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Über dieses Buch:

Nachdem der Gral sich wieder im Grab von Amneris befindet, glauben die Sibunas, es kehre endlich Ruhe ein im Haus Anubis. Doch plötzlich haben alle denselben merkwürdigen Traum: Mara wird etwas Schreckliches zustoßen! Als dann auch noch der Geist von Victors verstorbenem Vater auftaucht und ein mysteriöser Fremder die Sibunas ausspioniert, ist klar: Im Haus Anubis sind noch viel größere Geheimnisse verborgen, als Nina und ihre Freunde ahnten …

Die Buchreihe zur Nickelodeon-Erfolgsserie – jetzt als eBook!

In der Serie Das Haus Anubis erscheinen bei dotbooks auch die folgenden eBooks:

Das Haus Anubis: Der geheime Club der Alten Weide

Das Haus Anubis: Das Geheimnis des Grabmals

Das Haus Anubis: Der geheimnisvolle Fluch

Das Haus Anubis: Die Auserwählte

Das Haus Anubis: Die Träne der Isis

Das Haus Anubis: Pfad der 7 Sünden

Das Haus Anubis im Internet:

www.DasHausAnubis.de

www.DasHausAnubis-DerFilm.de

www.studio100.de

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Vollständige eBook-Ausgabe November 2012

Copyright © der Originalausgabe 2011 Studio 100 Media GmbH

Text von Susanne Picard, basierend auf den Drehbüchern zur TV-Serie Het Huis Anubis von Hans Bourlon, Gert Verhulst und Anjali Taneja

Copyright © der eBook-Ausgabe 2012 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: © 2012 Studio 100 Media GmbH

ISBN 978-3-95520-004-6

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DAS HAUS ANUBIS
Das Geheimnis der Winnsbrügge-Westerlings

Das Buch zur TV-Serie

dotbooks.

INHALT

Prolog

1 Der Gral kehrt zurück

2 Hinter den Spiegeln

3 Wieder daheim

4 Der Hilferuf

5 Meine Sachen, deine Sachen

6 Sarahs Bitte

7 Das geheimnisvolle Haus

8 Der Verräter

9 Eingesperrt

10 Endlich wieder frei

11 Das Licht des Ra

12 Nachricht aus dem Jenseits

13 Das Geheimnis der Rüstung

14 Acht Schritte

15 Wie schwer ist eine Feder?

16 Luzy greift ein

17 Die Zeit läuft

18 Die Drohung

19 Veränderungen

20 Wo ist Felix?

21 Gestatten, Ferdi Kurz!

22 Verrat

23 In höchster Gefahr

PROLOG

Nina Martens schirmte die Augen gegen die kräftige Morgensonne ab und ließ ihren Blick über die endlose Landschaft gleiten. Strahlend blauer Himmel und goldgelbe Sanddünen, so weit das Auge reichte. Und mittendrin die weltberühmten Pyramiden.

Sie und ihre drei Freunde konnten es noch immer nicht fassen. Sie waren tatsächlich in Ägypten.

Im gemächlichen Tempo ritten Delia, Felix, Daniel und Nina auf ihren Kamelen einem neuen Abenteuer entgegen, und Nina spürte, wie ihr Herz allmählich schneller schlug. Mit jeder Sekunde wurde ihr klarer, warum sie hierhergekommen waren und wohin ihr Weg sie führte: Sie mussten das Liebesgrab von Tutanchamun und seiner Geliebten Amneris finden und den Fluch, der auf den beiden lastete, endgültig lösen.

Keine leichte Aufgabe, zumal Nina noch immer nicht wirklich begreifen konnte, was in den vergangenen Wochen alles geschehen war.

Nach vielen glücklichen Jahren hatte sie ihre geliebte Großmutter verlassen müssen und war in ein Internat gezogen, das Haus Anubis. Für Nina brach damals eine Welt zusammen. Außerdem war sie die Neue in der Schule – und das war alles andere als ein Zuckerschlecken!

Nina hatte von Anfang an schreckliches Heimweh, das alte Gebäude war gruselig und unheimlich, und der nicht weniger mysteriöse Hausverwalter Victor Rodemer führte ein strenges Regiment.

Auch die Mitbewohner verhielten sich merkwürdig und verlangten von ihr, als Mutprobe eine Nacht auf dem finsteren und verbotenen Dachboden des Internats zu verbringen.

Wenn Nina jetzt daran dachte, welche Abenteuer von jenem Moment an auf sie warteten!

Zuerst war da diese alte Frau im Seniorenheim ihrer Oma gewesen, die ihr ein Medaillon in Form eines Horausauges geschenkt hatte und von einem Schatz im Haus Anubis erzählte. Die alte Frau sprach auch von einem Fluch, den angeblich nur Nina lösen konnte.

Dann war Nina durch Zufall auf eine geheime Kammer, ein paar rätselhafte Wachsrollen und ein Porträt gestoßen, auf dem dieselbe Person zu sehen war wie auf dem Bild in dem Medaillon …

Nina musste kichern. Hier in der einsamen Wüste, so weit weg von zu Hause, schien es ihr geradezu lächerlich, wie verunsichert sie damals gewesen war und wie sehr sie sich vor all den neuen Dingen gefürchtet hatte. Zum Glück hatte sie sich bald darauf mit Daniel Gutenberg angefreundet, der sie und ihre Sorgen ernst nahm und mit ihr gemeinsam herausfand, dass es sich bei den Wachsrollen um alte Tonaufzeichnungen handelte.

Darauf hatte ein kleines Mädchen die ersten Hinweise auf den Schatz gesprochen, der angeblich im Haus Anubis versteckt war: Es war ein Gral – ein Kelch aus Gold und Edelsteinen, den Pharao Tutanchamun einst für seine Geliebte Amneris hatte anfertigen lassen.

Schon bald fanden sie den Namen des Mädchens heraus: Sarah Winnsbrügge-Westerling. Sie war die Tochter des Archäologenehepaars Winnsbrügge-Westerling, denen einst die Villa gehörte, in der Ninas Internat untergebracht war.

Immer mehr Einzelheiten über den Gral traten ans Tageslicht, außerdem stellte sich heraus, dass die alte Frau im Seniorenheim und Sarah ein und dieselbe Person waren!

Doch Nina und Daniel waren auf ihrer Schatzsuche nicht allein. Auch Victor Rodemer, der immer schlecht gelaunte Hausverwalter, und der Ägyptologe Zeno Trabas waren dem alten Kelch auf der Spur, den Sarahs Eltern von Ausgrabungen aus Ägypten mitgebracht hatten.

