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Reinhold Stecher

Nachlese

Unveröffentlichte Texte,
Zeichnungen und Bilder
zum Nachdenken und Schmunzeln

Herausgegeben von Paul Ladurner

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Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2013 Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck

Inhalt

Vorwort des Herausgebers

Nachwort zum Vorwort

Der Totznhacker

Das Tragtier Regina

Tirol bei Nacht

Meine frühkindlichen Beziehungen zur Tiroler Kulturszene

Ein Leutnant namens Hoffmann …

Das Goldene Dachl

Die Mühle

Der Tausender

Pietät

Lichtspiele

Der Antiheld

Die merkwürdigste Prüfung

Rudolfs Klage

Der letzte Bauernaufstand

Der Schulschwänzer

Die Begegnung mit Alfred Rosenberg

Die Hochzeit in St. Quirin

In memoriam Muck

Gierlichs und der Provinzial

Frontflug über Karelien 1943

Saunavergnügen

Des Hausmanns Fluch

Der Karmel in Dachau

Gott landet leise

Vorwort

Bischof Stecher ist nicht mehr! Seine „sanfte Landung“, die er erhoffte, hat große Bestürzung hervorgerufen. Gleichzeitig ist uns allen erst richtig bewusst geworden, dass ein ganz Großer einfach „heimgegangen“ ist.

Er war ein begeisterter Bergsteiger, ein beliebter Bischof, ein fesselnder Erzähler, ein origineller Formulierer, ein Meister des Witzes, ein tiefer Denker, ein in seiner Heimat und der Heimatkirche Verwurzelter, ein mit der Botschaft Christi tief Verbundener und einer, der mit allen „konnte“. Er war auch ein einfallsreicher Karikaturist, der meist „im Stillen blühte“, und als Hobbymaler ein begehrter Aquarellist. Es wird Jahre dauern, bis sein Verlust verwunden werden kann, wenn überhaupt.

Die verwöhnte Leserschaft (12 Bücher mit einer Gesamtauflage von über 650.000 Exemplaren) hat sich wohl schon damit abgefunden, dass vielleicht noch Kalender kommen, aber ein Buch?

Es gibt ein Buch! Aus seinem reichen schriftlichen Nachlass konnte ich – seit Jahrzehnten mit ihm freundschaftlich verbunden – einen bunten Mix zusammenstellen aus Prosa und Gedichten, ernsten und originell-lustigen Texten, garniert mit Aquarellen, Karikaturen und Fotos.

Es ist mir und meiner Frau ein echter Auftrag – und dabei fühlen wir uns mit Hunderten, ja Tausenden herzlich verbunden –, dafür zu sorgen, dass Reinhold Stechers Anliegen, seine Botschaft und seine Ausstrahlung noch möglichst lang erhalten bleiben, und dass – wie sich sein Schüler, Univ.-Prof. Dr. Peter Stöger, ausdrückt – „die Dynamik seines Wesens zum Motor für weitere eigenständige, auf ihn aufbauende Aktivitäten wird“.

Und so übergeben meine Frau Inge und ich diese „Nachlese“ allen, die ihn gekannt, geschätzt und geliebt haben, in der Hoffnung, mit diesem Buch Freude und gute Erinnerung zu bewirken.

Paul Ladurner

Nachwort zum Vorwort

„Meine Augen suchen die Treuen im Land.“ Diesen Vers aus dem 101. Psalm hat Reinhold Stecher vor etwa 30 Jahren für seinen Freund Paul, meinen lieben Mann, schön schreiben und einrahmen lassen.

Die „Nachlese“ ist das Ergebnis von herzhafter Treue und Freundschaft. Aus Wertschätzung für Reinholds Tiefsinn und überbordende Kreativität hat Paul durch mehr als ein halbes Jahrhundert von ihm ernste Texte sowie plötzlich sprudelnde Einfälle, Gedichte und Späße gesammelt. Nach Reinholds Tod hatte er hunderte fliegende Blätter aus seiner Wohnung gesichtet und geordnet.

Durch Pauls unermüdlichen Eifer konnte die „Nachlese“ entstehen, die wie mit einer kleinen Taschenlampe ein paar Streiflichter auf den großen Menschen und Seelsorger Reinhold Stecher wirft. Seiner vielschichtigen Persönlichkeit entsprechend, erzählt dieses Büchlein von Lebensernst, Lebensfreude und unbändigem Humor. Es soll alle, die darin lesen, zum Nachdenken, Schmunzeln und Dankbarsein anstiften und ganz in Reinholds Sinn die von ihm besonders geförderten Werke unterstützen.

Haben nicht viele von uns als Kinder das alte Lied von der Freundschaft gelernt, wo es heißt: „... lebet fort noch in Gedanken und der Treue nicht vergisst“?! Darum geht es; in einem solchen Erinnern verschwimmen die Grenzen von Zeit und Raum, von „herüben und drüben“.

