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Das Buch

 

Sein Name ist Sardev Örhun: ein Bandit und Räuber, der Führer ei­ner Bande von Desperados, die sich Befreiungskrieger nennen. Seit vielen Jahren kämpfen er und seine Gefährten für die Freiheit ihres Heimatlandes Patloren. Jetzt naht die große Stunde: Die Besatzungstruppen aus dem fernen Eskoh ziehen nach Norden ab, aus dem Süden nähert sich die Befreiungsarmee des sogenannten Allvölkeraufstands. Im Chaos des ausgeplünderten Landes zwischen den marschierenden Armeen streiten sich heimatlose Söldner, großmäulige "Freiheitskämpfer" und streunende Banditen um Macht und Beute. Dazwischen: Sardev Örhun. Auf der Suche nach einer Zukunft für sich. Auf der Suche nach seiner letzten Rache. Auf der Suche nach einem Ziel fürs Leben.

 

 

 

Der Autor

 

Klaus N. Frick – der Mann hinter Perry Rhodan

 

Geboren im Dezember 1963 in Freudenstadt im Schwarzwald, wo er auch zur Schule ging, sein Abitur ablegte und bei der örtlichen Tageszeitung arbeitete. Seit den 1980er Jahren als Schreiber tätig – als Freiberufler für Tageszeitungen und Wochenblätter, ab Ende der 1980er Jahre in einer Agentur für Öffentlichkeitsarbeit in Tübingen. Seit 1992 Redakteur für die Perry Rhodan-Serie in Rastatt, seit 1999 Chefredakteur für alle Perry Rhodan-Produkte. Klaus N. Frick wohnt in Karlsruhe. Gelegentlich veröffentlicht er Artikel, Geschichten und Erzählungen. Zuletzt erhielt er für seine Kurzgeschichte Im Käfig den »Kurd-Lasswitz«-Preis für die beste Science-Fiction-Kurzgeschichte.

Klaus N. Frick

 


 

SARDEV – DER SCHATTEN DES FRIEDENS

 

 

Roman

 

 

 

 

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Neuausgabe

 

© 2015 Verlag in Farbe und Bunt

 

© 2009 Originalausgabe Basilisk Verlag

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Veröffentlichung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten.

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Alle Rechte liegen bei den Verlagen.

 

Cover-Gestaltung: Stefanie Zurek

Cover-Bild: Fotolia, jdavenport85

E-Book-Satz: Winfried Brand

verantwortlicher Redakteur: Bettina Petrik

 

Herstellung und Verlag:

in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

Kruppstraße 82 - 100

45145 Essen

 

www.ifub-verlag.de

 

ISBN E-Book: 978-3-941864-49-8

ISBN Audiobuch: 978-3-941864-50-4

1.

 

Der Tag roch nach Unwetter und Tod, Sardev spürte es geradezu. Aus zusammengekniffenen Augen musterte er die kargen Hänge, die Ansammlungen von Geröll und lockerer Erde, ein Haufen von Dreck, den Riesen irgendwann auf das Land geschleudert haben mochten. Sand knirschte auf seinen Zähnen, wenn er die Kiefer bewegte, und Staub prasselte bei jedem Windstoß gegen das Gesicht und verfing sich in den Stoppeln auf Wangen und Hals.

Der böige Wind, der unaufhörlich vom Inneren Meer herangetrieben wurde, blies dunkle Wolken über den Himmel, aufgeblähte, monströse Gebilde, die sich zu Gebirgen auftürmten, als ob sie die Welt überrollen wollten. Gewitter lag in der Luft, eine Spannung, die Sardev in den Knochen spürte und die sein Pferd unter ihm zum Tanzen brachte. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es regnete und die Hügel und Täler sich verwandeln würden. Die Luft war warm und schwül und brachte keine Erleichterung. Wie eine dicke Daunendecke drückte sie auf das ausgedörrte Land im Randbereich des Kalkgebirges.

