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Drago Jančar

Die Nacht, als ich sie sah

Drago Jančar

Die Nacht, als ich sie sah

Roman

Aus dem Slowenischen von

Daniela Kocmut und Klaus Detlef Olof

TransferBibliothek

FolioVerlag

TransferBibliothek CXXV

Titel der Originalausgabe: To noč sem jo videl, Ljubljana: Modrijan založba 2011
© der Originalausgabe Drago Jančar

Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.
Mit weiterer freundlicher Unterstützung durch die Trubar Foundation (Trubarjev sklad pri Društvu slovenskih pisatlejev) und die Öffentliche Agentur für das Buchwesen der Republik Slowenien (Javna agencija za knjigo Republike Slovenije).

 

 

© Folio Verlag Wien Bozen 2015
Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dall’O & Freunde
Druckvorstufe: Typoplus, Frangart

ISBN 978-3-85256-670-2

www.folioverlag.com

e-Book: ISBN 978-3-99037-047-6

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

1

Heute Nacht hab ich sie gesehen, als stünde sie lebendig vor mir. Sie kam durch den Gang in der Mitte der Baracke, zwischen den Stockbetten, wo meine Kameraden im Schlaf ruhig atmeten. Sie blieb an meinem Bett stehen, sah mich eine Zeitlang nachdenklich an, irgendwie abwesend, wie immer, wenn sie nicht schlafen konnte und durch unsere Wohnung in Maribor irrte, am Fenster stehen blieb, sich aufs Bett setzte und wieder ans Fenster ging. Was ist, Stevo?, fragte sie, kannst du auch nicht schlafen?

Ihre Stimme war leise, tief, fast männlich, aber irgendwie verhangen, abwesend wie ihr Blick. Ich war überrascht, weil ich sie erkannt hatte, es war so deutlich die ihre, diese Stimme, die sich mit den Jahren irgendwo in der Ferne verloren hatte. Ihr Bild konnte ich mir jederzeit vor mein inneres Auge rufen, ihre Augen, ihr Haar, die Lippen, ja, auch ihren Körper, der so oft atemlos neben mir gelegen hatte, ihre Stimme aber konnte ich nicht hören; von einer Person, die man lange nicht sieht, geht zuerst die Stimme, der Klang, seine Farbe und Kraft. Sehr lange hatte ich sie nicht gesehen, wie lange?, überlegte ich, mindestens sieben Jahre. Mich fröstelte. Obwohl draußen die letzte Mainacht war und der Frühling dem Ende zuging, der Frühling des schrecklichen Jahres fünfundvierzig, und obwohl sich schon alles dem Sommer zuneigte und es draußen warm war, in der Baracke hingegen fast stickig von der Wärme der atmenden und dampfenden Männerkörper, überlief mich bei diesem Gedanken ein Frösteln. Sieben Jahre. Über sieben lange Jahr, hatte sie damals gesungen, meine Veronika, über sieben lange Jahr, da gibt’s ein Wiedersehn, sie sang dieses slowenische Volkslied, das sie besonders gernhatte, wenn sie traurig war und diesen abwesenden Blick hatte, mit dem sie mich auch jetzt ansah, nur Gott im Himmel weiß, wann sieben Jahr vorbei. Ich wollte ihr sagen, schön, dass du gekommen bist, wenn auch erst nach sieben Jahren, Vranac ist noch immer bei mir, wenn du ihn sehen willst, wollte ich sagen, dort auf der Koppel ist er, zusammen mit den anderen Offizierspferden, es geht ihm gut, er kann auf der Wiese laufen, er braucht nicht im Stall zu stehen, er ist in guter Gesellschaft, obwohl auch er deine Hand vermisst … wie ich sie vermisse, wollte ich sagen, aber meine Stimme blieb mir in der Kehle stecken, etwas Gurgelndes und Dumpfes kam aus meinem Mund statt der Worte, die ich sagen wollte. Ich dachte, du lebst in der Burg am Fuß der slowenischen Berge, ich wollte sagen, und reitest du dort auch? Ich streckte die Hand aus, um ihr Haar zu berühren, aber sie wich zurück, ich gehe jetzt, sagte sie, du weißt ja, Stevo, dass ich nicht bleiben kann.

Ich wusste, dass sie nicht bleiben konnte, wie sie vor sieben Jahren nicht bleiben konnte, als sie unsere Wohnung in Maribor für immer verließ; wenn sie dort nicht bleiben konnte, wie hätte sie dann hier bleiben können, in der Baracke des Gefangenenlagers, unter schlafenden Offizieren der königlichen Armee, über die, aufgehängt an der Barackenwand dort neben der Tür, die Fotografie des jungen Königs wacht, in der Uniform eines Gardeleutnants, die Hand auf den Säbel gelegt, die Fotografie eines Königs, der ohne Königreich geblieben ist, unter seinen Getreuen, die ohne Vaterland geblieben sind. In dem Augenblick wieherte laut ein Pferd, ich hätte schwören können, dass es Vranac war, vielleicht hatte sie sich auch ihm gezeigt, bevor sie für immer gegangen war, vielleicht hatte er vor Freude gewiehert, als er sie in der Nähe spürte, als sie vielleicht, wie früher immer, die Hand auf seine Nüstern gelegt und gesagt hatte, Vranac, jetzt werde ich dich satteln.

