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Die Schwaben und die Republik

Inhalt

Der Schwabe ist (nur) der Sündenbock

Prenzelberg, det is wie New York

Mir hent koi Geld, des liegt uf dr Bank

Sach bleibt Sach

Wer selber putze muss, macht wenig Dreck

Die Kehrwoche – der schwäbische Zen-Buddhismus

Oh du liabs Herrgöttle

Jetzt sei g’fälligscht glücklich, spricht der Herr

Jedermanns Liebling ist jedermanns Dackel

Von Heuss bis Joschka Fischer – Schwaben in der Politik

Zerscht d’Garage, dann erscht’s Haus

Schlag me’s Blechle, heiligs Blechle!

Anyway hoisst alleweil

Wer ons Schwoba maulfaul hoißt, hot ons nia veschpera seha

Wer will scho jede Nacht alloi sei?

„I mag di“ heißt „Ich liebe dich“

Laupheim meets Hollywood

Dr Oi ischt weltläufig, dr Ander verhockt

Gelbfüßler hier wie dort

Es gibt Badische und Unsymbadische

Danke dr Nachfrog – emmer gnueg Gschäft

Handwerker mit Visionen

Veigeleslyrik ond was mir ons sonst so z’ammereimet

Der Weltgeist schwätzt Schwäbisch

I gang lieber mit meim Hond schpaziere

Mr muass net überall dabei gwesa sei

Kartoffeschnitz ond Schpatze

Am Freidich wird dr Herrgott bschissa

Dr Schiller ond dr Hegel, dr Uhland ond dr Hauff …

Selbst die Musen sind solide

Ich möchte am liebsten fortgehn und bliebe am liebsten hier

Ade Albert!

Die Autoren

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Der Schwabe ist (nur) der Sündenbock

Prenzelberg, det is wie New York

Teufelskerle, diese Schwaben!

Ungehobelt sind sie alle

Und von grobem Schrot und Korn. Aber in den eck’gen Köpfen

Ist viel Weisheit aufgespeichert.

VICTOR VON SCHEFFEL

Als in Stuttgart die Bürger gegen den Ausbau des Hauptbahnhofs auf die Straße gingen, rieben sich viele Menschen in ganz Deutschland überrascht die Augen. Die Demonstrationslust im „Ländle“ hatte sich bis dahin stets in Grenzen gehalten. Der Schwabe demonstriert – so der Journalist Ulrich Kienzle – seit langen Zeiten „am liebsten in Festumzügen, als Narr der schwäbisch-alemannischen Fasnacht zum Beispiel. Da ist alles geregelt.“ Und auf einmal platzt den Schwaben der Kragen. Für viele war das Projekt schlicht größenwahnsinnig und – das vor allem – zu teuer. Zudem munkelte man, der Untergrund könne sich verändern. Die berühmten Stuttgart-Bad Canstatter Mineralquellen (nach Budapest weisen sie die mächtigste Schüttung in ganz Europa auf ) könnten versiegen, ja es könne zu Einbrüchen im Gestein kommen, sodass womöglich so manches Einfamilienhäusle in Halbhöhenlage in der Gefahr sei, plötzlich in einen Krater abzusacken. Die Protestbewegung fegte die schwarz-gelbe Regierung weg. Der sanfte Gymnasiallehrer Winfried Kretschmann wurde Ministerpräsident und gewinnt seitdem unaufhaltsam immer mehr Sympathien bei den Badenern und Schwaben.

Die Rebellion gegen Stuttgart 21 sollte das traditionelle Bild vom spießigen Schwaben gründlich verändern. „Jetzt war der ‚bhäbe‘, trollingerselige, Maultaschen mampfende Biedermann plötzlich zur Demonstrationsfurie geworden“, schreibt Kienzle.1Ein Polizist beschwerte sich bei seinem Vorgesetzten: „Ich hol grad mit meinem Schlagstock aus, das steht mei Tante Lina vor mir – mittla dren in dem Sauhaufe.“ Plötzlich galt die urschwäbische Maxime „Aushalten, Haushalten, Maul halten“ nicht mehr.

Tötet Schwaben!