Die gedrückte Wetterlage entsprach der Stimmung Sardevs. Unter dem düsteren Himmel schienen die Geister unzähliger Toter an ihm vorbeizuziehen, klagende Gestalten, die ihm flehend geöffnete Hände entgegenstreckten, als wollten sie noch im Tod um ihr Leben bitten. Schloss er die Augen, spürte er die Ströme von Blut, sah er hingerichtete Männer, erschlagene Frauen und weinende Kinder, kostete den Geschmack von Hass auf seiner Zunge und roch den Gestank brennender Häuser und Menschen.

Eine Stimme drang in seine Gedanken. »Hoffentlich regnet es bald, dann können wir diese Hunde endlich abhängen.« Es klang aufgeregt, von jugendlichem Eifer erfüllt. »Den Tod für sie, und die Beute für uns.«

Sardev schüttelte die quälenden Gedanken ab und drehte sich zur Seite. Sattelzeug knirschte, das Schwert an der Seite rasselte in der Halterung. »Den Tod werden sie uns bringen, wenn wir nicht zu einer List greifen«, sagte er, und jedes Wort hörte sich in seinen Ohren an, als würge er es durch Sand aus der Kehle. »Sie sind zu viele, und unsere Pferde sind erschöpft.«

Der andere war ein junger Mann, keine zwanzig Jahre alt, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, die es um Jahre altern ließ und die bereits vorhandenen scharfen Kanten noch verhärtete. Wie Sardev und die anderen zwei jungen Männer kauerte er auf einem müden, verdreckten Pferd und starrte mit fiebrigen Augen auf den gegenüberliegenden Rand der Senke. Die Kleidung der vier Männer wirkte schäbig und zerrissen, ebenso ihre Ausrüstung. Das Einzige, was an dem Jungen intakt und gepflegt aussah, waren das Schwert an seiner Seite und die kurze Lanze, die er quer über dem Rücken trug.

Vor ihnen tauchten andere Reiter auf, gut zwei Dutzend. Uniformen und Rüstungsteile glitzerten auf einmal in der Sonne, Staub wirbelte hinter ihnen in die Luft, zitterte in den Böen und wurde rasch verweht. Als die Reiter die Gruppe erblickten, trieben sie ihre Pferde an, gaben ihnen die Sporen und jagten mit heiseren Schreien die Senke hinunter.

Sardev spuckte auf den Boden. Der Speichel verschwand im heißen Staub, als habe es ihn nie gegeben.

»Den Regen brauchen wir kaum«, sagte er trocken, »denn es gibt bessere Methoden, eskohische Hunde im Kalkgebirge abzuhängen.« Noch einmal musterte er seine Begleiter, bevor er den Rotfuchs herumriss. »Kommt mit!«, rief er ihnen zu und trieb sein Pferd zu schnellem Galopp an. »Folgt mir, und bleibt in meiner Spur.«

Zwischen zwei Dornenbuschreihen hindurch ging es, er trieb sein Pferd quer über den Hang. Kleine Steine wirbelten in die Senke hinunter, ein unaufhörliches Prasseln und Knacken. Sardev ritt um einen wuchtigen Vorsprung aus Stein, der aussah, als hätte hier der Kopf eines Riesen seinen Platz für die Ewigkeit gefunden, und dann öffnete sich vor ihm eine kleine Seitenschlucht im zerklüfteten Fels, gerade breit genug, dass zwei Reiter nebeneinander durchpassten.

Hinter sich hörte er die Pferde seiner Kameraden und das Keuchen der Reiter, noch weiter dahinter das wütende Gebrüll der eskohischen Kavalleristen. Sie sahen ihre fast sicher geglaubte Beute durch das Seitental entwischen. Er sah sich um, verkniff sich einen Fluch: Der Anführer der Eskoher schien ein geschickter Stratege zu sein und teilte seine Gruppe. Während die meisten Kavalleristen die Jagd fortsetzten, hielten einige der Verfolger an und gruppierten sich auf erhöhten Flächen.

