Josef Spirek, posthum

Der taube Gärtner

EDITION LEBENSSPUREN

WIDMUNG

„ALLES WIE GOTT WILL“

VORWORT & ENTSTEHUNG

Im Alter von 80 Jahren beginnt Josef Spirek (geb. 1913 in Weitra) auf Wunsch seiner Kinder, insbesondere seiner Tochter Ria, einen Aufsatz über sein Leben zu schreiben. Denn, an Gesprächen teilzunehmen bleibt ihm verwehrt: Josef Spirek ist taub. Nur mit seiner Frau Emma kann er sich noch mühelos unterhalten. Der langjährige Gärtner der gräflichen Gutsverwaltung Kottulinsky, zu deren Besitz das Schloss Neudau in der Oststeiermark zählt, dokumentiert daraufhin handschriftlich einen faszinierenden Zeitzeugenbericht. Er beschreibt unaufgeregt, feinsinnig und ohne Pathos ein Jahrhundert voller Ereignisse und Veränderungen. Er lässt Teilhaben an der Entstehung einer Behinderung, an der auch Beethoven litt, und er erzählt Dinge, die nicht in Geschichtsbüchern zu finden sind.

Lange Zeit bleibt das handgeschriebene Dokument in den privaten Vermächtnissen seiner Kinder unentdeckt, die engste Familie erlebte ja sein Leben in der Realität mit. Erst nachdem sich die Frau seines Enkels Georg dafür interessierte, tauchte dieses Ahnengeschenk wieder an die Oberfläche. Tief berührt von den Erlebnissen, erstaunt, wie schnell sich die Welt bereits für unsere Großeltern veränderte, und überrascht über die vielen Parallelen zu den heute aktuellen Problemen und Zeitgeschehnissen wie Flucht, Burn-Out, Technisierung, der Auf- und Abstieg von Branchen, veranlasste die beiden sein Erbe zu veröffentlichen, sein Wissen und seine Ansichten mit der Welt zu teilen.

Wie ist Fortschritt und Veränderung zu bewältigen? Wohin sollen wir Menschen uns entwickeln? Welche Rolle spielt ein Glaube? Worum geht es im Dasein? Was ist wirklich wichtig im Leben? Viele, viele Fragen in jeder Generation.

Vielleicht lauschen wir deswegen so gerne den Erzählungen älterer Menschen, weil wir instinktiv spüren, ihre Geschichten enthalten lebens- und überlebenswichtige Botschaften. Sei es, dass wir dann Inhalte übernehmen oder aber auch ablehnen.

Eltern versuchen Kindern ihre Werte und Lebenseinstellungen zu vermitteln. Das Vermächtnis von Großeltern hilft uns Nachkommen aber auf einer höheren Ebene zu verstehen - und neue Antworten zu finden.

Antworten, auf vieles.

Danke Opa Josef.

Und Danke Vater, Tante Liesl, Ria und Grete für die Erlaubnis zur Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen.

Georg & Ramona Spirek

Herausgegeben mit be-p-art.com - Die Plattform für Autobiografien und Buchprojekte.

28.XII.1993 (Beginn der Aufzeichnungen)

Weitra, das liebliche Städtchen im Waldviertel nahe der tschechischen Grenze, das war mein Geburtsort. Dazu fand ich kürzlich in einem alten Gebetsbuch unter anderem den Vermerk meiner nun seligen Mutter: „Pepi, geboren am 10. Februar 1913. 3/4 4 Nachmittag. Montag.“

Meine Eltern sind Wenzel und Eleonora Spirek. Vater wurde geboren am 21.9.1869, in Wallischbirken, Böhmen, wie ebenfalls Mutter vermerkte. Mutter erblickte in Murau, Steiermark, am 21.1.1875 das Licht der Welt. Ihr Vater war Handschuhmacher. Er betrieb ein Geschäft in der Stadt das sicherlich seiner Familie ein auskömmliches Leben bot. Leider verstarben die Eltern meiner Mutter (meine Großeltern) sehr früh. So stand das junge Mädchen sich selbst überlassen der harten Welt gegenüber. Sie veräußerte das elterliche Erbe nachdem sie die Bekanntschaft meines Vaters gemacht hatte, folgte der Stimme ihres Herzens und gab die Geborgenheit ihrer Heimat auf.

