Fussnoten


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Vorwort

Sanft plätschern die Wellen an der Küste von Roses entlang. Einmalig schönes Licht verzaubert das Meer: Funkeln und Glitzern. Bei diesem Anblick unterbreche ich meinen Sport, um die Stimmung auf mich einwirken zu lassen.

Mir kommen Verse in den Sinn:

Weil man nur einmal kann sein auf dieser wunderbaren Welt,
und sich darf zu denen zählen, welche gesund und gut gestellt,

darum sollte man nützen und genießen die Zeit,
noch mit dem ärgsten Miesepeter vermeiden jeden Streit:

Der Weg, den du gehst, kann haben Ecken und Kanten,
beschreit ihn mit festem Schritt, so kommst du nicht ins Wanken.

Seit etwa 15 Jahren lebe ich bereits mit meinem Mann Willi an der Costa Brava. Diesen Weg hier, direkt an der Küste entlang, gehe ich sehr gerne und oft. Fast jedes Mal kann ich dabei etwas Neues entdecken. Mal sind es kleine Blumeninseln mit intensiven Farben, oder ein sonst so borstiger Strauch zeigt plötzlich seine Blütenpracht. Je nach Tageszeit zaubern Sonneneinstrahlungen auf dem Meer und Felsen ein ganz anderes Farbenbild herbei.

Lange Zeit war es unser Wunsch gewesen, nach Willis Pensionierung im warmen Süden zu leben, für längere Zeit, oder vielleicht für immer?

Im Städtchen Rheinfelden an der Schweizer Grenze führte ich 14 Jahre lang ein erfolgreiches Damen-Modegeschäft. Doch mein Mann und ich, wir waren uns immer einig: Nach seiner Pensionierung im Jahre 1996 würde ich mein Geschäft verkaufen.

Allerdings hatten wir zunächst nicht an Spaniens Costa Brava gedacht, sondern an ein exotischeres und deutlich entfernteres Fleckchen Erde, das zwar dem Namen nach der Costa Brava ähnelt: Costa Rica in Zentralamerika. Warum es dazu nicht gekommen ist? Auch das gehört zu der Geschichte, die ich in diesem Buch erzählen möchte.

Jeder Mensch, jedes Leben, jede Sehnsucht ist anders. Darum kann es auch kein Ratgeberbuch geben, dass uns Menschen erklärt, wie wir unsere letzten Jahre, unser „letztes Zeitfenster“ auf Erden gestalten sollen. Anstatt Ratschläge zu erteilen, möchte ich deshalb von unserem Weg erzählen, meinem Weg und dem meines Mannes, der uns am Ende glücklich in unser Traumdomizil an die spanische Costa Brava führte. Nach langer Suche – und ohne Millionen für ein Traumhaus zur Verfügung zu haben – gelang es uns, unsere Sehnsucht nach einem Leben im warmen Süden zu stillen. Davon berichtet dieses Buch.

Ich würde mich freuen, wenn der eine oder andere Leser von den Erfahrungen profitieren könnte, die wir auf unserem Weg sammelten. Vielleicht stellt sich bald das eine oder andere Paar – auch Einzelpersonen sind willkommen – bei uns vor, und begleitet uns auf unserem Strandspaziergang, die mit diesem Buch im Gepäck ihre eigene Zukunft im Süden gestalten möchten. Wäre das nicht schön?

Ein großes Dankeschön geht an meine lieb gewonnenen südländischen Freunde, die mich zu meinem Buch animiert haben. Natürlich an meinen Mann, sowie meine Familie, die mich stets unterstützten und an mich glaubten.

Dankbar bin ich auch Herrn Dr. Stefan Kappner, der mich bei meinem ersten Buch mit Ratschlägen und Empfehlungen sehr gut begleitete.