Sardev sah, dass sie ihre Bogen spannten. »Schneller!«, keuchte er und trat seinem Pferd in die Seiten. Auf die Entfernung konnten die Eskoher kaum sicher zielen, die Pfeile gingen daneben. Keine zwei Schritte über Sardevs Kopf zersplitterte ein Pfeil an der Felswand.

Im gestreckten Galopp jagten die Reiter durch die Schlucht. Ihre Pferde wichen Felsbrocken mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit aus und übersprangen Risse im Boden. Wieder zischten Pfeile durch die Luft, während sich der Abstand zwischen beiden Gruppen laufend verringerte. Doch dann traf ein Pfeil – mehr aus Zufall.

Tief bohrte er sich in den Nacken eines der jungen Männer. Mit einem gellenden Schrei rutschte er aus dem Sattel, wurde von seinem rasenden Pferd ein Stück weit mitgezerrt, bevor das Tier strauchelte, in einen Spalt trat und mit schmerzhaftem Wiehern zu Boden ging.

»Kümmert euch nicht um ihn!«, brüllte Sardev, als die anderen jungen Männer umdrehen wollten. »Der ist hinüber! Rettet lieber eure eigene Haut!«

Er trieb seinen Rotfuchs eine steile Böschung hinauf, ließ das Pferd auf der Stelle drehen und winkte seine Gefolgsleute an sich vorbei. Ihre Gesichter glänzten vor Schweiß und Angst, die Haare starrten vor Dreck. Sardev ließ seinen Rotfuchs auf der Stelle tänzeln, hin und her, bis er die richtige Stelle gefunden hatte.

Dann schaute er auf die Eskoher hinunter, die immer näher kamen, missachtete die Pfeile, die um ihn herum schwirrten, riss sein schmales, mattglänzendes Schwert aus der Scheide und hieb auf einige dicke Taue ein, die bisher unter Staub und Pflanzen völlig verborgen gewesen waren und jetzt offen lagen. Sie lösten sich, es gab ein knirschendes Geräusch.

»Nichts wie weg!«, schrie er. »Hier ist gleich die Hölle los.« Er trat seinem Pferd erneut in die Seiten, und seine Kameraden gehorchten. Die Flüchtenden trieben ihre Pferde zu einem letzten Galopp an und jagten weiter in die wilde Felslandschaft hinein.

Hinter ihnen brach das Chaos aus. Felsbrocken lösten sich aus Verankerungen, die schon vor Jahren angelegt worden waren, und polterten in die Tiefe. Wie von Katapulten abgeschossen, schleuderte es Steine in die Höhe, andere knallten über Rampen in die Tiefe und lösten weitere Erdrutsche aus.

Für die meisten Eskoher kam die Flucht zu spät: Mitsamt ihren Tieren wurden sie von der Lawine überrollt, ihre Leichname vermischten sich mit dem Staub, und ihre Schreie hingen dünn in der Luft. Einigen wenigen gelang das Entkommen, andere wurden von ihren Pferden geworfen und blieben verletzt liegen. Dicke Staubwolken stiegen auf und verhüllten wie ein weißlich-graues Leichentuch das Geschehen am Fuße der Böschung.

»Das hat sich gelohnt«, meinte Sardev. Aus brennenden Augen starrte er auf das Wirrwarr aus Steinen und Toten und verfolgte mit befriedigtem Gesichtsausdruck, wie sich die Überlebenden in panischer Flucht zurückzogen.

Verächtlich spuckte er aus. Er tastete nach der Wasserflasche an seiner Seite; in diesem Augenblick hätte er einen starken Schnaps bevorzugt.

»Was war das?«, fragte einer der jungen Reiter. Er grinste, sein Atem ging rasselnd; er sah aus, als verstünde er jetzt erst, dass er überlebt hatte.

