Die Hexe Drut

1929

Ungekürzte Neuausgabe mit einem neuen Vorwort des Dichters und mit einer Einleitung des Herausgebers.

Einleitung.

Hermann Bahrs Leben und Werk sind reich an Wandlung, nicht minder reich an Geist, Größe und Kraft in allen Phasen dieses Wandlungsganges. Immer und überall war sein Leben Voraussetzung für sein Werk, war er ein werbender Streiter für seinen Glauben, nämlich für das, woran er glaubte und wofür er kämpfte. Wie stark muß eine Begabung sein, die niemals über den Dingen steht, sondern mitten unter ihnen, die ihrem Schaffen stets wesensnah und herzensverwandt ist, und auf dem beschwerlichen Wege des warmblütigen subjektiven Erlebens oder Erfühlens zur objektiven dichterischen Gestaltung gelangt; wie gefestigt eine Persönlichkeit, die alle diese Wandlungen innerlich rein und äußerlich heil zu überwinden und zu überstehen vermochte.

Hermann Bahrs Leben: Als Sohn schlesischer Eltern im Juli 1862 in der oberösterreichischen Donaustadt Linz geboren, in jungen Jahren vielgereist, bald als Schriftsteller und Journalist am Leben seiner Zeit rege Anteil nehmend, verbrachte er zwei Jahrzehnte in Wien, wo er vornehmlich als Dramatiker, insbesondere als Lustspieldichter, zu Erfolg und Ansehen gelangte, bis der Fünfzigjährige sich noch vor dem Kriege zunächst nach Salzburg wandte, um sich dann endgültig in München niederzulassen, wo er heute noch, fern dem literarischen Marktgetriebe, in größter Zurückgezogenheit lebt und wirkt. Seine künstlerische Wandlung führt von der Verkündung des Naturalismus über die Neuromantik, später an realistischen Anklängen vorbei, zur psychologischen und schließlich zur ethischen Dichtung, getragen von tiefem religiösen Glauben, beherrscht von bekenntnishaftem Drang nach Verinnerlichung. Die politischen Wandlungen reichen vom Sozialismus am Beginn, über anarchistische Sympathien hinweg, an nationalen und aristokratischen Bestrebungen vorbei, bis sie über den Humanismus auslaufen und münden in strenggläubigen Katholizismus, zu dem sich der geborene Katholik und spätere Freigeist im Jahre 1912 endgültig bekennt. Von diesem Leben läßt sich sagen, daß es wahrlich ein weites Feld erfaßt und durchdringt.

Hermann Bahrs Werk: Von der Herausgabe einer Wochenschrift in Wien, über Aufsätze und Flugschriften, über Gründung einer Kunstzeitschrift, über Studien und Tagebuchaufzeichnungen, zu einem der geistreichsten und tiefsinnigsten Essayisten seiner Zeit. Vom Regisseur am Deutschen Theater in Berlin und späteren Burgtheaterdirektor in Wien zu einem der erfolgreichsten und begehrtesten Bühnendichter eingangs des Jahrhunderts, dessen Komödien über fast alle deutschen Bühnen gingen und von denen hier nur »Das Konzert«, »Der Star«, »Der Krampus«, »Die gelbe Nachtigall« erwähnt seien. Ein Kenner und Könner des Theaters, stellte er vielfach Stoffe aus dem Bühnenleben in den Umkreis seiner Betrachtung und Befassung. Auch sein trefflicher Roman »Die Rahl«, der erste in der Folge des zur Lebensaufgabe gestellten großen Romanzyklus, erwählt in der Titelheldin eine große Schauspielerin zur tragenden Gestalt, um die Welt des Theaters einer nicht minder verkleideten Umwelt gesellschaftlicher Kräfte im alten Österreich entgegenzustellen.

Die vielseitige Entwicklung dieses Dichters in mannigfachen Kunstzweigen war aufzuzeigen und nachzuzeichnen, wenn auch nur flüchtig und andeutungsweise, um zu seinem Hauptwerk zu gelangen – zu dem auf zwölf Romane bemessenen Zyklus, wovon bisher die Hälfte, also sechs Romane, vorliegt – und um damit den Leser zum tieferen Verständnis des vorliegenden Romans einfühlend zu geleiten, »Drut« ist der zweite der bisher erschienenen Romane, die völlig unabhängig voneinander jeder für sich bestehen, übrigens auch in Stoffwahl, Problemstellung und Weltanschauung durchaus verschieden sind, zeitlich, räumlich, gedanklich den Wandlungen ihres Schöpfers angepaßt. Der ursprünglichen Absicht, ein zusammenfassendes Kolossalgemälde österreichischer Kultur und Sitte im Brennpunkt einer entscheidenden Epoche zu schaffen, traten äußere und innere Umstände wenig förderlich entgegen: Österreich und das darin geschilderte Zeitalter versanken aus flammender Gegenwart, die dem Dichter und seinem Werk als stärkster Antrieb diente (und darum beider Wert erhöht}, in erloschene Vergangenheit; – der Dichter aber und sein Werk gelangten seither von der Schilderung einer Kultur zur Verkündigung einer Religion, die wie jeder Glaube eine innerliche Umstellung fordert (und darum beider Wert nicht mindert).

Der Roman von der Hexe Drut vermittelt in künstlerischer Vollendung ein unübertreffliches, in der Literatur unserer Tage jedenfalls unübertroffenes Kulturbild des alten Österreichs im Zeitalter des Verfalls, wie es in unser aller Gefühl heute noch nachklingt, in seinen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen das gesamte Deutschland berührt. Mit unheimlicher Voraussicht wird in diesem Roman der damals bevorstehende und seither eingetretene Zusammenbruch in Gestalt einer altösterreichischen Beamtentragödie erlebt und erlitten. Ein zur herrschenden Schicht zählender Staatsbeamter, jung und hoffnungsreich, verstrickt sich durch eine reine Liebe in das tödliche Netz einer dünkelhaften, dummdreisten Staatsbürokratie, die Land und Untertan zu Tode regieren durfte. Der Untergang des Opfers, behaftet mit den Vorzügen und den Schwächen des österreichischen Menschen, der ein Spielball dunkler Mächte wird, ist vom Zauber der österreichischen Landschaft umflossen. Dahinter die meisterhafte Schilderung des edelsten Zuchtgewächses einer angefaulten Staatsgewalt: die Fratze des österreichischen Hofrats, unsterblicher Typ, der aus der Zeitgeschichte in die Weltgeschichte eingeht. »Der Hofrat«, so könnte dieser Roman vom österreichischen Leben und Sterben in leuchtenden Lettern überschrieben sein; denn er gibt Begriff und Geschmack einer Gattung, die, wenn schon nicht in Ansehung ihrer Verdienste als Totengräber einer alten Kultur, so doch um des bleibenden Wertes dieses ihres Romans wegen, den Schritt vom Lächerlichen zum Erhabenen vollzieht. Das unvergängliche Abbild dieser Gattung konnte nur ein Dichter mit einer großen Liebe im Herzen zeichnen.