Roses, im Februar 2015,

Ihre Inge Kaps

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Erkundungen in Costa Rica
Pures Abenteuer
Ängste und Zweifel
Ende mit Schrecken
Wir orientieren uns neu
Gesundheitliche Hindernisse
„Wie sehen nun Ihre Pläne aus?“
Tante Rosa im Süden
Willis Abschied vom Beruf
Meine letzte Modemesse
Willis Sorgen
Sehnsucht und neue Pläne
Erkundungen an der Costa Brava
Immobilienpreise und (k)ein Traumhaus
Eine traumhafte Bucht
Bedenkzeit
Der erste Sommer in Roses
Wie Zugvögel
Unser zweiter Sommer
Eine schnelle Entscheidung
Abschied von Schopfheim
Ende gut, alles gut
Leben in Roses
Núria (2001)
Capitá Jack (2002)
Mein siebzigster Geburtstag
Skifahren mit Núria (2004)
Eine Urlaubs-Überraschung (2008)
Núrias Hochzeit
Bernat und Emma
Willis Gesundheit
Nachwort
Fussnoten

Pures Abenteuer

Unsere zweite Ferienwoche in Costa Rica hatten wir schon fast beendet. Uns blieb nur noch gut eine Woche für kleinere Ausflüge und um die herrliche Bucht zu genießen. Bei angenehmen Temperaturen entschieden wir uns an diesem Morgen nach dem Spanischunterricht, mit einigen Tapas in der Tasche auszukundschaften, wo der tolle Weg zum Aussichtspunkt sein sollte, von dem wir bereits mehrmals gehört hatten. Man sagte uns, er liege auf 300 bis 400 Metern Höhe. Vom Kamm aus gebe es eine einmalige Aussicht auf die Küste und den Pazifik. Teresa sagte, der Weg müsse einige Meter hinter Fernandos Tapas-Bar ansteigen. Sie selbst sei jedoch noch nie dort oben gewesen und könne uns auch nicht sagen, wie weit es sei.

Als wir bei Fernandos Bar vorbei kamen, winkte Fernando und rief uns zu. „Feine Tapas. Ich habe noch Plätze frei!“

Hm, was machen wir jetzt? Etwas Durst verspürten wir schon, und so saßen wir schneller an unserem schattigen Platz, als wir es vorgehabt hatten. Nach einigen sehr guten Tapas und einem kühlen Getränk machten wir uns auf den Weg – nur mit ein paar Schläppchen und leichter Bekleidung versehen, denn wir wollten nur den Beginn des Weges erkunden. Doch kaum hatten wir den breiten und festen Weg betreten, zog es uns zu unserer Überraschung regelrecht in diesen Küsten-Wald hinein. Ja, wir hatten das Gefühl, wir würden leicht gestoßen. Diese Stille, dieses Gezwitscher der bezaubernden heimischen Vogelwelt, kleine Schreiaffen und Pavians, welche sich mit hohen und langen Sprüngen von einem Baum zum anderen mit einem schrillen Schrei bewegten, Geräusche anderer Tierarten. Durch diese beinahe magische Atmosphäre eingehüllt, gingen wir einfach Hand in Hand weiter – mit unseren Schlappen hatten wir bis anhin ja kein Problem gehabt.

Als wir ein paar Kurven auf dem Weg gegangen waren, kamen uns zwei Reiter entgegen, welche uns etwas fragend ansahen. Etwas später tauchte ein Mann in einem Quatro auf. Wir fragten ihn, ob es bis zur tollen Aussicht noch weit sei. Es handelte sich um einen Holländer und wir konnten deutsch mit ihm reden. „Nein, nur noch ein Stückchen, so drei oder vier Kurven. Aber es geht stetig leicht bergauf. Und das letzte Stück ist etwas steiler.“

Die Auskunft erschien uns glaubhaft, schließlich verriet der Holländer uns, dass er in der Gegend wohne und sich gut auskenne. Wir gingen weiter. Doch schon nach einer Weile kam es uns schon etwas seltsam vor: Hatten wir nicht einige Kurven mehr genommen, wie er uns gesagt hatte? Auch wurde der Weg immer aufgewühlter und feuchter, sodass wir endlich beschlossen, umzukehren. Wir wollten nur noch um die nächste Ecke schauen.