Das war in der Nacht, nun ist es Morgen und überall im weitläufigen Lager sammeln sich die Soldaten zum morgendlichen Fahnenappell, noch immer hissen wir jeden Morgen die Fahne, eine Armee ohne Waffen, am Tor gehen englische Soldaten auf und ab und beobachten gelangweilt das morgendliche Gewimmel, die entwaffneten Soldaten der königlichen Armee, die aus den Zelten kommen, die Offiziere, die in Baracken untergebracht sind, noch immer bereit, über die slowenischen Berge zurückzumarschieren, ins Innere, in die bosnischen Wälder, wo eintreffenden Berichten zufolge der Guerillakampf gegen die kommunistischen Machthaber immer stärker wird. Und ich betrachte mein Gesicht im Spiegel und weiß, dass es nichts mehr gibt, keine Veronika, keinen König, kein Jugoslawien, die Welt ist in Stücke gegangen wie dieser gesprungene Spiegel, aus dem mich Teile meines unrasierten Gesichts ansehen. Ich habe nicht den Willen, mich einzuseifen und zu rasieren, den Gürtel strammzuziehen, mich in Ordnung zu bringen und zum Appellplatz zu gehen, ich sehe dieses Gesicht, über das sich in dieser Nacht Veronika gebeugt hat, und ich frage mich, ob sie mich überhaupt wiedererkennen konnte. Bin das überhaupt noch ich, Stevan Radovanovic, Major, Kommandeur der Kavallerie-Schwadron der ersten Brigade, ehemaliger Hauptmann der Drau-Division, den in Maribor die Frau verlassen hat und dessen Soldaten sich hinter seinem Rücken über ihn lustig gemacht haben? Nun lacht niemand über ihn, es lacht überhaupt niemand über jemanden, weil niemandem zum Lachen zumute ist, jetzt sind alle irgendwie erbarmenswert, eine geprügelte Armee, die von kommunistischen, von Waffen und Taktik unbeleckten Wilden aus der Heimat vertrieben wurde, ist das überhaupt noch mein Gesicht, diese Augen, diese Nase, diese Wangen, durchschnitten von den Sprüngen im Spiegel, der an der Wand im Waschraum der Baracke hängt. Diese Augenringe von den durchwachten Nächten, die aussehen wie Blutergüsse, diese grauen Strähnen an den Schläfen, die aufgesprungenen Lippen und das schwarze Loch in der Reihe gelber Zähne. Dieses Loch, da war einmal ein Zahn, noch vor einem Monat, da ist an der Wand eines Bauernhauses das Geschoss eines Granatwerfers in den Bergen oberhalb von Idrija explodiert und mir ein Stein- oder Metallsplitter direkt in den Mund geflogen, sodass ich im Nu voll Blut war, aber es stellte sich heraus – nachdem ich zu mir gekommen war und mir das Blut abgewaschen hatte –, dass mir Gott sei Dank nur ein Vorderzahn fehlte, die Lippen waren allerdings ordentlich zerfranst, jetzt sind sie nur noch gesprungen, nur der Zahn fehlte mir dort irgendwo nahe der italienischen Grenze, gegen die wir uns zurückgezogen hatten, um uns zu reorganisieren, wie uns gesagt worden war, um zurückzuschlagen, wie uns gesagt worden war, doch dann haben wir uns vor Palmanova kurzerhand ergeben. Ergeben, was denn sonst, obwohl uns gesagt worden war, dass die Engländer unsere Verbündeten seien und dass wir gemeinsam mit ihnen auf die Kommunisten einschlagen würden. Einige Tage lang trugen wir noch Waffen, dann kam der Befehl, sie zu übergeben, das heißt, wir ließen zu, dass uns die englischen Soldaten schmachvoll entwaffneten, den Offizieren ließen sie ehrenvoll die Pistolen ohne Munition, vor wenigen Tagen nahmen sie uns auch die noch ab, noch das letzte Zeichen der Würde, wir sind keine Armee mehr, das ist das Ende, finis, du Königreich Jugoslawien, das Ende der Welt.

Vor sieben Jahren, als Veronika Maribor verließ, habe ich zum ersten Mal gedacht, das sei für mich das Ende der Welt. Aber jetzt sehe ich, dass das ein kleiner persönlicher Schmerz war, das Leben ging weiter und die Armee, der ich mit Leib und Seele angehörte, war noch immer da, ihre Ordnung und Disziplin, ihre berühmte Artillerie und Kavallerie, die Infanterie, alle Truppengattungen von der Glorie der Schlachten an der Kolubara und am Cer umstrahlt, wir waren Nachfolger und Erben des serbischen Sieges, eines der größten in der europäischen Geschichte, wir Offiziere waren geachtet und geschätzt, die Welt war noch immer heil und das Leben hatte trotz Veronikas Weggang seinen Sinn. Kaserne, Manöver – die Pflichterfüllung überdeckt schon von sich aus die persönliche Trauer, gibt einem das Gefühl der Ehre und die Verteidigung der Heimat das Gefühl einer höheren Sendung, der persönliche Verlust muss sich dem unterordnen. Ich war ein mustergültiger Offizier, das muss ich von mir schon sagen, an der Akademie habe ich die allgemeinen und speziellen Prüfungen mit Auszeichnung absolviert, bei allen Manövern, die in jenen Jahren immer häufiger waren, erntete meine Einheit Lob.

Im Frühjahr des Jahres siebenunddreißig wurde meine Kavallerie-Schwadron von Niš nach Ljubljana versetzt. Soweit ich es verstand, handelte es sich um eine taktische Verstärkung der Drau-Division, die wegen der politischen Ereignisse in Deutschland zur zentralen Verteidigungsmacht der Nord- und Westgrenze des Königreichs wurde. Wie überall, fand ich mich auch dort gut zurecht. Das Leben eines Soldaten sind nicht die Städte, in denen er zeitweilig leben muss, sondern die Kaserne, der Exerzierplatz, die Armee, mein Leben, das waren die Armee und – die Pferde. Ich war, das muss ich schon sagen, der beste Reiter in der Einheit, die ich befehligte. Es ist nicht einerlei, ob ein Kommandeur aus der Schreibstube oder bei Manövern aus einem Geländewagen Befehle erteilt – ein Kommandeur, der an der Spitze seiner Einheit reitet, ist etwas völlig anderes. Von meinen Soldaten verlangte ich, was ich schließlich auch von mir selbst verlangte, regelmäßiges Exerzieren auf dem Reitplatz, Beweglichkeit, Geschicklichkeit, Pflege der Pferde, Sauberkeit, frisches Wasser, der Striegel in der Hand war für mich genauso wichtig wie der gezogene Säbel, mit dem man in den Angriff reitet, oder wie der Karabiner auf der Schulter, den man auch während des Reitens herunternehmen und durchladen muss. Die Kavallerie ist die edelste Gattung des Militärs. Die Kavallerie spuckt auf die Infanterie hinunter, pflegte Major Ilic zu sagen, wenn er gut gelaunt war. Wenn er gut gelaunt war und sagte, dass die Kavallerie auf die Infanterie hinunterspucke, fand sich immer einer, der dazusagte: und schifft auch auf sie … Wir waren gut gelaunt, wir waren stolz wie die polnischen Ulanen, die mutigste leichte Kavallerie, die die Welt kennt. Außerdem liebte ich Pferde, ich war zum ersten Mal geritten, als ich sieben war, mein Vater war Pferdehändler, ich kümmerte mich um die Pferde und redete schon seit meiner Kindheit mit ihnen, nicht zufällig landete ich in der Kavallerie. Und mit ihr, mit der Kavallerie, wenn ich jetzt darüber nachdenke, vermutlich auch nicht zufällig in Ljubljana.

