cover
Betty J. Viktoria

Verrücktes Paris Band 5

Die Schönheitsfrage


Für Paris! Die Stadt des Lichts wird ihre Magie niemals verlieren.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Wer braucht schon Mathe?

„Jetzt guckt doch mal!“, forderte Fleur ihre Freunde auf und wühlte in ihrer Handtasche, in der sie auch ihre Schulsachen transportierte. Luc jedoch trommelte lieber nervös auf dem Tisch herum. „Hör auf damit, das macht mich noch verrückt“, wies Vic ihn an. „Als ob du das nicht sowieso wärst“, gab Luc angespannt zurück. Fleur beendete das Gekrame in ihrer Tasche abrupt und sah die Jungs fragend an. „Habe ich etwas verpasst?“, hakte sie schließlich nach. „Warum seid ihr so durch den Wind?“ – „Chat hat meine Mutter beim Einkaufen getroffen und ihr verraten, dass wir die Mathearbeit heute zurück bekommen“, erklärte Vic. „Ach so“, machte Fleur gleichgültig und widmete sich wieder ihrer Tasche. „Das ist wichtig, schließlich ist das Halbjahr kurz und wir schreiben nicht mehr viele Arbeiten“, sagte Luc ernst. Doch seine Freundin ignorierte ihn. Stattdessen knallte sie eine vornehme Modezeitschrift auf den Tisch und blätterte aufgeregt darin. „Ich hätte gerne wieder eine Zwei in Mathe auf dem Zeugnis“, sagte Vic und rechnete mit Luc durch, wo sie aufgrund ihrer bisherigen Ergebnisse ungefähr standen. „Hört auf, ihr Streber, und seht euch lieber das hier an!“, befahl Fleur ihnen und sie warfen einen Blick in die Zeitschrift. Auf einem ziemlich großen Foto war Fleur als Model einer edlen Kleidermarke zu sehen. „Gratuliere“, sagte Vic. „Super, was?“, grinste Fleur stolz. „Und hier hinten sind noch zwei kleinere Bilder von mir.“ – „Für den gleichen Designer?“, hakte Vic nach und erntete verständnisloses Kopfschütteln von Luc, der sich wunderte, wie sein Kumpel nur auf solche Fragen kam. „Alles für verschiedene Designer“, erklärte Fleur glücklich. „Pack das lieber weg. Chat kann jeden Moment kommen“, meinte Luc streng. Seine Freundin seufzte genervt, verkniff sich aber einen Kommentar und gehorchte. Sorgsam steckte sie die Zeitschrift zurück in ihre Handtasche. Betont langsam legte sie dann ihre Mathesachen eher dekorativ auf den Tisch. Im Gegensatz zu den Jungs war sie nicht so scharf darauf, ihre Arbeit wieder zu bekommen. In Mathe war sie keine allzu große Leuchte. Allerdings sah das in den anderen Fächern auch nicht unbedingt besser aus. Dass Monsieur LeChat, den sie unter sich nur Chat nannten, im gleichen Haus wohnte, wie sie und ihre Freunde, kam erschwerend hinzu. So standen sie immer unter besonderer Beobachtung. Fleur war froh darüber, dass ihre Eltern ihn nur selten im Treppenhaus trafen.

 

Monsieur LeChat tauchte kurz nach dem Klingeln zum Unterricht auf und trug einen Stapel Hefte bei sich. „Ich werde die Arbeiten gleich mal verteilen und dann machen wir die Berichtigung zusammen“, verkündete der Lehrer und sah wenig erfreut über die Ergebnisse aus. „Meine können Sie ruhig behalten“, sagte Fleur zu ihm, als er an ihren Tisch kam. „Ja, das glaube ich dir“, murmelte Monsieur LeChat nüchtern und sah sie alle drei streng an. „Dann fang mal an, Vic“, forderte Luc seinen Kumpel auf. „Wieso eigentlich immer ich?“, wollte der wissen und Fleur erklärte: „Das ist nicht so deprimierend, wie bei uns.“ Dazu sagte Vic lieber nichts und warf stumm einen Blick auf seine Mathearbeit. „Eine Zwei“, sagte er dann zu seinen Freunden, die laut aufstöhnten. „Jetzt du, Fleur. Dann fühle ich mich wieder besser“, beschloss Luc. Sie streckte ihm die Zunge raus. „Eine Fünf. Was für eine Überraschung“, meinte Fleur, nachdem sie ihre Note gesehen hatte, sarkastisch. Seufzend schaute sich auch Luc sein Ergebnis an. Eine Drei, immerhin. Er selbst war damit durchaus zufrieden, doch er ahnte schon, dass sein Vater anderer Meinung sein würde.

