HEIKO VAN DER SCHERM: „Die Aristokraten“
1. Auflage, April 2015, Edition Subkultur Berlin
E-Book-Version 1.1

© 2015 Periplaneta – Verlag und Mediengruppe / Edition Subkultur
Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin
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des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher
Genehmigung des Verlags.

Lektorat: Heiko van der Scherm
Cover: Heiko van der Scherm mit einem Artwork von NAGUMO

print ISBN: 978-3-943412-20-8
epub ISBN: 978-3-943412-68-0


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HEIKO VAN DER SCHERM

DIE ARISTOKRATEN



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Dieser Roman ist Melanie und Floh gewidmet,

die mich in Zeiten höchster Not aufgenommen

und unterstützt haben.

Danke an meine Mutter.

Du bist meine schärfste Kritikerin,

meine Inspiration und meine liebste Freundin.

Danke an Maryna und Antonio.

Ich lese gern für euch!

Danke an meinen Vater, der die Liebe zum geschriebenen Wort

in mir entfacht hat.

Das hast du jetzt davon!

Thanks to my chinese friend NAGUMO for providing me with an artwork beyond compare.

You Sir, are a true artist.

1. Das verkrüppelte Knie

Die Kniescheibe zersprang, als das Projektil mühelos die darüberliegende Haut durchschnitten hatte. Der Knochen lenkte die Metallkugel leicht ab. Sie platzte durch einen Muskel und prallte am Boden ab. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Mann den Schmerz noch nicht spüren. Die Nervenenden reagierten und während die Kugel auf das Familiensofa im Fernsehzimmer zuraste, machte sich der Nervenimpuls auf den Weg in das Gehirn des Mannes. Etwa gleichzeitig schlugen sowohl der Schmerz als auch das Projektil in ihren Bestimmungsorten ein.

Die Pistolenkugel verpasste einem weißen, flauschigen Teddybären, der auf dem Sofa platzgenommen hatte, einen Bauchschuss. Seine Schaumstoffeingeweide quollen dem Blut, das aus dem Bein des Mannes strömte, entgegen und verteilten sich auf dem hellen Teppichboden, auf dem, mit dem Gesicht nach unten, eine Frau lag.

Teresa war sechs Jahre alt, als sie die Waffe im Kleiderschrank ihres Vaters fand. Noch heute pocht ihr Herz, wenn sie daran zurückdenkt, wie sie sich damals umblickte und die weiße Lamellentür öffnete. Eine Hutkiste aus Mahagoni und ein Schminkstuhl hoben ihre 120 Zentimeter so weit über den Boden, dass sie mit den Fingerspitzen an die Waffe herankam, die ihr Vater unter einem Stoß Handtücher versteckt hatte.

Sie zerrte die Handtücher herunter, wie in Zeitlupe segelten sie zu Boden und bildeten eine weiche Unterlage für die fallende Waffe, die endlich nachgab, nachdem Teresas kleiner Zeigefingernagel minutenlang über die gerillte Oberfläche des Griffes gekratzt hatte. Mit einem dumpfen Geräusch endete die Schatzsuche.

Sie sprang von ihrem Turm und kauerte sich neben die Waffe auf den Boden. Ihre Hand und ihr Atem bebten, als sie über ihre Beute strichen.

Schwer und kalt hatte sich die Waffe auf ihrer Haut angefühlt. Die Fingerspitze ihrer kleinen Hand reichte kaum bis zum Abzug. Immer wieder streichelte sie über das verchromte Metall. Vielleicht könnte sie es mit ihren Fingern wärmen, doch ihre Hand nahm die Kälte der Waffe an. Sie hielt sie in der Rechten und presste die andere Hand an ihre heiße Wange und ihr vor Aufregung gerötetes Ohr.

Sie durfte nicht hier sein.

Ihr war bewusst, dass die Strafe für das, was sie hier tat, erheblich sein würde. Doch die Aufregung über ihren verbotenen Schatz verdrängte alle Angst.

Sie wusste, dass viele Leute im Fernsehen so etwas hatten. Sie zielten auf Menschen, dann machte es einen Knall und dann fielen sie um. Teresa hatte nicht vor, jemanden zu verletzen. Sie war nur neugierig.

Warum fielen die Menschen um?

Woher kam der Knall?

Würde ihr Vater wieder aufstehen, wenn sie auf ihn zielte und abdrückte? Vielleicht war es der Knall, der das Umfallen verursachte. Vielleicht erschraken sich die Menschen so sehr, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten.

Warum aber schliefen sie ein? Teresa konnte sich das nicht erklären.

Sie konnte nicht einschlafen, wenn es vor ihrem Zimmer laut war.

Wenn Mutter und Vater schrien. Wenn Türen knallten oder Gegenstände geworfen wurden. Wenn Mutter weinte.

So wie in diesem Moment. Am Fuß der Treppe.

Da stand sie. Sein Blick tastete sich die Stufen bis zu ihren nackten Füßen empor. An ihren Knöcheln wehte sanft der Spitzensaum ihres rosa Kleidchens. Hinter ihr schien die Sohne durch das Fenster und verlieh ihrem goldenen Haar einen gespenstischen Glanz. Das Gegenlicht malte ihr Gesicht beinahe schwarz. Ihr kleines Ärmchen war ausgestreckt, die Hüfte nach vorn geschoben, um ein Gegengewicht zu dem fast ein Kilo schweren Metallwachhund in ihrer Hand zu schaffen. Die Sonne streifte über das Chrom und bohrte einen kleinen Lichtpunkt durch den Raum in seine Pupillen.

Der Punkt waberte sekundenlang auf und ab, weil sich Teresas Trapezius nur mit Mühe gegen das Gewicht der Waffe wehren konnte.

Ein „NEIN!“ löste sich aus der Kehle des Mannes, nur Sekundenbruchteile bevor sich der Schuss löste und die Frau am Boden herumwirbelte.

Ihre Mascara-Kajal-Tränen-Maske deformierte sich zu einem erschrockenen Staunen, ein Luftzug zog spürbar an ihrem linken Ohr vorbei, dann zerplatzte der Teddybär auf der Couch hinter ihr. Der Mann kippte zur Seite weg und fiel. Sein zerschmettertes Bein konnte sein Gewicht nicht mehr halten und die Schwerkraft drückte seinen Kopf mit voller Wucht und einem hohlen Ton in den harten, von dünnem Teppichboden überspannten Beton.

Von diesem Tag an fürchtete sich die Mutter vor ihrer Tochter. Von diesem Tag an veränderte sich grundlegend jedes Gefühl, das sie dachte, ihrem Kind gegenüber gehegt zu haben.

Jedoch nicht, weil das Kind geschossen und den Vater für immer verkrüppelt hatte. Denn im Gegensatz zu ihrem Mann hatte sie ihre Tochter nicht im Gegenlicht gesehen. Durch ihre geschwollenen Augen und funkelnden Tränen hindurch konnte sie das Gesicht ihrer Tochter sehen, als sich der Schuss löste.

Das Kind hatte nicht einmal geblinzelt.

