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Inhalt

Glas auf Stein

Le petit chou-chou

Leere im Herzen

Erdnah und vital

Überlebensmesser

Würdevoll und stolz

Auge in Auge mit ...

Überraschung

Nicht nur Kaviar

Großes Spiel

Tote Indianer

Hochsommer

Schwarze Mitte

Salz auf den Lippen

Der Duft des Lavendels

Millionenschwer

Süßes umsonst

Nasenbrand

Gelb, gelb, gelb ...

Ohne Schwarz

Sternennacht

Mapucho

Leidenschaft und Strafe

Deutsche Touristin gesucht

Entscheidung

Ein 100-Mio-Angebot

Der Hauch der Kunst

Im Zeichen der Melone

Honig und Oliven

Angriff

Die Seele ist es!

In Stein gemeißelt

Gesägtes Feuer

Eine Entdeckung

Die Jagd nach Geld

Glaube und Lüge

Saftiges Herz

Lila Schwertlilien

Aus mit lustig

Kühle Rache

Zu bunt!

Ausklang

 

»Ich werde die Sache in die Hand nehmen«, kündigte ich an und erhob mich. »Irgendwas ist da faul – ich hab ein Näschen dafür.«

»Mag sein«, meinte Thaler gelangweilt. »Wenn Sie mich fragen – ich halte die Geschichte für abgeschlossen. Mann erschießt Frau und sich selbst. Ganz alltägliche Geschichte.«

Er formte aus seiner Hand eine Pistole, richtete sie auf meinen Oberkörper, drückte ab, legte seinen Zeigefinger an den Mund und machte »puff«.

 

*

 

Ein Kollege, zwei Tote und drei Fragen beschäftigen die Journalistin Maria Grappa bei ihrem Aufenthalt in der Provence: Wem gehört der braune Hund? Ist das bisher unbekannte Gemälde von Vincent van Gogh wirklich echt? Und vor allem: Kann sie Antonio Cortez, ihrem neuen Liebhaber, vertrauen?

 

*

 

»Sie hat ein sympathisch-loses Mundwerk, eine Schwäche für schöne Männer und ein Näschen für kriminelle Machenschaften und deren Aufdeckung. Sie heißt Maria Grappa, ist Journalistin und arbeitet für Bierstadt.«

Rheinische Post

 

E-Book © 2013 by GRAFIT Verlag GmbH

Originalausgabe © 1999 by GRAFIT Verlag GmbH

Chemnitzer Str. 31, D-44139 Dortmund

Internet: http://www.grafit.de/

E-Mail: info@grafit.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagzeichnung: Peter Bucker

eISBN 978-3-89425-989-1

Gabriella Wollenhaupt

 

 

 

Zu bunt für Grappa

 

 

 

Kriminalroman

 

 

 

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Die Autorin

 

 

Gabriella Wollenhaupt, Jahrgang 1952, arbeitet als Fernsehredakteurin in Dortmund.

Als Kriminalschriftstellerin debütierte sie im Frühjahr 1993 mit Grappas Versuchung. Es folgten zahlreiche weitere Romane mit und ohne Grappa. Sämtliche Ermittlungen der rothaarigen Reporterin sind als E-Book lieferbar.

www.gabriella-wollenhaupt.de

 

Die Personen

 

 

(in alphabetischer Reihenfolge)

Antonio Cortez weiß um die Macht des Geldes

Albert Fournier bekommt, was er will

Maria Grappa erlebt unbekannte Leidenschaften

Peter Jansen bleibt als Einziger normal

Rosalie Marengo ebt in der Vergangenheit

Jean-Jacques Prébois liebt runde Sachen

Boris Thaler will alles und bekommt nichts

Joe Sterner steht auf der falschen Seite

Für Stefan, Thomas und Cathy – ohne die ich einen Teil des Buches nicht erlebt hätte. Das war im Juni 1998.

 

Und in memoriam Vincent van Gogh, dessen Worte jedes Kapitel des Buches einleiten.

Man hat eine ähnliche Scheu, mich ins Haus zu nehmen, wie man sich scheuen würde, einen großen zottigen Hund im Hause zu haben. Er kommt mit nassen Pfoten in die Stube – und er ist überhaupt so zottig und wüst! Allen läuft er in den Weg. Und er bellt so laut. Kurzum – er ist ein schmutziges Vieh.

Vincent van Gogh, Dezember 1883, in einem Brief an seinen Bruder Theo

Mancher trägt ein großes Feuer in seiner Seele, und nie kommt jemand, um sich daran zu wärmen; die Vorübergehenden bemerken nichts weiter davon als ein kleines bisschen Rauch, der oben aus dem Schornstein quillt, und dann gehen sie ihres Weges.