Da sahen wir zwei Männer, welche sich mit ihrem Auto beschäftigten. Die zwei müssen wir wohl noch einmal fragen, dachten wir. Wir erklärten, wohin wir wollten und die netten jungen Männer sagten uns, dass sie dort oben ganz in der Nähe etwas abliefern müssten: „Wenn Sie möchten, können Sie mitfahren – sobald wir die Ketten an die Räder montiert haben.“

Es sei nicht mehr weit, nur der Weg würde steiler und matschiger, deshalb die Ketten. Nun standen wir also vor der Frage: Mit den zwei Jungen mitfahren, oder umkehren? Wir entschieden uns fürs Mitfahren und platzierten uns hinten im Jeep. Recht bald wurde uns klar, warum die Ketten sein mussten. Der Schlamm wurde immer tiefer, sodass wir bald befürchteten, stecken zu bleiben. Oder schlimmer: dass der Jeep die Böschung hinunter kippt. Denn jetzt wurden wir von einer Ecke der Rückbank in die andere gedrückt. Unsere Nervosität stieg: Aus unserem gemütlichen Spaziergang war pures Abenteuer geworden!

Dem lockeren Gespräch der beiden vorne ließen sich keine Befürchtungen entnehmen. Hin und wieder schaute der Beifahrer zu uns nach hinten: „Alles o.k.?“

„Bis jetzt geht es noch. Wir hoffen, Sie können uns heil hoch und auch wieder runter bringen!“

Nach circa 15 Minuten kamen wir endlich oben in einer Lichtung an: „Das ist die Aussichtsstelle!“

Enttäuscht stiegen wir aus. Mitten im Dschungel, denn hier gab es weder einen Weg noch einen trittfesten Pfad. Wir standen mit nichts als Schlappen an den Füßen mitten in einem Gestrüpp von Sträuchern, übersät mit einem Gewimmel von Ameisen und Unterholzkäfern! Sicher könnten wir hier auch mit Schlangen Bekanntschaft schließen, schoss uns durch den Kopf. Die Männer blieben im Auto sitzen: „In einer halben Stunde holen wir Sie hier wieder ab!“

Weg waren sie. Angst überfiel mich. Das war doch der reinste Horror: wir zwei ganz alleine, mitten in einem Urwald, mit allem, was dazugehört. Willi spielte zwar alles etwas herunter, aber ich spürte sehr wohl sein Unbehagen.

„Und wenn die uns nicht abholen?“, fragte ich, „In einer Stunde wird es dunkel. Auf diesem Matschweg bis unten?“

Auf einem Baumstamm versuchten wir, den großen Ameisen ein wenig zu entkommen, aber allein zehn Minuten so zu verharren erschien uns sehr lange. Von einer schönen Aussicht konnten wir hier ohnehin nichts erkennen, in der Ferne war ein Zipfel des Meeres zu sehen. Die Stille mit dem vielfältigen Vogelgesang hellte unsere Stimmung gar nicht auf. Im Gegenteil: Nun empfanden wir alles als fremdartig und bedrohlich, wir wollten nichts als weg von hier.

In dieser misslichen Lage mussten wir noch eine ganze Weile verharren, bis wir – endlich, endlich – von Weitem ein Motorengeräusch hörten. Wir sprangen vom Baumstamm, um zu sehen, ob unsere „Chicos“ schon in Sichtweite seien. Da empfand ich plötzlich einen brennenden Schmerz am Fuß. Wild schlug ich um mich und rief: „Willi, ich glaube, mich hat eine Schlange gebissen!“ Er kam zu mir, mit einem Stock in der Hand, konnte aber keine Schlange entdecken. Es musste eine andere Art von Waldbewohner gewesen sein, welchem ich zu nahe gekommen war!

Riesig war die Freude, als der Jeep nun auf uns zu fuhr. Ich umarmte Willi und musste meine Freudentränen unterdrücken. Dennoch merkten die zwei, wie erleichtert wir waren, sie zu sehen, und sie entschuldigten sich, dass es etwas länger gedauert habe.