Papa war umgefallen. Irgendetwas war mit seinem Bein nicht in Ordnung. Er lag da und schrie, die blutigen Hände auf das zerfetzte Knie gepresst. Der Teppichboden bekam nach Mascara und Tränenflüssigkeit jetzt auch noch Blut zu trinken. Teresa wunderte sich über das schmerzende Knie ihres Vaters.

Sie kam nicht dahinter, dass sie etwas damit zu tun hatte.

Denn sie hatte auf den Kopf gezielt.

2. Die Reinigung

Marcus blinzelt. Von Schwärze umrahmt starrt er ins gleißende Feuer. Eine riesige Villa mit matt blauem Schindeldach, großen Fenstern mit vergoldeten Knäufen und einer Garage, welche Platz für mehrere Autos bietet, ist dabei, sich in den Flammen schwarz zu färben. Benommen steht er da, etwa 30 Meter vom Haus entfernt, und hält die Hand vor sein Gesicht, um es vor der Hitze und grellem Licht abzuschirmen.

Wütend spuckt das Haus armgroße Splitter aus, die qualmend im Gras liegenbleiben. Weißer, giftiger Rauch umweht Marcus‘ Turnschuhe, wie Fetzen kleiner Geister flieht er über das Gras und vergeht über dem Randstein. Scharf dringt der Rauch in seine Nase, zusammen mit der Hitze durchdringt er seinen Körper. Als die innere Anspannung weicht, zerrt sie Tränen mit sich und macht Platz für den Schmerz.

Jetzt, da Marcus seine Aufgabe erfüllt hat, hofft er, jeden Moment die süße Befriedigung zu spüren, die normalerweise mit einem Sieg einhergeht. Doch wo Triumph sein sollte, breitete sich nur gähnende Leere und bittere Selbstzweifel aus. Jetzt, wo es geschafft ist, wird die Entspannung zu seinem Fluch.

Marcus‘ verletzter Oberschenkel schwitzt Blut in seine Jeans und das Wesen neben ihm gibt einen grollenden, kehligen Laut von sich.

Marcus passt nicht in diese Szenerie aus brennendem Holz, schwarzem Rauch und Feuer. Sein Gesicht ist jung, nicht älter als Mitte zwanzig und er verfügt über den schlanken Körperbau eines Quarterbacks. Seine Lippen sind schmal, sein Haar dunkel, und wenn seine Augen nicht gerade auf ein Schlachtfeld wie jenes blicken, das sich im Moment vor ihm ausbreitet, tragen sie normalerweise eine Herzensgüte in sich, die den Menschen, die er trifft, den trügerischen Eindruck vermittelt, er könne keiner Fliege etwas zuleide tun.

Die Villa türmt sich vor Marcus und dem Wesen auf. Mit grellrotem Licht besprenkelte, chaotisch ineinander verkeilte Holzbalken, schwimmen in einem Meer aus Knacken, Flirren und Knirschen. Das Feuer saugt kalte Nachtluft in das Anwesen hinein und wie zum Trost atmet es einen lauwarmen Wind durch die Fenster, der von Marcus Tränen nur hauchdünne, salzige Krusten übrig lässt. Keine seiner Tränen wurde aus Schmerz oder Trauer vergossen, alle aus Verzweiflung und Anstrengung.

Ein maßloses Unverständnis nagt an allem in ihm. An seinem Stolz, seinem Menschenverstand, den er bis heute für gesund gehalten hatte und an seiner Menschenliebe. Sein Herz brennt und er versucht sich einzureden, es komme von der Hitze.

Sein Magen krampft sich in lähmendem Schmerz zusammen, als es ihn weiter in die Nähe des Hauses zieht. Vor etwa zehn Minuten hatte er es mit einem Kanister Benzin und einem Zippo in einen Ofen verwandelt. Er macht einen Schritt, dann noch einen. Der Rasen, der vom Nachziehen seines Beines sichtbar aufgerissen wird, macht seinen schlurfenden Gang hörbar.

Nicht einen Schritt zu weit will er von der Feuersbrunst entfernt sein, die den menschlichen Abfall im Inneren des Hauses gnadenlos zu keimfreien Staub zerkaut. Sie haben es verdient.

Feuer löst Fleisch von ihren Knochen und gemeinsam mit ihren Gebeinen werden sich mit der Zeit auch ihre Taten in Rauch auflösen. Das Feuer reinigt sie und machte sie so blütenweiß wie einst die Seelen ihrer Opfer, die sie verdorben hatten.

Er hätte sich auf diese Situation besser vorbereiten sollen, hätte Vorkehrungen treffen können. Doch wie bereitet man sich auf etwas Undenkbares vor? Trotzdem ist er stolz auf sich. Weil er die Situation unter Kontrolle bringen konnte und immer noch auf beiden Beinen steht. „Nun ja … auf dem einen Bein mehr als auf dem anderen“, denkt er und ein rasch weggeatmetes Lächeln gräbt sich in seine Mundwinkel.

Mit einem grellen Knall explodiert die Gasflasche des Küchenherdes. Der Druck katapultiert das gusseiserne Spülbecken durch die verkokelten Holzträger im Erdgeschoss, die wirken, wie die zitternden Beine eines dürren Mannes, der zähneknirschend versucht, das obere Stockwerk in die Höhe zu stemmen.

Die Holzbalken brechen und das obere Geschoss fällt müde in das feurige Grab des Wohnzimmers und spuckt Funken, Holz und Asche auf den peinlich geschnittenen, englischen Rasen.

Von fern kann man das Heulen von Sirenen hören. Der Brand ist nicht unbemerkt geblieben. Schon greift er nach den umliegenden Bäumen und erleuchtet gierig fressend ihre Kronen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Nachbarn ihre Häuser verlassen müssen.

Die Sirenen werden lauter, das Wesen neben ihm heult auf. Marcus berührt es an der Schulter und bringt es mit einem freundlichen Wink zum Verstummen. Zitternd gleitet seine Hand durch sein dunkelbraunes Haar und verteilt das Blut, das an seinen Fingern klebt, wie Haargel an seinen Schläfen.

Er beugt sich hinab und seine Hand schließt sich entkräftet um ein brennendes kantiges Stück Holz. Er hebt es hoch, rauchend und glühend liegt es trocken und rau in seinen Händen. Dies soll seine Waffe sein für die Wache, die er halten würde. Solange bis die Polizei eintraf. Solange die Feuerwehr löschte. Solange bis sie die Überreste der Leichen fanden, die er zusammen mit dem Haus verbrannt hatte. Sollte doch noch Leben in einem dieser Bastarde sein, würde er es mit diesem Holz aus ihnen herausprügeln.

Marcus macht sich bereit zu töten.

3. Das fette Kleid und sein Schicksal

Teresa lehnte sich zurück, ihr enganliegendes Shirt betonte ihre perfekte Figur. Sie schlug ihre Beine übereinander und ihre magischen, dezent geschminkten Augen tasteten jeden Winkel des Schuhgeschäftes nervös ab. Es war Sommer in Los Angeles und „Ganz besonders in diesem verdammten Laden“, dachte sie.

Tapfer kämpfte die Klimaanlage auf verlorenem Posten. Jeder Atemzug trocknete unbarmherzig Teresas Nasennebenhöhlen aus. Sie stellte sich vor, wie jedes einzelne Bakterium, das in dieser Maschine ausgebrütet wurde, wie in einem klebrig eitrigen Nest, aus der Faulheit des Ladenmanagements zusammengeschmiert, in ihrer Lunge wie ein gelber Paintball platzte.

