscheinen, beruhen auf dem Roman »Die Geliebte des Propheten«, der erstmals 2006 bei der Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach, veröffentlicht wurde.

Copyright © der Originalausgabe 2006 Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/ATAHAC

 

ISBN 978-3-95824-192-3

 

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Mattias Gerwald

Die Geliebte des Propheten – Band 1

 

Roman

 

 

dotbooks.

HISTORISCHE NOTIZ

 

Aischa, Tochter der Alexandrinerin Zainab bint Ruman und des Attiq ibn Uthman, den man in seiner Heimatstadt Mekka Abu Bah nannte, lebte zwischen 613 und 678 n. Chr. Die »Geliebte des Propheten« und spätere Lieblingsfrau Mohammeds wurde vor dem Auszug der Muslime aus Mekka im Juli/August 622 als Neunjährige mit Mohammed verheiratet, die Ehe jedoch erst nach der Hedschra in al-Madinat vollzogen, dem Jithrab der Juden und heutigen Medina.

Aischa war »das lebende Gedächtnis« des letzten Propheten Mohammed. Als dieser im Jahr 632 starb, sorgte die Neunzehnjährige für die schriftliche Fassung der Offenbarungen, die er ihr diktiert hatte, und bereitete damit den Koran vor. Die junge Frau träumte nach Mohammeds Tod den Traum von der Schaffung des islamischen Weltreichs – auch mit militärischen Mitteln – weiter und wurde zur strahlenden Figur ihrer Zeit, zur »Mutter der Gläubigen«. Sie war die einzige Frau, die im Islam jemals eine führende Rolle spielte. Aischa ist neben Mohammed in Medina bestattet. Millionen Menschen pilgern Jahr für Jahr zu ihren Gräbern.

Dieser Roman hält sich an die historischen Tatsachen, auch was die Personen der Handlung angeht. Wo die Originalquellen einander widersprechen, werden die eingängigsten und spannendsten Versionen verwendet. Einige Ereignisse wurden nur dann in ihrer chronologischen Abfolge umgestaltet, wenn es der erzählerischen Notwendigkeit entsprach.

Wichtige Personen der Handlung

 

Mohammed ibn Abdallah – Kaufmann

Aischa bint Bakr – seine Geliebte und spätere Lieblingsfrau, die »Mutter der Gläubigen«

Abu Bakr – Vater Aischas aus der Sippe Taim, engster Vertrauter Mohammeds

Zainab bint Ruman – seine Frau, Mutter Aischas

Zayd ibn Harith – abessinischer Sklave, Vertrauter Aischas

Zainab, Rukaija, Umm Kulthum, Fatima – Mohammeds Töchter

Ali ibn abi Talib – Ehemann Fatimas und vierter Kalif, Aischas Hauptgegner

Chadidscha bint Chowailid – erste Frau Mohammeds

Sawdah – zweite Frau Mohammeds

Hafsah – Tochter Umars, vierte Frau Mohammeds

Umm Salama – fünfte Frau Mohammeds, Quraischitin

Zainab bint Chuwalid – achte Frau Mohammeds

Umm Habibah – Tochter Abu Sufyias, zehnte Frau Mohammeds

Safiya – Jüdin vom Stamm der Nadir, elfte Frau Mohammeds

Maryam – koptische Sklavin, zwölfte Frau Mohammeds

Abu Talib ibn Muttalib – Führer der Sippe Haschim

Umar ibn Chattab – aus der Sippe Adi, zweiter Kalif

Uthman ibn Affan – aus der führenden Sippe Abdschams, dritter Kalif

Hamzah ibn Abdalmuttalib – Onkel Mohammeds

Abbas ibn Abdalmuttalib – Onkel Mohammeds, Stammvater der späteren Abbasiden-Dynastie

