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Alexandre Dumas

Die Memoiren Giuseppe Garibaldis

 

Impressum

Covergestaltung:       Irene Repp

Digitalisierung:       Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke

2015 andersseitig.de

ISBN: 9783955018580


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Inhalt

Impressum

ERSTES BUCH

1. Meine Eltern

2. Meine ersten Jugendjahre

3. Meine ersten Reisen

4. Meine Weihe

5. Die Ereignisse von Saint-Julien

6. »Der Gott der Guten Leute«

7. lch trete in den Dienst der Republik Rio Grande

8. Kosar

9. La Plata

10. Die östlichen Ebenen

11. Die Dichterin

12. Der Kampf

13. Louis Carniglia

14. Die Gefangenschaft

15. Das Hängespiel

16. Reise in die Provinz Rio Grande

17. Die Lagune von Los Patos

18. Ausrüstung der Lancionen am Camacuma

19. Die Estancia della Barra

20. Expedition nach Santa Catarina

21. Abreise und Schiffbruch

22. John Griggs

23. Santa Catarina

24. Eine Frau

25. Die Reise

26. Die Plünderung Imeruis

27. Neue Kämpfe

28. Zu Pferde

29. Der Rückzug

30. Aufenthalt in Lages und Umgebung

31. Schlacht am Taquari

32. Sturm auf San Jose

33. Anita

34. Rossetti

35. Die Picada das Antas

36. Rinderherdenführer

37. Professor der Mathematik und Warenmakler

38. Ich sprenge meine Schiffe in die Luft

39. Man bildet Legionen

40. Der Oberst Neyra

41. Übergang über Boyada

42. Die italienische Legion verweigert die Annahme der ihr angebotenen Ländereien

43. Rivera fällt in Ungnade

44. Englisch-französische Intervention

45. Gefechte bei Salto San Antonio

46. Ich schreibe an den Papst

47. Ich kehre nach Europa zurück. Auzanis Tod

48. Noch etwas von Montevideo

ZWEITES BUCH

1. Feldzug in der Lombardei

2. Folgen des Feldzuges in der Lombardei

3. Rom

4. Expedition gegen die neapolitanische Armee

5. Kampf bei Velletri

6. Der dritte Juni

7. Die Belagerung

8. Die Überumpelung

9. Das Ende

10. Wer mich liebt, folgt mir

11. Der Ausmarsch

12. Über den Mensch

13. Weitermarsch und Gefahren

14. Kapitulation und Abzug

15. Die Einschiffung und Landung

16. Flucht und Tod

17. Der Flüchtling

18. Die Verbannung

19. Bürgerliche Beschäftigungen

DRITTES BUCH

George Sand über den Krieg in der Lombardei

1. Entwicklung des Krieges in der Lombardei von 1859

2. Garibaldi und die Bildung von Freikorps

3. Ausbruch des Krieges und erste Stellungen der Alpenjäger

4. Selbständige Operationen des Garibaldi´schenbis zum Übergang über den Tincino

5. Varese

6. Como

7. Gefährliche Lage des Alpenjäger-Korp

8. Bergamo und der Engländer Garibaldis

9. Brescia und Castenoldo

10. Kampfe im Veltin

11. Der Frieden

12. Garibaldi fordert seine Entlassung aus sardinischen Diensten

13. Garibaldi als Kommandeur der mittelitalienischen Truppen

14. Garibaldis Rücktritt vom Kommando

15. Schmerzliche Erfahrungen

16. Der Aufstand auf der Insel Sizilien

17. Vorbereitungen auf den Zug nach Sizilien

18. Die Einschiffung und Überfahrt

19. Folgen der Landung und Vorrücken auf Palermo

20. Kampf um Palermo

21. Kapitulation von Palermo und Vorbereitung zu weiteren Kämpfen

22. La Farina und Auszug aus Palermo

VIERTES BUCH

1. Millazo

2. Messina

3. Garibaldis Landung auf dem Festlande

4. Reggio und Monteleone

5. Einzug in Neapel

6. Capua

7. Caserta

8. Der Anschluss

9. Vor Capua

10. Garibaldis Rücktritt

11. Die Soldaten Garibaldis und die Belagerung Gaetas

12. Garibaldi auf Caprea

13. Messina und Caprera

14. Garibaldi in Turin

15. Garibaldis und Cialdinis Streit

16. Italien und Garibaldi

17. Cavours Tod

 

ERSTES BUCH

 

1. Meine Eltern

 

 

Ich bin am 22. Juli 1807 zu Nizza nicht nur in demselben Haus, sondern auch im selben Zimmer geboren, in dem Andre Massena zur Welt kam. Wie man sagt, war der berühmte Marschall der Sohn eines Bäckers, und noch heute ist im Erdgeschoss des Hauses eine Bäckerei.

Ehe ich von mir selbst spreche, gestatte man mir, ein Wort über meine trefflichen Eltern zu sagen, deren ehrenwerter Charakter und innige Zärtlichkeit so großen Einfluss auf meine Erziehung und natürlichen Anlagen hatten.

Mein Vater, Dominique Garibaldi, aus Chiavari gebürtig, war der Sohn eines Seemannes und selbst Seemann; seine Augen erblickten schon bei der Geburt das Meer, auf dem er fast sein ganzes Leben zubringen sollte. Es ist wahr, er besaß nicht die Kenntnisse wie manch anderer seines Standes, geschweige denn, wie man sie heutzutage besitzt; er erhielt seine nautische Ausbildung nicht in einer Schule, sondern ausschließlich auf den Schiffen meines Großvaters. Später kommandierte er ein eigenes Schiff und wusste sich stets ehrenvoll zu benehmen.

Was er je an Vermögen besaß, war einer Menge von Zufällen unterworfen, teils glücklichen, teils unglücklichen, und ich habe gehört, er hätte uns mehr hinterlassen können, als geschehen ist. Was das anbetrifft, so tut es nicht viel zur Sache. Mein armer Vater war freigiebig und gab sein mühsam erworbenes Geld aus, wie er es gerade verstand, und ich bin ihm deshalb für das wenige, das er mir hinterließ, nicht weniger dankbar. Im Übrigen zweifle ich nicht im Mindesten daran, dass von all dem Geld, das er in den Wind geworfen, dasjenige, welches er auf meine Erziehung verwandte, mit dem größten Vergnügen ausgegeben hat, obgleich diese Erziehung bei seinen Vermögensumständen eine schwere Last war.

Glaube man deshalb aber nicht, dass meine Erziehung im Mindesten aristokratisch gewesen sei. Nein, mein Vater ließ mich weder turnen noch fechten oder reiten. Das Turnen lernte ich, indem ich in die Wanten hinaufkletterte und mich am Tauwerk herabgleiten ließ, das Fechten, indem ich meinen Kopf verteidigte und mir Mühe gab, den anderen auf das Beste zu treffen, und das Reiten, indem ich mir ein Beispiel an den ersten Reitern der Welt, den Gauchos, nahm.

