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Frank Göhre

 

Die toten Augen vom Elbstrand

Copyright der eBook-Ausgabe © 2013 by Hey Publishing GmbH, München.

 

Originalausgabe ©1999 by Hamburger Abendblatt in der Reihe Schwarze Hefte erschienen, herausgegeben von Volker Albers.

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Autorenfoto: © by privat

ISBN: 978-3-942822-78-7

 

Die toten Augen vom Elbstrand ist der achte Band der Krimireihe hey! shorties. Jede Folge ist in sich abgeschlossen. Eine Auflistung der bereits erschienenen Titel befindet sich am Ende dieses eBooks.

 

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Die toten Augen vom Elbstrand

 

Wehe, wenn er losgelassen! Der wenig erfolgreich in die ewige Verdammnis verbannte Psychopath Dr. Mabuse hinterlässt eine grün-gleißende Spur des Todes in den Straßen Hamburgs und hat dabei nur eines im Sinn: Auge um Auge …

 

»›So was hab ich noch nie gesehen‹, sagte der Pathologe und schlug das Laken zurück. Er zeigte auf das Gesicht der Leiche. ›Sieh dir diese Augen an, die Augäpfel. Wie zerschmolzen. Unglaublich. Eine einzige glibberige Masse.‹«

Dr. Mabuse ist zurück! Das durchgeknallte Verbrechergenie mit einem ausgeprägten Hang zum Größenwahn sinnt nach tödlicher Rache. Dass ihn sein teuflischer Plan nach Hamburg führt, dass Kriminalhauptkommissar Paulsen die mysteriösen Morde untersucht, dass eine schöne junge Frau die Hauptverdächtige ist – all das ist reiner Zufall.

Sicher? Oder hat Mabuses Wahnsinn am Ende vielleicht doch Methode?

 

»Die toten Augen vom Elbstrand« ist der achte Band der Kurzkrimi-Reihe hey! shorties – Augen auf!

Mabuse, gerichtet, bekam das Übergewicht und stürzte über Wenk hinüber in die Tiefe, die ihn gleich begrub.

Norbert Jacques, Dr. Mabuse, der Spieler

(1921/22)

 

 

Staatsanwalt von Wenk und Gräfin Told, die sich aus der Gewalt Dr. Mabuses befreien konnten, wurden ein Paar. Dr. Mabuse aber versteinerte tief unten in der Hamburger Kanalisation, bis er jetzt wieder erweckt wurde …

Wer aber kann den nun als Dr. M. A. Buse agierenden »tyrannischen Übermenschen« endgültig vernichten?

Wer das verlor,

was du verlorst,

macht nirgends halt.

 

Friedrich Nietzsche

 

 

Hamburg, in diesen Tagen.

In einer dieser Nächte, die nicht enden sollen. Sagt sich Jenny und legt den Kopf weit zurück. Ihr langes, blondes Haar flattert im Fahrtwind. Es ist nach Mitternacht, weit nach Mitternacht. Rave dröhnt aus den Boxen des offenen Alfa. Ein DJ-Mix. Big City Feeling.

Der silbergraue Flitzer schießt auf die Große Elbstraße zu. Drüben die Werft. Blohm + Voss.

Die Silhouetten der Kräne.

Die Container.

Der Containerhafen.

Der. Die. Das.

Jenny sagt, that’s great. That’s fine. That’s nice.

Jenny aus New Jersey. Mit eingepasster Spirale und Zahnseide unterwegs. Neu an der Hamburger Uni. Eingeschrieben bei den Germanisten.

Bewohnt eine von der in Amerika eingebürgerten Mutter Ines finanzierte Dachgeschosswohnung am Müggenkamp. Eimsbüttel. Terrassenausblick.

Very nice. Very nice little town.

Sven nimmt die Hand vom Lenkrad. Er legt den Arm um Jennys Schultern, lächelt sie an. Das ist seine Nacht. Seine erste mit ihr allein. Mit Jenny, dem sauber geschrubbten American Girl. Süß wie Ahornsirup, glaubt Sven zu wissen. Er ist irre gut drauf.

Doch Jenny wird von einem anderen erwartet.

Sven weiß es nicht, und Jenny weiß es auch nicht. Noch nicht.

Kleine Wellen flatschen an die Mauern des Hafenbeckens, an Moos bewachsenen Stein. Seit Ewigkeiten glitschnass.

»Yeah!«, ruft Sven und bremst den Wagen ab. Er parkt ihn dicht am Straßenrand und greift nach Jennys Hand. Läuft mit ihr zur efeubewachsenen Mauer rüber, dem Gittertor. Es hängt lose in den Angeln. Sven drückt es auf.

»Okay, alles bestens.«

Sven steigt vor Jenny die Sprossen hinab in den Schacht. Runter in die Kanalisation. Ein niedriger Gang. Spärlich ausgeleuchtet.

Hamburg tief unten.

