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Inhalt

VORWORT

EINLEITUNG

Netzwerke regieren die Finanzwelt

Die Entschlüsselung der Finanznetzwelt mittels der Netzwerktheorie

Super-hub-Netzwerke: Die Kehrseite des Super-hubs-Daseins

Die Gefahr des Zusammenbruchs eines instabilen Systems

KAPITEL 1
Das Finanzsystem: Faktor Mensch

Besuch des Weltwirtschaftsforum in Davos

Das Finanzsystem aus der Perspektive der Netzwerktheorie

Die Finanztitanen oder »Super-hubs« in Aktion

Die gefährliche Schwachstelle des Systems

KAPITEL 2
Super-hubs: Die Finanztitanen, die die Welt regieren

Die Netzwerkbestandteile: Noden, Knotenpunkte und Super-hubs – Banker, Topmanager und CEOs

Die ungeheure Macht der Super-hubs

Status hat wirtschaftlichen Wert

Die Unerlässlichkeit eines guten Rufs

Der Wert des Zugangs

KAPITEL 3
Geld, Informationen und Opportunitäten: Was Super-hubs verbindet

Geld – der Faden, aus dem das Finanzsystem gesponnen wird

Zentralbanken

Bank für Internationalen Zahlungsausgleich

Banken und Schattenbanken

Der Internationale Währungsfonds

Die Konferenz des IWF und der Schweizer Nationalbank

Information als Währung

Der Einfluss persönlicher Beziehungen auf den Informationsfluss

Privilegierter Zugang zu Informationen

Der geldwerte Vorteil von Beziehungen in Krisenzeiten

Sozialkapital

KAPITEL 4
Psychogramm Super-hubs: Es lebe das Alpha-Männchen!

Die Omnipotenz der Alpha-Persönlichkeit

Kommunizieren Monetisieren

Super-hub-Ideologien

Der Kult des Scheiterns

CEOs: Chief-Ego-Officers

In manischer Mission

KAPITEL 5
Homophilie: Gleich und Gleich gesellt sich gern

Warum die Reichen noch reicher werden

Globalisierer: Die transnationale Finanzelite

Circle of Trust: Vertrauensvorsprung

Die Hegemonie der Homogenität

Kaderschmieden

Das »Old Boys’ Network«

Super-hubs und Super-Reichtum

Der »Schwarmeffekt«

KAPITEL 6
Executive Networking: Beziehungskapital

Kapitale Netzwerke = Netzwerk-Kapital

Die Unverzichtbarkeit persönlichen Kontakts

Der Effekt der Technologisierung

Die Networking-Mentalität der Finanzelite

Mit den »Waffen« der Super-hubs: Charisma und Charme

Netzwerk-Erschöpfer und ihre Kreationen

Die Schattenseiten des Networking

Denkfabriken als Networking-Plattformen

INET – Ein Ausflug nach Bretton Woods

KAPITEL 7
Members Only: Die exklusiven Networking-Plattformen der globalen Super-Elite

Verschwörungstheorien: Erklärungsversuche für Erklärungsversuche

Warum Netzwerke Plattformen benötigen

Der Ausgangspunkt der Migrationsroute: Das Weltwirtschaftsforum in Davos

Die Treffen des IWF: Wo die Fäden der Finanzwelt zusammenlaufen

Washington D.C.: Die etwas andere Finanzhauptstadt

IWF-Meeting in Istanbul: Der Tanz auf der Titanic

IWF-Treffen in Tokio: Lost in Translation

Das Große Mysterium: Die Bilderberg-Konferenz

Die Finanzpatriarchen: Family-Office-Zusammenkünfte

Machtappetit: Power Lunches

Netzwerk-Fitness

Philanthropie und Kapitalismus: Tu Gutes und Network!

KAPITEL 8
Opportunitätskosten: Die Nachteile der Vorteile

Wenn das Super-hub-Dasein nicht so super ist

Verheiratet mit dem Job: work-life-imbalance

Media Madness

Super-krank: Der ultimative Preis

Nahkampf, Intrigen und Putschversuche

Höhen und Tiefen: Eine turbulente Karriere

KAPITEL 9
Zutritt für Frauen untersagt!: Das Old Boys’ Network

Exklusiv bedeutet ausschließend

Netzwerk Handicap: Das Mentalitätsproblem

Leistung versus Potenzial

Das geschlechterspezifische Lohngefälle

Optik und Diskriminierung

Männliche Stärke und das schwache Geschlecht

Unsichtbare Barrieren

KAPITEL 10
Die Super-hub-Drehtür: »Psychologische Geiselnahme«

Die Drehtür

Der pendelnde Super-hub Robert Rubin

Tony Blair: Wie man offene Drehtüren einrennt

Die Drehtür zur Finanzkrise

KAPITEL 11
Ausgeklinkt: Vertreibung aus dem Netzwerkparadies und Comeback

Ego, Isolation, Exil: Lehman-Chef Dick Fuld

Ein unzerstörbares Netzwerk: Larry Summers

Club der Diebe: Mike Milken

Kompletter Netzwerkzusammenbruch: Dominique Strauss-Kahn

Schneeballsysteme und Sexskandale: Buddy Fletcher und Ellen Pao

Die Macht der Beziehungen: Michael Klein

KAPITEL 12
Super-Crash: »Psychologische Ansteckung«

Scheitern ist ansteckend

Geldkultur: Der Wert unserer Werte

Über die Autorin

VORWORT

Ich kenne Sandra Navidi bereits seit einigen Jahren, vor allem durch unsere enge Zusammenarbeit bei Roubini Global Economics.

