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Hinweis zum Urheberrecht

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Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH

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Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem, säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Print ISBN 978-3-7910-3917-6 Bestell-Nr. 10432-0001
ePDF ISBN 978-3-7910-3918-3 Bestell-Nr. 10432-0150
ePub ISBN 978-3-7910-5048-5 Bestell-Nr. 10432-0101

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© 2017 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

www.schaeffer-poeschel.de

service@schaeffer-poeschel.de

Lektorat: Elke Schindler, Spabrücken

Einbandgestaltung: Silke Hörmann

Satz: Johanna Boy, Brennberg

Druck und Bindung: BELTZ Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza

Printed in Germany

November 2017

Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart

Ein Tochterunternehmen der Haufe Gruppe

[V]Vorwort

Brand Design ist der vierte Titel in dieser Reihe nach Brand Planning (Baetzgen 2011), Brand Content (Baetzgen/Tropp 2013) und Brand Experience (Baetzgen 2015b). Dass die Wahl auf das Thema Design fiel, ist kein Zufall. War es in den letzten Jahren in Fachkreisen eher ruhig um dieses Thema, stellt die Digitalisierung das Design von Marken in zentralen Punkten auf den Kopf und verlangt nach einer neuen und grundlegenden Auseinandersetzung: Immer mehr Marken trennen sich im Logo von ihrer Wortmarke, verzichten auf einen Claim, ersetzen ihr Corporate Design Manual durch flexible Designprinzpien oder nutzen ein generatives Design, das sich an seinen Kontext anpasst. Es stellt sich die sehr grundsätzliche Frage: Brauchen Marken in Zeiten von Social Media, Content Marketing, User Generated Content und Influencer Marketing noch ein festes Set an kennzeichnenden Elementen? Welchen Stellenwert haben diese? Und welche Form? Dabei geht es längst nicht nur um die ästhetische Dimension eines Designs, sondern gleichsam um seine strategische, soziale und organisatorische Funktion, aber auch um die vielfältigen methodischen Zugänge, die ein innovatives Designmanagement für Marken bietet.

Der Dreiklang von Marke, Design und Strategie steht im Zentrum dieses Buches, das sich damit gleichsam an Markenstrategen und Designer richtet. Die insgesamt 20 Beiträge liefern keine einfachen Antworten und Anleitungen zu einem guten Design, sondern diskutieren aktuelle Herausforderungen und bieten eine Vielzahl von Denkanstößen für ein zeitgemäßes Design, das sich in einer digitalen Welt vielschichtigen strategischen, sozialen und organisationalen Anforderungen stellen muss.

Mein besonderer Dank gilt allen Autoren für ihre Einblicke in Strategien, Konzepte und Prozesse, die sie den Lesern in diesem Buch ermöglichen. Wie schon in den Vorgängerbänden wurde bei der Auswahl der Autoren und Themen auf ein breites Spektrum an Zugängen und Perspektiven Wert gelegt, um die Vielfalt der Disziplin zu veranschaulichen. Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch bei den vielen Lesern und Rückmeldungen, die den Schäffer-Poeschel Verlag und mich dazu veranlasst haben, diese Reihe fortzusetzen. Besonders freut mich, dass das Handbuch für Marken- und Kommunikationsstrategen gleichermaßen in Universitäten, Hochschulen, Agenturen und Unternehmen gelesen wird und damit zu einem wechselseitigen Austausch und Wissenstransfer beiträgt, den es braucht, um die Diskussion um Marken voranzubringen.

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre.

Andreas Baetzgen, Berlin

[1]Kapitel 1: Einführung

[3]#Brand #Design #Neudenken

Eine Einführung

Andreas Baetzgen

Im Rahmen dieser Einführung werden zentrale Begriffe und Handlungsfelder des Brand Design erläutert, beispielhafte Herausforderungen für das Marken- und Designmanagement aufgezeigt und ein Ausblick auf zentrale Inhalte dieses Buches gegeben. Eine digitale Welt verlangt ein neues und erweitertes Designverständnis, das insbesondere die strategische, soziale und organisationale Bedeutung für Marken heraushebt, so das Credo.

Es ist schon erstaunlich: Plötzlich reden alle von Responsivität, Agilität, Variabilität, Heterogenität, Ko-Kreation, Transformation, Partizipation und Prototyping und meinen damit ausgerechnet die Marke, die bislang der Inbegriff für etwas Festes, Begrenztes und Stabiles war. Mit der Digitalisierung verändern Marken ihre Form grundlegend und machen dabei selbst vor elementaren Erkennungszeichen wie Logo und Claim nicht halt. Oft geht es dabei um mehr als ein Aufhübschen der Marke bzw. die Anpassung ihrer Gestalt an den Zeitgeist. Die Ziele sind grundlegender: Sie sind (1) formaler/funktionaler, (2) kommunikativer, (3) sozialer, (4) strategischer und (5) organisationaler/prozessualer Art, wie wir im Rahmen dieser Einführung zeigen werden.

Die Digitalisierung veranlasst Unternehmen und Marken, ihre kennzeichnenden Elemente (Branding) grundlegend zu überarbeiten.

[4]Brand Design als formgebende Gestalt

Unter ›Brand Design‹ wird hier zunächst die Form bzw. gestalterische Manifestation einer Marke verstanden. Eine Marke besteht demnach aus Zeichen, die eine Leistung am Markt markieren. Mit Zeichen sind dabei nicht nur die Kennzeichen einer Marke gemeint (Branding), wie deren Name, Logo oder Claim. Zeichen lassen sich sehr viel umfassender als jede beliebige Manifestation begreifen, von der Bedeutung ausgeht. Darin eingeschlossen ist das Produkt, dessen Verpackung und seine Präsentation am Point of Sale, das Auftreten und Verhalten von Mitarbeitern, die Gespräche von Menschen über eine Marke, die Berichterstattung der Medien sowie das gesamte kommunikationspolitische Instrumentarium. Markenführung bedeutet in diesem Sinne das komplexe Management aller Manifestationen, die einer Leistung in der Wahrnehmung der Menschen Bedeutung geben.

Markenführung ist das Management aller Manifestationen, die einer Leistung in der Wahrnehmung der Menschen Bedeutung geben.

Marken verfügen über ein breites Set an formalen kennzeichnenden Elementen (u. a. Name, Logo, Claim, Farbe, Schrift, Bildwelt, Sound, Interaktionen, Sprache und Formensprache), die im Zentrum dieses Buches stehen. Diese kennzeichnenden Elemente, die auch als Branding einer Marke bezeichnet werden, haben insbesondere das Ziel, ...

