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Was sind eigentlich Olchis?

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Es gibt immer noch ein paar Erwachsene, die noch nie etwas von den Olchis gehört haben. Das ist selten, aber es kommt vor.

Vielleicht läuft dir ja mal so jemand über den Weg, und dann kannst du ihm von den Olchis erzählen. Aber pass auf, wo du ihm davon erzählst. Du kannst es beim Spazierengehen machen, im Freibad, beim Autofahren, im Zahnarzt-Wartezimmer oder auch am Telefon. Aber erzähle besser nichts Olchiges beim Frühstück, beim Mittag- oder Abendessen. Solche Momente sind für olchige Geschichten eher ungünstig.

Die Olchis mögen es nämlich, wenn es mieft, muffelt und furzt. Sie waschen sich nie, und wenn sie gähnen, dann stürzen die Fliegen ab und fallen tot auf den Fußboden. So sehr muffeln die Olchis aus dem Mund.

Die kleinen Olchis sind ganz anders als die Menschen. Ihre Nasen sind viel größer, und ihre Haut ist viel grüner. Alles, was wir Menschen wegwerfen, weil wir es nicht mehr brauchen, kommt ihnen gerade recht. Zum Glück werfen wir eine ganze Menge weg. Auf dem Schmuddelfinger Müllplatz liegen die wunderbarsten Sachen herum.

Daher haben sich die Olchis hier ihre Muffelhöhle gebaut. Sie fischen sich die leckersten Sachen aus dem Müllberg, denn sie haben ständig Hunger und einen gesunden Appetit. Alles, was ranzig und rostig, was vergoren und vergammelt ist, das mögen sie besonders gern. Die Olchis verdrücken alte Schuhsohlen wie Wiener Schnitzel und rostige Nägel wie Gummibärchen. Sie kauen Kieselsteine wie Schokolade und schlürfen lange Schuhbänder wie Spaghetti. Und Olchi-Mama kocht jeden Tag herrliche Gerichte aus schlammigem Moderstampf, krötigem Schuppenwurz und rattigen Fischgräten.

Trotzdem haben Olchis nie Bauchweh. Nur wenn ein Olchi versehentlich etwas Frisches erwischt hat, dann wird er sterbenskrank. Er bekommt bunte Flecken am ganzen Körper und Olchi-Oma muss ihm dann schnell einen kräftigen Stinkerkuchen backen. Das ist die beste Medizin, damit kriegt sie jeden kranken Olchi wieder hin.

Die Olchis sind bärenstark, sie waschen sich nie, und sie haben eine nette Frisur. Auf ihrem Kopf wachsen drei komische Zapfen, das sind ihre Hörhörner. Mit dem mittleren Hörhorn können sie alle Sprachen der Welt verstehen, was sehr praktisch ist.

Ihr Gehör ist so gut, dass sie auch die Kröten husten, die Ratten rülpsen und die kleinen Mäuse pupsen hören.

Auch die Olchis rülpsen und pupsen gerne lustig durch die Gegend, und meistens sind sie dabei gut gelaunt. Wenn es regnet, freuen sie sich über die aufgeweichten Müllteile. Sie hüpfen durch die matschigen Pfützen und schleudern sich fette Matschknödel an die Knubbelnasen.

Besonders Olchi-Papa hat es manchmal aber auch gern gemütlich. Er entspannt sich am liebsten in seiner rostigen Badewanne bei einem schönen Müllbad, oder er legt sich direkt in den weichen Schlamm.

Wusstest du, dass auch manche Menschen gern Schlammbäder nehmen? Das haben sie bestimmt den Olchis abgeschaut.

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Die Menschen bezahlen sogar Geld dafür, weil sie finden, dass es ihnen guttut und sie davon schöner werden.

Aber bei den Olchis ist das ganz anders, und mit Geld haben sie sowieso nichts am Hut. So etwas kennen und brauchen sie gar nicht.

Wenn sie fröhlich Geburtstag feiern, dann hört man ihre olchigen Lieder laut und schaurig über den Müllberg schallen. Sie haben jede Menge Zeit, denn sie müssen nicht zur Arbeit und nicht in die Schule. Und die Olchi-Kinder bekommen keine schlechten Noten, und beim Essen dürfen sie die Füße auf den Tisch legen. Ist das nicht ein schönes
Leben?

