Ernst Jünger

Auf den Marmorklippen

Roman

Mit Adnoten des Autors

Klett-Cotta

Impressum

Der Text dieser Ausgabe folgt Ernst Jüngers Fassung letzter Hand in den Sämtlichen Werken in 22 Bänden, erschienen bei Klett-Cotta.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2014 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Reihengestaltung Ingo Offermanns, Hamburg,

unter Verwendung von Illustrationen von Niklas Sagebiel, Berlin

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96065-5

E-Book: ISBN 978-3-608-10601-5

Dieses E-Book entspricht aktuellen Auflage der Printausgabe.

AUF DEN MARMORKLIPPEN

ERSTAUSGABE 1939

1

Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift. Wie unwiderruflich sind sie doch dahin, und unbarmherziger sind wir von ihnen getrennt als durch alle Entfernungen. Auch treten im Nachglanz die Bilder lockender hervor; wir denken an sie wie an den Körper einer toten Geliebten zurück, der tief in der Erde ruht und der uns nun gleich einer Wüstenspiegelung in einer höheren und geistigeren Pracht erschauern läßt. Und immer wieder tasten wir in unseren durstigen Träumen dem Vergangenen in jeder Einzelheit, in jeder Falte nach. Dann will es uns scheinen, als hätten wir das Maß des Lebens und der Liebe nicht bis zum Rande gefüllt gehabt, doch keine Reue bringt das Versäumte zurück. O möchte dieses Gefühl uns doch für jeden Augenblick des Glückes eine Lehre sein!

Und süßer noch wird die Erinnerung an unsere Mond- und Sonnenjahre, wenn jäher Schrecken sie beendete. Dann erst begreifen wir, wie sehr es schon ein Glücksfall für uns Menschen ist, wenn wir in unseren kleinen Gemeinschaften dahinleben, unter friedlichem Dach, bei guten Gesprächen und mit liebevollem Gruß am Morgen und zur Nacht. Ach, stets zu spät erkennen wir, daß damit schon das Füllhorn reich für uns geöffnet war.

So denke ich auch an die Zeiten, in denen wir an der Großen Marina lebten, zurück – erst die Erinnerung treibt ihren Zauber hervor. Damals freilich schien manche Sorge, mancher Kummer uns die Tage zu verdunkeln, und vor allem waren wir vor dem Oberförster auf der Hut. Wir lebten daher mit einer gewissen Strenge und in schlichten Gewändern, obwohl kein Gelübde uns band. Zweimal im Jahre ließen wir indessen das rote Futter durchleuchten – einmal im Frühling und einmal im Herbst.

Im Herbste zechten wir als Weise und taten den köstlichen Weinen, die an den Südhängen der Großen Marina gedeihen, Ehre an. Wenn wir in den Gärten zwischen dem roten Laube und den dunklen Trauben die scherzenden Rufe der Winzer vernahmen, wenn in den kleinen Städten und Dörfern die Torkel zu knarren begannen und der Geruch der frischen Trester um die Höfe seine gärenden Schleier zog, stiegen wir zu den Wirten, den Küfern und Weinbauern hinab und tranken mit ihnen aus dem bauchigen Krug. Dort trafen wir immer heitere Genossen an, denn das Land ist reich und schön, so daß unbekümmerte Muße in ihm gedeiht, und Witz und Laune gelten als bare Münze in ihm.

So saßen wir Abend für Abend beim fröhlichen Mahl. In diesen Wochen ziehen vermummte Wingertswächter vom Morgengrauen bis zur Nacht mit Knarren und Flinten in den Gärten umher und halten die lüsternen Vögel in Schach. Spät kehren sie mit Kränzen von Wachteln, von gesprenkelten Drosseln und Feigenfressern zurück, und bald erscheint dann ihre Beute auf Weinlaub gebettet in großen Schüsseln auf dem Tisch. Auch aßen wir gern geröstete Kastanien und junge Nüsse zum neuen Weine und vor allem die herrlichen Pilze, nach denen man dort mit Hunden in den Wäldern spürt – die weiße Trüffel, die zierliche Werpel und den roten Kaiserschwamm.