Folglich bemisst sich die Qualität eines Brand Design nicht an seiner Ästhetik – einer wie auch immer gearteten Kreativität – sondern an seiner Funktionserfüllung (vgl. in Kap. 2 den Beitrag von Wagner). Das bekannte Burberry-Karomuster, [5]die parallel gefalzte Aluminiumstruktur der Koffermarke Rimowa, die markige Nivea-Schrift, der schlagfertige Humor, mit dem die Apple-Software Siri zu uns spricht, das Telekom-Magenta oder der mit der Hand geschriebene Vorname auf einem Starbucks-Becher sind Beispiele für markenprägende Elemente, die aus einem Produkt eine Marke machen.

Ein markantes Brand Design ist die notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Markenführung.

Das wichtige gestalterische Prinzip, wonach die Form der Funktion folgt (»form follows function«), bekommt in einer digitalen Welt eine neue Dringlichkeit. Welches Design für eine Marke heute funktioniert, diktieren vor allem Unternehmen wie Google, Facebook, Apple oder Amazon durch ihre je spezifischen Interfaces, Funktionen und Algorithmen (vgl. in Kap. 6 den Beitrag von Hensel). Wenn Apple entscheidet, Adobe Flash nicht mehr zu unterstützen oder YouTube mit seinen Bumper Ads eine neue Werbeform etabliert, die Marken nur sechs Sekunden Zeit gibt, dafür aber vom User nicht übersprungen werden kann, müssen sich Marken in ihrem Design darauf einstellen. Tatsächlich verändert die Digitalisierung unser Verständnis von Design und einer ›guten Form‹ grundlegend. Damit verbunden sind drängende Fragen, die sich Marken heute stellen müssen:

[6]Brand Design als Mittel der Kommunikation

Manch ein Leser wird sich an dieser Stelle fragen, worin genau der Unterschied zwischen dem Design und der Kommunikation einer Marke besteht. Unternehmen und Agenturen sehen darin häufig zwei Bereiche bzw. Disziplinen, die organisatorisch voneinander getrennt agieren. Während Designagenturen und -abteilungen mit dem Kennzeichnungssystem einer Marke beschäftigt sind, liegt der Fokus von Kommunikationsagenturen und -abteilungen auf der Kampagnengestaltung. Man könnte auch sagen: Design ist mehr mit der Form und Kommunikation eher mit den Inhalten einer Marke befasst. Tatsächlich sind die Grenzen zwischen Design und Kommunikation aber fließend: Jedes formale Element einer Marke (z. B. Farbe, Schrift) hat immer auch eine inhaltliche Dimension. Umgekehrt braucht jeder Inhalt eine Form, um verstanden zu werden. Ein ganzheitliches Kommunikationsdesign, das Design und Kommunikation als Einheit begreift, trägt diesem Umstand Rechnung.

Da die Kommunikation zwischen Marken und Menschen immer auf einem System von (markenprägenden) Zeichen basiert, ist Design ein notwendiges Mittel für Kommunikation, beispielsweise um Wiederkennung zu schaffen; es bildet dessen Basis. Das heißt aber nicht, dass daraus eine wie auch immer geartete Hierarchie resultiert. Design und Kommunikation sind weder einander über- noch untergeordnet, sondern bilden im Prozess der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung eine Einheit.

Mit ›Brand Design‹ meinen wir das ganzheitliche Kennzeichnungssystem einer Marke.

Ein zentraler Ausgangspunkt dieses Buches ist die Beobachtung, dass die Kennzeichnung von Marken fluider wird. Im Zeitalter von Print, Funk und Fernsehen war die Markierung einer Marke und deren Bedeutungsvermittlung relativ einfach: Ein Unternehmen kreierte für seine Marke eine mehr oder weniger einzigartige Erlebnis- bzw. Zeichenwelt und ließ diese markenrechtlich schützen. Häufig manifestierte und verdichtete sich diese Erlebnis- und Zeichenwelt in einem sogenannten Schlüsselbild. Im Grunde genommen transportierte das Schlüsselbild alles, wofür eine Marke stand. Beispiele sind das Marlboro-Country, die Alpenwelt der lila Kuh, das Beck’s Schiff, der Krombacher-See oder der Karibikstrand von Raffaello (vgl. Abb. 1). Schlüsselbilder sind ein gutes Beispiel dafür, dass sich formale und inhaltliche Elemente einer Marke kaum voneinander trennen lassen. Sie transportieren eben nicht nur ein inhaltliches Thema, sondern definieren auch [7]einen formalen Bildstil (vgl. in Kap. 6 den Beitrag von Schlieper und Zimmermann).

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Abb. 1: Schlüsselbilder manifestieren und verdichten die inhaltliche und formale Zeichenwelt einer Marke (eigene Darstellung; Schlüsselbilder von (links) Krombacher, Weißer Riese, Jever und (rechts) Raffaello, Marlboro, Milka, siehe Bildnachweis S. 401 f.)

Lange standen diese Erlebniswelten losgelöst und ohne Beziehung zu ihrem medialen Umfeld. Auch der Konsument stand außen vor. Die Marke drehte sich einzig um sich selbst. Sie war sich selbst genug. Diese Selbstreferentialität der Marke, die im Wesentlichen auf die Wiedererkennung durch den Konsumenten zielte, hatte zur Folge, dass das Markenmanagement in der Vergangenheit vor allem mit dem Aufbau und Verwalten von Zeichenvorräten beschäftigt war, die mit der Zeit zu einem Brand Asset wurden. Eine Marke, die ein Zeichen erst einmal in ihrem Besitz hatte, konnte daraus viele Jahre und Jahrzehnte schöpfen.

