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© Querverlag GmbH, Berlin 2009

Erste Auflage März 2009

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag und grafische Realisierung von Sergio Vitale unter Verwendung eines Fotos von gettyimages.

ISBN 978-3-89656-602-7

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1. Treffen

Ich esse eine Gabel Fettuccine mit Kapern und schaue auf deine Hand. Schön, aber kraftlos und unbeteiligt, fast so, als ob du sie da vergessen hättest, liegt sie auf der meinen. Ich lasse sie so liegen. Es fühlt sich immer noch gut an. Nach so vielen Jahren.

„Du kochst einfach wunderbar“, sagst du und bläst dir ein paar wirre Haare aus dem Gesicht. Früher hätte ich diese Haarsträhne liebevoll aus deinem Gesicht gestreichelt. Unser lebendiges Tischgespräch wäre kurz dann durch diese kleine, vertraute Zärtlichkeit unterbrochen worden. Heute traue ich mich nicht mehr, solche Dinge zu tun.

Du bist so schön, denke ich. Und schaue dich nicht an dabei. Sage stattdessen: „Danke für den Wein.“

Ich habe gekocht. Ich koche meistens, wenn du kommst. Ich esse weiter. Ohne Hunger. Aus Gewohnheit, und weil man das so macht. Dabei schweift mein Blick durch unsere Küche. Meine Küche. Mein Zuhause. Nicht mehr unser Zuhause. Du kommst manchmal vorbei. Isst aus unseren alten Tellern und gehst dann mit mir ins Bett. Hitzig und voller Zorn, so scheint mir. Zwischen Tür und Angel tauchst du mich in dein Feuer.

Ich rede nicht mit dir. Ich weiß, wie sich meine Stimme anhören würde, würde ich jetzt sprechen. Schwach, dünn und zittrig würde sie klingen. Trotzdem würde ich versuchen, tapfer zu sein und mit erwachsenen Worten zu dir zu sprechen. Dass wir es prima hingekriegt haben, diese eheliche Zweierkiste in eine solide Freundschaft zu verwandeln, in der auch ab und zu etwas mehr möglich ist.

„Ach, Gott, du bist und bleibst so … altmodisch, so eng, so normal, so … Genieß das Leben, genieß mich und uns und mach nicht immer solche Grundsatzüberlegungen“, hast du mir mit viel Bier im Bauch gesagt, als ich dir am Ende unserer dreijährigen Beziehung gestand, dass ich dich immer noch liebe und nicht einfach so mit dir schlafen will. „Das Leben ist nicht eins und eins. Das Leben hat viel mehr zu bieten. Und ich will alles davon“, waren deine letzten Worte in jener Nacht, als du die warme Bettdecke ein erstes Mal zurückgeschlagen hast und gegangen bist. „Ich muss schlafen“, hast du beim Hinausgehen gemurmelt.

Das möchte ich aber nicht. Weder dünn und zittrig sein noch lügen müssen. Ich möchte aber auch nicht die angstvolle Frau sein, die du manchmal spöttisch betrachtest.

Also schweige ich.

Wir trinken einen kleinen, süßen Espresso und schweigen in das Dunkel der Kaffeetässchen, währenddessen sich auf meiner Zunge liebevolle Worte sammeln.

„Komm“, möchte ich sagen, „komm zu mir. Jetzt. Lege deine Hand auf meinen pochenden Hals. Mein Herz ist da, im Hals, wenn du zu mir sprichst. Lege deine Hand auf dieses warme, schnell pulsierende Leben. Und vielleicht sagst du mir dann meinen Namen. So wie früher.“

Das alles möchte ich sagen und schweige.

Und so bleibt alles, was in mir ist, ungesagt. Die Heldin, die du so sehr geliebt hast, hat sich aus dem Staub gemacht. Ich stehe auf und mache mich geschäftig daran, die Reste unseres Beisammenseins wegzuräumen, das Geschirr zu spülen und die beiden Rotweingläser leer zu trinken.