Die einzige körperliche Übung meiner Jugend - und nicht einmal dabei hatte ich einen Lehrer - war das Schwimmen; wann und wie ich es lernte, weiß ich nicht mehr, mir kommt es vor, als hätte ich es immer gekonnt und wäre als Amphibie geboren worden. Obgleich ich, wie alle wissen, die mich kennen, keine Lust habe, mein eigener Lobredner zu sein, kann ich doch geradeheraus sagen, dass ich einer der tüchtigsten Schwimmer bin, die es gibt; man kann mir also das Zutrauen, das ich in mich setze, nicht hoch anrechnen, wenn ich nie gezögert habe, ins Wasser zu springen, um das Leben eines meiner Mitmenschen zu retten. Wenn mich mein Vater nicht alle diese Geschicklichkeiten erlernen ließ, so war das übrigens mehr ein Fehler der Zeit als sein eigener. In jenen traurigen Tagen waren die Priester unbeschränkte Herren im Piemont und ihre eifrigsten Bemühungen zielten eher darauf ab, aus den jungen Leuten unnütze, nichtstuerische Mönche zu machen, statt sie zu Bürger zu erziehen, die unserem unglücklichen Vaterland zu dienen im Stande wären. Bei der zärtlichen Liebe, die mein armer Vater für uns hegte, fürchtete er von jedem Studium für uns das Schlimmste in späterer Zeit.

Meine Mutter, Rosa Ragiundo, war, wie ich mit Stolz bekenne, das Muster aller Frauen; freilich soll das jeder Sohn von seiner Mutter sagen, keiner wird es aber mit mehr Überzeugung aussprechen können als ich.

Eine der bittersten Seiten meines Lebens ist und wird immer sein, dass ich sie nicht habe glücklich machen können, dass ich im Gegenteil ihre letzten Tage in Trauer und Schmerz versenkt habe. Gott allein kennt die Angst, die ihr mein abenteuervolles Leben bereitet hat, denn er allein kennt ihre unermessliche Liebe zu mir. Wenn es gute Gefühle in meinem Herzens gibt, so bekenne ich laut, dass ich sie nur von ihr habe; ihr engelgleiches Wesen musste notwendig einen Strahl auch auf mich werfen. Verdanke ich nicht ihrem Mitgefühl für die Leiden anderer diese große Liebe und - mehr noch - tiefe Hingabe für das Vaterland, die mich die Zuneigung meiner unglücklichen Landsleute gewinnen ließ?

Ich bin gewiss nicht abergläubisch, dennoch versichere ich, dass ich meine Mutter in den furchtbarsten Lagen meines Lebens, wenn der Ozean unter dem Kiel und gegen die Planken meines Schiffes schäumte, es wie einen Kork hob, wenn die Geschützkugeln wie Sturmwind an meinem Ohr vorbeiflogen und die Flintenkugeln wie Hagel um mich her einschlugen, beständig vor mir sah, kniend ins Gebet versunken, vor dem Höchsten gebeugt, den sie für das Kind ihres Herzens anrief. Was mir den Mut gab, über den andere zuweilen gestaunt haben, ist die Überzeugung, dass mir nie ein Unglück zustoßen könne, wenn eine so fromme Frau wie ein Engel für mich betet.

 

 

2. Meine ersten Jugendjahre

 

 

Meine Jugendjahre verbrachte ich, wie alle Kinder, unter Lachen und Weinen. Mehr dem Vergnügen als der Arbeit zugetan, mehr der Zerstreuung als dem Studium, zog ich aus den Opfern, die mir meine Eltern brachten , nicht den Vorteil, den ich daraus hätte ziehen können, wäre ich klüger gewesen. Ich war guten Herzens - ein Geschenk Gottes und meiner Mutter - und hatte stets ein tiefes Mitgefühl für alles, was klein, schwach und leidend war. Mein Mitleid galt auch den Tieren oder fing vielmehr bei ihnen an. Ich erinnere mich, dass ich eines Tages eine Grille fand, die ich auf mein Zimmer trug, um mit ihr zu spielen. Dabei riss ich ihr aus Ungeschicklichkeit oder eher kindischem Unverstand ein Bein aus. Mein Schmerz darüber war so groß, dass ich mich für mehrere Stunden einschloss und bitterlich weinte.

Als ich einmal mit einem meiner Vettern auf die Jagd ging, blieb ich am Ufer eines tiefen Baches stehen, in dem Wäscherinnen zu waschen pflegten und wo gerade eine arme Frau damit beschäftigt war. Ich weiß nicht, wie es zuging, aber sie fiel ins Wasser. So klein wie ich war - ich zählte damals kaum acht Jahre -, sprang ich in den Bach und rettete sie. Ich erzähle dies nur, um zu bezeugen, wie natürlich mein Gefühl ist, das mich treibt, meinen Mitmenschen zu helfen, und wie wenig es mein Verdienst ist, wenn ich ihm folge.

Von den Lehrern, die ich in jener Lebensperiode hatte, habe ich Pater Giovanni und Herrn Arena eine besonders dankbare Anhänglichkeit bewahrt.

Bei dem Ersteren machte ich keine großen Fortschritte, da ich immer mehr Neigung zum Spielen und Vagabundieren als zur Arbeit hatte. Ich mache mir noch heute einen Vorwurf daraus, das Englische nicht gelernt zu haben, wie es in meiner Macht gestanden hätte, ein Vorwurf, der sich bei allen Gelegenheiten, in denen ich mit Engländern zusammentraf - und diese waren häufig - stets wieder geltend machte. Da Pater Giovanni zum Haus und gewissermaßen zur Familie gehörte, litten meine Lehrstunden unter der familiären Nähe, in der ich zu ihm stand. Dem Zweiten, einem ausgezeichneten Lehrer, verdanke ich das wenige, was ich weiß, besonders bin ich ihm ewig dankbar dafür, dass er mich durch die fortwährende Lektüre der römischen Geschichte so gründlich in meine Muttersprache eingeweiht hat.

In Italien hat man oft den Fehler begangen - besonders in Nizza, wo die Nachbarschaft Frankreichs auf die Erziehung Einfluss hat -, die Kinder nicht in der Sprache und den Angelegenheiten des Vaterlandes zu unterrichten. Ich verdanke also dieser ersten Lektüre unserer Geschichte und den Bemühungen meines älteren Bruders Angelo, mir dieses Studium sowie das unserer schönen Sprache zu empfehlen , das wenige, was ich an historischer Wissenschaft und an Leichtigkeit des Ausdrucks in der Rede gelernt habe.

Ich schließe diese erste Periode meines Lebens mit der Erzählung einer Begebenheit, die eine Idee von meinen Anlagen zum Abenteurer gibt.

Der Schule müde und meiner sitzenden Lebensweise überdrüssig, schlug ich eines Tages einigen meiner Schulkameraden vor, nach Genua zu entfliehen. Wie gesagt, so getan. Meine Abenteurer genossen waren, soweit ich mich erinnere, Caesar Parodi, Raffaello de Andreis und Celestino Bermond. Wir machten ein Fischerboot los und nahmen Kurs gen Osten. Wir waren schon auf der Höhe von Monaco, als ein Abgesandter meines vortrefflichen Vaters uns wie ein Korsar kaperte und beschämt in die elterlichen Häuser zurückbrachte. Ein Abbe hatte uns gesehen und verraten; von daher rührt meine geringe Sympathie für Priester.

