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Die Autorin

Annemarie Schwarzenbach wurde 1908 in Zürich geboren. Studium der Geschichte in Zürich und Paris. Ab 1930 enge Freundschaft mit Erika und Klaus Mann. 1931 Promotion. 1931 bis 1933 als freie Schriftstellerin zeitweise in Berlin. Erstmals Morphiumkonsum. 1933 bis 1934 Vorderasienreisen. 1935 kurze, unglückliche Ehe mit dem französischen Diplomaten Claude Clarac in Persien. 1936 bis 1938 (Foto-)Reportagen im Zusammenhang mit Reisen in die USA, nach Danzig, Moskau, Wien, Prag. Entziehungskuren in der Schweiz. 1939 Reise mit Ella Maillart nach Afghanistan. 1940 Aufenthalt in den USA. 1941 bis 1942 in Belgisch-Kongo. Die Journalistin, Schriftstellerin und Fotoreporterin starb 1942 in Sils.

Die Herausgeber

Robert Steiner, geboren 1976. Schriftsteller, Bergsteiger, Lehrer. Nebst grossen Wänden in den Alpen, Big Walls in den USA sowie Bergen im Himalaya ist er dreifacher Besteiger des Khan Tengri, hat den Pik Pobeda und andere Berge im Tienschan erklommen. Als Mitglied einer russischen Mannschaft erkannte er bei mehreren Expeditionen nach Zentralasien seine Parallelen zu Lorenz Saladin. Erschienen sind von ihm Selig, wer in Träumen stirbt, Stoneman und Allein unter Russen. Er lebt im Allgäu.

Emil Zopfi, geboren 1943, studierte Elektrotechnik und arbeitete als Entwicklungsingenieur und Computerfachmann. 1977 debütierte er mit dem Roman Jede Minute kostet 33 Franken und publizierte in der Folge zahlreiche Romane, Hörspiele und Kinderbücher. Für seine Werke wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. von Stadt und Kanton Zürich, der Kulturstiftung Landis & Gyr und der Schweizerischen Schillerstiftung. 1993 erhielt er den Kulturpreis des Schweizer Alpen-Clubs, 2001 den Glarner Kulturpreis, 2010 den King Albert Mountain Award. Er lebt als freischaffender Schriftsteller in Zürich und ist passionierter Bergsteiger und Sportkletterer.

www.lenos.ch

ISBN EPUB-E-Book 978 3 85787 541 0

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Handschriftliche Notiz von Annemarie Schwarzenbach (Schweizerisches Literaturarchiv)

Inhalt

Annemarie Schwarzenbachs vergessenes Buch

1. Teil
Ein Bergsteiger im Werden

Ein Leben für die Berge

Eine Selbstbiographie

Der grosse Berg

Berge der Heimat

Urwald und Anden

Amerikafahrer

2. Teil
Die grossen Expeditionen

Schweizerische Kaukasus-Expedition 1933

Die zweite Kaukasus-Expedition

Dach der Welt

Der Weg zum Himmelsgebirge

Der Sieg

Robert Steiner / Emil Zopfi:
Das Drama am Khan Tengri

Quellen

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Lorenz Saladin (1896–1936)

Annemarie Schwarzenbachs vergessenes Buch

Das Buch fand ich auf dem Flohmarkt. Ein Zufall. Ich kaufte es, weil ich mich erinnerte, dass mich als jungen Bergsteiger und Bücherwurm die dramatische Geschichte fasziniert hatte. Die Autorin Annemarie Schwarzenbach war damals weitgehend vergessen – und vergessen auch der Mann, dessen Biographie sie recherchiert und geschrieben hatte: Lorenz Saladin. Er war einer der bedeutendsten Schweizer Expeditionsbergsteiger der dreissiger Jahre, seine Reisen in den Kaukasus, den Pamir und den Tienschan dokumentierte er mit hervorragenden Fotos. Annemarie Schwarzenbach war fasziniert von diesen Bildern, aber auch von dem Mann, der auf dem Weg war, sich vom Arbeiter zum international renommierten Expeditionsleiter, Fotografen und Vortragsredner zu entwickeln. Sie selbst war keine Bergsteigerin, doch mit bemerkenswerter Einfühlungsgabe stellte sie das abenteuerliche Leben Saladins dar, dessen Leidenschaft für ferne Gebirge ihn schliesslich in den Tod führte. Das Buch zeigt einen Aspekt ihres Wesens und ihres Schreibens, der bisher noch wenig bekannt geworden ist. Es war zu ihren Lebzeiten ihr am besten verkauftes Werk.

Lorenz Saladin starb im September 1936 nach der Besteigung des Khan Tengri im Tienschan mit einer russischen Expedition. Es war die Zeit, in der Bergsteigen und Expeditionen zu den Weltbergen vor allem von den Nationalsozialisten propagandistisch ausgeschlachtet wurden. Saladin stand politisch auf der Gegenseite: Als Kommunist konnte er mit russischen Expeditionen Gipfel besteigen, zu denen sonst niemand aus dem Westen Zugang hatte. Als glühende Antifaschistin war Annemarie Schwarzenbach auch aus politischen Gründen für Saladin eingenommen, der allen Widerständen zum Trotz seinen Weg gegangen war. In der Darstellung seines Charakters hat sie, so glauben wir, eigenen Sehnsüchten Gestalt gegeben.