Der Gedanke paarte sich mit gellenden Quietschlauten, die von einer Gruppe Mädchen in der anderen Ecke des Raumes ausgingen. Jeder Atemzug – tief und ruhig, tief und ruhig, tief und ruhig – erhöhte Teresas Aggression.

Die Clique tobte drei Meter vor ihr. Ihre hektischen Bewegungen tragen ihren Dunst zu Teresa herüber. Parfum, viel zu süß, der Leichenduft des Teenie-Konsumzombie-Prototypen.

Alleine, mit einem bohrenden Gefühl in ihrem Darm, das ihr vermitteln wollte, dass etwas unternommen werden musste, saß Teresa da. Ein Mädchen, kaum zwei Jahre jünger als sie selbst, umklammerte mit ihren verschwitzten, von Maniküre-Sklaven polierten und mit winzigen Strasssteinchen verzierten Fingernägeln einen Schuh, der die Hälfte eines durchschnittlichen amerikanischen Monatseinkommens kostete.

Teresas Augen bissen sich an ihr fest.

Dieses Mädchen lachte. So schrill. So unerträglich.

Teresa blickte nach unten auf ihre eigenen Hände. Auch diese waren manikürt, die Strasssteinchen fehlten.

Sie hatte keine gewollt. Angeboten wurden sie ihr.

Sandy saß neben ihr. Ihre leckere, kleine Sandy. Mit frischen, mandelförmigen Augen schaute sie Teresa an. „Probier‘ mal die, die sind doch schön.“ Sandy hielt ihr den Schuh hin.

Apathisch blickte Teresa ihn an.

Ein weiteres hysterisches Lachen des Mädchens schrammte über das zarte Jungfernhäutchen ihrer Beherrschung.

Es war eine Gruppe. Eine Schuhe kaufende Mädchenclique. Sie hatten angefangen, den Schuh hin und her zu werfen. Ein anderes Mädchen, das in einem gelb und grün gestreiften Kleid steckte, versuchte den Schuh zu fangen. Dicke Fettringe waberten unter einer Oberweite, die der eines Säuglings glich.

Teresa würgte. Sie wollte den Schuh. Ja, sie wollte ihn unbedingt, das sah man ihr an. Sie rannte und schwitzte und sprang und ihr Bauch waberte, zäh wie ein gelbgrüner Pudding, an ihren Hüften auf und ab. Ihre speckige Haut rieb Ströme von parfümiertem Schweiß in die kratzende Kunstfaser, die sie über ihren schweineähnlichen Körper gespannt hatte. Teresa stellte sich die widerliche Kuh vor, wie sie die Beine für einen Typen breitmachte, der die Begebenheit später vor seinen Freunden verschweigen würde, aus Angst, als jemand zu gelten, der alles fickt, was noch einen Puls hat.

In Gedanken sah Teresa den Schuh lose an den Zehen des Mädchens hängen, auf und ab wippend im Takt der Partygeräusche, die durch die verschlossene Tür drangen, jedes Mal, wenn der Schwanz des Typen, der eine halbe Flasche Wodka gebraucht hatte, um sich die Fotze schön zu saufen, an die Tür ihrer Gebärmutter klopfte. Auf dem Rücken liegend, ihr fettiger Leib auf dem Bettlaken verteilt.

Sie werfen den Schuh und kreischen, das fette, gelbgrüne Kleid jagt hinterher. Ihr Daddy hatte ihr seine Kreditkarte mitgegeben, bald würde sie die Schuhe besitzen. Sie hätten ihr gehören können, wenn … ja, wenn Teresa nicht an diesem Tag nur ein paar Schritte neben ihr gesessen hätte.

Nur zwei Meter Distanz wären zusätzlich nötig gewesen und sie hätte Teresa kommen sehen. Hätte ausweichen, davonlaufen, sich verstecken können.

Teresa wünscht sich Erlösung. Erlösung von der Angst genauso zu werden wie sie. Fast wünscht sie sich dieselbe Befreiung für das Kleid. Jedoch nicht für den Menschen, der in dem Kleid steckt.

In dem Moment, als Teresas Gefasstheit zerreißt, wird aus dem Mädchen in der gelbgrünen Wurstpelle nichts weiter als ein Klumpen Fleisch, der ein Problem darstellt, das gelöst werden muss.

Teresas Herz hüpft vor Freude. Ein Lächeln umspielt ihre perfekten Lippen, als sie sich entschließt, etwas zu unternehmen.

Sie reißt Sandy den Schuh aus der Hand.

Sandy schaudert zurück. Sie kannte den Ausdruck in Teresas Augen. Es war ein kaltes, zähnefletschendes Stieren, das auf bizarre Weise nicht zu einem menschlichen Auge passte.

Teresas Hand umklammert den Schuh. Sie macht einen Schritt, sie wird schneller, ihre Gedanken rasen, sie sieht das Ziel auf sich zukommen. Sie konzentriert sich und holt aus.

Die Wurst taumelte abgelenkt in ihre Richtung, dann schlug der Absatz des Schuhs stumpf und wuchtig in das verdutzt guckende Gesicht über den viel zu stark geschminkten Augen ein.

Teresa trifft ihre Stirn. Die Wurst platzt auf.

Das Kleid war nun grün, gelb und rot. Teresa hackt mit schnellen Schlägen auf das Gesicht ein. Sie will den Knochen unter der Haut sehen. Fiebrig arbeitet sie daran, ihn freizulegen.

Sie will, sie WILL, SIE WILL, den Knochen unter der Haut sehen, die nun in strähnigen Fetzen vom Gesicht des Mädchens hängt. Erneut schlägt sie auf dieselbe Stelle. Ein Fetzen wird abgequetscht, mehr Blut spritzt, Teresa kann es warm auf ihrem Gesicht spüren.

Ein erneuter Schlag. TOCK, TOCK, TOCK, TOCK. Teresas schäumende Wut wirkt wie ein Schutzschild gegen das weinerliche Schreien, das von allen Seiten auf sie niederprasselt.

Sie nimmt die Schreie nur dumpf und verschwommen wahr, als sie auf ihrem Opfer sitzt und es unbarmherzig bearbeitet. Mit Leichtigkeit bezwingt sie die Hände der Zuschauer, die nach ihr grabschen, um sie zurückzuhalten. Teresas Schenkel sind gespreizt und gegen das hässliche Kleid gepresst, die linke Hand in den Haaren des Mädchens, die Fingernägel ihrer Rechten in das weiche Leder der 5000 Dollar Pantolette gekrallt, an deren Absatz sich jetzt zerquetschte Haut von der Stirn des Mädchens sammelt. Hell und rosa schimmert der Knochen durch die Tränenflüssigkeit auf Teresas Lidschatten.

Der Triumph lässt sie für eine Sekunde innehalten.

Sandys Stimme drang zu ihr durch. Sie feuerte sie an.