Um die gleiche Zeit wurde auch in Berlin demonstriert. Durch die Prenzlauer Allee und über die Knaackstraße zogen Bewohner des Viertels zum Kollwitzplatz mit Plakaten, auf denen zu lesen stand: „Nach Stuttgart 634 km“, „Wir sind ein Volk, ihr seid ein anderes“ und „Schwaben nach Schwaben! Wir haben genug von euch Kehrwöchnern!“ Immer wieder skandierten die Demonstranten „Schwaben raus! Schwaben raus!“ Im Spätherbst 2012 gründete sich gar eine Gruppe mit dem Namen „Totaler Schwabenhass“ (TSH). Die Mitglieder sprayten Parolen wie „Schwaben abschlachten“ und „Tötet Schwaben“ an die Hauswände im Prenzlauer Berg.

Und dann fand die Antischwabenbewegung auch noch in Wolfgang Thierse einen prominenten Sprecher, als der sich aufregte, dass man in seinem Kiez statt Schrippen Weckle anbot. Die schwäbische Brezel ist längst heimisch in Berlin, auch wenn sie oft nach durchfeuchteter Pappe schmeckt, sobald sie älter als eine Stunde ist, und wurde deshalb von Thierse nicht erwähnt.

Ein Sturm ging durch Deutschland, als ob wir keine wichtigeren Themen hätten. Dass es zu dieser Aufregung kam, hat freilich Gründe, die man nicht in der nächsten Bäckerei oder beim samstäglichen Kehren des Bürgersteigs suchen muss.

Prenzelberg, det is wie New York!

Nach der sogenannten Wende änderte sich alles in Berlin. Die Stadt hatte jahrzehntelang bezahlten Urlaub vom Kapitalismus gehabt und dabei gut gelebt. Sie ließ sich genüsslich vom Bund und den Ländern subventionieren. Im Osten verfiel derweil fast die ganze Infrastruktur. Häuser verkamen, weil die niedrigen Mieten nicht genug einbrachten, um auch nur die notwendigsten Instandhaltungsarbeiten zu machen. Das Gleiche galt für Straßen und die öffentlichen Verkehrsmittel. Kaufen konnte man nur, was gerade angeboten wurde. (Unvergessen die Anekdote: Ein Ostberliner fragt in einem Kaufhaus: „Haben Sie keine Anoraks?“ Antwort: „Keine Anoraks gibt’s im Erdgeschoss, hier, im ersten Stock, haben wir keine Trainingshosen!“)

Plötzlich war alles anders. Das vereinigte Berlin übte eine ungeheure Anziehungskraft aus. Der Schriftsteller Jakob Arjouni beschrieb eine Facette des Umbruchs so: „Illusionsneurose! Metropole, Großstadt, internationales Flair – die Leute kommen aus Kleindingsda, haben sich die große Welt vorgestellt und hocken jetzt Hermannstraße Hinterhaus. Dann werden sie Säufer oder schwul, quälen sich in absurde Klamotten, lernen die Namen sämtlicher Barkeeper auswendig – und das alles nur, damit es, wenn die Cousine zu Besuch kommt, heißt: ‚Ick zeig dir ’n Prenzelberg, det is wie New York!“

Aber nach dieser ersten Welle kam die zweite. Leute, die es in die Metropole Berlin zog, die sich aber so etwas vorstellten wie Paris Saint Germain oder die Via Veneto in Rom. Das waren Westbürger mit Geld und einer Nase für gute Geschäfte. Sie kauften sich ein, investierten in Immobilien und suchten für sich selbst die spannendsten Wohnlagen aus. Manche zogen nach Kreuzberg, viele aber siedelten sich am Prenzlauer Berg an. Inzwischen ist Friedrichshain ein angesagter Bezirk und grade wird auch Nordneukölln gentrifiziert. Die Berliner Neubürger wollten beides: das wilde Leben einer brodelnden Hauptstadt mit ihren zahllosen Theatern, Clubs, Diskotheken, Kabaretts, Edelrestaurants und urigen Kneipen. Aber gleichzeitig wollten sie auch luxuriös wohnen und rundum Sauberkeit und Sicherheit. Die großen Berliner Wohnungen wurden entkernt und total renoviert. Die Menschen, die bislang in den Häusern gewohnt hatten, wurden nach und nach verdrängt. Schmerzlich mussten sie erfahren: Wer Geld hat, hat die Macht. Billigen Wohnraum gibt es in den von ihnen bevorzugten Vierteln kaum mehr. Dass nicht alle Neubürger aus Schwaben kamen, wird bei der Schwabenhatz am Prenzelberg übersehen. Die Württemberger müssen für alle herhalten, die sich in Berlin Mitte breit machen, egal ob es Rheinländer, Westfalen, Franken, Bayern, Schweizer oder Österreicher sind. Der Schwabe leidet pars pro toto!