 

 

 

3. Meine ersten Reisen

 

 

»Oh Frühling, Jugendzeit des Jahres! Oh Jugend, Frühling des Lebens!« heißt es bei dem Dichter Pietro Metastasio; und ich möchte hinzufügen: Welchen Glanz verleiht die Sonne der Jugend doch allen Dingen!

Von dieser prächtigen Sonne verklärt, erschienst du mir, oh schöne Constanza, das erste Schiff, auf dem ich über das Meer streifte. Deine starken Planken, dein schlankes und leichtes Mastwerk, dein geräumiges Vordeck, alles bis zum weiblichen Brustbild am Galion wird mit meiner jugendlichen Phantasie auf ewig unauslöschlich in meiner Erinnerung bewahrt bleiben, auch deine Matrosen, teure Constanza, diese wahrhaft unerschrockenen Ligurier, die sich so graziös über ihre Ruder zu beugen verstanden! Mit welcher Freude wagte ich mich auf den offenen Gang des Hinterdecks, um ihren Volksliedern und harmonischen Gesängen zu lauschen! Sie sangen Liebeslieder, niemand lehrte sie damals andere. So unbedeutend diese Lieder waren, rührten und berauschten sie mich. Oh, hätten sie dem Vaterland gegolten, so würden sie mich begeistert, närrisch gemacht haben! Wer aber hätte ihnen damals sagen sollen, dass es ein Italien gäbe? Wer sie lehren sollen, dass wir ein Vaterland zu rächen und zu befreien hätten? Nein, wir wurden erzogen und wuchsen heran in dem Glauben, das Leben habe nur den einen Zweck, Geschäfte zu machen.

Während ich glücklich das Schiff betrachtete, schnürte meine Mutter weinend mein Reisebündel.

Es war mein Beruf, die Meere zu durchkreuzen. Mein Vater hatte sich dem nach Kräften widersetzt. Der treffliche Mann wünschte, dass ich eine friedliche und gefahrlose Laufbahn betrete, Priester, Advokat oder Arzt würde; aber meine Hartnäckigkeit besiegte ihn, seine Liebe beugte sich vor meinem jugendlichen Eigenwillen. Ich schiffte mich auf der Brigantine »Constanza « ein, deren Kapitän Angela Pesante der kühnste Seemann war, den ich je gekannt habe. Sollte unsere Marine den Aufschwung nehmen, den man erhoffen darf, so hätte Kapitän Pesante das Kommando eines unserer ersten Kriegsschiffe verdient, da es gewiss keinen zuverlässigeren Schiffsführer gibt als ihn. Wenn es jemals dazu kommt, so stehe ich dafür, dass er dem Vaterland Nutzen und Ruhm bringen wird.

 

Ich machte meine erste Reise nach Odessa. Solche Reisen sind heute so gewöhnlich und leicht geworden, dass es überflüssig ist, sie zu schildern.

Meine zweite Reise führte nach Rom, diesmal mit meinem Vater; er war während meiner ersten Abwesenheit so beunruhigt gewesen, dass er, da ich nun einmal zur See fahren wollte, mit mir zu reisen beschlossen hatte. Wir bestiegen seine eigene Tartane, die »Santa Reparata«.

Ach Rom! Welche Freude, nach Rom zu reisen! Was konnte Rom für mich, den glühenden Altertumsschwärmer, anderes sein als die Hauptstadt der Welt? - Eine entthronte Königin, gewiss, aber ihre unermesslichen, gigantischen, erhabenen Ruinen, ihr glanzvoller Geist eine Erinnerung an alles, was ehemals groß war!

- Rom, nicht allein die Hauptstadt der Welt, sondern auch die Wiege dieser heiligen Religion, die die Sklavenketten zerbrochen und eine Menschheit geadelt hat, die bisher mit Füßen getreten worden war. Eine Religion, deren erste und wahre Apostel Nationen gebildet und Völker emanzipiert haben. Das Rom, das ich in meinen Jugendträumen sah, war nicht allein das Rom der Vergangenheit, sondern auch das Rom der Zukunft, das in seinem Busen die Wiedergeburt eines durch die Eifersucht der Mächte verfolgten Volkes trug, das groß geboren war und an der Spitze der Völker stand, die es zur Zivilisation geführt hat.

Oh Rom! Wenn ich an sein Unglück, an seine Erniedrigung, an sein Märtyrertum dachte, wurde es mir heilig und teuer über alles in der Welt. Ich liebte es mit der ganzen Stärke meiner Seele, nicht allein für die stolzen Kämpfe seiner Größe während so vieler Jahr hunderte , sondern auch in den kleinsten Begebenheiten, die ich in meinem Herzen wie einen kostbaren Schatz sammelte.

Weit entfernt davon, nachzulassen, ist meine Liebe für Rom durch Entfernung und Verbannung nur gewachsen. Oft, sehr oft habe ich auf der anderen Seite der Meere, dreitausend Meilen von Rom entfernt, den Allmächtigen angefleht, es wiedersehen zu dürfen. Rom war für mich Italien, weil ich Italien nur in der Vereini gung seiner zerstreuten Glieder sehen konnte und Rom für mich das vorzüglichste Symbol der italienischen Einheit ist.

 

4. Meine Weihe

 

 

Für einige Zeit unternahm ich mit meinem Vater Küstenfahrten, dann ging ich nach Cagliari auf die Brigantine »Aetna« unter Kapitän Joseph Gervino.

Auf der Rückfahrt nach Nizza wurde ich Zeuge eines schrecklichen Unfalls, den ich in meinem Leben nicht vergessen werde. Wir segelten auf der Höhe von Kap Roh mit einigen anderen Fahrzeugen zusammen, unter denen eine schöne katalonische Feluke war. Nach zwei oder drei Tagen schönen Wetters kamen einige Böen des Windes auf, den wir Seeleute den Libieno nennen, weil er über die lybische Wüste streicht, ehe er auf das Mittelmeer trifft. Bald ging die See höher, und der Wind wurde stärker, bis er so wütend blies, dass er uns unwiderstehlich gegen Vado trieb.

Die katalonische Feluke hielt sich anfangs bewundernswert, und ich behaupte, dass angesichts Wetters, das wir noch zu erwarten hatten, keiner von uns nicht lieber an Bord dieser Feluke als auf seinem Schiff zu sein gewünscht hätte. Aber das arme Schiff sollte uns bald ein sehr schmerzliches Schauspiel bieten: Eine furchtbare Welle warf es um, und kurz darauf sahen wir auf der abschüssigen Fläche seines Decks nur noch einige Unglückliche, die ihre Hände nach uns ausstreckten, bald aber durch eine noch schrecklichere Welle fortgespült wurden. Diese Katastrophe fand an unserer Steuerbordseite statt, und es war uns und den anderen Schiffen, die sich ganz in derselben Lage befanden wie wir, wirklich unmöglich, den unglücklichen Schiffbrüchigen zu helfen. So kamen neun Mann der Schiffsbesatzung elend vor unseren Augen um; auch den Härtesten kamen die Tränen, die aber bald wieder von der Gefahr getrocknet wurden, in der wir selbst schwebten. Als ob die dunklen Mächte durch dieses Menschenopfer besänftigt worden seien, kamen wir und die anderen Schiffe ohne einen weiteren bösen Zwischenfall nach Vado. Von dort segelte ich zuerst nach Genua und dann nach Nizza zurück.