Bilai – afrikanischer Sklave, erster Muezzin der Tazaqqa

Waraqa ibn Naufal – Christ

Abu Sufyian – Führer der reichen mekkanischen Sippe Abdschams, Quraischit

Umm Hind bint Rabia – seine Frau, Hauptgegnerin Aischas

Abu Dschahl – Führer der bedeutenden mekkanischen Sippe Machzum

Ikrima – Sohn des Abu Dschahl

Abu Lahab ibn Abdalmuttalib – Haschimit und Gegenspieler Mohammeds

Suhayl ibn Amr – Ratsherr der Quraisch, Führer der mekkanischen Sippe Amir

Chaud ibn al-Walid – bedeutender Vertreter der mekkanischen Sippe Machzum

Abu Walid – führender Vertreter der Sippe Abdschams

Nadr ibn Harith – aus der Sippe Abdaddar, »Teufel der Quraisch«

Bara ibn Manir – Führer der Chasradsch in Medinta

Salman – Diener Aischas

Safwan ibn Muattal – vom Stamm Sulaym, in die Verleumdungsaffäre gegen Aischa verwickelt

Jamal ibn Uthman – judaisierter Araber, enger Vertrauter Aischas

Tulba – Reitergeneral, militärischer Berater Aischas

 

Ferner:

Männer und Frauen der arabischen Sippen Aus und Chasradsch aus Jathrib (dem heutigen Medina); vom Stamm der Chuzaa aus dem Küstenstreifen zwischen Mekka und Medinta; vom mächtigsten mekkanischen Stamm der Quraisch; vom bedeutenden zentralarabischen Stamm der Hawazin; von den drei großen jüdischen Stämmen von Medinta Nadir, Qurayza, Quaynuqa; vom Stamm Sulaym im Südosten von Medinta, sowie Bewohner und Würdenträger der Städte Medinta, Mekka, Taif.

 

Im Hintergrund:

Ibrahim, der Abraham der Bibel und Erbauer der Kaaba; der vorletzte Prophet Gottes, Jesus von Nazareth; der Erzengel Gabriel; die drei Töchter Allahs.

 

Die Schreibweise der arabischen Namen wurde der deutschen Phonetik angeglichen.

ERSTES BUCH

 

Jiddah, Mekka, Jithrab 619-622

 

1. DIE TANZENDEN

 

Sie waren alle gekommen. Und so war der Platz bis hinunter zum tosenden grünen Meer gefüllt, und die Menschen darauf waren selbst ein Meer aus bunt gekleideten Körpern und verhüllten Köpfen – ein lebendiges Meer, dessen Wellen im Sonnenlicht des frühen Abends wogten.

Zur anderen Seite, in Richtung Osten, türmten sich im frühen Abendlicht die Berge aus rotem Sand mit ihren weichen, weiblichen Formen und den faltigen Verwehungen des ständigen Windes. Den flachen Streifen der Ebene davor, von Steinen und rauem Gras übersät, durchzog die Karawane der Kamele. Mit ihren langen Beinen und vorgereckten Hälsen sahen sie in der Ferne wie Insekten aus, die beharrlich einem uralten, nur ihnen bekannten Weg folgten. Und sie näherten sich so zögernd, als wäre es ihnen zuwider, die unendliche Einsamkeit und feierliche Stille der Wüste zu verlassen, um den Staub und das Getöse dieser Stadt dagegen einzutauschen. Doch sie kamen näher. Und schließlich waren sie da. Sie hielten würdevoll schnaubend an den Tränken vor den Tanzplätzen. Und die Waren aus Hadramaut und Oman wurden abgeladen.

Die Tanzenden bemerkten nichts von der Karawane. Sie bewegten sich weiter in den berauschenden Wellen ihres eigenen Meeres, weich und dennoch ekstatisch, in sich versunken oder Schreie ausstoßend, die sie überwältigten, zu einer treibenden Musik von Rasseln, Trommeln und Hirtenflöten, der sie manchmal mit fassungslos erhobenen Köpfen lauschten, weil sie ihnen eine Botschaft mitteilte.