Dort bin ich Veronika begegnet.

Zu ihr brachte mich – ihr Mann. Und zu ihrem Mann brachte mich mein Kommandeur, Major Ilic. Ich kann mich genau an jenen Vormittag im Sommer erinnern: Es war heiß, im Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln beaufsichtigte ich auf dem Reitplatz eine Übung im Wenden auf der Stelle. Dann ließ ich die Rekruten Volten reiten und die letzten Minuten mit lockerem Zügel zu den Stallungen traben. Und jetzt, sagte ich, die feuchten Stellen am Pferderücken, vor allem unter dem Sattel, mit sauberem Wasser waschen. Dann der Striegel, klar? Ich vergaß nie, das zu befehlen, denn ich wusste, dass sie Faulpelze waren, alle Rekruten sind Faulpelze, sie würden das Pferd im Stall abstellen und sich selbst auf die erstbeste Wiese hauen, in den Schatten an der Stallwand, auch wenn dort der Dung liegt, ganz gleich wohin. Ich wollte ihnen noch erklären, warum Pferdepflege so wichtig ist, als ein Kurier kam, salutierte und sagte, Major Ilic lasse mich ins Hauptquartier rufen.

Mit ernster Stimme fragte er mich, ob ich bereit sei, eine ganz besondere Aufgabe zu übernehmen. Ich war immer bereit, jede Aufgabe zu übernehmen. Die Frau seines Freundes, eines hiesigen hohen und vornehmen Herrn, eine junge Dame, habe einen englischen Hackney geschenkt bekommen und würde nun auch gerne reiten lernen. Ich sah, dass sich der Ordonanzoffizier und der Schreiber, die mich aufmerksam ansahen, kaum das Lachen verkniffen. Statt dich mit dummen Rekruten herumzuschlagen, sagte Major Ilic, wirst du eine Zeitlang Reitlehrer spielen. Ich hatte keine Abneigung gegen die Arbeit mit dummen Rekruten, die sich unter meiner Führung am Ende fast alle in ausgezeichnete Reiter verwandelten, ich empfand Abneigung gegen den Gedanken, einer verwöhnten und reichen jungen Dame Reitunterricht zu geben, ich hatte ja schließlich alle allgemeinen und speziellen Prüfungen an der Akademie deshalb mit Auszeichnung bestanden, damit ich dem König und dem Vaterland dienen konnte. Auch auf diese Weise kann man dem König und dem Vaterland dienen, sagte Ilic, als hätte er meine Gedanken gelesen, außerdem ist es nur für zwei Monate, bei den Herbstmanövern führst du wieder die Schwadron an. Ich sagte, ich stehe zur Verfügung, was soll ein Soldat anderes sagen. Dann sah mir Ilic eine Zeitlang in die Augen. Stevan, mein Sohn, sagte er mit väterlicher Stimme, als würde er mich in eine Schlacht schicken, ich lege dir etwas ans Herz.

Offiziersehre, sagte er. Du weißt, was Offiziersehre ist.

Ich verstand, was er meinte. Dass mit der Dame mit pflichtschuldigem Respekt umzugehen sei. Ich weiß, sagte ich. Dann ist ja alles in Ordnung, schmunzelte Major Ilic. Und der Ordonanzoffizier, der sah, dass der offizielle Teil des Gesprächs beendet und der Major gut gelaunt war, setzte hinzu: Und pass auf, dass dich ihr Alligator nicht beißt. Jetzt lachten alle drei. Was für ein Alligator? Wirst schon sehen, sagte Ilic, rühr dich, du kannst gehen.

Ehe ich begann, den Sonderauftrag auszuführen, das heißt, König und Vaterland auf besondere Weise zu dienen, hatte ich noch den Gatten meiner zukünftigen Schülerin zu treffen. Wir trafen uns im Café Union, er hätte mich ja zu sich nach Hause eingeladen, sagte er, aber er wolle mich zunächst allein kennenlernen. Er war hager, groß gewachsen, hatte helles, glatt gekämmtes Haar, war tadellos gekleidet, als wäre er soeben einem Modejournal entstiegen, in dem englische Dandys gezeigt werden. Ich war in Uniform, und obwohl damals Offiziersuniformen überall Zustimmung und Bewunderung auslösten, fühlte ich mich im Vergleich mit ihm irgendwie linkisch. Der elegante Herr im weißen Anzug und in den weißen Schuhen war es offensichtlich gewohnt, auf Menschen, mit denen er zu tun hatte, sofort einen besonderen Eindruck zu machen. Er war in einem großen Automobil gekommen, wir tranken zwei Cognac, er sagte, dass der Unterricht angemessen bezahlt werde, was ich ablehnte. Ich hätte einen Befehl bekommen, es sei ein dienstlicher Auftrag. Er lachte: Ach, dieser Major Ilic, für den ist jede Angelegenheit dienstlich. Er war nicht sonderlich gesprächig, er fuhr im selben Atemzug mit dem fort, was er zu sagen hatte: Sie werden zunächst auf dem Reitplatz in Štepanjska vas üben, danach wäre es schön, wenn sie möglichst bald ein wenig herumreiten würde, auf Wiesen und in Wäldern, Veronika wünscht sich das sehr, sagte er, auch ich werde mich Ihnen anschließen, wenn die Sache so weit gediehen ist, wenn Veronika schon reiten kann. Das sei alles, er bat mich, ich solle auf ihre Sicherheit achtgeben, sie sei manchmal ein wenig unberechenbar, wahrscheinlich werde sie sofort alles können wollen, meinte er. Ich wollte Sie vorher kennenlernen, sagte er, mein Freund Ilic meint, Sie seien sein bester Offizier, ich sehe, dass er sich nicht irrt. Wie kann er das sehen, dachte ich, wo doch die ganze Zeit er geredet hat, und auch vom Militär hat er, wie er selbst zugegeben hat, nicht die leiseste Ahnung. Freilich, Menschen seines Schlags verstehen sich auf die Börse, elegante Kleidung und große Automobile, ja, auch auf Flugzeuge, er sagte, dass neben Pferden und Automobilen auch Sportflugzeuge seine Leidenschaft seien, vielleicht nehme er mich einmal mit über die Berge in der Umgebung, ich würde sehen, welch schönes Land Slowenien sei, auch Serbien sei ja schön, Sie sind aus Valjevo, nicht wahr? Ja, ich bin aus Valjevo, mein Vater hat Pferde verkauft, sagte ich und dachte, dass er solche reichen Leute kannte und wusste, dass sein Sohn nie reich sein würde, dafür aber würde er ein Offizier sein, was in Serbien mindestens ebenso viel, wenn nicht noch viel mehr wert ist. Ich war noch nie in Valjevo, sagte er, dort werden Zwetschken produziert? Und Zwetschkenschnaps, nicht wahr? Nein, sagte ich, dort werden die besten Soldaten produziert, wir lachten beide, ich war froh, dass alles so rasch erledigt war.