Solange der Wein noch süß und honigfarben war, saßen wir einträchtig am Tisch, bei friedlichen Gesprächen und oft den Arm auf die Schulter des Nachbarn gelegt. Sobald er jedoch zu arbeiten und die erdigen Teile abzustoßen begann, wachten die Lebensgeister mächtig auf. Es gab dann glänzende Zweikämpfe, bei denen die Waffe des Gelächters entschied und bei denen sich Fechter begegneten, die sich durch die leichte, freie Führung des Gedankens auszeichneten, wie man sie nur in einem langen, müßigen Leben gewinnt.

Aber höher noch als diese Stunden, die in funkelnder Laune dahineilten, schätzten wir den stillen Heimweg durch Gärten und Felder in der Tiefe der Trunkenheit, während schon der Morgentau sich auf die bunten Blätter schlug. Wenn wir das Hahnentor der kleinen Stadt durchschritten hatten, sahen wir zu unserer Rechten den Seestrand leuchten, und zu unserer Linken stiegen im Mondlicht gleißend die Marmorklippen an. Dazwischen eingebettet streckten sich die Rebenhügel aus, in deren Hängen sich der Pfad verlor.

An diese Wege knüpfen sich Erinnerungen an ein helles, staunendes Erwachen, das uns zugleich mit Scheu erfüllte und erheiterte. Es war, als tauchten wir aus der Lebenstiefe an ihre Oberfläche auf. Gleichwie ein Pochen uns aus unserm Schlaf erweckt, fiel da ein Bildnis in das Dunkel unseres Rausches ein – vielleicht das Bockshorn, wie es dort der Bauersmann an hohen Stangen in den Boden seiner Gärten stößt, vielleicht der Uhu, der mit gelben Augen auf dem Firste einer Scheuer saß, oder ein Meteor, das knisternd über das Gewölbe schoß. Stets aber blieben wir wie versteinert stehen, und ein jäher Schauer faßte uns im Blut. Dann schien es uns, als ob ein neuer Sinn, das Land zu schauen, uns verliehen sei; wir blickten wie mit Augen, denen es gegeben ist, das Gold und die Kristalle tief unter der gläsernen Erde in leuchtenden Adern zu sehen. Und dann geschah es, daß sie sich näherten, grau und schattenhaft, die uransässigen Geister des Landes, längst hier beheimatet, bevor die Glocken der Klosterkirche erklangen und bevor ein Pflug die Scholle brach. Sie näherten sich uns zögernd, mit groben, hölzernen Gesichtern, deren Miene in unergründlicher Übereinstimmung heiter und furchtbar war; und wir erblickten sie, zugleich erschrockenen und tief gerührten Herzens, im Weinbergland. Zuweilen schien es uns, als ob sie sprechen wollten, doch bald entschwanden sie wie Rauch.

Schweigend legten wir dann den kurzen Weg zur Rautenklause zurück. Wenn das Licht in der Bibliothek aufflammte, sahen wir uns an, und ich erblickte das hohe, strahlende Leuchten in Bruder Othos Gesicht. In diesem Spiegel erkannte ich, daß die Begegnung kein Trug gewesen war. Ohne ein Wort zu wechseln, drückten wir uns die Hand, und ich stieg ins Herbarium hinauf. Auch ferner war von solchem nie die Rede zwischen uns.

Oben saß ich noch lange am offenen Fenster in großer Heiterkeit und fühlte von Herzen, wie sich der Lebensstoff in goldenen Fäden von der Spindel wand. Dann stieg die Sonne über Alta Plana auf, und leuchtend erhellten sich die Lande bis an die Grenzen von Burgund. Die wilden Schroffen und Gletscher funkelten in Weiß und Rot, und zitternd formten sich die hohen Ufer im grünen Spiegel der Marina ab.

