Inhaltsverzeichnis

Dunkle Mächte um Mitternacht

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Das unheimliche Schloss

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Vampirblut

Dunkle Priesterin

WOLFSMAGIE

Die Schattengruft

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FLUCH DER STEINE

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Dunkle Mächte um Mitternacht

Alfred Bekker

Published by BEKKERpublishing, 2015.

––––––––

Dunkle Geheimnisse, übernatürliche Bedrohungen, mysteriöse Begebenheiten - und eine Liebe, die sich dem Grauen widersetzt. Darum geht in den packenden romantischen Spannungsromanen von Alfred Bekker.

Dieses Buch enthält die Romane:

Das unheimliche Schloss

Vampirblut

Dunkle Priesterin

Wolfsmagie

Die Schattengruft

Fluch der Steine

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Cover: Firuz Askin

First edition. August 19, 2015.

Copyright © 2015 Alfred Bekker.

Written by Alfred Bekker.

Das unheimliche Schloss

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 91 Taschenbuchseiten.

Eine junge Frau verliebt sich in den Nachkommen eines alten Adelsgeschlechts. Doch das Schloss der Familie scheint von einem dunklen Fluch erfüllt zu sein...

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Ein CassiopeiaPress Buch

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© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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1

Hoch ragten die sandfarbenen Mauern von Schloss Eichenbach empor.

Der milchige Schein der Abendsonne tauchte das imposante, auf einer Anhöhe gelegene herrschaftliche Bauwerk mit seinen Erkern und Türmen in ein weiches Licht.

Wenn man von unten aus dem Tal hinaufblickte, konnte man gar nicht anders, als eine gewisse Ehrfurcht zu empfinden.

Von dort droben aus war jahrhundertelang über das Umland geherrscht worden. Von seiner erhabenen Ausstrahlung hatte das Schloss bis heute nichts verloren.

Dies wird also deine Heimat werden!, dachte die junge Baroness Susanne von Radvanyi nicht ohne einen leichten Schauder.

Sie saß auf dem Rücksitz einer großen Mercedes-Limousine, mit der der Chauffeur des Fürsten von Eichenbach sie abgeholt hatte, um sie auf das Schloss ihres zukünftigen Verlobten Wilfried von Eichenbach zu bringen. Er wollte sie seinen Eltern vorstellen. Susannes Herz klopfte schneller, als die Limousine nun in die schmale Straße einbog, die in Serpentinen hinauf zum Schloss führte. Zu beiden Seiten befanden sich auf Terrassen angelegte Parkanlagen.

Vor ihrem inneren Auge erschien Wilfrieds von dunklen Haaren umrahmtes Gesicht. Sie hatte ihn bei der Hochzeitsfeier einer entfernten Verwandten kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Seine dunkelgrauen Augen, die ebenmäßigen Züge und das verhaltene, sympathisch wirkende Lächeln - das alles hatte sie von Anfang an verzaubert.

Ein Zauber, der auch bei weiteren Treffen nicht nachgelassen hatte.

Und nun war sie auf Wilfrieds Einladung hin hierher gekommen, auf den Stammsitz seiner Vorfahren.

Sie freute sich schon darauf. Sie und Wilfried hatten bereits Pläne für eine Verlobung...

Ein Glücksgefühl überkam Susanne bei dem Gedanken an Wilfried und die Zukunft, die vor ihnen lag. Sie konnte sich gut vorstellen, an seiner Seite dereinst das Fürstenhaus zu führen und die Mutter einer zukünftigen Generation von Eichenbachs zu werden.

Die Limousine erreichte das prächtige Rundbogentor, in welches ein kundiger Steinmetz das Familienwappen derer von Eichenbach vor Jahrhunderten mit beachtlicher Kunstfertigkeit eingemeißelt hatte. Der Wagen fuhr in den weitläufigen Schlosshof ein. Dort befanden sich ein Parkplatz sowie parkähnliche Grünanlagen. Überall fanden sich prachtvolle Blumenbeete und akkurat gepflanzte Sträucher. Die Blumenbeete hatten die Form von Dreiecken, zwischen denen gepflasterte Wege herführten.

Die Blumen blühten in den Farben rot, weiß und gelb - den Wappenfarben des Hauses Eichenbach. Springbrunnen plätscherten.

Sie waren in dem gleichen, leicht gelblichen Sandstein gehalten wie das Mauerwerk der Brüstung, die das gesamte Anwesen umgab. Das Schloss bestand aus einem imposanten, mehrstöckigen Haupthaus und mehreren kleineren Gebäuden, in denen die Wohnungen der Bediensteten zu finden waren.

Außerdem gab es Stallungen für Reitpferde und eine eigene Kapelle.

"Da wären wir, Baroness Susanne", sagte Ferdinand, der in den Diensten des Fürstenhauses Eichenbach grau gewordene Chauffeur. Er hatte den Wagen mit ruhiger Hand gelenkt, so dass man sich fast wie von einer Sänfte getragen vorkommen konnte.

Susanne lächelte.

"Ich danke Ihnen, Ferdinand."

Wilfrieds Vater, Fürst Friedrich von Eichenbach, hatte darauf bestanden, Susanne mit seiner Limousine abholen und nicht mit dem eigenen Wagen anreisen zu lassen. Und Wilfried hatte ihr geraten, dieses Zeichen freundlicher Zuwendung nicht auszuschlagen. Der Fürst zeigte damit nichts anderes, als dass die junge Baroness ihm herzlich willkommen war.

Ferdinand stieg aus und öffnete Susanne die Tür.

"Um Ihr Gepäck wird sich unser Kammerdiener Johann kümmern", erklärte er dazu.

Ein schmucker zweisitziger Sportwagen brauste in diesem Moment durch das erhabene Schlosstor und hielt neben der dunklen Limousine des Fürsten. Das Verdeck war an diesem herrlichen sonnigen Tag nach hinten geklappt. Susanne erkannte den Mann am Steuer sofort.

"Wilfried!", rief sie begeistert.

Wilfried stieg aus und kam auf sie zu. Gut sah er aus, fand Susanne. Wie man sich nur einen Märchenprinzen vorstellen konnte! Der zweireihige Blazer mit dem dezent angebrachten fürstlichen Wappen sowie dem elegant getragenen Einstecktuch saß wie angegossen.

Auch in der Verzierung der kostbaren Krawattennadel fand sich das Familienwappen wieder.

Wilfried nahm Susannes Hand, vollführte einen vollendeten Handkuss und sagte dann mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen: "Baroness Susanne, ich möchte Sie herzlich auf Schloss Eichenbach willkommen heißen..."

Und dabei zwinkerte er ihr vergnügt zu.

Sie beschloss, das Spiel mitzumachen. Aber nur für einen Moment...

"So förmlich?", fragte Susanne lächelnd.

Wilfried hielt ihre Hand eine Nuance länger, als es eigentlich notwendig gewesen wäre.

Ihrer beider Blicke trafen sich, verschmolzen für einige Momente miteinander. Susanne seufzte glücklich. Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken, und ihr Herz machte einen Sprung.

"Ich bin sehr froh, dass du da bist, Susanne", sagte Wilfried dann. "Und ich habe es ja auch gerade noch rechtzeitig geschafft, wieder zurück im Schloss zu sein, um dich zu begrüßen..."

"Wo bist du gewesen?"