Man kann Wolfgang Thierse schon verstehen. So viele Fremde treiben sich in seinem Revier herum. (Er selbst stammt übrigens aus Breslau!) Und viele von ihnen sind nun auch noch hier sesshaft geworden. Sie haben Hunderte von Millionen investiert, mit denen ganze Straßenzüge saniert wurden. „Aber“, schreibt Reinhard Mohr in der Zeitschrift Cicero, „ich kann mich überhaupt nicht erinnern, auf der Straße überhaupt je den schwäbischen Dialekt gehört zu haben – dafür aber ganz viel Spanisch und Italienisch, Französisch und Englisch. Apropos Straße: Auch von der Einführung der schwäbischen Kehrwoche ist hier so wenig zu sehen wie von korrekter Steuermoral in Griechenland. Im Edeka sehe ich Sophia Thomalla auf High Heels vor dem Milchregal, und auf dem Wochenmarkt begegnet mir Jürgen Trittin aus Göttingen. Letztens spazierte Alfred Biolek (Migrationshintergrund Köln) vorbei. Am Samstagnachmittag vereinen sich alle vor dem Irish Pub in der Husemannstraße, um Bundesliga zu gucken. Dann hört man viele Fachsimpeleien auf Berlinerisch, nicht nur von Hertha- und Eisern Union-Anhängern. Multikulti lebt!“

***

Und wieder einmal ziehen die Anti-Schwaben-Demonstranten mit ihren Spruchbändern und Plakaten um die Häuser im Prenzlauer Berg. Eine gut aussehende Schwäbin tritt den Schreihälsen entgegen. Sie kann ihre Herkunft nicht verleugnen und bietet frische Brezeln aus einem Korb an – selbst gebacken! „Hunger hätt ick ja …“, sagt einer der Demonstranten.

„Aber dit sind schwäbische Brezln!“, wendet ein Kumpel ein.

„Des will i moina! Original ond no warm!“, ruft die schwäbische Verkäuferin.

„Geh mir weg“, schreit einer der Demonstranten. „Wir kaufen nicht bei Schwaben!“

Da betritt ein zierlicher Mann in einem zerknautschten Anzug die Szene. „Weißt du eigentlich nicht, wo dieser Spruch herkommt?“

Der Schreihals schaut den alten Mann an. Seinen Anzug, einen Dreiteiler aus Tweed, der einmal teuer gewesen sein muss, ziert die Kette einer Taschenuhr, die im Westentäschchen steckt. Die schlohweißen Haare stehen wild vom Kopf ab. Über der Oberlippe bauscht sich ein mächtiger Schnauzbart. „He, Alter, sieh zu, dass du Land gewinnst!“, zischt der Demonstrant. Aber so leicht wird er ihn nicht los. „Das hieß einmal ‚kauft nicht bei Juden, und auch damals haben uns die Krakeeler auf der Straße geraten … – wie sagst du? – zuzusehen, dass wir Land gewinnen.“

Der kleine Demonstrationszug ist ins Stocken geraten. Um den kleinen Mann bildet sich ein Kreis. „Der redet von den Nazis“, sagt einer, „also von denen von damals, nicht von denen von heute.“ Ein Mädchen tritt näher. „Hör ma, so alt ist der doch gar nicht!“

Der alte Mann wendet sich an die Brezelverkäuferin. „Kann ich eine haben?“ „Gern!“ Sie reicht ihm das Gebäck und sagt: „Macht einen Euro fuffzig.“ Der alte Mann macht Anstalten zu bezahlen. „Wissen Sie denn, wie und warum die Brezel erfunden wurde?“

Die junge Frau schüttelt den Kopf.

„Ums Jahr 1255 hat sich ein Bäcker in Urach (heute Bad Urach) dem Herzog Ulrich gegenüber unbotmäßig benommen. Er hat ihn laut zum Teufel gewünscht, und dem Herrscher ist das zu Ohren gekommen. Der Bäcker wurde zum Tod verurteilt.“

„Kann der Typ nich ma uffhören, seine Stories zu erzählen?!“, raunzt der junge Mann, der den Erzähler schon zuvor angeschnauzt hat. Aber ein Kumpel herrscht ihn an. „Lass doch mal, Mann, ist doch interessant!“

„’n Märchenerzähler mitten aufem Kollwitzplatz. Ich glaub, ich spinne!“, motzt der Angesprochene.