 

 

Glas auf Stein

 

 

Am Abend vor diesem Morgen setzte ich die Serie meiner Beobachtungen fort. Der Mann hatte die Rotweinflasche behutsam auf den Steintisch gestellt, die Frau trat zu ihm – in der Hand die beiden Weingläser. Ich hörte auch jetzt wieder das melodische Klingen, als Glas auf Stein traf.

Am Abend vor diesem Morgen hatte das Paar eines jener Gespräche geführt, die mir durch vertraute Gesten und harmonische Stimmlage seit Tagen bekannt waren. Niemals fiel ein unwirsches Wort, da war kein Satz, der nach Streit klang, ich hörte weder aufgeregte Töne, noch sah ich bedrohliche Bewegungen.

Meiner Beobachtungen müde hatte ich mich an diesem Abend ins Bett gelegt, doch im Morgengrauen schreckte ich plötzlich aus dem Schlaf auf. Es war die Stunde, zu der der Himmel sachte blaute, erste Lichter in den Häusern angeknipst wurden, frühe Vögel mit ihrem Lied begannen. Ein Hund bellte.

Der Schrei der Frau spaltete den Morgen in zwei schroffe Stücke. Dann fielen die beiden Schüsse.

Nach den ersten Ermittlungen der französischen Polizei hatte der deutsche Tourist seine Lebensgefährtin zunächst niedergeschlagen, ihr anschließend in den Kopf geschossen, sich den Lauf des Revolvers an den Schädel gesetzt und abgedrückt. Mord und Selbsttötung also. Die Suche nach dem Motiv gestaltete sich schwierig.

Ich horchte in der Nachbarschaft herum. Es gab keinen Abschiedsbrief, keinen Hinweis auf einen vorausgegangenen Kampf, nicht die Spur einer Meinungsverschiedenheit, die in dieser Katastrophe hätte enden können. Das Ferienhaus, das die beiden gemietet hatten, war sauber und aufgeräumt, sogar die Betten waren gemacht – recht ungewöhnlich für diese frühe Stunde. Die Kleider hingen ordentlich im Schrank, im Bad entdeckten die Ermittler eingeweichte Wäsche, im Kühlschrank Lammfilets in Olivenölmarinade und einen runden, göttlichen Käse in Eichenblättern namens Banon, den auch ich fast jeden Abend zum Dessert nahm.

Die Polizei informierte die deutsche Botschaft, die Leichen wurden fortgebracht und zwei Tage später erschien mir alles wie ein alptraumhafter Spuk, der in dieser von alten Geschichten und verwunschenen Ruinen geprägten Gegend durchaus einen Platz verdient hatte.

Was ich jedoch nicht begriff, war mein Interesse an den Toten. Ich hatte sie beobachtet, sogar ausgeforscht, ihnen gar nachspioniert bei ihren Spaziergängen im Dorf. Bei ihren Besuchen in Restaurants hatte ich mich am Nebentisch platziert, in Andenkenläden hinter Postkartenständern versteckt, um sie ungestört beobachten zu können. Niemals jedoch hatte ich etwas entdeckt, was dem Bild eines gewöhnlichen Touristenpaares widersprach. Meine Anteilnahme an den beiden lag also in mir selbst begründet, und das machte mich ein wenig konfus.

Sechs Tage nach dem Vorfall zogen neue Leute in das Haus gegenüber ein. Natürlich hatte der Besitzer eine gründliche Reinigung der Räume in Auftrag gegeben. Geschosse, die durch Münder in Gehirne gelangen, verursachen unschöne Spuren an Wänden und Möbeln.

Die neuen Mieter nahmen die Rolle der beiden Toten ein. Auch sie tranken abends Wein am Tisch aus Stein, auch sie sprachen freundlich und unaufgeregt miteinander.

Ein Vogel im Käfig weiß im Frühling sehr wohl, dass es etwas gibt, wozu er taugt, weiß sehr wohl, dass er etwas zu tun hat, aber er kann es nicht tun, was ist es doch? Er kann sich nicht recht erinnern, dann kommen ihm unbestimmte Vorstellungen, (...) dann prallt er mit dem Kopf an die Stäbe des Käfigs. Und der Käfig bleibt und der Vogel ist wahnsinnig vor Schmerz.

 

 

Le petit chou-chou

 

 

Ich dachte über eine vorzeitige Abreise nach. Der Urlaub in Südfrankreich hatte mir ohnehin nicht die Entspannung gebracht, die ich erhofft hatte. Wenn die Seele blockiert ist, helfen weder Sonne noch schöne Landschaften, noch der Kontakt zu freundlichen Leuten, die abends mit einem das eine oder andere Fläschchen Côte du Lubéron leeren. Eine Sinn- und Lebenskrise hatte mich voll erwischt.