"Du weißt ja, dass ich viel mit der Verwaltung der Familienbetriebe zu tun habe... und ausgerechnet heute hatte sich ein Steuerprüfer kurzfristig angemeldet, der die Bücher unserer Winzerei einzusehen wünschte."

"Ich hoffe, es hat keinen Ärger gegeben..."

"Nein, unsere Bücher sind in Ordnung. Aber das ist jetzt alles zweitrangig... Jetzt, da du da bist!"

Unterdessen kam der Kammerdiener die Treppen des gewaltigen Portals hinunter. Ferdinand öffnete den Kofferraum, und trug ihm Susannes Gepäck - einen Koffer und eine Tasche - ein Stück entgegen.

"Deine Räumlichkeiten sind bereits hergerichtet, Susanne", sagte Wilfried. "Ich hoffe, dass alles zu deiner Zufriedenheit sein wird..."

"Gewiss, Wilfried..." Susanne lächelte versonnen und hakte sich bei ihrem Liebsten unter. "Und eigentlich braucht es dazu auch nicht viel. Keine prachtvollen Räume oder dergleichen. Wenn ich in deiner Nähe bin, fühle ich mich wohl, Wilfried..."

Er sah sie an.

Sein Gesicht hatte jetzt einen ernsten Zug bekommen.

"Mir geht es umgekehrt genauso", erwiderte er dann.

Für einen kurzen Moment hatte Susanne den Eindruck, dass ein Schatten sich über Wilfried von Eichenbachs Gesicht legte.

Dass der zukünftige Fürst hin und wieder leicht melancholisch wirkte, hatte Susanne schon bei ihren früheren Zusammenkünften festgestellt. So, als ob irgendetwas aus der Vergangenheit hin und wieder auf seine Seele drückte. Susanne wusste nicht, was das sein konnte. Und als sie einmal direkt danach gefragt hatte, war Wilfrieds Antwort mehr oder minder ausweichend gewesen.

Eines Tages wird er mir genug vertrauen, um mir auch sei Innerstes zu offenbaren, dachte Susanne. Sie war in dieser Hinsicht sehr zuversichtlich. Denn sowohl ihrer eigenen als auch der Liebe ihres zukünftigen Verlobten war sie sich vollkommen sicher.

"Lass uns reingehen", sagte Wilfried."Ich möchte dich so schnell wie möglich meinen Eltern vorstellen. Denen habe ich zwar schon so manches über dich erzählt, aber..."

Susanne blickte an sich herab.

"Ich weiß nicht - sollte ich mir nicht erst einmal etwas Standesgemäßeres anziehen?", fragte sie.

Susanne trug ein schlichtes, lindgrünes Sommerkleid. Das brünette Haar war hochgesteckt und wurde hinten mit einer Spange zusammengehalten. Eine dezente Perlenkette hing um ihren Hals.

"Du siehst bezaubernd aus, Susanne", fand Wilfried. Und der Blick, den er ihr zuwarf, sprach von ehrlicher Bewunderung.

Susanne zuckte die schmalen Schultern.

"Wenn du meinst..."

"Bestimmt!"

Gemeinsam gingen sie die Stufen des imposanten Steinportals empor. Löwenköpfe aus Marmor befanden sich am Ende der Handläufe.

Sie traten durch die zweiflügelige Tür in eine hohe, mit Barockmöbeln und kostbaren Wandteppichen ausgestattete Eingangshalle.

Kronleuchter hingen von der gewölbten Decke herab. Das Kristallglas glitzerte im Schein der Sonnenstrahlen, die durch die hohen Fenster hereinfielen. Wie prächtig mussten diese Leuchter erst am Abend aussehen, wenn sie in ihrem herrschaftlichen Glanz erstrahlten.

"Wo sind der Fürst und die Fürstin?", fragte Wilfried ein Zimmermädchen, das gerade die Treppe hinunterkam, die in die oberen Stockwerke führte.

"Die Durchlauchten befinden sich im Augenblick im Salon..."

"Danke."

Susanne ließ sich von Wilfried durch einen langgezogenen, hohen Flur führen.

Wie erhaben und beinahe einschüchternd dieses riesige Schloss doch wirkt, dachte Susanne fast ein wenig schaudernd, als sie die großformatigen Gemälde an den Wänden sah, auf denen die Vorfahren der Fürstenfamilie abgebildet waren.

Große Meister verschiedener Epochen hatten die jeweiligen Fürsten von Eichenbach auf Leinwand gebannt. Und jetzt säumten sie als eine Art Galerie diesen hohen Flur. Die Rahmen waren mit Gold überzogen.

Susanne, die Tochter des Barons von Radvanyi, war durchaus auch großzügige Verhältnisse gewohnt und auf einem ausgedehnten Landgut aufgewachsen. Aber das hochherrschaftliche Schloss derer von Eichenbach stellte das, was sie bisher gewohnt war, doch gehörig in den Schatten. Die Last der Jahrhunderte schien auf diesen uralten Mauern zu liegen. Etwas, was Susanne als bedrückend empfand - so sehr sie es auch genoss, in Wilfrieds Nähe zu sein.

Sie erreichten den Salon. Auch der war prächtig eingerichtet. Die zierlichen Stühle und der Diwan waren mit kostbar bestickten Polstern besetzt. Die kunstvollen Stickereien stellten romantische Jagdszenen dar. Und die edlen Kronleuchter, die von der Decke hingen, glitzerten wie Diamantcolliers.

Fürst Friedrich von Eichenbach war eine imposante Erscheinung. Er trug einen ähnlichen Zweireiher wie sein Sohn. Das Haar war zwar schon ergraut, aber noch immer voll.

Und Susanne sah, dass Wilfried seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war.

Fürstin Margarethe hatte ein gütiges, sanftes Lächeln im Gesicht. Nur ihren blaugrauen Augen war anzusehen, dass sie sicher gewohnt war, Autorität auszuüben. Sie trug ein graues Kleid von schlichter Eleganz, dazu eine mit roten Rubinen besetzte Kette sowie eine dazu passende Brosche und einen Armreifen. Die Fürstin war einige Jahre jünger als ihr Mann, aber auch ihr ansonsten dunkles Haar zeigte die ersten silbrigen Spuren.

Aber Susanne fand, dass das ihrer Schönheit keinen Abbruch tat. Es unterstrich sogar noch die Würde und Erhabenheit, die sie ausstrahlte.

Wilfried begrüßte seine Eltern sehr herzlich. Dann sagte er entschuldigend: "Verzeiht, wenn ich unseren Besuch nicht durch Johann anmelden ließ, aber unser Kammerdiener ist im Moment mit dem Gepäck dieser bezaubernden jungen Dame beschäftigt..." Er schenkte Susanne ein Lächeln, das ihr ganz warm ums Herz werden ließ. "Darf ich vorstellen? Baroness Susanne von Radvanyi... Susanne, dies sind meine Eltern, der Fürst und die Fürstin von Eichenbach!"

Susanne klopfte das Herz wie rasend, als sie mit einem traditionellen Hofknicks dem Fürstenpaar ihre Ehrerbietung erwies.

Aber sie hatte vom ersten Moment an den Eindruck, dass die beiden ihr wohlgesonnen waren.

"Mein Sohn hat uns schon viel von Ihnen berichtet", sagte die Fürstin. "Und es freut uns außerordentlich, dass wir Sie nun endlich auch einmal von Angesicht zu Angesicht kennenlernen."