$uper-hubs ist eine Reflektion ihres akademischen Werdegangs und fußt auf ihrem reichen Erfahrungsschatz im Finanzrecht, im Investment Banking und der volkswirtschaftlichen Beratung. Als Expertin, Insiderin und Beobachterin hat sie den Respekt und das Vertrauen der Finanzelite gewonnen und Zugang zu ihren exklusiven Machtzirkeln erhalten. Sie verfügt über ein treffsicheres, beinahe intuitives Gespür dafür, wie die globale Elite der Finanzindustrie und der Finanz- und Wirtschaftspolitik denkt, kommuniziert und vorgeht. Ihre aufschlussreichen persönlichen Begegnungen, kombiniert mit ihrem Verständnis für die Funktionsweise des Systems, haben sie inspiriert, das analytische Gerüst der Netzwerktheorie auf die Finanzwelt anzuwenden, um damit zu verdeutlichen, wie Netzwerke und ihre zentralen Knotenpunkte – die »Super-hubs« – unser Finanzsystem, unsere Wirtschaft, die Politik und unsere Gesellschaft beeinflussen. Aufschlussreiche und spannende Anekdoten aus dem Mittelpunkt der internationalen Hochfinanz füllen ihre Analyse mit Leben. Eine gelungene Kombination von Theorie und Praxis – untermauert, mit psychologischen, soziologischen und anthropologischen Erklärungen – beleuchtet, wie sowohl systemische Kräfte als auch einzelne Menschen unser Weltgeschehen beeinflussen. Trotz der tiefgehenden Analyse und sorgfältig Recherche, ist das Buch aufgrund seiner klaren Sprache und Struktur auch ohne Vorwissen leicht verständlich.

$uper-hubs vereinfacht die Darstellung der Komplexität von Netzwerken und, obwohl der Fokus auf Finanzsystemen liegt, ist das vermittelte Wissen über die Funktionsweise solcher Systeme auf grundsätzlich alle Lebensbereiche anwendbar. Zunächst identifiziert und charakterisiert $uper-hubs die mächtigsten Menschen der internationalen Finanzindustrie sowie der Finanz- und Wirtschaftspolitik und deckt dann ihre verflochtenen Beziehungen und ihre Auswirkungen – individuell wie kollektiv, positiv wie negativ – auf das System auf. Zudem untersucht $uper-hubs ihre verbindenden Elemente: Geld, Informationen und Geschäftsmöglichkeiten. Wir erfahren auch, wie es Normalsterblichen gelingt, zu Superhelden der Finanzindustrie aufzusteigen, und woran es liegt, dass darunter so wenige Frauen sind.

Sandra Navidi zeigt auch auf, wie die Bereiche der Wissenschaft, der Wirtschaftspolitik und des globalen Finanzwesens durch Menschen verbunden sind, die über den Verlauf ihrer Karriere immer wieder zwischen diesen ineinander verwobenen Netzwerken hin und her wechseln und in ihnen verschiedenste Schlüsselfunktionen ausüben.

Darüber hinaus beschäftigt $uper-hubs sich auch mit drängenden sozialen Fragen unserer Zeit: Der überproportional große Einfluss von Eliten in der Finanzindustrie und Wirtschaft, die Einkommens- und Wohlstandsschere, Diskriminierung von Minderheiten, die Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens und die damit einhergehende Gefährdung des Systems – und wie wir alle davon betroffen sind. Da all diese Faktoren zusammenhängen, erklärt sie, auf welche Weise Netzwerke diese verbinden und warum der übergroße Einfluss einiger Weniger zur Instabilität und Gefährdung unseres Systems beiträgt.

Die Einblicke hinter die Kulissen der Hochfinanz und Finanzpolitik sind für eine breite Leserschaft wichtig und interessant. Pflichtlektüre sollte dieses Buch jedoch insbesondere für Geschäftsleute sein, da es im Schnelldurchgang quasi einen »MBA« in Netzwerktheorie und Networking verleiht. Denn obwohl Eliteuniversitäten häufig mit den hochkarätigen Netzwerkmöglichkeiten ihrer Alumini-Netzwerke werben, bieten sie keine Kurse an, in denen die »Kunst und die Wissenschaft« des Netzwerkens gelehrt wird. $uper-hubs verdeutlicht noch einmal plastisch, worauf es in diesem Zusammenhang wirklich ankommt.