Ich kletterte ein letztes Mal auf den Felsen, an dem das Dorf Saignon kauerte wie ein Vogel auf seinem Nest. Die Sonne hatte noch nicht ihre volle Kraft entfaltet. Meine Schritte scheuchten schlaftrunkene Vögel auf – sie ließen sich erschreckt über den Felssturz nach unten fallen, um mit der nächsten Luftströmung wieder nach oben gewirbelt zu werden. Ich hörte ferne Nachtigallen schluchzen und Stieglitze in den Mandelbäumen plappern.

Im Westen türmten sich bewaldete Kalkfelsen auf. Da oben war ein schönes Plateau mit Steineichen, Zystrosen, Lavendelfeldern und einer endlos erscheinenden Garrigue, aus der steinerne Ruinen und Rundbauten herauslugten.

Diese Landschaft prahlte nicht mit dem perfekten Winkel ihrer Zypressen zum Horizont, sie war nicht stolz auf den sanften Übergang des glatten Blaus ihres Himmels ins gekräuselte Grün des Waldes.

Ich atmete durch. Es wurde Zeit, an den Abstieg zu denken. Das Auto musste reisefertig gemacht, die Wohnung aufgeräumt und der Schlüssel abgegeben werden.

Merkwürdig, dass ich bisher nie jemanden zu dieser Stunde hier getroffen hatte. Das liegt an den Ferien, dachte ich, die Leute stehen spät auf und für die Einheimischen besaß eine Klettertour auf den Felsen schon längst keinen Reiz mehr.

Meine Schritte waren zögerlich auf dem Weg nach unten. Ich folgte dem leichten Bogen einer Mauer aus Naturstein, die so niedrig war, dass sie die Landschaft nicht den Blicken entzog.

Mit den Fingerspitzen berührte ich die Kräuter, die sich in den Ritzen der Steine angesiedelt hatten, zupfte einige Stängel ab, zerrieb sie zwischen den Fingern, sog den Duft ein, schloss die Augen.

Das Geräusch schreckte mich auf. Ein Knistern im Gebüsch. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück, die Mauer war in meinem Rücken. Ein riesiger hellbrauner Hund baute sich drohend vor mir auf. Sein Knurren ließ auf wenig gute Laune schließen und den unbedingten Willen, mich auf keinen Fall ungeschoren vorbei zu lassen.

Ich überlegte. Einfach weiter zu gehen erschien mir zu riskant, stehen zu bleiben hatte ebenfalls wenig Sinn. Mein Blick glitt durch die Gegend. Das Monster schien allein hier herumzustreunen, kein Herrchen oder Frauchen. Das Tier hatte noch nicht mal ein Halsband, geschweige denn eine Hundemarke. Wir waren schließlich in Frankreich auf dem Land, da wo sich kaum einer um Leinenzwang oder Hundesteuer scherte.

Der Abstand zwischen dem Köter und mir betrug etwa zweieinhalb Meter. An unser beider Körperhaltung hatte sich nicht viel geändert. Er fixierte mich, ich tat umgekehrt dasselbe. Er war kräftig, sein Fell war eine Melange von Dunkel- und Hellbraun, seine rechte Pfote fiel auf, denn sie war schneeweiß, der Übergang des hellen ins braune Fell war unregelmäßig gezackt. Doch die Farbe der Pranken machte mir weniger Sorgen als die langen Krallen der Bestie.

Wo gab es einen Fluchtweg? Die Mauer in meinem Rücken half mir nicht – ganz im Gegenteil. Einen Stock hatte ich nicht dabei, auch keine Jacke, die ich um meinen Arm wickeln konnte, so wie ich es beim Schäferhundetraining mal gesehen hatte. Außerdem gab mir niemand eine Garantie, dass mich das Biest nicht in die Waden oder in andere edle Teile meines Bodys biss.

Ich beschloss, es mit Reden zu versuchen. Das konnte ich schon immer gut. Du kannst jemanden tot quatschen – mir fiel einer von Peter Jansens Lieblingssprüchen ein. Jansen war mein Kollege und er hätte sich sicher krumm gelacht, mich in dieser ausweglosen Situation zu sehen. Also los!

»Ah, bonjour, mon petit chou-chou«, begann ich mit leicht zitternder Stimme. »Tu es si beau, tu es un très joli chien ...«

Es passierte nichts. Das Tier spitzte lediglich die Löffel.

»Tu es le plus beau chien du monde«, stammelte ich.

Jetzt knurrte er wieder, ich hatte wohl maßlos übertrieben mit meinen Schmeicheleien.