Am nächsten Tag, in der Nacht hatte es geregnet, es war ein frischer und klarer Morgen, brachte er sie mit seinem Automobil zum Unterricht, eine junge Dame in Reithosen. Er stellte uns einander vor, wir besahen uns das Pferd, ein langbeiniger englischer Hackney, dann sagte er so etwas wie: Ich übergebe sie in Ihre Obhut. Er küsste sie auf die Wange und raste mit seinem Automobil mit offenem Dach davon, in der Kurve winkte er noch einmal. Das Pferd hieß Lord, wie denn sonst, dachte ich, welchen anderen Namen hätte ihm eine reiche junge Dame sonst geben sollen? Aber es war ein schönes Pferd, es drehte den Kopf ein wenig zur Seite, als ich es streichelte, wurde aber bald zutraulich, es hatte einen hohen Gang und eine schöne Kopf- und Schweifhaltung. Ich sagte, dass ich meinen Rekruten, die Reiter werden wollen, zuerst sage, dass die Reitschule nicht mit dem Reiten beginne, sondern mit Striegel, Kardätsche und Kratzer zum Reinigen der Hufe.

Sie sagte, sie sei nicht mein Rekrut.

Ich schwieg, im selben Augenblick tat es mir schon leid, diesen „Sonderauftrag“ übernommen zu haben. Schon möglich, sagte ich, aber ein Pferd muss immer gesäubert werden, bevor es gesattelt wird. Bei Pferden, die größtenteils im Stall stehen, wo sie zu wenig Licht bekommen, muss man das Fell jeden Tag pflegen, auch wenn wir sie reiten. Warum sind sie denn im Stall, fragte sie, warum laufen sie nicht frei herum? Warum sie im Stall sind? Das hatte mich noch nie jemand gefragt. Pferde sind freie Wesen, sagte sie, freier als Menschen, man müsste ihnen ermöglichen, auf Wiesen und in Wäldern umherzulaufen. Aber dann würden wir sie nicht reiten, sagte ich, wir würden die Kutschen und Wagen und Kanonen selber ziehen und die Armee besäße überhaupt keine edle und altehrwürdige Gattung, die Kavallerie heißt und der ich mit Stolz angehöre. Das ist jene stolze Truppengattung, deren Ruhm in zahlreichen Schlachten von der englischen und französischen leichten Kavallerie vermehrt wurde, ganz besonders von den unerschrockenen polnischen Ulanen. Die Ulanen machten auf sie keinen Eindruck. Dass ihr die Pferde in den Krieg schleppt, ist völlig unmöglich, widersprach sie wieder, genau genommen unverantwortlich, sie könnten ja durch eine Bombe Schaden nehmen. Nicht durch eine Bombe, sagte ich, durch eine Granate. Bomben werden aus Flugzeugen auf Festungsanlagen abgeworfen, mit Granaten wird die Infanterie beschossen, auch die Kavallerie.

Aber warum?, zischte sie, was für ein Nonsens!

Gleich zu Beginn hatten wir uns in eine Debatte über Pferde und Kavallerie verstrickt. Ich sah, dass das nirgendwohin führte. Ich hörte ihren Bemerkungen nicht mehr zu, ich zeigte ihr, wie man Lord die Stalltrense anlegt, dann vorsichtig den Kopf bürstet, zwischen den Ohren und entlang der Stirnlinie, und dann mit der Kardätsche das Fell reinigt. Sie begann sich zu langweilen. Und wann werde ich reiten?, fragte sie. Ich schluckte meinen Satz hinunter, dass genau das auch jeder dumme Rekrut fragt. Ich sagte, ich würde den Unterricht absagen, wenn sie nicht vorhabe mitzuarbeiten. Sie sah mich wütend an und musste wohl ebenfalls einen Satz hinunterschlucken, gut, sagte sie, zeigen Sie mir, wie man die Hufe sauber macht. Aber glauben Sie nicht, dass ich sie sauber machen werde! Sie streichelte das Pferd, ihrer Meinung nach waren Pferde zum Streicheln da, wie Katzen, Lord blickte sie dankbar an, und ich biss die Zähne zusammen und machte weiter. Mit verschränkten Armen sah sie mir zu. Ich sehe, sagte sie nach einiger Zeit, dass Sie mit den Pferden schön umgehen. Ich erklärte, das sei das Alpha und Omega, ein Pferd fühle und wisse, wenn man mit ihm schön umgeht, wenn nicht, widersetze es sich einem. Stellen Sie sich vor, gnädige Frau, sagte ich so freundlich, wie ich nur konnte, stellen Sie sich vor, dass ein Pferd versagt, wenn es in den Angriff soll. Und das sagen Sie Ihren Rekruten?, sagte sie. Ja, das sage ich meinen Rekruten. Das heißt, Sie gehen nur deshalb schön mit den Pferden um, um Sie dann unter die Bomben beziehungsweise Granaten treiben zu können. Ich sagte wütend, dass wir auch uns selbst dorthin trieben, in der Schlacht an der Kolubara habe es Tausende Tote gegeben.