Am spitzen Giebel begannen nun die Hausrotschwänzchen ihren Tag und fütterten die zweite Brut, die hungrig zirpte, als würden Messerchen gewetzt. Aus den Schilfgürteln des Sees stiegen Ketten von Enten auf, und in den Gärten pickten Fink und Stieglitz die letzten Beeren von den Reben ab. Dann hörte ich, wie die Tür der Bibliothek sich öffnete, und Bruder Otho trat in den Garten, um nach den Lilien zu schauen.

2

Im Frühling aber zechten wir als Narren, wie es dortzulande üblich ist. Wir hüllten uns in bunte Kittel, deren eingefetzter Stoff wie Vogelfedern leuchtete, und setzten die starren Schnabelmasken auf. Dann sprangen wir im Narrenschritte und die Arme wie Flügel schwingend hinab ins Städtchen, auf dessen altem Markte der hohe Narrenbaum errichtet war. Dort fand im Fackelschein der Maskenaufzug statt; die Männer gingen als Vögel, und die Frauen waren in die Prachtgewänder vergangener Jahrhunderte vermummt. Sie riefen uns mit hoher, verstellter Spieluhrstimme Scherzworte zu, und wir erwiderten mit schrillem Vogelschrei.

Schon lockten uns aus den Schenken und Küferkellern die Märsche der Federinnungen – die dünnen, stechenden Flöten der Distelfinken, die schwirrenden Zithern der Mauerkäuze, die röhrenden Baßgeigen der Auerhähne und die quiekenden Handorgeln, mit denen die Wiedehopfzunft ihre schändlichen Verse instrumentiert. Bruder Otho und ich gesellten uns den Schwarzspechten zu, bei denen man den Marsch mit Kochlöffeln auf hölzerne Zuber schlägt, und hielten närrischen Rat und Gericht. Hier galt es behutsam zu trinken, denn wir mußten den Wein mit Halmen durch die Nüstern der Schnäbel aus dem Glase ziehen. Wenn uns der Kopf zu rauchen drohte, erfrischte uns ein Streifzug durch die Gärten und Gräben am Ringwalle, auch schwärmten wir auf die Tanzböden aus, oder wir schlugen in der Laube eines Wirtes die Maske auf und speisten in Gesellschaft eines flüchtigen Liebchens aus Buckelpfannen ein Gericht von Schnecken auf Burgunder Art.

Überall und bis zum Morgengrauen ertönte in diesen Nächten der schrille Vogelruf – in den dunklen Gassen und an der Großen Marina, in den Kastanienhainen und Weingärten, von den mit Lampionen geschmückten Gondeln auf der dunklen Fläche des Sees und selbst zwischen den hohen Zypressen der Friedhöfe. Und immer, wie sein Echo, hörte man auch den erschreckten, flüchtenden Schrei, der ihn erwiderte. Die Frauen dieses Landes sind schön und voll der spendenden Kraft, die der Alte Pulverkopf die schenkende Tugend nennt.

Wißt Ihr, nicht die Schmerzen dieses Lebens, doch sein Übermut und seine wilde Fülle bringen, wenn wir uns an sie erinnern, uns den Tränen nah. So liegt dieses Stimmenspiel mir tief im Ohre, und vor allem jener unterdrückte Schrei, mit dem Lauretta mir am Wall begegnete. Obwohl ein weißer, goldbordierter Reifrock ihre Glieder und die Perlmuttlarve ihr Gesicht verbarg, hatte ich sie an der Art, in der sie schreitend ihre Hüfte bog, im Dunkel der Allee sogleich erkannt, und ich barg mich listig hinter einem Baum. Dann erschreckte ich sie durch das Spechtsgelächter und verfolgte sie, indem ich mit den weiten schwarzen Ärmeln flatterte. Oben, wo der Römerstein im Weinland steht, fing ich die Erschöpfte ein, und zitternd preßte ich sie in den Arm, die feuerrote Maske über ihr Gesicht gebeugt. Als ich sie wie träumend und durch Zaubermacht gebannt so in meinem Griffe ruhen fühlte, faßte mich das Mitleid an, und lächelnd streifte ich die Vogellarve auf die Stirn empor.