Und es war nur eine Frage der Zeit, wer den Gral zuerst finden würde …

Nina sah stolz zu ihrem Freund Daniel hinüber, der auf dem Kamel neben ihr durch die gleißende Sonne ritt. Ohne ihre Freunde hätte sie das nie geschafft. Sie, ihre Zimmergenossin Delia und Daniel hatten schließlich den Geheimen Club der Alten Weide gegründet, mit dem sie sich der Schatzsuche verschrieben.

Auch Luzy, die Nina zunächst nicht hatte leiden können, stieß zu guter Letzt dazu, ebenso Felix, der im Internat für seinen Erfindungsreichtum und seine Streiche bekannt war. Und zu fünft schafften sie es: Sie folgten Hinweisen auf den Gral – und fanden ihn in Victors altem, ausgestopften Raben!

Aber damit war das Abenteuer noch lange nicht vorbei. Denn als Nina durch Zufall entdeckte, dass man den Gral öffnen konnte, wurde ihre Oma vom Fluch des Pharaos Tutanchamun getroffen. Die alte Frau fiel ins Koma und wurde schwächer und schwächer. Es blieb nur eins: Sie mussten Tutanchamun und seiner Geliebten Amneris ermöglichen, zueinanderzufinden, um den Fluch zu lösen, der Ninas Oma getroffen hatte. Nur wie?

Wieder war es Daniel, der eine Antwort parat hatte. Sieben Aufgaben mussten sie meistern, erst dann würden sie herausfinden, wo sich das Liebesgrab von Tutanchamun und Amneris befand. Um den Fluch endgültig zu brechen, musste der Gral dorthin zurückgebracht werden. Und das war alles andere als einfach! Denn neben Zeno Trabas und Victor, die immer noch hinter dem Gral her waren, trat ein dritter Gegenspieler auf den Plan – Raven, der Mann mit der Rabenmaske.

Zeno Trabas war es schließlich sogar einmal gelungen, den Gral an sich zu bringen. Er hatte daraus getrunken, weil er sich dadurch ewiges Leben erhoffte, doch stattdessen war er wie Ninas Oma ins Koma gefallen.

Das hatte Nina und auch den anderen noch einmal vor Augen geführt, dass der Fluch unbedingt gebrochen werden musste. Und dazu mussten sie die sieben Aufgaben so schnell wie möglich bewältigen:

Als Erstes hatten sie einen Zaubertrank zu brauen. Das brachte die Sibunas, wie der Club sich nannte, darauf, dass eine Auserwählte die beiden Liebenden, Tutanchamun und Amneris, zusammenbringen musste. Die zweite Aufgabe war, eine Pyramide aus magischen Dominosteinen zu bauen. Danach sollten sie einen Lotus in Friedhofserde züchten und einen Liebestanz aufführen. Die fünfte Aufgabe erwies sich als besonders schwierig. Daniel und Felix hatten eine altägyptische Aurakamera gebaut, um der Blutlinie von Amneris und damit der Identität der Auserwählten auf die Spur zu kommen. Diese Aufgabe führte zu einer echten Überraschung – denn niemand anderes als Mara Minkmar, ihre Mitbewohnerin, die gar nichts mit dem Club oder dem Fluch zu tun hatte, war die Auserwählte! Das war für Nina ein besonderer Schock, schließlich hatte sie geglaubt, die Auserwählte zu sein und damit ihre Oma retten zu können. Hatte Sarah ihr gegenüber nicht immer wieder betont, dass sie die Einzige sei, die den Fluch brechen könne?

Dasselbe glaubte wohl auch Raven, denn er brachte Nina in seine Gewalt und führte mit ihr das Gralsritual durch. Da Nina den Gral aber nicht aktivieren konnte, war klar, dass jemand anders die Auserwählte sein musste …

Zusammen hatten sie bisher viel geschafft, die Widersacher waren ihnen allerdings immer dicht auf den Fersen. Nach der Lösung der fünften Aufgabe sah es fast so aus, als hätten sie den Wettlauf um den Ort des Liebesgrabs verloren, denn Mara wurde von dem geheimnisvollen Mann mit der Rabenmaske, bei dem alle Fäden zusammenzulaufen schienen, im letzten Augenblick entführt.

Doch das war immer noch nicht alles. Bevor sie Mara befreien konnten, stand ihnen die sechste Aufgabe bevor: Der Edelstein aus Ninas Amulett sollte verbrannt werden. Dann wussten sie, wo sie Mara suchen mussten! Nun fehlte nur noch das Ritual, das Tutanchamun und Amneris zusammenbringen sollte – und mit der Hilfe aller Freunde im Haus Anubis hatte der Club der Alten Weide es geschafft! Das Ritual wurde durchgeführt, der Fluch gebrochen und Raven vernichtet. Ninas Oma war wieder aus dem langen Koma erwacht.

Zum Dank hatten Tutanchamun und Amneris ihnen ein kleines Stück Papyrus hinterlassen, bevor ihre Geister sich endlich miteinander vereint aufgelöst hatten. Darauf waren die Koordinaten des Liebesgrabs verzeichnet, in das der Gral gebracht werden musste, um den Fluch ein für alle Mal zu brechen …

1
DER GRAL KEHRT ZURÜCK

Es war totenstill. Seit Jahrtausenden hatte niemand mehr diesen Ort betreten, niemand hatte die Grabesruhe gestört. Niemand hatte all die kostbaren Schätze und kunstvoll bemalten Wände bestaunt.

Doch nun durchbrach ein Scharren die majestätische Stille, und Staub rieselte in die dunkle Kammer.

„Hier! Ich fühle was!“

„Das muss der Eingang sein!“

„Helft mir mal!“

Noch mehr Staub fiel zu Boden, uralter Mörtel, fein wie Sand, rann die Wände hinab.

„Das ist zu schwer!“, jammerte eine Mädchenstimme.

„Na los, zusammen schaffen wir es!“, erwiderte ein Junge.

Dann mischte sich eine dritte Stimme ein: „Super-Felix ist der Stärkste!“

„Hau ruck! Na los, noch einmal, alle zusammen!“

Die gewaltige Steinplatte, die den Eingang zur Kammer verschloss, bewegte sich und stand endlich einen Spalt offen. Ein schmaler Streifen Sonnenschein fiel in die Jahrtausende alte Dunkelheit.

Langsam kletterten die Störenfriede hinein: zwei Jungen und zwei Mädchen, gekleidet wie Touristen, mit leichten Sommerklamotten, Sonnenbrillen und Sonnenhüten. Und so laut sie vorher gewesen waren, so still waren sie jetzt, wo das erste Mal seit vielen Hundert Jahren Licht auf den Inhalt der uralten Grabkammer fiel. Überall in der geheimen Kammer glitzerte und funkelte es. Es gab alte Truhen und Statuen aus Alabaster und Holz, vergoldete und fein gearbeitete Gegenstände, und in der Mitte stand ein großer, bunt bemalter Sarkophag.