Aber warum?, fragte sie mit unschuldiger giftiger Stimme.

Für den König, antwortete ich, für König und Vaterland.

Sie schnaubte wie ein Pferd und lachte laut und höhnisch.

Am nächsten Morgen meldete ich mich bei Major Ilic zum Rapport. Ich bat ihn, mich von dieser Pflicht zu entbinden. Er fragte, was mich störe. Ich sagte, die gnädige Frau denke, dass die militärische Kavallerie, verzeihen Sie, Nonsens sei. Ach, das denkt sie?, sagte Ilic. Ja, und außerdem sagt sie, sie sei nicht mein Rekrut. Ilic lachte. Sie ist auch nicht dein Rekrut, mein lieber Radovanovic, mit verehrten Damen muss man anders umgehen als mit Rekruten, na ja, fügte er hinzu, mit Frauen im Allgemeinen. Er sah aus dem Fenster. Hat sie dir erzählt, fragte er nach einiger Zeit, dass sie in Berlin studiert hat? Das hat sie mir nicht erzählt. Sie ist gebildet, sagte er, du kannst was von ihr lernen. Es stimmt aber – er schwieg eine Zeitlang, als würde er darüber nachdenken, ob er es mir sagen sollte –, dass die junge Dame ein wenig … wie soll ich sagen, ungewöhnlich ist. Mein Freund Leo Zarnik, ihr Ehemann, hat mir erzählt, dass sie vor einigen Tagen mit dem Zug nach Sušak gefahren sei. Niemand wusste, wo sie ist, und als sie zurückkam, sagte sie, sie sei zum Baden gefahren. Kannst du dir das vorstellen? Ich zuckte mit den Schultern, es schien mir nicht wichtig, mit dieser Dame würde ich mich nur so viel abgeben, wie mir aufgetragen worden war. Und das war nicht leicht. Ihr Großvater, sagte Ilic, hat angeblich halb Rijeka gebaut, warst du schon mal in Rijeka? Wie?, fragte ich, dort sind die Italiener. Ja, sagte Ilic, aber eines Tages werden wir wieder dort sein. Wenn du mit dem Schiff in den Hafen einfährst, diese großen Gebäude am Ufer, die Kaffeehäuser, all das hat ihm gehört. Diese Leute, mein lieber Radovanovic, sind unvorstellbar reich. Unvorstellbar. Und die Armee will mit ihnen gute Beziehungen pflegen, hast du verstanden? Ich sagte, ich habe verstanden, aber ich fürchte, setzte ich hinzu, dass das der gnädigen Frau völlig egal ist. Sie wird nicht mitarbeiten, wie soll ich ihr das Reiten beibringen, wenn sie mir Befehle gibt? Außerdem hat sie keine Ahnung, wer die Ulanen sind. Die Ulanen?, fragte Ilic, was haben die Ulanen mit dem Reitunterricht zu tun? Er schwieg für einige Zeit. Es interessiert sie eben nicht, sagte er dann, sie interessiert sich für andere Dinge. Sie ist ein wenig, sagte Ilic, nicht nur ungewöhnlich, was soll ich sagen – exzentrisch. Ich habe gehört, fügte er hinzu, dass sie als Haustier einen Alligator hatte. Sie hat ihn auf der Promenade spazieren geführt. Kannst du dir das vorstellen? Kurz und gut, sagte der Major und sah mir in die Augen, jetzt weißt du alles. Danke, sagte ich, aber das hilft mir überhaupt nicht. Ich biss mir auf die Zunge, ich hatte angefangen, mit dem Major Konversation zu machen, das hätte ich nicht sagen sollen. Er wurde ernst. Und was soll ich meinem Freund Zarnik sagen? Dass mein Offizier, mein bester Offizier, abgesagt hat, weil seine Frau denkt, dass die Kavallerie ein Nonsens ist?

Ich weiß nicht, sagte ich, Sie können sagen, ich sei nicht für diese Arbeit geschaffen und würde zu meiner Schwadron zurückkehren.

Ilic wurde ernst. Hören Sie, Herr Leutnant, sagte er in einem amtlichen Ton, wie er ihn nur in dienstlichen Belangen verwendete. Sie, Radovanovic, werden mich nicht beauftragen, was ich wem sagen soll. Ich habe Sie nicht hingeschickt, damit Sie mit dieser Dame über die Kavallerie diskutieren, damit Sie sie über die polnischen Ulanen und die Schlacht an der Kolubara unterrichten, sondern dazu, dass Sie ihr das Reiten beibringen. Verstanden? Ich sagte, verstanden. Und zum nächsten Rapport melden Sie sich erst, wenn das Ganze vorbei ist. Sie werden berichten, dass der Auftrag erfüllt ist und die Dame hervorragend reiten kann. Verstanden? Verstanden, Herr Major. Ich ging, ein wenig geknickt, aber auch in mein Schicksal ergeben. Mit dem Gedanken an eine junge Frau, die allein nach Sušak fährt und die Promenade in Ljubljana mit einem Alligator an der Leine auf und ab spaziert. Noch mehr aber mit dem Gedanken an Major Ilic. Von ihm hing meine Karriere ab. Manchmal war er ganz väterlich, er sagte zu mir: Stevo, mein Sohn. Wenn er mich zu siezen begann, wurde die Sache gefährlich. Ich dachte, ich hätte es noch schlimmer treffen können. Ich kannte ihn, was gerade eben vorgefallen war, war ein Zornesausbruch mittleren Grades, wäre er um einen Grad stärker gewesen, hätte er mit leiser Stimme gesagt: Marsch. Marsch in die Manege, verdammt noch mal.

