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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

Zwischenspiel

5.

6.

7.

8.

9.

Zwischenspiel

10.

11.

12.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2592

 

Im Zeitspeer

 

Er nimmt den finalen Gang auf sich – und muss leiden wie kein Mensch zuvor

 

Leo Lukas

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Jahr 5050 christlicher Zeitrechnung. Seit einiger Zeit tobt der Kampf um die Polyport-Höfe, der mehrere Galaxien umspannt.

Die sogenannten Polyport-Höfe sind Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit, mit denen sich gigantische Entfernungen überbrücken lassen. Als die Frequenz-Monarchie aus einem jahrtausendelangen Ruheschlaf erwacht, beanspruchen ihre Herren, die Vatrox, sofort die Herrschaft über das Transportsystem und mehrere Galaxien.

Die Terraner und ihre Verbündeten wehren sich erbittert – und sie entdecken die Achillesferse der Vatrox. Rasch gelingen ihnen entscheidende Schläge in der Milchstraße sowie in Andromeda. Allerdings sind damit nicht alle Gefahren beseitigt. Mit den Vatrox hängen zwei rivalisierende Geisteswesen zusammen, die weitaus bedrohlicher für die Menschheit sind.

Gleichzeitig droht eine noch schlimmere Gefahr: der Tod von ES, jener Superintelligenz, mit der Perry Rhodan und die Menschheit auf vielfältige Weise verbunden sind. Rhodan muss das PARALOX-ARSENAL finden, um ES helfen zu können. Dabei ist ihm Lotho Keraete eine große Hilfe, aber die Lösung findet sich schließlich IM ZEITSPEER …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terranische Resident steht an der Schwelle zum PARALOX-ARSENAL.

Julian Tifflor – Er durchlebt schlimme Zeiten.

Krepsh und Velrit – Die Geschwister haben als Fremdenführer die Ruhe weg.

Urga Chremtaka – Die Wirtin einer KyBaracke sähe ihren Namen gern doppelt unterstrichen.

Duleymon die Siebenundsechzigste – Die Monarchin weiß, was sie will und wie sie es bekommt.

Wer meint, der erste Schritt sei immer der schwerste, geht in die Irre.

Haikus von unterwegs

 

 

Prolog

Heldenquartett

 

Sie waren nahe dran.

Perry Rhodan spürte es mit jenem Instinkt, der ihn noch selten getrogen hatte. Ein unverkennbares Kribbeln im Hinterkopf signalisierte ihm, dass eine Krise, ein Wendepunkt unmittelbar bevorstand.

Ob dieses Gefühl auf seine schwache parapsychische Begabung zurückging, war ihm dabei herzlich egal. Jedenfalls konnte er es nicht bewusst hervorrufen.

Er wusste nur: Wenn es auftrat, dann … kam Großes.

Ramoz fauchte. Das Tier, das ebenfalls schon öfter eine gewisse präkognitive Veranlagung bewiesen hatte, verdrückte sich hinter Mondra Diamonds Beine.

Das Fell gesträubt, die zitternden Barthaare angelegt, starrte das Luchswesen in die Dunkelheit, die sich inmitten von MIKRU-JONS Zentrale ausbreitete. Die undefinierbare Schwärze hatte die Form einer Kugel und zugleich einer ebenen Fläche, eines Kleckses mit Krakenarmen, eines sich immer weiter öffnenden Mauls … Und sie dehnte sich aus, wuchs auf Rhodan und seine Gefährten zu.

Julian Tifflor wich einen Schritt zurück.

Auf Mondras Gesicht mischten sich Abscheu und Furcht.

Lotho Keraetes stählernes Antlitz hingegen zeigte genauso wenig Mimik wie Icho Tolots mächtiger Kuppelschädel.

Und Perry selbst lächelte.

Endlich, dachte er.

 

*

 

Endlich strebte dieses Unterfangen, das sich nervenaufreibend erfolglos dahinzog, seinem Kulminationspunkt zu.

Die Suche nach dem PARALOX-ARSENAL, erschwert durch den Umstand, dass keinerlei Ansatzpunkte, keine wie immer gearteten Spuren oder Hinweise vorgelegen hatten, trat in die entscheidende Phase. Sie waren nahe dran, das spürte Perry Rhodan.

Ein gewisser Teil der schwarzen Wand warf Wellen, verformte sich mehr und mehr zu einem Rachen. Tief drinnen deutete sich ein Lichtschein an, ein lockender grellweißer Punkt.

