Christoph André/François Lelord

Die Kunst der Selbstachtung

Aus dem Französischen von Ralf Pannowitsch

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Informationen zum Buch

Sind Sie glücklich mit sich selbst?

»Wenn man dieses Buch gelesen hat – ich schwöre es Ihnen – ist man glücklich«, schwärmte Elke Heidenreich über François Lelords Bestseller »Hectors Reise«. – Wenn man »Die Kunst der Selbstachtung« gelesen hat, macht man auch andere glücklich. Einfühlsam und amüsant werden unsere Zweifel wie Sehnsüchte geschildert. Außerdem findet sich eine Fülle von Ratschlägen, wie man die richtige Balance zum Glücklichsein erlangt.

»Wie es auch bestellt sein mag um Ihre Diplome, Ihre Erfolgsaussichten, Ihr Bankkonto – Sie werden in diesem Buch bestimmt einen Dreh finden, der Ihnen Ihre Verfassung aufpoliert.« Elle

Inhaltsübersicht

Einführung

Erster Teil: Haben Sie Achtung vor sich selbst?

Kapitel I: Die drei Grundpfeiler der Selbstachtung

Die Selbstliebe: Können Sie sich leiden?

Die Sicht auf die eigene Person

Selbstvertrauen

Die Ausgewogenheit der Selbstachtung

Gibt es nur eine Selbstachtung oder sogar mehrere?

Woraus sich Selbstachtung nährt

Kapitel II: Selbstachtung und Selbstmißachtung

Erzählen Sie von sich!

Die Kunst, sich nicht ins rechte Licht zu rücken

Ein verschwommenes Bild

Was macht Personen mit niedriger Selbstachtung so vorsichtig?

Wer hilft mir zu erfahren, wer ich bin?

Wozu sind Sie imstande?

Geh ich oder bleib ich?

Die Qual der Wahl

Vom Einfluß der Umgebung

Auf einmal getroffenen Entscheidungen beharren

Reagieren Sie empfindlich auf Mißerfolge und Kritik?

Wenn ein Fehlschlag Spuren hinterläßt

Dort, wo es wehtut …

Wenn die Stimmung ständig schwankt

Ich will aber die Wahrheit wissen!

Wer wagt es, mich zu kritisieren?

Mit oder ohne Publikum?

Vorbeugungsmaßnahmen gegen Mißerfolge

Wie reagieren Sie auf Erfolge?

Streß und Erfolg

Glücksängste

Das Hochstapler-Syndrom

Warum so viel Verlegenheit?

Dynamik des Lebensweges und Selbstachtung

Fragebogen I: »Ihr Selbstachtungspegel«

Kapitel III: Ihre Selbstachtung ist nicht sehr hoch? Verzagen Sie nicht!

Die Vorteile einer geringen Selbstachtung

Von den anderen akzeptiert werden

Ein offenes Ohr für Ratschläge und für Ansichten, die wir nicht teilen

Demut – eine fromme Tugend

Bescheidenheit – eine Bürgertugend

Die Schattenseiten einer hohen Selbstachtung

Vom Selbstvertrauen zur Selbstgefälligkeit

Von der Ausdauer zur Verbohrtheit: bloß nicht das Gesicht verlieren!

Selbstachtung und Risikobereitschaft

Wenn hohe Selbstachtung zur Sünde wird

Kapitel IV: Stabil oder instabil? Testen Sie die Solidität Ihrer Selbstachtung!

Die vier Grundtypen der Selbstachtung

Die beiden Ausprägungen hoher Selbstachtung

Die beiden Ausprägungen niedriger Selbstachtung

Wie kann man die verschiedenen Profile der Selbstachtung diagnostizieren?

Zweiter Teil: Die Mechanismen der Selbstachtung verstehen

Kapitel V: Wie entsteht eigentlich Selbstachtung?

Die ersten Schritte der Selbstachtung

Mama soll sich freuen

Auch Knirpse haben ihre Erfolgsstories

Wo ist mein Platz?

Sich ins rechte Licht rücken

Sich seiner Wurzeln schämen

Der Pausenhof – ein unerbittliches Universum

Ratschläge an die Adresse der Eltern

Der elterliche Druck – und der aus den Reihen der Freunde …

Das Urteil der anderen

Selbstmord bei Jugendlichen

Vom Nachteil, der Erstgeborene zu sein – oder das Nesthäkchen

Es ist hart, sich die Eltern teilen zu müssen

Das Territorium abstecken

Der Rebell der Familie

Vom Erfolg in der Schule

Der Schock des ersten Kindergartentages

Bringt hohe Selbstachtung einen guten Schüler hervor?

Der Einfluß des schulischen Milieus

Für eine stärkere Berücksichtigung der Selbstachtung in der Schule

Wie kriege ich meine Kinder auf eine Elite-Uni?

Der Rückhalt durch die Eltern

Gefühlsnahrung und Erziehungsnahrung

Wie muß ein wirksamer Rückhalt durch die Eltern aussehen?

Kapitel VI: Erwachsene unter Einfluß: Liebe, Ehe, Arbeit und Selbstachtung

Die Risiken der Verführung

Vom unwiderstehlichen Zwang zu gefallen

Ist das Bedürfnis, andere zu verführen, eine Krankheit?

Und wenn man einen Korb bekommt?

Verführung unter Laborbedingungen

Die Wahl des Partners

Kleine Arrangements im Eheleben

Wem nützt die Ehe?

Die Kunst der Rollenverteilung

Zwischen Stolz und Eifersucht

Ehe und Kind

Ein subtiles Kräftespiel

Weshalb wir uns streiten

Paß bloß auf, wenn ich dich liebe!

Über den Liebeskummer

Freunde für gute und schlechte Zeiten

Wie man Freunde gewinnt

Ein Freund nach meinem Bilde

In der Not erkennt man seine Freunde

Vom Leben im Büro

Ein gefährliches Gespann

Mobbing und sadistisches Management

Arbeitslosigkeit und Selbstachtung

Die Machtmenschen

Vier Schlüssel zur Eroberung der Macht

Macht ausüben: das große Mißverständnis

Der Abschied von der Macht

Ein Paradoxon der Selbstachtung

Kapitel VII: Selbstachtung oder Image? Sind Sie ein Gefangener des äußeren Scheins?

Weshalb Mädchen an sich selbst zweifeln

Die Traumfigur der Frauen

Arme Teenies …

Models und Operndivas

Störungen des Ernährungsverhaltens

Die Männer und ihre Nabelschau

Schauen Sie nicht zuviel auf sich selbst!

Sag mir, auf welche Größe du’s bringst, und ich sage dir, was du wert bist

Männer: Das Ende einer Ausnahme?

Soziale Vorzüge und Nachteile von Schönheit

Schön, reich und berühmt

Und was fängt man mit seiner Schönheit an?

Look, Mode und Selbstachtung

Sich mit fremden Federn schmücken

Warum folgen wir dem Hin und Her der Mode?