Als Erster fand Felix die Stimme wieder. „Wow. Ist ja irre.“

„Felix, kneif mich mal!“ Delia hüpfte aufgeregt auf der Stelle, angesichts der unzähigen Schätze, die um den großen Steinsarkophag herum angehäuft waren.

Grinsend zwickte Felix sie in den Oberarm.

„Au!“ Delia rieb sich wehleidig den Arm. „Nicht so doll.“

Nina und Daniel dagegen strahlten sich nur an.

„Wir haben es geschafft“, sagte Daniel so leise, dass nur Nina es hören konnte.

Nina nickte. Beim Anblick der Schätze, die Tutanchamun hier für Amneris versteckt hatte, verschlug es ihr die Sprache. Sie stand im Liebesgrab! Zusammen mit Daniel, ihrem Freund. Wie gut alles passte.

Ein wenig verlegen wandte er sich ab. „Dieses Grabmal ist über dreitausend Jahre alt“, murmelte er ehrfürchtig.

„Wir sind wirklich im Grab von Tut und Amneris!“, bestätigte Nina. Sie war ein wenig nervös, als könne sie es noch gar nicht richtig glauben. War jetzt tatsächlich alles vorbei? „Endlich wird der Fluch ruhen. Tut und Amneris sind wieder zusammen!“

Ihr Blick fiel auf Daniel, der verliebt zurücklächelte.

Doch dann wurde er ernst. „Wir können nicht lange hierbleiben.“

Delia und Felix kümmerten sich nicht um die beiden anderen. Sie hatten sich bereits auf das Gold und die Juwelen gestürzt und hatten nur Augen für die Schätze.

„Dieser Tutanchamun muss Amneris wirklich sehr geliebt haben“, sagte Delia träumerisch und vergrub beide Hände in dem großen Berg Schmuck, der neben einer kaputten Vase aus Alabaster angehäuft war. Sie legte sich eine goldene Halskette um den Hals und benutzte einen Goldteller als Spiegel, um sich zu bewundern.

Felix fand die ganze Geschichte so aufregend, dass er zu rappen begann. „Yo, yo, yo! Felix is in da house. Wir befinden uns im crypt von Tut und seiner Schnecke Am-Ne-Riiiis!“

Delia kicherte und ahmte ihn nach. „Yo, Felix!“

„Yo, Delia!“

Daniel war davon ganz und gar nicht begeistert. „Leute! Wir dürfen uns nicht ablenken lassen.“

„Es ist Zeit, den Gral zurückzugeben“, fügte Nina hinzu.

Delia verzog schuldbewusst das Gesicht und legte den Halsschmuck wieder zu den anderen Juwelen. Dann hielt sie die Tasche auf, damit Nina den Gral herausnehmen konnte. „Wo ist denn das Medaillon?“, fragte sie plötzlich erstaunt.

„An einem sicheren Ort, wo Victor es niemals vermuten wird“, erwiderte Nina fest und hob den Gral hoch. Es wurde still. Nina sah sich ein wenig unschlüssig um. Irgendwo hier musste der Gral doch seinen Platz haben …

„Los, wir müssen den Platz finden, wo er hingehört“, erklärte Daniel.

„Klar“, grinste Felix. „Und wer ihn findet, kriegt diesen leckeren, weichen und warmen Schokoriegel!“ Er hielt seinen Notproviant in die Höhe.

Aber nur Delia reagierte – und auch nicht so, wie Felix gehofft hatte: Sie rümpfte die Nase und wandte sich ab. „Ekelhaft!“

Nina ging derweil suchend an den Wänden entlang, auf denen noch die verblassten, altägyptischen Gemälde zu sehen waren. Irgendwo musste ein Hinweis sein, wo der Gral hingehörte ... Daniel, Delia und Felix folgten ihr langsam. Schließlich entdeckte Nina etwas. Ein kleines Sims, darüber ein Gemälde von Tutanchamun und einer Frau in einem weißen Gewand. Die Figuren schienen voneinander getrennt und irgendwie traurig. Vorsichtig fuhr sie mit der Hand über das Gemälde.

Delia verzog das Gesicht. „Pass auf, Nina! Das ist unheimlich!“

Nina runzelte die Stirn, entschied dann allerdings, dass nichts weiter dabei sei. Sie wischte Schmutz und Spinnweben von der Zeichnung. Nun waren Tutanchamun und Amneris deutlicher zu sehen.

„Das passt“, meinte Daniel. „Wir sind richtig.“

„Ja“, sagte Nina entschlossen. „Hier muss er hin.“ Sie atmete durch und schaute ihre Freunde einen nach dem anderen an. „Der Augenblick der Wahrheit. Sibuna!“

Felix wirkte skeptisch. „Und du hast den Gral wirklich einfach so gefunden?“

„Ja“, antwortete Nina. „Ich wollte noch einmal zum Turm, um die Stelle zu sehen, an der alles passiert ist. Die Sache mit Raven, mit Mara und so. Da lag er einfach. Und deshalb können wir ihn auch jetzt zurückgeben.“

„Genau!“ Delia war froh. Die unheimlichen Ereignisse, die sie in den letzten Monaten so in Atem gehalten hatten, würden schon bald ein Ende haben: die Aufgaben, die Amneris ihnen aufgetragen hatte; die Tatsache, dass Mara die Auserwählte gewesen war; die Entführung; Ravens Verrat ...

Doch nun war alles vorbei. Endlich konnten sie wieder wie normale Teenager in die Schule gehen! Und Delia war klar, dass Nina und Daniel auch so dachten.

Nur Felix schien ein wenig enttäuscht zu sein. Aber wer achtete schon auf den!

Alle nahmen sich gegenseitig an den Händen.

„Seid ihr bereit?“, fragte Nina.

„Ich schon!“, erwiderte Delia.

„Ich auch“, sagten Felix und Daniel.

Nina holte tief Luft. „Sarah wäre stolz auf uns.“

Damit stellte sie den Gral sorgfältig auf den Sims und rückte ihn noch einmal zurecht. Plötzlich schien das Bild von Tutanchamun und Amneris von innen zu leuchten. Für einen Augenblick wurde es so hell, dass die vier Sibunas blinzeln mussten. Als sie wieder hinsahen, hatten Tutanchamun und Amneris sich einander zugewandt.