»Eine Falle.« Mit der Rechten wischte Sardev den Schweiß aus dem Gesicht. »Die ganze Gegend hier ist voller Fallen, und ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch, der sie alle kennt. Vielleicht kennt sie noch Yann Hetli, aber der ist weit weg von hier – wenn er überhaupt noch lebt.«

»Stammen die Fallen alle aus der Zeit der alten Festung?«, fragte der andere Reiter gespannt

»Richtig, mein Sohn.« Sofort lachte Sardev heiser über seine Bemerkung. Die Formulierung war tatsächlich berechtigt, wenngleich er gerade sieben Jahre älter war als seine Begleiter. »Die Falle hier stammt tatsächlich aus jener Zeit, als das Kalkgebirge noch die Machtbasis der Nizgaîds war. Damals waren wir richtig stark und mächtig, es war die Zeit vor der Schlacht bei Nogtehantis.« Er schaute noch einmal in die Tiefe. Ohne Gefühlsregung betrachtete er die Versuche eines Eskohers, sich unter einem Felsbrocken hervorzuwinden, der seinen Unterleib zerquetschte. »Und ich bin der Einzige, der das verschachtelte Netz der Fallen einigermaßen kennt.«

»Wie konnte die Feste dann erstürmt werden, wenn alles voller Fallen ist und jeder Weg versperrt werden konnte?«

»Durch Verrat natürlich«, antwortete Sardev. »Mit Verrat und List haben es gut zweihundert Mann nach vier Tagen geschafft, die elf Verteidiger der Burg bis zum letzten Mann niederzumachen. Den Weg dazu wies ihnen Shorrn Mekéis, der größte Verräter unseres Volkes.« Er wandte sein Pferd. »Gehen wir. Die folgen uns nicht weiter, denen reicht es für heute. Sie müssen die Verwundeten bergen und sich erst einmal neu sammeln, bevor sie weiter können.«

Während die Pferde müde antrabten, betrachtete Sardev die jungen Männer. Beide waren sie um die zwanzig Jahre alt. So alt war er gewesen, als er seine ersten Angriffe als Führer einer kleinen Nizgaîd-Teilgruppe leitete und zum Erfolg brachte. Die zwei Männer und er waren der letzte Rest der ehemaligen Freischärlerarmee, drei Mann von über zweihundert. Drei Mann, von denen zwei noch nicht einmal das Gemetzel von Nogtehantis erlebt hatten. Für sie war das bereits Geschichte, und dabei war es gerade erst zwei Jahre her.

Sardev dachte schaudernd an jene Monate und Jahre zurück. Er hatte die Freischärler gewarnt, aber man hatte nicht auf ihn gehört. Und so hatten sie versucht, die Provinz-Hauptstadt Nogtehantis zu stürmen. Der Versuch endete in einem grauenvollen Gemetzel in der Zitadelle der Stadt – man hatte sie verraten.

In den Monaten nach dem fehlgeschlagenen Angriff schlugen die Eskoher und ihre Verbündeten zu. Gefangene Freischärler und ihre Freunde wurden in den Folterkammern, die Sardev selbst so gut kannte, verhört. Danach waren überall in der Provinz Reitertrupps auf der Suche nach den Flüchtigen. Die Festung in den Kalkbergen wurde zerstört, und Shorrns Horden brannten Weiler und Höfe im ganzen Land nieder.

Nur etwa ein halbes Dutzend Nizgaîds unter Sardevs Führung blieb im Land, alle anderen waren tot. Wenige, darunter der bisherige Anführer Yann Hetli, entkamen verletzt den Verfolgungen. Sie fristeten nunmehr als Krüppel in einem Walddorf des Nachbarlandes Pehanter ein trauriges Leben.

Aus der ehemals so mächtigen und schlagkräftigen Freischärlertruppe wurde ein Haufen Banditen unter der Führung Sardev Örhuns, eine Horde, deren Brutalität und Schonungslosigkeit an die der eskohischen Besatzer heranreichte. Pardon wurde auf beiden Seiten nicht mehr gegeben, die Bestialität steigerte sich. Die Verluste unter den Banditen waren hoch, doch für jeden Gefallenen, Gehängten oder Geflüchteten kam ein neuer Mann, der aus irgendwelchen Gründen gegen die Besatzungsmacht kämpfen musste oder wollte.