Ich warte darauf, dass du gehst. So wie oft, wenn du bei mir warst, trockne das Geschirr ab und räume alles sorgfältig in den Schrank. Du aber hast vor, heute Nacht zu bleiben. Du lümmelst auf dem Sofa und spielst mit Roberta, der Katze, die du vor langer Zeit als kleines, rostbraunes Häufchen von der Straße mit nach Hause gebracht hast.

„Schau doch nur“, hast du gesagt, mir die Katze entgegengestreckt und dabei das kleine Tierchen mit kaum zu zähmender und unbeholfener Zärtlichkeit hart an deine Wange gedrückt.

„Wir müssen es retten. Es darf nicht sterben. Bitte.“

Ich habe euch beide hereingelassen, die Katze und dich, dir einen Tee und dem kleinen Tier ein bisschen Milch mit Wasser hingestellt. Meine Katzenallergie vergessen. Dein liebevoller Blick, dein warmer Atmen hinter den dreckigen kleinen Katzenohren, deine flüsternden Worte, deine Hände, die zärtlich über das struppige Fell streichelten. Mit aufmerksamer Sorgfalt und Hingabe hast du das Tier wieder gesund gemacht. Und dann bist du zu mir gezogen.

Ich schaue dich an. So, dass du es nicht bemerkst. Schaue dir zu, um dann gleich wieder die Augen zu schließen. Ich sehne mich nach deinem Mund. An meinem Herzen sollte er sein und sich satt trinken. Ich denke immer so viel, wenn du in meiner Nähe bist. Ich könnte ja reden. Aber das übernimmst du. Du sprichst oft und laut und ungestüm über das Leben, deine Wünsche, deine Zukunft. Und ich höre dir immer zu, in der Hoffnung, irgendwo vorzukommen. In deinem Leben, in deinen Wünschen oder in deiner Zukunft.

Heute schlafen wir einfach miteinander, ohne unsere Lippen immerzu küssen zu wollen. Wir küssen nur noch selten, weil wir keine Angst mehr haben, dass zwischen unseren sehnsuchtsvollen, offenen Mündern – in diesem nassen, dunklen Raum, der dann manchmal zwischen uns war – etwas verloren geht und nach draußen entschwinden könnte, was uns gehört.

Manchmal blicke ich in dich hinein. Manchmal gelingt mir das. Dann, wenn du dich in deiner Lust verlierst, vergisst, wer ich bin, und dich dein Mund festhält. An mir. Mein und dein Höhenrausch schon lange verebbt, stößt du immer noch mit ungezügelter Leidenschaft in mich hinein – an mir vorbei.

Oder ist es Zorn? Ich möchte nicht darüber nachdenken. Ist doch diese grob gewordene Zweisamkeit der einzige Weg, das von dir zu sehen, was ich so sehr liebe.

„Komm“, sagst du, stellst die Espressotasse auf den Tisch und reichst mir deine Hand. So wie du es schon mal getan hast. Auf einer zweitägigen Bergwanderung vor vielen Jahren, als ich mit gezerrten Bändern die restlichen dreihundert Höhenmeter bis zur Berghütte zu überwinden hatte, und du mir als fremde Alleinwanderin zuerst deine Hand angeboten und dich dann meiner Gruppe angeschlossen hast. Abends in der Hütte tranken wir viel Wein, aßen Kartoffelstock an Fleischsauce und Büchsengemüse, und ich verliebte mich in deine Hände. Zuerst in deine Hände und dann in deine Worte, die du neben mir stehend in den blau-rot dämmrigen Berghimmel geflüstert hast. „Mit dir will ich zusammen sein“, hast du gesagt, und deine Hand war warm, trocken und fest.

Ich nehme deine Hand und gehe mit dir in unser altes Schlafzimmer.

Es ist Sonntag. Ein warmer Tag. Sonnenlicht. Stille. Müdigkeit. Und Zeit. Austritt aus dem Hetzleben. Ein Tag, der sich anfühlt wie eine Nacht.