Sandra Navidi ist ein ausgewogenes und zugleich kritisches Buch gelungen, das die Finanzelite weder verteufelt noch verherrlicht, und ihr weder eine Generalabsolution erteilt, noch eine Vollverurteilung vornimmt. Ihr eindringliches Plädoyer: Jeder von uns sollte das komplexe System verstehen und sich aktiv an Veränderungen beteiligen, denn je länger wir zulassen, dass Missstände sich verfestigen – wie beispielsweise das Problem der zunehmenden sozialen Ungleichheit –, desto schwieriger wird es werden, sie zu beheben.

Wir leben in einer Welt, die sowohl national als auch global zunehmend instabiler wird. Hierfür gibt es zahlreiche Gründe. Zum einen trägt kapitalintensive technologische Innovation dazu bei, qualifizierte Arbeitsplätze einzusparen. Des Weiteren stellt auch wachsender internationaler Handel und die weiter fortschreitende Globalisierung eine Herausforderung für Arbeitnehmer, Firmen, Industrien und Volkswirtschaften dar. Auch die Entstehung von Blasen und ihr Platzen beeinträchtigen die Stabilität, da sie zu Crashs und dem Aufflammen von Finanzkrisen beitragen, die enorme wirtschaftliche und fiskalische Kosten mit sich bringen. Das Auf- und Absteigen einzelner Länder aufgrund ihrer schwankenden Wirtschaftsmacht, sowie geopolitische und geoökonomische Konflikte, wirken ebenfalls destabilisierend. Aus diesem Grunde erfordert die enorme Konzentration von Wirtschafts- und Finanzmacht in den Händen der Super-hubs, eine bewusste und weitsichtigere Wirtschafts- und Finanzpolitik, die soziale Ungleichheiten abbaut und Chancengleichheit wieder erhöht. Falls sich die Super-hubs dieser Herausforderung nicht stellen, wird die soziale und politische Instabilität zukünftig noch weiter enorm zunehmen, innerhalb einzelner Länder sowie über Ländergrenzen hinweg. Und angesichts der immer größer werdenden Fülle von Macht und Einfluss, welche die Super-hubs in der Wirtschaft, der Finanzindustrie und der Politik auf sich vereinen, haben sie eine besondere Verantwortung, eine Führungsrolle zu übernehmen, und zu politischen Lösungen beizutragen, um ein faires und stabileres Wirtschafts- und Finanzsystem zu schaffen. Denn ansonsten droht nur eine Alternative: Zunehmende wirtschaftliche, soziale, politische und geopolitische Konflikte und Dystopie.

Zahlreiche Bücher beschäftigen sich mit der Finanzwelt, den Machteliten und auch Netzwerken, aber $uper-hubs ist insofern neu, als es diese drei Themenbereiche in erhellender Weise kombiniert. Ihre Denkanstöße sind besonders deswegen interessant, weil sie zwar durch den Zugang zur Welt der Finanzeliten über wertvolle Einblicke verfügt, dabei jedoch die ausreichende Distanz besitzt, die ihr eine objektive Beurteilung ermöglicht.

$uper-hubs ist gleichzeitig ein sehr aktuelles, aber auch sehr zeitloses Buch, da es nicht nur um bestimmte Personen, sondern um das System als solches geht. Die komplexe Finanzwelt sollte jedem einzelnen von uns verständlich sein und $uper-hubs leistet hierzu einen wertvollen Beitrag.

Nouriel Roubini, Professor für Volks- und internationale Betriebswirtschaftslehre, New York University Stern School of Business, Mitbegründer und Präsident von Roubini Global Economics

EINLEITUNG

Netzwerke regieren die Finanzwelt

Die internationale Finanzelite beherrscht die Welt mit direkten Auswirkungen auf jeden Einzelnen von uns. Ihre Macht wird durch Verflechtungen mit globalen Konzernen und der Politik noch weiter verstärkt. Warum ist sie trotz Finanzkrisen, Skandalen und weitreichender Kritik so unantastbar und erfolgreich?