»Drut« entstand im Jahre 1908 und ist 1909 erschienen, ohne daß dieser beste Roman Hermann Bahrs – ich wage zu behaupten: einer der besten und schönsten der zeitgenössischen deutschen Literatur überhaupt – bisher neu aufgelegt wurde. Darin liegt ein nicht weiter verwunderliches Symptom einer Zeit, die hinter dem Flüchtigen herjagt. Nach einer Pause von zwei Jahrzehnten, nach beinahe ebenso langer Vergessenheit, wird der Roman unter dem Titel »Die Hexe Drut« im Rahmen dieser Buchreihe, die sich ausschließlich in den Dienst lebender Dichter stellt und um die Verbreitung ihrer Meisterwerke in billigen und dabei würdigen Ausgaben bemüht ist, gleichzeitig mit dem Roman von Arthur Schnitzler, des anderen großen österreichischen Dichters, als Ergänzung der zunächst vorgesehenen Reihe deutschsprachiger Werke und in einer für Deutschland ungewöhnlich hohen Erstauflage herausgebracht. Das Wagnis besteht, das Ergebnis ist ungewiß. Doch ich hege den festen Glauben, daß allein das Gute sich auch im Schrifttum durchsetzen und früher oder später recht behalten wird.

Die »Bücher der Epoche« gehen nicht auf den schreienden Tageserfolg aus. In den bleibenden Werten, die sie vermitteln dürfen, suchen sie Geltung und Bewährung. Verlag und Herausgeber sind sich des neuartigen Versuches bewußt, ihren Nutzen an dem inneren Gewinn des Lesers aus ihren Darbietungen messen zu wollen. Dieser Gewinn wird im vertrauten Umgang mit dem vorliegenden Roman des jungen Hermann Bahr wahrlich nicht gering sein.

Berlin, im September 1929.

Lyonel Dunin.

Vorwort zur neuen Ausgabe.

»Den Zorn des Achill singe mir!«, fleht Homer zu Beginn der Ilias, und wenn er dann an die Odyssee geht, bittet er auch zunächst wieder die Muse: »Den Mann nenne mir, den vielgewandten!« Beidemal gesteht der Dichter also ein, daß er selbst nichts zu sagen hat, es muß ihm erst eingesagt werden, eingesagt von oben. Auch Dante versichert sich zunächst beim Eingang zu seiner »Monarchie«, keiner Dichtung, sondern einer gelehrten, einer politischen Schrift, der Hilfe von oben, er gesteht:

»Arduum quippe opus et ultra vires aggredior, non tam de propria virtute confidens quam de lumine Largitoris illius, qui dat omnibus affluenter et non improperat.«

Die Dichter aller Zeiten wiederholen das Zitat aus Cicero, der mit Berufung auf Demokrit und Plato verneint, »sine inflammatione animorum existere posse et sine quodam afflatu quasi furoris« – ohne Furor, ohne den Anfall einer gewissen Raserei, ohne Geistesentflammung gibt es keinen Dichter! Aber auch schon der platonische Sokrates erklärt im Phädrus alle Bemühungen des Dichters für ohnmächtig, »der bloß durch die Kunst allein, ek technes«, dichten zu können meint, dazu »Mouson mania«, ohne, wie Wieland übersetzt, »Musenwut«; denn immer, versichert Sokrates, bleibt das Gedicht »tu sophronuntos«, das Gedicht des Bewußten, weit hinter den Gedichten der »Rasenden« zurück! Und wenn William Blake einmal versichert: »Ich bin nur der Sekretär, die Autoren sind in der Ewigkeit«, so spricht er damit das Gefühl aller Schaffenden aus: diktiert wird ihnen, sie können nichts dafür, sie haben es bloß aufzunehmen und weiterzugeben; Dolmetsch ist der Künstler, ein Stromleiter, ein Draht, durch den »das Geschenk von oben« den Sterblichen zugeführt wird. Der Künstler wird selber davon ganz unversehens überfallen, es überkommt ihn, überwältigt ihn, und bevor er es noch recht weiß und sich von seinem Staunen, ja Schrecken kaum erholt, kaum wieder auf sich besonnen hat, ist er schon ergriffen; dann aber kommt es freilich noch darauf an, daß er nun aber auch zugreift, daß der Ergriffene nun selber ausgreift, nach seiner Ergriffenheit greift, um sie festzunehmen und festzuhalten. »Dreingreifen, packen ist das Wesen jeder Meisterschaft«, heißt in jenem herrlichsten Jugendbrief Goethes an Herder. Ganz Demut ist er da, mit dankbar gefalteten Händen, denn er weiß, es muß von oben kommen, selber vermag er nichts; zugleich aber taumelt seine Demut vor Stolz im Rausch des eigenen Kraftgefühles: »Über den Worten Pindars »epikratein dynasthai« ist mir's aufgegangen!« So hat er nun die beiden Elemente der Kunst in seiner Empfangenes gestaltenden Hand. Er war zweiundzwanzig, als er dies schrieb, aber aus seinem dreiundachtzigsten Jahr haben wir ein Briefkonzept, worin es heißt: »Die wahre Produktionskraft liegt doch am Ende immer im Bewußtlosen, und wenn das Talent noch so gebildet ist – freilich alsdann desto besser.« Was der heiße Jüngling stürmisch ahnte, wiederholt bedächtig der erfahrene Greis. Des Menschen eigenes Inneres hat er immer als »unvollständig« erkannt. Es vermag nichts ohne die »Gabe von oben«, ohne das »unerhoffte Geschenk von oben«, es ist dabei selber nur »als ein Werkzeug einer höheren Weltregierung zu betrachten, als ein würdig befundenes Gefäß zur Annahme eines göttlichen Einflusses«. Aber freilich sind solche Werke, worin dem, was der Dichter empfängt, die gestaltende Kraft genau so zugewogen ist, daß alles Empfangene sich in Gestalt verwandelt und kein Überschuß der gestaltenden Kraft müßig zurückbleibt; solche vollkommenen Werke sind sehr selten. Das höchste Beispiel eines bloß das Diktat von oben auffangenden Gedichtes, in dem der Wille des Dichters durchaus verstummt, ja selber sozusagen gar nicht mehr vorhanden, sondern der Dichter nur noch eine Traufe für den zuströmenden Einfall ist, haben wir an Rimbauds »Bâteau ivre«, vielleicht dem schönsten Gedicht französischen Lautes. Der Dichter selber regt sich darin gar nicht, er ist zum Diktaphon geworden. In seiner Straßburger Zeit hätte Goethe sich für ein Gedicht in der Art des »Bâteau ivre« gar nicht laut genug begeistern können. Erst allmählich ward er inne, daß wenngleich »jede Form, auch die gefühlteste, etwas Unwahres hat«, Form dennoch unentbehrlich ist, denn »sie ist ein für allemal das Glas, wodurch wir die heiligen Strahlen der verbreiteten Natur an das Herz der Menschen zum Feuerblick sammeln. Aber das Glas! Wem's nicht gegeben wird, wird's nicht erjagen; es ist, wie der geheimnisvolle Stein der Alchimisten, Gefäß und Materie, Feuer und Kühlbad. So einfach, daß es vor allen Türen liegt, und so ein wunderbar Ding, daß just die Leute, die es besitzen, meist keinen Gebrauch davon machen können.« Grillparzer hat einmal gesagt; »Der rechte Dichter ist nur der, in dem seine Sachen gemacht werden.« Wenn aber dann, früher oder später, die Sachen von selbst gemacht zu werden aufhören, wenn alles »Simulieren«, wie Grillparzer diesen Zustand der Erwartung des Segens von oben zu nennen pflegte, nichts mehr hilft, dann wird der Dichter gewahr, wie gering sein eigenes Verdienst und daß er bloß ein Empfänger ist. »Meine Gottheit ist die Inspiration«, versicherte Grillparzer immer wieder, und er wurde zum mürrischen Hypochonder, als es von Inspiration in ihm nur so tröpfelte. Laube konnte nicht verstehen, warum Grillparzer jedes Gespräch über sich und seine Dichtungen abwies. Wenn er sich doch einmal darauf einließ, so sprach er, als ob er in Person mit dem Dichter Grillparzer gar nichts gemein hätte. Den Theatermann Laube befremdete das, jeder Dichter aber weiß, daß er bloß ein Gefäß der Inspiration und für diese nicht verantwortlich ist. Der Dichter hat vor den andern gar nichts voraus, als daß ihm zuweilen etwas einfällt: es fällt in ihn hinein, er kann nichts dafür, es ist nicht sein Verdienst. Er muß nur mit dem Einfall dann auch etwas anzufangen wissen, bevor Besuch der Inspiration sich wieder entfernt.