Unbeachtet von den Kamelen und den Tanzenden, ohne Interesse für die Wogen aus rotem Sand und die Wellen der weiß gekleideten Menschen mit Burnussen und Turbanen, saßen am Rand des Tanzplatzes in der Moschee die Priester-Derwische vom Stamm der Mustaliq auf schmutzigweißen, kunstvoll gewebten Baumwollteppichen. Helles Licht fiel von draußen durch die offenen Höhlen der Bogenfenster auf sie. Ihre langen Finger glitten immer wieder über ihre Kinnbärte hinweg oder ließen bunte Rosenkränze laufen, und ihre braun gegerbten, zerfurchten Gesichter verfinsterten sich.

Denn während zwischen den schlanken Elfenbeinsäulen der Moschee mit den blättrigen Kapitellen Stille herrschte und die roten Vorhänge in den grünen Türstürzen sich nur in mäßiger Bewegung in der frischen Brise vom Meer her blähten, entstand nun immer mehr Lärm.

Kindergeschrei näherte sich. Die Köpfe mit den weißen, zylindrischen Kappen aus geklöppelter Wolle und die Oberkörper in den kragenlosen Hemden und bunten Seidenwesten wandten sich in Richtung des Geräusches. Die Mustaliq wurden ungehalten. Nackte, auf den Steinfliesen platschende Füße näherten sich rasch.

Und dann stand ein Mädchen in ihrer Mitte.

Ihr Gefolge blieb stehen und warf sich dann ehrfurchtsvoll auf den kalten Steinboden aus fugenlosen roten Ziegeln. Das vielleicht siebenjährige Mädchen aber stand stocksteif und blickte neugierig und trotzig zugleich aus beinahe schwarzen, funkelnden Augen auf die Männer, die mit überkreuzten Beinen auf dem Boden hockten. Dann sagte das Mädchen etwas, das in dieser hochfliegenden Säulenhalle noch niemals zu hören gewesen war.

»Ich war ein verborgener Schatz und wollte erkannt werden. So erschuf ich die Welt.«

»Was redest du, Kind?«, entfuhr es einem der alten Männer. »Du bist hier im Heiligtum. Schweig still.«

Die anderen schauten das hübsche Mädchen mit den lodernden, rotgoldenen Haaren, die ihr in einem merkwürdigen Lichtschimmer auf die elfenbeinfarbene Schulter fielen, verwundert an. Wer war sie? Und dann wurde es ihnen bewusst. War sie nicht die kindliche Verlobte dieses vor zwei Tagen angekommenen Kaufmanns aus Mekka, der sich verdächtig gemacht hatte, weil er immer häufiger in den versteckten Höhlen des Berges Hira als in den Häusern seiner Heimatstadt lebte? Der Mann, der sich anschickte, die Familien auseinander zu reißen und die alten Göttinnen zu stürzen?

»Allahu akbar, Gott ist größer! Es gibt nur einen Gott. Gelobt sei Allah!«

»Jetzt ist es genug! Wie kommst du dazu, uns im Gebet zu stören! Verschwinde! Geh zurück zu den Tanzenden und zum Mob auf der Straße.«

»Aber es sind nur die Worte, die der Prophet gehört hat und die er mir heute Morgen diktierte, damit ich sie aufschreibe. Und jetzt erzähle ich euch davon. Seid ihr Priester nicht froh darüber, aus erster Hand von Gott zu hören?«

»Kleine Bilqis, Prinzessin, du bist sehr hübsch. Nun sei ein liebes Mädchen und mach dich aus dem Staub. Wir sind an deinem Propheten und seinem Gott nicht interessiert. Er ist bloß ein verrückt gewordener Poet aus der Stadt der Kaaba, der schöne Worte macht. Wir beten unsere alten, wahren Frauengötter an, die Ibrahim uns schenkte.«