Mein Vater eröffnete mit dem Erlös aus Mutters Erbe, auch etwas Eigenkapital, in Weitra eine Hutmacherwerkstätte. Gewiss gingen meine Eltern mit Fleiß, freudig, und voll Hoffnung auf eine schöne Zukunft ans Werk. Doch all ihre Mühe blieb ohne Erfolg. Vielleicht war die Kleinstadt nicht der rechte Ort für einen Neubeginn. Das Waldviertel gilt ja auch heute noch als ärmliches, unterentwickeltes Gebiet. Und ein soziales Netz, Kinderbeihilfe und ähnliche Hilfen wie wir es heute in unserem schönen Österreich haben, das war damals unbekannt.

Für meine lieben Eltern endete in wenigen Jahren ihre Existenz katastrophal. Sie mussten ihren Wohnsitz in der Stadtmitte aufgeben und fanden Unterkunft bei einem Kleinhäusler in der Vorstadt in der Bergzeile. Und in dieser räumräumlichen Beengtheit war der Kindersegen, der ansonsten Glück und Freude in der Ehe ist, die Ursache für Sorge, wie die jungen Erdenbürger satt zu machen und bekleidet werden sollen.

5 Buben stellten sich ein, von denen ich - „der Peppi“ - der Jüngst geborene war. Mein Bruder Hans war der Erst geborene. Er erblickte am 20. Dez. 1897 das Licht der Welt. Karl folgte am 17. Sept. 1900. Paul gesellte sich am 19. Juni 1903, dreiviertel Nachmittag an einem Montag zu unserer Familie. Franz, der vorletzte Sprössling wurde am 30. Nov. 1905 halb sechs Abends an einem Donnerstag geboren. Diese und noch andere Familienereignisse hielt Mutter in einem Gebetsbuch schriftlich fest. Als sich Tante Berta, die Schwester meines Vaters bereitfand, Paul bei sich in Wien aufzunehmen, da waren meine Eltern gerne damit einverstanden, gab es doch einen Esser weniger. Auch war zu bedenken, dass in der Kaiserstadt eine viel bessere Schulbildung auf ihn wartete, als hier in seinem Geburtsort.

Meine Eltern Wenzel und Eleonore, 1897 in Budweis

Die Ehe – der Lebensbund - welcher vor gar nicht so langer Zeit in Budweis (einer Stadt in Böhmen) geschlossen wurde, damals beglückt, froh und voll Zuversicht, ging zu Ende. Vater erkrankte schwer. Er begann zu trinken. Vielleicht wollte er damit der Wirklichkeit entfliehen. Mutter schrieb: „Am 23.12.1914 5 Uhr Vormittag starb mein lieber Mann, armer Vater. Möge Gott dich in einer anderen, besseren Welt dafür entschädigen, was dir in deinem kurzen, bitteren Erdenleben an Glück versagt geblieben ist.“

Mutter stand nun da, mit uns vier unversorgten Kindern, ohne jede staatliche Hilfe. Die tapfere Frau verzagte nicht und erfüllte treu und hingebungsvoll ihre beschworene Pflicht uns Kindern gegenüber. Liebe Mutter, dafür sage ich Dank, möge Gott es dir lohnen.

An meinen Vater haftet in mir kaum eine Erinnerung. Er soll ein sehr kräftiger, großer Mann gewesen sein. Nur 45 Jahre wurde er alt. Wenn ich gefragt wurde „wo stand Vaters Bett“, zeigte ich mit der Hand darauf. Ein großrädriger Korbkinderwagen war es, in dem ich in den Wald mitgenommen wurde. Mutter sammelte dort das nötige Brennholz, zum Kauf dafür reichten leider ihre Einkünfte nicht. Sie war zwar geprüfte Hebamme, in der Innenstadt war aber eine zweite Frau ihres Berufes als mächtige Konkurrenz. Mutter blieben zumeist nur die Frauen der umliegenden Dörfer, Bauersleute, die nur über das nötigste verfügten. Sie bezahlten Mutter zumeist mit eigenen Erzeugnissen wie Selchfleisch, Schmalz, Eier und andere Lebensmittel. Damit war uns ja auch sehr geholfen! „Kronen“, die Zahlungsmittel der Monarchie waren besonders auf dem Land sehr knapp bemessen.