Hermann Bahr.

Neuntes Kapitel.

Auf der Bank, die Wand des kahlen Zimmers entlang, saßen die Kranken des Doktors Tewes. Verhärmte Frauen in Fetzen, ein alter Bauer, an seiner kalten Pfeife nagend, Kinder mit verbundenen Augen. Sie saßen stumm und starr, nach der Tür sehend, zum Zimmer des Arztes hin. Ein Kind fing hustend zu wimmern an. Die Mutter sagte: »Der Herr Doktor wird dir was verschreiben, dann is gleich alles gut.« Das Kind röchelte. Der alte Bauer sagte höhnisch: »Na, na! Z'erst kimm jetzt dann i! Da gibt's nix, jetzt kimm i!« Und er lachte spuckend. Das Kind weinte, bis es wieder husten mußte. Die Mutter nahm es und sprach ihm leise zu. Dann war es in dem leeren weiten Zimmer wieder ganz still. Die Kranken saßen auf der Bank, die Wand entlang, sahen nach der Türe und hörten sich atmen. Als die Baronin eintrat, standen die Kranken auf und rückten zusammen. Die Baronin nickte; mit ihren blinzelnden Blicken suchte sie das Zimmer und die Kranken ab. Sie wollte sich nicht setzen. Ihre harte, kleine Hand strich über das enge glatte Kleid, wie um die Luft der Kranken abzustreifen. Sie ging zum offenen Fenster. Draußen stand der Nebel dick und gelb. Sie neigte sich vor, die Nase rümpfend, schnuppernd. Ein schwammiger Dunst war im Zimmer, naß roch es aus dem dampfenden Garten. Sie schüttelte sieh, ging zur Türe zurück und trat in den Flur, um die Köchin zu suchen, die sie gleich dem Doktor melden sollte, sie hätte keine Zeit zu warten. Die Köchin wollte nicht; es wäre ihr ausdrücklich verboten. Die Baronin wurde zornig. »Sagen Sie dem Professor nur, es ist die Baronin Scharm! Und sagen Sie, daß es dringend ist! Für mich gilt das Verbot nicht, schnell! Er wird sonst sehr bös auf Sie sein! Sagen Sie nur, die Baronin Scharm! Wird's?« Und sie schob die noch immer unwillig und ängstlich zögernde Person zum Doktor hinein.

Der kleine Doktor Tewes schoß aus dem Zimmer. »Was haben Sie? Zeigen Sie! Wo denn?« Sie sagte lachend: »Lassen Sie mich nur erst hinein, lieber Professor! Dann sollen Sie gleich alles hören.« Sie wollte zur Türe, indem sie noch sagte: »Ich bin die Baronin Scharm. Sie kennen mich doch? Nicht?«

Tewes, vor seiner Türe wachend, wurde heftig: »Was fällt Ihnen denn ein? Ich habe gemeint, Sie hätten sich den Fuß gebrochen oder, oder –« Und er schrie die Köchin an; »Dumme Gans! Wie oft soll ich dir noch –? Wirst du dir das nie merken, daß –? Dumme Gans!« Die Köchin verteidigte sich: »Wann sie aber doch g'sagt hat, daß es so dringend war, und wie kann man denn eine Baronin unter die Bettelleut warten lassen? Das is doch meiner Seel eine Schand! So viel Einsehen mußten's schon auch haben, Herr Doktor!« Der Doktor schrie »Dumme Gans!« Plötzlich aber sagte er, sehr höflich, zur Baronin: »Wollen Sie sich gefälligst so lange gedulden, bis die Reihe an Sie kommt! Bedaure sehr.« Und zappelnd schoß er in sein Zimmer zurück, zornig die Türe zuschlagend.

»A Narr is er halt«, sagte die Köchin gelassen. »Da gibt's nix. Dabei meint er's aber gar not so bös. Bloß wiar ans a weng anständiger anzogen is, kriegt er sein Raptus. Ja, mein! Je g'scheiter, daß oans wird, um desto dümmer is's oft z'letzt. Kannst nix macha!«

»Rufen Sie mich,« sagte die Baronin, »wenn es soweit ist. Ich will lieber im Garten warten.«

In gelbem Qualm lag der Garten, die« nassen Wege waren braun, mit nackten Ästen griffen die grauen Bäume aus. In der Wiese standen Krähen, die schwarzen Schwänze gestreckt, pickend zwischen die fahlen Stoppeln geduckt. Wie Schleim war die klebende Luft. Drut ging ungeduldig, ihr Schritt glitt im glitschigen Schmutz des faulenden Laubs, ihr wurde heiß. Manchmal nickte sie leise, den Mund öffnend, das Kinn vorgepreßt. Sie wiederholte sich alles noch einmal.

Die Köchin kam mit einem Stuhl. »Vielleicht, daß sich die Frau Baronin lieber setzen mecht! Es kann schon noch an Eichtl dauern. Und mir san halt gar nicht eing'richt auf bessere Leut. Mein Gott, not wahr, der Herr Doktor hat's ja not nötig. Er macht's ja mehr bloß noch zu sei'm Vergnügen. Ja, wann der Mensch halt älter wird, woaß er z'letzt schon gar nimmer, was er eigentli mecht. Es is a Kreuz. Und so an ausgezeichneter Mann, wie der amal war, wann ma denkt! Aber seit er's halt jetzt not mehr nötig hat! Dös is gar not guat für an Menschen, da wird oans bloß völli a Narrendattl davon, mit der Zeit.«