»Aber ihr betet nicht genug. Ihr murmelt doch nur zahnlos in euch hinein. Fünfmal müsst ihr beten: zuerst bei Anbruch der Morgendämmerung, dann zur Mittagszeit, wenn die Sonne sich zu neigen beginnt, dann am Nachmittag, wenn der Schatten, den ihr werft, so lang ist wie ihr selbst, dann bei Sonnenuntergang und schließlich, nachdem das Abendrot verglüht ist.«

»Hört euch diesen dürren Klugscheißer an. Wir brauchen keine anderen Offenbarungen, Klugscheißer!«

»Und schon überhaupt nicht von einem kleinen dummen Mädchen, mag es noch so hübsch sein und rote Haare haben.«

Die Derwisch-Priester nickten einander zu. Aischa fand ihre Worte nicht beleidigend. Die Mustaliq waren nun einmal selbstgefällig und eingebildet, das kannte sie schon.

»Ich habe die Worte aus erster Hand. Und ich verkaufe sie euch. Denn wir sind arm und brauchen Dirham, um uns Lederzeug kaufen zu können. Deshalb sind wir hier in eurer langweiligen Hafenstadt, wo man während des Tanzfestes Geschäfte machen kann. Weshalb sollten wir sonst hier sein? Auch müssen wir endlich unsere Moschee bauen und die Wohnungen für die Familie des Propheten.«

»Höre, Bilqis …«

»Ich heiße Aischa bint Abu Bakr.«

»Höre, Aischa«, sagte der Derwisch mit erzwungener Geduld. »Wir kennen deinen Allah, gelobt sei sein Name! Er ist unser eigener Hochgott, wie der Gott der Juden, und hier in Jiddah steht der Schrein zu seiner Verehrung, ebenso wie zur Verehrung unseres Gottes Hubal, der auch in eurer Kaaba in Mekka angebetet wird. Verstanden?«

Aischa sagte mit verächtlicher Miene: »Hubal! Eine Art Mensch aus Karneol mit einem goldenen Arm, auf den Lospfeile geschossen werden, um seine Meinung zu ergründen. Ich muss lachen.«

»Ob du lachst, kleines Ding, spielt keine Rolle. Wegen Hubal kommen ja die Pilger zum Tanzfest, um zu opfern und Allah im Haram anzubeten, jenem Heiligtum, in dem er wohnt. Doch Allah kann nicht zu deinem Propheten sprechen, er spricht zu niemandem. Wo kämen wir denn hin, wenn Gott zu einem Kaufmann spricht, der einst Schafe hütete, aber nicht zu uns, den Priestern, die ihn ständig befragen … oder es zumindest versuchen, wenn wir nicht von kleinen, vorlauten Mädchen daran gehindert werden?«

Das Mädchen schüttelte trotzig den Kopf. »Es gibt keinen Propheten, der nicht Schafe gehütet hat. Es ist die Voraussetzung.«

»Kindergewäsch!«, schnaubte der Priester. »Viel wichtiger als Allah, den wir kennen, sind uns die bösen und die guten Geister, die in Gestalt von Tieren die Welt durchstreifen. Hörst du zu? Und vor allem die banat Allah, die drei Töchter Allahs, die Göttinnen, die unseren Alltag bestimmen, weil sie die Geister kennen. Sie sind stets gegenwärtig. In Kriegszeiten sind sie sogar anwesend, und sie sprechen tatsächlich zu uns. Übrigens, sie mögen kleine, rotznäsige Mädchen nicht. Kennst du sie?«

»Warum sollte ich sie kennen?«

»Weil sie …«

Einer der Derwische blickte anheischend in die Runde und sagte rasch: »Es sind al-Lat, die Göttin der Sonne und der Fruchtbarkeit, al-Uzzah, die Mächtige des Morgensterns und der Raubzüge, und al-Manat, die Göttin des Schicksals und des Todes.«

Die Stimme des Mädchens zitterte leicht, doch tapfer sagte sie: »Ihr dürft keine anderen Götter anbeten als ihn, den Allmächtigen, den Allerbarmer.«

Die alten Männer schauten sich an, und ein Grinsen legte sich auf ihre wettergegerbten Gesichter. Einer spuckte aus. Sie nahmen das Mädchen nicht ernst. Aber einige rutschten unruhig auf ihren Matten herum.