 

Monsieur LeChat wartete, bis sich die Unruhe in der Klasse etwas gelegt hatte. Dann begann er, mit seinen Schülern die Berichtigung an der Tafel zu rechnen. „Hinterher ist es immer ganz leicht“, fand Vic kopfschüttelnd und meldete sich sogar. „Von wegen leicht“, seufzte Fleur, die verzweifelt die Ergebnisse von der Tafel abschrieb. Luc ärgerte sich noch ein bisschen, weil er es beinahe auch auf eine Zwei geschafft hatte. Und Fleur ärgerte sich, dass sie Zeit ihres Lebens mit Mathe verschwenden musste. „Du hast mal wieder nicht gelernt, oder?“, wollte Vic von seiner Freundin wissen. „Natürlich nicht. Ich habe Besseres zu tun, als mich freiwillig mit diesem Quatsch zu beschäftigen“, antwortete Fleur hochnäsig. „Dieser Quatsch ist aber wichtig“, sagte Luc streng zu ihr, doch sie entgegnete: „Nicht für mich. Ich werde Model.“ – „Und du erfüllst mit Freude das Klischee vom dummen Model?!“, provozierte Elise sie vom Nachbartisch. „Ich bin nicht dumm. Ich habe nur keine Lust“, erklärte Fleur gelassen. Vic wusste, dass das der Wahrheit entsprach, und fragte sie: „Gibt es denn gar keine Möglichkeit, dich zu motivieren? Stell dir vor, du bräuchtest eine gute Note, um einen Modeljob zu bekommen.“ – „Nein, eher nicht“, wehrte sie ab.

 

Luc dachte mit Grauen an Fleurs Halbjahreszeugnis. Das hatte gar nicht gut ausgesehen. Sie musste seines Wissens nach endlich gute Noten schreiben, wenn sie das Schuljahr bestehen wollte. Doch es machte ganz den Anschein, als wollte sie einfach nichts für die Schule tun. Bisher war sie damit auch immer irgendwie durchgekommen. Aber so konnte es ja nicht weiter gehen. Außerdem hatten er und Vic ihr schon so oft aus der Patsche geholfen. Wenn Fleur daraus nichts lernte, sondern sich auch noch weiter darauf verließ, dass sie ihr immer wieder den Hintern retteten, war ihr auch nicht geholfen. Aus Fleurs Einstellung zog Luc langsam den Schluss, dass sie sich gar nicht helfen lassen wollte. Und schon gar nicht, wenn das bedeutete, dass sie selbst etwas tun musste. Mit dieser Erkenntnis klappte Luc sein Matheheft zu.

 

„Hey!“, protestierte Fleur, die seine Ergebnisse abgeschrieben hatte. „Ich war noch nicht fertig!“ – „Aber ich bin fertig“, konterte Luc. „Und wir haben die Aufgaben gerade eben gemeinsam an der Tafel besprochen.“ – „Da habe ich aber nicht zugehört“, sagte Fleur und zog einen Schmollmund. Stattdessen hatte sie unter dem Tisch in einer Modezeitschrift geblättert. „Das ist dein Problem“, gab Luc streng zurück. „Toller Freund“, schnaubte das Mädchen verächtlich und sah hoffnungsvoll zu Vic herüber. Einen Moment lang fehlten Luc die Worte. Jetzt wurde er auch noch als schlechter Freund beschimpft, weil er ihr nicht länger die ganze Arbeit abnehmen wollte. „Das ist echt nicht fair von dir, Fleur“, fuhr er sie an, doch sie ignorierte ihn. „Lass sie nicht bei dir abschreiben. Das bringt doch nichts“, sagte Luc energisch zu Vic. Fleur funkelte Vic vielsagend an. Der war eigentlich auch schon fertig mit seiner Berichtigung. Und er hasste Konflikte. Da hielt er sich, wenn es irgendwie ging, immer raus. Aber nun hatten Fleur und Luc ihn mitten hinein gezogen. Ganz egal, was er jetzt tat, einer von ihnen wäre sauer auf ihn. Eine wirklich blöde Situation.