Das Gesicht des Mädchens, zur Unkenntlichkeit hinter einem Vorhang aus Blut verborgen, regte sich nicht mehr. Der Ladenbesitzer, der Teresa umklammerte und dabei die Blutspritzer auf seinem Gesicht an ihrem duftenden Haar verteilte, zog sie nach oben. Kein Geräusch kam über Teresas Lippen, ihr Gesicht war entspannt.

Sie ließ sich von ihrer Beute wegzerren. Sie war ohnehin mit ihr fertig. Was sie tun musste, hatte sie vollbracht.

Gierige schaulustige Augen saugen jeden Lichtstrahl ein, der von Teresa und ihrem Amboss aus Fleisch reflektiert wird. Sie hatte es geschafft, den Umstehenden mit ein bisschen Action den Nachmittag zu versüßen. Heute Abend würden sie beim Dinner mit stierenden Augen und waberndem Doppelkinn davon berichten, wenn sie sich ihre voll im L.A. Trend liegenden vegetarisch organischen Biodelikatessen in ihre Mägen stopften, die genau so weit gedehnt sind wie Teresas Unrechtsbewusstsein.

Teresa war erschöpft und erregt. Ihr Slip war feucht.

Nicht vom Schweiß. Sie war gekommen, kurz bevor ihr Opfer das Bewusstsein verlor. Teresa hatte sie gefickt. Das Fett und der raue Stoff des Kleides hatten sich gut angefühlt zwischen ihren Beinen.

„Endlich bist du leise“, flüsterte sie.

„Keinen Fick für dich, gelb-grün-rotes Kleid“, dachte sie, und alles, was Teresa empfand, war der wohlige Schauer der Befriedigung.

4. Die teuersten Schuhe von Los Angeles

„Die Sonne scheint hier nicht“, denkt Teresa. Sie sitzt in einer Sammelzelle. Graue Gitter, graue Gesichter, grauenhafter Geruch. Um sie herum Unterschicht-Schlampen. Drogennutten.

Menschlicher Abfall. Untermenschen.

In Teresas Kopf rangieren diese Kreaturen genau zwischen Dreck unter den Fingernägeln und Hundescheiße an ihrem Absatz. Sollte nur eine von ihnen ein Wort an sie richten, wäre das Grund genug für sie ein neues Massaker anzurichten. Fast wünschte sie sich, eine dieser Schlampen würde sich trauen, ihr Maul aufzumachen.

Keine tat es. Sie starren auf Teresas Gesicht, ihre Hände und Arme, die bis zum Ellenbogen immer noch mit Blut besudelt waren.

Diese Kuh mit dem Schuh zu erledigen war pure Spielerei gewesen. Teresa weiß, wie man Fäuste einsetzt. Nur hatte sie nicht riskieren wollen, sich die Knöchel blutig zu schlagen und sich womöglich Aids einzufangen. Praktisch gedacht hatte diese Schlampe ausgesehen, als ob ihr Mund angenehmer zu ficken wäre als ihre Fotze oder ihr Arsch. Aber man konnte nicht vorsichtig genug sein.

Dies ist einer der wenigen Momente, in dem Teresas Äußeres ihrem Innenleben gleicht. Ansonsten ist sie genau das Mädchen, nach dem sich jeder auf der Straße umdreht. Schnell, ruckartig, starr, in Bewunderung oder Neid. Egal ob Mann oder Frau.

Eigentlich gab Teresa ausgesprochen viel auf ihr Äußeres. Doch im Moment, in dieser Zelle, in der sie sowieso nichts daran ändern konnte, machte sie sich lediglich Sorgen darüber, ob sie den Schuh am Kopf der Schlampe zerbrochen haben könnte.

5000 Dollar. Hm. Um den Preis ging es ihr nicht und auch nicht um das Schmerzensgeld, das ohnehin beträchtlich sein dürfte. Nein, seit heute Morgen waren sie in fünf verschiedenen Schuhgeschäften gewesen, wofür sie beinahe 50 Meilen mit dem Auto zurückgelegt hatte und erst in diesem Geschäft hatte sie die einzigen wirklich tragbaren Schuhe des heutigen Tages gefunden.

Und Teresa lies sie in Blut ersaufen. Verdammter Mist. Wirklich schade drum. „Prada Wildleder Schuhe …“ Sie dachte nach und beinahe sprach sie die Worte laut aus. „Das Geschäft wird die Dinger reinigen lassen“, dachte sie, „mit Sicherheit.“

Sobald sie hier rauskam, würde sie in den Laden zurückgehen und das Paar kaufen. Geld stank nicht und jemandem, der 5000 Dollar für Schuhe ausgab, erteilte man auch kein Hausverbot. Und falls noch Blutflecken auf den Schuhen übrigblieben, hätte sie eine nette Geschichte auf ihren Partys zu erzählen, wenn sie jemand nach den Flecken fragte.

Und das Beste war: Zusammen mit dem Schmerzensgeld dürften das nun die teuersten Schuhe von Los Angeles sein.

Teresa kicherte zufrieden.

Einige der Frauen drehen ihre Augen kurz in ihre Richtung, bemerken, dass dies keine gute Idee ist, und schlagen ihre Blicke wieder nieder.

„Eine“, dachte Teresa. „Nur eine.“

Dann sprang die Gefängnistür mit einem metallischen Rumpeln auf. Ein dunkelhäutiger, gutmütig wirkender Polizist zog die Gitterstäbe zur Seite. Teresa erkannte einen Mann in einem makellosen schwarzen Anzug mit einer eisgrauen Krawatte hinter der Tür.

Behände stand sie auf und bewegte, mit grazilem Schaukeln ihres Hinterns, ihre 48 Kilo betont langsam auf den Ausgang zu. Wie auf dem Laufsteg. Wie eine scheue Antilope. Der Cop, der ihr die Tür aufhielt, starrte ihr auf die Titten, die nackten Füße und den Arsch. Er tat es so, wie es jeder Mann tat, mit Ausnahme von demjenigen, der vor der Zelle auf sie wartete. Sie ging an ihm vorbei.

„Fick dich, Dad!“

5. Der Strand. Teil 1.

Sandy lächelt Teresa an. So warm und sexy. Ihre faszinierenden asiatischen Augen funkeln durch ihre hellblaue Sonnenbrille. Die Strandsonne streichelt ihr pechschwarzes Haar und ihr weißer Bikini fängt sanft ihre perfekten Brüste auf, die zwischen den in den Sand gestützten Ellbogen unbekümmert herunterbaumeln. Ihre Beine bewegen sich sanft im Wind und ihre Pobacken reiben sich einladend aneinander.

Weiße Sonnenschirme wachsen wie dürre Pilze aus dem Strandboden, das Meer rauscht leise im Hintergrund und untermalt die friedliche Atmosphäre ihres Rückzugsgebietes. Die Palmen wiegen ihre dunkelgrünen Blätter im warmen Wind.

Hier her kommen sie um Ruhe und Entspannung zu finden, um Pläne zu schmieden oder über ernsthafte Themen zu sprechen, denn Teresa und Sandy sind nicht oberflächlich.

Beim ersten Hinsehen waren sie ein recht ungleiches Paar.

Teresa blond und von eher blasser Hautfarbe, Sandy tief schwarzhaarig und mit relativ dunkler Haut. Teresa hatte einen aufbrausenden, höchst aggressiven Charakter, der oft schlagartig ins Cholerische umkippte.