„Juhuu!“, rief Delia begeistert. „Wir haben es geschafft!“

Nina war ein Stein vom Herzen gefallen. „Endlich ist der Fluch aufgehoben.“

Delia umarmte die Freundin. „Jetzt kann Mara und deiner Oma nichts mehr passieren! Lang lebe die Liebe!“

Daniel sah stolz zu Nina. „Lang lebe unsere Freundschaft! Sibuna!“ Er legte die Hand vors Auge, die anderen folgten ihm.

„Sibuna!“, sagten sie im Chor.

Daniel hielt es nicht mehr aus. Er legte die Arme um Nina und küsste sie zärtlich.

Felix sah die beiden neidisch an. Wie schön wäre es, wenn auch ich und Delia ..., dachte er und nahm Delia in die Arme. Vielleicht war sie ja so begeistert, dass es ihr nichts ausmachte.

Aber er hatte Pech. Delia verzog das Gesicht und schubste ihn schnell weg. „Bloß nicht!“

Enttäuscht ließ Felix die Arme sinken und seufzte. Vielleicht ein anderes Mal! Er konnte nicht anders, als weiterzujubeln, er war ja selbst froh, dass nun alles gut ausgegangen war.

Doch schon im nächsten Moment erzitterte der Boden unter ihm und brachte die uralten Mauern des Grabmals ins Schwanken.

Die Eingangshalle war still wie ein Grab. Weiße Tücher bedeckten die Möbel.

Die Atmosphäre war beinahe gespenstisch. Den Bewohnern des Hauses Anubis jedenfalls hätte das sicher nicht gefallen. Die waren allerdings schon seit Wochen in den Ferien. Nur einer war hiergeblieben – und der fand diese Ruhe ausgesprochen angenehm.

Die Tür flog auf. Victor Rodemer, der Verwalter des Internats Haus Anubis, stürmte entrüstet ins Haus. Da hatte er endlich einmal ein paar Wochen die nervtötenden Gören vom Hals – und er musste das Chaos aufräumen, das der Gerichtsvollzieher vor den Ferien hinterlassen hatte! Was sich nicht verkaufen ließ, das hatte der Beamte vor die Tür packen lassen, damit der Sperrmüllwagen es mitnehmen konnte. Den Beamten hatte Victor inzwischen bezahlt. Den größten Teil der Sachen hatte er auch schon wieder ins Haus geholt, aber noch immer stand der ganze Flur voller Möbel, die von weißen Tüchern bedeckt waren und die an ihren Platz im Haus gebracht werden mussten.

Das Allerschlimmste jedoch war, dass dieser Unmensch selbst vor Victors geliebtem, ausgestopften Raben Corvuz nicht haltgemacht hatte.

Victor streichelte Corvuz über das struppig gewordene Gefieder. Und verzog gleich darauf angewidert das Gesicht: Eine halb verfaulte Bananenschale lag auf Corvuz’ Kopf.

„Wenn ich diesen Raven zu fassen kriege, kann ich für nichts mehr garantieren!“, knurrte Victor. „Aber der taucht wohl so bald nicht wieder auf … Mein armer gefiederter Freund. Wir waren so nah dran. Ich hatte den Gral in den Händen, und dann? Weg! Verschwunden.“

Victor sah sich mit finsterem Blick um. Da stand ihm ja eine schöne Aufräumarbeit bevor! In nur wenigen Tagen würden die Kinder aus den Ferien zurückkommen, und zu dem Zeitpunkt musste hier alles so aussehen wie zuvor. Was, wenn Herr S¸ahin oder Herr Seefeld erfuhren, dass ihre Kinder Kaya und Delia in einem Haus wohnten, das der Gerichtsvollzieher beinahe gepfändet hatte? Nicht auszudenken.

Dennoch, so anregend der Gedanke, für Ordnung zu sorgen auch war, Victor hätte sich viel lieber um Corvuz gekümmert als darum, die Möbel an ihren Platz zu schieben. Ärgerlich zog er an einem der weißen Laken. Es flog wie ein Geisterhemd auf den Boden. Victor warf der Standuhr, die sich darunter verborgen hatte, einen bösen Blick zu. Aber was war das? Der Uhrkasten stand offen! Und unter dem Pendel lag ein rotes Stückchen Samtstoff!

Victor bückte sich und holte es heraus. „Das kann doch nicht sein“, murmelte er. „Corvuz! Wenn es das ist, was ich denke!“

Der rote Samt war kein einfaches Stoffstück, sondern ein kleiner Beutel mit einem schweren Inhalt.

Hastig öffnete der Hausverwalter die schmalen Schlaufen des Säckchens und schüttete den Inhalt auf seine Handfläche. Das Amulett von Anubis!

Aber ... da war noch mehr. Vorsichtig steckte Victor die Finger in den Beutel und zog einen winzigen, rhombusförmigen Edelstein hervor.

Plötzlich wurde er in seiner Andacht gestört. „Victor! Victor, Victor! Hast du mich vermisst?“

Victor hatte das Amulett und den Edelstein kaum wieder in das Säckchen gesteckt, als Rosie, die Haushälterin und Köchin im Haus Anubis, ihm schon am Hals hing.

„Vermisst?“, brummelte er. „Ich wusste ja nicht einmal, dass du weg warst.“

Beleidigt ließ Rosie ihn los. Sie wühlte kurz in ihrer Tasche. „Ich war doch auf dem Workshop für Séancen und Geisterkontakt. Und rate, was ich da gelernt habe!“

Im nächsten Moment war Victor von einer Staubwolke eingehüllt. Und schlimmer noch: Sie roch ganz fürchterlich!

Er rümpfte die Nase und hustete. „Was ist das denn!?“

„Knoblauchstaub!“, entgegnete Rosie. „Darin können Geister in Erscheinung treten.

Ärgerlich klopfte Victor den Schmutz von seinem blauen Arbeitskittel. Dann klemmte er sich Corvuz unter den Arm und stopfte den Samtbeutel in seine Tasche. „Tritt du mal lieber in Erscheinung! Und zwar, indem du dich nützlich machst und hier aufräumst!“ Er warf der Haushälterin einen bösen Blick zu und stapfte in sein Büro. „Ha! Geister. So ein Quatsch, Corvuz!“

Mit diesen Worten nahm er ein dickes Buch aus dem Regal. Es war in brüchiges Leder gebunden und angefüllt mit altmodischen Zeichnungen. „Nein. Hier nicht“, sagte er, nachdem er eine Weile darin geblättert hatte. Plötzlich deutete er auf die Zeichnung eines Edelsteins, der die Form eines Wassertropfens hatte. „Ah! Hier ist es.“

In diesem Moment platzte Rosie herein. „Victor, ich habe schlechte Neuigkeiten ...!“

Erschrocken klappte Victor das Buch zu. „Noch schlechter als die, dass du mich ständig belästigst?“

„Victor, es ist ernst! Als du die Treppe hinaufgingst, habe ich ein Zittern gespürt!“ Rosie sah den Hausverwalter eindringlich an.