Drut setzte sich. Die Köchin gab ihr einen dicken alten Plaid um und fuhr fort, über ihren wunderlichen Herrn zu klagen. »Und was hat er davon? Koan ordentlicher Mensch kommt mehr her zu uns, denn natürli, es graust ja oan jeden, wann er das Glümp von rotzigen Kindern siecht, wer vertragt denn das? Gar wenn oans krank is, wo der Mensch ohnedem no heikliger wird! Und natürli, die armen Leut selber haben schon a koa Vertrauen mehr zu ihm. Natürli, woher denn, wann's segn, daß das ein Dokter is, zu dem not ein einziger besserer Mensch mehr kommt? Wann aber erst's Vertrauen fehlt, da is 's scho aus bei an Dokter, natürli. Alsdann, wer no an luckerten Heller hat, geht lieber zum Doktor Mozl. Zu uns kommen's schon rein nur mehr zum Bedeln her. An anders traut sich ja gar nöt mehr her, selbst wenn's mecht, weil's ja förmli a Schand is, wann aner zu uns kommt. Ui je, sagen's glei alle. Und dann is auch ein Fehler, daß er nix verschreibt. Das kalte Wasser und die frische Luft soll all's macha. Wann ma auf ihn hörat, brauchaten die Menschen bloß nackad umanand zu spazieren, und wanns dann noch a weng pritscheln, war all's gut. Ja, da is ma aber do heut aufm Land a scho weiter, das vergißt er. Und wann ma scho in oaner Famili a Krankes hat, möcht ma ihm do was vogunnen, nöt? Seim 'm Vieh gibt ma was ein, no da will do a menschlichs G'schöpf a a wengerl regardiert werden. Dös kann man den Leitn not verübeln, moanat i, selbst wanns arm san. Dös tut ihnen halt weh, wann ma's ihnen gar a so zum Verstehn gibt, daß 's arm san und deswegen 's Wasser und die frische Luft gnue für ihnen sein muaß. Und natürli, was g'schiacht? Was tains? Da wanens dem Doktor was vor, bis 's ihm leid tain, no und a guater Mensch is er ja, dös woaß a jeds, und da schenkt er ihnen was, und was tains damit? Mit sein'm Geld laufen's nachat g'schwind zum Doktor Mozl hin. Oder glei zum Jautz, in d' Awarteken, daß er ihnen was verschreibt. Der Jautz sagt, er wünscht sich gar kan bessern Dokter. Wann i aber nachher fuchti werd und sag ihm's, daß 's sei Geld zum Mozl tragen, da lacht er noch. Da gibt's do wirkli nix zum Lacha! Wann si aber do no a rechtschaffener Mensch amol zu uns verirrt, no dös ham's ja jetzt sölm g'segn, Euer Gnaden, wia er nachher is! Es is a Kreuz, Deswegen derfen's aber not schlecht von ihm denken, er moant's gar not so. Und i wer ihm's scho heut abends sagn, daß er sich schama sollt! A i schenk ihm nix, i wer iehm scho dö Meinung sagen, aber was nutzt's nachat? Er hört ma zua und nachat lacht er! Alsdann, was soll i den tain? Mei Gott! I kann ihn dert auf seine alten Tag not alloan lassn, der mecht sehen ausschaun! Wann do de Unrechte kemmat, jessas, dös tragat iehm 's Haus überm Kopf und unter die Füaß weg, und er mirkat nix! Na, na! Und nachat hat er mi ja in sei Testament g'sötzt, dös muaß ma sich halt a für was rechna. Aba manchmal braucht ma scho a himmlische Geduld mit iehm! Sagn eh im ganzen Ort, daß 's not ganz richtig is bei iehm, im Oberstüberl, wissen's! No mi geht's ja nix an. Und der Herr Pfarra sagt a, es macht nix, i sollt nur aushalt'n bei iehm, daß wenigstens sei Geld amal in die richtigen Hand kimmt! Do, sagt der Herr Pfarra, wem ma dann scho schaun, was sich für iehm macha laßt. Eigentli is er ja do a seelenguater Mensch, es steht bloß all's aufm Kopf bei iehm, grad umkehrt, z'erst keman die Viecher, und dann keman die armen Leut, dann keman die kranken Leut und nachat keman erst die andern dran bei iehm, grad umkehrt, als wie 's wirkling is, grad die verkehrte Welt! No, mi geht's ja nix an.«

Endlich konnte die Baronin vor.

»Also, wo fehlt's?« fragte Doktor Tewes.

»Kennen Sie mich?« fragte Drut, ihre Jacke ablegend.

»Nein«, sagte der Arzt.

»Nein?« sagte Drut auflachend. »Der ganze Ort beschäftigt sich bloß noch mit mir.«

»Aber ich beschäftige mich mit dem Ort nicht mehr«, sagte er.

»Ich bin die Baronin Scharm«, sagte sie.

»Und?« Er sah sie fragend an.

»Sind Sie mit Ihren andern Patienten jetzt fertig?« fragte sie.

»Ja.« Er wusch sich die Hände.

»Es ist niemand mehr da?«

»Nein.« Er räumte sein Werkzeug in den Kasten ein.

Sie setzte sich, »Haben Sie ein bißchen Zeit für mich?«

»Solange es nötig ist.«

Nach einer Weile sagte sie leise: »Ich möchte mich nicht bloß an den Arzt wenden, sondern an den –« Sie sah auf, seine Augen suchend. »An den Menschen. Wie ich Sie mir vorstelle, kann ich das.«

Er schwieg. Sie fragte: »Kann ich das?«

Seine Stimme war ärgerlich, als er antwortete: »Meinen Sie, daß ich in der linken Rocktasche den Menschen, den Arzt in der rechten habe? Und rechts kostet's drei Kronen, links aber fünf? Oder wie denken Sie sich das eigentlich?«

Sie sah von ihm weg, mit achtlos durch das Zimmer gleitenden Blicken, und sagte leichthin: »Und kann ich sicher sein, daß das, was ich Ihnen sagen werde oder was ich Sie fragen werde, unter uns bleibt?«

»Wir haben ein Berufsgeheimnis.«

»Ja«, sagte sie, mit einem leeren Ton leiser Enttäuschung. »Übrigens kann ich es Ihnen ja noch ausdrücklich versprechen.«

Sie fragte: »Darf ich das Fenster schließen? Der Nebel drückt mich. Und es dunkelt auch schon.«

Er schloß das Fenster und machte licht.

»Und,« sagte sie, »es strengt mich an, wenn Sie in einem fort durch das Zimmer gehen, statt bei mir zu sitzen. loh bin ein bißchen müd, von dem langen Warten.«

Er setzte sich, ihr gegenüber, das verquälte zerrissene Gesicht gesenkt.

»Ich war mit einem preußischen Baron verheiratet, der im Irrenhaus gestorben ist. Jetzt bin ich den dritten Monat hier, in der Lucken oben. Ich kenne die Hofrätin Zingerl und habe durch sie ihren Neffen, den Bezirkshauptmann Baron Furnian, kennengelernt. Sie werden wohl über uns reden gehört haben. Man klatscht genug.« Sie hielt ein. Endlich sagte er kurz: »Ich habe davon gehört.«

»Ich möchte Sie bitten, dem Baron Furnian meinen Besuch zu verschweigen.«

»Ich sehe den Bezirkshauptmann sehr selten«, sagte er. »Und wenn wir uns sehen, gehen wir aneinander vorüber. Wir haben uns nichts zu sagen.«

»Er soll nichts davon erfahren«, sagte sie. »Diese Bedingung muß ich stellen. Er könnte das mißverstehen.«

»Von mir wird er nichts erfahren.«

Sie nickte. Dann fragte sie: »Darf ich den Schirm von der Lampe nehmen? Ich habe gern das Zimmer hell.«

Er nahm den Schirm von der kleinen Lampe. Jetzt konnte sie seine jungen Augen sehen.