"Das geht mir ganz genauso, Durchlaucht", erwiderte Susanne.

Fürstin Margarethe lächelte milde.

"Ich hoffe sehr, dass Sie sich auf Schloss Eichenbach wohlfühlen. Und falls Sie irgendetwas auf dem Herzen haben, so zögern Sie nicht, sich damit auch an mich zu wenden."

Nun meldete sich Fürst Friedrich zu Wort.

"Ich habe lange darüber nachgedacht, ob wir uns nicht doch schon irgendwann begegnet sind, Baroness Susanne... Schließlich kenne ich Ihren Vater recht gut, auch wenn ich zugeben muss, dass wir uns in den letzten Jahren etwas aus den Augen verloren haben..."

"Nicht, dass ich mich erinnern könnte", sagte Susanne bedauernd.

Der Fürst wirkte nachdenklich.

"Es mag schon mehr als zwanzig Jahre her sein, da waren wir zur Hochzeit der Prinzessin von Sarnheim eingeladen. Es war eine prächtige Feier, von der noch jahrelang geredet wurde. Ich sah damals den Baron von Radvanyi ein kleines Kind an der Hand führen, das gerade mit wackeligen Beinen die ersten Schritte machte..."

Susanne lächelte.

"Möglich, dass ich das gewesen bin", gestand sie zu. "Aber Sie mögen verzeihen, wenn mir dieser Augenblick nicht in Erinnerung geblieben ist..."

Fürst Friedrich erwiderte das Lächeln.

"Nun, hätte ich damals geahnt, möglicherweise meiner künftigen Schwiegertochter gegenüberzustehen, hätte ich Ihnen natürlich auch mehr Aufmerksamkeit gewidmet."

Susanne hörte Schritte in ihrem Rücken.

Sie drehte sich herum.

Die Blicke aller wandten sich zur zweiflügeligen Salontür, deren dunkler Holzrahmen mit kostbaren Schnitzereien verziert war. Eine junge Frau in Susannes Alter hatte den Raum betreten. Ihr Kleid raschelte leicht. Das dunkle, beinahe pechschwarze Haar trug sie zu einer strengen Knotenfrisur zusammengefasst. Ihr Gesicht wirkte angestrengt.

"Oh, ich hoffe, ich störe nicht", sagte die junge Frau. Sie musterte Susanne in einer Art und Weise, die dieser nicht gefiel.

"Darf ich dir Baroness Susanne von Radvanyi vorstellen", sagte Wilfried, als die junge Frau sich mit misstrauischem, beinahe feindseligem Blick genähert hatte. "Susanne, dies ist Komtesse Christiane von Buchenberg-Selm. Sie lebt ebenfalls auf Schloss Eichenbach..."

Das Lächeln, das nun auf Christianes Gesicht erschien, war eisig.

"Sie sind also Wilfrieds neue Verlobte", sagte sie dann mit geringschätzigem Unterton. "Oh, Verzeihung - zukünftige Verlobte muss es wohl heißen, denn soweit ich mich erinnere, hat es ja noch keine entsprechende Feier gegeben. Oder wurde ich nur nicht eingeladen?"

"Christiane, bitte!", meldete sich empört die Fürstin zu Wort. Ihre Missbilligung von Christianes Bemerkungen war unüberhörbar.

Christiane hob die Augenbrauen und tat so, als wüsste sie nicht, was den Unwillen der Fürstin erregt hatte.

"Habe ich etwas Falsches gesagt?"

"Christiane!"

"Aber es entspricht doch der Wahrheit, dass Wilfried schon einmal verlobt war", setzte Christiane noch hinzu. Sie hob dabei das Kinn etwas an. Dann wandte sie sich an Susanne.

"Hat man Ihnen etwa noch nichts davon gesagt, Baroness?"

"Jetzt reicht es!", sagte Fürst Friedrich, dem es sichtlich schwerfiel, die Ruhe zu bewahren. "Baroness Susanne ist Gast auf Schloss Eichenbach. Und ich möchte, dass sie von jedem in diesem Schloss auch so behandelt wird..."

Der Ton, den der Fürst anschlug, war streng und bestimmt, aber dennoch nicht unhöflich. Und offenbar verfehlte Friedrich damit auch nicht seine beabsichtigte Wirkung.

Christianes Gesicht wurde dunkelrot.

"Ich bitte vielmals um Verzeihung, falls ich etwas Unpassendes gesagt haben sollte", murmelte sie. "Anscheinend habe ich ein Talent dazu..."

Damit drehte sie sich um und verließ den Salon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Susanne war leicht verstört.

Sie war sich nicht bewusst, wodurch sie den Zorn dieser jungen Frau erregt haben mochte.

Dass Wilfried bereits einmal verlobt gewesen war, hatte sie nicht gewusst.

Für einen kurzen Moment hatten die Worte der jungen Komtesse ihr einen leichten Stich versetzt, doch dann siegte rasch die Vernunft.

Wilfried ist kein Teenager mehr, ging es ihr durch den Kopf. Und daher kannst du auch nicht ernsthaft erwarten, dass du die erste Frau bist, auf die er ein Auge geworfen hat!

Und wenn Wilfried eine vorherige Verbindung gelöst hatte, dann hatte es dafür sicher gute Gründe gegeben.

"Christiane meint es nicht wirklich so", versuchte die Fürstin die Wogen zu glätten. "Sie müssen den Worten der Komtesse nicht allzu viel Gewicht beimessen. Eigentlich bin ich niemand, der so etwas weiterträgt, aber ich glaube es bleibt mir keine andere Wahl, als Ihnen die Wahrheit zu sagen."

"In wie fern?", fragte Susanne.

"Christiane ist psychisch krank. Sie leidet unter Wahnvorstellungen und depressiven Verstimmungen. Anwandlungen, wie Sie sie gerade bei ihr gesehen haben, zeigt sie leider nicht zum ersten Mal. Außer uns hat sie niemanden. Darum haben wir sie auf Schloss Eichenbach aufgenommen... Ich möchte Sie herzlich bitten, diesen unziemlichen Vorfall zu vergessen und sich Ihren Aufenthalt auf Schloss Eichenbach dadurch nicht verleiden zu lassen."

Susanne wandte Wilfried einen verliebten Blick zu.

"Das wird sicher nicht geschehen", sagte sie dann.

2

Wilfried zeigte Susanne die Räumlichkeiten, die für die junge Baroness vorgesehen waren.

Eine weitläufige Suite im Westflügel war für sie vorbereitet worden. Und Wilfried hatte dafür gesorgt, das überall rote Rosen in den kostbaren, mit Mosaiken besetzten Vasen standen.

Ein herrlicher Blumenduft erfüllte die gesamte Suite. Er ließ Susanne für einige Augenblicke sowohl die Düsternis dieses Schlossgemäuers als auch den Vorfall mit Christiane vergessen.

Wilfried nahm ihre Hand und drückte sie zärtlich.

"Ich werde alles tun, damit du dich hier wohlfühlst", erklärte er.

"Ja, ich weiß, du hast an alles gedacht..." Sie seufzte glücklich. "Es ist alles so wundervoll..."

"Du bist wundervoll", erwiderte Wilfried mit einem charmanten Lächeln um den Lippen.

Susanne löste sich von ihm, roch an einem der prachtvollen Rosensträuße.