»Geheim«, flüstert Sven der weizenblonden Jenny ins Ohr. »Geheim.« Er streicht verlangend über ihren Rücken, über ihr eng anliegendes Kleid. Schwarze Seide aus Sri Lanka. Perfekter Schnitt. Wahnsinn! Gedämpft ist Oriental-Dub zu hören. Elektronische Halleffekte zu harten Trommelrhythmen. Schrille Melodien. Acid Queen.

Es ist feucht. Es wird kälter. Die Schatten flackern auf vermoderten Wänden. Abzweigungen in stockfinstere Röhren. Tropfendes Wasser. Ein Gluckern und ein undefinierbares Schnappen. Kloakengeruch. Kratzgeräusche in Nischen.

»Wow!«, haucht Jenny. Sie hat ein Ziehen im Bauch, einen flachen Atem und Achselnässe.

Sven schmiegt sich an sie. Geil.

Er ist geil wie nichts. Geil auf sie. Auf ihren Fitness-Studio-Body, sonnenbankgebräunt.

Come on, Baby, let me do. That’s nice.

Come on!

Jenny dreht sich weg. Sie lacht verhalten. Lacht ein Teenagerlachen. Ein pubertäres Lachen.

Okay, sagt Sven sich. Er versichert sich flüchtig der Pillen in seiner Calvin-Klein-Jeans. Grinst. Wird schon noch. Kein Stress, nur kein Stress. Erst einmal auf Speed, wird es auch bei ihr tierisch abgehen. Er winkt das Cheerleader-Girl nach rechts. In einen schmalen Seitengang. Jenny geht vor. Ein, zwei Schritte, tastend.

Da blitzen aus dem gruftigen Dunkel zwei grau-grüne Punkte auf. Dicht nebeneinander. Ein Augenpaar im verwitterten Stein. Funkelnd. Stechend.

Jenny erstarrt. Die Luft gefriert.

Grün, grün. Giftig grün.

Sven tritt zu ihr heran. Er will etwas sagen. Öffnet den Mund.

Die grünen Punkte schießen auf ihn zu.

Treffen, explodieren in gleißendem Weiß. Mit unsäglichem Schmerz.

Sven stürzt neben Jenny zu Boden.

Sein Schrei erstickt. Und Jenny …

 

So was hab ich noch nie gesehen«, sagte der Pathologe und schlug das Laken zurück. Er zeigte auf das Gesicht der Leiche. »Sieh dir diese Augen an, die Augäpfel. Wie zerschmolzen. Unglaublich. Eine einzige glibberige Masse.«

Kriminalhauptkommissar Paulsen trat näher heran. Der Tote war in den frühen Morgenstunden in unmittelbarer Nähe eines weiteren Opfers am Elbstrand bei Ovelgönne entdeckt worden. Er war ein ansonsten gut aussehender junger Mann. Der bei ihm sichergestellte Personalausweis wies ihn als Sven Jacobs aus, Jahrgang sechsundachtzig, wohnhaft in der Hochallee. Auf seiner Visitenkarte stand Producer.

Paulsen nickte nachdenklich.

»Bei der anderen auch?«, fragte er.

»Nur die Augen«, bestätigte der Mediziner. »Das hat vermutlich bei beiden zu sofortigem Herzstillstand geführt. Aber nagel mich nicht darauf fest. Wir nehmen sie uns erst in den nächsten Stunden komplett vor.«

Paulsen schlug sein Notizheft auf.

»Der andere ist wesentlich älter«, vergewisserte er sich.

»Dreiundsechzig. Wolfgang Köhler, ein Witwer, wurde mir durchgegeben. Eine Verbindung zu Jacobs gibt es nach ersten Ermittlungen nicht. Es sei denn, beide hatten was mit dieser Frau zu tun.«

»Was für eine Frau?«

»Wir wissen noch nichts über sie. Sie lief den Kollegen bei der Anfahrt zur Elbe in die Arme. Halb nackt, stark unterkühlt und – tja, offenbar auf Droge. Sie redet weitgehend unverständlich. Vermutlich aber eine Amerikanerin. Sie haben sie ins AKA eingeliefert.«

 

Sie starrte zur Decke hoch, und ihre Lippen bebten leicht. Der Stationsschwester hatte sie angegeben, Jenny zu heißen. Jenny Martinez. Sie hatte ihre Mutter anrufen wollen, die Nummer aber nicht nennen können.

Paulsen beugte sich zu ihr. Viel Zeit hatte man ihm nicht zugebilligt.

»Paulsen«, sagte er. »Mein Name ist Robert Paulsen. Ich bin Kommissar, Kriminalhauptkommissar bei der Hamburger Kripo. Verstehen Sie mich?«

»Ich –« Sie nickte matt. »Er hat mich erwartet.« Sie flüsterte. Ihre Stimme war brüchig.

»Wer? Mit wem waren Sie zusammen?«

»Er hat mich berührt.«

»Jacobs? Sven Jacobs oder Köhler?«

»Ich – ich habe es geschehen lassen. Ich bin sein.«

»Jenny«, sagte Paulsen eindringlich. »Ich brauche einen Namen. Über beide Männer wird bereits ermittelt. Sie –« Er besann sich. »Sie können Ihnen nichts mehr tun.«