Schaute Sardev auf die vergangenen Jahre zurück, erschauerte er vor sich selbst. Nur selten dachte er an die glücklichen Tage zuvor, an die Zeit, in der er an der Seite seiner älteren Gefährten gekämpft und von der Freiheit geträumt hatte. Ihm waren Krieg und Tod geblieben, und an seiner Seite ritten jetzt noch zwei junge Männer, die vielleicht von denselben Träumen beseelt waren wie er zu ihrer Zeit. Aber was hatte er ihnen zu bieten?

»Auf jetzt!«, knurrte er. »Es wird Zeit, dass wir fortkommen. Ich kenne weiter oben in den Bergen einen Unterstand, dort können wir uns in den nächsten Tagen verkriechen.«

 

Der Trupp erreichte die Hochfläche des Kalkgebirges, ein ödes Land, das sich in alle Himmelsrichtungen erstreckte. Dürre Hecken wuchsen zwischen großen Steinen und Kalkplatten, Dornen rankten sich über den Boden, und fahles Moos bedeckte die Platten, die aussahen, als hätten sie unglaubliche Gewalten zertrümmert, in einem Krieg, der getobt hatte, als noch kein Mensch über die Welt gegangen war. Am Horizont senkte sich langsam die Sonne, lange Schatten tasteten sich durch die Landschaft, über die immer noch dunkle Wolken zogen. Eine Handvoll Vögel schwebte über der Hochfläche, langsam und in weiten Kreisen, als warteten sie darauf, dass sich hier das Schicksal der letzten Nizgaîds verwirklichte.

Sardev fröstelte, auch wenn ihm nicht ernsthaft kalt war, während er seinen Rotfuchs durch das Labyrinth aus zerborstenen Steinen und zerfaserten Hecken trieb. Sein privater Krieg war längst zu Ende, ebenso die große Zeit der Nizgaîds. Das zeigte sich nicht nur daran, dass seine ganze Armee aus zwei jungen Kriegern bestand. Der Allvölkeraufstand, der im Süden der Insel begonnen hatte, hatte längst sein Heimatland Patloren erreicht. Seit die Eskoher bei der entscheidenden Schlacht vor einigen Monaten ein hichtagisch-lanisches Söldnerheer verheizt hatten, rückten die Rebellen unaufhaltsam nach Norden vor. Die Masse der eskohischen Armeen zog sich in geordneten Marschsäulen zurück, umherstreifende Reitertrupps sicherten den Rückzug des Trosses. Das Land selbst war ein Durcheinander marodierender Söldnertrupps und einheimischer Banditen, die unter dem Mäntelchen der Freiheitsbewegung gegen alles und jeden kämpften.

Die Nizgaîds waren nicht mehr gefragt, ihre Zeit war vorüber. Die jungen Männer gründeten jetzt eigene Banden und überfielen einzelne Söldner und Eskoher, oder sie warteten auf die Befreiungsarmee, um sich dieser anzuschließen. Sardev wusste, dass sich in den kleinen Städten und größeren Dörfern bereits Verbände bildeten, denen nur eine militärische Ausbildung und ein klares Kommando fehlten.

Für ihn hätte der Krieg somit längst vorbei sein können. Trotzdem führte er sein Banditenleben weiter, als wohl bekanntester, meistgejagter und meistgehasster Mann Patlorens. Einen Grund dafür konnte er nicht nennen. War es Rachsucht für den schrecklichen Tod seiner Frau und seines Sohnes, oder war es bereits Gewohnheit geworden? Das Töten als eine Gewohnheit ebenso wie regelmäßiges Würfelspielen? Seit einiger Zeit ekelte sich Sardev vor sich selbst und dem Leben, das er führte. Aber immer wieder redete er sich ein, dass alles letztlich einen Sinn habe. Damit konnte er sich zwar nicht selbst täuschen, aber es gab ihm die kurzfristige Illusion, mehr wert zu sein als seine Mitmenschen.