Aber keiner hört mehr auf ihn. Eine seltsame Faszination geht von dem kleinen alten Mann aus, der jetzt fortfährt: „Aber da der Bäcker zuvor seinem Landesherrn gute Dienste geleistet hatte und seine Frau, die ihn sehr liebte, sich vor dem Herzog auf die Knie geworfen und herzerweichend um das Leben ihres Mannes gefleht hatte, sollte der Mann noch eine Chance bekommen. ‚Back einen Kuchen, lieber Freund, durch den die Sonne drei Mal scheint, dann wirst du nicht gehenkt, dein Leben sei dir frei geschenkt‘, soll Herzog Ulrich reimend verfügt haben. Der Bäcker hat vieles probiert und am Ende kam dabei die Brezel heraus. Ein anderer kam später auf die Idee, das Gebäck in Lauge zu tunken und unter großer Hitze knusprig zu backen.“ Der alte Mann wendet sich wieder an die Verkäuferin: „Was macht das?“

Die junge Frau strahlt ihn an: „Ich schenk sie Ihnen!“

Einer der Demonstranten sagt zu seinem Nebenmann: „Der Typ kommt mir irgendwie bekannt vor.“

„Ja und?“, gab der andere zurück, bekam aber keine Antwort.

„Was habt Ihr eigentlich gegen die Schwaben?“, fragt der alte Mann in die Runde. „Bist wohl auch einer!“, ruft der Krakeeler.

„Ich bin ein Weltbürger, aber ich will nicht verhehlen, dass ich in Ulm geboren wurde.“

„Na also, da hammer’s doch“, trompetet der junge Mann.

Der alte Mann lässt sich nicht beeindrucken. „Es gibt ja die These, dass schon Adam und Eva Schwaben waren.“

Gelächter brandet auf.

„Ja, wirklich. Die beiden waren doch richtige Schaffer. ‚Im Schweiße eures Angesichtes sollt ihr euer Brot verdienen‘, so oder so ähnlich sprach bekanntlich der Herr. Und ‚schaffen‘ bedeutet ja mehr als arbeiten oder malochen, es bedeute ja auch: Etwas schaffen. Auf Englisch: ‚To create‘, also etwas erschaffen, kreativ sein eben. Kein Landstrich hat mehr erfolgreiche Erfinder hervorgebracht als Schwaben.“

„Det bezweifle ick aber!“, ruft einer der Demonstranten.

Der alte Mann sieht ihm in die Augen. „Der Zweifel ist ein wichtiger Antrieb für jede Forschungstätigkeit. Zweifle ruhig, aber überprüfe deinen Zweifel, junger Freund!“

Im gleichen Moment ist der kleine, schnauzbärtige Mann verschwunden, wie er gekommen war. Aber irgendwie ist nun aus der Demonstration die Luft raus. „Ich geh nach Hause“, sagt der, der gemeint hatte, sich an den alten Mann erinnern zu können. „Ich muss endlich in meinem Physikum ein Stück weiterkommen!“

***

Es ist viel zu einfach, die Schwaben als Sündenböcke abzustempeln, nur weil in Berlin so vieles schief läuft. Tyll Schönemann, eine Zeit lang leitender Redakteur des Magazins Stern, heute freier Autor in Berlin, hat einen anderen Blick auf die Stadt und ihre Probleme: „In keiner vergleichbaren Großstadt Deutschlands ist der Kitt des gesellschaftlichen Zusammenhaltes so brüchig wie in Berlin, in keiner Stadt gibt es weniger Gemeinschaftsgefühl … Die Stadt ist einfach derart groß, dass es von allem zu viel gibt, weit über ein erträgliches Maß hinaus. Es gibt zu viele rechtsradikale Arschlöcher und zu viele linksradikale. Es gibt zu viele Arschlöcher mit Migrationshintergrund, die Respekt von jedem verlangen, ihn aber niemandem entgegenbringen. Es gibt zu viele Reiche, zu viele Arme, zu viele Verrückte, zu viel Schmerz, zu viel Glamour. ‚Nichts im Übermaß‘, riet schon vor 2500 Jahren der Athener Politiker Solon seiner Stadt und seinen Menschen, wenn sie glücklich leben wollten… Es war ja mal schön hier in der Aufbruchzeit“, meint Schönemann. „Aber wenn die Zeit des Aufbruchs kein Ende nehmen will und wenn man nicht im Geringsten ahnen kann, wo er überhaupt hinführen soll, muss man selbst aufbrechen.“

Viele Berliner werden Tyll Schönemann zustimmen, müssten dann aber auch einsehen, dass die Schuld an solchen Entwicklungen nicht einfach den Schwaben aufgeladen werden darf. So einfach sollte es sich niemand machen, und trotzdem tun dies viele Berliner.