Warum Ihre Selbstachtung Sie dazu bringt, topmodische Sachen zu kaufen und dann nicht zu tragen

Mode und Minderheiten

Gehört die schöne Bilderwelt der Werbung auf die Anklagebank?

Die ewige Suche nach Schönheit

Wie sich das Übel ausbreitet

Sind wir Barbies Spielzeugpuppen?

Ist die Wendemarke endlich in Sicht?

Kapitel VIII: Theorien

Mit den eigenen Ansprüchen richtig umgehen

Die Jamessche Gleichung

Erfolg und Verzicht

Risiken eingehen – oder lieber doch nicht?

Das »Spiegelbild-Ich«

Zwischen Kritik und Anerkennung

Die Selbstachtung als Soziometer

Wenn man es anderen nachmacht

Soll man Modellen nacheifern?

Modelle und Antimodelle

Wenn uns das Ideal ein Bein stellt

Dritter Teil: Instandhaltung und Reparatur der Selbstachtung

Kapitel IX: Die Erkrankungen der Selbstachtung

Die Depression

Ich habe keine Achtung vor mir – bin ich depressiv?

Das Hinübergleiten in eine Depression

Wenn die Selbstachtung außer Rand und Band gerät

Das übersteigerte Ego des Manisch-Depressiven

Die allzu hohe Selbstachtung des narzißtischen Individuums

Die Komplexe

Vom Komplex bis zur Dysmorphophobie

Wie man sich seiner Komplexe entledigt

Die Alkoholabhängigkeit

Geringe Selbstachtung und Alkoholkonsum

Warum verringert regelmäßiger Alkoholkonsum die Selbstachtung?

Wie kann der Alkoholkranke seine Selbstachtung zurückerobern?

Die psychischen Traumata

Aggressionen: vom Körperlichen zum Psychischen

»Giftige« Eltern

Borderline-Persönlichkeit und Selbstachtung

Gesund werden heißt, die Selbstachtung wiederzugewinnen

Kapitel X: Kleine Arrangements mit der Selbstachtung

Die Abwehrmechanismen der Selbstachtung

Welchen Zweck erfüllen Abwehrmechanismen?

Wie schützt man eine niedrige Selbstachtung?

Wenn vom Glanz der anderen auch etwas auf uns fällt

Immer hübsch zusammenbleiben!

Träumereien, vage Pläne und virtuelle Welten

Wie schützt man eine hohe Selbstachtung?

Die Winkelzüge der Attribution

Auf die Fehler der anderen achten: der Vergleich nach unten

Bei Kritik wird der Kritiker kritisiert

Soll man sich Steine in den Weg legen, um die Selbstachtung zu verbessern?

Gibt es so etwas wie Mißerfolgsneurosen?

Szenen aus dem Alltagsleben

Konsumieren, um sich zu akzeptieren

Die kleinen Freuden des Daseins

Ich und die anderen

Selbstachtung ist nicht alles im Leben

Kapitel XI: Wie man seine Selbstachtung entwickelt

Veränderung ist möglich!

Wie verändert man seine Selbstachtung?

Das Verhältnis zum eigenen Ich ändern

Ein paar Fragen, mit denen Sie sich besser kennenlernen

Das Verhältnis zum Handeln ändern

Das Verhältnis zu den anderen ändern

Strategien für eine Veränderung

Verwandeln Sie Ihre Klagen in Ziele!

Wählen Sie angemessene Ziele!

Gehen Sie etappenweise vor!

Die Therapien

Wann soll man eine Therapie in Angriff nehmen?

Was kann man von einer Therapie erwarten?

Die verschiedenen Therapietypen

Fragebogen II: »Wie kann ich mich ändern?«

Statt eines Schlußworts …

Anhang

Resultate des Fragebogens I: »Ihr Selbstachtungspegel«

Resultate des Fragebogens II: »Wie kann ich mich ändern?«

Anmerkungen und Quellen

Einführung

»Ich mag mich nicht …

Als Kind träumte ich oft davon, eine andere zu sein. Ich mochte nicht, wie ich war und was ich hatte; ich wollte andere Haare, andere Eltern, ich hätte gern woanders gewohnt. Es kam mir immer so vor, als wären die anderen Kinder besser als ich, schöner, begabter, beliebter und bei den Lehrern besser angesehen.

Mir war klar, ich hätte es auch schlimmer treffen können. Vertraute ich mich meiner Mutter an (was selten geschah), versuchte sie mir auch genau das zu sagen: Du bist weder die unglücklichste von allen noch die von der Natur am stiefmütterlichsten behandelte. Aber für mich war das kein Trost. Wenn ich traurig war, was oft vorkam, war ich überzeugt, ich sei die allergrößte Null der Menschheit.

Meine Jugendzeit war eine Katastrophe. Ich fand mich häßlich und mißgestaltet, hatte alle Komplexe, die man sich nur ausmalen kann.

Seitdem haben sich die Dinge ein bißchen zurechtgerückt. Aber noch heute denke ich, es müsse ein Irrtum sein, wenn sich ein Mann in mich verliebt. Ich sage mir, daß er sich in mir täuscht, daß er sich in ein Trugbild verliebt hat, daß ich ihn durch irgendein Wunder hinters Licht führen konnte, aber daß er mich so, wie ich wirklich bin, unmöglich lieben könne. Und wenn auch er mir gefällt, macht sich in mir sofort eine schreckliche Angst breit: Angenommen, wir hätten eine Liebesbeziehung miteinander – würde er dann nicht auf der Stelle die Täuschung durchschauen und alle meine Fehler entdecken? Und dann würde er mich ohne Zweifel genauso beurteilen wie ich mich selbst, und er würde mich sitzenlassen.

Ich aber, ich kann mich nicht einfach sitzenlassen. Ich bin in mir gefangen, obwohl ich mich doch so abscheulich finde. Ich bin dazu verurteilt, in trauriger Gesellschaft zu leben: allein mit mir selbst.

Und nicht einmal mit meiner Arbeit kann ich mich trösten. Eigentlich logisch: Weil ich nie an mich selbst geglaubt habe, vegetiere ich auf einem Posten dahin, den ich nicht besonders mag, der unter meinen Fähigkeiten liegt und mit meinen Interessen nichts zu tun hat.

Ich mag mich einfach nicht …«

Die junge Frau mir gegenüber hatte seit einer halben Stunde gesprochen. Obwohl es mir an Erfahrung mangelte – ich hatte gerade meine Abschlußarbeit in Psychologie verteidigt –, spürte ich, daß man sie nicht unterbrechen oder trösten durfte. Manchmal fing sie an zu weinen. Sie entschuldigte sich, wischte ihre Tränen weg und nahm ihre Erzählung wieder auf. Beim Zuhören ließ ich die Symptome der verschiedenen Formen von Depressionen vor meinem inneren Auge vorüberziehen. Aber nichts davon paßte hier … Diese Frau war nicht depressiv, zumindest nicht im Sinne einer »krankhaften Depression«. War ihr Fall deshalb weniger schlimm? Ich war mir da nicht sicher. Ihr Leiden schien tiefer zu liegen, es war enger mit ihrer Biographie verflochten; es reichte bis in die feinsten Verästelungen ihrer Persönlichkeit hinein.