Danach unternahm ich eine Reihe von Reisen in die Levante, bei denen wir dreimal von Seeräubern gekapert und ausgeplündert wurden. Dies passierte auf einer Reise gleich zweimal - sehr zum Ärger der Piraten, die den zweiten Überfall unternahmen, da sie nichts mehr fanden, was sie uns hätten nehmen können. Auf diesen Reisen lernte ich, mit der Gefahr vertraut zu werden, und machte die Erfahrung, mich wie ein Nelson Fragen zu können:

»Was ist denn eigentlich Furcht?«

Bei einer dieser Reisen auf der Brigantine »Cortese« mit Kapitän Barlasemeria musste ich zu Konstantinopel krank zurückbleiben, weil das Schiff gezwungen war, unter Segel zu gehen. Da die Krankheit sich länger hinzog, als ich erwartet hatte, kam ich mit meinem Geld sehr in Verlegenheit. In welch peinlicher Lage ich mich je befunden habe und von welchem Nachteil ich auch bedroht gewesen bin, habe ich mich doch immer sehr wenig der Betrübnis hingegeben, denn stets habe ich das Glück gehabt, einer mitleidigen Seele zu begegnen , die sich meiner annahm. Unter diesen gibt es eine, die ich nie vergessen werde; es ist die gute Madame Louise Sauvaigo aus Nizza, eine treffliche Frau, die mich zu der Überzeugung gebracht hat, dass meine Mutter und sie die vollkommensten Frauen der Welt gewesen sind. Sie war das Glück ihres Mannes, eines ausgezeichneten Menschen, und sorgte mit bewunderungswürdiger Umsicht für ihre kleine Familie.

Warum ich ihrer hier erwähne, weiß ich eigentlich nicht. Aber da es nun einmal geschehen ist, will ich gestehen, dass es mir mein Herz diktiert hat.

Der damals zwischen der Hohen Pforte und Russland ausgebrochene Krieg trug dazu bei, meinen Aufenthalt in der türkischen Hauptstadt zu verlängern. In dieser Zeit, gerade in dem Augenblick, wo ich nicht wusste, wovon ich am anderen Tage leben sollte, wurde ich als Lehrer bei der verwitweten Madame Timoni angestellt. Eine Empfehlung des Herrn Diego, Doktor der Medizin, hatte mir dieses Amt verschafft, und ich danke ihm hiermit für den Dienst, den er mir damals erwiesen hat. Ich trat als Erzieher dreier Knaben in dieses Haus und blieb mehrere Monate, nach deren Ablauf ich mich auf die Brigantine »Notre-Dame-de-Grace« von Kapitän Casabona einschiffte. Es war das erste Schiff, das ich als Kapitän befehligte.

Über meine weiteren Reisen in dieser Zeit will ich mich nicht mehr im Einzelnen auslassen, sondern nur sagen, dass ich, von einer tiefen Vaterlandsliebe getrieben, in keiner Phase meines Lebens aufhörte, sowohl bei Menschen wie Ereignissen und selbst in Büchern nach den Geheimnissen einer Wiedergeburt Italiens zu forschen. Bis zu meinem vierundzwanzigsten Jahr aber blieb mein Suchen vergeblich, und ich quälte mich dabei unnötigerweise.

Endlich fand ich auf einer Reise nach Taganrog auf meinem Schiff einen italienischen Patrioten, der mir Kenntnis von den italienischen Zuständen verschaffte. Es gab also doch noch Menschen, die sich mit der Wiedergeburt Italiens beschäftigten. Ich sah einen Hoffnungsschimmer für unser unglückliches Vaterland.

Als Christoph Columbus, verloren im Atlantischen Ozean, bedroht von seinen Gefährten, die ihm nur noch drei Tage gegeben hatten, gegen Ende des dritten den Ruf »Land!« hörte, kann er nicht glücklicher gewesen sein als ich, sobald ich das Wort »Vaterland« vernahm und am Horizont den Leuchtturm sah, den die Französische Revolution von 1830 angezündet hatte .

Von einer anderen Reise ist noch zu berichten, die ich an Bord der »Clorinde« machte, auf der eine Schar Saint-Simonisten unter Führung Emil Barraults nach Konstantinopel unterwegs war. Ich hatte bisher wenig von dieser Sekte sprechen hören und wusste al lein, dass diese Leute die verfolgten Apostel einer neuen Religion seien. Ich näherte mich ihrem Führer und stellte mich als italienischer Patriot vor.

Hier nun in diesen schimmernden Nächten des Orients, die, wie Chateaubriand sagt, nicht Finsternis, sondern nur Abwesenheit des Lichtes sind, unter diesem mit Sternen besäten Himmel, auf diesem Meere, dessen kühler Wind uns großherzige Eingebungen zuzuwehen schien, besprachen wir nicht allein die engen National fragen, auf die sich bis dahin mein Patriotismus beschränkt hatte, sondern auch die großen Fragen der Menschheit.

Zunächst bewies mir Barrault, dass der, der sein Vaterland verteidigt oder das anderer angreift, im ersten Fall nur ein frommer und im zweiten ein ungerechter Soldat sei, und nur der Mann ein Held genannt werden könne, der sich zum Kosmopoliten mache und Degen und Blut jedem Volk zum Kampf gegen die Tyrannei antrage.

Neue Ideen regten sich jetzt in meinem Geiste, und mit dieser Aufklärung sah ich in einem Schiff nicht mehr allein ein Lastfahrzeug, mit dem die Produkte eines Landes gegen die eines anderen ausgetauscht werden, sondern den geflügelten Boten, der das Wort des Herrn und das Schwert des Erzengels trägt. Begierig auf Erlebnisse und Neuigkeiten war ich Seemann geworden und gereist und hoffte nun, dass mir dieser unwiderstehliche Beruf des Kapitäns im fernen Nebel der Zukunft einen noch unentdeckten Horizont enthüllen würde.

 

 

5. Die Ereignisse von Saint-Julien

 

 

Das Schiff, auf dem ich aus dem Orient zurückkehrte, war nach Marseille bestimmt. Hier angekommen, hörte ich von der missglückten Revolution Piemonts und den Exekutionen in Chambery, Alessandria und Genua.

In Marseille machte ich Bekanntschaft mit einem gewissen Covi, der mich bei Giuseppe Mazzini einführte. Niemand kannte damals diesen unerschütterlichen Denker, den nichts in dem unternommenen Werke zu entmutigen vermochte, nicht einmal die Undankbarkeit.