Licht am Ende des Tunnels …

»Ein Tor«, sagte Perry. »Man fordert uns auf einzutreten.«

Tiff schnitt eine Grimasse. »Wer öffnete es? Wer wartet auf der anderen Seite? Was wartet auf der anderen Seite? Das PARALOX-ARSENAL?«

Er klang pessimistisch. Als könne er es kaum glauben. Als traue er der Sache nicht.

Dass Tiff derzeit nicht gerade einen Quell überbordenden Frohsinns darstellte, war nur allzu verständlich. Sein Zellaktivator hatte vor fünf Stunden seine Tätigkeit eingestellt, plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung.

»Beziehungsweise die ›Zeitkörner‹?«, setzte er fort, die Nase gerümpft. Hörbar missfiel ihm der Begriff. Er war noch nie ein Freund temporaler Komplikationen gewesen.

»Es hat unmittelbar mit uns zu tun«, sagte Perry begütigend. »Die Frage nach Prryns war auf uns Terraner abgestimmt. Kaum ein anderes Wesen hätte sie beantworten können.«

Genauer ausgedrückt: auf ihn. Eine mentale, wie in einem Canyon lange nachhallende Stimme war in ihren Gedanken erklungen: Wer zeigte Perry Rhodan, wie ESTARTU im Charif-System das Schwarze Loch Anansar erschuf?

Jede der fünf Personen in der Zentrale kannte die Antwort: Prryns. Der Name, wiewohl nicht gerade häufig erwähnt, war Bestandteil der terranischen Historie.

Nun meldete die Stimme sich erneut, verbunden mit starkem, mentalem Druck: Einer von euch wird gehen. Die anderen bleiben hier.

Der Auserwählte wird Leid auf sich nehmen wie kein Mensch zuvor. Er wird Belastungen erfahren wie kein Mensch zuvor. Er wird Geduld beweisen müssen wie kein Mensch zuvor.

Perry Rhodan versteifte sich. Das klang nach einem Spaziergang der eher strapaziöseren Sorte. Innerlich wappnete er sich bereits dafür.

Selbstverständlich fühlte er sich angesprochen. Wer sonst sollte gemeint sein?

Zumal in der Gedankenstimme ein Unterton mitklang, der ihm vertraut vorkam. Er wusste bloß noch nicht, wo er ihn hintun sollte.

»Leid, Belastungen und Geduld«, grollte Icho Tolot, während er seinen tonnenschweren Körper in Bewegung setzte. »Ich denke, dass mich eine derartige Herausforderung reizen könnte.« Er lachte so leise, wie dies ein Haluter unter äußerster Selbstbeherrschung zustande brachte.

»Ich könnte ebenso gut gehen.« Keraete überholte Tolot, blieb vor ihm stehen und blickte, die Arme vor der Brust verschränkt, zu ihm hoch.

Der Bote der Superintelligenz ES verbarg seine Emotionen wie immer gut. Jedoch lag die Vermutung nahe, dass er die Chance ergreifen wollte, einen Schandfleck auszumerzen.

Perry leckte sich über die Lippen, räusperte sich und setzte dazu an, ein Machtwort zu sprechen. Unzweifelhaft erwarteten seine Gefährten von ihm, dass er dem gut gemeinten Disput ein Ende setzte und die Verantwortung auf sich nahm.

Doch die hallende, mentale Stimme kam ihm zuvor.

Ihr habt keinen Einfluss darauf, wer den Schritt ins Anderswo machen wird. Legt die Hände auf die Dunkelheit und wartet die Entscheidung ab.

 

*

 

Tolot hob seine vier Arme. »Womit ich einen gewissen Startvorteil in diesem Wettstreit habe, meine Kleinen.« Er griff in die Schwärze der Wandung.

Als Nächster stellte sich ausgerechnet Julian Tifflor neben den Riesen von Halut; wohl weniger aus Überzeugung, als um seine Solidarität zu bekunden. Rhodan und Keraete folgten seinem Beispiel und streckten ebenfalls die Hände ins Dunkle, das sich nass, schmierig und uralt anfühlte.

Ein seltsames, fast weihevolles Pathos haftete der Szene an. Da standen sie, drei Terraner – wenngleich einer von ihnen einen nahezu unzerstörbaren Leib aus Metall belebte – und ein Haluter, der sich längst als Mensch verstand.