Sandy war eher still und leise, mit einer hintergründigen, intelligenten Art Probleme zu lösen. Zusammen bildeten sie ein explosives Gemisch.

Was sie gemeinsam hatten, war ihre Gewaltbereitschaft und die absolute Freiheit von jeder Art von Moral oder Skrupeln.

„Geht nicht!“ war ein Satz, den die beiden nie in den Mund nahmen. Alles ging, alles konnte gemacht werden, keine Überlegung war Tabu, keine Aktion unverhältnismäßig. Solange es keiner von beiden schadete, wurde es umgesetzt. Und vieles davon war kriminell. Teresa und Sandy sind das fleischgewordene unheilige Yin und Yang.

„Reinrassige Asiatinnen sind entweder supersexy oder ätzend hässlich“, sagte sie jedem, der es hören wollte.

Sie selbst hatte dieses Problem nicht. Sie ist ein Mischling. Eine Promenadenmischung, von einem kaukasischen Hund und einer asiatischen Hündin in der Hundeposition gezeugt. Sandy macht der Gedanke scharf, auf einer Promenade gezeugt worden zu sein auf der hunderte Leute zusehen können, auch wenn dies für sie nur „romantischer Schwachsinn“ ist.

Sandys Eltern sind genauso eingeklemmt in die Gepflogenheiten der sie umgebenden Gesellschaft, verklemmt, verkorkst und unbeweglich wie alle anderen hier in Los Angeles. Vergiftet von Bigotterie unter dem Deckmantel einer vorgespiegelten Aufgeklärtheit. Der amerikanische Traum ist das faulig lächelnde Gebiss eines Goldschürfers, der auf der Jagd nach dem großen Reichtum innerlich verrottet. Das Töchterchen hatte dies begriffen und sieht keine Veranlassung, ihre Eltern darauf aufmerksam zu machen, denn deren Geld ist Sandys Freiheit.

Mit ihren fauligen rot-weiß-blauen Zähnen haben ihr ihre Eltern den Weg freigebissen und mit ihren zittrigen, nach harter Arbeit stinkenden, rot-weiß-blauen Fingern, haben sie Dollarbündel in die Matratze gestopft, auf dem sich Sandy nun, bis an das Ende ihres Lebens, mit Koks vollgedröhnt durchficken lassen kann.

Sandy kann es recht sein und ihre Eltern kümmern sie nicht. Es gibt wenig, was Sandy nahe geht, denn selbst die, die sich um sie sorgen, sollten nicht in Betracht ziehen ein Recht darauf zu haben, dass sie sich auch nur im Geringsten um sie schert.

Denn Sandy ist beschäftigt.

„Da das Geldverdienen im herkömmlichen Sinne wegfällt, kann ich mich ganz entspannt aufs Verrotten konzentrieren.“ grinst sie ihren Eltern entgegen, wenn diese sie nach ihrer Zukunft fragen.

Ihre Eltern wissen, dass ihre Tochter 1000 Dollar für einen Handjob verlangt und es verstört sie, dass Sandy ihr Geld auf diese Weise verdient, obwohl sie es nicht müsste. Ihre „Freier“ wussten, dass sie eine Tochter aus reichem Hause ist und das reizt sie. Sandy ist keine billige Straßenhure.

Sie ist ein Luxus-Sexspielzeug, das sich ihre Verehrer selbst aussucht. Dabei ist Sandys Hauptinteresse kein Sexuelles wenn sie Männer, die es sich leisten können, mit der Hand befriedigt. Hauptsächlich will sie ihren Eltern beweisen, dass es etwas gibt, was sie mit ihrem Geld nicht kaufen können.

Die Loyalität ihrer Tochter und:

6. Spaß

Es begab sich auf der Feier ihres fünfzehnten Geburtstages und alle ihre Freundinnen, die sie damals noch besaß, waren in das Anwesen ihres Vaters eingeladen worden. Ihre Mutter, still und unauffällig, wie Sandy auch, verteilte Häppchen an die Mitglieder des Golfclubs die James, ihr Vater, zum Mitfeiern eingeladen hatte.

In seinen weißen Golfhosen und einem dunkelblauen Pullover mit weißen Streifen, der um den Brustkorb verknotet sein Polohemd verdeckte, stieg er gut gelaunt, auf der Suche nach seiner Tochter, die Treppe zum Westflügel seines Anwesens hinauf. Er öffnete sein Arbeitszimmer und überraschte sie auf dem Boden kniend neben dem hölzernen antiken Globus.

Chuck, einer seiner übermäßig fetten Golfkollegen stand mit heruntergelassenen Hosen vor Sandy und hatte ihr Gesicht, ihre Brüste, die von einem BH verdeckt wurden, in dem tausend Dollar steckten und den Zedernboden, in den sich ihre Zehen eingekrallt hatten, mit einer ungewöhnlich großen Ladung seines Spermas besudelt.

Der Vater tat das einzig Falsche und schloss die Türe wieder. In diesem Moment wusste er, dass er verloren hatte. Sein amerikanischer Traum war ausgeträumt.

An ihrem achtzehnten Geburtstag schluckte Sandy zum ersten Mal Chucks Sperma. Chuck und Sandy nannten es damals heiter „Geburtstags-Tradition“. Wie sie ihrem Vater eröffnete, hatte sie es ihm an jedem ihrer Geburtstage mit der Hand besorgt. Seit sie dreizehn war.

An ihrem Achtzehnten allerdings nahm sie das Schauspiel auf Video auf und schickte das Band seiner Frau. Die sah es, ließ sich scheiden, Chuck verlor all sein Hab und Gut vor einem Scheidungsgericht und starb ein Jahr später, nach einer Überdosis Schlaftabletten und billigem Fusel, in einem Bahnhofsklo. Wie ein Feigling, in seinen eigenen Fäkalien.

Das ist es, was Sandy unter Spaß versteht.

7. Der Strand. Teil 2.

Der sanfte warme Wind lässt Seemöwen fast regungslos segelnd in der Luft stehen. Sie sehen aus wie Drachen ohne Nylon und Grundschüler.

Sandys Stimmung ist gut. Noch. Denn Teresas momentane geistige Verfassung bereitet ihr Sorgen. Sandy hat das Gefühl, dass mit ihrer Freundin etwas nicht stimmt. Gedankenversunken wischt sie ihr kleine Sandkörner vom Körper, die die Sonne an ihrer hellen Haut festgebacken hat.

Sandy versucht, den Blick ihrer Freundin zu deuten. Seit sie hier angekommen waren, hatte Teresa immer weniger und weniger gesprochen und war schließlich gänzlich verstummt. Als bedrückte sie etwas.

Sandy hatte immer wieder versucht ein Gespräch anzufangen, aber Teresa hatte jeden Versuch immer nur mit Blicken, nicken oder kaum sichtbarem Kopfschütteln quittiert. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, begann sie endlich zu sprechen.

„Geld ausgeben und Partys“, seufzt sie. „Zum Kotzen“, spuckt sie leise hinterher. Teresas Laune macht Sandy unsicher, da sie nicht besonders viel Übung darin hat sich in jemanden hineinzuversetzen.