Zum Fall Andreas Bocchieri hatte Mazzini im Jungen Italien geschrieben: »Italiener! Wenn wir unseres Namens würdig bleiben wollen, so ist jetzt der Tag gekommen, unser Blut mit dem des piemontesischen Märtyrers zu mischen.« Das kam einem Aufruf zum Aufstand gleich. So etwas durfte man im Jahre 1833 in Frankreich nicht ungestraft veröffentlichen. Einige Zeit nachdem ich ihm vorgestellt worden war und ihm gesagt hatte, dass er auf mich zählen könne, wurde Mazzini, der ewig Geächtete, genötigt, Frankreich zu verlassen und sich nach Genua zurückzuziehen.

Wirklich schien damals die republikanische Partei in Frankreich vollständig vernichtet; es war ungefähr ein Jahr nach dem 5. Juni, einige Monate nach dem Prozess gegen die Kämpfer im Kloster Saint-Merri. Mazzini hatte diesen Moment zu einem neuen Versuch gewählt. Die Patrioten waren bereit, verlangten aber nach einem Anführer.

Man dachte an Ramorino, dessen Ruhm noch von seinen polnischen Kämpfen her strahlte. Mazzini billigte diese Wahl nicht; sein scharfer Geist nahm ihn gegen die zauberische Verblendung durch große Namen ein, aber die Mehrheit wollte Ramorino und so gab Mazzini nach.

Nach Genua berufen, nahm Ramorino das Kommando über die Expedition an. Beim ersten Treffen mit Mazzini kamen sie überein, dass zwei republikanische Kolonnen sich auf Piemont werfen sollten, eine von Savoyen, die andere von Genf her. Ramorino erhielt vierzigtausend Francs für die Kosten der Expedition und reiste mit einem Sekretär Mazzinis ab, der den Auftrag hatte, den General zu überwachen.

All das geschah im September 1833; die Expedition sollte im Oktober stattfinden. Aber Ramorino zog die Sache so in die Länge, dass er erst im Januar 1834 bereit war. Trotz aller Ausflüchte des polnischen Generals setzte ihm Mazzini zum 31. Januar eine letzte Frist und vereinigte sich in Genf mit ihm, zwei weiteren Generälen und einem Adjutanten.

Die Zusammenkunft war traurig und durch düstere Aussichten überschattet. Mazzini schlug vor, das Dorf Saint-Julien zu besetzen. Dort wollte man sich mit den savoyischen Patrioten und französischen Republikanern, die sich der Bewegung angeschlossen hatten, vereinigen und das Banner der Revolution erheben.

Ramorino stimmte diesem Vorschlag zu. Beide Kolonnen sollten sich am selben Tag in Marsch setzen, die eine von Carouge aus, die andere von Nyon. Letztere sollte über den See setzen, um sich auf der Straße von San Juliano mit Ersterer zu vereinigen. Ramorino behielt den Befehl über die erste Kolonne, die zweite stand unter dem Kommando des Polen Grabsky.

Die Regierung von Genf, die einerseits Schwierigkeiten mit Frankreich, andererseits mit Piemont fürchtete, widersetzte sich dem Abmarsch der Kolonne von Carouge, die Ramorino befehligte, aber das Volk erhob sich und erzwang den Marsch.

Anders war es in Nyon. Zwei Schiffe gingen unter Segel, auf einem die Männer, auf dem anderen die Waffen. Aber ein zu ihrer Verfolgung ausgeschicktes Regierungsdampfschiff belegte die Waffen mit Beschlag und nahm die Kämpfer gefangen. Als Ramorino sah, dass die Kolonne, die sich mit ihm vereinigen sollte, nicht kommen würde, zog er an der Küste des Sees entlang, statt seinen Weg nach San Juliano fortzusetzen.

Lange marschierte man, ohne zu wissen, wohin. Niemand kannte die Absichten des Generals. Die Kälte war scharf, die Wege beschwerlich. Außer einigen Polen bestand die Kolonne aus italienischen Freiwilligen, die ungeduldig auf den Kampf warteten, aber durch die Länge und Strapazen des Marsches ermüdeten. Die italienische Fahne wurde durch ein paar arme Dörfer getragen, wo ihr kein freundlicher Ruf begegnete, nur Neugierige oder Gleichgültige.

Mazzini, der die Feder mit dem Gewehr getauscht hatte, folgte der Kolonne. Von einem glühenden Fieber verzehrt, halb tot, den Schmerz auf die Stirn geschrieben, schleppte er sich den mühseligen Weg entlang. Mehrmals hatte er Ramorino nach seinen Plänen befragt und welchen Weg er einschlagen wolle, und jedes Mal hatten ihn die Antworten des Generals nicht befriedigt.

Man kam nach Carra und machte Halt, um dort die Nacht zuzubringen. Mazzini und Ramorino wohnten beide im selben Zimmer. Ramorino saß, in seinen Mantel eingehüllt, am Feuer und Mazzini blickte ihn finster und misstrauisch an. Plötzlich begann er mit seiner sonoren Stimme, die erregt vom Fieber zitterte: »Auf diesem Wege dürfen wir nicht hoffen, dem Feind zu begegnen; wir müssen dahin marschieren, wo wir Proben unseres Mutes ablegen können. Wenn der Sieg unmöglich ist, wollen wir Italien wenigstens beweisen, dass wir zu sterben wissen.«

»Es wird uns nie an Zeit und Gelegenheit fehlen, nutzlosen Gefahren entgegenzugehen«, erwiderte der General, »aber ich halte es für ein Verbrechen, unnötigerweise die Blüte der italienischen Jugend aufs Spiel zu setzen.«

»Es gibt keine Religion ohne Märtyrer«, versetzte Mazzini, »begründen wir die unsere, und sei es mit unserem Blut.«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als Gewehrfeuer ertönte. Ramorino sprang auf, Mazzini ergriff seinen Karabiner und dankte Gott, endlich vor dem Feinde zu stehen. Dann verließ ihn seine Kraft, das Fieber verzehrte ihn; im nächtlichen Dunkel kamen ihm seine Genossen wie Gespenster vor, seine Schläfen pochten, die Erde drehte sich unter seinen Füßen und er fiel ohnmächtig um.

Als Mazzini wieder zu sich kam, befand er sich in der Schweiz, wohin ihn seine Anhänger mit großer Mühe gebracht hatten. Das Feuer in Carra war bloß falscher Alarm gewesen, aber Ramorino hatte erklärt, dass alles verloren sei, und den Rückzug befohlen.

Zur selben Zeit brach in Grenoble ein Haufen von hundert Mann auf, bei dem sich eine gewisse Anzahl französischer Republikaner befand, und überschritt die Grenze Savoyens. Der französische Präfekt benachrichtigte die sardinischen Behörden, die die Republikaner zur Nachtzeit bei den Grotten von Schelles angriffen und nach einstündigem Kampf zerstreut hatten. In diesem Gefecht machten die sardinischen Soldaten zwei Gefangene, Angela Volontieri und Joseph Borrel. Sie wurden nach Chambery geführt, zum Tode verurteilt und auf demselben Platz erschossen, auf dem noch das Blut Effico Tollas dampfte.

So endete die unselige Expedition, die man in Frankreich das unsinnig verwegene Unternehmen von Saint-Julien nannte.