Zwischen langweiligem Herumstreunen in der Wohnung, Teetrinken, Aufräumen und wieder Teetrinken lande ich bei unseren Liebesresten. Eine Kiste voller Briefe, Fotos und Videos. Ich wollte sie hinunter in den Keller tragen. Uns dort deponieren. Stattdessen fange ich an, in der Kiste herumzuwühlen. Immer wieder.

Ich tue dann so, als ob ich das zum ersten Mal täte, und fange an, das Verzweifeln zu durchforsten.

Einmal hast du geschrieben: „Ich möchte dich beschützen und mich gleichzeitig in dich hineinrollen.”

Ohnmächtige und zärtlich schimmernde Worte. Ich lese sie und kann nicht glauben, dass du solche Dinge nicht mehr zu mir sagst. Ich lese jede Zeile. Buchstabenperlen, die ich mir langsam um den Hals hänge. Dieser Tag soll uns gehören.

Deine Bezeugungen zu Beginn unserer Beziehung, nie mehr ohne mich leben zu können, haben sich in Schall und Rauch aufgelöst. Zum Glück. Heute lebst du ohne feste Beziehung, aber mit zahlreichen Affären, wachst auf in fremden Betten – manchmal in meinem. Und das „geht super“, wie du mir immer wieder unaufgefordert mitteilst.

Die Erinnerungen an unsere Hochzeiten liegen wie Tagebuchblätter vor mir.

Unsere Liebe ist dir abhanden gekommen. Vielleicht auf unserer gemeinsamen Reise durch die winterliche Toskana zwischen Viareggio und Firenze. Vielleicht im Dom zu Pisa, wo ich unsere Freundschaftsringe wieder ausgepackt habe und voller ungestümer Pläne war.

Es war Winter, und der Dom in seinem warmweißen Carrara-Marmor mitten auf einer gelb-braunen Rasenfläche stehend, glich einer Himmelfahrtskutsche. Langsam schlendernd, wissend um jedes Sekundengeschenk deiner Gegenwart spazierten wir über den „Platz der Wunder“ und machten Fotos.

Heute streichle ich zärtlich über eines der Bilder. Du in Schieflage neben dem Turm von Pisa. Der Turm kerzengerade, seinen weißen Hals in den strahlend blauen Winterhimmel reckend.

Ich war glücklich.

Und wollte ihn umarmen.

Den Turm.

Und dich. Immer wieder.

„Heiraten, weißt du. So richtig. Lass uns heiraten. Nach diesem Jahr der Trennung, nach diesem Jahr, das uns gezeigt hat, dass wir zusammengehören. Lass uns endlich wieder richtig zusammen sein. So wie früher. Wir gehören zusammen!“, sagte ich bestimmt, vor dir stehend, in diesem kühlen, stillen Gotteshaus, mitten unter den Augen der Santa Felice Assunta, neben der Marmorkanzel von Giovanni Pisano.

„Heiratest du mich?“

Mit jagenden Herztrommelwirbeln in meiner Brust, deine Antwort ersehnend, schloss ich die Augen und wartete auf deine Umarmung, auf deine Antwort. Ich wartete auf deine Hände, die mein Gesicht umfangen, es küssen. Zuerst die heiße Stirn, die roten Wangen dann und schließlich meinen Mund.

„Du bist so süß“, hörte ich dich leise sprechen, „aber ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Noch nicht. – Schau mal den großen Leuchter dort oben. Galileo hat sich scheinbar durch ihn über die Pendelbewegungen inspirieren lassen“, hast du noch angefügt und dann hörte ich dich weggehen.