Bei einem Besuch in Leipzig entdeckten wir Autoren dieses Buchs an einer Bushaltestelle vor dem Hauptbahnhof ein riesiges Graffito auf einer ansonsten leeren Plakatwand „Schwaben zurück nach Berlin“. Da mussten wir dann schon wieder herzlich lachen, wir armen Sündenböcke aus dem Schwabenland.

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Mir hent koi Geld, des liegt uf dr Bank

Sach bleibt Sach

Ist der Schwabe wirklich so geizig, wie alle von ihm glauben? Wird er deshalb auch immer wieder Opfer seines Geizes? Nein! Er will nur sein Geld nicht zum Fenster rauswerfen! „Geiz ist die hässliche Schwester der Sparsamkeit“, und Sparsamkeit gilt landläufig als Tugend, die wir sogar den Griechen und Spaniern nachdrücklich ans Herz legen. Und das tun nicht nur wir Schwaben. Der Bundesfinanzminister ist Badener.

Natürlich – es gibt viele Geschichten über die sprichwörtliche schwäbische Sparsamkeit. So ist zum Beispiel die Anekdote durchaus authentisch, in der ein Hausbesitzer seine Mieter bittet, die Treppe links rauf und rechts runter zu gehen, damit sich die Mitte nicht so abnütze. Und als ein Mann, dessen 89-jährige Tante gestorben war (Kommentar: „Da ischt d’Hebamm au nemme dra schuld!“), eine Urne für deren Asche aussuchen musste und sich für eine aus Glas entschied, weil diese die billigste war, hat er das so begründet: „Die nemme mr, d’Tante Lina hat scho zu Lebzeite am liebschte zom Fenschter naus guckt!“ Das soll auch derselbe gewesen sein, der seinem Neffen, als der konfirmiert wurde, eine Taschenuhr aus dem Familienerbe vermachen wollte. Als ihn seine Frau daran erinnerte, dass da „der kleine Zeiger immer am Achter hange bleibt“, soll er geantwortet haben: „No muess mr se halt vor de Achte verschenka!“

Einer der berühmten Dreierwitze geht so: Ein Berliner, ein Bayer und ein Schwabe sitzen in einem Biergarten. Plötzlich landet eine Fliege im Bierkrug des Berliners. Angeekelt ruft er die Bedienung und bestellt ein neues Bier. Kurz darauf landet eine Fliege im Bierkrug des Bayern. Der fischt das Insekt heraus und trinkt genüsslich weiter. Und weil es zu solchen Witzen gehört, hat plötzlich auch der Schwabe eine Fliege in seinem Bier. Mit spitzen Fingern holt er sie heraus, hebt sie vor die Augen und schreit sie an: „Spuck’s aus! Aber älles!“

Die Geschichte, dass ein Schwabe, der in eine Gletscherspalte gestürzt ist und nach Stunden von der Bergwacht gerettet werden soll, auf den Ruf von oben: „Hier ist die Bergwacht und das Rote Kreuz“ gerufen habe, „Mir gebet nix!“, ist von böswilligen Nachbarn der Schwaben frei erfunden worden.

Besonders hinterhältig ist die Legende, Schwaben seien Schotten, die wegen ihres Geizes aus Britannien vertrieben worden seien. Und der Fabrikant, über den gesagt wurde, er drehe jeden Pfennig, den er ausgeben müsse, so lange um, bis ein Kupferdraht daraus geworden sei, stammte aus Böhmen und hatte erst später eine Fabrik in Blaubeuren.

Ein junger Mann, der, wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, sein Studium in Tübingen begann, hatte mit Glück ein kleines, schmales Zimmer bei einer urschwäbischen Vermieterin gefunden. Sie ging jeden Morgen schon vor dem Frühstück einkaufen. Der Studiosus bat sie, ihm jeweils ein Weckle und 50 Gramm Wurst mitzubringen. Kurz vor Weinachten legte sie ihm ein Kuvert mit 34 Mark auf den Tisch. Völlig perplex fragte der junge Mann: „Wo kommt denn des Geld her?“ „Ha“, antwortete die Vermieterin, „ich hab statt dene 50 emmer bloß 30 Gramm kauft, und was ich dabei g’spart hab, auf die hohe Kante g’legt. Sie habet s ja gar net g’merkt. Und es ist doch ganz schö was zamme komme!“