Ein Traum, dachte sie ergriffen. Es könnte alles so schön sein...

Und dann kam sie doch noch einmal auf das zurück, was soeben im Salon geschehen war.

"Diese Christiane scheint mich nicht zu mögen", stellte sie dann fest. "Vielleicht kannst du mir einen Rat geben, wie ich mit ihr umgehen sollte..."

"Wenn es da ein Patentrezept gäbe, dann hätten die Ärzte, bei denen Christiane in Behandlung war, das sicher schon gefunden", seufzte Wilfried. "Christiane hat ein sehr schwere Schicksal hinter sich - und wenn man das weiß, ist es vielleicht etwas leichter, ihre manchmal recht verletzende Art zu ertragen. Sie ist eine sehr weitläufige Verwandte meiner Mutter. Als sie 15 Jahre alt war, kam es zu einem furchtbaren Brand auf der argentinischen Besitzung der Buchenberg-Selms. Ihre gesamte Familie kam dabei ums Leben. Christiane war die einzige Überlebende. Seit jener Zeit ist sie krank..."

"Ich würde gerne mit ihr auskommen..."

"Ich denke, früher oder später wird sie sich an dich gewöhnen."

"Ja, das hoffe ich."

"Da ist noch etwas anderes", sagte Wilfried von Eichenbach dann nach einer kurzen Pause. Susanne sah ihn erstaunt an.

"Ja?"

"Christiane erwähnte etwas davon, dass ich schon einmal verlobt war... Ich möchte nicht, dass du denkst, ich hätte dir etwas verschweigen wollen."

"Nein, das habe ich auch nicht gedacht", entgegnete Susanne sogleich.

"Es ist nur so", fuhr Wilfried fort, "dass dieses Kapitel für mich gewissermaßen abgeschlossen war..."

"Das ist schon in Ordnung", erwiderte Susanne.

"Wirklich?"

"Wirklich!"

Wilfried nahm zärtlich ihre Hände. Ihre Blicke verschmolzen für einige Augenblicke miteinander. Dann gab er er ihr einen Kuss und sagte: "Ich liebe dich, Susanne. Und ich bin mir sicher, dass du die Frau bist, mit der ich mein Leben teilen möchte..."

"Und ich liebe dich, Wilfried", hauchte Susanne mit belegter Stimme.

Sie war in diesem Moment felsenfest davon überzeugt, dass die Verbindung zwischen ihnen viel zu stark und innig war, als dass die Missgunst einer seelisch kranken Komtesse einen Keil dazwischentreiben konnte.

In diesem Augenblick ahnte Susanne noch nichts von den bohrenden Zweifeln, die schon bald an ihr nagen würden...

3

In den nächsten Tagen hing für Susanne der Himmel voller Geigen. Ein strahlender Sonnentag reihte sich an den nächsten.

Oft unternahm sie zusammen mit Wilfried ausgedehnte Spaziergänge in den weitläufigen Parkanlagen, die Schloss Eichenbach in Form von bepflanzten Terrassen umgaben. Hand in Hand führten sie dann lange Gespräche und ehe sie sich versahen, waren die Stunden nur so dahingeflogen.

Christiane schien Susanne während dieser Zeit regelrecht aus dem Weg zu gehen.

Manchmal stand die Komtesse oben an der steinernen Brüstung und schaute hinab auf die Parkanlagen; dorthin, wo Susanne und Wilfried spazieren gingen. Ihre Augen wurden schmal, ihre eigentlich so hübschen Züge bekamen etwas Hartes und Unerbittliches.

Als Susanne die Komtesse einmal dort so stehen sah, erschrak sie unwillkürlich. Wie ein böser Geist steht sie dort, durchzuckte es die Baroness.

Als Christiane den Blick der anderen bemerkte, wandte sie sich sofort um und verschwand hinter der Brüstung.

Ich muss mich mit ihr aussprechen, nahm sie sich vor. Aber das war leichter gesagt als getan.

An den Mahlzeiten nahm Christiane oft nicht teil - und wenn, dann verhinderte ihr eisiges Schweigen, dass irgendwer sie anzusprechen wagte.

Eines Abends ließen Fürst und Fürstin von Eichenbach Wilfried und Susanne zu sich rufen.

Kammerdiener Johann schenkte einen edlen Burgunder ein und im Salon erstrahlten die Kronleuchter zu festlichem Glanz, während draußen die Sonne ihre letzten Strahlen über den Horizont schickte.

Der Fürst wandte sich an Susanne.

"Mein Sohn sagte mir, dass ihr beide euch verloben wollt. Ist das richtig?"

"Ja", sagte Susanne mit bebendem Herzen und wandte kurz den Blick an Wilfried. "Das ist unser Wunsch..."

"Nun, eine Feier vorzubereiten dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen..."

"Wir dachten an eine Feier in kleinem Rahmen", sagte Wilfried und drückte dabei kurz Susannes Hand. Während ihren langen Gesprächen im Park hatten sie unter anderem auch über diesen Punkt gesprochen. "Nur die engsten Verwandten und Freunde, vielleicht so dreißig oder vierzig Personen."

"Das ließe sich arrangieren", meinte Fürstin Margarethe.

"Die Hochzeit kann dann ja in einem um so größeren Rahmen gefeiert werden", erklärte Wilfried.

Und Susanne ergänzte: "Es geht uns eigentlich nur darum, möglichst rasch vor der Öffentlichkeit zu zeigen, dass wir zusammengehören..."

Fürstin Margarethe nickte verständnisvoll. "Dann sollten wir uns bei nächster Gelegenheit zusammensetzen, um die Gästeliste zu erstellen", wandte sie sich dann an die junge Baroness.

Fürst Friedrich erhob das Glas.

Er sah Susanne und Wilfried nacheinander an und sagte dann feierlich: "Auf eine glückliche Zukunft! Wir kennen Baroness Susanne zwar erst seit kurzem, aber ich glaube, unser Sohn hätte kaum eine glücklichere Wahl treffen können."

"Das denke ich auch", fügte Fürstin Margarethe hinzu, während sie das Weinglas mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand hielt und dabei lächelte.

4

Wilfried geleitete Susanne später zu ihren Räumen im Westflügel. Es war sehr spät geworden. Noch lange hatten sie mit Fürst Friedrich und Fürstin Margarethe zusammengesessen.

Und Fürstin Margarethe hatte dabei nicht lockergelassen, ehe nicht wenigstens eine provisorische Gästeliste erstellt worden war.

"Ich kann sonst einfach nicht ruhig schlafen", hatte sie bemerkt.

Nun gingen Wilfried und Susanne durch die hohen Flure des fürstlichen Schlosses, bis sie schließlich die Suite erreichten.

"Ich wünsche dir eine gute Nacht", sagte Wilfried mit sonorer Stimme.

"Ich dir auch..."

Sie sahen sich an und Susanne schaute in Wilfrieds dunkelgraue Augen. Augen sind Fenster zu Seele, überlegte Susanne. Und sie fragte sich gleichzeitig, was es noch an Geheimnissen hinter diesen Fenstern zu entdecken gab.

Wilfried drehte sich um, ließ den Blick umherschweifen.

"Was ist?", fragte Susanne.

"Ich möchte nicht, dass jemand vom Personal sieht, wie ich die zukünftige Herrin von Schloss Eichenbach küsse", lächelte er.