„Zum Grabmal von Kaiser Heinrich VII. Das ist sehr interessant. Komm!“

Meine Herztrommelwirbel wurden langsamer, bis es schließlich ganz windstill wurde – in mir drinnen. Die Augen behielt ich geschlossen. Wohin hätte ich auch schauen sollen? Zur Kassettendecke hinauf, zum Leuchter, zu den andächtig betenden, schwarz gekleideten alten Mütterchen, die auf Knien mit Rosenkranz in den Händen und Weihrauch geschwängerten Taschentüchern die Felice Mutter Gottes um Hilfe baten? Zu dir hin? Zu diesem Grabmal? Es interessiert mit dir betrachten? Mit dir im Reiseführer über den Dichter D’Annunzio lesen, der dem Platz seinen Namen „Piazza dei Miracoli“ gegeben hatte?

Unsere beiden kleinen goldenen Ringe umfangen in meiner Hand. Vor einigen Sekunden noch wollte ich den einen davon, deinen alten Ring, wieder über deinen Finger streifen.

Ich verstaute die glänzenden Gefährten in der braunen, samtigen Schachtel, steckte sie zurück in die Manteltasche und hielt sie dort umklammert.

Für später.

Du bist damals nach Italien gefahren, um mit mir den Jahreswechsel zu feiern. Ich war einige Tage zuvor mit Freundinnen dahin gereist, da du noch nicht wusstest, ob du es dir einrichten konntest. Was habe ich mich gefreut, als eine SMS von dir dein Kommen ankündigte.

„Komme morgen um 16.30 Uhr in Viareggio an. Holst du mich ab? Ich freue mich so sehr. Auf dich und uns.“

„Sie kommt also“, informierte ich meine Feriengesellschaft und versuchte mir die unbändige Freude über deinen nahenden Besuch nicht anmerken zu lassen. Elsa öffnete eine Flasche Rotwein, schaute mich skeptisch an, holte tief Luft und setzte zum Sprechen an.

Ich kam ihr zuvor: „Sag nichts.“

„Was soll sie nicht sagen?“, fragte Kristin mit Unschuldsmiene, „dass sie dir wieder das Herz brechen wird? Die kleine, süße, wunderbare, wunderschöne Herzensbrecherin? Oh! Jetzt hab ich es gesagt. Und Jana sagt es auch gleich. Jana?“

Doch Jana schaute mich nur an und meinte zu Kristin: „Sie lieben sich halt. Daran ändert auch die Trennung nichts.“

Später am Abend zauberte Elsa ein rosarotes Dessert und Jana und Kristin lagen sich vor dem Kamin in den Armen. Ich versuchte mein aufgeregtes Herz mit italienischem Kräuterlikör zu beruhigen und rauchte draußen vor dem Ferienhaus, mitten auf der menschenleeren Straße von Casoli, Zigaretten.

Der Zug fuhr ein. Viareggio – was für eine besondere Stadt. Im Sommer ein mondäner Badeort mit schmucken Strand­kulissen und Badeanstalten, die Namen tragen wie Paradiso, Felice oder Elsa. Im Winter verwandelt sich das Städtchen für ein paar Wochen in eine Karnevalshochburg. Wir werden ihn verpassen.

Die schöne Häuserfront im Zentrum des Städtchens ist eine Filmkulisse – nach vorne hin viel Protz und Pomp, dahinter einfach, schlicht und grau. Und auch dem Bahnhof haftet nichts von Jugendstilzauber an. Verwitterte Schilder weisen zur Toilette, zur Bar, zum Uscita. Vergessene Zeitungen und weggeworfene Plastiktüten wirbelten über die Gleise.

Es stand keine Menschenseele auf dem Bahnsteig, als dein Zug endlich zum Stehen kam. Und dann sah ich dich aussteigen. Mit großen Schritten, leichtem Gepäck und strahlendem Lachen bist du auf mich zugekommen, hast mich umarmt. Und nicht mehr losgelassen.

„Ich dachte schon, der fährt durch“, hast du in mein Haar geflüstert, und ich spürte dein wild klopfendes Herz, deinen Bauch mit Hunger und Durst darin.

„Alles wird gut“, habe ich zurückgeflüstert und dem lieben Gott gedankt. Ich musste mich dabei ein bisschen strecken, da du größer bist. So wie früher. Mich hinaufstrecken. Zu dir hin.