Meine Patientin litt an einer Störung, die ich erst später zu diagnostizieren lernte. Sie war hübsch und intelligent; sie hatte, wie man so sagt, alles, was man zum Glücklichsein braucht. Ihr fehlte nur eins: ein bißchen Selbstachtung.

Erster Teil
Haben Sie Achtung vor sich selbst?

Kapitel I
Die drei Grundpfeiler der Selbstachtung

»Du steckst voller Geheimnisse, die du Ich nennst.«

Paul Valéry

Machen Sie einmal einen Test in Ihrer Familie, mit Freunden oder Kollegen: Bringen Sie das Thema Selbstwertgefühl oder Selbstachtung zur Sprache; Sie werden bei Ihren Gesprächspartnern sofort Interesse ausmachen, ganz so, als ginge es um einen wichtigen Begriff, der sie persönlich betrifft. Bitten Sie jedoch um eine möglichst genaue Definition dieses Begriffs, werden sie in den meisten Fällen nicht dazu imstande sein … Die Selbstachtung, eine der grundlegenden Komponenten unserer Persönlichkeit, ist nämlich ein unauffälliges, vielschichtiges und schwer greifbares Phänomen, dessen wir uns nicht immer bewußt sind.

Das Konzept der Selbstachtung nimmt in der Vorstellungswelt der westlichen Hemisphäre einen wichtigen Platz ein, vor allem in den Vereinigten Staaten, wo das Wort self-esteem zum Alltagswortschatz gehört. In anderen Ländern hat man lange Zeit Begriffe bevorzugt, die von einer affektiveren und eher nebulösen Sicht auf die Beziehung zum eigenen Ich zeugen. Mit den Ausdrücken self-esteem oder Selbstachtung soll eine größere Objektivität erreicht werden. Das Wort esteem geht nämlich auf das lateinische Verb aestimare (einschätzen) zurück, das eine zweifache Bedeutung hat: einerseits »den Wert von etwas bestimmen«, andererseits aber auch »eine Meinung über etwas haben«. Die beste Zusammenfassung des Konzepts »Selbstachtung«, die wir bisher finden konnten, hat uns ein Jugendlicher geliefert: »Selbstachtung? Na ja, das ist, wie man sich sieht, und ob man das, was man da sieht, mag oder nicht mag.«

Diese beurteilende Sicht auf die eigene Person ist ausschlaggebend für unser psychisches Gleichgewicht. Fällt sie positiv aus, erlaubt sie einem, wirkungsvoll zu handeln, sich in seiner Haut wohl zu fühlen und den Schwierigkeiten des Daseins die Stirn zu bieten. Wenn die Sicht aber negativ ist, löst sie vielerlei Leiden und Unbehaglichkeiten aus. Es ist also kein unnützes Unterfangen, wenn man sich ein wenig Zeit nimmt, um die eigene Selbstachtung besser analysieren zu können; es ist sogar eine der gewinnbringendsten Anstrengungen, die man sich denken kann.

Selbstachtung – welche Fragen man sich stellen sollte

Machen Sie sich eine Weile Gedanken über die folgenden drei Fragenkomplexe. Jede Ihrer Antworten wird nützliche Auskünfte über Ihr Selbstwertgefühl liefern.

  • Wer bin ich? Wo liegen meine Stärken, wo meine Schwächen? Wozu bin ich fähig? Welche Erfolge habe ich gehabt, welche Mißerfolge mußte ich einstecken? Welches sind meine Kompetenzen und meine Grenzen? Welchen Wert habe ich in meinen eigenen Augen, in den Augen meiner Nächsten und in den Augen der Personen, die mich kennen?
  • Sehe ich mich als eine Person, welche die Sympathie, Zuneigung und Liebe der anderen verdient, oder zweifle ich im Gegenteil häufig an meiner Fähigkeit, bei den anderen Wertschätzung und Liebe zu finden? Läuft mein Leben so, wie ich es mir wünsche? Stehen meine Handlungen in Einklang mit meinen Wünschen und Überzeugungen, oder leide ich im Gegenteil an der großen Kluft zwischen dem, was ich gern sein möchte, und dem, was ich wirklich bin? Bin ich mit mir selbst im Frieden, oder plagt mich oft Unzufriedenheit?
  • Wann war ich das letzte Mal enttäuscht von mir selbst, unzufrieden, traurig? Wann war ich stolz auf mich, zufrieden und glücklich?

Vertrauen in sich selbst setzen, selbstsicher sein, mit sich zufrieden … In der Alltagssprache gibt es eine lange Reihe von Ausdrücken, um die Selbstachtung zu bezeichnen, und jeder von ihnen bezieht sich auf einen ihrer vielen Aspekte.

Begriff Beschreibung Leistung dieses Konzepts
Selbstvertrauen haben Man glaubt an seine Befähigung, effizient zu handeln (innerliches Vorwegnehmen der Aktion). Es unterstreicht, wie wichtig die Beziehungen zwischen unserem Handeln und unserer Selbstachtung sind.
Mit sich zufrieden sein Man ist mit seinem Handeln zufrieden (nachträgliche Bewertung der Aktion). Ohne Selbstachtung werden nicht einmal Erfolge als solche erlebt.
Selbstsicher sein Man trifft Entscheidungen und läßt sich nicht so schnell von ihnen abbringen. Es erinnert daran, daß eine gut entwickelte Selbstachtung im allgemeinen damit verbunden ist, daß man beständige Entscheidungen trifft.
Selbstbewußt sein Man zweifelt nicht an seinen Befähigungen und Stärken, egal wie die Umstände auch aussehen mögen. Dank einer gut entwickelten Selbstachtung kann man immer und überall der eigenen Persönlichkeit Ausdruck verleihen.
Sich selbst mögen Man sieht sich mit Wohlwollen und ist zufrieden mit sich selbst. Das Konzept verweist auf die affektive Komponente der Selbstachtung.
Eigenliebe Man hat eine (zu) hohe Auffassung von der eigenen Würde. Unsere Selbstachtung leidet ganz besonders, wenn wir kritisiert werden.
Selbsterkenntnis Man kann die eigene Person präzise beschreiben und analysieren. Um sich selbst achten zu können, muß man erst einmal wissen, wer man ist.
Selbstbehauptung Man kann seine Ansichten und Interessen den anderen gegenüber verteidigen. Die Selbstachtung macht es manchmal erforderlich, das eigene Territorium zu sichern.
Selbstbejahung Unter Berücksichtigung seiner Stärken wie seiner Schwächen zeichnet man ein alles in allem positives (oder wenigstens annehmbares) Bild von der eigenen Person. Fehler und Mängel sind kein Hindernis für eine gut entwickelte Selbstachtung.
An sich glauben Man übersteht Durststrecken, in denen es weder Erfolge noch Ermutigungen gibt, aus denen sich die Selbstachtung nähren könnte. Manchmal wird Selbstachtung nicht durch Erfolge aufrechterhalten, sondern durch innere Überzeugungen und eine bestimmte Sicht auf die eigene Person.
Eine hohe Meinung von sich haben Man ist überzeugt, hochgesteckte Ziele verwirklichen zu können. Ehrgeiz und Selbstachtung sind oft eng miteinander verknüpft.
Stolz auf sich sein Durch einen Erfolg wächst das Selbstwertgefühl. Um die Selbstachtung zu nähren, braucht man Erfolge.