Ich ritt mit meinem Vranac in die Manege und vereinbarte, dass er für die Dauer des Unterrichts dort im Stall bleiben solle. Ich beschloss, das Ganze zu beschleunigen, soweit es möglich war, je eher die Sache zu Ende war, desto besser. An jenem Morgen wartete ich vergebens auf sie. Auch sie hatte sich beschwert. Bei ihrem Mann. Er sagte es mir gleich aus seinem Auto heraus, dass seine Gattin einen zivilen Lehrer verlange. Er wolle es sich nicht mit Major Ilic verderben, der ihm seinen besten Offizier geschickt habe, und von mir erwarte er, dass ich mich wie ein Gentleman benehme, mich entschuldige und den Reitunterricht gentlemanlike zu Ende führe. Morgen machen Sie weiter, sagte er und fuhr davon, einen Arm auf die Autotür gelegt, der Wind zerzauste sein helles Haar.

Es hatte so angefangen, dass wir beide absagen wollten. Aber vielleicht war gerade deshalb die Fortsetzung umso leichter. Ich entschuldigte mich: … wenn sie es falsch verstanden habe, weil ich gesagt hatte, dass ich meinen Rekruten als Erstes sage, dass … und die gnädige Frau dann gedacht habe, ich behandle sie wie einen Rekruten … wo ich in Wahrheit … Ach, ist schon in Ordnung, sagte sie und lachte, geben Sie schon diese Kardätsche her. So war sie, Veronika. Urplötzlich konnte ihre Laune völlig umschwenken. Ich gab ihr die Bürste. Sie lachte und begann mit Eifer das Pferdefell zu bürsten.

Danach mieden wir Gespräche über Rekruten, Kavallerieattacken, Bomben und die Schlacht an der Kolubara, bald widmeten wir uns dem Satteln und bereits wenige Tage später der richtigen Körperhaltung beim Sitzen, der Beweglichkeit des Reitersitzes, der kräftigen Haltung im Lendenbereich und den lockeren Schultern, der Zügelhaltung und bald schon den ersten Schritten. Die junge Dame machte rasch Fortschritte. Mir schien, als habe sie verstanden, dass Reiten eine ganzheitliche Beziehung zwischen Pferd und Reiter bedeutet, und davor auch zwischen Schüler und Lehrer. Zu lernen, mit einem Pferd umzugehen, ist nicht nur eine technische Angelegenheit, man muss auch sein Vertrauen gewinnen, aber noch davor muss man seinem Lehrer vertrauen, wenn wir wollen, dass uns das Pferd vertraut. Ich sagte ihr nicht, was ich meinen Rekruten sage, dass man die Befehle des Lehrers bedingungslos zu befolgen und auszuführen hat, wenn wir wollen, dass das Pferd unsere befolgt und ausführt. Es schien, als würde sie dieses dreifache Verhältnis der Subordination langsam begreifen. Zum Glück wollte sie darüber nicht diskutieren, denn eine solche Debatte hätte zweifellos in einem neuen Streit geendet. Mir fiel das Ganze leichter, als sie eines Vormittags, als wir uns ins Gras setzten, zu mir sagte, ich solle ihr etwas über Pferde erzählen. Was ich ihr erzählen solle? Alles, was ich wisse. Das wird aber eine lange Geschichte, sagte ich, ich weiß viel. Dann erzählen Sie viel, sagte sie, stimmt es, dass früher, in Urzeiten, das Pferd so klein war wie ein Hund? Das stimmt, das waren so kleine Tiere, die in den Wäldern Sibiriens und Mitteleuropas lebten, und jetzt sind sie groß und schön, so wie Vranac und Lord. Ich erzählte ihr von Arabern und Lipizzanern, von Haflingern und Hannoveranern, ich erzählte ihr, wie ich seit meiner Kindheit mit Pferden gelebt hatte, mit den Pferden meines Vaters, die kamen und gingen, dass ich Vranac selbst aufgezogen habe, dass es mir gelang, ihn in die Armee zu bringen und ihn von Valjevo nach Ljubljana mitzunehmen … Über Ulanen und Schlachten, in denen auch Pferde getötet werden, nicht nur Reiter, sprach ich nicht mehr.

Glauben Sie, dass sie wirklich verstehen?, fragte sie, sie sehen einen schon so an, als würden sie einen verstehen, fügte sie hinzu.

Wenn ein Alligator einen versteht …, sagte ich vorsichtig, dann kann das auch ein Pferd.

Sie lachte. Davon haben Sie auch gehört? Natürlich, wer wohl nicht? Ein richtig süßer kleiner Alligator war das, sagte sie. Ich konnte ihn nicht allein zu Hause lassen, also nahm ich ihn manchmal mit auf einen Spaziergang durch die Stadt. Sie musste lachen, bestimmt bei dem Gedanken, was für eine Attraktion die kleine Bestie für die verwirrten Spaziergänger gewesen sein musste. Aber er verstand nicht jeden, meinen Mann jedenfalls nicht. Wissen Sie auch, dass er ihn einmal beim Baden in der Badewanne gebissen hat? Danach musste er aus dem Haus, der Alligator nämlich. Sie lachte. Um im nächsten Augenblick wieder ernst zu werden. Leo brachte ihn zum Tierarzt. Jetzt ist er ausgestopft. Leider ging es nicht anders.

Ich fragte nicht, wohin der Alligator ihren Mann gebissen habe. Ich verspürte eine ziemliche Abneigung beim Gedanken an dieses Tier in ihrer Badewanne. Auch wenn ich mir vorstellen konnte, wie die Dame den kleinen Alligator an der Leine auf der Promenade spazieren führt und wie das Tier, das eine andere Umgebung gewohnt ist, hinter ihr her trippelt … Und die Menge an Gaffern, der Gedanke an ein wildes Tier aus dem Sumpf in einer Badewanne erschien mir völlig unerträglich. Eine solche Welt und solche Menschen verstehe ich nicht. Zumindest damals dachte ich noch so. Von dieser kleinen Bestie sprach sie wie von einer Hauskatze. Sie schien traurig zu sein, weil das Tier eingeschläfert werden musste. Und überhaupt standen ihre Auslassungen über Pferde, diese freien Wesen, in einem ziemlichen Widerspruch zu einem Alligator, der in einer Prunkwohnung zu leben hat. Das sagte ich ihr nicht, ich wollte keinen neuen Streit, ich freundete mich mit dem Gedanken an, dass die junge Dame, wie Major Ilic meinte, eben ein wenig ungewöhnlich war und – wie reiche Leute oft – auch ein wenig exzentrisch. Sie war voller Gegensätze, das konnte man auch an ihren Stimmungen erkennen, die wie das Aprilwetter wechselten, einmal kam sie ganz heiter und mit einem Lächeln im Gesicht daher, dann wieder betrübt und vollkommen abwesend, manchen meiner Sätze hörte sie überhaupt nicht. Aber damit konnte ich mich nicht beschäftigen, zumindest damals noch nicht. Wir kamen aus verschiedenen Welten, zwei, die einander zufällig begegnet waren, in einem Monat oder weniger würde sie mit ihrem Mann wieder wegfahren und ich würde in die Kaserne zu meiner Schwadron zurückkehren. Obwohl nun alles zusammen Ähnlichkeit mit einer richtigen Reitschule bekam und wir uns doch um einiges besser verstanden, und obwohl ich mich dabei ertappte, dass ich mich an manchem Morgen regelrecht darauf freute, sie wiederzusehen, wünschte ich mir, dass das Ganze so bald wie möglich vorbei wäre.