Dann nahm er sie in den Arm. Susanne schmiegte sich an ihn und fühlte, wie sich der Schlag ihres Herzens mit dem seinen mischte. Ihre Lippen berührten sich erst vorsichtig tastend, dann voller Leidenschaft.

Nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten, strich Wilfried ihr eine verirrte Strähne aus dem Gesicht, die sich irgendwie aus ihrer Frisur herausgestohlen hatte.

"Schlaf gut...", murmelte er. Und seine Stimme hatte einen angenehm vibrierenden Klang dabei.

"Du auch...." Sie strich sanft über seinen Arm. Dann wandte sie sich zur Tür. Sie drehte sich noch einmal herum und schenkte ihm einen verliebten Blick, ehe sie die Tür hinter sich schloss.

Susanne trat ans Fenster und blickte hinaus in den prächtig erleuchteten Schlosshof.

Es klopfte an der Tür.

Sie drehte sich herum. Wer mochte das sein? War Wilfried noch einmal zurückgekehrt?

"Herein", sagte Susanne mit klarer Stimme.

Die Tür öffnete sich.

Susanne erschrak im ersten Moment ein wenig. Es war nicht Wilfried, der da im hohen Türrahmen stand, sondern Christiane von Buchenberg-Selm.

"Guten Abend, Baroness Susanne", sagte sie. Ihre Stimme hatte einen harten Klang. Wie klirrendes Eis, dachte Susanne.

"Darf ich hereinkommen?"

"Sicher."

Christiane schloss die Tür hinter sich. "Ich muss mit Ihnen reden, Susanne."

"Ja, das geht mir umgekehrt auch so. Es wird dringend Zeit, dass wir miteinander sprechen", sprudelte es aus Susanne heraus. Sie war froh, dass Christiane auf sie zugekommen war.

Das enthob sie von der Notwendigkeit, umgekehrt den ersten Schritt auf die verschlossene Komtesse zuzugehen. Susanne atmete tief durch und fuhr dann fort: "Ich hatte bislang den Eindruck, dass Ihnen mein Aufenthalt auf Schloss Eichenbach nicht recht ist. Ich möchte Ihnen dazu sagen, dass mir sehr viel daran liegen würde, wenn ich Ihre Freundschaft erringen könnte..."

Christianes Gesicht blieb hart. Nur ein mattes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Ein Lächeln ohne Herzlichkeit, dessen Härte Susanne erschreckte.

"Ja, ich habe etwas gegen Ihren Aufenthalt hier... Aber nicht, weil ich irgendetwas gegen Sie hätte, Baroness Susanne!"

"Aber..."

"Sie sind gewiss eine herzensgute Person. Und der Grund dafür, dass ich es lieber heute als Morgen sehen würde, wenn Sie Schloss Eichenbach verließen, liegt nicht bei Ihnen..."

Susanne sah ihr Gegenüber verständnislos an. "Tut mir leid, Christiane, Sie sprechen in Rätseln."

"Dann muss ich vielleicht etwas deutlicher werden", erklärte Christiane. Sie rieb dabei die Handflächen nervös aneinander. Dann blickte sie Susanne an und hob die Augenbrauen. "Ich muss Sie vor Wilfried warnen, Susanne..."

"Warnen?", echote Susanne.

"Er war bereits einmal verlobt."

"Nun, das weiß ich ja inzwischen!"

"Aber was Sie noch nicht wissen ist, dass Lisa Reindorf, Wilfrieds erste Verlobte unter mysteriösen Umständen verschwand. Es hatte einen heftigen Streit zwischen den beiden gegeben. Danach tauchte die junge Frau nicht wieder auf. Eine Vermisstenanzeige bei der Polizei blieb ergebnislos..."

Christiane trat nahe an sie heran. Sie war etwas größer als Susanne, hob das Kinn einige Zentimeter und blickte auf die und Komtesse herab. Dann fuhr sie mit bedeutungsschwerer Stimme fort: "Es gibt in diesem Schloss zahlreiche Geheimgänge und unterirdische Verliese... Sie gleichen einem Labyrinth in dem sich heute kein Mensch mehr wirklich auskennt. Dort hat Wilfried sie hingelockt und umgebracht..."

Diese Worte waren für Susanne wie ein Schlag vor den Kopf.

"Das glaube ich nicht!", stieß sie spontan hervor.

"Es ist die Wahrheit..."

"Welche Beweise haben Sie dafür!"

"Beweise?" Christiane lachte. "Glauben Sie, Wilfried hätte nicht dafür gesorgt, dass alle Beweise verschwinden... Und wenn es solche noch gibt, dann tief unter dem Schloss in den grauen Verliesen..."

Christiane wandte sich zum Gehen.

Sie hatte die Tür schon erreicht, da hielt Susanne sie am Arm.

"Warten Sie!", forderte die junge Komtesse.

"Ich habe schon viel zu viel gesagt", murmelte Christiane.

"Aber Sie können jetzt nicht einfach so gehen, Christiane!"

"Gute Nacht, Baronesse..."

Mit diesen Worten öffnete Christiane die Tür und trat hinaus auf den Flur. Ohne sich noch einmal umzudrehen ging sie davon. Und Susanne blickte ihr mit wild pochendem Herzen nach. Sie war fassungslos.

5

In dieser Nacht fand Susanne keinen Schlaf. Immer wieder wälzte sie sich in den Kissen herum, ohne, dass sie wirklich Ruhe finden konnte.

Christiane ist eine kranke Frau, ging es ihr durch den Kopf. An dem, was sie sagt, kann nichts dran sein!

Susanne konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Wilfried zu einem Mord fähig gewesen wäre.

Ich werde ihm morgen von dem Vorfall berichten, sagte sich die junge Baroness. Und dann würde sie ja sehen, wie er darauf reagierte.

Wahrscheinlich wird sich alles in Wohlgefallen und unbegründeten Zweifel auflösen, dachte sie. Du wirst dir völlig umsonst Sorgen gemacht haben...

Sie atmete tief durch.

Wie sehr hoffte sie darauf, dass sich alles nur als die haltlose Anschuldigung einer seelisch Gestörten herausstellte!

Und im Grunde ihres Herzens war Susanne auch überzeugt davon, dass es so kommen musste.

Aber ein Rest von Zweifel blieb, nagte an ihrem Inneren und an ihrem Vertrauen zu dem Mann, mit dem sie sich verloben wollte.

Schließlich fiel die junge Frau doch noch in einen tiefen, traumlosen Schlaf der Erschöpfung, aus dem sie erst durch die Sonnenstrahlen des nächsten Morgens geweckt wurde.

Viel zu spät, wie sie im Übrigen feststellte.

Den Wecker hatte sie glatt überhört.

Beim Frühstück war sie zunächst allein. Kammerdiener Johann servierte es ihr auf dem Balkon des Esszimmers, so dass sie eine Aussicht über die das Schloss umgebenden Parkanlagen und die Ländereien der Eichenbachs hatte. Wälder gehörten ebenso dazu wie Wiesen und ein Pferdegestüt. In der Ferne sah sie die Tiere auf den Weiden herumtollen.

Von Johann erfuhr sie dann auch, dass Wilfried am Morgen bereits einen Termin in der Winzerei zu erledigen gehabt hätte. "Eigentlich hoffte der junge Herr bis zum Frühstück wieder zurück zu sein, aber offensichtlich hat er sich etwas verspätet..."