Da begann auch sie zu lächeln, und leise legte sie die Hand auf meinen Mund – leise, daß ich nur den Atem, der durch ihre Finger wehte, in der Stille noch vernahm.

3

Sonst aber lebten wir in unserer Rautenklause tagaus, tagein in großer Eingezogenheit. Die Klause stand am Rand der Marmorklippen, inmitten einer der Felseninseln, wie man sie hier und dort das Rebenland durchbrechen sieht. Ihr Garten war in schmalen Bänken aus dem Gestein gespart, und an den Rändern seiner locker aufgeführten Mauern hatten sich die wilden Kräuter angesiedelt, wie sie im fetten Weinbergland gedeihen. Hier blühte im frühen Jahr die blaue Perlentraube der Muskathyazinthe, und im Herbst erfreute uns die Judenkirsche mit ihrer gleich roten Lampionen leuchtenden Frucht. Zu allen Zeiten aber säumten Haus und Garten die silbergrünen Rautenbüsche, denen bei hohem Sonnenstande wirbelnd ein krauser Duft entstieg.

Am Mittag, wenn die große Hitze die Trauben kochte, war es in der Klause erquickend kühl, denn nicht nur waren ihre Böden nach südlicher Manier mit Mosaiken ausgelegt, sondern es ragten manche ihrer Räume auch in den Fels hinein. Doch lag ich um diese Zeit auch gern auf der Terrasse ausgestreckt und hörte halb im Schlaf dem gläsernen Gesange der Zikaden zu. Dann fielen die Segelfalter in den Garten ein und flogen die Tellerblüten der wilden Möhre an, und auf den Klippen sonnten die Perlenechsen sich am Stein. Und endlich, wenn der weiße Sand des Schlangenpfades in Hochglut flammte, schoben sich langsam die Lanzenottern auf ihn vor, und bald war er von ihnen wie ein Hieroglyphenband bedeckt.

Wir hegten vor diesen Tieren, die zahlreich in den Klüften und Schrunden der Rautenklause hausten, keine Furcht; vielmehr ergötzte uns bei Tage ihr Farbenglanz und nachts das feine, klingende Pfeifen, mit dem sie ihr Liebesspiel begleiteten. Oft schritten wir mit leicht gerafften Kleidern über sie hinweg und schoben sie, wenn wir Besuch bekamen, dem vor ihnen graute, mit den Füßen aus dem Weg. Stets aber gingen wir mit unseren Gästen auf dem Schlangenpfade Hand in Hand; und oft bemerkte ich dabei, daß ein Gefühl der Freiheit und der tänzerischen Sicherheit, das uns auf dieser Bahn ergriff, sich ihnen mitzuteilen schien.

Viel wirkte wohl zusammen, die Tiere so vertraut zu machen, doch hätten wir von ihrem Treiben ohne Lampusa, unsere alte Köchin, kaum geahnt. Lampusa stellte ihnen, solange der Sommer währte, Abend für Abend vor die Felsenküche ein Silberkesselchen voll Milch; dann lockte sie die Tiere mit dunklem Ruf herbei. Da sah man in den letzten Sonnenstrahlen überall im Garten die goldene Windung leuchten, über der schwarzen Erde der Lilienbeete und den silbergrünen Rautenpolstern und hoch im Hasel- und Holunderstrauch. Dann legten die Tiere, das Zeichen des geflammten Feuerkranzes bildend, sich um das Kesselchen und nahmen die Gabe an.