„Wenn dir kalt ist, mach die Heizung an!“

„Du verstehst das nicht! Du wirst von einem Geist verfolgt! Wenn man zittert, während man jemanden anschaut, wird derjenige von einem Geist verfolgt, das habe ich in meinem Workshop so gelernt!“

Victor schnaubte böse. Plötzlich kam ihm eine Idee. „Ist dieser Geist vielleicht ein Quälgeist?“

Rosie nickte eifrig. Die gelbe Blume in ihrem Haar wippte im Takt auf und ab. „Ja, das ist gut möglich!“

„Dann hab ich die Lösung!“ Victor ging auf Rosie zu, packte sie an den Schultern, schob sie aus dem Büro hinaus und warf die Tür zu.

„Quälgeist draußen“, knurrte er zufrieden.

Seufzend setzte er sich hinter das Buch und schlug es erneut auf. „Ha, Corvuz! Hier ist es. Die Träne der Isis.“ Er nahm den orangeroten Edelstein aus dem Säckchen und hielt ihn neben die Zeichnung. „Ja, das könnte schon sein“, murmelte er. „Was sagst du, Corvuz? So brauche ich den Gral nicht! Ich brauche nur die Träne von Isis, um mein Lebenselixier doch endlich fertig brauen zu können!“

Aufgeregt nahm er den Stein und stopfte sich Amulett und Säckchen in die Tasche. Danach schnappte er Corvuz und huschte in sein Kellerlabor. Glücklicherweise hatte Rosie sich in die Küche verzogen – dort gehörte sie schließlich auch hin!

In einem Erlenmeyerkolben, den Victor über den Bunsenbrenner geklemmt hatte, köchelte bereits eine grünliche Flüssigkeit.

Victor schaute andächtig auf den winzigen Edelstein in seiner Hand. Er atmete durch und ließ ihn durch den engen Hals des Kolbens in die Mixtur fallen. „Es ist so weit!“

Vorsichtig rührte er um und goss den Inhalt in ein kleines Likörglas. „Ewiges Leben!“ Er prostete dem ausgestopften Raben zu und nahm einen kräftigen Schluck.

In diesem Moment erzitterte der Boden und brachte die Mauern des Hauses ins Schwanken. Die Laborgläser klirrten, und Victor ließ das Likörglas auf den Tisch fallen, um sich festzuhalten.

Aus dem Flur, war ein lautes Krachen zu hören. Etwas fiel zu Boden, und es erklang ein Splittern, als wäre gerade ein Glas zerbrochen.

2
HINTER DEN SPIEGELN

Das Beben hörte so plötzlich auf, wie es begonnen hatte.

Besorgt rannte Victor zur Kellertür, denn von oben waren erschrockene Rufe zu hören.

„Mein Gott! Das Bild der Winnsbrügge-Westerlings!“, kreischte Rosie und klatschte aufgeregt die Hände zusammen. „Es ist heruntergefallen. Victor! Victor! … Wo ist er denn nur? Er wird einen stärkeren Haken dafür in die Wand bohren müssen!“

Victor schnaubte. Als ob er keine anderen Sorgen gehabt hätte! Das Bild der ehemaligen Hausbesitzer würde warten müssen, was war das schon im Vergleich zu der Tatsache, dass er das Geheimnis des ewigen Lebens entdeckt hatte!

Er huschte zurück an seinen Labortisch. Zum Glück war keines der kostbaren Geräte kaputtgegangen. Er hob das Likörglas auf und füllte es nach. Nur diesmal führte er es nicht sofort an die Lippen.

„Starkes Zeug“, murmelte er nachdenklich. „So gesehen ist das Beben ein gutes Zeichen, was meinst du, Corvuz? Aber vielleicht ist es schlauer, auf Nummer sicher zu gehen.“ Er sah sich um, bis sein Blick an einem alten Fliegenfänger hängen blieb. Mit spitzen Fingern zupfte er eine Fliege ab und legte sie auf den Labortisch. Dann nahm er eine Pipette und beträufelte den kleinen Kadaver mit dem Lebenselixier. „Du hast die Ehre, mein geflügelter Vorkoster“, flüsterte er.

Aber nichts geschah. Die Fliege blieb reglos liegen.

Victor runzelte die Stirn. „Na los“, befahl er, zog eine Lupe hervor und betrachtete das Insekt genauer. Irgendwie schien es um die Fliege herum zu blitzen. „Komm schon, breite deine Flügel aus.“

Wieder geschah nichts. Nur das geheimnisvolle Wetterleuchten ging weiter. Ärgerlich schnappte sich Victor die Fliege und warf sie in die Luft. „Du hast gefälligst lebendig zu werden!“, knurrte er. Es musste doch funktionieren! Denn jetzt war er sicher, dass sich das Licht veränderte, heftiger blitzte. Das war sicher die Magie des Tranks!

Aber die Fliege tat ihm den Gefallen nicht. Stumm, tot und völlig leblos fiel sie auf den Labortisch. Stattdessen erwachte etwas anderes zum Leben. Gleißendes Licht durchflutete mit einem Mal den düsteren Keller.

„Victor!“

Victor erstarrte. Diese Stimme. Sie kam ihm irgendwie bekannt vor, auch wenn er sie Jahre oder gar Jahrzehnte nicht mehr gehört hatte. Erschrocken fuhr er herum. Das Licht kam unter dem Schrank in der Ecke hervor! Langsam schlich er sich näher. Was war da los? Und woher kam diese Stimme?

„Hallo ...?“, rief er, aber nichts rührte sich.

Hastig räumte er ein paar Kisten und einen großen Spiegel weg, die vor dem Schrank standen. Nichts!

Da atmet doch jemand, dachte er. War er das selbst?

Victor hielt die Luft an und lauschte. Nein, das war er nicht! Und das Licht kam auch nicht aus dem Schrank. Es kam aus dem Spiegel!

„Victor!“ Erneut erklang die unheimliche Stimme.

Vorsichtig trat der Hausverwalter näher und legte das Ohr auf den Spiegel. „Hallo?“

„Victor!“

Wie vom Blitz getroffen zuckte Victor zurück.

„Va... Vater?“

Langsam bildete sich auf dem Spiegel ein Bild. Victor sah genauer hin. „Das kann nicht sein ...“

„Victor, jetzt sei mal ein Mann!“

„Vater? ... Wie bist du denn in den Spiegel gekommen?“

„Victor ... rette die Eeeh...“

„Was meinst du?“

Victor wurde unruhig. Das Licht wurde schwächer, das Bild im Spiegel blasser. „Vater? Vater!“

Victor streckte die Hand aus, als wolle er die Gestalt im Spiegel festhalten.