»Verpiss dich, du Pinscher«, bemühte ich meine Muttersprache. »Oder es passiert was.« Mein Ton war härter geworden.

Endlich ein Erfolg. Er stand auf die harte Nummer. Muss wohl ein Rüde sein, dachte ich, er hört auf knappe, eindeutige Befehle.

Das Tier legte sich nieder, den Kopf auf den Pfoten. Die gelben Augen blieben dennoch an mir haften.

Mutig trat ich einen Schritt vor. Sofort erhob sich der Hund, doch er knurrte nicht mehr.

Ich ging auf ihn zu, verfiel aber wieder in dieses dämliche ›Ah! Mon petit chou-chou‹, versicherte ihm nochmals, dass er der schönste Hund der ganzen Welt sei, dass er um Himmels willen ruhig bleiben sollte, dass ich eine bekannte Tierschützerin aus Deutschland sei, die regelmäßig Reportagen über Tierheime und geschlagene Hunde anfertigt, und so weiter.

Dann hatte ich das Tier überzeugt. Der Braune ließ mich vorbei, knurrte nicht mehr. Es handelte sich tatsächlich um ein männliches Tier. Ich behielt ihn im Auge, doch sein Interesse an mir schien zum Glück erlahmt. Ich atmete auf.

Noch mit weichen Knien durchschritt ich die engen Gassen. Verstohlen blickte ich mich um, ob der Hund mich hinterrücks zu überfallen drohte, doch chou-chou war nicht zu sehen. Guter Hund, mutige Grappa. Ich entspannte mich.

In den Straßen des Dorfes hatte das Leben noch nicht so richtig begonnen. Scheue Katzen kreuzten jetzt meinen Weg, auf einer Fensterbank hockten zwei schneeweiße Tauben, eine weiße löcherige Gardine wehte über mir.

Kurz vor meinem Ferienhaus brach ich ein paar Zweige Rosmarin ab und pflückte etwas Thymian aus einem Busch, der auf halber Höhe aus einer Steinmauer wuchs. Den Rest des Tages bereitete ich meine Abreise vor.

Es könnte leicht sein, dass mein Unbehagen in diesen Tagen mit einer Art Umschwung in der Arbeitsweise zusammenhängt, nach dem ich schon öfter gesucht und über den ich schon viel nachgedacht habe.

 

 

Leere im Herzen

 

 

Wieder zurück in Bierstadt vergaß ich die Sache mit den beiden Toten im französischen Steinhaus. Wenigstens zunächst.

»Von Erholung keine Spur«, kam ich der Frage meines Chefs Peter Jansen zuvor. Er hatte sich vor meinem Schreibtisch niedergelassen, in der Hand einen Becher Kaffee und vor sich die neueste Ausgabe des Bierstädter Tageblattes.

»Dann willst du dich also bei der Arbeit erholen?«, fragte er vorsichtig nach.

»Genau«, strahlte ich. »Ich kann ja wohl auf dein Verständnis rechnen, oder?«

Jansen grinste schief. »Eine Woche.«

»Was – eine Woche?« Ich verstand Bahnhof.

»Eine Woche hast du Schonfrist«, erklärte er. »Dann machst du dich an diese Serie.«

»Mon dieu, ce n'est pas vrai!«

»Es hilft dir gar nicht, wenn du auf Französisch fluchst«, blieb Jansen hart. »Du kannst dir nicht immer die heißen Geschichten unter den Nagel reißen. Gib dem Nachwuchs auch mal eine Chance.«

»Nachwuchs?« Ich lachte bitter auf. »Meinst du diesen aufgeblasenen Schnösel, der seit neuestem den Redakteurstitel tragen darf?«

»Ich weiß, dass du ihn nicht leiden kannst. Aber er muss sich noch die Hörner abstoßen. Seine Artikel sind brillant formuliert – das musst du zugeben.«

»Er ist nicht blöd«, räumte ich ein. »Doch der Junge hat einen großen Fehler. Er interessiert sich nicht wirklich für die Menschen, über die er ach so brillant formuliert. Sie sind ihm scheißegal. Intelligente Leser merken das.«

»Dass unsere Leser mit überdurchschnittlicher Intelligenz gesegnet sein sollen, konnten sie bisher prima verbergen«, grinste Jansen. »Aber ich gebe zu, dass ihm das Herzblut fehlt. Er ist hungrig, aber er hat keine Wärme. Willst du ihm nicht unter die Arme greifen?«

»Dem greif ich nirgends hin – noch nicht mal unter die Arme«, maulte ich. »Aber lass ihn die Story mit der Autoschieberbande ruhig machen. Vielleicht poliert ihm dann mal jemand seine arrogante Fresse. Oder boxt ihn aus seinem Armani-Anzug.«

»Ich wusste, dass du ihn eigentlich ganz gut leiden kannst«, frotzelte Jansen. »Er hat schon gefragt, wann du endlich aus Frankreich zurückkommst.«

»Vermutlich, um sich das Gift zu besorgen, mit dem er mich um die Ecke bringen kann«, mutmaßte ich.