Durch meine Tätigkeit an der Wall Street hatte ich Gelegenheit, Finanzchefs und hochrangige Entscheidungsträger in ihrem professionellen und persönlichen Umfeld zu beobachten. Nach einer Weile realisierte ich, dass sie in einer Zeit, in der alles automatisierbar und kopierbar ist und menschliche Beziehungen zunehmend digitalisierbar werden, über das exklusivste und wertvollste Gut verfügen: Ein allumspannendes Netzwerk höchstpersönlicher Beziehungen. Die Tatsache als solche erstaunt wenig, aber wie sie diese Bande im Einzelnen knüpfen und wie ihre Netzwerke funktionieren ist sehr aufschlussreich. »Vernetzt-sein« ist angesichts fortschreitender Globalisierung auch unerlässlich, denn es wird als Teil des Humankapitals bei Führungskräften vorausgesetzt und stellt gegenüber Konkurrenten mit ähnlicher Intelligenz und Bildung einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil dar. Selbst wenn aufgrund zunehmender geo-ökonomischer Krisen ein Entglobalisierungstrend einsetzen sollte, bleiben persönliche Beziehungen, die eine direkte Kommunikation und Kooperation ermöglichen, ein wertvolles Gut. Und weil solche Beziehungen höchstpersönlicher Natur sind, können sie auch nur selbst geführt und nicht an andere delegiert werden. Finanzchefs sind mächtig, weil das Finanzsystem die Basis für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist. Mit ihren Entscheidungen beeinflussen sie Industrien, Arbeitsplätze, Wechselkurse, Rohstoffe, Lebensmittelpreise und vieles mehr. Zentralbankchefs wie Janet Yellen (Chefin der US-Notenbank Federal Reserve) und Mario Draghi (Chef der Europäischen Zentralbank) haben einen direkten Einfluss darauf, wie viel uns unser Erspartes bringt, wie viel wir für Hypotheken bezahlen und was unsere Investitionen abwerfen. Die Macht einzelner Finanziers wird durch ihre Verflechtung in eng geknüpften Netzwerken potenziert. Gemäß einer Studie der ETH Zürich1 kontrollieren einige wenige Finanzinstitute einen Großteil der bedeutendsten Unternehmen der Welt, insbesondere durch Überkreuzbeteiligungen und Aufsichtsratssitze. Darüber hinaus helfen ihnen gute Kontakte zu Spitzenpolitikern und Finanzchefs, ihre Interessen durchzusetzen und auf wichtige Entwicklungen in der Finanz- und Geldpolitik frühzeitig zu reagieren. Diese Verflechtungen verleihen den Individuen, die diesen Finanzorganisationen vorstehen, eine enorme Netzwerkmacht.

Die Stellung an der Spitze des Finanzsystems verleiht ihnen eine »Vogelperspektive«, aufgrund derer sie das System in seiner Gesamtheit im Auge haben und begreifen. Das ermöglicht es ihnen, vielschichtige globale Beziehungsstrukturen zu durchschauen und mächtige Allianzen zu schmieden. Die Tatsache, dass Investoren das System verstehen, befähigt sie, Milliardengewinne einzufahren, wie beispielsweise der Hedgefonds-Titan George Soros mit seiner Wette gegen das britische Pfund oder der Hedgefonds-Manager John Paulsen mit seiner Wette gegen den US-Hypothekenmarkt. Andere, wie die weltgrößten Vermögensverwalter Larry Fink und Steve Schwarzman, haben ihr Systemverständnis in weltweite Milliarden- bzw. Billionen-Dollar-Fondsimperien umgesetzt.

Durch ihre privilegierte Stellung haben diese Finanziers entscheidende Vorteile gegenüber dem Rest der Bevölkerung. Zunächst haben sie direkten Zugang zu anderen Spitzenvertretern der Finanzwelt, die das Geschehen durch ihre Entscheidungen mitgestalten, was ihnen Informationen aus originären Quellen und damit bessere Chancen und Entscheidungsgrundlagen eröffnet. Beispielsweise hat einer der erfolgreichsten Investoren aller Zeiten, der Milliardär George Soros, mit seinem in über 100 Ländern vertretenen Open Society Institute eine weltumspannende, gemeinnützige Organisation geschaffen – mit dem Nebeneffekt eines direkten Zugangs zu Entscheidungsträgern und Informationen. Ferner sorgen persönliche Beziehungen dafür, dass die Auftragsbücher der Finanzinstitute stets mit Transaktionen gefüllt bleiben. Steve Schwarzmans Investmentfirma Blackstone war vom ersten Tag an erfolgreich, weil Mitbegründer Pete Peterson als ehemaliger US-Finanzminister seine Kontakte zu allen wichtigen Konzernchefs mitbrachte. Topfinanziers haben auch unmittelbaren Zugang zu Kapital. Als Warren Buffett kurzfristig acht Milliarden Dollar für die Finanzierung der Eisenbahngesellschaft Burlington Northern benötigte, griff er zum Telefon, und der Chef von JPMorgan, Jamie Dimon, antwortete ohne Zögern: »Kein Problem!«

Die Entschlüsselung der Finanznetzwelt mittels der Netzwerktheorie

Das Finanzsystem wird nachfolgend anhand der persönlichen Beziehungen der Finanzchefs und mithilfe der Netzwerktheorie erklärt. Eine Analyse des Aufbaus und des Funktionierens von Netzwerken zeigt, dass Beziehungsgeflechte nicht willkürlich entstehen, sondern Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Wir werden sehen, dass das Finanzsystem ein komplexes System ist, das sich – ähnlich wie andere komplexe Systeme beispielsweise das Ökosystem, das Gehirn oder schlicht eine Ameisenkolonie – selbst organisiert. Insofern haben die Spitzenvertreter der Finanzindustrie keine Kontrolle über das Gesamtsystem, sondern unterliegen selbst dessen Gesetzmäßigkeiten und Dynamik. Nichtsdestotrotz beeinflussen sie es in einer Wechselwirkung wiederum mit ihren individuellen Handlungen.