Eine ebenfalls schattenhafte Erinnerung aus frühesten Kindheitstagen war es, als mich mein ältester Bruder Hans auf seinen Schultern über eine dunkle Stiege herabtrug. Vermutlich war er damals schon Soldat. Eines Tages bekam Mutter die schreckliche Nachricht vom Heldentod meines Bruders, ihres ältesten Sohnes. Gefallen für Kaiser, Volk und Reich, wie es damals hieß.

Mutter hatte nun fünf unmündige Kinder. Wir waren bei Mutters Freundin Frau Kresala und auch Witwe. Der schreckliche Krieg hatte ihr den Mann und Ernährer ihrer Kinder geraubt. Wir alle knieten uns nieder und beteten für das Seelenheil der Gefallenen. Ich war wohl noch zu kindlich, um die Tragik des furchtbaren Geschehens zu erfassen. Doch wer ermisst den Schmerz der Mütter und der Ehefrauen?

Hans, gefallen am 10.11.1917. Also musstest du uns im blühenden Alter von 20 Jahren verlassen.

Eine schöne Zeit vollbrachte ich im Kindergarten unseres Städtchens. In einer der Räumlichkeiten befand sich ein großes Bild, dieses zeigte einen alten Herrn mit Vollbart, bekleidet mit prächtiger Uniform. Das war Kaiser Franz Josef, der Herrscher von Österreich-Ungarn. Gütig blickte er aus einem Gold glänzenden Rahmen auf uns staunende Buben.

Viel Spaß und Zeitvertreib bot das Kugerlscheiben, Versteckspiel und Abfangen mit Altersgenossen. Warm vor Anstrengung und Kräftigung meiner Muskeln, erinnere ich mich gern an einen ausgedienten, eiserner Wagenreifen, den ich mit einem Holzscheit auf den zu jener Zeit noch verkehrsarmen Straßen und Gassen antrieb und fortbewegte. Das machte zwar einigen Lärm, aber offensichtlich fühlte sich niemand gestört. Gewiss gab es in den einschlägigen Geschäften wesentlich leichtere und schönere Holzreifen als Spielzeug zu erwerben. Doch für solche nicht notwendigen Anschaffungen fehlte das Geld. Ich denke, mein alter Eisenreifen sagte mir auch viel besser zu. Heute ist das Reifenspiel auf unseren Straßen verschwunden. Das Verkehrsaufkommen, die vielen Autos, würden es zur Lebensgefahr für unsere Kleinen machen.

Eines Tages kam Tante Berta zu uns auf Besuch. Neben mir noch nicht bekannten Köstlichkeiten - wie Bananen und Orangen - brachte sie mir einen großen, schönen Ball als willkommenes Geschenk für mich mit. Nicht weit von unserer Behausung befindet sich aber das Bachbett der Lainsitz, einem Nebenfluss der Moldau.

Als ich an einem der nächsten Tage eifrig und sorglos an der Böschung des Flusses spielte, kollerte mir der Ball hinunter. Obwohl ich sogleich zum Ufer lief, misslang mein Rettungsversuch. Traurig und den Tränen nahe, musste ich ansehen wie mein schöner Ball tänzelnd auf dem Wasser dahin trieb, bis er meinem Blicken entschwand. Es ist gut, dass das kindliche Gemüt solche kleinen Misshelligkeiten bald vergisst. So auch in diesem Fall. Mit gleichaltrigen Spielkollegen vereinbarte ich, dass wir in der nächsten Nacht in den Wald gehen wollten, um dort Räuber zu fangen. Mutter war nicht wenig erstaunt, als ich mich pünktlich aus dem Bett erhob und mich anzukleiden begann. Als ich ihr von meinem Vorhaben erzählte, hatte sie nicht wenig Mühe mir dies auszureden, und mich wieder in das Bett zu bringen.