»Vielleicht will er auch nur sämtliche Mandelhörnchen der Umgebung aufkaufen, um dich in der Hand zu haben.« Jansen schüttete sich aus vor Lachen.

»Dieser Thaler ist ein Arsch«, stellte ich freundlich fest. »Da wirst du auch noch drauf kommen.«

»Wann fängst du an?«

»Womit?«, stellte ich mich dumm.

»Grappa! Die Serie!«

»Nächste Woche. Ich muss mich vom Urlaub erholen – ehrlich.«

»Zu viel Alkohol? Zu viele Männer?«

»Keine Männer. Aber Alkohol stimmt. Schließlich war ich in Frankreich.«

»Du hast den Männern mal wieder abgeschworen?«

»Genau. Ich werde vielleicht lesbisch.«

»Du?« Jansen lachte. »Mit Frauen kommst du doch noch weniger klar als mit Männern.«

»Ist auch wieder wahr«, gab ich zu. »Was also soll ich tun?« Mir fiel meine Hundedressur-Nummer wieder ein. »Mit Tieren kann ich's neuerdings gut«, behauptete ich dann.

»Was?!« Jansen schreckte entsetzt hoch.

»Nicht das, was du denkst mit deiner schmutzigen Phantasie«, grinste ich. »In der Provence galt ich als Hundebändigerin erster Güte.«

Ich schilderte ihm meine Erfahrung mit le petit chou-chou, schmückte die Story allerdings noch ein bisschen aus, so dass mein Part wesentlich heldenhafter ausfiel.

»Du hast den Köter ohnmächtig gelabert«, schloss Jansen messerscharf, »das verkraften Männer natürlich nicht. Besonders die, auf die du normalerweise stehst. Diese oberflächlichen Schwätzer mit gutem Aussehen und der eleganten Leere im Herzen.«

»Ich will einen Jäger und bleibe immer wieder an einem Sammler hängen«, gab ich zu. »Vermutlich, weil's keine Jäger mehr gibt. Schlepp mir einen an und ich nehme ihn sofort. Egal, wie er aussieht.«

»Wahre Größe liegt sowieso im Verzicht«, dozierte mein Chef. »Arbeite und bete, Grappa! Wenn's ganz eng wird, kannst du ja auch eine Anzeige in der Zeit aufgeben. Unter Bekanntschaften.«

»Für das, was ich von einem Mann zurzeit haben will, reichen die St. Pauli-Nachrichten. Unterhalten kann ich mich mit mir selbst und aufwachen will ich morgens nur noch neben mir. Vielleicht versuch ich's wirklich mal mit einem netten Haustier. Das ist mit Dosenfutter zufrieden, stellt keine dummen Fragen und trinkt mir meinen Wein nicht weg.«

Jansen prustete los, ein paar Kaffeespritzer landeten auf dem Zeitungsstapel auf meinem Schreibtisch.

»Und jetzt raus hier«, sagte ich. »Ich muss meine Post durchsehen und ein bisschen aufräumen. Und dann überlege ich mir ein Konzept für diese verdammte Serie.«

Auf meinem Schreibtisch konkurrierten ungelesene Zeitungen und verschlossene Post miteinander. Ich begann die Blätter der vergangenen Tage zu überfliegen, um auf dem Laufenden zu sein. Während meines Urlaubs war in dieser Stadt nicht viel passiert. Der Wahlkampf hatte begonnen, die örtlichen Kandidaten hatten plötzlich wieder Interesse an denen, auf deren Stimmen sie erpicht waren. Um diese Leute sollte sich auch jene elende Serie drehen, die mir Jansen aufs Auge gedrückt hatte. Ich sollte menschlich-sensible Porträts der Wahlbewerber stricken. Das hieß, in den nächsten Wochen in Unehrlichkeit, Eitelkeit, Geltungstrieb, Dummheit und Arroganz umherzuwaten. Manchmal hasse ich meinen Beruf.

Schlecht gelaunt schubste ich meinen Kaffeebecher beiseite, prompt fiel er um und die Brühe ergoss sich über die Zeitungsseite, die ich gerade las. Ich versuchte, den Fluss des Kaffees mit einem Papiertaschentuch zu stoppen – und stutzte plötzlich. Mein Blick war auf eine Notiz gefallen, die als Einspalter unten links eingeklemmt war. Hastig tupfte ich den Kaffee auf.