Sie kichert leise bei dem Gedanken in sich hinein, dass es ihr am einfachsten in dem Moment gelungen ist, als Chucks Schwanz zu zucken begann, kurz vor seinem Orgasmus. Fünfmal hatte er sich gewünscht seine Ladung in ihren Rachen zu spritzen und viermal hatte sie ihn vorher herausgezogen.

Sie wusste schon mit dreizehn, dass sie es ihm irgendwann erlauben und dafür sein Leben ruinieren würde.

Immer wenn Teresa so ist wie jetzt, dann wünscht sich Sandy mehr Einfühlungsvermögen. Sie will ihrer Freundin helfen, doch sie hat nicht genügend Phantasie, um auf etwas zu kommen, was Teresa weiterhilft. Stattdessen schaut sie den winzigen Sandkörnchen zu, wie sie langsam, von zarten weißen Hauthärchen liebkost, Teresas Rücken hinunterkullern.

„Scheiße … , was ist nur mit dir, Baby …“ Es war ein schlechter Beginn für einen neuen Versuch etwas aus ihr heraus zu kitzeln, doch immerhin war es einer.

Teresa schaut Sandy mit ihren blauen Augen an. Der Ozean und der blaue Himmel erstrecken sich hinter Teresa in die Unendlichkeit und für einen Moment sieht es so aus, als seien ihre Pupillen lediglich Löcher in ihrem Kopf, durch die man den Himmel und den Ozean in seiner ganzen Pracht hindurchstrahlen sehen kann.

„Es ist jeden Tag derselbe beschissene Alptraum, Sandy. Wir gehen in die Schule, wir gehen shoppen, wir gehen an den scheiß Strand. Wieder und wieder und wieder. Nichts verändert sich, alles bleibt gleich. Keine Aufregung, keine Action. Scheiße.“

Sandy nickt zustimmend. Die Tatsache, dass Teresa sich ihr anvertraute, beruhigte sie. Die Schwere in ihr, die sich immer dann entwickelte, wenn Sandy fürchten musste, dass Teresa gleich einen ihrer Wutanfälle bekam, lichtete sich ein wenig.

Wenn Sandy allerdings gewusst hätte, zu welchem grausamen Schluss ihre Freundin bei ihrem inneren Monolog gekommen war, hätte sich dieses erleichterte Gefühl wohl nicht eingestellt.

„Ich vermisse etwas“, fuhr sie fort. „Etwas Intensives. Etwas Neuartiges.“ Teresa dreht sich in die Sonne. Der Ozean in ihren Augen starrt nun auf sich selbst. Erneut verdichtet sich das Schweigen zwischen ihnen zu einer Mauer.

„Was soll das heißen?“, fragt Sandy knapp, bevor die Stille zu unangenehm wird. Teresa wendet ein bisschen peinlich berührt ihren Blick ab. Wie ein kleines Kind das man beim Naschen erwischt hat. Sie zieht ihren Finger in Kreisen durch den Sand und ihre grellen blauen Augen bohren sich in Sandys Gesicht.

Sie sagt etwas und ein bezauberndes Lächeln schleicht sich in ihr Gesicht bevor ihre Zähne langsam und nachdenklich an der linken Hälfte ihrer Unterlippe knabbern.

„Ich will noch jemanden töten.“

8. Kens Zimmer. Teil 1.

Blickt man aus der Luft auf Beverly Hills, genießt man die Illusion perfekter Ordnung. Das Grün der Vorgärten, die Bewegung der Palmen an den Straßenrändern und trockenes Braun, das an den Stellen durchscheint, die die Rasensprenger nicht erreichen. Blaue Pools und Orangen an den Bäumen schimmern im Sonnenlicht durch das Grün und die Dächer der Häuser wirken dabei wie Briefmarken, fein säuberlich und immer im selben Abstand in ein Album gesteckt.

In der Dämmerung, genau jetzt, werden nach und nach die Farben von der Dunkelheit aufgefressen. Das Orange und das Blau verlieren ihre Bedeutung und werden vom Mondschein, der kraftlos über die Stadt kriecht, zu Grau degradiert.

Die Autoscheinwerfer der spät nach Hause zurückkehrenden Familienväter streifen die Häuser und werfen verkrüppelte Schatten auf die weißen Gehwege und bleichen Einfahrten.

Schleicht man zusammen mit dem Mondlicht näher an die Häuser heran, so wird die perfekt erscheinende Ordnung nach und nach demaskiert. Schlecht gewartete elektrische Anlagen auf hölzernen Telefonmasten, herumliegendes Kinderspielzeug in den Gärten, verrostende Gartenliegen an Pools.

Vor den Häusern kauern schlecht ausgebesserte Straßen, die wie billige Patchwork-Decken aussehen. Auch hier in Beverly Hills, dem „feuchten amerikanischen Traum“, sieht, wie im übrigen Los Angeles, alles so aus, als sei es mit Spucke und Kaugummi zusammengeklebt.

Mehr Schein als Sein, wohin man auch sieht.

Ein Haus liegt still in der Dunkelheit, weiß, mit einem dunkelblauen Dach. Keine Unregelmäßigkeit ist an seinen Wänden zu erkennen, wie ein Werbebild in einer Immobilienzeitschrift.

Ein Fenster allerdings, das über einem breiten Veranda-Dach in die Frontseite des Hauses eingelassen ist, trübt den Gesamteindruck. Es wurde mit Pappkarton verklebt. Eine kleine Stelle in der linken oberen Ecke wurde übersehen oder mit Absicht freigelassen. Durch diese Stelle fällt das Mondlicht auf eine von außen und innen verschmutzte Scheibe.

Etwas bewegt sich in dem Raum dahinter, beinahe unsichtbar, beinahe von Schatten verschluckt. Ein menschlicher Arm, riesig und muskulös, wird vom Mondlicht eingehüllt. Riesige Finger, wie Klauen, nicht wie normale menschliche Glieder gewachsen, sondern seltsam verdreht, wirken so, als würden sie sich gegenseitig behindern. Die Muskeln des Unterarms formen sie zu einer Faust und das ganze Armgebilde reißt mit stoischer Monotonie an einer Kette, die es, mit einer gepolsterten Manschette an ihrem Ende, mit der metallischen Einzäunung eines Krankenbettes, verbindet.

Der Raum ist an jeder Wand, die zur Straße führt, mit lärmabsorbierendem Noppenschaum überzogen, der das aggressive Klirren verschluckt. Kein Geräusch schafft es auf die Straße, sondern verhungert innerhalb der Hauswände.

Jahre zuvor war dieser Raum ein Ort der Freude gewesen. Bunt bemalte Wände blickten damals in strahlende Kinderaugen und die Fenster reflektierten sie, wenn kleine Kinderfinger fasziniert den Heuschrecken folgten, die sich auf den Fensterbrettern niedergelassen hatten.

Draußen konnte man grüne Bäume und eine Schaukel sehen, mit Kabeln beladene Holzplanken an der Straße und über dem weißen Haus in der Nachbarschaft das satte und beruhigende Blau des Himmels. Diese Aussicht ersetzt nun Pappkarton, auf den das Logo eines Medikamentenkonzerns aufgedruckt ist: „American Home“.