 

Vic wusste, dass Lucs Ärger meist schneller verflog. „Das ist das letzte Mal, Fleur“, sagte er mit ernster Miene zu seiner Freundin. Sie sah ihn kurz überrascht an und wollte mit einem Schulterzucken weiterschreiben. Doch Vic klappte sein Heft zu und zwang sie, ihn anzusehen. „Du musst anfangen, deine Schulsachen selber zu machen“, meinte er. „Es ist kein Wunder, dass du schlechte Noten in den Arbeiten bekommst, wenn du die Hausaufgaben immer bei uns abschreibst.“ Luc nickte zustimmend, doch Fleur fand: „Ich würde auch bessere Noten schreiben, wenn ihr mich in den Arbeiten abschreiben lassen würdet.“ – „Wie dreist bist du eigentlich?“, wollte Luc empört wissen, obwohl er die Antwort schon kannte. Fleur antwortete ihm ohnehin nicht, sondern sah Vic herausfordernd an und fragte: „Kann ich weitermachen?“ – „Hast du verstanden, was wir dir sagen wollen?“, fragte Vic zurück. „Ja, so in etwa“, meinte Fleur. Das bezweifelte Luc ernsthaft, doch er sagte nichts mehr dazu. Seufzend schlug Vic sein Matheheft wieder auf, damit Fleur ihre Berichtigung beenden konnte.

 

In der Mittagspause saßen die drei Freunde gemeinsam an einem Tisch in der Schulkantine. Luc versuchte sich skeptisch an seinem Schulessen, das Vic genüsslich verzehrte. Fleur dagegen begnügte sich mit etwas Obst, das sie sich von zu Hause mitgebracht hatte. „Kann ich mir deine Biologiemappe ausleihen?“, wollte sie von Vic wissen. Der legte misstrauisch seine Gabel weg und fragte zurück: „Wozu das?“ – „Na, du hast doch selber gesagt, dass ich mehr lernen muss. Und als nächstes schreiben wir eine Arbeit in Biologie“, sagte Fleur auffällig unauffällig. Während Vic noch nach dem Haken suchte, hatte Luc ihn schon gefunden. „Du besitzt gar keine eigene Mappe, richtig?“, hakte er nach. „Wie willst du dann lernen?“, wollte Vic wissen und sie erklärte: „Dazu brauche ich ja deine Mappe.“ – „Du willst daraus abschreiben?“, fragte Vic weiter und Luc schüttelte den Kopf über so viel Naivität. „Abschreiben lassen. Wir haben einen Kopierer in der Bibliothek“, erklärte Fleur. Unsicher sah Vic seinen Kumpel an. Eigentlich wollten sie ihre Freundin in ihrer faulen Art ja nicht mehr unterstützen. Andererseits konnte sie ohne Unterlagen wirklich schlecht lernen. „Wenn Vic dir hilft musst du aber mindestens eine Drei schreiben“, sagte Luc zu Fleur. „Und wovon träumst du nachts?“, fragte sie ihn und zeigte ihm einen Vogel. „Versuch es doch wenigstens“, forderte Vic sie auf und kramte nach seiner Biologiemappe. „Danke“, sagte Fleur erleichtert und schnappte sie sich. „Kommt ihr mit?“ – „Haben wir eine Wahl?“, wollte Luc genervt wissen und sie schüttelte energisch den Kopf.

 

Als Luc und Vic aufgegessen hatten, machten sie sich auf den Weg in die Bibliothek. „Weißt du überhaupt, wo wir lang müssen?“, zog Luc seine Freundin auf und erntete einen vernichtenden Blick von ihr. „Natürlich weiß sie das“, warf Vic grinsend ein. „Das ist bestimmt nicht die erste Mappe, die sie kopiert.“ – „Ihr seid ja solche Komiker“, zischte Fleur bedrohlich und die Jungs verstummten. Sie wollten sie lieber nicht zu sehr reizen. Außerdem hatten sie ihr Ziel erreicht. In der Bibliothek war es ruhig und leer. Die wenigsten Schüler kamen auf die Idee, ausgerechnet hier ihre Mittagspause zu verbringen. Auch Fleur hatte nicht vor, länger als unbedingt nötig zu bleiben. Sie verdrückte sich mit Luc und Vic in die Ecke, in der der Kopierer stand. Dabei gab sie sich alle Mühe, bloß leise zu sein. Die Bibliothekarin verstand in dieser Hinsicht absolut keinen Spaß. Fleur kopierte Seite für Seite aus Vics Biologiemappe. Als sie damit fertig war, schnappte sie sich den Stapel Papier und klemmte ihn sich achtlos unter den Arm. Luc konnte es kaum mit ansehen. Ihm lagen so viele Dinge auf der Zunge, doch solange sie in der Bibliothek waren, verkniff er sich jeden Kommentar.