Weil sie so ein schönes, gemütliches Leben führen, werden sie steinalt. Olchi-Opa ist bestimmt schon ungefähr neunhundertfünfundachtzig Jahre alt. Vor ein paar Hundert Jahren war er Haifischjäger, Raumfahrer, Taucher und Känguru-Trainer und alles, was ihm sonst noch so einfällt.

Mir fällt jetzt auch etwas ein. Ich will dir eine oberolchige Geschichte erzählen. Aber erst, wenn du mit dem Essen fertig bist. Na ja, du kannst dir Zeit lassen, die Geschichte beginnt erst mal noch gar nicht olchig.

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Die Gräfin

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Die Gräfin Kreszentia von Wurm und Bakschisch saß auf ihrem feuerroten Samtsofa. Sie trank schwarzen Kaffee und blätterte in einem Katalog mit dem Titel »Neue Ideen aus aller Welt«.

Mit ihrem goldenen Füller füllte sie einen Bestellschein aus. Sie kaufte einen Rasenmäher-Roboter und eine neuartige Wunderwaffe gegen die Maulwürfe im Schlossgarten. Dann entdeckte sie Fußpuder von argentinischen Tangotänzern und bestellte drei Dosen davon, denn ab drei Stück gab es ein wenig Rabatt.

Die Gräfin lächelte zufrieden. Sie nahm die Lesebrille von ihrer langen Nase und klingelte nach Jakob, dem Butler. Der musste wie immer ihren Bestellschein abschicken.

Kreszentia von Wurm und Bakschisch liebte diese praktischen Bestellkataloge, denn sie ging zum Einkaufen nur ungern aus dem Haus. Wenn ihr der Postbote ein Paket brachte, hatte sie meistens längst vergessen, was sie alles bestellt hatte, und so war es jedes Mal eine nette Überraschung. Butler Jakob packte die Pakete aus und verstaute die Sachen irgendwo auf dem Dachboden des Schlosses.

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Da waren stapelweise Bettwäsche aus Seide, Panamahüte in allen Größen, Heizdecken für jede Jahreszeit, zierliche Servierwagen und praktische Reisehausschuhe für alle Fälle – obwohl die Gräfin schon lange nicht mehr verreist war.

Gestern war ein Päckchen mit Stuhlsocken angekommen. Stuhlsocken waren kleine Samtüberzüge, die aussahen wie Hundepfoten. Der Butler durfte sie über die Stuhlbeine der Esszimmerstühle ziehen.

»Sieht das nicht putzig aus!«, hatte die Gräfin erfreut gerufen. Und Jakob hatte gedacht: Ja, die sind bestimmt gut gegen Kratzer im Parkett.

Er hatte dennoch besorgt den Kopf geschüttelt. Seiner Meinung nach gab die Gräfin viel zu viel Geld für Krimskrams aus. Dabei war das alte Schloss in ziemlich schlechtem Zustand. Die Wände hätten längst gestrichen werden müssen, und die Fenster waren alt und undicht.

Sie sollte ihr Geld doch besser in die Renovierung des Schlosses stecken, dachte der Butler. Aber natürlich sagte er nichts. Butler müssen in jeder Lage höflich, diskret und schweigsam sein.

Eben war Jakob mit dem neuen Bestellschein losgezogen. Die Gräfin nahm ein kleines Tütchen vom Tisch und ging damit hinaus in den Garten, um nach den Hunden zu sehen.

Sie besaß drei prächtige Pudel, einen weißen, den sie Amor getauft hatte, einen schwarzen namens Pollux und die champagnerfarbene Aphrodite.

»Da seid ihr ja, meine Süßen!«, rief die Gräfin.

Die Pudel begrüßten sie so freudig, als hätten sie ihr Frauchen eine Ewigkeit nicht gesehen.

»Ich muss euch hübsch machen. Wir bekommen heute Besuch«, sagte die Gräfin und fischte drei rote Schleifen aus ihrer Tüte. Die erste befestigte sie an Amors Kopf.

»Schön stillhalten«, sagte sie zu ihm. »Heute kommt unsere kleine Viktoria. Sie wird ihre Ferien hier bei uns verbringen. Ihr müsst schön lieb zu ihr sein.«

Die Pudel wedelten mit ihren kurzen Schwänzen, so als hätten sie jedes Wort verstanden.