Die grünen Bäume sind einem Wald aus medizinischen Tropf-Ständern gewichen, deren transparente Plastik-Lianen mit Beruhigungsmittel versetztes Salzwasser in den verkrüppelten Arm pumpen.

Dieses Zimmer ist nun eine Zelle. Für Ken. Den Berserker.

Das Geräusch der aufeinanderprallenden Kettenglieder verändert sich. Kens Verstand, so langsam wie ein Ochsenkarren, jedoch mit dem gleichen, gewaltigen Vorwärtsdrang ausgestattet, verleiht seinen Extremitäten Ausdauer und die feste Entschlossenheit, über die Fesseln zu siegen.

Sein sanfter Atemrhythmus bildet einen bizarren Kontrast zum scharfen Klirren des Metalls, das sich immer erschöpfter gegen Kens unbändige Gewalt zu verteidigen sucht.

Der Lärm der Ketten durchdringt die Wand und findet im benachbarten Zimmer einen Ort, der, wie ein Zerrspiegel, Kens Zimmer ins Gegenteil verkehrt. Alles, was dort dunkel, männlich, grotesk und deformiert wirkt, ist hier hell, weiblich, zierlich und anmutig.

Ein seidenes Bett, das unbeweglich glitzernd wie dunkles Wasser das einfallende Mondlicht reflektiert. Die zerwühlte Decke des Bettes hüllt teilweise einen schlafenden Mädchenkörper ein, der in seiner Regungslosigkeit wirkt wie eine Fee, die tanzend in einem schwarzen Eisblock eingeschlossen wurde. Teresa.

Das Licht, das in ihre Haut eindringt und sie weißbläulich auf dem schwarzen Bett zum Leuchten bringt, zeigt die atemberaubende Makellosigkeit ihres Körpers.

Sie trägt nichts bis auf ein paar schneeweiße Kopfhörer eines iPods, der neben ihrem blonden Haar wie ein übergroßes Spermium auf einem zweiten Kissen liegt. Dumpf drückt sich das Kettenrasseln unangenehm in die Stille um Teresa. Der Wind, der durch die spinnwebenartigen Vorhänge eindringt, streichelt über Teresas Gesicht und bewegt kaum merklich ihre Wimpern.

Sie öffnet die Augen. Der Windhauch, der den Schlaf mit sich fortgenommen hat, ersetzt ihn nun durch ein unangenehmes Frösteln. Teresa entledigt sich ihrer Kopfhörer und macht damit den Weg frei für das eiserne Geräusch. Sie scheint daran gewöhnt zu sein.

Sie steht auf und nimmt ein T-Shirt vom Stuhl neben dem Bett. Ihre kühl und hart gewordenen Brustwarzen ziehen Furchen durch die rosafarbene Baumwolle, als sie es sich vorsichtig überstreift. Müde und vorsichtig suchen sich ihre Füße in der Dunkelheit den Weg aus dem Zimmer. Den Korridor hinab auf das Badezimmer zu.

Ein weiterer Korridor kreuzt ihren Weg. An diesem Punkt wird kurzzeitig Kens ohnmächtiges Aufbäumen lauter. Mondschein, vermischt mit dem orangefarbenen Licht einer Straßenlaterne leuchtet Teresa durch das Badezimmerfenster entgegen.

Schlaftrunken blickt sie in den Badezimmerspiegel, der ihr zerzaustes Haar reflektiert. Mit einem stotternden Knacken wirft eine Neonröhre dem von außen eindringenden Licht ihre spärlichen Argumente entgegen. Teresa stützt sich auf das Waschbecken und füllt ihren gläsernen Zahnputzbecher mit Wasser. Sie trinkt.

Sie setzt sich auf die Toilette. Leises Plätschern, erneut tastet sie mit den Fingerspitzen nach dem Zahnputzbecher, den sie auf dem Waschbecken abgestellt hat.

Ein helles, reibendes Geräusch, Glas rutscht hektisch über Porzellan, der Zahnputzbecher zerschellt auf den Marmorfliesen. Das diamantene Zerplatzen des Glases erstickt das Geräusch von Kens berstenden Fesseln. Teresas hellblau lackierte Zehennägel weichen vor den Scherben zurück.

„Scheiße!“

Danach Stille. Teresa lauscht. Das rhythmische, metallische Reißen hat aufgehört. Langsam sickert die Totenstille in Teresas Bewusstsein und presst die nackte Panik wie Schweiß durch ihre Gesichtshaut.

Ken musste sich befreit haben.

9. Kens Zimmer. Teil 2.

Die Tür in Kens Zimmer ist ein blanker Zahn, eingehüllt in Zahnfleisch aus Stein. Kens Rücken begradigt sich, zerrt seinen mächtigen Schädel über zwei Meter in die Höhe, in eine unbekannte Freiheit, mit der er nicht das Geringste anzufangen weiß. Der Schmerz in seinem Unterleib hat ihn dazu gebracht, seine Ketten zu zerbrechen.

Kein utopischer Gedanke, sich gegen das Unrecht durchsetzen zu müssen, am Bett festgekettet zu sein. Nein, ein einfaches Bedürfnis war es, dem Teresa gerade ganz selbstverständlich auf einem Zentner Porzellan nachgekommen war: Er muss Pissen.

Und dafür mussten die Ketten brechen.

Doch jetzt, wo er könnte, kann er nicht. Die Aufregung verkrampft seine Unterleibsmuskulatur. Zu überrascht ist er über die gerade erlangte Freiheit, zu neugierig auf das, was wohl als Nächstes geschieht. Kens ungläubige Augen gewöhnen sich nur langsam an die neue ungewohnte Perspektive auf den Raum. Er streichelt das weiße Laken seines Bettes, das er trotz seines eisernen Zwanges als ein freundliches Objekt betrachtet. Ein Schutz gegen die Vereinsamung, denn dieses Bett gehört zu den wenigen Dingen, die er kennt.

Sein Vater hat dem Bett mit ihm zusammen einen Namen gegeben, den er sogar alleine aussprechen kann: „Fred the bed“.

Ken mag den Klang der Worte. Sie beruhigen ihn, als er sie leise, das Bett streichelnd, immer wieder, über den Schmerz in seinem Unterleib hinweg, vor sich hinmurmelte. „Fred, the bed.“

Eine heftige Wut auf seine Blase flammt in ihm auf. Befreien wollte er sie. Damit sie loslässt und er nicht auf Fred pissen muss. Doch nun, das Ziel vor Augen, will sie nicht aufhören, ihn zu quälen. Er ballt die Fäuste, um sie zu bestrafen, auf sie einzuschlagen, um den stechenden Schmerz zu besiegen.

Ken kann sich weder das Bild eines mit Wasser gefüllten Luftballons vorstellen, noch kann er abschätzen, was mit seinen Organen passiert, sollte er seinen Plan in die Tat umsetzen.

Er erhebt seine mächtige Faust. Das Auge, das sich in seiner weniger entstellten Gesichtshälfte befindet und über das er die volle Kontrolle hat, verdreht sich nach unten. Es wirkt wie das Panikstarren eines Pferdes, kurz vor der Flucht.

Zum Zuschlagen entschlossen, fährt er plötzlich herum.