Susanne nahm einen Schluck Kaffee. Dann fragte sie Johann nach den Geheimgängen und unterirdischen Gewölben, die es auf Schloss Eichenbach gab.

"Nun, es gibt diese Gänge tatsächlich, Baroness Susanne. Auf Geheiß von Fürst Friedrich wurde der Zugang nach Möglichkeit verschlossen, da man sich dort unten leicht verirren kann - und dann gewiss rettungslos verloren wäre!"

"Waren Sie schon einmal dort unten, Johann?"

"Einmal - wenn auch nur kurz. Es gibt nichts besonderes dort zu sehen. Und natürlich kursieren in der Umgebung einige Schauergeschichten und Legenden, was die Geheimgänge angeht..."

Wenig später sah Susanne Wilfrieds Sportwagen die schmale Serpentinen-Straße in Richtung Schloss hinauffahren.

Als er sich näherte und sie sah, winkte er ihr zu.

Sie erwiderte den Gruß.

Nur wenige Minuten später erschien er auf dem Balkon, nahm ihre Hand und begrüßte sie. Sein Blick war voller Zärtlichkeit und Liebe.

"Entschuldige, dass ich es nicht ganz rechtzeitig geschafft habe..."

"Das ist nicht so schlimm", fand Susanne. Dann berichtete sie von Christianes Besuch am vergangenen Abend und den Anschuldigungen, die sie vorgebracht hatte.

Das Gesicht des Fürstensohns verfinsterte sich.

"Ich kann nur hoffen, dass du nichts von dem, was Christiane gesagt hat, für wahr hältst."

"Ich vertraue dir, Wilfried."

"Vielleicht sollte ich dich nun doch in einige Einzelheiten einweihen, was meine frühere Verlobte angeht. Ihr Name war Lisa Reindorf und ich liebte sie sehr. Anfangs hatten meine Eltern Bedenken auf Grund ihrer bürgerlichen Herkunft. Aber das natürliche, freundliche Wesen dieser jungen Frau wischte die Bedenken rasch hinweg. Allerdings fühlte sie sich nie so recht wohl auf Schloss Eichenbach. Ich kann nicht sagen, woran dies eigentlich lag..."

"Christiane sagte, dass es einen Streit zwischen euch gegeben habe, bevor sie..." Susanne sprach es nicht aus.

"...bevor sie verschwand", vollendete Wilfried. "Ja, das ist wahr. Ich weiß es noch, als ob es gestern gewesen wäre. Am nächsten Morgen war sie nicht mehr im Schloss. Niemand weiß, wohin sie gegangen ist. Meine Mutter will damals einen Wagen gehört haben, der Lisa möglicherweise abholte. Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört. Auch die Untersuchungen der Polizei, die wir eingeschaltet hatten, haben nichts ergeben."

Susanne sah den gequälten Gesichtsausdruck, der sich nun auf dem Gesicht des Fürstensohnes zeigte.

Johann erschien nun auf dem Balkon, um auch Wilfried ein Frühstück zu servieren.

Das Gespräch brach ab.

"Wie kommt Christiane dazu, dich in so schlimmer Weise zu beschuldigen?", fragte Susanne dann, nach einer längeren Pause des Schweigens.

"Nun, über ihre Krankheit weißt du ja inzwischen Bescheid. Sie hat Wahnvorstellungen, redet mit Personen, die es nicht gibt und lebt manchmal tagelang in ihrer eigenen Welt. Angesichts ihres schweren Schicksals kann man durchaus nachvollziehen, wie es dazu gekommen ist. Aber da ist auch noch etwas anderes..."

"Was?", hakte Susanne nach.

"Sie war eifersüchtig. Schon als ich mich mit Lisa verlobte, versuchte sie immer wieder einen Keil zwischen uns zu treiben. Ich glaube, insgeheim hat sie immer gehofft, dass ich mich eines Tages ihr zuwenden würde..."

6

In den folgenden Tagen begegneten sich Susanne und Christiane nicht mehr. Nur einmal, an einem späten Nachmittag, als Susanne sich in ihre Suite zurückgezogen hatte, um sich für das bevorstehende Abendessen umzuziehen, sah sie die Komtesse bei einem Blick durchs Fenster. Christiane stand gedankenverloren im Schlosshof, nahe der Kapelle. Sie wirkt beinahe wie eine Statue, dachte Susanne. So regungslos stand sie da.

Susanne hatte versucht, zu vergessen, was sie gehört hatte.

Und Wilfrieds Erklärungen, was seine erste Verlobte anging, klangen ja auch durchaus plausibel. Und doch... auch, wenn sie es sich nur schwer eingestehen mochte, so hatte es Christiane doch geschafft, den Keim des Misstrauens in ihr zu säen.

Wenn wirklich Eifersucht die treibende Kraft bei ihr ist, dann ist das vielleicht genau ihre Absicht gewesen, ging es Susanne durch den Kopf. Ich darf nicht zulassen, dass sie damit Erfolg hat...

Susanne seufzte, wandte sich vom Fenster ab und dem großen Himmelbett zu, auf das sie ein halbes Dutzend Kleider ausgebreitet hatte. Sie wusste einfach nicht, was sie anziehen sollte, geschweige denn, welchen Schmuck sie dazu anlegen würde.

Sie hielt sich ein rotes Kleid vor den Körper, trat damit vor die Spiegelwand und betrachtete sich kritisch.

Vielleicht ein bisschen zu aufgedonnert, ging es ihr durch den Kopf.

Einerseits wollte sie ihre Garderobe variieren und nicht immer dasselbe anziehen. Andererseits fand sie es aber auch wichtig, Stilsicherheit und eine gewisse, wiedererkennbare Linie in der Auswahl ihrer Sachen zu zeigen.

Die Spiegelwand wurde durch einen goldenen, mit zahlreichen Verzierungen versehenen Rahmen begrenzt, der dem Betrachter den Eindruck vermittelte, Teil eines gewaltigen Gemäldes zu sein.

Susanne trat noch etwas näher an den Spiegel heran.

Plötzlich schob sich mit einem brummenden Geräusch die Spiegelwand ein Stück zur Seite. Dahinter befand sich der Eingang zu einem dunklen Gewölbe.

Susanne erschrak, dann begriff sie.

Es musste sich hier um einen jener Geheimgänge handeln, die auf Schloss Eichenbach so zahlreich vorhanden waren.

Wie erstarrt blieb die junge Frau stehen. Jetzt blickte sie an sich herab und stellte fest, dass die Parkettleiste, auf der sie stand, deutlich dunkler war, als die übrigen...

Ihr war das zunächst nicht aufgefallen, weil sich dieser Unterschied im Rahmen ganz normaler Farbnuancen bewegte, wie man sie bei Holz immer vorfindet.

Doch jetzt glaubte sie, vielleicht eine Absicht dahinter entdecken zu können.

Sie trat von der Parkettplatte herunter.

Nichts geschah.

Rasch legte sie das rote Kleid zu den anderen und kehrte zurück zur Spiegelwand.

Auf der rechten Seite befand sich am Rahmen des Spiegels ein Knauf, der die Form eines Löwenkopfs hatte. Sie ergriff ihn und war überrascht mit welcher Leichtigkeit sich die Geheimtür wieder schließen ließ. Ein Schloss schnappte ein und und danach war es unmöglich, sie durch Druck auf den Knauf wieder zu öffnen.