»Im ersten Jahre meiner Ehe war ich sehr krank. Und als es vorüber war, sagten mir die Ärzte, ich dürfte kein Kind mehr kriegen; denn dies würde mein Tod sein. In solchen Fällen ist es doch erlaubt, eine Frau auf alle Weise zu retten, nicht wahr?«

Sie wartete. Der Arzt saß unbeweglich, über den Tisch vorgebeugt, die Nägel seiner Finger betrachtend. Ihre stille Stimme klang weich und lieb, als sie dann sagte: »Der Mensch ist ja seltsam. In bösen Stunden wünscht man sich schon oft, es wäre lieber alles vorbei, und ruft den Tod. Wird's aber dann einmal Ernst, so merkt man erst, wie man doch am Leben hängt, mit allen Fibern.« Und ein wenig kokett sagte sie noch: »Ich bin gar nicht tapfer.« Dann wartete sie. Er regte sich nicht, auf den Tisch sehend. Jetzt wurde ihre Stimme hell, und sie sagte lustig: »Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten, lieber Professor. Wissen Sie, daß man Sie hier im Ort gar nicht besonders mag? Sie sind den Leuten ein bißchen unheimlich. Und da hatte ich, wenn man von Ihnen sprach, immer schon den Wunsch, Sie kennenzulernen. Ich kann eigentlich gar nicht sagen, warum. Ich weiß es selbst nicht. Es war nur immer schon das Gefühl, nach allem, was ich über Sie hörte: der muß ein wirklicher Mensch sein; und einer, der die Menschen in ihrer Not versteht; und einer, der bereit ist, ihnen zu helfen, auch wenn die anderen sich abwenden.« Und ganz leise sagte sie dann noch, die Hand vor den Augen und die Finger auf die geschlossenen Lider drückend: »Und so einen würde ich jetzt brauchen.«

Der Arzt sah sie nicht an, als er fragte: »Und den Bezirkshauptmann rechnen Sie nicht dazu?« Da sie schwieg, stand er auf und sagte, nachdenklich durchs Zimmer gehend: »Nun ja.« Dann erinnerte er sich. »Entschuldigen Sie! Ich vergaß, daß es Sie nervös macht. Bitte!« Und er setzte sich wieder zu ihr.

Sie sah ihn an und sagte; »Es kann aber sein, daß ich mich getäuscht habe. Sie wären sehr empört, wenn jemand es einen Menschen entgelten ließe, daß er schlecht angezogen ist. Selbst aber haben Sie Mißtrauen, wenn man gut angezogen ist. Mir scheint, es kommt auf dasselbe hinaus. Meinen Sie nicht? Oder hätte ich besser getan, mich als schmieriges Bauernweib zu verkleiden, in solchen Lumpen?« Sie wies verächtlich zum andern Zimmer hin. Das Haar war ihr aufgegangen, der aschblonde kleine Schopf schlug ihr in die zornige Stirne, sie strich ihn zurück.

»Sie haben recht«, sagte der Arzt. Die Lampe schien auf seinen großen grauen Kopf mit den rastlosen Augen, der platten Nase und dem zärtlich verlangenden Mund. Sie sah diesen Mund und sagte: »Warum verstellen Sie sich? Warum haben Sie Angst, sich mir zu zeigen, wie Sie sind? Wenn Ihnen ein Hund zuläuft und Ihnen die Hand leckt, weil er einen Dorn in der Pfote hat, dem werden Sie helfen, da fragen Sie nicht erst! Ist's denn gar so schwer, einem Menschen zu trauen? Sitzen wir denn wirklich alle hinter Schloß und Riegel fest, und keiner kann zum anderen hinein?«

Er saß mit verschränkten Armen, den Kopf gesenkt, und nickte nur immer, und sein zerklüftetes Gesicht wurde hell.

Sie wechselte plötzlich den Ton und sagte lustig: »Also einigen wir uns! Der Mensch fängt nicht erst beim Baron an. Aber daß er beim Baron aufhört, stimmt auch wieder nicht. Nicht immer, lieber Professor! So bequem ist das Leben nicht eingeteilt. Sie müssen sich schon etwas umständlicher bemühen, tut mir leid!«

»Verstehen Sie denn aber nicht,« sagte der Arzt, beschämt und aufgeregt, »verstehen Sie nicht, daß, wenn man hundertmal enttäuscht oder verkannt, hundertmal mit seinem vollen Herzen abgewiesen und noch ausgespottet worden ist, verstehen Sie nicht, daß man dann schließlich –«

»Aber natürlich«, sagte sie lachend. »Ich bin Ihnen ja deshalb auch keineswegs bös. Ich mußte nur ein bißchen stark anklopfen, nicht wahr? Aber jetzt haben Sie mir ja auf getan.«

Er sah sie jetzt nur immer an und nickte mit seinem großen grauen Kopf und lachte still in sich hinein. Und dazwischen sagte er manchmal: »Merkwürdig, merkwürdig.« Und plötzlich nahm er ihre kleine harte Hand und drückte sie lachend und sagte: »Zu merkwürdig ist das doch, nicht? Zu merkwürdig, zu merkwürdig.«

»Was denn?« fragte Drut vergnügt. »Was wundert Sie denn gar so?«

Er hielt ihre Hand und beugte sich vor, und so sah er in ihr Gesicht hinauf, wie um sich allmählich erst zurechtzufinden. Und er schüttelte sich wieder und lachte wieder und sagte: »Man denke doch nur! Zu merkwürdig ist das Leben! Sitzt man da und ahnt nichts, und plötzlich rauscht Euer Hochgeboren herein wie der Hochmut selbst, der Hochmut in höchsteigener Person, stänkert mir die Bude mit seinem verruchten Patschuli voll und ... und plötzlich ... eben als man sich wehren und sein Hausrecht nehmen will, ist's, ist's ... als wär's ein liebes Menschenkind ...?« Er hielt plötzlich ein, fragend wurde seine Stimme, sein Gesicht erlosch. Er ließ ihre Hand los, neigte sich noch tiefer vor und, indem sein verwüstetes Gesicht wieder die tiefen Schatten von Gram und Hohn und Angst bekam, sagte er traurig: »Und wenn's auch wieder nur eine Täuschung war, einmal mehr, was liegt daran? Einen Augenblick hat's einen doch gefreut. Man darf nicht unbescheiden sein.«

»Sie sollten einmal zum Doktor Tewes gehen«, sagte sie lustig.

»Wie?« fragte er, erstaunt und fast erschreckt.

»Um sich von ihm behandeln zu lassen.« Sie sah ihn mit ihren müden Augen mühsam an, »Denn Sie sind krank, vor Mißtrauen.« Und leichthin sagte sie noch mit einem hohlen Lächeln; »Das kann recht arge Folgen haben, wenn man nicht beizeiten was dagegen tut.«

Nach einiger Zeit sagte er, indem er mit der Hand sein verwüstetes Gesicht rieb, wie um die bösen Gedanken abzuwischen: »Sie wollten doch etwas von mir?

Scharf sagte sie: »Ja, Herr Professor! Ich will Sie konsultieren.«

Er stützte den Arm aufs Knie und drückte den Kopf in seine Hand. Indem er so, horchend vorgebeugt, saß, sagte er: »Bitte.«

»Noch einmal ein Kind zu kriegen, haben die Ärzte gesagt, wäre mein Tod. Jetzt helfen Sie mir, am Leben zu bleiben!« Sie sagte das ganz einfach, mit ihrer stillen weichen Stimme.