»Geh jetzt!«, herrschte einer der jüngeren Derwische das Mädchen an. »Kinder haben hier nichts zu suchen. Und Mädchen schon gar nicht. Deine Anwesenheit beleidigt die Würdevollen. Fege euren Hof oder füttere eure Kamele.«

»Wir haben keine Kamele, Herr, wir sind zu arm. Wir hatten einmal welche, aber in Mekka verbietet man uns, mit ihnen Geschäfte zu machen. Und Chadidscha …«

Einer der Derwische warf dem Mädchen mit verächtlicher Miene einen Dirham hin. Die Münze klirrte in der Stille laut auf dem Steinboden. Das Mädchen hob sie auf, blieb aber stehen. Sie schwor sich insgeheim, diese Münze eines Tages zurückzugeben und hörte schon jetzt das Geräusch des Metalls auf den Steinfliesen.

»Nun, was ist jetzt noch?«

Das Mädchen wirkte plötzlich unsicher. »Sind eure drei Göttinnen in der Lage, eure Gedanken zu erkennen?«

»Natürlich nicht. Wir rufen sie auch nur, wenn wir sie brauchen.«

»Ha!« Triumphierend wedelte das Mädchen mit den dünnen Armen. »Dann taugen sie noch viel weniger. Allah nämlich ist immer anwesend. Er sucht sich den aus, den er aussuchen will. Es gibt keinen Winkel, in dem sich Derwische oder Priester vor ihm verstecken könnten!«

»Jetzt reicht’s!«

Einer der Männer sprang auf und wollte die Kleine verscheuchen.

Aber sie hatte schon auf den nackten Hacken kehrtgemacht und rannte mit wehenden Haaren und wehendem Kleid hinaus. Die anderen Kinder folgten ihr. Es waren einheimische Kinder; das Mädchen musste sie irgendwie beeindruckt haben, denn sie schienen ihr überall hin zu folgen. Womit fing das Mädchen sie? Vielleicht mit dem seltsamen Schimmer ihres goldroten Haares, den hier noch nie jemand gesehen hatte?

Der Lärm ebbte ab. Das Meer draußen, dieses große, sich ständig bewegende Tier, schien ihn nach und nach zu verdauen.

Gefolgt von den anderen Kindern, lief Aischa über den Vorplatz des Bethauses, der vom Grün des Khazumparks umsäumt war. Dann ging sie weiter zum Meer hinunter. Ihr Schritt verlangsamte sich allmählich. Nicht weil die Furcht vor den Derwisch-Priestern nachließ, sondern weil sie Zeit hatte.

Die Kinder riefen: »Du Aischa! Du Aischa! Ihr Haar hat die Sonne gestohlen!«

Aischa blickte sich nach allen Seiten um. Was sollte sie in diesem fremden, langweiligen Jiddah anfangen?

Die Stadt, die sich im Braun und Weiß ihrer Häuserwaben, an denen kunstvoll durchbrochene Balkone klebten, die Hügel emporschob, quoll über von Menschen. Es war Tanztag zu Ehren der drei Töchter Allahs, den man im Du’l-Hiddscha feierte, dem letzten Monat im Jahr. Es war ein Tag der Botschaften; dafür sorgten die Dichter, die auf Kisten standen und laut rezitierten. Und es war ein ausgelassener Tag, davon kündeten die offenen Garküchen, Brettspielplätze, an denen Masir gespielt wurde, Schänken und Weinstände. Und die meist abessinischen Schankmädchen versteckten sich durchaus nicht unter ihren Umhängen, die ärmellos und weit waren und an den Fesseln zugebunden. Aber die leiblichen Genüsse kamen erst nach Einbruch der Dunkelheit zu ihrem Recht.