Ein weiterer Zufall führte zur Idee einer Neuauflage dieses literarisch und alpinhistorisch interessanten Werks. Anlässlich einer Tagung für Bergliteratur lernte ich Robert Steiner kennen, einen jungen deutschen Extremalpinisten und Schriftsteller, der den Tienschan und den Khan Tengri von mehreren Expeditionen bestens kennt. Gemeinsam gelang es uns, Annemarie Schwarzenbachs Werk durch umfangreiche Recherchen zu ergänzen und da und dort zu berichtigen, vor allem was Saladins letzte Expedition zum Khan Tengri und seinen Tod betrifft.

Aus heutiger Sicht können wir beurteilen, welche alpinistischen Fehler und Mängel in Ausrüstung und Planung zu der Katastrophe führten. Wir wissen aber auch die unerhörte Leistung Saladins und seiner Gefährten zu würdigen. Mit Erschütterung haben wir von den menschlichen und politischen Tragödien erfahren, die sich im Umfeld der Expedition abspielten und von denen Annemarie Schwarzenbach noch nichts wissen konnte.

Einige Fragen bleiben. Lorenz Saladins Grab bleibt verschollen, dafür entdeckten wir, dass es im Tienschan einen Gipfel gibt, der seinen Namen trägt: Pik Saladin.

Danken möchte ich Robert Steiner für seine umfangreichen Recherchen in Russland und Kirgisistan und für die hervorragende Zusammenarbeit am Text und bei der Herausgabe dieses Werks. Alexandra Steiner-Pacholik war eine wertvolle Mitarbeiterin bei der Recherche und Übersetzung russischer und kirgisischer Quellen. Ein Glücksfall war die Bekanntschaft mit Peter Saladin, der uns Dokumente und Bilder aus dem Familienbesitz zur Verfügung stellte und Erinnerungen an seinen Paten beisteuerte. Für weitere Informationen und Unterlagen danke ich Daniel Anker, Alpinjournalist, Gabriela Rauch vom Schweizerischen Literaturarchiv, Franz Saladin aus Nuglar, Peter Huber von der Universität Basel und den Schwarzenbach-Experten Roger Perret, Alexis Schwarzenbach und Andreas Tobler.

Bei den Recherchen in Russland und Kirgisistan wurden wir unterstützt von Lena Kalaschnikowa, Luba Pacholik, Dima Grekow, Nikolai Sacharow und Gleb Sokolow.

Emil Zopfi

Annemarie Schwarzenbach

Lorenz Saladin

Ein Leben für die Berge

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Die Mitglieder der erfolgreichen Pamir-Expedition 1935. Von links: Georgi Charlampijew, Michail Dadiomow, Witali Abalakow und dessen Frau Walentina Tscheredowa, eine begabte Bergsteigerin und fünffache »Meisterin des Sports« in der Sowjetunion. Dann Jewgeni Abalakow und Lorenz Saladin. Hinten ein Unbekannter. Das Team unterstützte Wissenschaftler bei der Arbeit und führte mehrere Erstbesteigungen aus.

1. Teil
Ein Bergsteiger im Werden

Ein Leben für die Berge

Am 30. August 1936 erreichen fünf Männer den Fuss des Khan Tengri, des 7200 Meter hohen Riesen im Tienschan-Gebirge, und schlagen in seinem Schatten, auf der weissen Schneefläche des Inyltschek-Gletschers, ihr kleines Lager auf. Sie haben zehn Tage gebraucht, um von der kirgisischen Stadt Karakol am See Issyk-Kul bis hierher zu gelangen, siebzig Kilometer auf dem zerrissenen Inyltschek, einem der grössten Eisströme der Erde, zurückgelegt. Gestern noch trafen sie Bergsteiger aus der Hauptstadt Kasachstans, Alma-Ata1, die ihnen die Hand schüttelten und Glück wünschten für ihre grosse Unternehmung. Am gleichen Abend wurden die stämmigen kirgisischen Packpferde mit den drei Treibern zur Gletscherzunge zurückgeschickt, wo es Wasser und Futter gab und wo sie den Verlauf der Besteigung des Khan Tengri abwarten sollten.