Alltägliche Erscheinungsbilder der Selbstachtung

Im Grunde setzt sich die Selbstachtung aus drei »Zutaten« zusammen: dem Selbstvertrauen, der Sicht aufs eigene Ich und der Selbstliebe. Die richtige Dosierung dieser drei Komponenten ist unerläßlich, wenn man zu einer harmonischen Selbstachtung gelangen möchte.

Die Selbstliebe: Können Sie sich leiden?

Dieses Element ist das allerwichtigste. Wenn man sich mag, dann ohne Bedingungen und Einschränkungen, trotz aller Mängel und Grenzen, aller Fehlschläge und Widrigkeiten, ganz einfach, weil eine stetige innere Stimme einem sagt, daß man Liebe und Respekt verdiene. Diese »unbedingte« Selbstliebe hängt nicht von unseren Leistungen ab. Sie erklärt, weshalb wir unter ungünstigen Umständen durchhalten und uns nach einem Mißerfolg wieder aufrichten können. Treten Schwierigkeiten auf, bewahrt sie uns zwar nicht vor Leiden und Selbstzweifeln, aber sie schützt uns vor Hoffnungslosigkeit.

Heute weiß man, daß diese Selbstliebe zum großen Teil von der Liebe abhängt, die uns als Kind in der Familie zuteil geworden ist, und von der »Gefühlsnahrung«1, die uns damals gespendet wurde. Xavier (42), Handwerker, erläutert uns das: »Am meisten bin ich meinen Eltern dafür dankbar, daß sie mir immer den Eindruck vermittelt haben, daß ich etwas tauge. Selbst wenn ich sie enttäuscht hatte – in meinen Jugendjahren, als ich den Schulabschluß völlig vermasselte und ein paar Dummheiten anstellte –, nun, selbst dann habe ich immer gespürt, daß sie mir ihre Liebe nicht entzogen und daß sie überzeugt waren, ich würde aus meinem Leben noch etwas machen. Das hinderte sie nicht daran, mir dann und wann eine tüchtige Standpauke zu halten. Aber niemals haben sie versucht, mich spüren zu lassen, daß ich ein Taugenichts wäre.«

Defizite in der Selbstachtung, die ihre Ursache auf diesem Gebiet haben, sind wahrscheinlich am schwierigsten auszugleichen. Man begegnet ihnen in dem wieder, was die Psychiater »Persönlichkeitsstörungen« nennen, also bei Personen, die sich anderen Menschen gegenüber so verhalten, daß sich regelmäßig Konflikte oder Mißerfolge einstellen. So ergeht es zum Beispiel Isabelle (31), Grundschullehrerin:» Noch nie konnte ich jemanden finden, an dessen Seite ich mein Leben verbringen möchte. Sobald ein gewisses Maß an Intimität erreicht ist, fühle ich mich bedroht. Ich weiß nicht, wovor ich eigentlich Angst habe. Jedenfalls nicht davor, meine Freiheit zu verlieren, denn ich fange mit ihr sowieso nichts an. Weil ich mich selbst nicht mag, scheint es mir unmöglich, daß ein anderer mich lieben könnte. Habe ich einen Freund, werde ich ganz paranoisch: Ich habe den Eindruck, der eine bleibt nur deshalb bei mir, weil er Sex will, der andere, weil er arbeitslos ist und meine Wohnung ihm gefällt, der dritte schließlich, weil er nicht weiß, was er eigentlich will. Aber daß jemand mit mir leben möchte, weil er mich liebt, das kann ich nur mit Mühe glauben. Und vor allem versetzt mich das buchstäblich in Panik. Ich würde es gar nicht verdienen und wäre der Sache nie im Leben gewachsen. Letzten Endes würde ich meinen Partner immer enttäuschen.«

Sich selbst zu mögen, ist tatsächlich das Fundament der Selbstachtung, ihr wichtigster und innerster Bestandteil. Dennoch ist es nie leicht, bei einem Menschen durch die soziale Maskierung hindurch exakt zu bestimmen, wie sehr er sich mag.

Die Sicht auf die eigene Person

Der Blick, den man auf sich selbst richtet, die (begründete oder auch haltlose) Bewertung der eigenen Qualitäten und Mängel ist der zweite Grundpfeiler der Selbstachtung. Es handelt sich hierbei nicht nur um Selbsterkenntnis. Wichtig ist weniger, wie die Dinge wirklich liegen, sondern vielmehr die innere Überzeugung, daß man bestimmte Stärken und Schwächen aufweist, ein gewisses Potential oder auch Grenzen. In diesem Sinne ist es ein Phänomen, bei dem der Subjektivität die Hauptrolle zukommt. So wird zum Beispiel eine komplexbeladene Person (deren Selbstachtung oft gering ist) bei ihren Mitmenschen bisweilen Sprachlosigkeit hervorrufen, weil niemand außer ihr all die Fehler und Mängel wahrnimmt, die sie zu haben glaubt. »Offensichtlich haben wir andere Augen als sie«, sagte eine Mutter über ihre älteste Tochter, »jedenfalls sehen wir sie ganz anders, als sie sich selbst sieht. Sie erklärt uns pausenlos, daß sie sich häßlich findet. Ich habe aber den Eindruck, eine hübsche und intelligente sechzehnjährige Tochter zu haben, und unsere Freunde sehen das genauso. Doch versuchen wir, mit ihr darüber zu reden, ist es, als würden wir zwei verschiedene Sprachen sprechen.«

Ist die Sicht aufs eigene Ich positiv, verkörpert sie eine innere Kraft, die uns erlaubt, auch unter widrigen Umständen unsere große Stunde abzuwarten. Mußte General de Gaulle nicht eine sehr robuste Selbstachtung haben, um von London aus den Widerstandsaufruf vom 18. Juni 1940 zu verbreiten, wo Frankreich doch gerade vor den deutschen Okkupanten in die Knie gegangen war? Der Glaube an seine persönliche Bestimmung überlagerte sich bei de Gaulle auf glückliche Weise mit einer politischen Vision, seiner »gewissen Idee von Frankreich« … Haben wir hingegen eine mangelhaft ausgeprägte Selbstachtung, werden wir durch eine zu eingeschränkte oder zu verzagte Vorstellung von der eigenen Person Zeit verlieren, ehe wir »unseren Weg« finden. So ist es Marianne (45), Modegestalterin, ergangen: »Wenn ich mir vorstelle, daß ich zwei oder drei Jahre verloren habe, weil ich Medizin und Pharmazie studierte, obwohl ich einen Horror vor diesen Dingen hatte! Einfach bloß, weil es mir mein Vater nachdrücklich ans Herz gelegt hatte! Damals wußte ich schon, daß es mir nicht zusagen würde und ein Kunststudium viel attraktiver für mich wäre. Aber ich war nicht sicher genug, daß ich in diesem Bereich Erfolg haben könnte. Ich hatte Angst, mein Glück zu versuchen.«