Und es war Markttag. Die Souks hatten geöffnet und breiteten sich mit ihren Teppichen und Tischen auch im Freien aus, und jeder verkaufte seinen kleinen Teil.

Aischa griff sich im Vorbeigehen ein paar Datteln und spuckte die abgekauten Kerne empor. Bevor sie ihr auf den Kopf fallen konnten, war sie schon einen Schritt weiter.

Der Strom der Menschen teilte sich; er kam vom Hafen herauf und führte zu ihm hinunter. Pilger zu den Heiligtümern von Jiddah und zur Kaaba in Mekka waren auf kleinen Dhaus mit einem Lateinersegel eingetroffen. Mohammed versuchte, sie hier abzufangen, wie Aischa wusste. Denn in Mekka wurde es immer schwieriger für ihn, Handel zu treiben. Die herrschende Familie riss alles an sich.

Aischa hüpfte herum. Dann begann sie zu schwitzen und ging bedächtiger. Zur Mittagszeit war es unerträglich heiß, auch wenn die Brise ein klein wenig Frische mit sich brachte. Doch nichts dämpfte die Kraft der gnadenlosen Sonne, es sei denn, man tauchte in die schmalen Schluchten der alten Häuser ein, an denen auf Leinen, die sich beinahe berührten, Wäsche hing. Dort gab es kostbaren Schatten.

In Aischas Heimatstadt jedoch – dem flachen, im Kreis hingestreckten Mekka – versank man völlig in einer weißglühenden Gnadenlosigkeit, in der selbst die bunten Steine zu schmelzen schienen. Dort roch man auch nichts außer Hitze, nicht einmal den Kamelmist, der überall lag. Hier in Jiddah war alles voller Düfte; es roch nach Früchten, Salz, Weihrauch und Schweiß, nach Blut von Geschlachtetem und nach süßlichem Moschus, das wohlhabende Frauen sich an jene Stellen des Körpers schmierten, die behaart waren.

Aischa ließ sich von der wogenden Menge mitziehen. Sie fühlte sich wie in einer Welle und schloss die Augen. Überall spürte sie die Berührungen fremder Körper. Sie stellte sich vor, sie würde schweben und von den Bewegungen des Windes hin und her getragen wie einer jener Engel, von denen Mohammed erzählte. Als sie die Augen wieder öffnete, kam eine Herde Ziegen direkt auf sie zu. Sie sprang behänd zur Seite und atmete den Staub und den scharfen Geruch ein. Hirten schlugen fluchend auf die Tiere ein.

Ein Reiter auf einem schweißnassen Pferd kam vorbei. Pferde gab es hier selten, und Aischa bewunderte den seidigen, muskulösen Körper des Tieres, das sich jetzt aufbäumte und Schaumflocken spie. Ein Karren polterte auf zweigroßen Rädern heran. Aischa griff nach Nüssen; dann stellte sie sich am Rand des Marktplatzes unter ein Zeltdach. Müde ließ sie den Blick über die Stände und die Menschen, über Körbe, Karren, Säcke und Rohrgestelle schweifen.

Wo war Mohammed? Bei den Tanzenden unten am Meer? Aber die kauften nichts; sie waren verzückt wegen der Töchter Allahs und beteten ohne Besinnung. Ob Mohammed dennoch Erfolg gehabt hatte?

Das Mädchen verließ den Schatten und zog ihr blaues Kopftuch über.

Da stand Mohammed.