Wenigstens mischte Mondra sich ausnahmsweise nicht ein, sondern blieb bei Ramoz. Offenbar spürte auch sie, dass für die bevorstehende Aufgabe nur ein definitiv Unsterblicher in Frage kam.

Perry nickte Tiff, der ihn hoffnungsvoll ansah, aufmunternd zu. Diese Geste genügte.

Er musste es nicht laut aussprechen: Ich werde da hineingehen, das PARALOX-ARSENAL für uns und vor allem für ES erschließen – und ich bin zuversichtlich, dass sich dabei en passant auch eine Lösung für dein Problem mit dem Aktivatorchip finden wird. Wirst sehen, alles wird gut, alter Freund.

Das schwarze Maul öffnete sich ein klein wenig weiter. Der weiße Punkt ganz, ganz hinten verbreiterte sich zu einem Strahl, einer Zunge, einem Pfad.

Es ist entschieden, verkündete die Geistesstimme. Sie nannte einen Namen.

Er lautete nicht Perry Rhodan.

 

*

 

Zuerst glaubte er, sich verhört zu haben.

»Julian Tifflor? Das muss ein Irrtum sein!«, stieß Perry dann fassungslos hervor. »Nichts für ungut, Tiff – aber du bist ja wohl momentan der hierfür am wenigsten Geeignete von uns vieren. Dein Zellaktivator streikt. Somit wird deine Bewegungsfreiheit, sozusagen dein Zeitfenster, extrem eingeengt.«

»Vielleicht geht es darum, wer am wenigsten zu verlieren hat. Und am meisten zu gewinnen.«

»Trotzdem gebe ich Rhodanos recht. Die Funktionsstörung deines Aktivatorchips bedeutet einen zu hohen Risikofaktor.« Der Haluter zog eine seiner Hände aus der Wand und legte sie Tifflor behutsam auf die Schulter. »Deine Bereitschaft, dich aufzuopfern, ehrt dich. Jedoch solltest du Vernunft walten lassen. Mein Planhirn …«

»Ich bezweifle, dass uns Wahrscheinlichkeitsberechnungen weiterhelfen«, unterbrach ihn Tiff schroffer, als es sonst seine Art war. »Um diese Situation rational analysieren zu können, fehlen uns schlicht und einfach die Fakten.«

»Da stimme ich dir zu«, sagte Perry versöhnlich. »Dennoch musst du mir die Unterstellung gestatten, dass dich ein gewisser Defätismus antreibt. Wie es die Cowboys daheim zu formulieren beliebten: ›Ist die Kuh hin, soll auch das Kalb hin sein!‹ – Mit Verlaub, eine solche Einstellung führt selten zu positiven Ergebnissen.«

»Außerdem glaube ich nicht, dass wir uns einen weiteren Fehler leisten können«, ergriff auch Keraete Partei für Rhodan. »Bedenke …«

Es ist entschieden, wiederholte die mentale Stimme druckvoll. Es ist schon vor sehr langer Zeit entschieden worden. Julian Tifflor geht. Nur er, kein anderer.

 

*

 

Nur er, kein anderer.

Die Stimme verhallte. Das schwarze Tormaul schloss sich langsam.

Man bezeichnete Perry Rhodan nicht umsonst als Sofortumschalter. Ohne nachzudenken, warf er sich in die Öffnung.

Bevor er in die Finsternis eintauchte, sah er, dass die anderen es ihm gleichtaten; alle drei, auch Tifflor. Kurz hintereinander erklangen feucht schmatzende Geräusche.

Vielleicht war das ohnehin die bestmögliche Variante, trotz Tiffs aktueller Schwächung. Wieso sollten sie sich dem Willen einer mysteriösen Stimme unterwerfen? Deren Behauptung, bloß einer von ihnen könne zum PARALOX-ARSENAL transportiert werden, wurde durch nichts, aber schon gar nichts untermauert.

Zusammen verfügten sie über eine weit höhere Schlagkraft. Ja doch! Wahrscheinlich hatten sie soeben einen weiteren Test bestanden, indem sie sich nicht auseinanderdividieren ließen.

So musste es sein. So … musste … es …

Perry Rhodans Gedanken erlahmten. Seine Glieder erstarrten in weicher Eiseskälte.