Seither sind die fünf Kameraden allein. Die Grenze der von Menschen bewohnbaren Welt scheint überschritten. Hierher verirren sich nicht einmal die Jäger wilder kirgisischer Nomadenstämme, die auf der Suche nach Vögeln, Eichhörnchen und Pamir-Wildschafen die letzten wirtlichen Täler durchstreifen. Man hört nur noch das Krachen der Eisspalten in der mittäglichen Sonne und den Wind über der Gletscherfläche. Wie ein winziges und verlorenes Schiff liegt das kleine Zelt der Bergsteiger auf der riesigen, blendend weissen Ebene. Darüber türmt sich die schöne, gewaltige und ebenmässige Pyramide des Khan Tengri, die zu besiegen die fünf Kameraden ausgezogen sind. »Khan Tengri« bedeutet »Herr der Götter«, »Tienschan« auf chinesisch »Himmelsgebirge«. Es sind grossartige Namen, angepasst dieser übermenschlichen Region an der Grenze zweier Welten. Es sind vier Russen und ein Schweizer, die sich die Besteigung des Khan Tengri vorgenommen haben. Die Russen sind Studenten, erprobte Alpinisten: die Brüder Jewgeni und Witali Abalakow, Leonid Gutman und Michail Dadiomow. Der Schweizer, Lorenz Saladin, etwa vierzig Jahre alt, stammt aus dem solothurnischen Dörfchen Nuglar. Er ist nicht zum erstenmal in der asiatischen Gebirgswelt. Zwei schweizerische Kaukasus-Expeditionen liegen hinter ihm, und im Jahre 1935 hat er an der russischen Pamir-Expedition teilgenommen. Diesmal ist es sein eigenes Unternehmen, sein persönliches Abenteuer, seine grösste Expedition. Seit seiner Rückkehr aus dem Pamir, ein halbes Jahr zuvor, liess ihn der Gedanke nicht los, den Mustagh Ata, den Giganten an der chinesischen Turkestangrenze, oder seinen Nachbarn, den Khan Tengri, zu besteigen. Es ist kein Geringerer als der schwedische Forscher Sven Hedin, der ihn auf diese unbestiegenen Gipfel aufmerksam gemacht hat. Als die chinesischen Behörden in Moskau Saladin die Einreise nach Sinkiang verweigerten, verzichtete er auf den Mustagh Ata, verwandte alle zähe Energie darauf, den Khan Tengri anzugehen. Jetzt ist es soweit. Er steht an seinem Fuss, zusammen mit seinen Kameraden. Sie warten den Abend ab. Der Wind zerrt an den Seilen ihres gebrechlichen Zeltes. Der Schatten der weissen Pyramide wächst und breitet sich über den Gletscher und das kleine Lager aus. Die Rucksäcke sind gepackt. Saladin notiert in sein Tagebuch: »Wir gehen an Khan Tengri nicht etappenweise, sondern direkt mit schweren Säcken. Abmarsch um halb zehn Uhr abends, über den nach Süden abfallenden Gletscher, sehr leicht bei Mondschein.«

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Die Gipfelpyramide des Khan Tengri (7010 m) im Abendlicht. Links Saladins Aufstiegsroute über den Westgrat, rechts der Südwest- oder Marmorgrat. (Foto Robert Steiner)

Wenige Wochen später traf in Zürich ein kurzes Telegramm aus Moskau mit der Nachricht ein, Lorenz Saladin sei während der Besteigung des Khan Tengri verunglückt und auf dem Rückmarsch gestorben. Und nicht lange vorher, im August, kurz vor dem Aufbruch von Karakol zum Khan Tengri, schrieb er einen Brief nach Hause, worin es hiess, am 3. Oktober werde er wieder in der Heimat sein. Es finden sich in seinen kargen Notizen und wenigen Briefen keine Stellen, die Zweifel oder Unsicherheit über Wert und Erfolg seiner kühnen Unternehmungen ausdrücken. Schwierigkeiten bedeuteten ihm wenig, Geduldsproben und Enttäuschungen ertrug er leicht. Diese Festigkeit und Ruhe gegenüber äusseren Ereignissen war ein Merkmal von Saladins Charakter. Er hat sich von Kindheit an in allen Lagen seines ungewöhnlichen Lebens bewährt, welches man als das Leben eines Abenteurers bezeichnen würde, wäre es nicht von einem fast schicksalshaft sicheren und beständigen Willen geleitet.

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Die 3000 Meter hohe Nordwand des Khan Tengri. Die Schneekuppe auf dem Grat links heisst Pik Saladin. (Foto Robert Steiner)