„Diese abenteuerliche Aussicht sollte man solchen Touristen wie uns lieber nicht empfehlen!“

Ich zeigte ihnen meinen Fuß, welcher immer noch brannte und auch etwas rot war. Der Ältere nahm eine Tube aus dem Auto und reichte sie mir. Mit der dickflüssigen Paste rieb ich die Stelle ein. Natürlich fragte ich, ob es wohl eine Schlange gewesen sein könne, was die beiden einmütig und rasch verneinten. Etwas beruhigter stiegen wir wieder ins Auto, in der Hoffnung, gut bergab durch den Schlamm zu kommen.

Jetzt erst fragte ich nach den Namen unserer Fahrer. Der Ältere, circa 30 Jahre alt, hieß Walter, der Jüngere – vielleicht 18 oder 20 Jahre alt – Angel. Nun stellten auch wir uns vor und nannten den Namen unseres Hotels. „Ich wohne gerade gegenüber“, sagte Angel, „Wir fahren Sie hin.“

Als das geklärt war, mussten wir „nur noch“ den schlammigen Weg gut überwinden. Die ersten paar hundert Meter ging es einigermaßen, wenn auch der Schlamm bis ins Auto spritzte und wir alle von unten bis zu den Haaren verdreckten. Doch plötzlich spürte ich einen Ruck, und der Jeep blieb stehen – direkt am Abhang. Ich sah ins Bodenlose und hätte keine Chance gehabt, auszusteigen.

„Was ist passiert?“

„Wir müssen nachsehen. Besser, Sie sitzen auf der Innenseite. Vielleicht sitzt das äußere Rad fest.“

Die beiden gingen ums Auto herum und diskutierten. Dann nahmen sie eine Kiste heraus, welche hinter unserem Sitz stand, und eine Schaufel. Wir konnten nur beten, dass alles gut ginge. Immerhin wussten wir, dass sie ein Mobiltelefon dabei hatten und bei Bedarf Hilfe anfordern konnten. Walter stieg wieder ins Auto, legte den Rückwärtsgang ein, um etwas aus dem Loch zu kommen, während Angel das Loch womit auch immer auffüllte. Als der Beifahrer wieder eingestiegen war, ließen sie den Motor an und setzten die Räder langsam in Bewegung. Es klappte auf Anhieb! Wir konnten weiter fahren!

Bergab auf solch einem Weg: Für uns sah es sehr bedrohlich aus! Was für eine Freude, als wir uns endlich wieder auf dem breiten, festen Weg befanden und danach auch schnell wieder in unserer Ferien-Bucht ankamen. Gerne hätten wir die zwei auf einen Drink eingeladen, doch in unserem verdreckten Aufzug war das unmöglich. Wir verschoben es auf den Abend im Hotel.

„Das war schon ein verrücktes Abenteuer!“, sagten wir uns, „Hoffentlich haben wir daraus gelernt und überlegen beim nächsten Mal besser, bevor wir solche Spontan-Ausflüge unternehmen.“

An diesem Abend wurden wir für unseren Stress und Strapazen ausgiebig entschädigt, denn es waren frisch, fröhliche Stunden, in denen viel gelacht wurde. Walter und Angel kamen gegen neun Uhr, auch Charli hatte sich angemeldet und erschien strahlend etwas später. Zu unserer Runde in der Hotelbar gesellten sich noch drei Gäste aus den USA, die schon zwei Wochen in Costa Rica unterwegs gewesen waren und noch für ein paar Tage hier an der pazifischen Küste sein. Wir verständigten uns in drei Sprachen: Spanisch, Englisch und Deutsch. Sie erzählten uns ihre lustigen Erlebnisse mit einer Reisegruppe, als sie auf einer Farm in der Nähe vom Nationalpark die Möglichkeit gehabt hatten, einen Reitausflug zu unternehmen. Als wir davon hörten, waren wir ganz Ohr, denn das hatten wir ebenfalls als Exkursion eingeplant.

„Weiß jemand, wie man auf diese Hazienda kommt?“

„Ja, hier im Ort organisieren einige Hotels für ihre Gäste gemeinsame Exkursionen“, sagte Charlie.