Aber Pferde liebte sie wirklich. Vielleicht mehr als die Menschen. Mit der Zeit begann ich zu verstehen, warum es sie so aufgebracht hatte, dass wir Soldaten unsere Pferde in den Bomben-, das heißt Granathagel treiben. Es waren die letzten Augusttage, die langsam in den Herbst übergingen. Morgens meldete ich mich in der Kaserne, wo die Offiziere mit zweideutigen Bemerkungen über mein Doppelleben stichelten, die Vormittage verbrachte ich auf dem Reitplatz mit ihr und den beiden Pferden, ihr Mann und ich wechselten kaum ein Wort, wenn er kam, um sie abzuholen. Das geschah immer seltener, immer öfter wurde sie nämlich von ihrem Chauffeur gebracht und abgeholt. Leo Zarnik war ja wohl ein vielbeschäftigter Mann, nicht nur mit seinen Geschäften, sondern auch mit dem Abschuss von Wildschweinen und Rehböcken. Meine Schülerin schien das Töten von Tieren offenbar nicht zu stören. Es störte sie, dass wir unsere Pferde in den Krieg treiben, wo sie von Bomben, das heißt Granaten getroffen werden können. Ich sah, dass ihr Mann auf dem Rücksitz Jagdgewehre liegen hatte, einmal sagte er, er würde mich zum Scheibenschießen einladen. Aber offensichtlich hatte er seine Einladung im selben Augenblick schon wieder vergessen.

Als wir zum ersten Mal gemeinsam einige Volten in der Manege ritten, sie auf Lord, ich auf Vranac, und als sie recht geschickt absaß, applaudierte ich ihr. Ich muss zugeben, gnädige Frau, ich hätte nicht erwartet, dass Sie so rasche Fortschritte machen würden. Man könnte sagen, dass Sie schon reiten können. Und außerdem – es scheint, dass Lord Sie sehr gut leiden kann.

Mir scheint, sagte sie, besser als Sie.

Verzeihung, ich wollte sagen, dass er Sie schon als seine Herrin akzeptiert. Herrin, sagte sie, was für ein blödsinniges Wort. So ist es aber, sagte ich, wenn er Ihnen auf Befehl gehorcht, wenn er Ihre Worte versteht, dann sind wir schon gegen Ende unseres Unterrichts. Und wie erreicht man das?, fragte sie. Man muss mit ihm reden, sagte ich, und ihn berühren, dann versteht er, zwischen Mensch und Pferd wird ein starkes Band geknüpft … Sie sah mich eine Weile an, dann fragte sie: So wie zwischen zwei Menschen? Ja, antwortete ich. Fast so.

Am nächsten Morgen kam sie in einer seltsamen Stimmung. Ich dachte, sie müsse wohl eine schwierige eheliche Nacht hinter sich haben wegen ihres Ausflugs nach Sušak oder eines neuen Alligators oder wer weiß weshalb, aber es war etwas ganz anderes. Ich habe darüber nachgedacht, sagte sie, was Sie gestern über Pferde und Menschen gesagt haben, wie man miteinander reden muss. Wir beide reden eigentlich sehr wenig miteinander, meinte sie. Das stimmt, gnädige Frau, sagte ich. Außer über Pferde, darüber haben wir viel geredet.

Sie lachte. Hören Sie schon auf mit der gnädigen Frau, Stevan, sagte sie. Dann blickte sie ein wenig abwesend über die Save auf die grünen Hänge der Berge. Haben Sie kein Mädchen, Stevan? Doch, sagte ich. Dann fiel mir ein, dass ich eigentlich nicht wusste, ob ich es noch hatte. Eigentlich weiß ich das nicht, sagte ich, ich hatte eines, in Valjevo, ab und zu bekomme ich noch einen Brief von ihr. Wie heißt sie, fragte sie. Jelica, antwortete ich. Ist sie schön? Ich zuckte mit den Schultern, mir schien sie schön. Sie hat kastanienbraunes Haar, sagte ich verlegen.

Und wie nennt dich Jelica?

Stevo.

Na, dann bist du also Stevo. Kann ich dich so nennen wie deine Jelica?

Es benahm mir ein wenig den Atem. Ich bin Veronika, sagte sie, du kannst mich so nennen. Verstanden, gnädige Frau, sagte ich, als antwortete ich Major Ilic. Keine gnädige Frau – nur Veronika. Verstanden, Veronika. Noch gut, dass du verstehst, sagte sie.