Es gehört zu den Merkmalen, an denen man den »Abenteurer« erkennt, dass er sein Schicksal nicht fest in der Hand hat, dass sein Lebenslauf weder auf ein Ziel gerichtet noch von einer Idee getragen, einem Inhalt erfüllt ist, mag dieser Inhalt gross oder bescheiden, nach aussen sichtbar und wirksam oder eine innere Kraft, ein Wesenszug sein. Mangelnder Inhalt und Mangel an Haltung bedingen sich meistens gegenseitig, beides ist häufig dem Abenteurer eigentümlich, dessen »Drang in die Ferne« dann identisch wird mit Flucht und Ausflucht, Ausweg und Irrweg. Er flieht, um der Begegnung mit seinem Schicksal auszuweichen, und seine Existenz wird zu einer Kette von Zufällen – mag er dieselben auch tatkräftig und selbst heroisch meistern, so ist er doch nicht seines Schicksals Schmied. Der Drang in die Ferne und die wahrhaft abenteuerlichen Umstände seines Lebens sind es, die den Bergsteiger Lorenz Saladin mit dieser Sorte von Leuten verbinden, aber nicht mehr und nicht weniger. Verfolgt man aufmerksam seinen Lebenslauf, so ändert sich der Eindruck gründlich: Er war von einer Idee getragen, von einem Inhalt erfüllt – von der Leidenschaft zu den Bergen. Das mag nicht sehr befriedigend anmuten, Saladin hat es auch nicht verstanden und beabsichtigt, diese Liebe zu propagieren, sich damit »interessant« zu machen, grosse Worte zu gebrauchen und sie zu einem heroischen Anspruch und Lebensinhalt zu steigern. Er hat wenig Wesens daraus gemacht, dass er, ein mittelloser Schweizer Bub, es fertigbrachte, mehr als den halben Erdball zu bereisen, die Alpen und die Pyrenäen, die Anden und die Rocky Mountains, den Kaukasus und schliesslich die Gipfel Zentralasiens zu besteigen. Er hat sich nicht dafür entschuldigt, dass er sich keine sichere Existenz geschaffen hat, wie es seiner Herkunft und finanziellen Lage angemessen gewesen wäre, und die Tatsache seines ungewöhnlichen Lebens hat er mit schlichter Selbstverständlichkeit hingenommen. – »Ein Leben für die Berge« – die Formel drängt sich auf, nichts Zutreffenderes könnte über Saladins Biographie stehen, aber er hätte diese Worte kaum benutzt und war sich dieses seines Lebensgesetzes vielleicht gar nicht so bewusst.

Bergsteiger sind selten gute Schriftsteller. Sie erzählen gern, erinnern sich an Anekdoten, aber sie entschliessen sich schwer, den Pickel mit der Feder zu vertauschen. So stand es auch mit Lorenz Saladin. Er hat in den ersten Jahren seines unsteten Wanderlebens keine, später nur dürftige Tagebücher geführt. Er war Bergsteiger »mit Leib und Seele«, aber so wenig um des Ruhmes willen, so wenig darauf bedacht, Taten zu vollbringen, die bleiben sollten, dass ihm das Erlebnis und die Handlung genügten. Er schrieb nichts oder kaum etwas auf. Mag es auch zunächst scheinen, er sei von Unruhe und zuweilen von Zufällen getrieben über die Grenzen seiner kleinen, engen Heimat hinaus von Kontinent zu Kontinent und endlich bis in das Herz Zentralasiens gelangt, als habe er die Berge bestiegen, wie sie sich ihm boten, sei so gewissermassen ohne sein Zutun schliesslich zu einem der besten und bekanntesten Bergsteiger geworden: in Wirklichkeit ist er den Bergen gefolgt. Wenn er es sich auch nicht leisten konnte und es nicht in seinem Wesen lag, planmässig die Karriere eines Alpinisten aufzubauen, so zieht sich doch durch sein ganzes Leben wie ein roter Faden die grosse und echte Liebe zur Gebirgswelt. Er war kein Gipfelstürmer, gefahrlose Wanderungen, Ausflüge in Berglandschaften, die ihm keinen Ruhm eintrugen, wo es keine Rekorde zu brechen und keine Erstbesteigungen auszuführen gab, freuten und befriedigten ihn ebenso, wie wenn er im Pamir oder Kaukasus einen unbekannten Gipfel mit dem vertrauten Namen eines Schweizerberges taufte. Ohne wissenschaftliche – etwa geographische oder geologische – Interessen zu haben, war er doch ein guter Beobachter. Er notierte Pflanzengattungen, Bäume, Tiere, Vögel in seine kleine Agenda. Ausgewachsene Artikel schrieb er ungern, aber selbst wenn er nicht an eine Publikation dachte, beweisen Stichworte und zuweilen äusserst treffende, bündige, witzige Bemerkungen die lebhafte Teilnahme an seiner Umwelt. Man stösst in seinen Tagebüchern zwischen Reiserouten, Proviantlisten, Abfahrtszeiten der Züge plötzlich auf ein historisches Datum oder den Namen einer Moschee. In Kalifornien beschreibt er ausführlich eine Kakteenart, die ihm auffällt. Er interessiert sich technisch bis in alle Einzelheiten für den Hüttenbau der Hualapai-Indianer, auf einer Mittelmeerfahrt – zurückkehrend vom Kaukasus – fotografiert er sonderbare Felsenriffinseln und griechische Tempel. Sorgfältig notiert er, dass sich seine kirgisischen Träger genügsam fast ausschliesslich von saurer Pferdemilch ernähren, in Isfara begeistert er sich für die exotische Fülle an Obstsorten, die auf dem Markt billig feilgeboten werden. Die Schönheit einer Landschaft kann ihn gefangennehmen und erfreuen wie ein schwer errungener Sieg über einen bisher unbezwungenen Gipfel. Sein Leben nährt und stärkt sich aus tausend Quellen, aber immer bricht wieder wie eine verhaltene Leidenschaft die Liebe zu den Bergen durch. Und diese Liebe, wir wissen es, gehört zu den grossen Antrieben der Menschheit, mag sie auch bisweilen fast sinnlos, als ein unbegreiflicher Drang, sich Gefahren zu exponieren, erscheinen, sie ist dem Trieb des Forschers und Entdeckers nahe verwandt, und in ihrem Zeichen sind immer wieder wahrhaft heroische Taten vollbracht worden, wenn auch ihr Wert sich nicht in Worte fassen, in Zahlen errechnen lässt. Diese Liebe hat dem Leben Lorenz Saladins Konsequenz und Stärke verliehen und hat es harmonisch erfüllt und gesteigert bis zu schlichter Grösse.