Da. Vor der Tür. Holz schabt über Holz.

Ängstlich tritt er einen Schritt zurück in die Schwärze einer Zimmerecke, die in seiner deformierten Vorstellung schützend ihre Arme um ihn legt. Welcher Schrecken würde zu ihm herein wollen?

Auf der anderen Seite wird ein faustdicker Holzbalken von Teresas zarten Fingern umschlossen. Energisch hebt sie ihn aus den Metallklammern, die an der Tür verschraubt sind. Sie klemmt den Balken in eine Halterung auf der rechten Seite des Türrahmens und dreht den Schlüssel. Geräuschlos schwingt die Tür eine Handbreit nach innen auf.

Ihre Augen tasten den Raum ab. Ken liegt nicht mehr auf seinem Bett. Die zerbrochene Kette ist nirgendwo zu entdecken. Unbewusst stellt sich Teresa auf die Zehenspitzen, um sehen zu können, ob er hinter dem Bett zu Boden gegangen ist.

Sie schiebt die Tür weiter auf und macht einen halben Schritt in den Raum. Neben dem Bett steht ein dreibeiniger Träger für eine Videokamera. Er wirft seinen Schatten auf einen Nachttisch, einen Infusionsständer, Medikamentenampullen und gefüllte und leere Beutel mit medizinischer Kochsalzlösung.

Daneben Schwärze. Die sich bewegt. Kens massive Gestalt wird vom blauen Schein aus dem Dunkel gesogen. Der Anblick ist so verstörend, so markerschütternd, dass er eine bizarre Anziehungskraft entwickelt die Teresa für eine halbe Sekunde lähmt.

Ken stürmt nach vorn, einer Dampfwalze gleich. Die Panik lässt Teresa zurücktrippeln, ein unkontrolliertes, rückwärts gerichtetes Zappeln, wie ein kleiner epileptischer Anfall. Sie reißt die Tür zu und ihre Finger zucken nur Millisekunden, bevor sie schmerzhaft in dem zuschnappenden Spalt zerquetscht würden, zurück auf die andere Seite der Tür. Zwei kopfgroße Knäuel aus Fingern schlagen auf der anderen Seite auf. Durch die Wucht des Aufpralls fällt der Schließbalken mit einem endgültigen Krachen in seine Verankerung und verkeilt die Öffnung in der Wand fest wie Mauerwerk.

Sie steht da. Warm spürt sie ihren Atem an ihren strasssteinlosen Fingernägeln, die Hand verkrampft auf ihre Lippen gepresst. In ihrer Phantasie hat Ken ihren Brustkorb mit seiner Pranke durchschlagen. So widerstandsfähig wie Fischgräten hätten ihre Rippen auf den Einschlag reagiert. Wie ein mit Cornflakes gefülltes Kondom wäre ihre Wirbelsäule zwischen der Wand und seiner Faust zerrieben worden.

Lautstark ruckt die Tür erneut in Teresas Richtung. Wieder dringt ein Knall durch die Tür, zuckt durch die kalte Nachtluft im Korridor und schiebt Teresa von der Tür weg.

Sie fühlt sich, als ob sie in diesem Moment ein neues Leben zum Geschenk erhalten hätte. Die ersten vier Buchstaben, die sie in ihrem neuen Leben sagt, sind: „Fuck!“ Sie hatte nichts dazugelernt.

Nie wird Teresa erfahren, dass Ken einige Momente zuvor von ihrer Gestalt genauso fasziniert gewesen war, wie sie von seiner. Die beruhigende Anwesenheit eines anderen Menschen und ihre Blicke, die von seinem entstellten Gesicht hinunterglitten auf sein riesenhaftes, von schmutzig weißer Unterwäsche verdecktes Glied, hatten seine Schließmuskulatur so weit entkrampft, dass er Erlösung gefunden hatte und sein Urin an seinem Bein hinunterlief, eine Brücke zum Boden. Nie wird sie erfahren, dass sein Grollen und die schnellen Schritte nach vorne ein Zeichen der Dankbarkeit und nicht der Aggression waren.

Die Stufen, die hinunter in das Wohnzimmer führen, gleiten unter Teresas nackten Füßen hinweg. Beinahe wäre sie gefallen. Der einzige Gedanke, der in ihrem Kopf übriggeblieben ist, ist der an ein Telefon. Ein Telefon und eine Nummer.

Sie hasste sich, wenn sie so war. Wie ein panischer Lemming in einem hysterisch durcheinander rennenden Rudel. Der Befehl, den sie an sich selbst ausspricht, funktioniert: „Beruhig dich, Baby! Beruhig dich und ruf den Doc an. Er muss sich um ihn kümmern.“ Zitternd erreicht sie das Wohnzimmer, atmet langsam aus und setzt sich.

Die Kühle des weißen Ledersessels an den Stellen ihres Körpers, die nicht von ihrem T-Shirt bedeckt werden, leistet einen wichtigen Beitrag, ihre Hände wieder unter Kontrolle zu bringen. Die eingebildete Gefahr hat Teresa ein Ohnmachtsgefühl eingeimpft, das bei ihrem Charakter nur allzu leicht dazu führt, in gewaltbereite Aggression umzuschlagen. Sie sieht sich in Kens Zimmer stürmen, sie sieht sich selbst als Lichtgestalt eines Racheengels.

Ken ist kein Mensch. Er ist ein Monolith. Ihre Unfähigkeit zur Empathie mit diesem Wesen löste vor Jahren die Niederkunftschmerzen ihres Hasses auf ihn aus.

Routiniert tippt Teresas Finger die Telefonnummer eines weit schlimmeren Monsters in die Tastatur des Telefons ein.

10. Stokers Freizeit

Seit Jack Stoker seine wahre Bestimmung gefunden hat, ist nichts mehr von seiner früheren Identität, seinem Menschsein, übrig. Er lebt nicht, er vegetiert in einem Sumpf aus Gedanken und Emotionen. Er hat längst aufgehört, seine innere Verwesung als etwas zu begreifen, das er aufhalten müsste.

Er sieht sie jetzt lieber positiv: als Reifungsprozess, der ihm in seinem Beruf, dem eines professionellen Mörders, zuträglich ist.

Die Geschwulst der Menschenverachtung verleiht seinem Blick Glanz, seiner Hand Stärke und ermöglicht es ihm, mit dem übersteigerten Selbstbewusstsein des leibhaftigen Sensenmannes, aufzutreten. Nichts von dem, was ihn einmal ängstigte oder verletzte, ist jetzt noch relevant. Dr. Stoker ist frei.

Sein Geisteszustand spiegelt sich in seinem Büro, in dem er sitzt und isst. Es wirkt wie eine Rumpelkammer. Wie ein Ort, an dem Objekte verstreut liegen, ebenso achtlos hingeschleudert wie seine Gedanken.

Zeitschriften und Bücher stapeln sich in hohen Türmen auf seinem Schreibtisch, auf dem Boden, in seinen Schränken und Ablagen. Papierfetzen, Pizzakartons, ungeöffnete Post in vergilbten Umschlägen. Stoker hat sein Interesse für seine Umwelt lachend zum Schafott getragen und den singenden, nachklingenden Ton genossen, als das Henkersbeil ins blutige Holz biss.