Tragödie in der Provence – stand da. Darunter wurde über den Tod eines gewissen Theodor Kolatschke und seiner Lebensgefährtin Isadora Neumann berichtet. Die Meldung war knapp und an Fakten orientiert geschrieben. Die schnörkellose Sprache des Berichtes brachte in meinem Kopf das Klingen der Rotweingläser zurück und den Klang vertrauter Gespräche in nach Ginster duftender Luft. Alles war schon wieder so weit weg gewesen, verschwommen in dubioser Erinnerung. Um nicht zu sagen: erfolgreich verdrängt.

Ich las die Meldung noch einmal. Wer waren Theodor Kolatschke und Isadora Neumann? In dem Zeitungsbericht stand nichts darüber. Auf jeden Fall mussten sie aus unserer Gegend stammen, sonst hätte unser Blatt den Tod der beiden nicht zur Kenntnis genommen.

Schnell sah ich meine Post durch. Neben den üblichen Beschimpfungen, die sich auf meine respektlosen Artikel bezogen, gab es Schreiben von Menschen, die mir ihre Lebensgeschichte gegen Geld zur Vermarktung anboten – von dem seit zwanzig Jahren gegen Kliniken prozessierenden Frührentner bis zu der Versicherungsangestellten, die es in ihrem vierzigjährigen Leben auf rund achtzig Männer gebracht hatte. Das war wirklich eine stramme Leistung! Ich rechnete durch – und kam für mich gerade mal auf fünfzehn. Irgendwas ist in deinem Leben schief gelaufen, Grappa, dachte ich und griff zum nächsten Brief.

Er war von einem Mann, der in der Computerbranche arbeitete und meine Artikel brillant fand. Geschmeichelt las ich weiter und stockte: Mein gutes Stück ist 22,5 Zentimeter lang, stand da in blassblauer Schrift, bisher waren alle Frauen überrascht bis irritiert. Ich hoffe, Sie sind mutiger. Ich suche eine ›liaison dangereuse‹ zu einer Frau wie Ihnen.

Im letzten Satz des Briefes stellte er dann die Zusendung eines aussagekräftigen Fotos in Aussicht. Ich überlegte gerade, welcher Körperteil auf dem Foto wohl abgebildet sein würde, als es klopfte.

Es war Boris Thaler, der Nachwuchsschreiber, der scharf auf meine Storys war.

»Hallo, Frau Kollegin«, begann er. »Ich hoffe, Sie hatten einen erholsamen Urlaub.«

Er war noch keine dreißig, dunkel und groß, eine Spur zu mager, sah aber überdurchschnittlich gut aus. Die braunen Augen waren von langen Wimpern eingezäunt, das Kinn war ein bisschen zu lang, der Mund zu rund und zu klein, die Mundwinkel trugen jenen arroganten Zug, der in der Jugend hinreißend wirkt, im Alter jedoch Menschenverachtung und bösartigen Zynismus widerspiegelt. Sein Leben würde ihm nichts schenken. Und die Menschen darin auch nicht.

»Was liegt an?«, zickte ich. Ich spürte die Unmutsfalte zwischen meinen Augenbrauen.

»Herr Jansen meinte, dass Sie mir vielleicht Tipps geben könnten, wie ich an den Kopf der Autoschieberbande herankomme«, stammelte er.

»Sie sind doch der Überflieger mit der großen Klappe«, erwiderte ich grob.

»Ich dachte nur ...« Boris Thaler stockte und setzte den ›Bin-ich-nicht-ein-braver-Junge?‹-Blick auf.

»Hören Sie mal zu, junger Mann«, dozierte ich. »In diesem Beruf ist jeder des anderen Konkurrenten. Jede Story, die ich schreibe, können Sie nicht verderben. Und die Sachen, an denen Sie dran sind, sind für mich tabu. So einfach ist das.«

»Ich dachte, es gäbe so etwas wie Kollegialität«, widersprach Boris Thaler. »Immerhin haben Sie mehr Erfahrung als ich. Ich habe alle Ihre Geschichten der letzten Jahre gelesen und ich finde sie außergewöhnlich gut.«

Nicht schlecht, dachte ich anerkennend, der clevere Junge hat immerhin begriffen, dass ich für Schmeicheleien ziemlich anfällig bin. Und diesmal war es ein ›Du-wirst-mir-doch-wohl-nicht-widerstehen-können?‹-Blick, der mich traf.

»Natürlich sind meine Storys genial«, gab ich unumwunden zu. »Und jetzt sagen Sie mir einen Grund, warum ich Sie an meiner Genialität teilhaben lassen sollte? Ich kann Sie noch nicht mal gut leiden.«

Thaler schwieg.

»War sonst noch was?«, fragte ich.