Eine Selbstbiographie

Bevor Lorenz Saladin, im Juni 1936, von Zürich abreiste und seine letzte Expedition antrat, wurde er aufgefordert, eine kurze Biographie zu schreiben, die bei der Veröffentlichung von Bildern und Berichten von der Expedition vielleicht von Nutzen sein würde. Saladin hat sich dieser Aufgabe anscheinend nicht allzugern unterzogen. Die Biographie fiel bündig aus, kürzer, als man es erwartet hatte. Aber sie ist ein echtes Saladin-Dokument, aus dessen schlichten Sätzen etwas von seinem männlich-kargen Wesen spürbar wird. Wir geben es hier wörtlich wieder:

»Lorenz Saladin, geb. 1896, 28. Oktober, in Nuglar, Kanton Solothurn.

1905 verdingt zu den Bauern.

1912 in die Lehre als Metzger in Basel, doch bald davongelaufen.

1913 in die Lehre als Bandweber, auch da wurde ich nicht alt, denn alles war zu eng für mich. Wieder davongelaufen. Noch im selben Jahr in die Lehre als Sanitärmonteur.

1914 in die Rekrutenschule, dann in den Grenzdienst bis 1917. Darauf in verschiedenen Schweizer Städten tätig.

1920 nach Frankreich und über die Pyrenäen nach Spanien.

1924 nach Südamerika: Brasilien, Argentinien, Bolivien, Peru, Kolumbien, Mexiko (wo ich die Wälder durchstreifte und die Berge in den Anden bestieg).

1929 nach den Vereinigten Staaten, wo ich Geschirrwäscher, Nachtwächter, Schwimmwart, Polizist, Monteur usw. war und so durch die ganzen Staaten gestreift bin. – Viele Bergtouren gemacht.

1932 zurück nach der Schweiz – Zürich.

1933 Expedition nach dem Kaukasus.

1934 Zweite Kaukasus-Expedition. Schöne Erstbesteigungen.

1935 nach dem Pamir (Mittelasien).
Betreffend Expedition folgt.

Lorenz Saladin.«

Scheint auch diese eigenartige Biographie zunächst dürftig, so enthält sie doch vieles, was für Saladin ungemein bezeichnend ist, und alles, was ihm in seinem Lebenslauf wichtig genug war, um erwähnt zu werden. Die Welt seiner Kindheit, wo er mit vier Geschwistern, zwei Brüdern und zwei Schwestern, aufwuchs, war ihm zu eng. Für ein solides Handwerk zeigte er wohl genügend Begabung, aber das sesshafte Leben, die regelmässige Tätigkeit, die Gebundenheit an einen Ort sagten ihm nicht zu. Er ist »davongelaufen«, hat es dann ein zweites und drittes Mal versucht und ist bald wieder davongelaufen. Nur Rekrutenschule und den fast dreijährigen Grenzdienst hat er durchgehalten und verliert darüber kein Wort, obwohl es ihm sicher nicht leichtgefallen ist, sich der militärischen Disziplin und der Gebundenheit an die tägliche Pflicht unterzuordnen. Die Möglichkeit, sich im Ernstfall ein- und unterzuordnen, die natürliche Selbstzucht, die Saladin während dieser drei Dienstjahre an den Tag gelegt hat, sind wieder im besten Sinne schweizerische Tugenden – die er später wiederholt bewiesen hat – besonders als Mitglied der Pamir-Expedition 1935, welche grosse Anforderungen an ihre Teilnehmer stellte.