Bei dieser Spende hielt Lampusa schon früh den kleinen Erio auf dem Arm, der ihren Ruf mit seinem Stimmchen begleitete. Wie sehr erstaunte ich indessen, als ich eines Abends, kaum daß es laufen konnte, das Kind das Kesselchen ins Freie schleppen sah. Dort schlug es seinen Rand mit einem Birnholzlöffel, und leuchtend glitten die roten Schlangen aus den Klüften der Marmorklippen vor. Und wie im Helltraum hörte ich den kleinen Erio lachen, als er zwischen ihnen auf dem gestampften Lehm des Küchenvorhofs stand. Die Tiere umspielten ihn halb aufgerichtet und wiegten über seinem Scheitel in schnellem Pendelschlage die schweren Dreiecksköpfe hin und her. Ich stand auf dem Altan und wagte meinen Erio nicht anzurufen, wie jemand, den man schlafend auf steilen Firsten wandeln sieht. Doch da erblickte ich die Alte vor der Felsenküche – Lampusa, die dort mit gekreuzten Armen stand und lächelte. Bei ihrem Anblick erfaßte mich das herrliche Gefühl der Sicherheit in flammender Gefahr.

Seit jenem Abend war es Erio, der uns so das Vesperglöcklein läutete. Wenn wir den Klang des Kesselchens vernahmen, legten wir die Arbeit nieder, um uns am Anblick seiner Spende zu erfreuen. Bruder Otho eilte aus seiner Bibliothek und ich aus dem Herbarium auf den inneren Altan, und auch Lampusa trat vom Herd hinzu und lauschte dem Kinde mit stolzem, zärtlichem Gesicht. Wir pflegten uns dann an seinem Eifer zu ergötzen, mit dem es die Tiere in Ordnung hielt. Bald konnte Erio ein jedes bei Namen nennen und trippelte mit seinem Röckchen aus blauem, goldgefaßtem Sammet in ihrem Kreis umher. Auch achtete er sehr darauf, daß alle von der Milch bekamen, und schaffte für die Nachzüglerinnen Raum am Kesselchen. Dann pochte er diese oder jene der Trinkerinnen mit seinem Birnholzlöffel auf den Kopf, oder er packte sie, wenn sie nicht schnell genug den Platz verließ, am Nackenansatz und zerrte sie mit aller Kraft hinweg. Wie derb er sie indes auch fassen mochte, immer blieben die Tiere gegen ihn ganz sanft und zahm, selbst in der Häutung, während deren sie sehr empfindlich sind. So lassen während dieser Zeit die Hirten ihr Vieh nicht bei den Marmorklippen auf die Weide gehen, denn ein gezielter Biß fällt selbst den stärksten Stier mit Blitzes Kraft.

Vor allem liebte Erio das größte, schönste Tier, das Bruder Otho und ich die Greifin nannten und das, wie wir aus Sagen der Wingertsbauern schlossen, seit alten Zeiten in den Klüften saß. Der Körper der Lanzenottern ist metallisch rot, und häufig sind Schuppen von hellem Messingglanze in sein Muster eingesprengt. Bei dieser Greifin war jedoch der reine und makellose Goldschein ausgeprägt, der sich am Kopfe nach Juwelenart zugleich ins Grüne wandte und an Leuchtkraft steigerte. Im Zorne konnte sie den Hals zum Schilde dehnen, der wie ein goldener Spiegel im Angriff funkelte. Es schien, daß ihr die anderen Respekt erwiesen, denn keine rührte an das Kesselchen, bevor die Goldene ihren Durst gestillt. Dann sahen wir, wie Erio mit ihr scherzte, während sie, wie manchmal Katzen tun, den spitzen Kopf an seinem Röckchen rieb.

Nach diesem trug Lampusa uns zur Vesper auf, zwei Becher des geringen Weines und zwei Scheiben vom dunklen, salzigen Brot.

4

Von der Terrasse schritt man durch eine Glastür in die Bibliothek. In schönen Morgenstunden stand diese Türe weit geöffnet, so daß Bruder Otho an seinem großen Tische wie in einem Teil des Gartens saß. Ich trat stets gern in dieses Zimmer ein, an dessen Decke grüne, laubige Schatten spielten und in dessen Stille das Zirpen der jungen Vögel und das nahe Summen der Bienen drang.