Aber das Licht war erloschen und damit auch das Bild seines Vaters. Victor war wieder allein und fragte sich, ob es je anders gewesen war.

Sand und kleine Mauerstücke fielen überall um Nina herum auf den Boden. Das Schwanken der Wände hatte so viel Staub aufgewirbelt, dass sie unwillkürlich husten musste. Und warum war es auf einmal so dunkel?

„Daniel?“

„Nina, bist du da?“

„Hilfe, ich will hier raus!“ Das war Delia.

„Sind alle okay?“, fragte Daniel.

„Ich denke schon.“ Nina war erleichtert. Das war Felix gewesen. Immerhin waren sie alle wohlauf!

Plötzlich ging eine Taschenlampe an, und man konnte wieder etwas sehen!

Nina seufzte erleichtert auf, erschrak aber im selben Moment. Sah sie auch so ängstlich aus wie die anderen? Erneut erzitterte die Erde, doch diesmal etwas schwächer als zuvor.

Delia schluchzte.

Schnell nahm Nina ihre beste Freundin in den Arm. So ging es ihr selbst auch besser.

„Los, wir müssen nach dem Ausgang suchen“, sagte Daniel mit fester Stimme. Er und Felix gingen zu der Stelle hinüber, wo sich bis vor wenigen Sekunden noch ein Spalt nach draußen befunden hatte. Er war verschwunden.

Delia heulte auf. „Wir kommen hier nie mehr raus, irgendwann wird dieses Grabmal entdeckt und dann finden sie unsere Skelette, genau wie im Film!“

Nina tätschelte ihrer Freundin den Rücken. Bildete sie sich das nur ein oder sah Felix wirklich aus, als würde er Delias Vorstellung spannend finden?

„Wir schaffen das schon!“, erklang Daniels beruhigende Stimme. Wie gut, dass er da war! Er vermittelte eine Ruhe, die Nina selbst so gar nicht spürte. Und obendrein begann es unter ihren Füßen plötzlich erneut zu beben! Sie kniff die Augen zusammen. Hoffentlich ist es gleich vorbei!, dachte sie.

Als sie es wagte, die Augen zu öffnen, sah sie einen schmalen Lichtspalt, der vor ihr aufgetaucht war. Hatten Felix und Daniel etwa den Eingang freilegen können? Aber der war doch vorher ganz woanders gewesen ... Voller Neugier ging sie auf das Licht zu. Es kam aus dem Sarkophag! Vorsichtig steckte sie den Kopf hinein.

„Nein, Nina, nicht!“, quiekte Delia ängstlich.

Nina war viel zu abgelenkt, um auf die Freundin zu hören. „Ich sehe etwas!“

„Ist da was Unheimliches drin? Bitte lass es kein fleischfressendes Monster sein!“

Behutsam kletterte Nina in die Öffnung. Sie musste einfach herausfinden, was in dem Sarkophag war.

„Eine Kiste!“, murmelte sie überrascht. Die sah eigentlich gar nicht so aus, als hätte man sie zu Ehren von Amneris vor Tausenden von Jahren hergestellt.

„Pass auf!“, wisperte Delia furchtsam.

Felix war beeindruckt. „Cooles Mädel“, meinte er anerkennend.

„Meine coole Freundin“, antwortete Daniel stolz, als Nina ein wenig linkisch aus dem Sarkophag kletterte.

Sie hielt eine hölzerne Kiste in den Händen und achtete darauf, nicht zu stolpern. Die drei Zurückgebliebenen staunten.

„Was da wohl drin ist?“, fragte Delia.

Nina wusste genau, dass sie an etwas Wertvolles dachte.

„Eine riesige fette Spinne, die auf Blondinen steht“, meinte Felix gehässig.

„Da ist das Horusauge drauf!“, lenkte Daniel ab. „Wir sollten nachsehen, was drin ist.“

„Nein, das ist bestimmt ein Geist!“, wisperte Delia. „Mein Gefühl sagt mir, der Fluch ist gerade vorbei! Das Ding sollte verschlossen bleiben.“

Nina holte Luft und öffnete vorsichtig den Deckel. Dann zog sie eine Art Kette heraus, an der vier Amulette hingen.

„Vier Horusaugen“, murmelte Daniel.

Delias Furcht wurde von ihrer Gier übertroffen. „Für jeden von uns eins!“

„Ist noch was drin?“, fragte Felix neugierig.

„Ein Brief mit Hieroglyphen.“ Nina zog ihn hervor und reichte ihn Daniel.

Felix sah Daniel über die Schulter. „Was steht da?“

„Das kann ich ohne mein Buch nicht entziffern“, sagte Daniel und runzelte die Stirn.

„Und hier ist eine Art ... Karte“, sagte Nina.

Daniel ließ den Brief sinken und sah sich die Karte an. „Das hier sind Felder. Sieht wie ein Lageplan aus, ein Grundriss. Und hier sind Isis, Osiris, Horus und Anubis.“

Delia war inzwischen damit beschäftigt, die Kiste weiter auf Schätze zu untersuchen.

Nina griff hinein und holte ein Päckchen heraus. „Was da wohl drin ist?“

Felix schnitt eine Grimasse. „Vielleicht der große Zeh von Tut. Oder die Nase von Amneris! … Darf ich es aufmachen?“, fragte er aufgeregt.

Nina musste lächeln und reichte dem Freund das Paket.

Kaum hatte er begonnen, es auszupacken, wurde er von Daniel unterbrochen.

„Stopp!“

Nina, Felix und Delia zuckten zusammen.

„Da ist eine Abbildung von Seth“, erklärte Daniel. „Er ist der Totengott. Vielleicht sollten wir es erst zu Hause aufmachen.“

„Aber das wäre doch klasse, ein echter Mumienfuß!“, entgegnete Felix.

„Oder eine Kette mit goldenen Ohrringen!“, meinte Delia.

„Nein“, unterbrach Nina energisch. „Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Wir lassen alles hier und nehmen nichts mit.“

Delia und Felix sahen enttäuscht aus, Daniel wirkte überrascht.

„Aber wieso? Du hast es doch selbst herausgeholt“, sagte Felix schließlich.

„Nein, alles muss hierbleiben.“ Nina duldete keinen Widerspruch und packte alles sorgfältig in die kleine Kiste. „Sarah hat gesagt, dass der Fluch erst ruhen wird, wenn alles wieder im Grabmal ist. Anschauen ist erlaubt, aber mitnehmen dürfen wir es nicht!“

Delia schob die Unterlippe schmollend vor. „Aber Tut und Amneris sind doch wiedervereint.“

„Und das Päckchen ist vielleicht unsere Belohnung!“, fügte Daniel hinzu.