»Schade«, sagte er hart. »Ich kann Sie übrigens auch nicht ausstehen. Sie sind unkollegial und arrogant und haben noch nicht begriffen, dass Ihre Zeit längst abgelaufen ist.«

Seine Augen hatten noch eine weitere Variante drauf: den ›Komm-mir-nicht-so-du-dämliche-Ziege‹-Blick.

Ich revanchierte mich mit einem müden ›Nerv-mich-nicht-du-Schnösel‹-Gucker.

»Prima«, strahlte ich dann. »Jetzt sind die Fronten wenigstens geklärt. Einen schönen Tag noch! Und machen Sie die Tür zu – aber von außen.«

Was soll man tun? Das Feuer im Innern erhalten, das Salz der Erde in sich tragen, geduldig – und doch wie ungeduldig – warten, warten auf die Stunde, da irgendwer kommt und sich niederlässt – da bleibt – was weiß ich?

 

 

Erdnah und vital

 

 

»Was hast du mit dem armen Jungen gemacht?«, fragte Jansen, als wir eine Stunde später das Mittagessen beim Italiener nebenan einnahmen.

»Nicht der Rede wert«, murmelte ich und drehte die Pfeffermühle über meinem Carpaccio. »Ich mag nur keine Männer, die so eitel sind, dass sie kaum laufen können.«

»Alles nur Unsicherheit«, wandte Jansen ein. »Er versucht in diesem Beruf Fuß zu fassen. So warst du in dem Alter auch.«

»War ich nicht«, widersprach ich. »Ich habe meine Kohle nicht für rahmengenähte Schuhe und Designerjeans ausgegeben, sondern für Greenpeace und die Rettung von Nordseerobben. Außerdem – willst du mir das Essen verderben?«

»Okay«, gab er nach. »Was wirst du heute tun?«

»Nicht viel. Ich habe meine Post durchgesehen und ...« Ich stockte, dachte an die beiden Toten in der Provence. »... ich bin auf eine interessante Meldung gestoßen. Sie handelte von zwei Touristen, die in der Provence ums Leben kamen. Theodor Kolatschke und Isadora Neumann. Er hat sie erschossen und dann sich selbst.«

»Was interessiert dich daran?« Jansen schob das Pizzabrot in den Mund, das er zuvor mit Mascarpone-Kräutercreme bestrichen hatte. Eine irre leckere Angelegenheit.

»Ich habe die Schüsse gehört«, erzählte ich, »irgendwann früh morgens. Die beiden hatten das Ferienhaus gegenüber von meinem gemietet. Komisch, nicht?«

»So ein Zufall«, wunderte sich auch Jansen.

»Weißt du mehr über die Sache?«

Der Kellner brachte Perlhuhn-Brust an Ruccola-Salat und goss den Pinot grigio nach.

»Nö«, kaute Jansen. »Die Sache hat Thaler recherchiert. Frag ihn.«

»Auch das noch«, stöhnte ich. »Bevor ich den frage, recherchiere ich die Sache lieber von Anfang an selbst. Weißt du wenigstens, was die beiden so gemacht haben?«

»Er war Antiquitätenhändler – soviel ich weiß. Kein Trödel, sondern Hochklassiges. Gibst du mir mal das Salz?«

Ich reichte ihm das Gewürz. »Und sie?«

»Keine Ahnung. Seine Lebensgefährtin vermutlich.«

»Warum haben die sich wohl umgebracht?«, sinnierte ich. »Die Provence war so schön, so warm und sanft, so voller Licht und Leichtigkeit. Eine Landschaft zum Leben und nicht zum Sterben. Ich verstehe das nicht.«

»Grappa! Die Sache hat dich ja richtig mitgenommen.«

»Du hast Recht.«

»Warst du mit den Leuten befreundet?«

»Nein. Ich habe nie ein Wort mit ihnen gesprochen. Ich habe sie nur beobachtet. Frag mich nicht, warum ich das getan habe – ich weiß es selbst nicht.«

Nachdenklich stocherte ich in dem Ruccola-Salat herum, er schmeckte plötzlich bitter. Ich schob den Teller weg.

Wir schwiegen eine Weile. Ich trank den Wein, stellte das Glas anschließend auf den Tisch zurück. Es war ein völlig anderes Geräusch als der Klang des Kelches auf dem Steintisch vor wenigen Tagen, irgendwie zivilisierter und distanzierter, nicht so erdnah, warm und vital.

»Geht es dir gut?« Jansen hatte die Verwandlung, die sich in mir vollzogen hatte, beobachtet.