„Jetzt bist du da.“

Der Tag deiner Ankunft war ein stiller Wintertag. Die kühle Meeresbrise wehte fin de siècle durch die Straßen und Gassen von Viareggio. Auf der Promenade wurde promeniert. Die Italiener und andere Wintergäste flanierten in tadelloser Garderobe. Wir trotzten dem Anspruch der eleganten Jugendstilfassaden und trugen T-Shirts, Jeans und alte Lederjacken.

Wir tranken Kaffee im Gran Caffè Margherita, spazierten Hand in Hand am menschenleeren Strand entlang und kauften Unmengen von Postkarten, die ich Monate später unbeschrieben im Handschuhfach wiederfand.

Die Rückfahrt über die Serpentinen hinauf nach Casoli, zu unserem Ferienhaus, war Schwindel erregend schön. Ich schwieg. Was hätte ich sagen sollen? Der Freude über dein Dasein wäre kein Redeschwall beigekommen.

Als ich meinen alten VW Kombi hupend vor dem Haus parkte, trat das Empfangskomitee mit Sekt vor die Tür. Der Argwohn, die Skepsis dir gegenüber waren verschwunden, kaum hatten sie uns entdeckt. Wir, das alte Liebespaar, schienen augenblicklich und endlich wieder vereint.

„Lass dich umarmen“, sagte Elsa. „Bist du groß“, lachte sie und hielt dich ein bisschen von sich weg. „Jesses, warum bist du nur so groß?“

Der erste Januarmorgen in Casoli. Tanzend haben wir das Neue Jahr begrüßt. Draußen auf der Straße. Mit fremden Gesichtern gelacht, mit Elsa, Kristin und Jana getrunken, am Tresen der kleinen, neonbeleuchteten Dorfbar Andrea, Roberto, Giulia und Luzia kennengelernt, uns an den Händen gehalten.

Der Barmann sah aus wie Adriano Celentano und sang zwischendurch auch ein bisschen so. Von „Amore, Amore“ nämlich und von „Sole sulla pelle“.

Kurz bevor wir aufbrechen wollten, öffnete sich die Tür und herein strömte ein halbes Dutzend Zirkusmenschen, die aussahen, als wären sie mittelalterlichen Tarotkarten entsprungen. Mitten hinein in unser artiges Leben. Mit Hüten und Mützen, engen Shirts, zerschlissenen Lederjacken, langen Mänteln, wild gemusterten Strümpfen, zu große Krawatten und mit rot geschminkten Lippen.

„Eh! Ciao, Luzia, ciao, Andrea, ciao a tutti, ciao!“, rief der Barmann entzückt und hörte nicht mehr auf damit, die Frauen und Männer der Truppe zu umarmen und zu küssen. Er schenkte sechs weitere Gläser ein und stellte diese neben die unseren.

„Dachte ich’s mir doch. Schweiz, oder?“, sprach mich Luzia an. „Dein Italienisch ist zwar ganz passabel, aber die nette Zurückhaltung, das können doch nur Schweizerinnen sein“, lachte sie mir mitten ins Gesicht.

„Was macht ihr?“, wollte ich wissen.

„Oh“, lachte sie, „willst du das wirklich wissen?“

„Natürlich wollen wir das wissen“, hast du dich eingemischt und schon waren wir für den kommenden Neujahrsabend zum Festival für „Circo Nuovo“ in Viareggio verabredet.

Wir tranken weiter, klatschten Beifall, als Luzia mit Tellern jonglierte, Roberto mit einer Stuhlakrobatiknummer glänzte und Andrea ein silbernes Pendel über deine und meine Hände gleiten ließ und dabei zufrieden lächelte.

Wir blieben hellwach in dieser Nacht. Du und ich.

Die anderen schliefen bereits ins Neue Jahr hinein. Wir legten ein letztes Holzscheit aufs Feuer in der Küche und tranken einen letzten Averna.