Er nahm die Gefährten nicht mehr wahr; nahm überhaupt nicht mehr viel wahr – außer dem Pochen seines Herzens, das sich verlangsamte und allmählich verstummte.

1.

Die Zelle

 

Die Schwärze der Toröffnung umfing ihn. Julian Tifflor spürte, dass er entstofflicht wurde.

Auf seltsame, ungewohnte Weise: Es tat nicht weh, aber … es dauerte.

Tiff empfand das Gefühl einer Bewegung, einer Versetzung von einem Ort zum anderen; wie ihm schien, über beträchtliche Distanz. Schon das war anders als beim Durchgang durch herkömmliche Materietransmitter, anders auch als bei Teleportationen mit Gucky oder Ras Tschubai.

Im Laufe seines langen Lebens hatte Tiff Tausende, wenn nicht Millionen solcher Transporte über sich ergehen lassen. Sie geschahen augenblicklich; »in Nullzeit«, wie oft behauptet wurde.

Streng genommen stimmte auch der Ausdruck »augenblicklich« nicht. Normalerweise kam man nicht einmal zum Blinzeln, so prompt wechselte die Umgebung.

Von dort – flupp! – nach da, und danke. So lief das ab. – Normalerweise.

Nicht in diesem Fall. Der Vorgang zog sich hin, als müsse erheblicher Widerstand überwunden werden. Merkwürdig träge, als ob das übergeordnete Medium etwas dagegen hätte, Tiff aufzunehmen und weiterzuleiten. Fast so, als verwehre es sich gegen ihn.

Weil er der Falsche war? Weil er zu Unrecht der mentalen Stimme vertraut hatte, obwohl doch Perry Rhodan der Richtige gewesen wäre?

Tiff fühlte sich zusammengepresst, nicht schmerzhaft – er empfand überhaupt keine Sinnesreizung –, aber doch irgendwie unangenehm. Zugleich kam ihm vor, er würde in die Länge gestreckt, immer weiter zwischen zwei Fixpunkten ausgedehnt. So extrem, dass er fürchtete, zerrissen zu werden.

Diese Spannung steigerte sich bis zur Unerträglichkeit, in eine Art von tauber Agonie. Irgendwann ließ sie allmählich wieder nach; die Todesangst jedoch blieb.

Der Widerstand wandelte sich zu Schub, als wolle sich das undefinierbare Medium nun möglichst schnell des Fremdkörpers entledigen. Tifflor wurde förmlich ausgespuckt, hinausgeschleudert mit einem Schwung, den er kaum abzufangen vermochte.

Einige Stolperschritte auf weichem, federndem Untergrund – dann prallte er gegen eine Wand. Zum Glück war sie ebenfalls weich, wie Watte, und genauso weiß und faserig.

Er schüttelte die leichte Betäubung ab. Fürs Erste waren keine Verletzungen festzustellen. Auch der SERUN gab keinerlei Warnsignale von sich.

Tiff drehte sich um.

 

*

 

Er war in einem würfelförmigen Raum materialisiert, dessen Kantenlänge etwa fünf Meter betrug. Boden und Decke leuchteten ebenso mattweiß aus sich selbst heraus wie die Wände.

Nur an einer Stelle, Tiff genau gegenüber, gab es einen tiefschwarzen, annähernd kreisrunden Fleck, der sich zügig zurückbildete. Er schrumpfte zusammen, als würde er von seinem Mittelpunkt aufgesogen. Dann war er verschwunden, spurlos, ehe Tiff nach Luft schnappen konnte.

Klappe zu, dachte er sarkastisch. Scheint sich um eine Einbahnstraße gehandelt zu haben.

Er ging zu der Stelle und untersuchte sie aus nächster Nähe. Seine Vermutung bestätigte sich.

Da war nichts, was auf eine Öffnung hindeutete, rein gar nichts. Bloß die faserig und zugleich verschwommen wirkende Wattewand.

Offenbar bestand keine Verbindung zu MIKRU-JON und der Silberkugel mehr. Bis auf Weiteres war Tifflor der Rückweg versperrt.

Umgekehrt konnte ihm höchstwahrscheinlich niemand hierher nachfolgen, weder Rhodan noch Tolot noch sonst jemand.

Wo oder was auch immer unter hierher zu verstehen war …

Tiff rief die Ortungsergebnisse seines SERUNS ab. Fehlanzeige.