[8]Für die Markenführung hatten diese Schlüsselbilder das Ziel, eine Marke mit einer bedeutungsvollen und positiv konnotierten Erlebnis- bzw. Zeichenwelt aufzuladen, im Wettbewerb zu differenzieren und ein konsistentes Vorstellungsbild in der Wahrnehmung des Konsumenten zu schaffen. Der Marlboro Man, die vielleicht wichtigste Werbeikone des 20. Jahrhunderts, ist hierfür ein Beispiel. Seit seiner Einführung in den USA im Jahr 1954 wurde er auf der ganzen Welt für Jahrzehnte zum Sinnbild für Freiheit und Abenteuer. »A timeless land. Where horses still run free. Where some men do what others only dream about«, so war nur das Marlboro Country. Der Marlboro Man war eine Jahrhundertidee und machte die Marke zur weltweit meistverkauften Zigarette. Er war als Erkennungszeichen unverkennbar, verkörperte Kontinuität, feste Werte und war für viele Menschen auf der Welt eine Identifikationsfigur: in Spanien und Südamerika besonders männlich, in Japan glattrasiert, in Deutschland vor roten Canyons und im Nahen Osten in saftig grünen Weiden (vgl. Richter 1997). Der Marlboro Man war ein Lehrstück für perfektes Marketing.

Seit 2011 ist damit Schluss. Marlboro Man und Marlboro Country sind von Plakaten und Kinoleinwänden verschwunden und mit ihnen die Idee von der Marke als einer fixen Erlebniswelt, die sich in einem Schlüsselbild verdichtet. Statt Wildwest-Romantik geht es in der Marlboro-Werbung seither um das wahre Leben. »Don’t be a maybe«, »No more maybe«, »Maybe never fell in love« oder »You decide« lauten seither die Einladungen der Marke zum Dialog mit dem Konsumenten.

Eine durchgehend konsistente inhaltliche und formale Gestaltungsklammer, die bis in die 2000er-Jahre für Marken maßgebend war, prägt heute immer weniger die Gestalt globaler Megabrands. Zwar zeichnen sich auch heute erfolgreiche Marken durch ein System von inhaltlichen und formalen Elementen aus, mit denen jedoch sehr viel stärker in Abhängigkeit von Zielgruppe und Kontext variiert wird. So verzichtet Marlboro auf seinen Verpackungen und in der Kommunikation ganz auf den Marlboro-Schriftzug und reduziert sich auf die Bildmarke, das sogenannte Marlboro-Dach, als festes Element. Auch der Umgang mit inhaltlichen Elementen einer Marke wird insgesamt fluider. Wenn die Umfelder, in denen Marken auftreten, immer vielfältiger und damit spezifischer sind, muss der ›Wortschatz‹ einer Marke reicher werden, um sich in diesen adäquat auszudrücken. Marken müssen hierfür ihr Repertoire und Spektrum an Themen, Inhalten und Codes erweitern, sie müssen sich öffnen für vielfältige Anwendungen und Interaktionen mit den Nutzern und sich fortlaufend ins Gespräch der Kunden bringen. Hierfür brauchen sie immer wieder neue inhaltliche Anschlüsse, die nicht länger auf Redundanz, sondern vordringlich auf Relevanz zielen. Die wachsende Bedeu[9]tung des Content Marketing für die Markenführung dürfte diese Entwicklung in Zukunft weiter befördern (vgl. Baetzgen/Tropp 2013).

Moderne Marken sind weniger mit dem Aufbau von Zeichen- vorräten beschäftigt, sondern mit dem Management eines ständigen Zeichenflusses.

In der Notwendigkeit, immer wieder neue inhaltliche und formale Anschlüsse herzustellen, öffnen sich Marken zunehmend für die Außenwelt. Auch der Abschied der Marke Marlboro von ihrem Schlüsselbild ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar: Der Traum von Freiheit und Abenteuer verliert in einer freien Welt an Relevanz. Zudem ist der Cowboy nicht mehr das gemeinsam geteilte Symbol für Freiheit einer jungen Generation. Mindestens genauso wichtig dürfte für die Entscheidung gewesen sein, dass das Marlboro Country als Erlebniswelt für den Konsumenten nicht anschlussfähig ist und somit für die Kommunikation auf Facebook & Co. ungeeignet. Was soll der Konsument über das Marlboro Country posten, das doch so weit von seiner eigenen Lebenswelt entfernt ist? Auch die Marke Beck’s trennte sich aus diesen Gründen in den letzten Jahren sukzessive von ihrer großen Erzählung: Das Schiff – ein Symbol für Entdeckergeist, Freiheit und Abenteuer – wich den Geschichten von jungen Menschen auf Festivals, am Strand und beim Surfen und dem Motto: »Erst mit dir wird’s legendär«. Beck’s wandelte sich damit ähnlich wie Marlboro von einer Projektions- und Sehnsuchtsfläche zu einem Spiegelbild des Konsumenten (vgl. Abb. 2). Viele weitere Marken ließen sich als Beispiel für diesen Wandel in der Markenführung anführen (z. B. Volksbanken).

Die entscheidende Frage ist, ob Marken durch die vorgeschobene Nähe zum Menschen für diesen tatsächlich relevanter und begehrlicher werden. Können Marken auf diese Weise Orientierung und Identifikation bieten, die essenziell für eine Marke sind? Ist es wirklich sinnvoll, den Traum von Freiheit und Abenteuer als Markenwerte aufzugeben, um sich der Beliebigkeit und Ratlosigkeit der ›Generation Maybe‹ anzuschließen? Sehnt sich nicht gerade diese Generation nach Botschaften, die Orientierung geben?

Eine wichtige Stärke von Marken war und ist ihre Suggestionskraft: Marken lassen uns vom süßen Leben an tropischen Stränden, von der Natürlichkeit einer heilen Alpenwelt oder der Schwerelosigkeit der Milchstraße kosten. Sie sind kein bloßes Abbild des Alltags, sondern stehen für etwas Außergewöhnliches. Sie haben etwas hoch Romantisches, für das wir gerne bereit sind, einen Euro mehr zu bezahlen. Vielleicht ist die Marke das letzte große Sehnsuchtsmotiv in einer Indi[10]vidualgesellschaft, die ansonsten entzaubert ist. Zwar wissen die Konsumenten, dass es ein Leben mit strahlend bunter Wäsche, porentief reiner Haut und lang anhaltender Frische nur in der Werbung gibt, dennoch macht sie dies nicht immun gegen derlei Verheißungen – noch mindert das Wissen deren Faszinationskraft. Für die Ausrichtung einer Marke an den Interaktionsmechanismen von Facebook, Instagram & Co. gibt es kaum Alternativen. Dennoch: Vielleicht werden Marken wie Marlboro oder Beck’s schon bald feststellen, dass ihre einstigen Erlebniswelten im bevorstehenden Zeitalter einer ›Virtual Reality‹ eine ganz neue Faszinationskraft entwickeln und plötzlich in Reichweite des Konsumenten sind. Es wird dem Konsumenten möglich sein, vormals unerreichbare Markenwelten virtuell zu betreten – womit die Anschlussfähigkeit dieser Erlebniswelten hergestellt wäre.