„Morgen werde ich Joel fragen, ob er für uns eine Reiter-Tour reservieren kann.“

Ganz spontan sagte Walter: „Wenn Sie möchten, würden wir sie gerne fahren.“

„Super sagten wir, wann vielleicht am Dienstag?“

Wir verabredeten uns für den Dienstag um zehn Uhr.

Charli schlug vor, Joel sollte besser vorher anrufen, um uns bei der Hazienda anzumelden, nicht dass alle Pferde schon ausgebucht seien.

Alleine mit Charli erzählten wir ihr von unserem abenteuerlichen Ausflug in den Busch. Als sie alles hörte, fasste sie meinen Arm und sagte: „Na, ihr seid mutig! Ich habe auch schon einiges gewagt und erlebt, doch so leicht bekleidet in einen Tropenwald zu gehen: Da hätte ich schon vorher innegehalten!“

„Ich weiß, das war von uns sehr leichtsinnig. Nicht auszudenken, wenn uns die zwei vergessen hätten! Wir hätten die Nacht im Urwald verbringen müssen!“

„Walter und Angel sind gute und verlässliche Burschen. Ich kenne sie schon lange, Walter ging mit meiner Tochter in die Schule.“

Mein Fuß war leicht angeschwollen und ich fragte Charli nach einem Arzt, falls er weiterhin Probleme machen sollte. „Wenn es nichts Schlimmes ist, kannst du in der Apotheke um Rat fragen. Sie werden dir sicherlich das Richtige geben.“

Schon wieder saßen wir beinahe vier Stunden lang fröhlich beieinander, und wir hätten mit Sicherheit noch Weiteres zu erzählen gehabt, doch wurde es Zeit, sich zu verabschieden.

Charli drückte uns ganz herzlich: „Es ist einfach ganz toll mit euch! Mir kommt es vor, als würde ich euch schon lange kennen.“

„So geht es uns auch. Wir freuen uns auf den Mittwoch, wenn wir dich und deine Tochter wieder treffen.“

Wir verabschiedeten uns – nicht ahnend, dass unsere Pläne für Costa Rica eine ganz andere Wende nehmen sollten.

Ende mit Schrecken

Am anderen Morgen wurde ich ohne Wecker frühzeitig wach. Sehr gut dachte ich, denn ich wollte joggen und auch sonst hatten wir Einiges vor. Spanisch-Unterricht, das vorletzte Mal, dann zu Charli. Ich schlüpfte also schnell in meine Joggingmontur und lief zum Strand. Die Wellen klatschten wieder kräftig ans Ufer und das Wasser war durch die Flut recht hoch gestiegen.

Der Strand ist circa drei Kilometer lang, sodass ich hin und her lief, um auf meine Distanz zu kommen. Ich rannte gerade so, dass meine Schuhe trocken blieben, nahe am Wasser entlang. Nicht jeden Morgen fühlte ich mich so leichtfüßig und mit vollem Elan auf meiner Strecke, weil in solchen wunderbaren Ferientagen die Nächte meistens kürzer sind. Um diese frühe Zeit war ich meistens alleine unterwegs, nur heute sah ich einen Mann, der seinen Hund ausführte. Es war auch einiges an den Strand gespült worden und ich richtete meinen Blick auf den Boden.

Plötzlich sah ich in meinem Blickfeld, halb im Sand versteckt, etwas Größeres auf meinem Weg liegen. Ich machte einen längeren Satz, um nicht auf das Hindernis zu fallen. Nach dem Sprung drehte ich mich nochmals um und mir entfuhr in der Stille des Morgens ein langer Schrei. Es war ein lebloser Körper, auf dem Bauch liegend, weshalb nicht gleich zu erkennen war, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelte. Der Mann mit dem Hund stand plötzlich neben mir. Er legte seine Hand auf meiner Schulter, um mich zu beruhigen.