Diesen Blick, den wir auf uns selbst richten, verdanken wir unserem familiären Umfeld und besonders den Plänen, die unsere Eltern für uns geschmiedet haben. In manchen Fällen wird das Kind unbewußt beauftragt, das zu vollbringen, was die Eltern nicht erreichen konnten. Man kann also vom »mit einer Mission betrauten Kind« sprechen.2 Eine Mutter, die unter finanziellen Nöten gelitten hat, wird ihre Tochter dazu anhalten, sich nur mit Jungs aus wohlhabenden Familien abzugeben. Ein Vater, der sein Studium vermasselt hat, wird seinen Sohn dazu drängen, an einer Elitehochschule zu studieren. Solche Projekte sind legitim, aber unter der Bedingung, daß kein zu großer Druck auf das Kind ausgeübt wird und daß seine eigenen Wünsche und Fähigkeiten berücksichtigt werden. Wenn nicht, wird die Aufgabe für das Kind unlösbar sein, und es wird darunter leiden, daß es die großen Visionen, die seinen Eltern vorschwebten, nicht verwirklichen kann.

Nimmt man keine Rücksicht auf die Zweifel und Beunruhigungen eines Kindes, kann das bei ihm eine sehr zerbrechliche Selbstachtung entstehen lassen. Hören wir, was Jean-Baptiste (21), Student, dazu erzählt: »Ich hatte immer Angst, meine Eltern könnten enttäuscht sein von mir. Mein Vater hatte aus Gründen, die ich niemals so richtig verstehen konnte, keine Universität besucht, während seine Geschwister alle gute Studienabschlüsse hatten. Darum wollte er immer, daß ich in allen Dingen Spitze sein sollte. Klassenprimus, Bester im Sport, Klavierspieler – er hat mich immer so behandelt, als wären meine Fähigkeiten grenzenlos. Lange Zeit hat mich das auch stimuliert; ich war ein brillantes Kind, das man bewunderte. Und wenn ich sah, daß ich meinem Vater Vergnügen bereitete, gefiel mir das auch. Gleichzeitig machte es mich sehr ängstlich, und ich fürchtete immer, daß ich scheitern könnte. Noch heute bin ich von der Furcht besessen, meinen Vater zu enttäuschen. Weil ich fühle, daß er an mich glaubt, bin auch ich überzeugt, daß mir das Beste vom Besten zusteht. Ich studiere an einer Eliteuniversität, ich baggere nur hübsche Mädchen aus gutem Hause an, ich denke, daß mein sozialer Status einmal sehr hoch sein wird … Aber diese Vorstellung von den Dingen, die ich verdient habe, bewahrt mich nicht davor, große Angst vor Fehlschlägen zu empfinden: ich bin überempfindlich, und wenn ich einmal nicht erreiche, was ich mir vorgenommen habe, dann macht mich das ganz krank. Eigentlich bin ich meinem Vater dankbar, daß er mir die Überzeugung mitgegeben hat, ich würde das Beste verdienen und hätte auch das Zeug dazu, es zu erreichen. Aber mir fehlt noch eine innere Kraft, eine seelische Ruhe, um schlechte Momente durchzustehen. Ich habe noch nicht die Gewißheit, daß ich allen Plänen, die er für mich geschmiedet hat, wirklich gewachsen bin. Werde ich mit den Jahren dahin gelangen?«

In anderen Fällen treibt eine zu eingegrenzte Vorstellung vom eigenen Ich die Person dazu, sich in Abhängigkeit von anderen zu begeben. Man kann dann zufriedenstellende Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen, beschränkt sich aber auf die Rolle des Gefolgsmannes und beschreitet nur bereits gebahnte Wege. Man wird Mühe haben, persönliche Projekte ins Auge zu fassen und erfolgreich zu verwirklichen. »Meine Eltern«, erzählt Pierre (50), »haben mich geliebt und mir so viel Zuneigung geschenkt, wie ich brauchte. Aber irgendwo müssen sie etwas verpatzt haben. Ich habe mich niemals getraut, ich selbst zu sein. Mir scheint es so, als hätte ich mein ganzes Leben damit zugebracht, den anderen hinterherzulaufen. Zu warten, daß man mir ein Zeichen gibt und sagt: ›Die Bahn ist frei, alles in Ordnung, du kannst kommen.‹ Ich habe zum Beispiel dasselbe Studium gewählt wie mein bester Schulfreund. An der Uni bin ich oft mit Mädchen ausgegangen, mit denen er gerade Schluß gemacht hatte. Hätte er sich scheiden lassen, wäre ich imstande gewesen, seine Frau zu heiraten … Und was das Studium angeht, denke ich im nachhinein, ich hätte durchaus eine Ingenieurlaufbahn einschlagen können, wenn ich mich bloß getraut hätte. Aber ich habe lieber ein Fachschuldiplom als Kaufmann gemacht, nicht, weil mir das zugesagt hätte, sondern aus Angst, anderswo zu scheitern. Auf Arbeit ist es ähnlich: meine Vorgesetzten halten mir vor, ich hätte trotz all meiner Vorzüge zuwenig Ehrgeiz und keine weitreichenden Visionen. Wenn ich es mir richtig überlege, ist es meinen Eltern ganz genauso ergangen. Mein Vater hat sich sein ganzes Leben in einem uninteressanten Job abgestrampelt, und meine Mutter hat eine Laufbahn als Grundschullehrerin, die ihr sicher Freude gemacht hätte, geopfert, um sich zu Hause um meine Brüder und mich kümmern zu können.«

Selbstvertrauen

Das Selbstvertrauen ist die dritte Komponente der Selbstachtung (mit welcher es übrigens häufig verwechselt wird); es zeigt sich vor allem in unseren Aktionen. Wer Selbstvertrauen hat, glaubt, zu angemessenem Handeln imstande zu sein, wenn es darauf ankommt. Sagt eine Mutter, ihr Sohn habe kein Selbstvertrauen, will sie damit ausdrücken, daß er an seiner Befähigung zweifelt, den Anforderungen im Beruf zu genügen, auf die anderen zuzugehen, um ihre Wertschätzung zu finden, etc. Im Gegensatz zur Selbstliebe und besonders zur Sicht auf das eigene Ich ist das Selbstvertrauen nicht sehr schwer auszumachen. Es genügt, wenn man regelmäßig mit der betreffenden Person zu tun hat und beobachtet, wie sie sich in neuartigen und unvorhergesehenen Situationen, in denen etwas auf dem Spiel steht, verhält oder wie sie reagiert, wenn sie eine Aufgabe in Angriff genommen hat und dabei Schwierigkeiten auftreten. Das Selbstvertrauen könnte als Kategorie also weniger grundlegend erscheinen als die Selbstliebe und die Sicht aufs eigene Ich, ganz als wäre es nur eine Folgeerscheinung der beiden anderen. Das stimmt teilweise auch, dennoch scheint es uns eine äußerst wichtige Rolle zu spielen, denn die Selbstachtung will Taten sehen, wenn sie bewahrt bleiben oder sich entwickeln soll. Kleine Erfolge im Alltag sind für unser psychisches Gleichgewicht ebenso notwendig wie Nahrung und Sauerstoff für unsere körperliche Balance.