»Tja, wir werden sehen«, sagte sie zu den Hunden. »Wir werden uns Mühe geben, dass es Vicky hier gefällt. Das Kind kann im Garten spielen und sich bestimmt ganz gut selbst beschäftigen. Vicky ist ja inzwischen schon groß.«

Die Gräfin war ein großer Hundefreund, man kann sogar sagen, Hunde waren ihr viel lieber als die Menschen.

In letzter Zeit sah man sie nur selten in der Stadt. Hier im Schloss hatte sie alles, was sie brauchte. Butler Jakob kümmerte sich um den Haushalt, Berta, die Köchin, kannte all ihre Lieblingsspeisen, und Herr Weißbrot, der gut gelaunte Gärtner, pflegte ihr den wunderschönen Garten.

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Natürlich bekam sie hin und wieder auch Besuch. Und zweimal im Monat spielte sie Karten mit ein paar alten Freundinnen, die sie seit der Schulzeit kannte.

Doch jetzt stand ein ganz anderer Besuch ins Haus.

Die Gräfin freute sich auf ihre kleine Nichte, aber sie hatte auch Bedenken. Sie war Kinder nämlich überhaupt nicht gewohnt.

Als sie mit den Hunden zurück ins Haus ging, rümpfte sie ihre lange Nase. Da war wieder dieser schreckliche Geruch!

Einen Spaziergang weit vom Schloss entfernt lag nämlich die Schmuddelfinger Müllkippe. Wenn der Wind von Osten kam, vermischte sich der Duft ihrer Lavendel- und Rosenbüsche mit diesem fauligen Lüftchen.

»Was für ein Gestank! Nie werde ich mich daran gewöhnen«, sagte die Gräfin ärgerlich. Schnell machte sie die Terrassentür hinter sich zu.

»Kommt, ihr Süßen!«, rief sie dann, und die Hunde folgten ihr ins Pudelzimmer.

Dort hatte jeder ihrer drei Lieblinge ein eigenes Hundesofa. Die weichen Decken darauf waren mit glitzernden Strass-Steinchen verziert, und die Tapeten hatten ein bezauberndes Muster aus kleinen Knochen. Es gab drei kleine Hunde-Himmelbetten, und die Fressnäpfe der Pudel hatten vergoldete Füßchen. Die Gräfin hatte sie erst neulich in einem Hundekatalog entdeckt. Weil sie so edel wirkten, hatte sie sie sofort bestellt.

Die alte Standuhr im Flur schlug fünf Mal: Für die Pudel war es Zeit zum Abendessen und die Gräfin hatte es gern pünktlich.

Sie servierte ihnen einen leichten Imbiss aus biologischem Hundegebäck.

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Vicky kommt an

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Pünktlich um halb sechs kam Vicky mit dem Zug am Gammelsberger Bahnhof an.

Gammelsberg war der größere Nachbarort von Schmuddelfing, und Butler Jakob musste Vicky mit dem gräflichen Auto dort abholen und zum Schloss bringen.

Jakob erwartete die Nichte der Gräfin auf dem Bahnsteig. Er erkannte sie sofort an ihren lockigen roten Haaren. Er trug ihr Gepäck zum Auto, und Vicky war froh, denn ihre Tasche war ganz schön schwer. Sie hatte schließlich nicht nur für zwei Wochen Klamotten eingepackt, sondern auch einen kleinen Stapel Bücher, die sie alle in den Ferien lesen wollte.

Als sie im Auto zum Schloss fuhren, kurbelte sie das Fenster nach unten und ließ ihren langen Pferdeschwanz draußen im Wind wehen.

Der Butler drückte die Fernbedienung, und das Tor der Schlossmauer öffnete sich automatisch. Sie fuhren den Kiesweg hoch, direkt vor die Haustür.

Die Gräfin kam ihnen entgegen und rief: »Hallo, Viktoria! Willkommen auf Schloss Teufelseck!«

»Hallo, Tante Kreszentia!«

Vicky hüpfte aus dem Auto. Aus ihrer Reisetasche kramte sie ein Geschenk, das in bunt bemaltes Packpapier gewickelt war.

»Das ist für dich«, sagte sie.

Die Gräfin wickelte das Päckchen gleich aus und fand darin ein geschnitztes Stück Holz. Es war bemalt und an den Seiten mit Federn beklebt. Erstaunt betrachtete sie es von allen Seiten.

»Das ist ein Huhn«, erklärte ihr Vicky. »Ich hab es extra für dich gebastelt.