„Und was, wenn beides nicht der Fall ist?“, hielt Nina dagegen. „Ich will meine Oma nicht noch mal verlieren. Oder Mara! Das Zeichen ist doch schlecht, oder?“ Sie wies auf den schwarzen Kopf von Seth.

Daniel nickte widerwillig. „Nina hat recht. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Wir lassen alles hier. Einverstanden?“

Nina hatte den Eindruck, dass Felix alles andere als einverstanden war und lieber nachgesehen hätte, was in dem Päckchen steckte.

Aber schließlich nickte er auch.

„Sibuna!“, sagten beide gleichzeitig.

Nina legte das Paket zurück in die Kiste, schloss sie und verstaute sie sorgfältig im Sarkophag.

„Also los. Ab zum Eingang“, erklärte Daniel. Er ging voran und stemmte sich gleich als Erster gegen den Stein. Nina und Delia halfen, so gut sie konnten.

„Nancy Ninja!“, ächzte Delia und drückte aus Leibeskräften, aber die gewaltige Steinplatte rührte sich keinen Zentimeter. „Au!“

Daniel gab so schnell nicht auf. „Alle zusammen! Felix, hilf mal mit, sonst verpassen wir den Flieger und müssen nach Hause laufen!“

„Jaja“, tönte es aus der Dunkelheit. Es rumorte kurz, aber weder Nina noch Daniel oder Delia achteten auf das Gepolter. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, die Steinplatte vom Eingang wegzuschieben. Doch wieder gelang es nicht, auch wenn Nina den Eindruck hatte, dass sich der Stein etwas bewegte.

„Felix, wo bist du denn?“ Nun wurde Daniel ungeduldig.

In diesem Moment erschien Felix neben den anderen. Seinen Rucksack hatte er auf dem Rücken. „Super-Felix ist zur Stelle!“, sagte er, als würde er einen Befehl beantworten.

Nun schoben sie zu viert. Und diesmal gelang es! Die schwere Steinplatte ruckte erst langsam, dann immer schneller von der Wand fort, und schon bald war der Spalt groß genug, dass alle vier hindurchschlüpfen konnten.

Nina fiel dabei nicht auf, dass Felix das Grab nur zögernd verließ und seinen Rucksack ein wenig vor ihr und den anderen versteckte ...

3
WIEDER DAHEIM

Victor schloss die Kellertür hinter sich ab. Die Gestalt im Spiegel hatte sich nicht mehr gezeigt, und auch von weiteren Experimenten mit dem Lebenselixier hatte er für den heutigen Tag genug.

Sorgfältig kontrollierte er das Schloss, denn im Wohnzimmer erschallten lustige und laute Stimmen. Nicht nur Rosie war aus ihren Ferien wiedergekommen, auch … Ja, das waren Luzy Schoppa und Charlotte Bachmann.

Victor seufzte. Vorbei war es mit der schönen Ruhe! Wenigstens hatte Rosie hier noch ordentlich aufgeräumt.

Gedankenverloren betrat Victor das Wohnzimmer. Doch kaum hatte er einen Fuß über die Schwelle gesetzt, spritzte Wasser in sein Gesicht. Und es roch nach Knoblauch!

„Bah!“, rief er entsetzt und wütend über das Gekicher, das nun ausbrach und wahrscheinlich von dieser frechen Göre Luzy Schoppa stammte.

Rosie kicherte vor Vergnügen. „Jetzt kann der Quälgeist dich nicht mehr riechen, Victor! Und du musst dich nicht einmal bedanken, denn ich habe bei dem Kurs gelernt, dass diese Arbeit keine Anerkennung bekommt!“

Wütend riss Victor der Haushälterin den Wassereimer aus der Hand. „Oh, ich möchte mich aber bedanken!“, knurrte er und goss der verdutzten Rosie den Inhalt über den Kopf.

Dann drehte er sich um und floh vor dem Gelächter. Das war ihm wirklich zu dumm! Nun musste er sich zu allem Überfluss auch noch waschen – und das mitten am Tag.

Missmutig schlurfte er ins Badezimmer und stellte sich vor den Spiegel, um sich mit einem kalten Waschlappen das Gesicht abzuwischen.

Ich sehe blass aus, bemerkte er, öffnete den Schrank, in dem sich die Medikamente befanden, und holte eine kleine Dose hervor.

„Beruhigungsmittel“, las er. Na, das hatte er auch dringend nötig. Er war so von seinem Lebenselixier besessen, dass er schon Gespenster sah – und noch dazu seinen längst verstorbenen Vater! Rosie hatte ihn mit ihrer Marotte angesteckt, kein Zweifel. „Chemische Wahnvorstellungen, nicht mehr und nicht weniger“, murmelte er. Er nahm ein paar Pillen ein und schüttelte den Kopf. „Vielleicht sollte ich mich etwas hinlegen.“

Damit ging er, ohne noch einmal auf den Spiegel zu sehen.

Was gut war, sonst hätte er gesehen, dass sein Spiegelbild nicht mit ihm verschwand, sondern blieb und die Augen aufschlug ...

„Nicht vergessen“, flüsterte Nina, als das Haus Anubis in Sicht kam. „Delia war in Thailand, ich mit meiner Oma im Schwarzwald, Felix auf Mallorca und Daniel in Südfrankreich!“

Delia schlug sich vor die Stirn. „Stimmt ja. Mein Hut!“

Nina verdrehte die Augen und schob Delia vor sich her. „Wir gehen zuerst. Ihr kommt nach, damit wir keinen Verdacht erregen!“, sagte sie zu den Jungs.

Daniel grinste. Erst als sein Blick auf Felix fiel, wurde er ernst. Sein Freund war immer noch ganz blass und verschwitzt! Und zwar, seit sie in Kairo ins Flugzeug gestiegen waren. Vielleicht hätte er sagen sollen, er sei in Norwegen gewesen und nicht zwei Wochen in der Sonne Mallorcas. „Ist dir immer noch schlecht vom Essen im Flugzeug?“

„Was? ... Ja, genau“, erwiderte Felix geistesabwesend.

Die Tür ging hinter Nina und Delia zu. Daniel atmete durch und sah auf die Uhr.

„Puh, das war knapp“, murmelte Nina und schloss die Badezimmertür fest hinter sich.