Dieses Buch nimmt Sie mit hinter die Kulissen des Weltwirtschaftsforums in Davos, zu den Treffen des Internationalen Währungsfonds und zu anderen Plattformen, auf denen die Mächtigen der Finanzwelt zusammentreffen. Sie werden die Persönlichkeiten der Hochfinanz kennenlernen, konkrete Einblicke in abstrakte Institutionen erhalten und Details über das Geschehen jenseits der Schlagzeilen erfahren. Die Mitglieder der globalen Finanzelite haben aufgrund ihres Hintergrunds und Werdegangs mehr miteinander gemein hat als mit den Menschen in ihren Heimatländern. Neben einer ähnlichen Persönlichkeitsstruktur spielen dabei die Alumni-Netzwerke ihrer Kaderschmieden und ihre exklusiven gesellschaftlichen Zirkel eine bedeutende Rolle. Es wird deutlich, dass das sogenannte Netzwerk-Kapital – Status, Reputation und das Transaktionspotenzial des sozialen Kapitals – direkt mit finanziellem Gewinn und Macht korrelieren.

Super-hub-Netzwerke: Die Kehrseite des Super-hubs-Daseins

Exklusive Top-Netzwerke mögen begehrenswert erscheinen, aber sie fordern auch nicht zu unterschätzende Opfer. Voraussetzung für den Erfolg als Super-hub ist, dass der Job stets und unter allen Umständen Priorität hat. Familie, Freunde und alles Persönliche müssen zurücktreten. Neben dem unausgeglichenen Lebensstil fordern auch die aus der privilegierten Stellung resultierende Isolation und der immense Erfolgsdruck der Profitkultur ihren Tribut. Darüber hinaus bedeuten die ständige Erreichbarkeit, die strenger gewordene staatliche Kontrolle, die öffentliche Dauerbeobachtung und eine kritische Medienberichterstattung eine Extrembelastung. Der Konkurrenzkampf, der in einem dauerhaft niedrigen Wachstumsumfeld mit immer härteren Bandagen ausgetragen wird, zehrt ebenfalls an der Substanz. Persönlichkeiten, die sich in der Hauptsache über Geld, Macht und Status definieren, sind bei einem Jobverlust in Gefahr, in eine Identitätskrise oder Depression zu verfallen.

Netzwerke sind auch keine Garantie für den Erhalt einer Super-hub-Position. Zwar sind die Kontakte auf diesem Level so eng geknüpft, dass selten jemand durch die Maschen fällt. Bei groben Verstößen gegen den Verhaltenskodex droht jedoch eine Verbannung. So erging es Dominique Strauss-Kahn, dem vormals mächtigen IWF-Chef. Aufgrund seiner groben Verstöße gegen allgemein akzeptierte Normen der Ethik wurde er so »toxisch«, dass niemand mehr mit ihm assoziiert sein wollte. Als Persona non grata hat er seither versucht, von außerhalb zumindest wieder in niedere Netzwerkgefilde vorzustoßen. Oder John Meriwether, der Mitbegründer des Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM), der wiederholt zwischen spektakulären Erfolgen und noch dramatischeren Pleiten schwankte. LTCMs Implosion im Jahre 1998 erschütterte das Finanzsystem und war Vorbote der ein Jahrzehnt später stattfindenden, weltweiten Finanzkrise. Meriwethers Netzwerk, Ansehen und Fähigkeiten haben ihm erstaunlicherweise mehrmals ein Comeback innerhalb der Top-Netzwerke ermöglicht. Oder Mike Milken, der geniale Erfinder von Junk Bonds, auch Schrottanleihen genannt, der in den Achtzigerjahren den Markt von Unternehmensübernahmen mithilfe seines unvergleichlichen Netzwerkes und seines unnachahmlichen Verkaufstalents revolutionierte: Er stieg zu einem der mächtigsten Finanziers der Welt auf, bevor er zum Inbegriff kapitalistischer Gier wurde. Wegen Verstößen gegen das Wertpapiergesetz wurde er 1990 zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt, von der er 22 Monate verbüßte. Mittels seines ihm weitgehend erhalten gebliebenen Netzwerkes und seiner mit unermüdlichem Eifer geschaffenen neuen Verbindungen gelang ihm ein weitgehendes berufliches sowie gesellschaftliches Comeback.

Die Gefahr des Zusammenbruchs eines instabilen Systems

Die systemischen Risiken des Finanzsystems sind nach der Krise von 2008 hauptsächlich anhand der Verflechtungen von Finanzinstitutionen analysiert worden. Aber es sind nicht Institutionen, die Entscheidungen mit enormen Auswirkungen auf die Gesellschaft fällen, sondern die Menschen, die hinter diesen Institutionen stehen. Das erschwert die Analyse, denn Menschen und ihre Beziehungen sind nicht objektiv messbar, mathematisch modellierbar und berechenbar.