Von der ursprünglich sieben Personen umfassenden Familie waren nur mehr Mutter und ich im Haushalt zusammen. Vater, und mein ältester Bruder Hans mussten uns, wie schon gesagt, in ein besseres Jenseits verlassen. Franzi verloren wir schon als Kleinkind durch eine tödliche Krankheit. Paul war ein eifriger Schüler in der Großstadt bei unserer Tante in Wien. Karl machte Dienst bei der Feuerwehr in der nahen Bezirksstadt Gmünd. Beruflich bedingt war auch Mutter oft fort. Dann war ich mir selbst überlassen.

Es kam schon öfter mal vor, dass ein Klopfen an den Fensterscheiben mich aus dem wohltuenden Schlaf schreckte. Nach Rücksprache mit dem Störenfried kleidete sich Mutter hastig an und entschwand mit ihrem Begleiter und meinen Blicken im Dunkel der Nacht. Bis sie oft erst nach stundenlanger Fahrt an ihrem Bestimmungsort ankam. Oft musste sie auch zu Fuß mit der schweren Gerätetasche zu ihren Frauen in guter Hoffnung eilen. Welche große Hilfe wäre da ein Fahrrad, Motorrad oder Auto gewesen! Ich sah es nicht gerne, wenn ich kleiner Bub dann ganz alleine in der Wohnung bleiben musste. Es verging einige Zeit, bis wieder der wohlige Schlaf sich einfand.

In engster Nachbarschaft unserer Behausung befand sich der Gasthof Schweighofer. Dort bekam ich in der Zeit der Abwesenheit Mutters ausreichende Verpflegung. Die übrige Zeit hielt ich mich in unserer Wohnung auf. Diese bestand aus nur einem Zimmer mit schon etwas verwahrlostem, fäulenden, schwammigen Boden.

Einmal, und gewiss nur aus purer Langeweile, erfasste ich einen, schon etwas „schleißigen“, Polster. Ich warf ihn herum, gleich einem Ball. Das war zu viel für sein altes Gewebe. Er zerbarst und die Gänse oder Hühnerfedern erfüllten den Raum. Ich war erschrocken. Meinem Empfinden nach verdiente meine ungebührliche Handlungsweise eine empfindliche Strafe. Was wird die Mutter sagen? In meiner Not, fand ich einen Rosenkranz - er hatte weiße Perlen - und begann eifrig zu beten. Und siehe da, durchaus nicht ohne Wirkung. Denn, als Mutter endlich heimkam, und die Bescherung die ich angerichtet hatte ansah, da sagte sie merkwürdigerweise gar nicht viel. Von einer Bestrafung war keine Rede.

Es war Mutter, die mich beten lehrte. Schon zu einer Zeit, als ich kaum meine Hände falten konnte, meine Lippen die ersten Worte zu formen vermochten. Täglich kniete ich zur Abendstunde im Bett, sah zu einem schönen Marienbild auf, welches seinen Platz an der gegenüberliegenden Wand hatte. Mutter sprach mir vor: „Mein Herz ist klein, darf niemand hinein, als du mein liebes Jesulein.“ Bald nach diesem Gebet kamen die Sandmännchen. Süßer Schlummer umfing mich, und ich erwachte in der Morgenstunde neu belebt und gestärkt. Das nächtliche Klopfen an der Fensterscheibe unserer Behausung, wie es manchmal geschah, störte mich aber schon sehr.

Die Erotik stellte sich bei uns Kindern früh ein. War das Wetter schön, so beschäftigten wir uns mit harmlosen Abfangen- oder Versteckspielen in der freien Natur. Bei Schlechtwetter, an Regentagen, oder wenn es kalt war, saßen wir Buben und Mädchen in einer der Bauernstuben eng aneinander geschmiegt, sich gegenseitig betastend, was einen wohligen Schauer in mir hervorrief. Heute würde man dies als „betting“ (gemeint petting) bezeichnen. Dass wir uns jedoch wohl bewusst waren, dass unser Verhalten etwas Unerlaubtes sei, zeigte sich bei der Annäherung von Erwachsenen. Denn, wenn dies geschah, rückten wir sogleich auseinander und machten ein möglichst harmloses Gesicht.