Entweder wurden die entsprechenden Geräte des Anzugs in ihrer Funktion gestört, oder es gab tatsächlich weit und breit nichts außer dieser Wattezelle. Immerhin war sie laut chemischer Analyse mit einer für Menschen atembaren, wenngleich mittelfristig nicht unbedingt gesundheitsfördernden Sauerstoff-Atmosphäre gefüllt.

Mittelfristig, wiederholte Tiff in Gedanken. Das Wort hatte für ihn einen neuen Unterton gewonnen.

Julian Tifflors Frist betrug 62 Stunden, maximal. Einige waren bereits verbraucht.

 

*

 

Er ließ sich die Anzeige der Anzuguhr in die Helmscheibe einblenden. 10. Mai 1463 NGZ, 19.16.53 Uhr.

Die Sekundenziffern wechselten schnell. Schneller als gewöhnlich, schien ihm. Schon sprang auch die Minute um.

Mach dich nicht verrückt, schärfte Tiff sich ein. Das ist reine Einbildung.

Schon zuvor, noch an Bord von MIKRU-JON, hatte er bemerkt, dass er ungeduldiger und reizbarer war, seit der Aktivatorchip ihn nicht mehr mit Zellschwingungsimpulsen versorgte. Gut möglich, dass diese nebenbei auch eine beruhigende Wirkung hatten.

Gehabt hatten.

Tiff konzentrierte sich darauf, Char'imchar anzuwenden, die erste Stufe der Upanishad. Sie ermöglichte, »über das Fleisch hinaus« die vegetativen Funktionen des Körpers zu kontrollieren, bis hin zu gesteigerten Reflexen und Unempfindlichkeit gegen Schmerzen.

Er war gut darin gewesen, früher einmal, hatte sogar den Status eines Ewigen Kriegers erlangt. Allerdings mit Zellaktivator, der ihn zweifellos stets unterstützt und physisch wie psychisch stabilisiert hatte.

Mittlerweile war Tiff schon froh, das bohrende Kopfweh ausblenden zu können und seine Nerven einigermaßen im Zaum zu halten. Er horchte in sich hinein, verlangsamte Atmung und Puls. Sein Herz schlug regelmäßig; aber sonst pochte nichts.

Der unterhalb seines linken Schlüsselbeins implantierte Chip hatte plötzlich ausgesetzt, an diesem Tag um kurz vor vierzehn Uhr Standardzeit. Seither hatte er seine Tätigkeit nicht wieder aufgenommen.

Somit blieben Tiff knapp 57 Stunden. Spätestens dann setzte ein rasanter Zellverfall ein, nach allem, was man wusste, unumkehrbar.

 

*

 

Er zwang sich, systematisch die Zelle nach einem Ausgang abzusuchen. Welchen Sinn sollte ein hell erleuchteter Raum mit 125 Kubikmeter Atemluft haben, wenn keine Möglichkeit für potenzielle Insassen bestand, ihn bald wieder zu verlassen?

Nun, Tiff fielen allerhand unerfreuliche Erklärungen ein … Er wischte sie beiseite. Statt sich das Hirn zu zermartern, klopfte er die Wand ab. Die Ortung versagte nach wie vor.

Sein Handschuh versank in dem weißen, wattigen Material, das bis zu einer Tiefe von etwa zehn Zentimetern nachgab; fünfzehn, wenn er mit voller, vom Anzug verstärkter Kraft dagegendrückte. Zog er die Hand heraus, glättete sich die Wandfläche binnen einiger Sekunden wieder, geräuschlos und ohne irgendeine andere erkennbare Reaktion.

So war es überall, überall gleich frustrierend. Keine Fuge, kein Schalter. Nichts Auffälliges zu ertasten, auch nicht am Boden oder an der Decke, zu der Tiff hinaufgeschwebt war.

Die Gravo-Paks des SERUNS arbeiteten klaglos. Ein schwacher Trost; und praktisch nutzlos, denn der Prallschirm ließ sich nicht aufbauen.

Hätte Tiff über die maximale Strecke, also die ganze Raumdiagonale hinweg voll beschleunigt, wäre er mit beachtlicher Geschwindigkeit in die Ecke gekracht. Aber dabei hätte er sich wohl nur selbst Prellungen und Verstauchungen zugefügt, darum ließ er es einstweilen lieber bleiben.

So verzweifelt war er doch noch nicht.

 

*