Der Arzt sprang auf. Er stand ganz dicht vor ihr und warf seinen angelnden Blick in ihre wachsamen Augen. Sie hielt es aus und sagte gelassen: »Ja, Herr Professor! Ja.« Wie ein kleiner Vogel flog ihre helle Stimme durch den stillen Raum. Er wendete sich von ihr ab und ging zum Ofen. Hier blieb er, vorgebeugt, mit dem Rücken zu ihr. Nach einiger Zeit hörte er sie sagen: »Es wäre ganz einfach, ich könnte ja auch zum Doktor Mozl gehen, jeder Arzt hat doch die Pflicht, mich zu retten. Aber soll am nächsten Tag der ganze Ort wissen, daß ich ein Kind vom Bezirkshauptmann habe? Und vor allem will ich nicht, daß er es erfährt.« Sie schwieg. Er stand am Ofen, von ihr abgekehrt. Plötzlich sagte sie noch: »Laßt mir doch mein bißchen Glück! Wenigstens noch bis über den Winter. Dann will ich wieder weitergehen.«

»Aber warum lügen Sie mich an?« sagte der Arzt.

»Ich lüge nicht«, sagte sie ruhig.

»Kind, Kind!« Der Arzt rannte durch das Zimmer. Sie saß still. Er rief: »Aber natürlich, das ist doch klar!« Sie wartete. Endlich kam er, rückte seinen Stuhl neben ihren, setzte sich, nahm ihre Hand und sagte: »Kind, nun wollen wir einmal wie zwei vernünftige Menschen miteinander reden. Schämen Sie sich nur nicht vor mir, ich kann das alles ja so gut begreifen! Liebes, armes Kind! Also hören Sie zu! Sie haben Angst, ein Kind zu kriegen, weil Sie fürchten, ihn dadurch zu verlieren. Nicht wahr? Sie glauben, er wird sich drücken, wenn aus dem Abenteuer Ernst wird. Und nun müssen Sie doch aber um Himmels willen –«

»Nein«, sagte sie langsam. »Nein, Herr Professor! Das ist es wirklich nicht. Sie tun auch Klemens Unrecht. Er würde sich nicht ›drücken‹, wie Sie's nennen. Deshalb gerade will ich ja nicht, daß er überhaupt von meinem Zustand erfährt, weil er mich dann sicher heiraten würde. Ich weiß aber, daß ich nicht die Frau für ihn bin. Und ich wünsche mir auch gar nicht, noch einmal zu heiraten. Es wäre weder für ihn noch für mich gut. So wie es jetzt zwischen uns beiden ist, das ist etwas Wunderschönes, so möchte ich mir es noch eine Zeit erhalten. Und dann soll's lieber ganz aus sein. Zur normalen bürgerlichen Ehe paßt er so wenig als ich. Und wir beide zusammen schon gar nicht. Pläne solcher Art also, die ein Kind stören könnte, habe ich keine. Hätte ich sie, so würde mir, wie Klemens ist, ein Kind dabei nur helfen können. Also fabeln Sie sich da nichts zusammen, sondern glauben Sie doch, was ich Ihnen sage! Nach der Aussage der Ärzte darf ich kein Kind mehr bekommen. Nur dies ist es, was mich zu Ihnen führt.« Lange wartete sie. Er verharrte schweigend, Endlich sagte sie: »Und jetzt will ich bloß hören, ob Sie bereit sind, mir zu helfen, ja oder nein.«

Er schoß auf sie zu und, ohne sie anzusehen, sagte er, dicht neben ihr: »Die Ärzte, von denen Sie das haben, sind Schwindler, erstens: Kein Arzt kann das mit Sicherheit wissen. Und zweitens –« Er rannte weg, durch das Zimmer auf und ab.

»Und zweitens?« fragte Drut.

Er blieb stehen und sagte langsam, jedes Wort wägend: »Meine Meinung ist, meine Meinung . . . daß ein Kind, ein neuer Mensch, ein Anfang, wichtiger ist. Das Kind ist wichtiger. Ich würde das Kind retten.« Die Furchen und Risse des zersprungenen Gesichts zuckten, es stieß ihn vor Erregung. »Ich wäre grausam. Ich könnte mir nicht helfen. Mag es roh sein! Aber nur das Kind, das Kind! Was liegt an uns? Wir sind doch nur ein Durchgang zur Zukunft! Was liegt an uns?«

Sie lachte laut auf. Er sah sie betroffen an. »Verzeihen Sie!« sagte sie, »wenn ich da nicht Ihrer Meinung bin! Mir liegt sehr viel an mir! Lieber Professor, mir liegt alles an mir! Die Zukunft und die Menschheit und die ganze Welt mit Sonne, Mond und Sternen interessieren mich nicht im mindesten, wenn ich nicht mehr dabei sein soll. Sie mögen das sehr klein von mir finden, aber ich habe durchaus kein Verlangen, groß zu sein, wenn's mich meinen Kopf kostet. Verachten Sie mich, ich habe nichts dagegen, aber retten Sie mich! Es ist sehr leicht für Sie, heroisch zu sein, auf meine Kosten.«

Er sagte kleinlaut: »Das kann ich schon auch verstehen. Ja natürlich! Aber –« Er sah plötzlich auf und sagte, gewaltsam Kraft aus sich holend; »Aber ich glaube Ihnen nicht. Das ist es. Reden wir nicht hin und her! Ich glaube Ihnen nicht. Nein, ich glaube Ihnen nicht!«

»Ja dann!« sagte sie kurz, mit einer Bewegung, aufzustehen. »Dann habe ich mich eben in Ihnen getäuscht.«

»Nein«, schrie der Arzt. »Nein.« Er rannte durchs Zimmer, stoßend und fuchtelnd. »Sie mißverstehen mich! Ich meine nicht, daß Sie mich anlügen, nein! Sie lügen mich nicht an, das weiß ich schon. Ich höre Sie doch, Ihre Stimme lügt nicht, nein! Aber sich selbst, das ist es, gewiß lügen Sie sich selbst an! Bitte, bitte!« Und er schoß auf sie zu, nahm ihre Hand und setzte sich wieder. »Hören Sie, hören Sie doch zu! Sie werden mich gleich verstehen. Der Mensch ist schon so. Darin sind wir alle gleich. Nämlich, aber bitte, bitte, hören Sie mich einmal geduldig an!« Er setzte sich zu ihr, ihre Hand in der seinen, und sah sie lächelnd an. »Das glaubt man ja gar nicht, was auch der anständigste Mensch insgeheim für ein Schwindler ist! Er weiß es ja gar nicht, also kann er auch nichts dafür, es trifft ihn keine Schuld. In Ihnen ist jetzt nichts so stark als der Wunsch, sich diese schönen Dinge zu bewahren, nicht wahr? Da kommt plötzlich dieses Kind. Und nun haben Sie Angst! Ich kann mir das schon denken. Wir wollen ja lieber nicht über den Bezirkshauptmann sprechen, Sie lieben ihn, ich kenne ihn kaum, ich weiß auch viel zuwenig, um über ihn urteilen zu können, ich würde ihm sicher Unrecht tun, er mag vielleicht ganz anders sein, als er mir scheint, ich bin ja doch auf der anderen Seite des Lebens, nicht wahr? Aber immerhin scheinen Sie zu fürchten, er könnte, durch dieses Kind plötzlich aufgeschreckt, sich von Ihnen abwenden, hören Sie mich nur einmal ruhig an! Jedenfalls sind diese Dinge, die Sie jetzt erleben, so wunderschön für Sie, daß Sie nur den einen Gedanken haben: so soll's bleiben, nur nichts ändern, nur mir das erhalten! Und da kommt dieses Kind, plötzlich soll nun alles anders sein, eine Gefahr ist plötzlich da, eine Drohung, nicht wahr?« »Nein, nein!« sagte sie, bittend, sich leise wehrend.