Aus dem Grenzdienst zurückgekehrt, blieb Saladin in der Heimat und war »in verschiedenen Schweizer Städten tätig«. Er übte seinen Beruf als Monteur aus – fast schien es, als werde sich der unruhige Junge, der es in keiner Lehre lang aushielt, besinnen und zu einem geregelten Leben bekehren, als werde er sich zu einem sesshaften, fleissigen Bürger auswachsen, der den Drang in die Ferne und die Liebe zu den Bergen auf Sonntagstouren und während kurzer Ferien auf Gebirgshütten und bei längeren Alpenwanderungen austobt … Aber das nächste Datum seiner Selbstbiographie, das Jahr 1920, bringt eine neue und diesmal endgültige Wendung. Der knapp Vierundzwanzigjährige geht zum erstenmal ins Ausland, nach Frankreich, bald darauf nach Spanien. Die Pyrenäen sind das erste fremde Gebirge, das er kennenlernt. Und von nun an können wir den knappen Bemerkungen entnehmen, wie er in immer neue Länder, in immer fremdere und fernere Zonen aufbricht und wie es, wo immer er hingelangt, die Berge sind, die ihn anziehen. Er zählt die Staaten des riesigen südamerikanischen Kontinents auf, die er bereist hat. Den wirklichen Gewinn, den ihm diese bedeutenden Fahrten eintrugen, nennt er in einem knappen Satz: »– wo ich die Wälder durchstreifte und die Berge in den Anden bestieg.« Saladin hat in Südamerika noch keine systematischen Expeditionen durchgeführt, kein Programm verfolgt, auch keine besonderen Besteigungen verzeichnet. Aber er durchquerte auf abenteuerliche und nicht ungefährliche Art die Urwälder, bestieg die Berge der Anden! Dieses gigantische Gebirge mit seinen Hochplateaus, seinen Städten auf 4000 und mehr Meter Höhe, seinen über weiten Tälern leuchtenden, von ewigem Schnee bedeckten Gipfeln gab dem jungen Schweizer den ersten Eindruck von jenen phantastischen Regionen, die mit der vertrauten Bergwelt der europäischen Alpen kaum noch etwas gemein haben. Es sind die grossen Hochländer der Erde, deren Höhenwind er hier zum erstenmal verspürte: sein unaufhörliches Rauschen ist der Meeresbrandung verwandt und mutet an wie überirdische Orgelmusik. Er sollte ihr später wiederbegegnen, in Mexiko zuerst, dann im Kaukasus, im Pamir, in Turkestan, im Tienschan. Zum Brausen des Windes gesellt sich die Gewalt des Lichts, kaum noch gebrochen durch die Schichten der dünnen Luft, die der Mensch nur mit Mühe atmet. Denn hart grenzt hier die Welt von Mensch, Tier und Pflanze an die Überwelt, die dem himmlischen Bereich kalter und feuriger Gestirne näher scheint als der belebten und bewohnbaren Erde. Glühendheisse Tage wechseln mit eisigen Nächten, die Sonne wird zum Feind des Lebendigen, die Bewohner solcher Länder, die Indianer der Anden, die Nomadenstämme der asiatischen Hochebenen, haben ein schläfrig-traumwandlerisches Wesen, häufig kauen oder rauchen sie Gifte, deren Wirkung sie dem gewöhnlichen Leben entfremdet und sie befähigt, die übermenschlichen Gesetze und die unfassbare Grösse ihrer Heimat zu ertragen.

Lorenz Saladin ist als ein Fremder in diese Welt eingedrungen, deren Zauber gerade von Europäern oft als gefährlich empfunden wird, und sie erliegen ihm, wie man einer durch schlechtes Klima verursachten Krankheit erliegt. Diplomaten, die einmal auf einen östlichen Posten geschickt wurden, bleiben häufig bei der orientalischen Karriere. Abenteurer, einmal in exotische Länder verschlagen, kehren immer wieder dorthin zurück. Wissenschaftler und Alpinisten, die an einer Expedition in die asiatischen Hochländer teilgenommen haben, versuchen, wieder dorthin zu gelangen, oder tragen ihr Leben lang Heimweh darnach in ihren Herzen. Reisende sprechen vom geheimnisvollen Zauber des Orients. Am stärksten ist nicht der Zauber von Tausendundeiner Nacht, von exotischen Städten, Tempeln und Gärten, sondern die von Winden und wechselndem Licht belebte Öde der kahlen Hochebenen und Gebirgszüge »am Rande der Welt«. Es ist ihre Grösse, die uns so rätselhaft anzieht und uns gleichzeitig mit fast lustvoller Furcht erfüllt. Hier gelten unsere gewöhnlichen Massstäbe nicht mehr, während wir uns sonst die Erde behaglich einzurichten wissen und sie nach unseren Bedürfnissen umwandeln, wie ein Gärtner ein fruchtbares Stück Wildnis zu einem Garten macht, worin das Wasser geregelt zwischen symmetrischen Gemüse- und Blumenbeeten fliesst, die nötigen Wege, mit Kies bestreut, sich durch Rasen und Obsthaine schlängeln und eine Mauer oder eine grüne Hecke das Ganze schützend umschliesst. – So erweckt eine »menschliche« Landschaft, mit gerodetem Wald, mit Feldern, über die von Generation zu Generation der Pflug geführt wird, mit ausgetretenen Pfaden, breiter Landstrasse, alten Höfen und geschlossenen, gewissermassen organisch gewachsenen Ansiedlungen ein Gefühl von Wohlgefallen und Geborgenheit. Jenen grossen Hochländern aber kann der Mensch seine Gesetze nicht aufzwingen, er muss sich ihnen anpassen und ist ihren Gewalten schutzlos preisgegeben: da verspürt er einen überweltlichen Hauch, fühlt sich dem Unendlichen benachbart und verwandt.