Hinzu kommt, dass in menschlichen Netzwerken grundsätzlich die Tendenz zu einer zunehmenden Verlinkung, Homogenisierung und Polarisierung besteht, da Menschen sich bevorzugt mit anderen Menschen zusammentun, die ihnen ähnlich sind. Sie unterstützen sich gegenseitig und diejenigen, die bereits am besten vernetzt sind, ziehen gleichsam automatisch neue, wertvolle Beziehungen an. Durch diese Rückkopplungsdynamik entsteht ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen denen, die Verbindungen, Vermögen und Macht besitzen und denjenigen, denen es nicht gelingt, sich in diese Dynamik einzuklinken, was sich insbesondere in der Chancenungleichheit, der immer weiter auseinanderklaffenden Wohlstandsschere, der Instabilität des Finanzsystems und den zunehmenden gesellschaftlichen Konflikten manifestiert. Wenn sich das System nicht von innen heraus korrigiert, wird es irgendwann so kopflastig, dass es zwangsläufig zusammenbricht.

Da die Vereinigten Staaten immer noch die treibende Kraft des globalen Finanzsystems sind, ist mein Blickwinkel stark angelsächsisch ausgerichtet. Bei der Darstellung der Spitzennetzwerke habe ich mich auf eine kleine Gruppe von Top-Führungskräften mit größerem Bekanntheitsgrad konzentriert, um die Lektüre dieses komplexen Themas zu vereinfachen. Ich verwende nachfolgend den Begriff »Super-hubs« für die am besten vernetzten Menschen im Zentrum der Finanznetzwerke wie CEOs, Fondsmanager, Milliardäre, Finanzpolitiker und Ähnliche. Während ihre Gemeinsamkeiten wie ihre »Connections«, ihre Netzwerk-Macht und ihr hoher sozialer Status überwiegen, so unterscheiden sie sich zum Teil auch sehr stark im Hinblick auf die Art ihrer Positionen, ihre Persönlichkeiten und Motivationen. Wenn sich Abschnitte nur auf eine bestimmte Gruppe beziehen, benenne ich diese, während ich bei allgemeineren Ausführungen »Super-hubs« als Auffangbegriff verwende.

Trotz zum Teil auch noch so großer Unterschiede haben diese Finanztitanen doch vor allem eines gemein: Sie alle haben erfolgreich persönliche Beziehungen und Netzwerke mit anderen Menschen aufgebaut, und wie wir nachfolgend sehen werden, hat der Faktor Mensch in unserem Finanzsystem eine besonders große Bedeutung.


1 Stefania Vitali, James B. Glattfelder, Stefano Battiston, The Network of Global Corporate Control, Chair of Systems Design, ETH Zürich, arxiv.org/pdf/1107.5728.pdf.

KAPITEL 1
Das Finanzsystem: Faktor Mensch

Es war ein grauer Januartag in New York. Mit dem Ende der Weihnachtsfeiertage waren auch die Touristen abgereist und die lästigen Verkehrsstaus hatten sich aufgelöst. Die Stadt war in Kälte erstarrt und ihre Bewohner schienen in einen Winterschlaf gefallen zu sein – keine Spur mehr von New Yorks berühmter Energie.

Ich hingegen war voller Vorfreude eifrig damit beschäftigt, mich auf die erste und wichtigste Geschäftsreise des Jahres vorzubereiten: die Konferenz des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos.

Jedes Jahr im Januar wird das beschauliche Schweizer Alpendorf zur Bühne der internationalen Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Unter den 2.500 Teilnehmern befinden sich Regierungschefs, milliardenschwere Investoren, die erfolgreichsten Fondsverwalter, CEOs der größten globalen Konzerne und Nobelpreisträger. Vordergründig kommen sie zusammen, um wirtschaftliche, politische und kulturelle Herausforderungen zu diskutieren und Lösungen für globale Probleme zu erarbeiten. Hauptziel allerdings ist das Networking oder Netzwerken und idealerweise auch das Einfädeln von Geschäften. Die Teilnahme bleibt einem exklusiven Kreis geladener Gäste vorbehalten und Tickets sind so heiß begehrt, dass noch nicht »Erwählte« nichts unversucht lassen, um in den hochkarätigen Kreis aufgenommen zu werden

Ich war zum Weltwirtschaftsforum erstmals aufgrund meiner Finanzmarkt-Expertise eingeladen. Unter anderem war ich Mitglied in dem Ausschuss, der sich mit systemischen Risiken innerhalb des Finanzsystems befasste (Council on Systemic Financial Risk) und erstellte eine Studie zu internationalen Finanzreformen. Seither bin ich dem WEF-Netzwerk verbunden geblieben, vor allem über die Menschen und Kunden, mit denen ich über die vergangenen Jahre zusammengearbeitet habe.