Woher kommt Selbstvertrauen? Vor allem aus dem Erziehungsstil, mit dem wir es in Schule und Familie zu tun hatten. Erklärt man dem Kind, daß Mißerfolge eine mögliche Konsequenz seines Handelns sind, aber keine Katastrophe? Wird es für seine Bemühungen genauso belohnt wie für seine Erfolge? Wie bringt man ihm bei, aus seinen Schwierigkeiten die richtigen Lehren zu ziehen und nicht etwa zu schlußfolgern, daß man am besten gar nichts tun sollte? Selbstvertrauen wird durch Worte und durch das gute Beispiel von Erwachsenen auf die Kinder übertragen. Ermutigt man ein Kind, Fehlschläge zu akzeptieren, wird das nicht viel nützen, wenn man sich selbst ganz anders verhält. Kinder wissen gut, daß die wahren Überzeugungen der Erwachsenen eher an ihren Taten als an ihren Worten gemessen werden sollten …

Unbekanntes und Widrigkeiten nicht über Gebühr zu fürchten, zeugt von einem guten Maß an Selbstvertrauen. »Wenn ich einen Kandidaten auswähle«, erläutert uns ein Headhunter, »dann achte ich mehr auf seinen Grad an Selbstvertrauen als auf seine technischen Fähigkeiten. Wie ich das Selbstvertrauen teste? Nun, indem ich ihn über seine Schwachstellen ausfrage, über das, woran es in seinem Lebenslauf mangelt. Indem ich versuche, ihn ein bißchen in Schwierigkeiten zu bringen, ihn auf freundliche Art zu destabilisieren … Wenn er dabei mitspielt, wenn er, ohne sich selbst herunterzumachen, seine Grenzen eingesteht und sich weder einzuigeln versucht noch zum Gegenangriff übergeht, dann sage ich mir, daß er sich im Betrieb genauso verhalten dürfte und daß seine Mitarbeiter denselben Eindruck haben werden wie ich.«

Gewiß ist unzureichendes Selbstvertrauen kein unüberwindliches Handikap. Aber die davon betroffenen Personen leiden oft an Hemmungen, was in kleinen alltäglichen Verrichtungen sichtbar wird: wenn man einen Brief schreiben soll, jemanden anrufen muß etc. So meint ein Handelsvertreter (30): »Eigentlich denke ich, daß ich eher ein sympathischer Typ bin, der ein gewisses Potential mitbringt. Ich sehe klar vor mir, was ich gern tun würde; auf jeden Fall bin ich imstande, es mir zu erträumen. Es scheint mir durchaus möglich, dorthin zu gelangen. Aber bis heute habe ich immer noch nichts unternommen, um meine Ziele zu verwirklichen. Ich möchte zum Beispiel meinen Job als Händler aufgeben und lieber unterrichten. Aber dazu müßte ich noch einmal studieren, und ich habe Angst, daß ich es nicht schaffen könnte. Und manchmal zweifle ich auch: vielleicht bin ich gar nicht geeignet für so einen Beruf? Dann hätte ich den Spatz in der Hand hergegeben, ohne die Taube auf dem Dach zu kriegen …«

Die Ausgewogenheit der Selbstachtung

Die drei Komponenten der Selbstachtung stehen gemeinhin in Abhängigkeit voneinander: Selbstliebe (sich selbst respektieren, egal was geschieht; auf die eigenen Wünsche und Bedürfnisse achten) befördert natürlich eine positive Sicht aufs eigene Ich (an seine Fähigkeiten glauben, persönliche Zukunftspläne schmieden), die wiederum von günstigem Einfluß aufs Selbstvertrauen ist (ohne exzessive Furcht vor Fehlschlägen und dem Urteil der anderen handeln).

Bei manchen Menschen kann es trotzdem geschehen, daß die drei Bestandteile auseinanderfallen. Nehmen wir den Fall, daß die Sicht aufs eigene Ich instabil ist: die betreffende Person hat dann nur ein oberflächlich ausgebildetes Selbstvertrauen; sobald ein ernsthaftes oder langanhaltendes Problem auftritt, wird ihre Selbstachtung in sich zusammenbrechen. Ein anderer Fall ist der Mangel an Selbstliebe: hier ist dem Individuum vielleicht eine außergewöhnliche Laufbahn geglückt, weil es von einer sehr positiven Sicht aufs eigene Ich gestützt wurde, aber ein Mißerfolg in der Liebe wird in ihm Zweifel und Komplexe auslösen, die er für immer begraben geglaubt hatte … Schließlich kann es einer Person merklich an Selbstvertrauen mangeln: dem Betroffenen ist eine perfekte Erziehung zuteil geworden, die Eltern haben ihn zu sehr geschützt, geliebt und umsorgt, damit er nicht leiden oder sich zu früh der Wirklichkeit aussetzen sollte; trotz aller Zuwendung, die er erhalten hat, wird er ewig zweifeln, ob er die Befähigung zum Erfolg mitbringt.

  Selbstliebe Sicht aufs eigene Ich Selbstvertrauen
Herkunft Qualität und Kohärenz der in der Kindheit empfangenen »Gefühlsnahrung« Erwartungen, Pläne und Projektionen, die Eltern in bezug auf ihr Kind haben Erlernen der Regeln fürs Handeln (etwas wagen, beharrlich sein, Niederlagen akzeptieren)
Nutzen Affektive Stabilität; erfüllte Beziehungen zu anderen Menschen; Widerstandsfähigkeit bei Kritik und Abweisung Ambitionen und Projekte, die man zu verwirklichen versucht; Widerstandsfähigkeit im Falle von Hindernissen und ungünstigen Konstellationen Im Alltag zu unkompliziertem und raschem Handeln fähig sein; Fehlschläge einstecken können
Mangelerscheinungen Zweifel an der eigenen Befähigung, die Wertschätzung der anderen zu gewinnen; Überzeugung, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein; Selbstbild mittelmäßig, sogar nach materiellen Erfolgen Mangel an Kühnheit bei existentiell wichtigen Entscheidungen; Konformismus; Abhängigkeit von der Meinung der anderen; wenig Beharrungsvermögen beim Realisieren der persönlichen Ziele Hemmungen, Zögern, Verzicht, Mangel an Beharrlichkeit

Die Grundpfeiler der Selbstachtung

Gibt es nur eine Selbstachtung oder sogar mehrere?