 

 

6. »Der Gott der Guten Leute«

 

Ich hatte meine Aufgabe in der bevorstehenden Erhebung erhalten und mich ihr ohne Widerrede angenommen.

Ich war als Matrose erster Klasse auf der Fregatte »Eurydice« in den Staatsdienst getreten; im Falle der Aufstand glückte, sollte ich mich mit meinen Gefährten der Fregatte bemächtigen und sie in den Dienst der Republikaner stellen. In der glühenden Ungeduld, die mich durchströmte, wollte ich bei dieser Rolle nicht bleiben; ich hatte gehört, dass sich in Genua eine Erhebung vorbereite, die die Gendarmeriekaserne an der Piazza Sarzana stürmen wolle. Ich übergab meinen Vertrauten die Sorge, das Schiff zu nehmen, und ließ mich zum angesetzten Zeitpunkt der Revolte auf das Meer in ein Boot hinab und zum Zollgebäude hin abtreiben; von da war ich in zwei Sprüngen auf der Piazza Sarzana.

Hier wartete ich ungefähr eine Stunde, aber nicht einmal ein Auflauf fand statt. Bald hieß es, die ganze Sache sei gescheitert, die Republikaner in wilder Flucht und viele von ihnen verhaftet.

Da ich nur in die sardinische Marine eingetreten war, um der republikanischen Bewegung zu dienen, hielt ich es für unnütz, an Bord der »Eurydice« zurückzukehren, und dachte an Flucht. Während ich mit dieser Erwägung beschäftigt war, begannen Truppen, zweifellos in Kenntnis des Plans der Republikaner, sich der Gendar meriekaserne zu bemächtigen, den Platz zu besetzen. Ich durfte keine Zeit mehr verlieren, floh zu einer Fruchthändlerin und vertraute ihr meine Lage an. Die vortreffliche Frau zögerte nicht, verbarg mich in dem hinteren Verschlag ihrer Bude und verschaffte mir eine Verkleidung als Landmann. Abends acht Uhr ging ich so ruhigen Schrittes, als spazierte ich, durch das Tor der Laterne und verließ Genua. Damit begann mein Leben in der Verbannung, ein Leben des Kampfes und der Verfolgung.

Ohne einer Straße zu folgen, richtete ich meinen Weg auf das Gebirge zu. Ich musste durch Gärten schleichen und über Mauern klettern. Glücklicherweise beherrschte ich solche Übungen gut genug und hatte nach einstündigem Turnen den letzten Garten und die letzte Mauer hinter mir. Meinen Weg nun nach Cassiopea nehmend, gelangte ich in die Berge von Sestri. Nach zehn Tagen, besser gesagt Nächten, kam ich nach Nizza, wo ich geradewegs in das Haus meiner Tante an der Piazza Victoria ging, um sie zu bitten, Beruhigendes an meine Mutter zu schreiben. Ich ruhte mich einen Tag im Hause meiner Tante aus und setzte in der folgenden Nacht meine Reise fort, begleitet von zwei Freunden, Joseph Jaun und Ange Gustavini.

Am Var angekommen, fanden wir ihn durch Regengüsse überschwemmt. Das war für einen Schwimmer, wie ich es bin, kein Hindernis; halb durchwatete, halb durchschwamm ich ihn. Meine beiden Freunde waren am anderen Ufer des Flusses geblieben. Ich winkte ihnen ein Adieu zu und war gerettet - beinahe wenigstens, wie man sehen wird.

In meiner Zuversicht ging ich auf eine kleine Abteilung Zollwächter zu und sagte ihnen, wer ich sei und warum ich Genua verlassen hätte. Daraufhin erklärten sie mich bis auf weiteres zu ihrem Gefangenen. Das Weitere war ein Befehl, den sie aus Paris einholen wollten. In der Hoffnung, bald eine Gelegenheit zu finden, ihnen zu entwischen, leistete ich keinen Widerstand und ließ mich ruhig nach Grasse und von da nach Draguignan führen.

Hier brachte man mich im ersten Stockwerk eines Hauses in eine Kammer, deren offenes Fenster auf einen Garten hinausging. Ich näherte mich langsam dem Fenster, als ob ich mir die Gegend ansehen wolle - es lag nur etwa fünfzehn Fuß hoch über dem Boden - und sprang hinaus. Während die Zollwächter den großen Umweg über die Treppe machten, erreichte ich die Straße und lief in die Berge.

Ich kannte den Weg nicht, aber ich war ja Seemann und hatte den Himmel, dieses große Buch, in dem ich meinen Weg zu lesen gewohnt war. Ich orientierte mich an den Sternen und nahm die Richtung nach Marseille.

Anderentags am Abend kam ich in ein Dorf und trat in ein Wirtshaus. Ein junger Mann und eine Frau saßen an einem Tisch, der auf die Abendmahlzeit wartete. Ich hatte seit dem vergangenen Abend nichts zu mir genommen und forderte etwas zu essen. Der Wirt lud mich ein, mit ihm und seiner Frau zu speisen.

Das Essen war gut, der Landwein angenehm und das Feuer im Kamin belebend. Mich überkam ein Wohlseins, wie man es nur nach einer überstandenen Gefahr empfindet, wenn man nichts mehr zu fürchten hat. Der Wirt gratulierte mir zu meinem guten Appetit und freute sich über mein zufriedenes Gesicht.

Ich sagte darauf, dass er über meinen Appetit nicht zu staunen brauche, denn ich hätte seit achtzehn Stunden nichts gegessen, und ebenso einfach ließe sich mein zufriedenes Gesicht erklären, da ich just dem wahrscheinlichen Tod in meinem Vaterland und in Frankreich dem Gefängnis entschlüpft sei. Da ich nun einmal so weit geredet hatte, konnte ich aus dem übrigen kein Geheimnis mehr machen; mein Wirt schien mir so freimütig, seine Frau so gut, dass ich ihnen alles erzählte. Zu meinem großen Erstaunen sah ich das Gesicht meines Wirtes sich verfinstern.

»Nun«, fragte ich, »was haben Sie?«

»Nichts«, erwiderte er, »als dass ich nach dem Geständnis, das Sie mir eben gemacht haben, mich durch mein Gewissen verpflichtet fühle, Sie zu arretieren.«

Ich fing an zu lachen, denn ich wollte seine Eröffnung nicht ernst nehmen, zumal wir Mann gegen Mann standen und ich mich vor keinem Menschen auf der Welt fürchte.

»Gut«, sagte ich, »mich zu arretieren wird nach Tische noch Zeit sein; lassen Sie mich zuerst essen - für doppelte Bezahlung. Ich habe noch Hunger.« Und ohne die geringste Unruhe zu zeigen, fuhr ich fort zu essen.

Bald aber bemerkte ich, dass meinem Wirt die Hilfe zu dem Zwecke, den er mir angekündigt hatte, nicht fehlen würde. Sein Wirtshaus war der Sammelplatz der Dorfjugend, die sich allabendlich hier traf, um zu trinken, zu rauchen, Neuigkeiten zu hören und von Politik zu sprechen.