Die Schwaben haben freilich die Sparsamkeit nicht für sich gepachtet und den Geiz schon gleich gar nicht. Es gibt überall Geizhälse! Auch in Berlin, Hamburg, München, Korschenbroich – und sogar in Frankreich, dem Land der Lebenskünstler! Warum hätte sonst Molière dort den Geizigen geschrieben, den übrigens Thaddäus Troll wunderschön ins Schwäbische übertragen hat: „Schöne Mädle werdet wüeschte Weiber, Sach bleibt Sach!“, so eines der Zitate daraus, oder „Von de Reiche kann mr s Spare lernen, von de Arme s Koche!“

Der exemplarische Geizhals, den Thaddäus Troll in seinem Stück Der Entaklemmer geschaffen hat, ist nur ein schwäbisches Pendant zu Monsieur Harpagon, jenem Franzosen, der in Molières Werk L’avare („Der Geizige“) die Hauptrolle spielt. Also kann niemand sagen, der Geiz sei nur eine schwäbische Eigenschaft.

In Trolls Version heißt der Geizige Karl Knaup. Schon kleine Gesten und Sätze verraten ihn. So sagt er, als einmal ein Trinkgeld fällig ist: „I dät dir ja gern was gebe, aber es ischt mir oms Geld!“ Und wie er von den anderen gesehen wird, zeigt am besten der Ausbruch seines Dieners Gottlieb, als der wieder einmal von seinem Chef fälschlicherweise des Diebstahls bezichtigt wird: „Dr Teifel soll de Geiz ond älle Geizhäls hole … älle, wo so bhäb sent, dass se en Furz verhebet, bis zwoi draus werdet.“

Der Fabrikant Knaup, der überraschend zu zehntausend Talern kommt, ist seinerseits ganz verzweifelt, weil er nicht weiß, wohin damit. Soll er’s bei einer Bank anlegen? Aber die hat schon sein ganzes Vermögen. „Wenn bei dera amol was passiert, no isch älles auf oimol he!“, jammert er. Als hätte er die Bankenkrise 2008 im Jahr 1875, in dem die Geschichte spielt, schon vorhergesehen. Soll er Aktien kaufen? „No goht mir’s wie dem Hurlebaus. Der hot em letzschte Johr Wirttebergische Vereinsbank zu hondertfuffzig kauft, ond jetzt send se no ganze hondertdreiadreißig wert. Wenn mir so a Bschiss passiert wär, tät i me glatt uffhänge. En da Kassaschrank schließe? Aber des nitzt au nix meh. Heutzutag nehmet die Schpitzbuaba jo de ganze Kasseschrank mit!“ Und dann kommt der große Seufzer, den man auch heute noch von so manchem Schwaben hören kann: „Oh, die arme Leit wisset gar net, was die Reiche für Sorge hent.“

Freilich: Was andere Geiz nennen, ist oft auch nur schiere Vernunft. Wenn man in Schwaben auf dem Land sein Häusle baut, helfen alle zusammen – einer der Gründe übrigens, warum es so wichtig ist, im Gesangsverein, im Sportverein, im Musikverein oder im Schwäbischen Albverein zu sein. Gemeinsam ist man halt immer stärker. Man könnte auch sagen, eine Hand wäscht die andere und billiger wird’s auf diese Weise sowieso. Ein richtiger Schwabe würde sich auch so verhalten, wenn er das Geld hätte und sein Haus problemlos schlüsselfertig bei einem Bauunternehmer bestellen und bar bezahlen könnte.

Übrigens das nur nebenbei: Im Saarland haben prozentual mehr Leute Haus- und Grundbesitz als in Baden-Württemberg, und im armen Stadtstaat Bremen ist die Sparquote pro Person höher als in Schwaben.