»Hören Sie nur, hören Sie mich doch nur an! Nun hat Ihnen damals ein Arzt dumme Angst gemacht. Gott, ich kenne den Schlag, der immer gleich das Messer wetzt; am liebsten möchten sie den Menschen ganz auskratzen. Das hatten Sie längst vergessen, jetzt aber taucht es plötzlich wieder auf. Ihr Wunsch, verstehen Sie mich wohl, Ihr Wunsch, sich Ihr stilles kleines Glück zu bewahren, dem dieses Kind zu drohen scheint, holt es aus der dunklen Erinnerung wieder hervor. Verstehen Sie mich? Ich meine nicht, daß Sie mich anlügen. Alles, was Sie mir gesagt haben, glauben Sie selbst. Es hat sich in Ihnen so zurechtgeschoben. Aber wahr ist es nicht! Ja, Sie wehren sich gegen mich! Denn Sie wollen, daß es wahr sein soll, weil Sie bloß von dem einen Gedanken besessen sind, dieses Kind, das Ihr stilles Glück bedroht, verschwinden zu lassen. Erschrecken Sie nicht! Es ist so. Ihr habt den Mut, alles zu wagen, nur nicht es bei seinem Namen nennen zu hören.«

Sie riß sich los und sprang auf. »Das hilft mir alles nichts«, schrie sie. »Ich habe solche Angst!« Er sah ihr nach, wie sie durchs Zimmer ging. Sie blieb am Fenster stehen, in die dunklen Läden blickend. »Angst«, schrie sie. »Angst habe ich! Einfach eine wahnsinnige Angst. Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben, sonst weiß ich gar nichts mehr, alles andere ist mir gleich, aber ich will nicht sterben!«

»Nein,« sagte er hart, »das ist es nicht.«

Sie kam langsam, als hätte sie plötzlich die Kraft nicht mehr, sich bis an den Tisch zu schleppen. Sie griff nach ihrer Jacke. »Entschuldigen Sie nur,« sagte sie, »daß ich Sie belästigt habe! Und was habe ich zu zahlen, bitte?«

Er nahm ihr die Jacke weg und sagte: »Menschenskind! Menschenskind! Da rede ich auf Sie los, und man kann reden und reden, und es ist wie in eine Mauer hinein! Wo wollen Sie hin? Was wollen Sie tun?« Sie schwieg achselzuckend.

Plötzlich sagte er in einem anderen Ton, nebenhin: »Übrigens müßte ich Sie ja auch erst untersuchen.«

»Wozu?« sagte sie höhnisch. »Da Ihnen ja doch das Kind wichtiger ist! Nun ja, vielleicht haben Sie recht.«

»Was wollen Sie tun?« wiederholte er drängend.

»Geben Sie mir die Jacke, bitte!« sagte sie.

Er wurde zornig. »Nein. So lasse ich keinen Menschen von mir fort.«

»Wenn es Ihnen Vergnügen macht, sich noch einige Zeit reden zu hören«, sagte sie. »Ich habe Zeit.«

Er sagte bittend: »Ich bin ein alter Mann, ich habe viel gesehen, ich will nichts mehr, ich lasse die Menschen laufen, mir ist alles recht. Und glauben Sie doch ja nicht etwa, daß ich moralische Bedenken hätte! Alles, alles ist recht, was einem Menschen hilft. Nur helfen möchte ich. Ein bißchen helfen können. Im Alter muß man einen Sport haben, zum Zeitvertreib. Marken oder Münzen sammeln, Rosen ziehen, irgendeine stille friedliche Beschäftigung. Lassen Sie mir meine! Lassen Sie sich von einem alten Mann ein bißchen helfen in Ihrer Angst, in Ihrer Not! Was soll ich denn nur sagen, daß Sie mir vertrauen? Aber nun hat sich das bei Ihnen einmal festgesetzt, und da lassen Sie nicht mehr ab, da verbeißen Sie sich nur immer noch mehr, mit Ihrem hysterischen Trotz!«

Sie sagte langsam, die Worte gleichsam ausbreitend, jedes sorgsam glättend: »Ich weiß ja ganz genau, was allein mir helfen kann. Und das wollen Sie nicht. Anders aber ist mir nun einmal nicht zu helfen. Also, was soll ich da noch hier? Mit Worten werden Sie mich nicht heilen. Da sind mir wirklich noch die Ärzte lieber, die gleich das Messer wetzen. Und hätten Sie selbst recht, daß wirklich, wie Sie meinen, alles bloß eingebildet wäre, diese schauerliche Angst um mein Leben, die mich quält, so habe ich doch diese Einbildung nun einmal, und sie quält mich und, eingebildet oder wirklich, ist es doch dieselbe Qual, nicht? Das wollen aber die Ärzte nie verstehen! Und was immer Sie mir nun sagen mögen, ich werde doch immer nur hören, daß Sie das einzige nicht wollen, was allein mir helfen kann, also wozu, wozu? Schade um Ihre Zeit und um meine! Ich muß dann eben sehen, mir anders zu helfen. Oder vielleicht ist mir nicht mehr zu helfen! Darüber will ich dann aber wenigstens Gewißheit haben. Schließlich ein paar Jahre mehr oder weniger, damit muß man sich abfinden können; einmal kommt's an jeden. Nur dies, so von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat den sicheren Tod erwarten müssen, der langsam immer näher schleicht, und man weiß es und zählt sich an den Fingern ab, wieviel einem noch bleibt, und immer weniger wird's, und immer kürzer, bis es kaum noch eine Woche dauern kann und endlich nur noch einen Tag, und dann, weiß man, dann ist es aus, dann bist du tot – nein, das würde ich nicht ertragen! Nein, nein, nein! Lieber alles! Dann lieber gleich –! Aber nur das nicht, nur das nicht, nur nicht dieses langsame Warten auf den sicheren Tod – jetzt schon, bei der bloßen Vorstellung, die mich verfolgt, Tag und Nacht, macht's mich wahnsinnig, denn dann lieber wirklich gleich –! Das war es ja, das hat mich ja hergetrieben. Und es gibt ja nur eins, was mir helfen kann. Und dieses einzige wollen Sie nicht. Also was soll ich dann eigentlich noch hier? Wozu, wozu? Aber wenn Sie darauf Wert legen, mir vielleicht noch einmal darzutun, daß und warum und wie der Menschheit das Kind wichtiger ist, so kann ich Ihnen ja zuhören, wenn's Ihnen Spaß macht!«

Nach einer Weile sagte der Arzt, ratlos: »Lassen Sie uns doch noch einmal alles erwägen! Nicht wahr, es bleibt Ihnen dann ja noch immer frei, zu tun oder zu lassen, was Ihnen gefällt! Ich kann mir aber nicht helfen, ich würde es doch für das beste halten, vor allem zunächst einmal darüber mit ihm zu sprechen!«