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Abb. 2: Marken heute: Vom Schlüsselbild zum Spiegelbild des Konsumenten (eigene Darstellung; Bilder von Marlboro (oben) und Beck’s, siehe Bildnachweis S. 401 f.)

[11]Vielleicht ist die Marke das letzte große Sehnsuchtsmotiv in einer Welt, die zunehmend entzaubert wird.

Bereits im letzten Band dieser Reihe haben wir die Frage gestellt, was von einer Marke bleibt, wenn man ihr ihre angestammten Zeichen und damit die Symbolik nimmt, z. B. ihre Wortmarke, Farbe oder Bildwelt (vgl. Baetzgen 2015b, S. 3ff.). Kritisch wird es dann, wenn eine Marke zu wenig auf die Verstetigung ihrer Zeichen und damit die Verfestigung von Vorstellungsbildern achtet, z. B. auch deshalb, weil sie sich in ihrer Gestaltung zu sehr an die Ästhetik von Instagram und Snapchat angleicht. Sie verliert dann an Symbolkraft und Uniqueness. Achtet das Markenmanagement hingegen zu sehr auf die Vereinheitlichung und Verstetigung des Zeichenvorrats, droht ebenfalls Gefahr: Die Marke verliert dann unter Umständen an lebensweltlicher Relevanz für den Konsumenten.

Die Verstetigung von Zeichen ist die Voraussetzung für das Verfestigen von Vorstellungsbildern.

Viele Texte in diesem Buch plädieren deshalb für ein ›Dazwischen‹; für eine Markenführung zwischen Tradition und Moderne, zwischen Homogenität und Heterogenität, zwischen Kontinuität und Wandel, zwischen Selbst- und Fremdbild, zwischen Globalität und Regionalität, zwischen Schein und Sein. Damit erhöhen sich die Anforderungen an das Markenmanagement und das Brand Design. Dieses kann sich nicht länger auf starre Regelwerke berufen – ungeachtet von Zielgruppe, Markt und Medium. Gab es früher nur einige wenige Medien, die sich relativ einfach definieren und vermaßen ließen, übersteigt die Flut an möglichen Medien, Kontaktpunkten und Anwendungsfällen in Kombination mit lokalisierten und/oder personalisierten Botschaften das Maß dessen, was sich im Detail noch regeln lässt. Viele Autoren in diesem Buch raten deshalb, Gestaltungsregeln durch Gestaltungsprinzipien zu ersetzen, die kontextspezifisch angewendet werden.

Das allumfassende Corporate-Design-Regelwerk, das bislang zusammen mit dem Markenleitbild die Metaphysik der Marke bildet, wird durch eine Ontologie der unabsehbaren Möglichkeiten abgelöst.

[12]Brand Design als gesellschaftlicher Entwurf

Im Jahr 2017 ersetzte die Deutsche Bank den Claim »Leistung aus Leidenschaft« durch den schlichten Hashtag #PositiverBeitrag. Vorstandschef John Cryan forderte die Mitarbeiter in einem internen Schreiben dazu auf, Ideen beizusteuern. In einer internen Kampagne, sollten sich die Mitarbeiter zunächst über ihren Beitrag für die Gesellschaft und das Unternehmen verständigen, bevor Inhalte nach außen in den Markt kommuniziert wurden. Welche genau das sein werden, hielt sich die Bank zunächst offen; ein Prinzip, das viele eher an ein junges Finanztechnologieunternehmen als an einen DAX-Konzern denken lässt: Viel ausprobieren, auch mal scheitern und dann etwas Neues ausprobieren (vgl. Osman 2017). Die Konzernleitung wollte nach Jahren institutioneller und personeller Verfehlungen einen Kulturwandel einleiten und entwickelte ein für das Unternehmen vollkommen neuartiges Kommunikationsdesign.

Vielen Unternehmen geht es wie der Deutschen Bank. Sie befinden sich in einem umfassenden Transformationsprozess. Ein Hashtag ist vor diesem Hintergrund zwar nicht mehr als ein Symbol, wenngleich es vieles von dem verkörpert, was Marken heute ausdrücken möchten: Diskursivität, Responsivität und Agilität. Pampers ist #betterforbaby und Always #LikeAGirl. Marken wollen sich so für Interaktionen mit Kunden öffnen und im Fall von Pampers und Always nicht weniger als einen digitalen Diskurs anstoßen, in dem es um Größeres und Wichtigeres geht als um Windeln und Hygieneprodukte. Ihre Markenstrategie zielt auf einen gesellschaftlichen Entwurf, eine gemeinsam geteilte Vorstellung des Wünschenswerten, wie das Brechen mit Geschlechterstereotypen oder die Verantwortung für unsere Kinder und die Welt, in der diese aufwachsen. Mit der Kampagne #LikeAGirl hat Always ein beeindruckendes Maß an Brand Engagement erzielt und die Wahrnehmung der Marke nachhaltig verändert. Laut World Value Index 2017 der Markenberatung Enso (2017) konnte die Marke bei Frauen den größten Zugewinn aller Marken gegenüber dem Vorjahr erzielen und wird zwischen Männern und Frauen als besonders stark polarisierend erlebt – ein Indiz für die starke Wahrnehmung und Relevanz der Kampagne. Die Studie misst »[...] how people rank companies and nonprofits on their perceived mission or purpose – namely the extent to which brands stand for something other than making money, whether they align with what people care about, and if these brands are worth publicly supporting.« (ebd., S. 10) Always gehört hinter Spotify, Snap und Kickstarter demnach zu den Top Scorer der Millennials, was angesichts der Produktkategorie bemerkenswert ist.

[13]Design ist die Formatierung einer Strategie – ein Zukunftsentwurf. Es zielt auf die Verbesserung von Produkten, Dienstleistungen, Organisationen, Kommunikationsbeziehungen und Lebensräumen.

Design – egal ob es sich als Kommunikationsdesign, Produktdesign, Corporate Design, Editorial Design oder Experience Design manifestiert – ist immer auch ein Ausdruck von Überzeugungen, Werthaltungen und Lebensformen. Es bildet die Grundlage für die Ausgestaltung sozialer Beziehungen. Dabei geht es nicht vordergründig darum, ob eine Marke rot oder blau ist, sondern was ihr Design für die Existenz und Beziehung von Menschen und Marken bedeutet bzw. leistet. Mitunter geht es im Brand Design heute um die Ausgestaltung ganzer Lebensräume. Damit verbunden ist für das Markenmanagement ein hohes Maß an sozialer und ökologischer Verantwortung.