„Es ist so schön mit dir. Auf uns!“, hast du mir zugeprostet und mich dann geküsst. Mitten auf den Mund, mitten hinein in die silberne Morgenstunde. Dein Neujahrskuss.

„Ich küsse dich so gern. Ich küsse dich doch so gern“, hast du in meinen Mund geflüstert. Deine Angstworte, später dann, aus deinem Mund: „Wirst du mich wieder verlassen? Ich habe Angst. Eine solche große Angst“, verscheuchte ich mit zärtlichen Koseworten.

Ein Blick in dein Samtaugengrau und ich wusste es wieder. Du würdest bei mir schlafen, wenn der Frühling kommt und sich die ersten Blütenlocken fröhlich in den Himmel strecken. Du würdest mit mir die Wäsche in den Wind hängen. Dann, wenn der junge Morgen die vergessenen Gärten hinter den Häusern der Stadt in ein Paradies verwandelt.

Den Rest der Nacht verbrachten wir dicht aneinander liegend. Dein Atmen vermischte sich mit meinem. Wir verschenkten uns – durch uns hindurch. Mit allem, was wir waren. Mit allem, was wir sein würden, irgendwann.

Ich habe dich berührt. Dort, wo dein Innerstes den Himmel umfängt. Du hast gelacht. Ein Lachen, das auf meinem Gesicht seither nie mehr verloren ging. Dein Mund floss über, als ich dein Herz in das meine tauchte und du dein Gesicht meinem Innersten zugewandt hast.

„Ich liebe dich. Ich lieb dich so sehr“, hast du immer wieder gesagt.

Und ich küsste dich für jedes ich, für jedes liebe und für jedes dich – überallhin.

Zwischen fremden Silberdaunen und vertrauten Herzensflügeln schliefen wir ein. Ich legte meine Hand auf dein Gesicht und trank mich satt an deinem Seelenzauber.

Mit ein bisschen Schlaf in deinen süßen Haaren und Nachblauenwärme hast du dich Stunden später wieder auf mich gelegt.

Unsere Herzen haben Wurzeln geschlagen in dieser Nacht.

Als die Sonne hoch am Himmel stand, hast du deinen schlaftrunkenen Mund ein letztes Mal auf meinen Bauch gedrückt. Ich habe deinen Kopf gestreichelt und deine Schläfen geküsst. Deine Schläfen, die immer so gut gerochen haben. Als ich dich lieben wollte, bist du hastig und etwas ungelenk aufgestanden und bist nach unten in die kalte Küche gegangen, um Kaffee zu kochen.

Als ich dich dann stehen sah, in der Küche, bemerkte ich die Abdrücke unserer Liebe noch auf deinem Mund, in deinen Augen. Im umarmte dich, von weitem. Ich umarmte dich, als ich mitten auf der Küchenschwelle stand. Im Stillen. Abermals und immer wieder. So dass du es nicht bemerktest.

Dann kam der unvergessliche Abend im Circo Nuovo „Fasano“. Zirzensische Poesie aus Tanz, Theater und Musik entführte uns mit leichter Hand in ein fremdes Universum. Oder vielmehr in ein Paralleluniversum.

Wir befanden uns kurz in der Zukunft und blieben gleichzeitig in der Gegenwart stecken. Es war keine Reise in eine andere Welt.

Es gab uns zwei Mal. Einmal liebend vereint. Einmal getrennt und untröstlich.

„Ja, ja, ja, ich geh gleich schlafen. Ich geh gleich schlafen“, sagte eine Frau, in einen weißen Pelzmantel gehüllt und mit roten Stiefeln, hoch oben im Zeltdach auf einer Schaukel sitzend. Sie schaukelte unablässig hin und her und ließ mit eigenartigen, singenden Begleitgeräuschen die am Boden umherturnenden Wesen nach und nach erstarren. Das Schaukeln im dunklen, tiefen Raum schien für die anderen bedrohlich. Ich erkannte die Frau erst am Schluss der Vorstellung. Es war Luzia.