Susanne trat erneut auf die dunkle Parkettplatte.

Wieder öffnete sich die Geheimtür.

Die Baumeister vergangener Epochen hatten ihr Handwerk schon verstanden. Wer immer in dieser Suite früher auch einmal residiert haben mochte - er hatte offenbar einen schnellen und sicheren Fluchtweg gebraucht. Susanne trat an den Eingang des dunklen Ganges heran. Eine schmale, gewundene Treppe führte in die Tiefe.

Christianes Worte klangen in Susannes Innerem wider. Ihre düsteren Andeutungen, dass Beweise für Wilfrieds Schuld - wenn überhaupt - nur noch dort unten, in den finsteren Gängen zu finden wären.

Susanne fühlte, wie die Neugier in ihr aufkeimte.

Sei keine Närrin, schalt sie sich selbst. Du wirst doch wohl nicht auf Grund des Geredes einer Wahnsinnigen dort hinabsteigen?

Sie überlegte einen Moment, schwankte innerlich hin und her. Aber dieser Gang übte auf sie eine starke Anziehungskraft aus, und sie war sich gar nicht sicher, ob das wirklich nur mit Christianes düsteren Andeutungen zu tun hatte. Susanne sah auf die Uhr. Bis zum Abendessen hatte sie noch Zeit genug. Und im Moment wusste sie ohnehin nicht, was sie anziehen sollte. Warum also nicht ein bisschen auf Entdeckungsreise gehen und sich umsehen?

Ich brauche eine Lichtquelle, erkannte Susanne. Sie blickte sich um. Eine Taschenlampe besaß sie nicht. Aber auf einer antiken Kommode befand sich ein kostbarer silberner, dreiarmiger Kerzenleuchter. In einer der oberen Schubladen fand Susanne auch Streichhölzer. Sie entzündete die Kerzen und trat dann durch die Geheimtür. Vorsichtig schritt sie die rutschigen Stufen der Steintreppe hinab, die nach unten führte. Der Schein des Kerzenlichtes flackerte an den massiven Steinwänden.

Schließlich erreichte sie einen Absatz, von wo eine weitere Treppe hinunterführte.

Nachdem sie auch diese Stufen hinter sich gebracht hatte, befand sie sich in einem gewölbeartigen Raum. Kühl war es hier unten und eine leichte Gänsehaut überzog Susannes Unterarme.

Vorsichtig schritt sie den dunklen Gang entlang, der von diesem Raum ausging und sich schließlich teilte.

Susanne entschied sich für die rechte Abzweigung.

Vorsichtig ging sie weiter voran.

Dann spürte sie plötzlich einen kühlen Luftzug. Die Kerzen des Leuchters flackerten auf und erloschen.

"Nein!", entfuhr es Susanne, und der Pulsschlag raste ihr bis zum Hals.

Aber es war zu spät.

Um sie herum war es vollkommen dunkel.

Susanne tastete vorsichtig an den kalten Steinwänden entlang. Wie dumm ich war, hier hinabzusteigen, ging es ihr durch den Kopf. Jetzt würde es sehr schwer sein, aus diesem Labyrinth wieder zurückzufinden - ohne Licht!

Susanne konnte nicht die Hand vor Augen sehen.

Um Hilfe zu rufen hatte keinen Sinn, denn wer konnte sie hier schon hören? Und die Mauern waren so massiv, dass bestimmt kein Ton nach außen drang.

Angst stieg in Susanne auf, je länger sie in der Dunkelheit umherirrte.

Zunächst glaubte sie, sich am Verlauf der Wände orientieren zu können. Doch dann wurde sie unsicher. Lief sie überhaupt noch in die richtige Richtung? Hatte sie die richtige Abzweigung genommen oder verirrte sie sich in Wahrheit nur immer tiefer in diesem steinernen Labyrinth. Warum war da keine Treppe, die hinaufführte?

Susanne zitterte leicht.

Tränen rannen ihr über das Gesicht.

Sie hatte inzwischen nicht einmal mehr die leiseste Ahnung, wo sie sich eigentlich befand. Irgendwo, tief unter den Mauern von Schloss Eichenbach, dachte sie. Aber das Schloss war so groß...

Die Zeit verstrich quälend langsam.

Was soll ich nur tun?, dachte Susanne. Verzweiflung hatte sie gepackt.

Sie erreichte eine weitere Abzweigung und tastete sich um die Mauerecke herum.

Dann sank sie schluchzend zu Boden.

7

Susanne hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. In der absoluten Dunkelheit hatte sie das Gefühl dafür verloren. Aber irgendwann hörte eine Stimme zwischen den uralten Mauern widerhallen. Eine Stimme, die ihren Namen rief.

"Susanne!"

Sofort erwachten in ihr wieder die Lebensgeister.

"Wilfried!", rief sie. "Ich bin hier!"

Sie erhob sich. Dann hörte sie Schritte und wenige Augenblicke später sah sie den Schein einer Taschenlampe.

Der Lichtkegel wanderte suchend den Gang entlang.

"Susanne!", hörte sie Wilfrieds Stimme.

"Oh, Wilfried, ich hatte solche Angst..."

Wilfried nahm Susanne in den Arm und sie schmiegte sich an ihn.

"Susanne, was um alles in der Welt suchst du hier unten?"

"Ich weiß, was für eine Närrin ich war, aber..."

"Was glaubst du, was für Sorgen ich mir gemacht habe, als du nicht zum Essen erschienst..."

"Es tut mir leid, Wilfried. Aber als sich plötzlich die Geheimtür hinter dem Spiegel öffnete, da konnte ich einfach nicht widerstehen."

Ihre Blicke begegneten sich.

"Ich verstehe nicht, wie das geschehen konnte", murmelte Wilfried dann. "Johann hatte die Anweisung, sämtliche Zugänge zu den Geheimgängen zu verschließen... Die Gefahr ist doch viel zu groß, dass sich jemand verlaufen kann!" Wilfried nahm ihre Hand. "Komm jetzt", fuhr er dann sanfter fort. "Wir wollen froh sein, dass nichts passiert ist!"

Sie ließ sich von ihm den Gang entlangführen.

Warum hat er so heftig reagiert?, fragte sich Susanne. Nur aus Besorgnis um mich? Oder fürchtete er am Ende gar, dass man hier unten etwa finden konnte. Etwas, das Christianes Anschuldigungen vielleicht weitere Nahrung gab?

Susanne erschrak über ihre eigenen Gedanken.

"Was ist los?", fragte Wilfried, der ihre Verkrampfung durchaus wahrnahm.

"Nichts", behauptete sie.

Einige Augenblicke lang schwiegen sie, dann stellte Wilfried plötzlich fest: "Du hast über Christianes Anschuldigungen nachgedacht, nicht wahr?"

"Nun, vielleicht ein bisschen..."

"Bist du deswegen hier unten gewesen? Um zu überprüfen, ob nicht doch etwas an ihren Worten dran ist?"

"Wilfried!", stieß Susanne hervor. Sie wollte noch etwas sagen, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Hat er nicht im Grunde genommen recht?, ging es ihr durch den Kopf.

Wilfrieds letzte Worte hatten ungewohnt scharf geklungen.

In deutlich sanfterem Tonfall fuhr er nun fort: "Ich kann es dir nicht verdenken, Susanne. Vielleicht würde ich an deiner Stelle genauso handeln..."

"Ich vertraue dir!"