Brand Design als strategisches Leitbild

Design umfasst nicht nur die Gestaltung von Schriften, Farben, Bildern, Claims oder ganzen Kommunikationskampagnen, sondern kann der Wegbereiter für einen umfassenden Zukunftsentwurf sein – für Unternehmen, Marken und deren Geschäftsmodelle. Es ist im eigentlichen Sinne des Wortes ein Leitbild für Unternehmen, auf dem Weg zu einem neuen unternehmerischen Selbstverständnis, der Treiber für Change- und Transformationsprozesse. Denn häufig wird eine Strategie für Management und Mitarbeiter erst in ihrer gestalterischen Übersetzung greifbar und verständlich. Denken Sie etwa an die Positionierung einer Marke, die als Strategiepapier bzw. Positionierungsmodell ein hohes Maß an Abstraktions- und Vorstellungskraft abverlangt (vgl. Baetzgen 2011a). Erst ihre Formatierung in ein ganzheitliches Brand Design verleiht einer Strategie die notwendige Konkretheit, Anschaulichkeit und Emotionalität, die es braucht, um die Mitarbeiter zu erreichen und Change-Prozesse in Organisationen anzustoßen.

Marken brauchen kein Millimeterpapier, um ihre formale Gestalt zu definieren, sondern zuallererst eine ausdrucksstarke Strategie.

Das Augenmerk dieses Buches liegt folglich auf dem Zusammenspiel von ästhetischer Gestalt und strategischem Gehalt einer Marke. Diesen Dualismus gilt es im Blick zu haben, um Marken erfolgreich in die Zukunft zu führen. Es reicht nicht, [14]attraktiv und verantwortungsvoll im Markt zu erscheinen, vielmehr muss eine Marke ihrem gestalterischen Anspruch in ihrem inneren Wesen gerecht werden. Hierfür muss die gesamte Wertschöpfungskette, Kultur und Identität eines Unternehmens berücksichtigt und in Einklang mit dem äußeren Erscheinungsbild der Marke gebracht werden. Zwar ist ein sogenanntes additives Design, bei dem ein Unternehmen seine Marken, Produkte und Services erst auf strategischer Ebene entwickelt und anschließend Designer hinzuholt, »um die Sache zu verschönern« (Aicher 1991, S. 155), noch immer ein in vielen Unternehmen praktizierter Weg. Dieser führt jedoch zu einem reinen Oberflächendesign, das in Zeiten kritischer Öffentlichkeiten und moralisierter Märkte leicht zu durchschauen ist. Aber auch ein Design, das allein aus der Identität bzw. dem Selbstverständnis eines Unternehmens bzw. einer Marke erwächst, eignet sich nicht als Gegenentwurf. Denken Sie beispielsweise an ein Unternehmen wie die HypoVereinsbank, die 1998 aus der Fusion der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank mit der Bayerischen Vereinsbank hervorging und seit 2005 Teil der Unit Credit Group ist. Ein derart ›entwurzeltes‹ Unternehmen, das sich in seinem Leistungsportfolio zudem nicht groß von anderen Banken unterscheidet, ist aus sich heraus kaum in der Lage, eine differenzierende Markenidentität zu entwickeln, die in den Markt strahlt.

Die Markenpositionierung vieler Unternehmen dreht sich um austauschbare Leistungsdimensionen bzw. Begrifflichkeiten wie Innovation, Verantwortung, Partnerschaft und Qualität; ein Dilemma für Designer. Schließlich muss ein Brand Design einzigartig, expressiv und emotional sein, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Daneben ist es insbesondere die hohe Wettbewerbsdichte an Produkten und Marken, die zu einer Ästhetisierung der Marke führt. Dies gilt selbst für traditionell konservative Organisationen: Ein Beispiel ist Merck. Das älteste Chemie- und Pharmaunternehmen der Welt hüllt sich seit 2015 in ein buntes eklektizistisches Design. »Hier wurde [...] alles zusammengeworfen, was Trend ist oder irgendwann einmal Trend war«, reüssiert der Designer Norbert Möller (2015). Auch die FDP setzt seit einigen Jahren auf einen »radikalen Neustart in der Darreichungsform«, so Parteichef Christian Lindner bei der Vorstellung des neuen Erscheinungsbildes (Jungholt 2015). »Die FDP, ein Hoffnungswert in Magenta«, titelte »Die Welt« passend zum neuen Corporate Design der Partei in blau, gelb und pink. Auch die renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young verpasste sich 2013 ein Facelifting. Seitdem heißt das Unternehmen EY und bewirbt sich in großformatigen Bildern und plakativem Design – Wirtschaftsprüfung als Lifestyle. Die Beispiele zeigen, dass in vielen Organisationen – auch in jenen, die sich bislang weniger als Marke verstanden haben – ein starker Wunsch, aber eben auch die marktliche Notwendigkeit besteht, etwas Besonde[15]res nach außen darzustellen. Dieses allgemeine Bestreben, als modern und attraktiv zu erscheinen, schlägt, so der Philosoph Wolfgang Welsch, in eine »gigantische Anästhetisierung« um, bei der »am Ende [...] bei aller chicen Aufgeregtheit und gekonnten Inszenierung doch wieder nur Eintönigkeit« entsteht (Welsch 1995, S. 13). Dies muss freilich nicht sein, aber die Gefahr ist groß (vgl. Abb. 3).

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Abb. 3: Ästhetisierung von Traditionsmarken am Beispiel von EY (links) (vgl. Morgenstern & Kaes o. J.) , FDP (rechts oben) (vgl. Design Tagebuch 2015a) und Merck (rechts unten) (vgl. Design Tagebuch 2015b)

In einer digitalen Welt lässt sich ein ausdrucksstarkes und differenzierendes Brand Design immer weniger inhaltsfrei auf rein formalen Elementen wie Farbbalken, Textfeldern oder Logo-Schutzzonen aufbauen. Entscheidend ist, dass jedes formgebende Element und kennzeichnende Gestaltungsprinzip einer strategisch-konzeptionellen Leitidee folgt. Nur so lässt sich eine überzeugende Brand Experience schaffen, bei der Schein und Sein einer Marke im Einklang stehen.