Lorenz Saladin, obwohl empfänglich für Reiz und Eigenart jeder Landschaft, war der Gefahr nicht ausgesetzt, sich an den Zauber der Hochwelten zu verlieren. Ihm war die Natur ein vertrauter Gegner, die ihn zu männlichem Kampf reizte, ohne dass er sich etwa zu sinnlos gefährlichen Unternehmungen hinreissen liess. Er war gesund an Leib und Seele, er kannte die Grenze seiner Leistungsfähigkeit, immer schwierigere Ziele haben ihn gestärkt, er ist von seinen Bergfahrten nicht erschöpft zurückgekehrt, sondern schon von neuen Plänen erfüllt. So ist seine Liebe zu den Bergen gewachsen, und seit der Begegnung mit den Anden genügte ihm die heimatliche Gebirgswelt nicht mehr: Beharrlich reifte in ihm die Bestimmung zum Alpinismus grossen Stils, die ihn schliesslich nach Asien und seinem tragischen Schicksal entgegenführen sollte …

Kehren wir zu seiner Biographie zurück. Im Jahre 1929, bemerkt er, ging er in die Vereinigten Staaten, durchlief, mittellos wie er war, die Reihe der Berufe, die für den »Amerikafahrer« so typisch sind. Er begann als Geschirrwäscher, eine Beschäftigung, die für einen jungen, an die frische Luft und die unbeschränkte Freiheit der Berge gewöhnten Alpinisten nicht sehr angenehm ist. Offenbar hielt er es auch nicht lange aus, sondern »lief bald davon«. Als Nachtwächter und Schwimmlehrer, zuweilen auch seinen erlernten Beruf als Monteur ausübend, ist er durch den ganzen Kontinent gestreift, und wieder fügt er in einem knappen Nachsatz hinzu, was ihn dort eigentlich interessiert und ihm Freude gemacht hat: »Viele Bergtouren gemacht!« – Als Saladin, sechsunddreissig Jahre alt, 1932 in die Schweiz zurückkehrt, ist es nicht, um die Wanderzeit des Jünglings abzuschliessen und gesättigt an Erlebnissen und Erfahrungen der Fremde den Rücken zu kehren. Im Gegenteil, er macht nicht einmal den Versuch, sich in der Heimat niederzulassen und etwa, wie er es vorher einmal, von 1928 bis 1930, getan hat, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Der Gedanke an Sesshaftigkeit ist ihm ferner denn je. Er bereitet mit einigen Freunden das Unternehmen vor, welches dann 1933 als erste »Schweizerische Kaukasus-Expedition« zur Verwirklichung kommt. Lückenlos folgen die grossen Erfüllungen von Saladins Leben: 1934 die zweite, höchst erfolgreiche Kaukasus-Expedition (in der kleinen Biographie steht bescheiden: »Schöne Erstbesteigungen«) – 1935 »nach dem Pamir« – es handelt sich um die russische Pamir-Expedition, die wissenschaftlichen, besonders geologischen Zwecken diente. Hier setzte Lorenz Saladin seinen Namen unter die eigenartige, für sein schlichtes Wesen so bezeichnende Selbstbiographie und fügte handschriftlich die Worte hinzu:

»Betreffend Expedition folgt.«

Er dachte dabei an die Besteigung des Khan Tengri, von der er nicht mehr zurückkehren sollte.

Der grosse Berg

Ausser den dürftigen Angaben seiner »Selbstbiographie« hat uns Lorenz Saladin nichts über seine Kindheit hinterlassen. Er ist am 28. Oktober 1896 geboren. Sein Vater hatte ein Baugeschäft in Liestal und betrieb gleichzeitig eine Sägerei im Dörfchen Nuglar im Kanton Solothurn. Von seinen Geschwistern sind die jüngste Schwester, Anna, und die älteste, Lydia, gestorben. Sein um drei Jahre älterer Bruder Josef und der jüngere, Peter, sind mit ihm aufgewachsen. Er hat die Primarschule in Liestal besucht, siebenjährig wurde er vorübergehend mit Josef zu einer Tante aufs Land geschickt, dann, während der Scheidung seiner Eltern, ein Jahr lang zu einem Bauern verdingt. Nachher kam er nach Basel, zu seiner Mutter, wo er die Geschwister wiederfand und die Sekundarschule besuchte. Schon als Schulbub musste er während der Freizeit bei einem Metzger und einem Bäcker arbeiten und zum Verdienst beitragen. Nach absolvierter Schulzeit hat er eine Mechanikerlehre gut, ein Jahr in der Seidenbandweberei weniger gut durchgehalten. Die Berufswahl scheint für ihn ein Problem gewesen zu sein, er war für den sesshaften Handwerkerstand nicht geeignet. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Peter hat er, noch vor der Grenzbesetzung während des Weltkrieges, in der Sägerei des Vaters gearbeitet. Im Bataillon 54 von Basel-Stadt machte er sodann, vom Jahre 1915 an, die Grenzbesetzung mit. 1918 kam er nach Stans als Maschinensäger, sein Bruder Peter gleichzeitig in das luzernische Elektrizitätswerk. Später war Lorenz ebenfalls in Engelberg, auf der gleichen Arbeitsstelle wie sein Bruder, tätig. So kam er in die Berge. Sein Bruder bestätigt, dass sie schon damals ihre freie Zeit mit Bergtouren ausfüllten. Dann, 1920, hielt es Lorenz nicht länger, er brach auf, mit wenig Geld und ganz auf eigene Faust, nach Frankreich und über die Pyrenäengrenze nach Spanien. Er war damals noch nicht zu einem »Wanderleben« entschlossen. 1922 kam er in die Schweiz zurück, arbeitete etwa zwei Jahre lang als Sanitärmonteur, bevor es ihn wieder wegtrieb, weiter diesmal, nach Südamerika.