Auch Mutters Beruf war dazu angetan, in mir ein frühzeitiges sexuelles Empfinden wach zu rufen. Zwar nicht allzu häufig, aber doch kamen Frauen und Mädchen um Rat und Hilfe in bestimmten Angelegenheiten zu finden. Wenn dies der Fall war, hatte ich mich in eine Ecke zu stellen, mit dem Gesicht zur Wand. Ein Behandlungsraum oder eine ähnliche Einrichtung war nicht verfügbar. Wie schon erwähnt, bestand unsere Wohnung aus nur einem Zimmer. Die Behandlung, welche die Patientinnen erfuhren, das Rascheln der Kleider erregte mich sehr. Auch ein fachliches Buch für Geburtshilfe mit seinen Abbildungen des weiblichen Körpers, das ich einmal in einer Truhe fand und durchblätterte, hatte eine ähnliche Wirkung auf mich. Ich hoffe, diese frühkindlichen Erlebnisse beeinträchtigten meine seelische Entwicklung nicht allzu stark zum Ungesunden, zum Negativen.

Was die heutige Zeit betrifft, so muss dazu gesagt werden, dass den Kindern und Jugendlichen durch das Fernsehen und andere Medien sehr viel an unguten Anschauungen geboten wird, was so mancher nicht verkraften kann und auf die schiefe Bahn abgleitet.

Die Tage wurden kürzer, früh dunkelte der Abend heran. Weihnacht nahte. Viel Schnee war gefallen. Mutter forderte mich nach dem Mittagstisch auf, eine Schlittenfahrt zu machen. Der heutige Tag war ein ganz besonderer, denn am Abend, dem Heiligen Abend, kommt das Christkind mit Gaben für brave und folgsame Kinder. So nahm ich meinen eisernen Schlitten und versuchte, mir mit anderen Buben die Zeit bis zum Dunkel werden mit einer Rodelpartie zu vertreiben. Heute fand ich dabei, nicht wie sonst, den richtigen Spaß. Zu groß war die Ungeduld, die Erwartungsfreude. Schon früh machte ich mich auf den Weg nach Hause. Dort fand ich die Tür verschlossen und musste warten bis am Himmel schon die ersten Sternlein glänzten. Nach einer Weile, da ertönte ein zartes Klingeln. Die Türe ging auf, und Mutter rief: „Peppi, komm! Das Christkindl ist da!“ Ich trat ein und sah den im warmen Lichterglanz strahlenden Baum. Einige Wunderkerzen versprühten zusätzlich Funken, die ein schwaches Geräusch verursachten. Unter dem Baum erblickte ich ein Kripperl. Das Jesu Kind in der Wiege, davorstehend Maria und Josef, auch einige Hirten und auch Ochs und Esel fehlten nicht. Dann suchten meine Augen die so heiß ersehnten Geschenke. Ein Bilderbuch mit gemalten Pferden. Eine Tafel Schokolade - und wahrhaftig, da war auch ein Ball! Gleich dem welchen mir die Lainsitz fortgetragen hatte. In dieser Stunde war ich selig, glücklich wie nur ein Kind sein kann. Nachdem Mutter und ich uns einige Zeit an unserem strahlenden Baum erfreut hatten, löschten wir die Kerzen. Unser Ofen, gut von Mutter gefüttert, gab eine behagliche Wärme von sich. Ein „Mensch ärgere Dich nicht“ Spiel, ebenfalls ein Christkindl Geschenk, bot nun willkommene Zerstreuung für die nächsten Stunden, bis es dann Zeit zum Gang in die mitternächtliche Christmette war.

Die Kirche fanden wir schon voll mit andächtig Gläubigen. Auch dort sah ich neben vielen anderen Lichtern einen großen, bis an die Decke reichenden Tannenbaum, geschmückt mit vielen Kerzen. Nach der heiligen Messe erklang vom Chor als Abschluss der Feier das alte schöne Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“.

Mutter und ich gingen heim mit dem Bewusstsein - ein schöner Tag ist vorbei.