[16]Brand Design als organisationaler Prozess

Unter Design versteht man nicht nur ein gestalterisches Resultat, sondern gleichsam die »Wege, die zur Gestalt (bzw. zur Form) führen« (Klee 1921/1922, zit. nach Schweppenhäuser 2016, S. 8). Design ist damit auch immer eine Denkschule, ein Mindset. Es gibt zahlreiche Methoden, Verfahren, Tools und Prozesse, die aus der Design- und Innovationsforschung stammen und im Marken-Management – z. B. im Produkt-, Service- und User Experience Design – zunehmend Beachtung finden (vgl. Kap. 3). Häufig werden diese unter dem Sammelbegriff Design Thinking zusammengefasst. Design Thinking ist ein Prozess bzw. eine Problemlösungskompetenz, die darauf zielt, »neue und überraschende Formen der kreativen Zusammenarbeit zu ermöglichen« (Hasso-Plattner-Institut 2017). Dabei wird eine Reihe von gestalterischen Prinzipien genutzt. Hierzu zählen eine konsequente Orientierung an Kundenbedürfnissen, kollaborative Kreativität, Ideation und Prototyping. Design Thinking hat die Arbeitsweise von vielen Agenturen und Unternehmen nachhaltig verändert und zu einer Reorganisation von Arbeitsprozessen und Kompetenzen geführt, die im Wesentlichen auf mehr Vernetzung und Interdisziplinarität zielen. Design Thinking findet dabei nicht nur im Kontext des Innovationsmanagements statt, sondern überall da, wo neuartige Lösungen und Zukunftsentwürfe für ein Unternehmen bzw. eine Marke gefragt sind. An dieser Stelle sei insbesondere auch auf den Band Brand Experience in dieser Reihe verwiesen, in dem einige dieser Methoden und Prozesse ebenfalls vorgestellt werden (vgl. Baetzgen 2015b).

Erneut ist es die Digitalisierung, die dazu führt, dass allerorts von Design Thinking gesprochen wird. Diese verlangt von Unternehmen Schnelligkeit, Flexibilität und Problemlösungskompetenz. Mit ihr einher geht die Notwendigkeit, sich als Unternehmen bzw. Marke kontinuierlich zu verbessern, wenn nicht gar die Bereitschaft, sich neu zu erfinden. »Wenn das 20. Jahrhundert das Jahrhundert von Design und Kommunikation war, so ist das 21. Jahrhundert das der immateriellen Vernetzung«, schreibt der Designwissenschaftler Gerhard Schweppenhäuser (2016, S. X). »Aber auch diese ist selbst wiederum im weitesten Sinne ein Designprodukt. Denn sie ist durch dingliche Trägermedien vermittelt und dient der Kommunikation«, so Schweppenhäuser weiter. Die Folge ist eine zunehmende Integration von Technologie und Design. Neue Technologien verändern den Rahmen für menschliche Kreativität, was in einer Reorganisation des Wesens von Kreativität bzw. des Charakters gestalterischer Arbeit resultiert. Dies zeigt sich beispielsweise in neuen Stellenprofilen (»Creative Technologist«) und einer Verschiebung von organisationalen bzw. strukturellen Grenzen. Die jüngsten Über[17]nahmen von Kreativ-Agenturen wie SinnerSchrader oder Aperto durch die Technologieunternehmen Accenture bzw. IBM stehen hierfür beispielhaft. Innovative Technologien sind vor allem für das Designmanagement von zentraler Bedeutung, etwa bei der personalisierten Aussteuerung von Werbemitteln oder einer effizienten Bereitstellung von Kommunikationsmedien mithilfe eines Brand-Management-Systems (vgl. in Kap. 7 den Beitrag von Brekenfeld und Krick).

Ohne ein Mindestmaß an technologischem Know-how kann ein Brand Design heute nicht mehr gedacht werden – umgekehrt reicht das Beherrschen von Technologien alleine nicht aus, um die inspirierende Kraft eines gestalterischen Entwurfs bzw. eines großen Gedankens (vgl. Veken 2011) zu ersetzen. Erst wenn Big Data und Big Ideas zusammenkommen, lassen sich Marken in einer digitalen Welt erfolgreich formen – mit strategischem Verstand, sozialer Verantwortung und organisationalem Veränderungswillen.

[19]Kapitel 2: Wesen & Wert

[21]Design treibt Innovation

Karel J. Golta

Design ist nicht nur Formgebung, sondern ein umfassender strategischer Prozess, der auf Innovation zielt und zur Wertschöpfung beiträgt. Unternehmen und Marken, die Design als Managementaufgabe und Führungsphilosophie in ihre Geschäftsmodelle integrieren, werden die »wahre« Gestaltungskraft von Design erkennen und nachhaltig am Markt profitieren, so der Innovationsexperte Karel Golta.

Die Bedeutung von Design hat sich in den letzten 20 Jahren grundlegend verändert – sowohl das Verständnis des Wortes selbst und die damit verknüpften Aktivitäten als aber auch seine kulturelle, gesellschaftliche und vor allen Dingen wirtschaftliche Relevanz. Im letzten Jahrhundert wurde Design ganz nahe der Kunst verortet. ›Designed‹ diente als Zusatz, um etwas schöner oder gefälliger wirken zu lassen. Natürlich gab es auch damals schon Ausnahmen: So hat Raymond Loewy bereits in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Ganzheitlichkeit von Design und das Wechselspiel zwischen der Marke, dem Anwender und dem Produkterlebnis in seinen Projekten für Coca-Cola, Shell oder Greyhound gelebt.

Aber was ist ein modernes Verständnis von Design im 21. Jahrhundert? Für die amerikanische Grafikdesign-Legende Milton Glaser zum Beispiel ist die Essenz: »Design is the process of going from an existing condition to a preferred one.« Und er sagt in dem Zusammenhang weiter: »Observe that there’s no relationship to art.« (Quito 2016) Keine Frage, auch heute ist Design Formgebung und gestaltet. Design muss aber auch als Prozess verstanden werden. Es gibt Struktur und Richtlinien, plant Ziel und Ergebnis. Es ist somit wiederholbar. Und weiter: Design ist Strategie. Es kultiviert Wandel und Wandlungsfähigkeit. Denn Design hat mit Vorstellungskraft zu tun, ja, auch mit experimentellem Verhalten und dem beständigen Willen, zu verändern.

Design ist ein Prozess der Formgebung und eine Strategie, die Wandel und Wandlungsfähigkeit kultiviert.