Allmählich versammelten sich über zehn junge Männer, die Karten spielten, tranken und sangen. Der Wirt sprach nicht mehr vom Arretieren, aber er verlor mich nicht aus dem Auge. Da ich kein Gepäckstück hatte, fürchtete er vielleicht auch um meine Zeche. Ich hatte einige Taler in der Tasche und ließ sie klimpern, das schien ihn einigermaßen zu beruhigen.

Ich wartete nun den Moment ab, in dem einer der Zecher unter großem Beifall und vielfachem Bravo ein Lied geendet hatte, und rief dann, mein Glas in die Hand nehmend: »Jetzt ist die Reihe an mir!« und stimmte das Lied vom »Gott der guten Leute«, Berangers Le Dieu des bonnesgens an. Hätte ich nicht einen anderen Beruf gewollt, so hätte ich Sänger werden können; ich habe einen Tenor, der gewiss eine gute Ausbildung erlangt hätte, wenn er kultiviert worden wäre. Berangers Verse, die Freimütigkeit, mit der ich sie vortrug, die Brüderlichkeit des Refrains, die Beliebtheit des Dichters rissen alle Zuhörer hin; ich musste es zwei-, dreimal wiederholen, zuletzt umarmte man mich und rief: »Es lebe Beranger! Es lebe Frankreich! Es lebe Italien!«

Nach einem solchen Erfolg konnte nicht mehr die Rede davon sein, mich zu arretieren. Mein Wirt sagte nicht ein Wort mehr davon, so dass ich wirklich nie erfahren habe, ob er im Scherz oder Ernst gesprochen hatte. Wir verbrachten die ganze Nacht mit Singen, Spielen und Trinken. Mit Tagesanbruch erbot sich die ganze lustige Gesellschaft, mir das Geleit zu geben, und ich nahm diese Ehre mit Freuden an. Erst sechs Meilen weiter trennten wir uns.

Ja, Beranger ist nun tot, ohne erfahren zu haben, welchen Dienst er mir damals durch sein Lied geleistet hat!

 

 

7. lch trete in den Dienst der Republik Rio Grande

 

Glücklich kam ich zwanzig Tage, nachdem ich Genua verlassen hatte, in Marseille an. Ich hatte hier zum ersten Mal die Ehre, meinen Namen in einem öffentlichen Blatt gedruckt zu sehen. Ich las im Peuple souverain, dass ich zum Tode verurteilt war. Da es nun gefährlich war, meinen Namen weiter zu führen, änderte ich ihn in Pane. Einige Monate blieb ich dann beschäftigungslos in Marseille und machte von der Gastfreundschaft eines meiner Freunde, namens Joseph Paris, Gebrauch. Endlich aber fand sich eine Gelegenheit, und ich heuerte als zweiter Offizier an Bord der »Union« unter Kapitän Gazan an.

Am folgenden Sonntag stand ich gegen fünf Uhr abends mit meinem Kapitän gerade an einem Fenster der Hauptkajüte und mein Blick folgte einem Kollegienschüler, der sich unter dem Kai von Saint-Anne damit belustigte, von einem Boot auf das andere zu springen. Plötzlich glitt er mit einem Fuß aus, schrie auf und fiel ins Wasser. Ich war sonntäglich gekleidet, aber bei dem Anblick dieses Unglücks und dem Geschrei des Kindes, ehe ich es unter der Wasseroberfläche verschwinden sah, sprang ich angekleidet und gestiefelt, wie ich war, in das Hafenbassin. Zweimal tauchte ich vergeblich, beim dritten Mal hatte ich Glück und bekam den Schüler am Arm zu fassen, brachte ihn über Wasser und ohne große Mühe bis an den Kai. Hier hatte sich eine große Menge Volk gesammelt und empfing mich mit Beifall und Bravo.

Der Gerettete war ein Junge von vierzehn Jahren, der sich Joseph Rambaud nannte; die Freudentränen und Segnungen seiner Mutter entschädigten mich reichlich für das genommene Bad. Da ich ihm das Leben unter dem Namen Joseph Pane rettete, ist es wahrscheinlich, dass er nie den wahren Namen seines Lebensretters erfahren hat.

An Bord der »Union« machte ich meine dritte Reise nach Odessa. Bei meiner Rückkehr schiffte ich mich auf einer Fregatte des Beis von Tunis ein, die ich im Hafen von La Goulette verließ, um mit einer türkischen Brigg wieder zurück nach Marseille zu segeln, das ich in einem Zustand fand, wie es Herr de Belzunce nach der Schwarzen Pest von 1720 gesehen haben mag.

In der Stadt wütete die Cholera. Alle Welt bis auf die Ärzte und die barmherzigen Schwestern hatte die Stadt verlassen und war aufs Land geflüchtet. Marseille lag da wie ein großer Friedhof.

Die Ärzte verlangten nach gutwilligen Helfern in den Hospitälern. Ich bot mich zusammen mit einem Triester an, der von Tunis mit mir gekommen war. Wir bezogen eine Wohnung im Hospital und teilten uns die Nachtwachen.

Dieser Dienst dauerte etwa vierzehn Tage, nach deren Ablauf die Cholera schon viel von ihrer Heftigkeit verloren hatte. Ich fand jetzt Gelegenheit zu neuer Anstellung und neue Länder zu sehen als zweiter Offizier an Bord der Brigg »Le Nautonnier de Nantes« unter Kapitän Beauregard. Das Schiff war nach Rio de Janeiro bestimmt.

Viele meiner Freunde haben behauptet, dass ich eigentlich Poet sei. Wenn man dies nur unter der Bedingung sein kann, die Iliade oder die Göttliche Komödie, die Meditations von Lamartine oder die Orientales von Victor Hugo geschrieben zu haben, so bin ich es allerdings nicht. Wenn aber Dichter sein heißt, dass man stundenlang in der Tiefe der azurblauen Gewässer den Geheimnissen der unterseeischen Vegetation nachspüren oder über die Bucht von Rio de Janeiro, von Neapel oder Konstantinopel in Entzücken geraten kann oder unter dem Beschuss von Kugeln aller Art von kindlicher Zärtlichkeit träumen und sich der Kindheit oder einer Jugendliebe erinnern kann, ohne daran zu denken, dass der Traum womöglich mit einem zerschmetterten Kopf oder zerschossenen Arm endet - dann bin ich Poet.

Ich entsinne mich, dass ich eines Tages im letzten Kriege, matt und erschöpft, da ich seit zehn Nächten fast nicht geschlafen hatte und seit zwei Tagen kaum vom Pferd gekommen war, weil ich Urban und seine zwölftausend Mann mit meinen vierzig Bersaglieri, vierzig Reitern und tausend gut und schlecht bewaffneten Leuten verfolgte, plötzlich auf einem kleinen Flusssteg am Ornanoberg anhielt und Müdigkeit und Gefahr vergaß, um eine Nachtigall schlagen zu hören. Es war Nacht, Mondschein und ein herrliches Wetter; der Vogel schüttete seinen ganzen Schatz melodischer Klänge vor uns aus, und als ich diesem kleinen Freund meiner Jugendtage zuhörte, kam es mir vor, als lege sich ein wohltuender, belebender Tau über mich. Oberst Türr und fünf, sechs Leute in meiner Umgebung glaubten, dass ich entweder aus Unschlüssigkeit über den weiteren Weg zögerte, fernem Kanonendonner lauschte oder dem Hufschlag von Pferden auf der großen Straße. Nein, ich wollte die Nachtigall hören. Meine Entzückung dauerte zwar nicht so lange, dass meine Umgebung mir hätte wiederholen müssen: »General, da ist ein Feind!«, aber doch so lange, bis der Feind selbst sagte:

»Hier bin ich!«, auf uns schoss und den kleinen nächtlichen Zauberer verscheuchte.

