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Adam Schwarz

Die Revolution in den Bergen

Bericht des Beteiligten Johannes Fröschli

Inhalt

Die Revolution in den Bergen

ZUM AUTOR

IMPRESSUM

Die Angst, ob sie bestehen würden, klemmte sie an den Tisch, sie wanden sich wie in einer Falle. Das hieß also »ins Leben eintreten«? Von diesem Augenblick an versuchten sie, keine Gören mehr zu sein … Sie verzogen die Gesichter, um schon wie Männer auszusehen …

Louis-Ferdinand Céline, Tod auf Kredit

Manchmal, wenn ich aus meiner Zelle in den nahen Park hinüberschaue, kann ich die Hunde sehen, wie sie an den Leinen ihrer Besitzer zerren und sich anknurren. Dann denke ich daran, wie sehr wir Menschen diesen Tieren ähneln und wie schnell wir zubeißen, wenn man uns einmal von der Leine lässt. Und ich denke daran, wie wir die Welt anknurrten und wie wir in der Folge aufeinander losgingen. Wir, das waren meine sogenannten Freunde, die Julia Fuchs, Matthias Hammel und Lisbeth Reier hießen, und ich, Johannes Fröschli. Wir waren eine tolle Bande. Ganz fantastisch. Kleine, gefährliche Gartenzwerge waren wir, die sich auf das Dorf stürzten wie vormals die Beulenpest. Aber ich greife vor.

Wir teilten uns eine WG, muss man wissen, in einer dieser verklebten Kulturstädte. Kennengelernt hatten wir uns rund ein Jahr zuvor während der Redaktionssitzungen der internationalen Jugendzeitschrift SKUM, die uns alle ernährte: Hammel als Redakteur, mich als Fotografen und die beiden Mädels als freie Jungjournalistinnen. Nachdem im folgenden Sommer meine bisherigen Mitbewohner alle kurz nacheinander ausgezogen waren, was übrigens wirklich nichts mit mir zu tun hatte, auch wenn die neulich in der Zeitung anderes behauptet haben, hatte ich sie gefragt, ob sie nicht bei mir einziehen wollten, und sie hatten es prompt getan.

Allerdings dauerte es nicht lange, bis ich bereute, sie eingeladen zu haben. Besonders schlimm wurde es im Januar. Die Wintersemesterferien hatten begonnen, und mit ihnen war der Damm gebrochen, der uns von unseren Selbstzweifeln trennte.

Wir saßen um den Küchentisch, drehten Zigaretten, American Spirit, und zeigten einander die neusten Internetfundstücke.

»Ihr habt noch nicht gelebt«, sagte Hammel, »wenn ihr das Video mit dem sprechenden Hund nicht gesehen habt.«

Es war von einem User namens narcoleptic_insomnia hochgeladen worden. Zu sehen waren eine Hand und ein Husky. Die Hand packte die Schnauze des Hundes, sodass es beim Bellen so klang, als gäbe er »Bla, bla« von sich. Die Essenz aus zweieinhalb Jahrtausenden Diskurs. Eine große Sache, hunderttausend Views. Das muss man erst einmal hinkriegen.

»Das ist noch gar nichts«, sagte Lisbeth und legte mit der Aufnahme eines Sechsjährigen nach, der von der Schaukel fiel. Ich trumpfte mit dem Foto eines Fabrikarbeiters auf, dem die Hand in den Fleischwolf geraten war. Das war auch nicht schlecht. Die Mädels zeigten sich fasziniert. Hammel gönnte mir diesen Erfolg nicht. Das sei doch noch von letztem Jahr, sagte er und reichte einen Fetzen Fäkalporno nach, den wir glucksend betrachteten.

Bald aber merkten wir, dass uns kein Video der Welt, sei es noch so absurd oder abseitig, darüber hinwegtrösten konnte, dass wir noch nirgendwo standen und es bis jetzt nicht geschafft hatten, uns in irgendeinen gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.

»Ich halte es nicht mehr aus«, fasste Hammel unser Lebensgefühl zusammen. »Wir müssen was tun.«

Lisbeth erzählte von einer Kunstaktion, bei der es darum ging, in die Hauptstadt zu fahren, um das Bundeshaus zu teeren und zu federn. Sie fand, SKUM müsse unbedingt darüber berichten.