„Ich gehe schnell und informiere die Polizei.“

Schluchzend wendete ich mich ab und taumelte weiter. Mir wurde übel, es würgte etwas in meinem Hals, ich hätte mich gerne übergeben. Etwas weiter entfernt von der Leiche setzte ich mich in den Sand und vergrub das Gesicht in meinen Händen. Die Erinnerung an den Vorfall wenige Tage zuvor stieg in mir hoch, als ich vor Angst fast gestorben wäre, weil Willi so lange nicht vom Schwimmen zurückgekommen war. Die Vorstellung, man hätte ihn auch so gefunden, raubte mir fast den Atem.

Aus der Ferne hörte ich ein Stimmengewirr. Als ich aufschaute, sah ich, dass einige Leute sich um den Leichnam versammelt hatten. Jemand gab mir ein Zeichen. Sollte ich kommen? Dafür sah ich keinen Grund und fühlte mich nicht in der Lage Auskunft zu geben. Nach kurzer Zeit stand dann ein Polizist vor mir und erkundigte sich nach meinem Befinden. Er sagte, ein Mann hätte ihm gesagt, dass dort oben, die Señora sitze, welche über den Leichnam gestolpert sei. Ich stammelte auf Spanisch etwas, was er wohl nicht gut verstand. Er fragte mich nach dem Namen meines Hotels, und ob ich auch Englisch spräche, denn er werde gleich seinen Kollegen vorbei schicken, der mich ins Hotel begleite. Ich gab ihm Auskunft.

„Si, señora, es gehört zu unseren Aufgaben, sie bis ins Hotel zu begleiten. Einen Schock sollte man nicht unterschätzen.“

Auch würden sie, wenn es nötig sein sollte, eine Krankenschwester aus dem Dorf kommen lassen, die mich mit Medikamenten versorgen kann.

Als ich mit dem Polizist auf dem Weg zum Hotel war, kam uns Willi entgegen, schon auf der Suche nach mir.

„Was ist passiert?“, fragte er.

Doch ich konnte es ihm nicht erklären. Der Gedanke an das Geschehen schnürte meinen Hals zu.

„Es ist wieder eine Leiche ans Ufer gespült worden. Ein Mann“, sagte der Polizist, und erklärte ihm auch alles Weitere.

Als Joel uns im Hotel entgegenkam, bat ich ihn, bei Charli anzurufen und ihr mitzuteilen, was passiert war und dass wir am Mittag nicht kommen könnten. Wenn sie möchte, würde es uns freuen, wenn sie etwa gegen fünf Uhr im Hotel vorbei käme.

Willi nahm mich in den Arm: „Es tut mir so sehr leid, dass dir dieser schreckliche Fund nicht erspart geblieben ist.“

„Willi, es war uns doch immer klar gewesen: Das Wichtigste muss sein, dass du immer ungestört und problemlos jeden Tag schwimmen gehen kannst, an welcher Küste auch immer. Costa Rica ist ein wunderschönes, faszinierendes Land, in dem wir vor lauter tollen Eindrücken vieles ignoriert haben. Mir tut keine Stunde leid, die wir hier verbringen konnten. Doch jetzt ist uns passiert, was schon vielen Sonnenhungrigen so ergangen ist.“

„So ist es, mein Schatz, den Traum von Costa Rica müssen wir abhaken. Aber die Suche wird weiter gehen. Ich bin zuversichtlich, wir werden unser Pensionsnest finden!“

So sprach er mir Mut zu.

Im Nachhinein erinnerten wir uns auch daran, dass sogar während unseres ersten Urlaubs in Costa Rica von zwei Toten die Rede gewesen war. Zu jener Zeit – fasziniert von der Schönheit des Landes – hatten wir keine Notiz davon genommen. Doch wer ernsthaft auswandern will, braucht neben Idealismus auch eine große Portion Realitätssinn. Das hier war uns viel zu gefährlich!