Es gibt überall Sotte und Sotte

Das mit den geizigen Schwaben ist also oft nur ein Vorurteil. Man unterstellt ihnen, sie würden so einladen: „Kommet nachem Kaffee, dass ihr zum Nachtessa wieder dahoim sei könnet.“ Das stimmt einfach nicht. So erzählte ein in der Bundeshauptstadt lebender Schwabe: „Neulich war ich bei einem echten Berliner eingeladen. Der hat eine halbe Flasche Weißwein aus seinem Kühlschrank geholt, hat mir a bessere Bodedecke in an Achtelesgläsle eingschenkt, die Flasche hat er dann wieder zugekorkt und in den Kühlschrank zurückgestellt. Zum Essen gab’s ein paar Kekse, deren Verfallsdatum irgendwann kurz nach der Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz gelegen haben muss. Die Flasche aus dem Kühlschrank hat er kein zweites Mal geholt.“

„Eine Woche später war ich in Tübingen eingeladen, und als ich nach der dritten Flasche Trollinger mit Lemberger, gröschtete Maultasche mit Salat und einem leer gegessenen Holzbrett voll Rauchfleisch und Bauernbrot gehen wollte, hat mein Gastgeber – Schwabe in der 16. Generation – gesagt: ‚Komm, mir machet no a Fläschle auf, und mei Frau bringt jetzt da Käs. Du wirscht doch ned hongrig ond durschtig vom Disch aufschtande wella?!‘“ Der Gast hätte sicher in Berlin auch diese Erfahrung machen können und umgekehrt hätte er natürlich auch in Schwaben auf einen echten Entaklemmer treffen können. Das beweist aber nur: Es gibt überall Sotte und Sotte, auch wenn’s bei uns in Schwaben vielleicht doch a paar mehr Sotte als Sotte gibt.

Und bei de Sotte gibt’s dann noch besonders geschäftstüchtige, die überall versuchen, einen Vorteil herauszuschlagen. Ein wohlhabender Weinhändler ging vor seiner Hochzeit zum einzigen Blumenhändler am Ort und bot ihm einen Deal an: „I han Angscht, mir kriaget zu onserer Hochzeit viel zu viel teure Bluame. Machet mr s doch so: Schicket Sie dene Leut die Rechnung ond mir koine Bloama, und dann machet mir halbe halbe.“

En Backstoikäs ond en Bibelspruch!

Gebhard Müller, der einstige Ministerpräsident von Baden-Württemberg und spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichts (1900–1990), wurde oft als besonders sparsam, also bhäb beschrieben. Er gilt als Erfinder der halben Brezel für Empfänge, und von ihm soll auch die Order gestammt haben, das Salz von den Brezeln zu reiben, damit die Gäste nicht zu viel Durst kriegten, weil sie dann den Getränken zu exzessiv zugesprochen hätten. Über Gebhard Müller erzählte man sich zu seiner Zeit als Verfassungsgerichtspräsident, ihm sei der Verbrauch von Klopapier in seiner Behörde zu hoch erschienen. Deshalb habe er entschieden, dass jeder Mitarbeiter seine Papierrolle im Büroschrank aufzubewahren und zur jeweiligen Verwendung mitzunehmen habe. Auf der Toilette gab es kein frei zugängliches Papier mehr. Das endete erst, als der Bundesjustizminister einmal zu Besuch war und auf den Korridoren immer wieder Richtern, Staatsanwälten und deren Mitarbeitern mit einer Klorolle unter dem Arm begegnet war.

Aber so etwas gab es nicht nur in den Sechzigerjahren in Karlsruhe. Im Juli 2011 entschied sich die Leitung des Landeskriminalamtes (LKA) Thüringen zu einer Großfahndung, nachdem immer wieder Toilettenpapier verschwunden war, und zwar in der Außenstelle des LKAs in Waltersleben bei Erfurt. Um den Klopapierdieb zu fassen, setzten die Fahnder Warensicherungsetiketten und eine dazugehörige Detektorschleuse ein. Selbst vor Kameraüberwachungen scheute man nicht zurück. Die Diebe wurden dennoch nicht ermittelt. Im November wurden alle technischen Überwachungen wieder abgebaut und die Jagd auf die Klopapierganoven abgebrochen. Gebhard Müllers Methode war da ungleich effizienter und – notabene – auch wesentlich billiger.

Den Eheleuten Müller wurde auch eine Anekdote angehängt, die man sich in Württemberg schon lange vor der Präsidentschaft des Urschwaben aus Bad Waldsee erzählt hat. Ein soigniertes schwäbisches Ehepaar ist zu einem festlichen Essen eingeladen. Die Frau sagt zum Gastgeber: „Bitte für mich ein Gedeck mit Serviette, für meinen Mann eins ohne. Er ischt nämlich koin Trialer.“ Das schwäbische Wort „Trialer“ kann man mit Suggel oder Sabberer übersetzen.