»Ein Holzhuhn? Wie originell«, meinte die Gräfin und gab es schnell ihrem Butler, der es zusammen mit Vickys Reisetasche ins Haus trug.

»Na, dann komm mal«, sagte sie. »Als Erstes bekommst du eine kleine Schlossführung. Als du das letzte Mal hier warst, da warst du ja noch fast ein Baby.«

»Ich war drei!«, protestierte Vicky. »Und jetzt bin ich schon achteinhalb.«

»Also gut, meine große Dame, möchten Sie bitte vorausgehen?«, sagte die Gräfin lächelnd.

Vicky staunte, als sie durch die langen Flure schlenderten.

Was für ein prächtiges Schloss! Der alte Parkettboden knarrte zwar bei jedem Schritt, und es roch alt und ungelüftet. Die schweren Vorhänge waren vergilbt, die Türen abgestoßen, und eine der Fensterscheiben hatte einen Sprung. Auch die Tapeten an den Wänden waren an manchen Stellen verschlissen, doch Vicky fiel das alles gar nicht auf.

»Oh Mann, ist das alles riesig hier!«, rief sie begeistert.

Ein mächtiger Kronleuchter hing ein wenig schief im Treppenhaus, und der Flur war mit dicken Teppichen ausgelegt. Vicky konnte nicht anders, als ihre Schuhe auszuziehen und barfuß zu laufen. Wie weich sich das anfühlte!

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»Was tust du da?«, fragte ihre Tante verwundert, denn noch nie war hier im Schloss jemand barfuß herumgelaufen.

Vicky lachte und rannte die lange dunkle Holztreppe hinauf.

Hinter einer hohen Eichentür war das Gästezimmer.

Ein riesiges Doppelbett stand an einer fliederfarbenen Wand, zarte Seidenvorhänge bewegten sich leise im Wind am halb offenen Fenster. Auf einer weißen Kommode stand ein Strauß mit frisch gepflückten Blumen.

»Ich hoffe, es gefällt dir«, sagte die Gräfin.

Am schönsten fand Vicky das Bett. Noch nie hatte sie in einem so großen Bett gelegen. Sie hüpfte darauf herum und kuschelte sich probeweise in die weichen Kissen.

Die Gräfin lächelte und zeigte Vicky noch ein paar andere Zimmer.

Als sie an der Küche vorbeikamen, winkte ihnen die Köchin zu. Vicky fand, dass sie sehr nett aussah.

»Berta wird für dich kochen«, erklärte ihre Tante. »Sie macht die besten Pfannkuchen von ganz Schmuddelfing.«

Sie besichtigten den Garten und den Teich mit den Goldfischen. Drüben bei den Oleanderbüschen trafen sie Herrn Weißbrot, den Gärtner. Er pflückte eine Blume und steckte sie Vicky ins Haar.

Dann kam Jakob mit den Pudeln in den Garten. Die Hunde flitzten zu ihnen herüber, und Vicky tollte mit ihnen über den Rasen. Die Gräfin freute sich, dass ihre Pudel so einen Spaß mit Vicky hatten.

Als Berta ein wenig später mit dem Abendessen kam, setzten sie sich auf die Terrasse. Es gab Melone und Feigen, gebratene Hühnerschenkel und lauwarmen Schokokuchen mit Himbeeren.

»Schön ist es hier«, sagte Vicky. »Wie im Paradies.«

Die Gräfin knabberte an ihrem Melonenschnitz, rümpfte die Nase und sagte: »Leider stinkt es heute wieder.«

»Was meinst du?«, fragte Vicky. Ihr Schokokuchen duftete himmlisch.

»Dieses faulige Lüftchen«, meinte die Tante. »Merkst du es denn nicht?«

Vicky hob die Nase und schnüffelte wie ein Hund. »Jetzt, wo du es sagst … Es riecht ein bisschen nach Gulli.«

Ihre Tante runzelte die Stirn. »Wenn es so heiß ist wie heute und wenn der Wind ungünstig weht, dann riecht man die Schmuddelfinger Müllkippe.«

»Mich stört es eigentlich nicht so sehr«, meinte Vicky und schob sich ein paar Himbeeren in den Mund.

»Es ist unerträglich«, erklärte die Tante. »Und man muss sich das mal vorstellen: Da auf der Müllkippe wohnt angeblich eine Familie mit drei Kindern.«

»Wieso das denn?«, fragte Vicky erstaunt.