Etwas frustriert ging Willi beim letzten Mal alleine zu Teresa in die Schule. Ich machte mich derweil frisch, nahm meine Reisetropfen und versuchte, mich durch autogenes Training zu entspannen. Als Willi nach circa drei Stunden wieder zurückkam, ging es mir wesentlich besser, auch der Hunger hatte sich bemerkbar gemacht. Irgendwie fühlte ich mich befreit und erleichtert, trotz meines schrecklichen Erlebnisses am Strand. Die Entscheidung, die sich nach und nach schmerzlich angekündigt hatte: Nun war sie gefallen. Und so traurig es einerseits war, so froh mussten wir auch andererseits sein, mit den Tatsachen jetzt und hier konfrontiert worden zu sein und nicht erst, nachdem wir für einen längeren Aufenthalt ins Land gekommen wären.

Als Charli uns an dem Abend entgegen kam, fehlte ihr das strahlende Lächeln, mit dem wir sie kennengelernt hatten. Sie wusste, was passiert war.

„Es tut mir sehr leid für euch. Ich dachte, ihr wüsstet, dass der Strand nur von den Surfern bevorzugt wird. Eigentlich müsste es hier ein Badeverbot geben, doch die Gemeinde sträubt sich dagegen, trotz der vielen Toten jedes Jahr!“

„Trotzdem liebe Charli: Es ist ganz toll, dich kennengelernt zu haben. Der Abschied fällt uns nicht leicht.“

„Mir geht es auch so“, erwiderte sie, „Aber ich hoffe, irgendwo werden wir uns wiedersehen, wenn nicht hier, vielleicht in Kanada?“

Wir reisten einen Tag früher ab. Als wir am Flughafen aus dem Taxi stiegen, regnete es wie aus Kübeln, und wir hatten es nur zwei hilfreichen Hostessen mit Schirm zu verdanken, dass wir auf dem kurzen Weg zum Terminal nicht patschnass wurden.

Ich legte meine Hand auf Willis Schulter und sagte: „Ja, mein Schatz, wir haben nun alles im Gepäck, nur keine Auswanderungspläne mehr im Kopf!“

„Aber trotz allem viele schöne Erinnerungen!“

In Frankfurt landeten wir auf einer weißen Piste. Der Winter war eingekehrt. Das Terminal war überfüllt. Viele saßen auf dem Boden, es war kaum ein Durchkommen. An den Anzeigetafeln waren die Verspätungen abzulesen.

Am Bahnhof in Basel wollten wir den Zug nach Schopfheim nehmen, unserem Zuhause, doch als wir mit unserem Gepäck auf dem richtigen Gleis angekommen waren, stand plötzlich mein Sohn Marcel mit der ganzen Familie vor uns! Was für eine Überraschung! Im Auto wollten sie dann wissen, wie es uns so ergangen war und ob wir schon wüssten, wann sie zur Eröffnung des Strand-Cafés kommen könnten.

Ich sagte: „Ja, meine Lieben, da haben wir zwei Antworten, eine gute und eine nicht so gute.“

Marcel und Jacqueline sind unschlagbar in Bezug auf Überraschungen, denn sie hatten nicht nur für einen ausgiebigen Brunch mit Champagner gesorgt, sondern auch noch eine tolle Schlittenfahrt mit den Enkeln durch die weißen Schwarzwaldhügel geplant. Besser konnten unsere Ferien nicht enden und wir fühlten uns wieder ganz daheim.

Erkundungen in Costa Rica

Nach einer Fernsehsendung „Expedition ins Tierreich“ saßen mein Mann und ich noch eine ganze Weile zusammen und ließen im Dialog die Bilder ein weiteres Mal an uns vorüberziehen.

Willi teilte die Begeisterung über das bezaubernde Land, die gerade in mir entflammt war, und sagte: „Ich denke, wir könnten Costa Rica ruhig einmal in unsere Ferienplanung einbeziehen. Wie ich sehe, ist deine Begeisterung dafür kaum noch zu bremsen! So schnell als möglich möchtest du dieses exotische Land kennenlernen.“

„Stimmt“, erwiderte ich, „mir ist schon klar, dass sie in dem Film die attraktivsten Gegenden gefilmt haben. Dennoch: Das muss ein vielfältiges und aufregendes Land sein!“

„Jetzt ist es aber höchste Zeit, den Traumschlaf zu finden. Damit wir für unseren stressigen Alltag morgen fit sind.“

Denn noch steckten wir beide mitten im Berufsleben. Noch war die Idee vom Leben im Süden nur ein Traum, der sich allerdings in den Ferien schon etwas vorwegnehmen ließ. So reisten wir 1988 zum ersten Mal nach Costa Rica, was meine Begeisterung nicht dämpfte, sondern eher beflügelte. Darum beließen wir es nicht bei dieser einen Reise.