Ingeborg Ladurner

Der Totznhacker

Es könnte Leserinnen und Leser geben, die keine Ahnung haben, was „Totznhacken“ bedeutet. Darum ist hier vorweg eine kleine Einführung nötig. Totznhacken ist eine leider aussterbende Sportart, die selbst in Tirol nur begrenzt verbreitet war und nie eine Aussicht hatte als olympische Disziplin aufgenommen zu werden. Totznhacken wurde in Innsbruck auf dem relativ engen Siedlungsraum zwischen Inn und Nordkette ausgeübt, d. h. in den Gemeinden Hötting und St. Nikolaus. Über das Alter dieser Sportart vermag ich keine Angaben zu machen. Ich weiß auch nicht, ob darüber einschlägige Forschungen vorliegen. Interessant ist, dass diese Sportart nur in den Frühjahrsmonaten nach der Schneeschmelze ausgeübt wurde, was zumindest den Verdacht weckt, es könne hier ein Wachstumszauber im Spiel sein, der bis in vorgeschichtliche Zeiten reicht, wie das bei vielen anderen Tiroler Volksbräuchen der Fall ist.

Sei es, wie es will – noch vor nicht allzu langer Zeit erschienen mit der Frühjahrsonne an verschiedenen Straßenecken und Plätzen die Buben mit ihren Totzn. Es handelt sich dabei um zwiebelförmige Kreisel mit metallener Spitze. Man zeichnet einen kleinen Kreis auf den Boden und legt eine Münze in die Mitte. Dann wird der Totzn mit Hilfe einer umwickelten Schnur zum Kreisen gebracht und muss kunstgerecht so auf den Boden gesetzt werden, dass er in das kleine Rund hineintanzt und das Geldstück herausschlägt. Wer das als erster zusammenbringt, hat das Geldstück gewonnen.

Es ist natürlich klar, dass dieser Sport nicht in Hinterhöfen oder abgelegenen Orten ausgeübt werden kann. Er hat immer die Öffentlichkeit gesucht, weil er notgedrungen Sponsoren benötigt. In diesem Punkte unterscheidet sich diese Sportart, die von Kindern zwischen acht und dreizehn Jahren ausgeübt wurde, nicht vom modernen Profifußball. Der Unterschied liegt nur in den investierten Summen. Und Totznhacker machen keine Bankschulden und Schwindelmanöver, wenn die Sponsoren ausgehen. Sie stellen dann eben ihre Vorstellung ein. Um Vorübergehende zur finanziellen Unterstützung dieses edlen Brauches zu motivieren, verwendeten die Totznhacker immer den Vers „Lieber Hear! Setzen’s an Groschen ins Kreasel, mei Totzn singt wia a Tannenmeasl!“.

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St. Nikolaus, Innsbruck

Wenn neulich der Landeshauptmann und der zuständige Landesrat für Sport öffentlich dazu aufgerufen und ermuntert haben, dass potente Sponsoren sich des notleidenden Tiroler Fußballsports annehmen sollten, unterscheidet sich diese Initiative nicht wesentlich vom Singsang der Totznhacker. Nur, wie gesagt, in den angepeilten Beträgen.

Das Tragtier Regina

Heutzutage sieht man bei uns keine Mulis mehr. Selbst das Österreichische Bundesheer hält nur noch am Haflinger fest. Mulis sind eine Kreuzung von Eselshengst und Pferdestute. Und ich hatte immer den Eindruck, dass unsere Mulis beim Militär über diese Tatsache seelisch schwer hinweg kamen. Es muss ja wirklich belastend sein, zu wissen, dass der Vater ein Esel ist. Mulis sind daher nur sehr begrenzt kontaktfähig. Mit Pferden kann man reden. Man spürt Reaktionen. Mulis sind weniger ansprechbar.

Mein Freund Georg, der von Beruf Oberkellner in einem Großhotel am Arlberg war und drei Fremdsprachen beherrschte, wurde in der deutschen Wehrmacht als Muliführer eingesetzt. Man war dort immer sehr darauf bedacht, die Menschen entsprechend ihren zivilen Fähigkeiten einzusetzen. Es ist ihm aber nie gelungen, zu seinem Tragtier Regina eine nähere Beziehung aufzubauen. Regina war weder auf Deutsch noch Italienisch, Englisch oder Französisch ansprechbar und blieb immer abweisend. Sie war schrecklich stur. Georg hat mir versichert, sie könne fünf Stunden in eine Ecke schauen, ohne mit einem Ohr zu wackeln – was auch nicht gerade ein Hinweis auf ein reiches Innenleben ist. An sich wäre es die Rolle Reginas gewesen, als Tragtier den Siegeszug der deutschen Armeen zu verstärken. Sie wollte aber kein Tragtier sein. Sie war ein Zugtier. Aber nicht eines das zieht, sondern das gezogen wird. Wenn man hie und da zu den Kolonnen der Tragtiere zurückschaute, die da durch die klirrkalten Weiten der nordrussischen Landschaft zogen, konnte man immer in der Mitte der hintereinander durch den Schnee stapfenden Soldaten und Mulis eine Lücke entdecken. Da riss die Kolonne ab und kam nie recht zum Anschluss. Das war mein armer Freund Georg mit seinem Tragtier Regina. Er, der selbst schwer beladen war, stolperte voraus und musste mit langem, über die Schulter gelegtem Zügel seine Regina hinter sich her ziehen. Sie machte einen langen Hals, legte die Ohren zurück und folgte nur höchst widerwillig mit hinhaltender Resistenz.