"Aber du zweifelst auch! Ich wünschte, ich könnte etwas tun, um dich wirklich zu überzeugen..."

"Das brauchst du nicht, Wilfried."

8

Später hörte Susanne zufällig ein Gespräch mit an, das Wilfried mit dem Kammerdiener Johann führte.

"Wie konnte es passieren, dass die Geheimtür hinter dem Spiegel zu öffnen war?", fragte Wilfried.

"Durchlaucht, ich habe keine Erklärung dafür. Ich war der Überzeugung, dass sämtliche Zugänge zu den Gewölben verschlossen sind!"

"Aber das waren sie ganz offensichtlich nicht!"

"Ich bin untröstlich!"

"Überprüfen Sie bitte noch einmal alle Geheimtüren... Ich möchte nicht, dass irgendjemand zu Schaden kommt."

"Sehr wohl..."

In den nächsten Tagen sprachen Wilfried und Susanne nicht mehr über den Vorfall. Wilfried und Susanne flogen nach Mailand, um für ein Kleid maßnehmen zu lassen, dass ein mit dem Haus Eichenbach befreundeter Modeschöpfer eigens für die Verlobungsfeier anfertigen würde.

"Hatten wir uns mit deinen Eltern nicht darauf geeinigt, dass wir eine Feier im kleinen Rahmen bevorzugen?", fragte Susanne später, als sie gemeinsam durch die Straßen Mailands schlenderten.

"Nun, der kleine Rahmen bezog sich doch nur auf die Zahl der Gäste - nicht auf die Qualität der Garderobe!", erwiderte Wilfried lächelnd. "Oder gefällt dir der Entwurf für das Kleid nicht?"

"Es ist ein Traum, Wilfried."

Er sah sie an.

"Du bist ein Traum, Susanne..."

Die junge Baroness genoss die Zeit, die sie in Mailand verbrachten. Sie fühlte sich freier und unbeschwerter, als in den Mauern von Schloss Eichenbach. Woran mag das nur liegen?, überlegte sie. Die Antwort lag eigentlich auf der Hand.

Der Grund für das Unbehagen, das sie auf Schloss Eichenbach mitunter empfand, trug einen Namen.

Komtesse Christiane von Buchenberg-Selm.

Ihre Anwesenheit wirkte wie ein dunkler Schatten, der Susannes Glück verdunkelte.

Sie kann nichts für das, was sie getan hat, hatte Susanne sich oft genug gesagt. Christiane war schließlich krank...

Aber der Keim des Zweifels war gelegt - und seine Saat drohte langsam aufzugehen.

Doch hier, in Mailand, konnte Susanne all das vergessen.

All das, was sich an düsteren Andeutungen um das Schicksal von Wilfrieds erster Verlobten herumrankte.

Als sie von dieser Kurzreise zurückkehrten, empfand sie ein Gefühl der Beklemmung, während sie die Mauern von Schloss Eichenbach in der Ferne auftauchen sah. Ferdinand, der getreue Chauffeur des Fürsten, hatte sie vom Flughafen abgeholt. Und als die dunkle Limousine nun in den Schlosshof einfahren wollte, da stand eine Gestalt unter dem Torbogen und versperrte den Weg.

Es war niemand anderes als Christiane.

Starr wie aus Stein gemeißelt stand sie da.

So als wollte sie verhindern, dass ich je nach Schloss Eichenbach zurückkehre!, durchzuckte es Susanne. Ferdinand stieg aus. Er versuchte die Komtesse mit beruhigenden Worten dazu zu bewegen, den Weg freizumachen.

Doch Christiane beachtete ihn nicht.

Ihr Blick war starr auf Susanne gerichtet.

"Kehren Sie nicht zurück, Susanne!", schrie sie dann. "Sie werden hier Ihr Unglück finden!"

Damit drehte sie sich um und ging eiligen Schrittes davon.

"Du darfst dem keine Bedeutung zumessen, Susanne... Sie ist nunmal so, wie sie ist - und daran wird vermutlich niemand etwas zu ändern vermögen. Die Ärzte, die sie bisher behandelten, haben in dieser Hinsicht jedenfalls wenig Hoffnung gemacht..."

Susanne atmete tief durch und nickte.

"Ja, ich weiß, Wilfried. Und dennoch... was diese Frau sagt, nagt an meinen Nerven."

"Das verstehe ich nur zu gut", gab der Sohn des Fürsten von Eichenbach zurück. "Ich habe versucht, mit Christiane zu reden, sie zur Vernunft zu bringen... Aber das war alles vergeblich. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, Susanne."

"Ja, ich weiß, Wilfried."

Ferdinand fuhr die Limousine jetzt in den Schlosshof hinein und hielt sie vor dem Portal an.

Er öffnete den beiden jungen Leuten die Türen. Und während sie die steinernen Stufen des Portals hinaufschritten, spürte Susanne, wie ein kalter Wind die Schlossmauern umwehte.

9

Die Vorbereitungen für die Verlobung liefen auf Hochtouren.

Susanne kehrte zwischendurch für ein paar Tage auf das heimatliche Gut des Barons von Radvanyi zurück, allerdings nur, um so bald wir möglich wieder nach Schloss Eichenbach zurückzukehren.

Denn erstens wollte sie nicht zu lange von Wilfried getrennt sein und zweitens war auf Schloss Eichenbach auch noch einiges im Hinblick auf die Verlobung zu tun - selbst wenn es sich nur um eine Feier im bescheidenen Rahmen handelte.

Wilfried begleitete Susanne auf Gut Radvanyi, stellte sich beim Baron und der Baronin vor und machte einen überaus positiven Eindruck auf Susannes Eltern.

Leider musste er schon am nächsten Tag zurückkehren, da seine Anwesenheit in den verschiedenen Unternehmungen seines Vaters vonnöten war.

"Bist du glücklich?", fragte Baronin Viola von Radvanyi ihre Tochter, während eines sonnigen Nachmittags, den sie im Schatten hochgewachsener Platanen an einem Teich verbrachten, der zu den Gartenanlagen von Gut Radvanyi gehörte.

"Oh, ja, ich bin sehr glücklich. Wilfried ist ganz bestimmt der richtige Mann für mich..."

"Ja, das glaube ich auch. Auf mich hat er einen ganz ausgezeichneten Eindruck gemacht..." Die Baronin musterte aufmerksam das Gesicht ihrer Tochter und fuhr dann fort: "Und dennoch scheint da irgendetwas zu sein, was du mir noch nicht gesagt hast... Als ob irgendein Schatten auf deinem Glück liegt..."

Susanne erschrak.

Ihre Mutter kannte sie gut. So gut, dass es ihr immer sehr schwer gefallen war, irgendetwas vor ihr geheimzuhalten. An kleinsten Regungen ihres Gesichts, am Klang ihrer Stimme und anderen, für andere kaum wahrnehmbaren Anzeichen konnte sie ihre Stimmung ablesen. Manchmal grenzte das beinahe an Telepathie.

Susanne wich dem Blick ihrer Mutter aus.

Was sollte sie ihr antworten?

Ihr vielleicht von den gemeinen Verdächtigungen einer seelisch Kranken berichten?

"Es ist nicht so wichtig", behauptete sie.

Aber das ließ die Baronin natürlich nicht durchgehen.

"Wenn es dich bedrückt, dann ist es auch wichtig", stellte sie klar.