Man kann halt so manches sparen, wenn man nur ein Auge dafür hat. Das galt auch für einen Viehhändler aus Tübingen. Wenn er mit einem Bekannten essen ging, pflegte er zu sagen: „Bschtell du an Roschtbrota ond lass mi eidonka!“ Zum schwäbischen Rostbraten gibt es nämlich normalerweise eine fein abgestimmte Bratensoße, die man mit einem Stück Brot wunderbar aufnehmen kann. Thaddäus Troll, der solche Geschichten sammelte, fand auch jene: Ein Schwabe war bei einem frommen, sehr wohlhabenden Landsmann eingeladen. Als ihn ein Freund später fragte: „Ond? Was hat’s geba?“, antwortete der: „Was wird’s geba han: En Backstoikäs ond en Bibelspruch!“

Ein anderer Schwabe, der nach einem langen Abend in der Wirtschaft noch eine Flasche Wein mitnahm, die er sorgsam unter seinem Kittel, also seinem Jackett, nach Hause trug, stolperte, kaum dass er die Haustür hinter sich zugemacht hatte, und eine rote Lache breitete sich auf dem Boden aus. Da stöhnte der Schwabe: „Oh, liaber Gott, lass es Bluet sei!“

2005 war Stuttgart Gastgeber des Festivals „Theater der Welt“. Im Stadtteil Berg, gleich hinter den Mineralbädern, wurde eine moderne Siedlung gebaut, die schon bald den Namen „Olympisches Dorf des Theaterfestivals“ erhielt. Dort waren die Künstler aus aller Herren Länder untergebracht. Später wurde die Siedlung als preiswerter Wohnraum für Studenten, Alleinerziehende und auch für allein stehende ältere Menschen genutzt. Ein wunderbares Projekt. Dort wohnte auch eine japanische Theatertruppe. Eine der Schauspielerinnen war zu Fuß zur Straßenbahnhaltestelle „Mineralbäder“ gekommen und stand nun ratlos vor dem Ticketautomaten. Ein alter Mann, in kurzen Hosen und Badelatschen, der aus dem Mineralbad Berg kam, stellte seine Sporttasche neben der jungen Frau ab und fragte: „Hascht a Problem, Mädle?“ „Yes, I have a problem!“ Das Wort hatte sie verstanden. „Wo willst den hin? Also … äh … wo?“ Die Schauspielerin verstand auch diese Frage. „To the station“. „Bahnhof heißt des.“ Der alte Mann drückte die entsprechenden Tasten, warf Münzen ein, zog den Fahrschein und reichte ihn der Japanerin. Die kramte in ihrer Geldbörse und fragte: „How much?“ Der alte Schwabe strahlte sie an. „Nix! You are my guescht!“

Soll keiner sagen, Schwaben könnten nicht auch großzügig sein.

***

Lange hat es in Berlin nur sehr wenige schwäbische Gaststätten gegeben. Das hat sich freilich in den letzten Jahren geändert. „Hermanns Einkehr“, zum Beispiel, in der Emserstraße in Charlottenburg-Wilmersdorf, wird von einem früheren leitenden Daimler-Mitarbeiter geführt, bei dem es alles gibt, was das Schwabenherz begehrt. Schmaler ist das Angebot im „Maultäschle“ in der Charlottenstraße, beim Boulevard Unter den Linden gleich ums Eck. Linsen und Spätzle, Fleischkäs mit einem echten schwäbischen Kartoffelsalat und natürlich Maultaschen in allen Variationen werden dort in einem einfachen Ambiente gereicht. Sogar einen Ochsenmaulsalat kriegt man dort, den sich der Gastronom aus Schwäbisch Hall anliefern lässt.

Dort, im „Maultäschle“, isst gelegentlich auch unsere Brezelverkäuferin vom Prenzlauer Berg. Es ist gegen drei Uhr nachmittags. Die Leute, die in der Mittagspause hier rasch ihren Hunger stillen, sind schon weg, die Kaffeetrinker, die den Apfel- oder Zwetschgenkuchen des Hauses lieben, sind noch nicht da.

Die Brezelverkäuferin stellt ihren leeren Verkaufskorb ab und will zur Theke, um sich etwas auszusuchen, als plötzlich eine Stimme sagt: „Das ist ja ein Wiedersehen!“

Sie hebt den Kopf und entdeckt an einem der einfachen, hellen Holztische den alten Herrn im Tweedanzug, der seinen mächtigen Schnauzbart zwirbelt und sie aus listigen Äuglein fröhlich anblitzt.

„Hallo!“, sagt die junge Frau überrascht.