Ich hatte nicht völlig verstanden, damals noch nicht. Vielleicht hatte sie es auch nicht verstanden. Aber etwas hatte dennoch begonnen. Wir fingen nun an, auch über andere Dinge zu reden, nicht mehr nur über Pferde. Ich erzählte ihr von der Šumadija, ihren weiten grünen Hängen und den Dörfern mit den Holzhäusern, vom Aberglauben und von den Hochzeitsfesten. Von Bauern, die die Saloniki-Front überlebt hatten. Von der Militärakademie. Sie erzählte von Berlin, dort hatte sie zwei Jahre studiert, sie stehe noch in Briefwechsel mit Freundinnen, die ihr über die Theater und Cafés schrieben, über die Boote und das Segeln auf einem See. Sie liebe diese Großstadt, sie sei geräumig und luftig. Das Leben in Ljubljana langweile sie. Alle kennen sich und keiner würde den anderen mögen. Deswegen laufe sie manchmal davon, fahre mit dem Zug ans Meer. Was ihr Leo dazu sagt, erzählte sie nicht. Von ihrer Familie auch nichts, außer von der Mutter, die allein in einer großen Wohnung lebe, seit sie zu Leo gezogen sei. Die Mutter, sie heißt Josipina, sei voller Erinnerungen an das Leben in Rijeka, dort sei ihr Mann gestorben, Veronikas Vater, er habe Peter geheißen, wie unser junger König. Die Mutter habe helles Haar, wie sie, Veronika, obwohl es schon ein wenig ergraut sei. Sie habe gerne getanzt, als sie noch in Rijeka lebte. Man habe sie „Bionda“ gerufen. Eines Tages werde sie sie mir vorstellen, sie glaube, ich werde ihr gefallen.

Zwei Menschen, die so viel Zeit miteinander verbringen, kommen sich näher, vielleicht lernen sie einander auch hassen, zumindest zu Beginn schien es so, es ist jedoch wahrscheinlicher, dass sie sich näherkommen. Wir kamen uns näher. Sehr viel näher.

Jetzt bin ich in Palmanova. Ich sehe mein Gesicht im geklebten Spiegel, Teile meines Gesichts. Für mein Alter bin ich an den Schläfen früh ergraut. Mir fehlt ein Vorderzahn, dieses Loch und die zerschnittenen Lippen drum herum sind richtig hässlich anzusehen. Es ist ein regelrechtes Wunder, dass ich zum ersten Mal erst kurz vor dem Ende verwundet wurde, irgendwo oberhalb von Idrija, bevor wir uns in die Ebene von Friaul zurückzogen. Bevor wir uns in diesem Gefangenenlager wiederfanden, gestern noch Mitkämpfer Seite an Seite, heute nur noch Gefangene, eine große Menge von zwanzigtausend Soldaten und Offizieren, die gestern noch gekämpft haben und heute um die Baracken und zwischen den Zelten herumlungern. Eine besiegte Armee. Ein militärisches Fiasko. Eine Armee ohne Staat. Mit dem Bild des jungen Königs an der Barackenwand, eines Königs, der nirgends zu sehen war, als wir für sein Reich kämpften, und der jetzt, wo seine Armee in Gefangenschaft ist, mit seinen Hunden in einem Londoner Park spazieren geht. Oder Tee trinkt. Oder sich die Radionachrichten von der neuesten Rede jenes russischen Spions mit dem seltsamen Namen Tito anhört, eines ehemaligen österreichischen Gefreiten, dieses kroatischen Bauernflegels, der in sein königliches Heim in Belgrad, in Dedinje eingezogen ist. Wenn ich am Bild des Königs vorbeigehe, blicke ich zu Boden. Sähe ich ihm in die Augen, müsste ich ihn fragen, wo er war, als wir, seine Soldaten, durch Schlamm und Blut gewatet sind. Sein Großvater, sein Vater, beide waren bei ihrer Armee, als es notwendig war, sie standen mitten im balkanischen Winter in Soldatenmäntel gehüllt zwischen den Kanonen und Pferden. Er ist den ganzen Krieg lang in einem Londoner Park herumspaziert, dort spaziert er auch jetzt noch. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen, ohne Wut, ja sogar Verachtung zu fühlen. Lieber blicke ich zu Boden. Manchmal scheint mir, als blickten wir alle zu Boden, alle zwanzigtausend Mann, die wir uns entehrt und erniedrigt in Palmanova wiedergefunden haben. Und nachts auf zu den Sternen. Und können nicht verstehen, was uns widerfahren ist.

Wenn ich nachts zum gestirnten Maihimmel aufsehe, frage ich mich oft, ob auch sie zu diesen Sternen hinaufsieht. Wenn sie noch immer in jener Burg lebt, die ihr Mann gekauft hat, dann blickt sie zum selben Himmel auf, nur gute zweihundert Kilometer von hier entfernt. Für einen Moment überkam es mich wie ein schwarzer Schatten: Was hat ihr so lebendiger Besuch in dieser Nacht zu bedeuten? In meiner Heimat glauben die Leute, dass die Seelen der Toten umherwandern. Ob ihr etwas zugestoßen ist? Es war Krieg. Aber diesen Gedanken verscheuchte ich sofort, sie wird sich schon zurechtgefunden haben, wenn nicht sie, dann ihr Leo. Der hat sich immer zurechtgefunden. Vielleicht sind sie auch nicht mehr in der Burg, denn die Kommunisten, die jetzt jenseits der Grenze das Sagen haben, mögen Burgherren vermutlich nicht sonderlich, dafür aber ihr Vermögen. Vor einigen Tagen war ich im Nachbarlager, dort sind slowenische Domobranzen untergebracht. Ich erkundigte mich, ob jemand Leo Zarnik kenne, er interessierte mich natürlich nicht, ich wollte herausfinden, was mit ihr war. Ein Offizier meinte, dass er jetzt bestimmt in Kärnten, in Österreich sei. Im Mai hätten sich aus Slowenien eine Menge Leute abgeseilt, Zarnik müsse unter ihnen gewesen sein, er war nicht so dumm, dass er auf die Kommunisten gewartet hätte. Wenn Zarnik, ihr Mann, in Österreich war, dann war sie es bestimmt auch. Das beruhigte mich. Und ihr nächtlicher Besuch konnte ja auch etwas anderes bedeuten – wenn die Seelen der Toten umherirren, warum sollten das nicht auch die Seelen von Lebenden tun? Von denen, die sich sehr nahe gestanden haben und dann getrennt wurden. Vielleicht irrt auch meine Seele dann und wann an ihr Bett, wenn ich in das Gewimmel der Sterne über der Ebene von Friaul blicke und an sie denke, die zu den Sternen über den Alpengipfeln aufblickt. Aus den Fenstern der Burg in Oberkrain, und wenn sie nicht mehr dort ist, dann vielleicht von jenseits der Karawanken.

Ob sie jemals an jene Augusttage denkt, als sie mit ihrem Reitlehrer an der Save entlanggeritten ist?