»Kein Grund zur Sorge«, beruhigte ich ihn. »Ich brauche nur ein bisschen Zeit, um mich wieder zu fangen. Hier ist alles so anders. Vertraut und doch fremd.«

»Lass dir Zeit«, sagte Jansen warm. »War sonst noch was Wichtiges in deiner Post?«

»Ja«, grinste ich. »Ein Leser will eine so genannte liaison dangereuse mit mir eingehen.«

»Was will er?«

»Das heißt soviel wie eine ›gefährliche Beziehung‹«, erklärte ich.

»Gefährlich? Ist doch genau das Richtige für dich.«

»Er behauptet, dass sein Schwanz 22,5 Zentimeter lang ist.«

Jansen verschluckte sich an dem Wein und begann zu husten. Ich klopfte ihm auf den Rücken.

»Du erlebst Sachen!«, keuchte er dann. »Ich hoffe, du hast den Brief gleich weggeworfen.«

»Nicht sofort«, gestand ich und grinste. »Erst hab ich mein Lineal aus der Schublade genommen.«

»Grappa!«

Unter manchen Umständen ist es besser, der Besiegte zu sein als der Sieger, zum Beispiel lieber Prometheus als Jupiter.

 

 

Überlebensmesser

 

 

Um Zeit zu sparen, beschloss ich, meine Abneigung gegenüber Boris Thaler zu überwinden. Ich klopfte an seine Zimmertür, trat sofort ein und ertappte ihn dabei, wie er gebannt in einen Handspiegel schaute.

»Wenn Sie weiter so gucken, werden Sie sich noch selbst schwängern«, warnte ich gutherzig.

»Ich habe einen Mitesser auf der Nase«, klagte er.

»Sie sollten sich krankschreiben lassen«, riet ich. »Oder legen Sie sich unter die Guillotine, dann ist der Pickel auch weg.«

»Sehr witzig.« Er schaffte es tatsächlich, sich ein müdes Grinsen herauszuschrauben.

»Was führt Sie zu mir, Frau Grappa?«, näselte er. »Ich nehme an, dass Sie sich bei mir entschuldigen wollen.«

»Darauf würde ich nicht wetten.«

»Was ist es dann?«

Thaler steckte den Handspiegel in ein schwarzes Täschchen zurück. Ich erblickte darin Kamm, Haargel und ein besseres Herrenparfum.

Verkehrte Welt, dachte ich, in meinem Kosmetiktäschchen gaben sich nur ein einzelner Lippenstift und ein Schweizer Überlebensmesser ein Stelldichein.

»Tragödie in der Provence«, zitierte ich. »Der Artikel ist doch von Ihnen. Sagt Jansen jedenfalls.«

»Wollen Sie einen Apfel?«, fragte Thaler und reichte mir die Frucht.

»Lieber nicht«, wehrte ich ab. »So hat's im Paradies auch angefangen. Und das Ergebnis kennen wir ja.«

»Was wollen Sie über den Fall wissen?« Endlich wurde er geschäftsmäßig.

Ich sah mich in seinem Büro um. An der Wand hing ein Kalender mit PS-starken Sportwagen, ein Filmposter, das eine gestylte Blondine zeigte, und ein Foto von Egon Erwin Kisch, dem Altmeister des Reportage-Journalismus. Ein kleines Wunder, dass Thaler den überhaupt kannte.

Wahrscheinlich wirft er mit Pfeilen auf ihn, dachte ich, konnte aber trotz genauen Hinsehens keine Löcher erkennen.

»Wer waren die beiden?«

»Kolatschke besaß eine Reihe von Antiquitätenläden, seine Lebensgefährtin fungierte als Geschäftsführerin.«

»Warum haben die beiden das getan? Finanzielle Probleme? Partnerschaftskrise?«

»Keine Ahnung.« Boris Thalers Schultern zuckten in der Joop-Jacke. »Ist das wichtig?«

»Vielleicht.«

»Warum?«, fragte er ohne Verständnis.

»Mich interessieren solche Tragödien. Ich habe was übrig für Menschen und ihre Schicksale – aber das ist Ihnen wohl fremd, was?«

»Unterschätzen Sie mich nicht«, unterlief er meine Provokation. »Ich habe natürlich ebenfalls versucht, etwas herauszubekommen.«

»Und? War der Versuch von Erfolg gekrönt?«

»Ich bin zu dem Haus der beiden gefahren«, berichtete Thaler. »Dort war die Polizei. Es gab nichts Außergewöhnliches. Bis auf ...« Er stockte.

»Bis auf ...?«

»Vor dem Haus standen Kleidersäcke. Für die Altkleidersammlung.«

»Und?« Ich wurde ungeduldig.

»Ich wartete, bis die Polizei verschwunden war. Dann hab ich die Sachen durchsucht.«

»Was haben Sie gefunden?«