»Nein!« schrie sie schrill, mit den Händen abwehrend. »Nein!« Ihre zuckenden Augen standen schief, das Kinn hing vor. Er sagte rasch: »Wir wollen doch nur überlegen, nicht? Es soll ja nichts geschehen, was Sie nicht wollen! Aber überlegen kann man doch, nicht?«

»Nein, nein!« schrie sie. »Wagen Sie es ja nicht, ich warne Sie, Sie wissen nicht, was geschehen kann!«

»Also nein!« schrie der Arzt. Er nahm sie an den Armen und schüttelte sie, ganz dicht an ihrem weißen Gesicht, und zwang ihre blinzelnden und abgehetzten Augen, ihn anzusehen. »Also nein, nein! Sie sollen nicht mit ihm sprechen. Niemand wird mit ihm sprechen. Abgemacht!« Er ließ sie los. Sie fiel schlaff in den Stuhl. Er sagte, sie zärtlich beschwichtigend: »Nein, nein, nein! Es zwingt Sie doch niemand. Wie kann man nur so kindisch sein! Es zwingt Sie doch niemand, wenn Sie nicht wollen!« Und der alte Mann setzte sich zu ihr, nahm ihre zuckende Kinderhand und fragte, ganz leichthin: »Aber warum wollen Sie eigentlich nicht? Es würde mich nur interessieren, Ihre Gründe zu hören, warum Sie eigentlich nicht wollen. Es soll doch alles nach Ihrem Willen geschehen. Aber sagen Sie mir Ihre Gründe! Es kann ja sein, daß ich Ihnen selbst recht geben muß. Vielleicht sehe ich selbst das alles dann ganz anders an. Nicht? Nur Ihre Gründe können Sie mir doch sagen!«

»Ach!« sagte sie, durch die Nase fauchend. »Gründe, Gründe! Ihr Männer wollt immer Gründe! Gegen mein Gefühl ist es. Und wenn es schon sein muß, will ich es allein tragen, ihm wenigstens soll unser stilles kleines Glück ungetrübt bleiben. Und was soll ich ihm denn auch sagen? Daß ich Mutter bin? Und im selben Augenblick aber, daß er mich oder das Kind verlieren muß? Und dann, das alles wäre es ja noch nicht, aber dann wird er glauben, daß er mich heiraten muß. Und dann ist es eben aus.« Sie schwieg. Nach einer Weile begann sie wieder ungeduldig: »Gott, ich kann Ihnen nicht mein ganzes Leben erzählen. Aber ich will ihn nicht heiraten. Wir würden beide sehr unglücklich. Ich will nichts als –« Sie hielt ein und sah den Arzt forschend an. Dann sagte sie ganz leise: »Ich hätte nur den Wunsch, still irgendwo zu sitzen und mich nicht zu rühren, um unbemerkt zu bleiben und doch vielleicht endlich vergessen zu werden, vom Schicksal. Das wäre wirklich noch das einzige! Unbemerkt, unerkannt, ungesehen vom Schicksal. Und dankbar hinzunehmen, was vielleicht noch Gutes oder Liebes einmal still vorüberkommt.« Sie riß sich aus ihrer Stimmung und sagte hart: »Nun, nicht wahr, jeder macht sich so seine kleine Philosophie, nach seinen Erfahrungen! Ich habe mir abgewöhnt, mein Leben bestimmen zu wollen. Das kann das Schicksal nicht leiden, nach meinen Erfahrungen. Da will es sich dann gleich immer stärker zeigen. Und ich habe gar keine Lust mehr, mich noch einmal mit ihm zu messen, um mir das noch einmal beweisen zu lassen. Ich bescheide mich, ich bin zufrieden mit jedem schönen Tag. Den nimmt mir nichts mehr. Mag's morgen dann kommen, wie's eben kommt: ich habe doch heute meinen schönen Tag gehabt. Und das Gefühl, das mich niemals verläßt, das Gefühl, daß man ja nie weiß, ob's nicht vielleicht der letzte war, macht mir ihn nur noch schöner. Aber nun müßten Sie Klemens kennen, um zu verstehen, wie schwer er es mir macht! Der glaubt ja noch, daß man sich das Leben aufbauen kann; und so gern möchte er mir den starken Mann zeigen, der mein Geschick in seine feste Hand nimmt, um uns sicher durch alle Stürme zu steuern, und so weiter, nach diesen alten Redensarten sieht er sich, so sieht er uns, jeden Tag fängt er ja davon an, nur mein Spott schreckt ihn ab, weil ich ihn auslache, und ich muß töricht sein, muß die Launische spielen, die für ein ernstes Gespräch nicht zu haben ist, alles nur, damit er Angst kriegt und doch das ernste Gespräch noch nicht wagt, er fängt ja täglich, davon an, täglich kommt ein Moment, wo er sein feierliches Gesicht macht, und nun soll's losgehen: »Kind, wir müssen nun endlich einmal ernst miteinander reden!« Noch bin ich ihm immer entwischt, denn er weiß ja nicht, daß es dann aus wäre! Gott, kennen Sie solche Menschen nicht, die unfähig sind, einmal eine Stunde froh zu sein, ohne das gleich sozusagen in ein Register eintragen und von Rechts wegen bescheinigen zu lassen, daß ihnen fortan jeden Tag dieselbe frohe Stunde zustehen soll, in alle Ewigkeit? Und solange sie's nicht sicher, solange sie's nicht schriftlich haben, beim Notar abgemacht und auf dem Gericht deponiert, freut sie's nicht! Ich aber glaube nicht mehr, daß man mit dem Schicksal einen Vertrag machen kann. Und verstehen Sie jetzt, wie ich nun einmal bin und wie er nun einmal ist, daß ich meine Gründe habe, jenes ernste Gespräch zu vermeiden, das mir alles zerstören wird? Denn dann ist es aus, dann kann ich wieder weitergehen.« Sie lachte höhnisch. Und dann sagte sie, die starken Brauen an die tiefe Furche drängend: »Ja, nun wundern Sie sich und sind wieder mißtrauisch! Weil ich Ihnen zu klug bin, was? Zu bewußt! Eine Frau darf ja nicht nachdenken, eine Frau soll nur so durchs Leben tappen! Sonst ist sie euch gleich verdächtig! Aber Sie haben ja meine Gründe hören wollen! Und nun nehmen Sie meinen besten Dank, Sie meinen es mit mir ja sicher gut, das weiß ich schon, es hilft mir nur nichts. Und Ihr Versprechen, kein Wort davon zu sagen, habe ich ja. Keinem Menschen, nicht wahr? Und ihm am allerwenigsten!« »Gegen ein Versprechen,« sagte der Arzt, »das ich dafür von Ihnen fordern muß.«

»Und das wäre?«

»Eine Woche lang nichts zu tun. Keinen anderen Arzt zu fragen. Nicht nach Wien zu fahren. Eine Woche lang gar nichts zu tun. Auf die Woche kann es Ihnen nicht ankommen.«

»Und dann?«

»Dann? Dann haben Sie entweder Ihren Sinn geändert –«

»Oder?«

»Oder ich will dann, wenn Ihr Sinn unumstößlich bleibt – ja dann will ich es tun. Dann soll Ihr Wunsch geschehen.«

Sie nickte nur. Dann nahm sie die Jacke. Er half ihr.

An der Tür sagte sie: »Auf Wiedersehen also! In acht Tagen!«