[22]Design heute ermöglicht die folgenden drei essenziellen Werte, die aus dem marktwirtschaftlichen Kontext nicht mehr wegzudenken sind:

  1. Design differenziert. Es grenzt ab durch Individualität und Persönlichkeit. Denken Sie einfach an einen Mini.
  2. Design spricht an und weckt das Kaufbedürfnis. Denn es bietet Erlebnisse, stimuliert die Sinne und weckt Verlangen. Dies wiederum fördert Absatz und Umsatz. Wie war das doch gleich mit dem Autopiloten und dem impliziten Kaufverhalten?
  3. Design steigert den Markenwert. Unternehmen, die seit vielen Jahren Design als Prozess und Strategie verstehen, schaffen überproportional Markenwahrnehmung, Markenvertrauen sowie Markenbeliebtheit. Oder was denken Sie, warum BMW, Apple oder 3M für ihre Produkte einen Premiumpreis einfordern können?

Design manifestiert sich damit als Managementaufgabe. Denn keine Führungsetage kann auf diese drei Werte verzichten. Und wer mehr von diesen Werten will, muss Design einen Führungsanspruch zugestehen. Gleichzeitig stehen diese drei Werte ebenfalls als Treiber für Innovationen. Denn wenn etwas neu ist, differenziert es auch. Nur wenn Kundenbedürfnisse geweckt oder erfüllt werden, werden Produkte und Dienstleistungen gekauft. Und nur wenn dies kontinuierlich wiederholt werden kann, bildet sich Vertrauen, werden starke Marken aufgebaut.

Ist also Design der stärkste Treiber für Innovationen? Wovon lässt sich dies ableiten und erkennen? Und viel wichtiger: Welche Methoden und Strategien helfen in der eigenen Organisation, Innovationen voranzubringen und Design als übergeordneten Treiber zu verankern? Auf diese Fragen möchte der folgende Beitrag Antworten geben.

Was Innovationen ausmacht – das WAS

Wie prägen Innovationen die Wirtschaft?

Unbestritten, Innovation ist ein wichtiger Erfolgstreiber. Je innovativer ein Unternehmen ist, desto positiver sind seine Wachstumsaussichten.

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Abb. 1: Wachstumserwartungen deutscher Unternehmen bis 2018 (vgl. PWC 2015)

Nach Ansicht der meisten Unternehmenslenker leistet organisches Wachstum durch Innovationen den größten Beitrag zum Umsatzwachstum. Das Potenzial wird weltweit erkannt. Doch leider sinkt gerade in Deutschland die Innovationsleistung gegenüber anderen europäischen Ländern wie Dänemark (vgl. Abb. 2), wie auch im weltweiten Vergleich die Europäische Union insgesamt gegenüber den USA oder Südkorea schlechter abschneidet (vgl. Abb. 3).

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Abb. 2: Europäische Innovationsleistung (vgl. European Commission 2016)

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Abb. 3: Globale Innovationsleistung (vgl. European Commission 2015)

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Abb. 4: Globales Innovationswachstum (vgl. European Commission 2015)

Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen die wesentlichen Innovationsfaktoren sinken. Dort versteht man oftmals nicht, dass Innovation nicht nur auf Produktebene zu suchen ist, sondern auch in der Organisation, in Prozessen und im Marketing.

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Abb. 5: Anteil innovativer Unternehmen nach ihrem Innovationsschwerpunkt (vgl. Eurostat 2017)

Was ist eine Innovation und was braucht es für diese?

Es ist also wichtig zu verstehen, wo überall Innovationen entstehen können und was es braucht, um zu einer Innovation zu kommen. Einfach ausgedrückt: Eine Innovation ist etwas Neues, das erfolgreich ist. Reden wir von einem Produkt, so muss es zumindest für die Kategorie oder den Markt neu sein, und es ist dann erfolgreich, wenn es einen positiven Return on Investment (ROI) erwirtschaftet. [25]Aber es gibt ja noch diverse andere Arten, wie zum Beispiel Prozessinnovationen oder organisatorische Innovationen. Diese müssen nur für das System, in dem sie laufen sollen, neu sein. Der Erfolg wird dann beispielsweise über die Effizienzsteigerung oder die Akzeptanz bei der Belegschaft definiert. Natürlich kann man den Grad der Innovation und ihren Geltungsbereich oder auch ihre Marktauswirkung sehr fein differenzieren. Viel wichtiger erscheint mir jedoch die eindeutige Differenzierung zwischen einer Idee oder Erfindung und einer Innovation. Michael Schrage (2004), Innovations-Guru und Fellow am MIT sagt: »Innovation is not what inventors do but what customers adopt.« Innovation handelt also von der Akzeptanz durch Menschen. Und was braucht es nun für eine Innovation? Die einen sagen, einen sehr methodischen Wasserfall-Prozess, und sehr wahrscheinlich haben die meisten Unternehmen und ihre F&E-Abteilungen einen solchen. Anders sieht das beispielsweise Ulf Pillkahn, Innovationsmanager bei Siemens. Er hat ein Buch mit dem Titel Die Weisheit der Roulettekugel. Innovation durch Irritation (Pillkahn 2013) geschrieben. Die Quintessenz: Innovation hat vor allem auch mit Zufall zu tun.

Dies führt uns zu der Frage, ob es ein Geheimrezept oder einen roten Faden gibt, der kontinuierlich Innovationen ermöglicht. Ist, wie so oft im Leben, weniger die Methode entscheidend als vielmehr der Wille, Worten Taten folgen zu lassen? Meiner Erfahrung nach braucht es ein Ökosystem, in dem Technologie-Push und Markt-Pull aufeinandertreffen und die unterschiedlichsten Disziplinen mit ihrem Know-how ein gemeinsames Ziel verfolgen können. So ist es heute durchaus Usus, dass Technologiehersteller wie Bayer oder Bosch mit ihren Erfindungen auf die Design Community zugehen, um gemeinsam relevante Anwendungen für die Märkte zu entwickeln. Und andersherum recherchieren Markenunternehmen relevante Bedürfnisse ihrer Zielgruppen, um dann ko-kreativ geeignete Produktvisionen zu erarbeiten. Erst danach werden die benötigten Technologien gescoutet oder entwickelt. Welchen Weg man auch einschlägt: Aller Anfang ist schwer und so beschreibt der Begriff Fuzzy Front End als Fachbegriff leider nur zu gut, dass zu Beginn eines jeden Innovationsunterfangens wenig Klarheit besteht. Um überhaupt einen Anfang zu finden, stellt Google zum Beispiel folgende Frage: »Was wäre, wenn...?« Und viele der erfolgreichsten Start-ups aus dem Silicon Valley haben mit dieser Frage ihr Imperium aufgebaut. Was wäre, wenn ich mehr Übernachtungsmöglichkeiten verkaufen könnte, ohne ein einziges Hotel zu besitzen? (Airbnb) Was wäre wenn ich zu jeder Zeit und überall ein Auto fahren könnte, ohne selbst eins zu haben? (Car2Go)