Er war so unerwartet aufgetaucht, dass Aischa erschrak. Er sah sie nicht. Sofort wollte sie zum ihm eilen, um ihn nach den Stunden der Abwesenheit zu begrüßen, doch etwas hielt sie zurück. Sie beobachtete Mohammed voller Stolz. Er war ein so ansehnlicher Mann und schön wie ein Märchenprinz. Und er bewegte sich so selbstsicher in seiner grünen Tunika. Sein dichtes, dunkles Haar wehte im Wind wie eine schwarze Fahne, denn er trug an diesem Tag keinen Turban.

Warum verbarg sie sich vor ihm?

Sie wusste keine Antwort, ja, eigentlich suchte sie auch keine. Sie empfand nur kindliche Freude, ihn zu beobachten, als wäre sie selbst unsichtbar und er ein Fremder aus einem abenteuerlichen, schönen Märchen, den sie in diesem Moment zum ersten Mal sah.

Und sie stellte sich vor, wie er jenen Tanz tanzte, den sie in der Nacht zuvor gesehen hatte, als sie in der Karawanserei schlief.

Im Dunkel einer Ecke, auf Decken eines Holzgestells, hatte ein nackter Mann auf dem Bauch gelegen. Er bewegte sich auf irgendetwas, das hin und her bebte. Oh, wie schön und anmutig waren diese Bewegungen gewesen. Aischa hatte diesen Tanz sofort nachmachen wollen, hatte dann aber gesehen, wie unter dem nackten Mann, der eine glatte, weiße Haut besaß, ebenso glatte, weiße Arme hervorkamen und den Mann umschlangen.

Aischa hatte gebannt zugeschaut und in ihrem Bauch ein süßes Ziehen gespürt, diese Empfindung aber nicht weiter beachtet. Als der Tanz der beiden, die wie zu einem einzigen Wesen verschmolzen waren, zu Ende ging, wollte sie Mohammed wecken und mit ihm über das Gesehene sprechen. Doch sie hatte gezögert und ihn dann doch nicht geweckt, denn sie hatte plötzlich Scheu verspürt. Zudem war er müde und brauchte seinen Schlaf. In Mekka gab es viele schlaflose Nächte.

Aischa folgte dem stattlichen Mann, der nur mittelgroß war, aber kräftig gebaut. Offenbar suchte er sie, denn von Zeit zu Zeit blieb er stehen, reckte den Kopf und drehte sich um die eigene Achse, wobei er den Blick in die Runde schweifen ließ.

Mohammed sah nie über die Schulter.

Am Meer, wo in den Lagunen rund ums Viertel Hay Al Qurayat jetzt rote Flamingos standen und ihr bizarres Spiegelbild ins grüne Wasser warfen, lösten nun andere Menschen die Marktbesucher und Händler ab. Die Wellen der ekstatisch Tanzenden schlugen wieder höher. Und Aischa hörte die Musik. Alles schien sich wie unter einem Zauber aufzulösen.

War es die Hitze, die alles verschmolz? War es das metallblaue Licht? Die Schlieren der sich bewegenden Menschenleiber? Die Wellen mit ihren Schaumkronen? Es war, als würden Himmel und Erde sich vereinigen, so wie die beiden Nackten in der Karawanserei sich vereinigt hatten.

Aischa war in eigentümlicher Stimmung. Es war etwas Kostbares.

Sie blickte in den wolkenlosen Himmel, hörte hinter sich die Schreie der Kinder, die ihr noch immer folgten und ihr jetzt winkten, mit ihnen in die Stadt zurückzugehen. Aischa überlegte einen Moment, ob sie der Aufforderung nachkommen sollte. Dann aber folgte sie dem Schatten des Mannes in der grünen Tunika. Es war ein gedrungener Schatten im gleißenden Mittagslicht. Dann reckte er die breiten Schultern, legte die Hände beschirmend über die Augen und sah den Tanzenden zu.

Bewegte auch er sich nicht ganz leicht, indem er die Hüften wiegte?

Aischa sah ihm eine Weile zu.

Dann kicherte sie belustigt und ging zu ihm.