Gerade hatten sie ihr Gepäck aufs Zimmer bringen wollen, da waren sie auf Daniels Zimmergenossen Kaya getroffen. Natürlich hatte er wissen wollen, wo sie und Delia die Ferien verbracht hatten. Eigentlich eine ganz normale Frage – und eine, auf die sich die beiden Mädchen gut vorbereitet hatten. Und doch wäre die Ägyptenreise, die sie unbedingt geheim halten wollten, beinahe aufgeflogen!

„Dafür kann ich wirklich nichts!“, jammerte Delia. „Wer kann denn auch ahnen, dass Kaya mit seinem Vater ebenfalls auf Phuket war? Phuket! Ich weiß ja nicht mal, wo das liegt!“

Nina warf ihr einen mitleidigen Blick zu. Kaya hatte auch sie aus der Fassung gebracht. Denn er war wirklich auf Phuket gewesen – während Delia nur so hatte tun wollen, als sei sie dort gewesen. Er hatte Delia nach allen möglichen Dingen gefragt, die sie gar nicht hatte wissen können.

„Ärgere dich nicht“, sagte Nina beruhigend. „Du hast die Situation doch hervorragend gerettet!“

Delia ließ sich nicht aufheitern. „Ja, aber wie lange? Zum Glück kamen gerade Felix und Daniel herein und haben Victor mit ihrem Trick abgelenkt.“

Nina musste bei der Erinnerung an Felix’ Geschenk für Victor kichern. „Victor und Konfetti! Damit hat er bestimmt nicht gerechnet, als er sein Geschenk aufmachte.“

Nun musste auch Delia lachen. „Das tut ihm mal ganz gut, dem alten Miesepeter!“ Aber im Handumdrehen war sie wieder ernst. „Niemand darf erfahren, dass ich gar nicht auf Phuket war … All inclusive!“, rief sie auf einmal so laut, dass Nina, die sich gerade das Gesicht abtrocknete, erschreckt zusammenzuckte.

„Wie bitte?“

Strahlend drehte Delia sich zu ihrer Freundin um. „Wir hatten einen Cluburlaub! Mein Vater und ich waren in einem ganz exklusiven All-inclusive-Familien-Urlaubsclub!“

„Ja!“ Nina war begeistert über den Einfall. „Da hättest du Kaya gar nicht begegnen können!“

Delia grinste stolz. Doch erneut fiel ihr etwas ein, und das Lächeln auf ihrem Gesicht verschwand. „Was ist mit den Kreditkartenbelegen? Und dem Visum im Pass? Mein Vater hat gesagt, das soll ich alles für ihn aufheben.“

„Das kommt in unser Zimmer. In die Schrankschublade. Nein, besser unter deine Matratze“, überlegte Nina schnell.

„Hervorragend!“

„Jetzt musst du nur noch die Kette abnehmen, die du dir aus Ägypten mitgebracht hast, danach sind wir bereit“, sagte Nina.

Delia schob die Unterlippe vor. „Wie soll man denn dann sehen, wie gut sie zu meinem Kleid passt?“

Nina seufzte beinahe unhörbar auf. „Gibt es überhaupt noch jemanden, der nicht weiß, wie viel Geschmack du hast?“ Nina nahm Delia am Arm und zog sie weg.

Beide sahen nicht, dass im Badezimmerspiegel ein Mann erschien und mit einem bösen Lächeln hinter ihnen hersah. Er sah fast aus wie Victor Rodemer, der Hausverwalter, nur hatte er dichtere Augenbrauen und einen Blick, der kälter und bösartiger war, als der von Victor es je hätte sein können.

Und er hatte alles gehört.

Felix konnte sich vor Neugier kaum noch beherrschen.

Nicht einmal sein Streich mit Victor hatte ihn wirklich ablenken können! Er wollte unbedingt wissen, was in der Kiste und in dem Päckchen war, das er aus dem Grab hatte mitgehen lassen.

Wieder fiel ihm Ninas Warnung ein. Nur nichts mitnehmen!, hatte sie gesagt.

Ein wenig schuldbewusst dachte Felix an den Fluch von Amneris, der nur ausgelöst worden war, weil sie den Gral geöffnet hatten.

Dabei hatten sie doch nur getan, was auf dem Gral geschrieben stand! Immerhin hatten Tutanchamun und Amneris sich nach Jahrtausenden der Trennung wiedergefunden, und das dank ihm, Nina, Daniel und Delia. Da hatten sie wohl ein wenig Anerkennung verdient, oder? Und genau aus diesem Grund hatte er die Kiste in einem unbeobachteten Moment mitgenommen. Es war doch klar, dass sie der Preis sein sollte für all die Mühen, die sie gehabt hatten!

Und den würde er nun in aller Ruhe auspacken.

Felix kontrollierte noch einmal, ob er die Zimmertür auch wirklich geschlossen hatte. Glücklicherweise war Magnus noch mit seinem Vater in Mexiko, also hatte er das Zimmer in der nächsten Zeit für sich.

Er setzte sich aufs Bett, holte langsam die kleine Kiste aus dem Rucksack und stellte sie neben sich. Vorsichtig wickelte er sie erst aus dem Pullover, den er darumgeschlungen hatte, damit sie im Flugzeug und auf dem Flughafen nicht beschädigt wurde, dann öffnete er sie langsam. Hoffentlich passierte auch nichts! Felix erinnerte sich an das Beben im Grab, das sie beinahe auf ewig eingesperrt hätte. Selbst hier, in seinem sicheren Zimmer konnte er das Schaudern, das die Erinnerung in ihm wachrief, nicht unterdrücken. Den anderen und besonders seinem Stolz zuliebe hatte er sich nichts anmerken lassen, aber für einen Moment hatte er sich genauso gefühlt wie Delia.

Schnell verdrängte er die Angst und wandte sich wieder der Kiste zu. Er zog die seltsame Kette mit den vier Amuletten hervor. Horusaugen waren es, hatte Daniel gesagt. Jedes hing an einem schwärzlich gefärbten Draht und war an die anderen geknüpft. Vorsichtig legte er sie mit dem Brief, den Nina entdeckt hatte und der voller Hieroglyphen war, neben sich. Eigentlich hätte er gern gewusst, was in der Nachricht stand, aber selbst der schlaue Daniel hatte die Zeichen nicht ohne sein Wörterbuch übersetzen können. Felix bedauerte, dass er niemals erfahren würde, was die Botschaft war.

Er setzte sich erneut auf, um das große Päckchen aus der Holzkiste zu holen.

Doch in diesem Moment kam jemand den Flur entlang.

Felix erschrak. Hastig sah er sich um und warf die Horusaugen und den Brief in die Holzkiste. Aber es war schon zu spät, um auch das Päckchen wieder hineinzustecken. „Nein! Bitte kurz warten!“ Schnell warf Felix die Bettdecke über Kiste und Paket –