Das schnelle Getrappel von Pferdehufen holte ihn aus den betäubenden Gedanken. Es war einer der jungen Nizgaîds. Er war vorausgeritten, als Späher gewissermaßen, und kehrte nun zu ihnen zurück. »Da vorne ist eine kleine Karawane«, berichtete er fröhlich. Er ließ kein Zeichen von Trauer oder Bestürzung über den Tod seines Kameraden erkennen. »Sieht aus, als seien es Eskoher auf dem Rückzug. Sollen wir?«

Sardev betrachtete ihn zweifelnd. In anderen Zeiten wäre der Junge wohl ein Räuber geworden, ein billiger Halsabschneider, der auch gegen seine Landsleute kämpfen würde, wenn es ihm Abenteuer und Beute brachte. Das schmale, etwas blasse Gesicht mit dem hellen Flaum auf den Wangen verriet einen Teil seiner Unreife. Sardev wusste aber, dass der Junge im Kampf zu einem wahren Berserker wurde, der vor nichts zurückschreckte.

»Zu dritt schaffen wir keine Karawane mehr«, wandte er ein. »Wir brauchen eine Erholung, deshalb sind wir auf dem Weg zu dem alten Unterschlupf.«

»Die schon«, widersprach der Junge. »Es sind zwei Maultiere mit kleinen Packlasten und einer Sänfte dazwischen. Das allein sieht nach guter Beute aus. Dabei sind ein unbewaffneter Diener und zwei eskohische Kavalleristen als Begleitschutz. Das müsste eigentlich zu schaffen sein.«

»Eigentlich schon.« Sardev nickte.

Es blieb ihm kaum etwas anderes übrig, wollte er nicht sein Gesicht vor sich und den jungen Männern verlieren. Sein Ruf ließ ihm keinen anderen Weg. Er musste seinen Begleitern nach der langen Flucht und dem Tod eines Kameraden wieder ein neues Ziel und einen neuen Erfolg geben, sonst würde er noch seine letzten Gefolgsleute verlieren. Denn eines gestand sich der Patlorenier ein, wenngleich nur mit innerem Zähneknirschen: Ohne Begleitung und ohne Gefolgsleute war er verloren, schon rein geistig. Vollends allein, das war ihm bewusst, würde er den letzten Halt verlieren, der ihn derzeit an die menschliche Zivilisation band.

»Versuchen wir es mit der Karawane«, stimmte er zu. »Wo sind die Eskoher?«

»Hinter der Hügelkuppe, in der kleinen Senke. Sie scheinen sich ziemlich sicher zu fühlen, denn sie marschieren recht schnell, ohne sich großartig umzusehen.«

»Schade, dass wir keine Bogen haben«, knurrte Sardev. »Dann könnten wir sie aus der Ferne erledigen. Aber das ist jetzt gleichgültig.« Er lenkte seinen Rotfuchs den Hang hinauf. »Greifen wir sie eben von hinten an. Wie immer.«

Wie immer, wiederholte er in Gedanken. Wie immer in den letzten neun Jahren des Kämpfens in den Steppen, Wäldern und Bergen seines Heimatlandes. Nur waren die Karten jetzt anders gemischt. Nicht einmal mehr Bogen besaßen sie, die hatten die vier Reiter bei ihrer übereilten Flucht vor den eskohischen Truppen mitsamt ihrer anderen Ausrüstung im Versteck zurückgelassen.

Sardev ließ den zwei Jungen den Vortritt und ritt hinter ihnen. Immer wieder blickte er sich um, aber sie wurden nicht verfolgt. Die eskohischen Kavalleristen waren durch die Falle aus Felsbrocken gründlich aufgehalten worden. Trabend erreichten die Pferde den Hügelkamm, wo Sardev zwischen zwei großen Ginsterbüschen Halt machen ließ.

Ideales Gelände für angreifende Reiter,