  1. [26]Eine Innovation ist etwas Neues, das erfolgreich ist.
  2. Innovation ist nicht punktgenau planbar. Erst ein entsprechendes Ökosystem macht Innovationen wahrscheinlich.
  3. Innovation fängt mit der Frage an: »Was wäre, wenn...«

Warum Design tatsächlich Innovationen treibt – das WARUM

Die Macht des Erlebens

Wir Menschen glauben mit unseren Augen. Wir können uns zwar vieles anhören und vorstellen, aber immer dann, wenn wir etwas mit eigenen Augen sehen, verarbeitet unser Hirn diese Information sofort und unweigerlich. Eine der grundlegendsten Fähigkeiten im Design ist folglich die Visualisierung von Ideen. Sei es mittels Handskizzen, 3-D-Computervisualisierungen, Storyboards und unendlich vielen weiteren Mitteln. Sie haben alle gemeinsam, dass sie eine Idee prototypisieren und somit mindestens visuell erlebbar machen.

Designer können die Zukunft nicht vorhersagen, aber sie können sie sich vorstellen und entsprechend anschaulich machen.

Jeder Science-Fiction-Film ermöglicht uns, ein Szenario der Zukunft zu erleben und zu bewerten. Einige der futuristisch-utopischen Ideen von Star Trek Enterprise aus den 1960er-Jahren sind in den letzten Jahrzehnten zu Innovationen umgesetzt worden. Denken Sie an Smartphones, Tablets, VR-Brillen und vieles mehr. Alle wurden angeregt und inspiriert durch eine erlebbar gemachte Idee – die Essenz von designerischem Denken und Handeln. Ohne Zweifel: Design treibt Innovation, indem es zukünftig Mögliches schon heute erlebbar macht. Wenn es »Wow« macht, war es Design.

Design treibt Innovation, indem es zukünftig Mögliches schon heute erlebbar macht.

[27]Wertschöpfung von Design für Innovationen

Dass Design Sichtbarkeit und Differenzierung schafft, liegt auf der Hand: Die Gestaltung von Markenauftritten unterscheidet sich schon allein im Logo-Design enorm, nehmen wir zum Beispiel Wettbewerbsunternehmen wie Shell und BP. Auch die Kaufbereitschaft wird maßgeblich über die visuelle Kraft von Design gesteuert – kein Premium-Automobilkonzern der Welt könnte ohne Design ein Verlangen für seine Produkte auslösen.

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Abb. 6: Wertschöpfung durch Design (Quelle: Indeed Innovation GmbH)

Betrachten wir aber den Innovationsgrad, dann verhält sich dieses System genau umgekehrt: Während ein Logo zweifelsfrei differenzierend, aber nicht zwingend innovativ sein muss, kann Design – verstanden als Prozess, Strategie und Managementaufgabe – für den Innovationsgrad eines Unternehmens bzw. einer Marke der größte Treiber sein. Denken Sie nur an Apple oder Google. Aber auch IBM, SAP, Deutsche Telekom, 3M und viele mehr nutzen Design längst mit all seinen oben besprochenen Qualitäten als Treiber für Innovation. Es ist dabei sinnvoll, zwischen Design Management und Design Leadership zu unterscheiden (vgl. Abb. 6). Wichtig dabei: Es lässt sich nicht beides in derselben Person vereinen. Bei Apple z. B. ist Jonathan Ive eindeutig ein Design Leader. Er hat die Aufgabe, Neues zu denken und die Marke nach vorne zu bringen. Für die strategische Umsetzung auf Projektebene unterhält das Unternehmen außerdem viele Design Manager.

[28]Design verändert die Innovationskultur von Organisationen

Für die erfolgreiche Ausrichtung eines jeden Unternehmens brauchen Sie eine Unternehmensstrategie, die die Ziele beschreibt, ein Management, das diese methodisch verfolgt und eine Unternehmenskultur, die all das fördert und unterstützt. Ein modernes und innovatives Unternehmen unterscheidet nicht zwischen Innovationsstrategie und Unternehmensstrategie oder Innovationsmanagement und allgemeinem Management. Das Geheimnis des Erfolges einer innovativen und erfolgreichen Organisation ist die konsequente Ausrichtung aller Unternehmensbereiche am Thema Innovation. Es gilt, die Strategie, das Management und die Unternehmenskultur auf das Neue, also auf Innovationen auszurichten. Dabei unterschätzen die meisten Unternehmen, dass die Kultur darin die absolut wichtigste Rolle spielt. Und: Kultur hat ausschließlich mit Menschen zu tun und lässt sich nicht per Dekret oder Top-down Approach verändern.

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Abb. 7: Innovationskultur, Innovationsmanagement, Innovationsstrategie (Quelle: Indeed Innovation GmbH)

Genau das hat Philip Morris Anfang dieses Jahrtausends innerhalb seines F&E-Zentrums in der Schweiz erfahren. Das Unternehmen wollte nicht mehr weiter erforschen, wie Tabak weniger schädlich für die Raucher sein könnte, sondern was es mit der Pflanze Gutes schaffen könnte. Eine Umkehr, in deren Folge einige hundert Forscher ihren Mindset völlig ändern mussten. Solch ein Wandel kostet Zeit oder verlangt neue Mitarbeiter. In jedem Fall ist er schmerzlich. Erfolgreicher [29]zeigte sich die Vorgehensweise von Alan G. Lafley, der als CEO von P&G Anfang der 2000er eine eigenständige Designorganisation auf Augenhöhe zum Marketing etablierte. Diese Designorganisation hat die Kultur der gesamten Organisation von innen heraus verändert – angefangen mit der Architektur der Büros und Arbeitsplätze bis hin zu den Prozessen, mit denen man neue Produkte für die Massen entwickelt.

Wie schafft Design Veränderung?