Am Fenster trug eine Staffelei das große Zeichenbrett, und an den Wänden türmten sich bis zur Decke die Bücherreihen auf. Die unterste von ihnen stand in einem hohen Fache, das für die Folianten zugeschnitten war – für den großen »Hortus Plantarum Mundi« und mit der Hand illuminierte Werke, wie man sie nicht mehr druckt. Darüber sprangen die Repositorien vor, die sich durch Schübe noch verbreitern ließen – mit flüchtigen Papieren und vergilbten Herbarienblättern überdeckt. Auch nahmen ihre dunklen Tafeln eine Sammlung von in Stein gepreßten Pflanzen auf, die wir in Kalk- und Kohlengruben ausgemeißelt hatten, dazwischen mancherlei Kristalle, wie man sie als Zierat ausstellt oder auch bei sinnendem Gespräche in den Händen wiegt. Darüber stiegen dann die kleinen Bände an – ein nicht sehr ausgedehnter botanischer Bestand, doch lückenlos in allem, was je über die Lilien erschien. Es strahlte dieser Teil der Bücherei noch in drei allgemeine Zweige aus – in Werke, die sich mit der Gestalt, der Farbe und dem Duft beschäftigten.

Die Bücherreihen setzten sich noch in der kleinen Halle fort, und sie begleiteten die Treppe, die nach oben führte, bis an das Herbarium. Hier standen die Kirchenväter, die Denker und die klassischen Autoren der alten und der neuen Zeit, und vor allem eine Sammlung von Wörterbüchern und Enzyklopädien aller Art. Am Abend traf ich mich mit Bruder Otho in der kleinen Halle, wo im Kamin ein Feuerchen aus dürrem Rebholz flackerte. Wenn über Tag die Arbeit gut gediehen war, dann pflegten wir uns durch jene lässigere Unterhaltung zu zerstreuen, bei der man auf gebahnten Wegen schreitet und Daten und Autoritäten anerkennt. Wir scherzten mit den Quisquilien des Wissens und mit dem seltenen oder das Absurde streifenden Zitat. Bei diesen Spielen kam uns die Legion der stummen, in Leder oder Pergament geschnürten Sklaven gut zupaß.

Meist stieg ich früh in das Herbarium hinauf und setzte dort bis über Mitternacht die Arbeit fort. Bei unserem Einzug hatten wir den Boden gut mit Holz verschalen lassen und lange Reihen von Schränken in ihm aufgestellt. In ihren Fächern häuften sich zu Tausenden die Bündel der Herbarienblätter auf. Sie waren nur zum kleinsten Teil von uns gesammelt und stammten meist von längst verdorrter Hand. Zuweilen, wenn ich eine Pflanze suchte, stieß ich sogar auf von der Zeit gebräunte Bogen, deren verblaßte Signatur vom hohen Meister Linnaeus selbst geschrieben war. In diesen Nacht- und Morgenstunden führte und vermehrte ich auf vielen Zetteln die Register – einmal den großen Namenskatalog der Sammlung und sodann die »Kleine Flora«, in der wir alle Funde im Gebiete der Marina sorgsam verzeichneten. Am andern Tage sah Bruder Otho dann an Hand der Bücher die Zettel ein, und viele wurden von ihm noch bezeichnet und koloriert. So wuchs ein Werk heran, das uns schon im Entstehen viel Genuß bereitete.

Wenn wir zufrieden sind, genügen unseren Sinnen auch die kargsten Spenden dieser Welt. Von jeher hatte ich das Pflanzenreich verehrt und seinen Wundern in vielen Wanderjahren nachgespürt. Und wohl war mir der Augenblick vertraut, in dem der Herzschlag stockt, wenn wir in der Entfaltung die Geheimnisse erahnen, die jedes Samenkorn in sich verbirgt. Dennoch war mir die Pracht des Wachstums niemals näher als auf diesem Boden, den ein Ruch von längst verwelktem Grün durchwitterte.