Der Ruhestand rückte näher, und nachdem wir 1994 ein zweites Mal in Costa Rica gewesen waren und sehr viel von dem bezaubernden Land zwischen Nicaragua und Panama gesehen hatten, sahen wir uns bereits an der Jacó-Bucht ein kleines Café eröffnen, ganz nahe am Strand. Als wir 1996 ein drittes Mal nach Costa Rica reisten, in den letzten Ferien vor Willis Pensionierung, war es bereits in der festen Absicht, dort eine für uns geeignete Bleibe zu finden und uns dabei gründlich zu informieren, inwieweit dort die entsprechende Infrastruktur gewährleistet ist, vor allem: ob eine medizinische Versorgung an Ort und Stelle vorhanden ist.

Dieser dritte Flug nach Costa Rica war für uns sehr spannend, denn dieses Mal wollten wir uns entscheiden, ob wir es wagen würden, in dem Land eine Zeit lang zu leben. Es musste vieles in Betracht gezogen werden, weil uns klar war, dass wir durch diesen Schritt nicht nur gewinnen konnten. Wir würden auch viel zurücklassen müssen, vor allem Familie und Freunde. Doch wir spürten beide ein wenig Abenteuerlust und die räumte manche Bedenken beiseite.

Als wir dann in Puerto-Rico umstiegen, wussten wir: Bald werden wir unser Ziel erreicht haben! Auf dem Flughafen in San José nahmen wir ein Taxi, um in die Jacó-Bucht zu kommen. Die Fahrt dauerte gut zwei Stunden. Wir atmeten tief durch, genossen die herrliche Fahrt durch Pinienwälder und Palmen-Alleen. Nach zweieinhalb Stunden waren wir in unserem Hotel angekommen. Schon beim Einchecken mussten wir feststellen, dass unser Spanisch noch sehr zu wünschen übrig ließ. Seit drei Jahren besuchten wir in der Volkshochschule einmal wöchentlich den Spanisch-Unterricht. Alles soweit gut, aber nun fehlte die Konversation, denn Theorie ist eine Sache und wichtig, aber um sich gut verständigen zu können, braucht es Übung.

Es war nur ein kleines, einfaches Hotel und ein paar Schritte vom Strand entfernt. An der Rezeption begrüßte uns Joel, der schon zwei Jahre zuvor dort gearbeitet hatte und sich noch gut an uns erinnerte. Alles war, wie wir es in Erinnerung hatten. An der Seite des Swimmingpools stand der riesige Mango-Baum, welcher über die ganze Anlage ragte und für Schatten sorgte, er winkte uns wohlwollend zu. Wir verharrten einen Augenblick, denn dieses war stets unser Lieblingsplatz gewesen. In Begleitung von Joel suchten wir unser schönes, helles Appartement für den dreiwöchigen Aufenthalt in der Hotelanlage. Vom Balkon aus hatten wir eine super Aussicht auf den Strand und das blaugrüne klare Wasser des Pazifik. Wir nahmen eine Dusche, packten die Koffer aus und gingen ins Restaurant, um noch eine Kleinigkeit zu essen. Weil die Temperaturen in diesem Land Tag und Nacht sehr angenehm sind, spielt sich fast alles im Freien ab, Restaurant und Bar sind nur mit einem Dach versehen. Nach der langen anstrengenden Reise – insgesamt waren wir 27 Stunden unterwegs gewesen – hatten wir kein Verlangen mehr, den warmen angenehmen Abend zu genießen. Uns kam das sehr frühe Eindunkeln sehr entgegen. Ohne rechte Dämmerung war es bereits um 18 Uhr Nacht.