Lorenz Saladin hat diese Daten seiner Kindheit und Jugendzeit nicht für wichtig gehalten. Er hat nichts aufgeschrieben, nichts erzählt, auch nicht von seinen ersten Reisen, die ihn weit führten und genug Anlass geboten hätten, Abenteuerliches zu berichten – ja, sich bereits eine Legende zu weben, die anderen genügt hätte, um den Rest ihres Lebens zu würzen. Saladin hat erst angefangen, Tagebücher zu führen, Berichte nach Hause zu schicken und gar Artikel zu schreiben, als es sich, seiner Meinung nach, rechtfertigen liess. Auch die Fotografien aus seiner Jugendzeit, und noch diejenigen aus Süd- und Nordamerika, sind durchaus anspruchslos, amateurhaft, nur bestimmt, private Erinnerungen zu bewahren und Alben für Familie und Freunde zu füllen. Obwohl es sich Saladin auch später nicht einfallen liess, fotografieren zu lernen, nimmt der Wert seiner fotografischen Produktion zu mit der Bedeutung seiner Unternehmungen. Und dies nicht nur, weil die Bilder aus unbekannten und ferneren Regionen stammen. Auch aus den Hochländern Südamerikas liessen sich seltene und schöne Aufnahmen mitbringen. Saladins erste bedeutende Bilder stammen aus dem Kaukasus, die dichteste Produktion ist diejenige seiner letzten Expedition. Darunter befinden sich wahre Meisterstücke, sowohl Bergbilder, Landschaftsaufnahmen wie auch Porträts kirgisischer Träger, Strassenhändler und Nomadenmädchen – menschliche Dokumente allerersten Ranges, nicht nur bedeutend, weil sie aus einer Gegend »am Rande der Welt« stammen, wohin selten oder nie ein Europäer gelangt ist, sondern, und vor allem, weil sie gesehen sind von einem Menschen unserer Art, von unserem Fleisch und Blut, der lebte und empfand wie wir und der seine persönlichen Eindrücke und Empfindungen zu übersetzen wusste in die grosse, geheimnisvoll ergreifende Sprache, die in uns anklingt, die Bilder, Töne, Farben, ja glückliche und leidende Gefühle zu beschwören vermag noch aus dem Medium der fremdesten Welt, mit einem Wort: in die Sprache, die dem Gebiet der Kunst verwandt ist.

Vielleicht hätte Lorenz Saladin den tiefen Unterschied zwischen seinen Amateurbildchen einer Lamaherde in Peru oder eines Kakteenstrauchs in Arizona und den herrlichen Bildern vom Wege zum Khan Tengri selbst nicht gekannt. Fast ist es rührend, und jedenfalls beglückend und ermutigend, zu beobachten, wie ein einfacher Mensch fast absichtslos seinen Weg geht, wie er keinen Zweifel und keinen Blick zurück kennt und wie sich doch alles organisch zusammenfügt, so weit, dass selbst seine Kräfte und Fähigkeiten mit der Aufgabe wachsen, die er sich nicht einmal gesucht hat – oder doch nur einer Leidenschaft, einem dunklen Drange folgend. Und so kommt es, dass Lorenz Saladin, der »Schwarzbub« – seine Heimat wird das »Schwarzbubenland« genannt –, der Bergsteiger, der »Reisläufer« und schliesslich ein einfacher Mann, uns ein vollständiges und in seiner Art grossartiges Werk hinterlassen konnte – fast ohne sein Zutun. Er hätte sich vermutlich gewundert, dass man sich um Daten und Erinnerungen seiner früheren Jahre bekümmert. Aber sie gehören dazu, will man die Leistungen des Erwachsenen verstehen und sein Bild liebevoll zurückrufen. Sie gehören zum Leben des Bergsteigers Lorenz Saladin. Ihm schienen erst die »grossen Expeditionen« wichtig – Kaukasus, Pamir, Tienschan