Bei meiner Ankunft mit dem Schiff in Rio de Janeiro bannte mich ein Schauspiel, das sich vor meinen Augen abspielte, als wir die Granitfelsen umsegelt hatten, die den Hafen so gut verstecken, dass die Indianer ihn in ihrer ausdrucksvollen Sprache den Nelhero jy genannt haben, das verborgene Wasser. Tiefes Erstaunen ergriff mich, als ich am westlichen Rand der Bucht den Pao d'Azucar, den unermesslichen, die Stadt beherrschenden Felsen sich erheben sah und rings umher diese prachtvoll sich ausbreitende Natur erblickte, von der mir Afrika und Asien nur einen schwachen Begriff zu geben vermocht haben.

Kaum im Hafen von Rio de Janeiro angekommen, wollte es mein Glück, dass ich hier einen der seltensten Schätze fand, die es in der Welt gibt: einen Freund. Diesen hier brauchte ich nicht zu suchen, wir mussten uns auch nicht erst gegenseitig studieren, um uns kennen zu lernen, wir wechselten nur einen Blick und alles war geschehen; nur ein Lächeln, nur ein Händedruck und wir, Rossetti und ich, waren Brüder fürs Leben.

Später werde ich Gelegenheit finden, davon zu sprechen, welch eine ausgezeichnete Seele er war, und dennoch werde ich, sein Freund, sein Bruder, der so lange unzertrennlich von ihm war, vielleicht sterben, ohne die Freude zu haben, ein Kreuz auf jenen unbekannten Punkt der amerikanischen Erde pflanzen zu können, wo die Asche dieses Edlen und Tapferen ruht .

Nach einigen Monaten des Müßigganges - ein Geschäft, für das wir beide nicht geboren waren - führte der Zufall uns, Rossetti und mich, mit Zambecarri zusammen, dem Sekretär Bento Gonales', des Präsidenten der Republik Rio Grande, die im Kriege mit Brasilien lag. Beide befanden sich als Kriegsgefangene in der Festung Santa Cruz, die sich rechter Hand am Hafeneingange erhebt. Zambeccari, der der Sohn des verschollenen berühmten Aeronauten war, machte mich mit dem Präsidenten bekannt, der mir Kaperbriefe ausstellte für seinen Feldzug gegen Brasilien.

Bald darauf entflohen Bento Gonalves und Zambeccari aus Santa Cruz und erreichten glücklich Rio Grande.

 

 

8. Kosar

 

Wir rüsteten die »Mazzini«, ein kleines Schiff von etwa dreißig Tonnen, kriegerisch aus und stachen mit sechzehn Gefährten in See. Endlich standen wir unter einer republikanischen Flagge und waren frei, wenn auch nur als Korsaren!

Mit sechzehn Mann Besatzung und einer Barke erklärten wir einem Kaiserreich den Krieg.

Als wir aus dem Hafen waren, nahm ich Kurs auf die MariaInseln, die fünf oder sechs Meilen zu unserer Linken lagen. Unsere Waffen und Munition hatten wir unter Ochsenfleisch versteckt. Ich steuerte auf die größte dieser Inseln zu, ließ Anker auf ihrer Reede werfen, sprang an Land und stieg zum höchsten Punkt hinauf. Dort streckte ich beide Arme mit stolzem Wohlbehagen aus und ließ einen Freudenruf ähnlich dem des Adlers erschallen, wenn er hoch oben in der Luft schwebt. Mir gehörte der Ozean und ich nahm von meinem Reich Besitz. Es fehlte mir nicht lange an Gelegenheit, meine Macht zu erproben.

Während ich noch wie ein Vogel aus der Höhe aufs Meer blickte, entdeckte ich einen unter brasilianischer Flagge segelnden Schoner. Ich gab das Zeichen, alles zum Aufbruch vorzubereiten, und stieg zum Gestade hinab.

Wir steuerten direkt auf den Schoner zu, auf dem niemandem einfiel, uns, zwei, drei Meilen vor dem Hafen von Rio de Janeiro, für eine Gefahr zu halten. Als wir dem Schoner nahe genug waren, gaben wir uns zu erkennen und forderten die Besatzung auf, sich zu ergeben. Sie wagte nicht den geringsten Widerstand; wir stiegen an Bord und bemächtigten uns des Schiffes.

Nun kam ein kleiner Teufel von portugiesischem Passagier zu mir und trug in der Hand eine Kassette voller Diamanten, die er mir als Lösegeld für sein Leben anbot. Ich klappte den Deckel der Schachtel zu und gab sie ihm mit den Worten zurück, dass sein Leben nicht in Gefahr sei und er seine Diamanten für eine bessere Gelegenheit aufsparen solle.

Indes hatten wir keine Zeit zu verlieren, denn wir lagen in Reich weite der Hafenbatterien. Wir brachten Waffen und Lebensmittel von der »Mazzini« auf den Schoner und bohrten unser Korsarenschiff nach seiner kurzen, aber ruhmvollen Existenz in den Grund.

Der Schoner gehörte einem reichen Österreicher, der auf der etwa fünfzehn Meilen vor dem Lande gelegenen Insel Grande wohnte; er war mit Kaffee für Europa beladen. Das Schiff war für mich eine doppelt gute Beute; ich hatte es einem Österreicher ab genommen, dessen Landsleute ich schon in Europa bekriegt hatte, und da der Österreicher als Geschäftsmann in Brasilien ansässig war, hatte ich zugleich im Namen der Republik einen erfolgreichen Schlag gegen das Kaiserreich geführt.

Ich gab dem Schoner »Louise« den Namen »Scarropilla«, der sich von dem Schimpfwort Farropas (Lumpen) ableitet, mit dem im Kaiserreich Brasilien die Bewohner der jungen Republiken Südamerikas belegt wurden. Der Name passte allerdings auch wirklich gut zu uns, denn nicht alle meiner Gefährten waren edle Rossettis. Ich muss zugeben, dass die Gesichter der meisten nicht recht vertrauenerweckend waren; das erklärt auch die schleunige Übergabe des Schoners und die Angst des Portugiesen, der mir seine Diamanten angeboten hatte, damit ich sein Leben schone. Übrigens hatte ich - und das gilt für die ganze Zeit, in der ich das Korsarenhandwerk betrieb - meinen Leuten den strengen Befehl gegeben, Leben, Ehre und Vermögen der Passagiere zu respektieren.