Manche Forscher meinen, daß Selbstachtung in Wirklichkeit die Summe aus verschiedenen Teil-Selbstachtungen ist, die für jeden Lebensbereich spezifisch sind und relativ unabhängig voneinander funktionieren. So kann man im Beruf eine gute Selbstachtung haben und in Liebesdingen eine weniger gute. »Auf Arbeit bin ich ein anerkannter Experte«, erläutert ein Ingenieur (40), »aber mein Privatleben ist über weite Strecken ein Schuß in den Ofen. Halte ich mich in meinem beruflichen Milieu auf, fühle ich mich wohl, denn ich weiß, daß ich begabt bin und die anderen mich schätzen. Ich zögere nicht, meine Ansichten zu äußern und mich manchmal auch gegen die Meinung der anderen zu stellen. Ich verstehe es, meine Ideen zu verteidigen. Ich fühle mich locker und ungezwungen, wenn ich neue Kunden oder Kollegen kennenlerne. Der Kontakt stellt sich leicht her, und ich fühle, daß ich die Aufmerksamkeit der anderen verdiene. Trete ich aber aus diesem Rahmen heraus, wird alles viel schwerer. Das spüre ich übrigens schon an meiner Art zu gehen, zu sprechen, und wie ich die anderen anschaue. Ich bin nicht mehr so ungezwungen. Ich habe den Eindruck, nicht mehr wirklich dieselbe Person zu sein. Ich brauche viel mehr Ermutigung, ergreife seltener die Initiative und wage weniger. Ich bezweifle, daß ich die Frauen, die mir gefallen, für mich interessieren kann. Wenn ich mit ihnen spreche, belauere ich ihre Reaktionen und habe das Gefühl, bei ihnen sehr bald Anzeichen von Langeweile auszumachen.«

Bei den meisten Menschen wird ein Erfolg oder Fehlschlag auf einem bestimmten Gebiet jedoch Folgen für alle anderen Bereiche haben. Liebeskummer wird bei einer abgewiesenen Person zum Gefühl eines umfassenden persönlichen Wertverlusts führen. Umgekehrt wird Erfolg in einem bestimmten Bereich meistens der Selbstachtung insgesamt Aufwind verschaffen. So beschreibt der italoamerikanische Autor John Fante, wie ein achtzehnjähriger Junge, der aus bescheidenen Verhältnissen stammt und von der Natur nicht eben verwöhnt worden ist, ganz besonders seinen linken Arm zu lieben beginnt, den »ARM«, der aus ihm einen exzellenten Baseballspieler macht. Auf diese Weise steigert er seine im übrigen Leben gefährdete Selbstachtung: »Aber der Arm hielt mich aufrecht. Dieser wunderbare linke Arm, meinem Herzen am nächsten […], mein Arm, mein gesegneter, heiliger Arm, den Gott mir gegeben hatte, und wenn der Herr mich auch aus einem armen Maurer erschaffen hatte, so hatte er mich doch mit Juwelen überhäuft, als er mir dieses Geschoß an die Schulter heftete.«3

Für andere Forscher ist es hingegen unmöglich, die Selbstachtung in getrennte Schubfächer zu unterteilen. Sie meinen, daß man schwerlich eine ausgeprägte Selbstachtung auf einem Gebiet haben kann, ohne daß auch ein benachbarter Bereich davon profitiert. Ist unsere Selbstachtung in einem bestimmten Bereich nicht berauschend, wird das unsere allgemeine Zufriedenheit mit der eigenen Person beeinträchtigen. Selbstachtung kann man danach nur als globalen Blick aufs eigene Ich begreifen. Fällt dieser Blick wohlwollend aus, wird er unsere Schwächen kleiner erscheinen lassen und uns erlauben, unsere Stärken zu nutzen. Hören wir dazu Laurence (28), Schwesternhelferin: »Es stimmt schon, daß ich keine Schönheit bin, ich wäre gern ein bißchen hübscher, ich will Ihnen da gar nichts vormachen. Aber ich weiß auch, daß ich den Leuten zu gefallen vermag, ich habe andere Vorzüge: ich bin humorvoll, optimistisch und nicht gerade auf den Kopf gefallen. Und ich sehe, daß die Leute mich schätzen. Na ja, und dann ist es auch keine Tragödie, wenn sich auf der Straße nicht jeder nach mir umdreht!«

Mangelhafte Selbstachtung kann hingegen bewirken, daß wir trotz unserer Erfolge zu streng mit uns selbst sind. Sie erweist sich damit als ernstes Hindernis für das Glücklichsein. »Ich habe das Gefühl, mein ganzes Leben irgendeinem unerreichbaren Ziel hinterhergerannt zu sein«, erzählt ein Arzt (48). »Als Jugendlicher war ich voller Komplexe, aber dann schien es mir, daß ich durch mein erfolgreiches Studium Selbstvertrauen gewonnen hatte. Nachdem ich erst einmal Mediziner war, wollte ich eine Assistenzarztstelle und dann Oberarzt in einem Krankenhaus werden. All das habe ich erreicht, denn ich steckte meine ganze Energie in diese Pläne: für mich waren sie sehr wichtig, um mich von meinem eigenen Wert zu überzeugen. Aber gestern wie heute überkommen mich Zweifel, und ich bin mit mir selbst nicht im reinen. Ich beneide Kollegen, die auf Ärzteversammlungen lockerer auftreten oder deren wissenschaftliche Arbeiten mir brillanter erscheinen. Dann sage ich mir, daß mich diese Jagd nach Erfolg meine Ehe und die Kinder vernachlässigen läßt. Davon kriege ich Reuegefühle, und ich zweifle noch stärker an mir selbst. Ich habe vielleicht nicht die richtigen Entscheidungen getroffen, um wirklich glücklich zu werden.«

Woraus sich Selbstachtung nährt

Eine junge Frau sagte uns kürzlich: »Ich zweifle oft an mir. In meinem Leben gibt es eine Menge Dinge, die ich gern ändern würde. Aber es gibt auch Momente, wo ich stolz auf mich bin, selbst wenn ich dieses Wort nicht leiden kann. Zum Beispiel, wenn ich mit meinen drei Kindern und meinem Mann ein paar ganz entspannte Stunden verbringe. Dann habe ich ein Gefühl von Erfüllung, von totalem Wohlbefinden, wie es uns, wenn man recht überlegt, in unserem Leben ziemlich selten begegnet. Es macht mich glücklich zu sehen, daß wir in der Familie einträchtig zusammenleben, und zu spüren, daß wir einander lieben. Das ist sehr ursprünglich, sehr emotional, beinahe animalisch. Und dazu kommt etwas ›Kopflastigeres‹, eine gewisse Zufriedenheit, der Eindruck, erfolgreich gewesen zu sein: wir haben sympathische Kinder (selbst wenn sie uns manchmal auf die Nerven gehen), die offen für andere Menschen sind und das Leben gern haben. Ich finde, daß sich all dies wenigstens teilweise durch meine Anstrengungen entwickelt hat, daß es mir nicht geschenkt wurde, sondern daß ich selbst es aufgebaut habe, daß es ein Erfolg ist, der nicht unbedingt selbstverständlich war. Drei Kinder aufziehen und dabei weiter berufstätig sein, das ist nicht so einfach.«

Nahrung für die Selbstachtung:

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Mit all unseren Aktivitäten versuchen wir, zwei große Bedürfnisse zu befriedigen. Beide sind gleichermaßen unverzichtbar für unsere Selbstachtung: wir möchten spüren, daß man uns liebt (schätzt, sympathisch findet, daß wir populär sind, begehrt etc.), und wir möchten uns kompetent fühlen (leistungsfähig, begabt, geschickt etc.). In allen Bereichen sind wir darauf aus, beide Bedürfnisse zu befriedigen: Politiker wollen Macht ausüben (Kompetenz), aber auch vom Volk verehrt werden (Liebe); auf Arbeit freut es uns, wenn wir Experten auf einem bestimmten Gebiet sind, aber wir möchten auch von unseren Kollegen anerkannt werden; in einer Ehe suchen wir nicht nur die Liebe unseres Partners, sondern wir wollen auch, daß er uns bewundert und achtet. Wird nur eines der beiden Bedürfnisse befriedigt, erfüllt das unsere Erwartungen nicht: wenn man uns liebt, ohne uns zu bewundern oder zu achten, macht uns das auf die Dauer infantil; wenn wir aber nur respektiert werden und nicht das Gefühl haben, auch auf Zuneigung zu treffen, ist das für uns frustrierend.

Diese für unser Ego notwendige Nahrung ist um so unverzichtbarer, als Selbstachtung uns nicht ein für allemal geschenkt wird. Sie ist vielmehr eine enorm bewegliche Dimension unserer Persönlichkeit: mehr oder weniger ausgeprägt und stabil, muß sie regelmäßig neu genährt werden.

Kapitel II
Selbstachtung und Selbstmißachtung

»Von Bescheidenheit zerfressen.«

Jules Renard

Welche Vorstellung haben Sie von sich selbst? Wie verhalten Sie sich, wenn Sie zur Aktion schreiten? Wie reagieren Sie auf Niederlagen und auf Erfolge? Nach Beantwortung dieser Fragen sollten Sie erkennen können, ob Sie sich sehr achten, ein bißchen … oder überhaupt nicht. Am Ende dieses Kapitels legen wir Ihnen außerdem einen kleinen Fragebogen vor, mit dessen Hilfe Sie schnell beurteilen können, in welchem Maße Sie sich selbst achten.

Erzählen Sie von sich!

Die Kunst, sich nicht ins rechte Licht zu rücken

Wenn Sie über sich selbst reden, wählen Sie maßvolle Worte. Sie stellen sich nicht als mutig hin, werden sich deshalb aber auch nicht gleich als Memme bezeichnen. Sie sind nicht allzu leckermäulig, obwohl sie ein gutes Essen lieben; Fremdsprachen sind nicht Ihre große Stärke, aber Sie sind auch keine Niete auf diesem Gebiet. Sie vermeiden prägnante Aussagen (»Ich finde das toll!«, »Das verabscheue ich!« oder »So und so bin ich!«), denn Sie fürchten das soziale Urteil (»Wenn ich von meinen Stärken rede, werden sie denken, ich wäre eingebildet, und wenn ich meine Fehler anspreche, werden sie mich für einen Schwächling halten …«). Gleichzeitig kennen Sie sich selbst nicht gut genug (»Im Grunde weiß ich selbst nicht recht, was ich mag und was nicht!«). Wenn diese Beschreibungen auf Sie zutreffen, ist es wahrscheinlich, daß Sie keine hohe Selbstachtung haben.4

Sie setzen sich dabei nicht herab, wie es eine depressive Person tun würde: Sie rücken sich einfach nicht ins rechte Licht. Präsentierte man Ihnen eine Liste mit positiven, neutralen und negativen Eigenschaftswörtern, würden Sie nicht wie die Individuen mit hoher Selbstachtung die positiven Merkmale heraussuchen, um sich zu beschreiben. Sie würden auch nicht unbedingt die negativen Adjektive auswählen, aber Sie würden dazu neigen, sich für die neutralen zu entscheiden.5

Bekenntnisse und Autobiographien: zwei Strategien, von sich selbst zu reden

In seinem den Schöpfern und Erfindern gewidmeten Monumentalwerk6 vergleicht der Historiker Daniel Boorstin nicht ohne spöttischen Unterton Jean-Jacques Rousseaus Bekenntnisse und die Memoiren von Benjamin Franklin. Es sieht ganz danach aus, als hätte der Amerikaner eine hohe Selbstachtung besessen, während die des Franzosen eher gering war.

Selbst wenn Rousseau einige Passagen zu seinen Gunsten zurechtgerückt hat, beschreibt er sich oft ohne jede Nachsicht: »So sollen sie [die Leser] meine Bekenntnisse vernehmen, bei meinen Schändlichkeiten aufstöhnen und über mein Elend erröten.« Franklin präsentiert hingegen seine Erfolgsstory. So schreibt er zum Beispiel: »Wer in sich selbst verliebt ist, wird keinen Nebenbuhler haben.«

Wie Boorstin anmerkt, war es Rousseaus Absicht, zu beichten und aufrichtig zu sein, während Franklin eher aufrichtig wirken wollte, indem er sein Image zur Schau stellte wie ein moderner Public-Relations-Spezialist.

Niedrige Selbstachtung ist ein Handikap in allen Lebenslagen, in denen man von sich selbst reden muß, um sich zu »verkaufen« (Vorstellungsgespräch) oder zu gefallen (Verführung eines potentiellen Partners). Cécile (30), Rechtsberaterin, macht alle Tage diese Erfahrung: »Ich bin von den Leuten enttäuscht; ich habe den Eindruck, sie ziehen immer Personen vor, die ein bißchen hysterisch sind und sich in Szene setzen. Eine meiner Arbeitskolleginnen ist zum Beispiel sehr beliebt bei uns, obwohl sie einen Haufen Fehler hat. Aber sie zögert nicht, diese Schwächen laut herauszukrähen und zu sagen: ›Ja, ich bin ein Lästermaul!‹, ›Alles, was belanglos und oberflächlich ist, finde ich toll!‹ und so weiter. Und so mögen die Leute sie sehr, weil man sich mit ihr nicht langweilt und weil sie einen beruhigt und sicher macht, wenn sie ihre Schwachstellen derart ins Schaufenster hängt. Mir dagegen sagt ein jeder, ich hätte keine Fehler, aber ich habe auch das Gefühl, trister, farbloser und langweiliger zu sein.«

Ein verschwommenes Bild

Stellt man Menschen, die eine geringe Selbstachtung haben, Fragen zu ihrer eigenen Person, dann werden sie länger überlegen als andere – und manchmal mit einer gewissen Verlegenheit antworten.7 Handelt es sich dabei um eine vorsichtige Haltung, um eine Form von Weisheit, bei der man nicht allzu klar Position beziehen möchte? Keinesfalls. Wenn man diese Menschen nämlich bittet, andere Personen einzuschätzen, sind sie durchaus imstande, sich mit der Antwort zu beeilen und deutliche Urteile zu fällen – ganz wie es Menschen mit hoher Selbstachtung tun, wenn sie von sich selbst reden …