»Davos« wird aufgrund der hohen Konzentration von Spitzenvertretern aus Finanzindustrie und Wirtschaft teilweise mit Argwohn beobachtet und ist eines der Lieblingsthemen von Verschwörungstheoretikern, nach deren Auffassung dies ein Treffpunkt von an einer neuen Weltordnung arbeitenden Plutokraten ist.

Mit großer Vorfreude und gepackten Koffern machte ich mich auf den Weg zum JFK Airport, wo ich beim Swiss-Airline-Schalter eincheckte. Das Bodenpersonal war sehr bemüht und auffallend zuvorkommend. In der Airport Lounge fiel mein Blick dann auch auf illustre Davos-Teilnehmer: Hier die Investor-Legende George Soros, dort Credit-Suisse-CEO Brady Dougan und weiter hinten Lally Weymouth, die Erbin der Washington Post. Vor dem Panorama des einsetzenden Sonnenuntergangs und der imposanten Swiss-Air-Flotte hatten sie es sich bereits in den schweren Ledersesseln bequem gemacht und plauderten bei einem leichten Dinner. Die kurzweiligen Unterhaltungen dauerten an, bis im Flugzeug die Sitze zurückgefahren und Augenmasken aufgesetzt wurden. Nach fast acht Stunden Nachtflug erreichten wir Zürich, wo die Bankchefs von Luxuslimousinen abgeholt wurden, während die Super-VIPs zu ihren 10.000-Dollar-Helikopterflügen eilten. Ich begab mich unterdessen mit allen anderen zur WEF Shuttle Bus Lounge im Eingangsbereich des Flughafens.

Entlang der steilen Berghänge schlängelte sich vor uns eine Kolonne dunkler Limousinen auf den serpentinenförmigen, schneebedeckten Straßen. Je höher wir kamen, desto tiefer wurde der Schnee, und mit weißer Pracht bedeckte Kiefern glitzerten in der Sonne. Nach fast drei Stunden erreichten wir Davos. Von Thomas Manns »Der Zauberberg« geweckte Erwartungen an einen exklusiven Kurort werden enttäuscht, sobald die wenig ansprechenden, mit Flachdach ausgestatteten Betonbauten sichtbar werden. Glücklicherweise sind diese Bausünden in der Wintersaison von Schnee bedeckt und werden während des WEF mit überdimensional großen Plakatwänden verkleidet.

Davos ist ein Ort der Gegensätze. Der einfache und bodenständige Ort steht in einem deutlichen Kontrast zu der Macht und dem Reichtum der Konferenzteilnehmer. Die Hotels entsprechen eher den Bedürfnissen genügsamer Wintersportler als denen verwöhnter Businessclass-Reisender. Bis vor ein paar Jahren war es noch durchaus möglich, altmodische Wählscheiben-Telefone vorzufinden, die sich beim Wählen und insbesondere beim Verwählen vielziffriger internationaler Nummern als äußerst unpraktisch erwiesen. Auch Faxe in Form von endlosen Papierrollen schienen eher die Regel als die Ausnahme. Annehmlichkeiten wie WLAN waren vornehmlich Glückssache und Beschwerden quittierte das stoische Schweizer Personal in der Regel mit einem ungetrübten Schulterzucken. Selbst Milliardäre bleiben von der ungewohnten Kargheit nicht verschont und müssen sich mit ungewöhnlich bescheidenen Unterkünften begnügen. Einmal bemerkte einer von ihnen trocken, dass sein Zimmer im Fünf-Sterne-Hotel Steigenberger Belvedere – dem besten Haus am Platze – einem Sarg mit einer Lampe am Deckel glich. In den letzten Jahren hat man sich allerdings widerwillig dem Fortschritt ein wenig geöffnet. Nunmehr verfügt der Ort sogar über ein futurisch anmutendes Luxushotel, das Intercontinental, das einem goldenen Raumschiff ähnelt. Gäste, die mehr Privatsphäre und Platz bevorzugen, mieten Chalets, die für die Woche ab 150.000 Dollar zu haben sind, Personal nicht eingerechnet. Ein Freund von mir, ein Schweizer Investor, vermietet sein Riesenchalet jedes Jahr an die »Russische Regierung«, weil sie ihm so viel zahlen, dass er nicht ablehnen kann. Andere Freunde vermieten ihre Luxusappartments für jeweils 6.000 Dollar die Woche.

Nach meiner Ankunft begab ich mich als Erstes zu meinem rustikalen, familiengeführten Hotel in der Nähe des Konferenzzentrums. Die Hotelzimmer können nicht gebucht werden, sondern werden den Teilnehmern von den Veranstaltern zugewiesen. Wer allerdings einen höheren Mitgliedsbeitrag bezahlt, erhöht seine Chancen, in größerer Nähe zum Kongresszentrum untergebracht zu werden. Einige Dutzend Staats- und Regierungschefs sowie Super-VIPs haben das Privileg, im bereits erwähnten Steigenberger Belvedere nächtigen zu dürfen, das neben dem Kongresszentrum der wichtigste Dreh- und Angelpunkt der Veranstaltung ist. Da die Anzahl der Hotelzimmer in Davos nicht ausreicht, um alle Teilnehmer unterzubringen, müssen sich einige Gäste mit Unterkünften in benachbarten Dörfern begnügen und ein zeitaufwendiges und teures Pendeln in Kauf nehmen.

Trotz des Jetlags und einsetzender Erschöpfung stapfte ich bei minus 20 °C durch den Schnee, um meinen Konferenzausweis abzuholen. Das begehrte Stück Plastik, das an einer Schnur um den Hals getragen wird, gewährt den Teilnehmern Zugang zu allen abgesperrten Hochsicherheitsbereichen. Während des WEF ist Davos weltweites Hauptziel für Terroristenanschläge und die Schweizer Sicherheitskräfte kontrollieren das Chaos mit gewohnter Schweizer Präzision. 5.000 schwer bewaffnete Polizisten und Soldaten bewachen das Dorf, unter anderem an mit Stacheldraht gesicherten Kontrollstützpunkten. Maskierte Scharfschützen patrouillieren auf den Dächern und Kampfjets sind zur Verteidigung der Flugverbotszone abrufbereit. Zugang wird ausschließlich offiziell akkreditierten Teilnehmern gewährt, und von Staats- und Regierungschefs abgesehen, müssen sich alle anderen Teilnehmer – und seien sie auch noch so prominent – ohne ihre gewohnten Bodyguards in Warteschlangen einreihen.

Ausgestattet mit meinem Ausweis, begab ich mich zunächst zum Kongresszentrum, einem geräumigen, lichtdurchfluteten Labyrinth, in dem die meisten Aktivitäten stattfinden. Auf meinem Weg begegnete mir Bill Gates, der mir freundlich zunickte, kurz darauf grüßte mich Jamie Dimon und vor dem Kongresszentrum tauschte ich Höflichkeiten mit dem Private-Equity-Milliardär Steve Schwarzman aus. An der Garderobe, wo ich meine Schneestiefel gegen eleganteres Schuhwerk tauschte, begegneten mir der ehemalige US-Finanzminister und Harvard-Wirtschaftsprofessor Larry Summers und der Nobelpreisträger Robert Shiller, einer der bekanntesten Ökonomen der Welt. Obwohl ich Davos bereits mehrere Jahre in Folge besucht hatte, war ich doch jedes Mal wieder aufs Neue von der Fülle der Prominenz beeindruckt – als seien alle Finanztitanen, die regelmäßig Gegenstand der Nachrichten und auf Titelseiten zu sehen sind, direkt vor mir zum Leben erwacht.

Viele der Anwesenden kannte ich bereits und nach einigem Händeschütteln und Smalltalk zog ich mich von dem Sprachengewirr in eine ruhige Ecke zurück und studierte das Programm, um zu entscheiden, welche der über 300 Diskussionsrunden, Vorträge und Workshops ich besuchen sollte. Die Themen reichten vom globalen Wirtschaftsausblick bis zu eher unkonventionelleren wie der Wichtigkeit des Glücks oder der Beschaffenheit des menschlichen Gehirns. Die Vielzahl an Möglichkeiten, Themen und außergewöhnlichen Teilnehmern ist gleichzeitig stimulierend und erschöpfend, und über die Jahre habe ich gelernt, meine Energie einzuteilen. Jeder, der der Veranstaltung erstmalig beiwohnt, ist völlig überwältigt, und obwohl der Ort überschaubar ist, braucht man Zeit, um sich zu akklimatisieren und herauszufinden, wie alles funktioniert. Anfangs erscheint die Dichte und die Zugänglichkeit der mächtigen und berühmten Teilnehmer surreal, aber wie durch eine magische Anziehungskraft wird man in dieses Paralleluniversum hineingesogen, bevor man fünf Tage später wieder in die Welt entlassen wird.

Besuch des Weltwirtschaftsforums in Davos

Der offizielle Zweck von Davos ist die Führung eines kritischen Dialogs, um Lösungen für drängende globale Probleme zu finden. In der Vergangenheit sind die Treffen auch als die größte Fokusgruppe der Welt bezeichnet worden, um die globale geoökonomische Temperatur zu messen. Mit Hunderten von Nobelpreisträgern, Wissenschaftlern und Chefs der weltweit angesehensten Organisationen und Unternehmen ist die intellektuelle Schlagkraft kaum zu übertreffen. Viele der unzähligen Sitzungen, Workshops und interdisziplinären Diskussionen finden gleichzeitig statt. Obwohl ich selten auf Anhieb konkret identifizieren kann, welche Erkenntnisse ich genau in Davos gewonnen habe, so habe ich doch immer das Gefühl, dass sich kurze Zeit später die neu erlangten Informationen zu einem Gesamtbild zusammenfügen, das mich letztendlich bevorstehende Entwicklungen besser erkennen lässt.

Der wirkliche Grund, warum Finanztitanen weder Mühen noch Kosten scheuen, der Konferenz beizuwohnen, sind die schier unbegrenzten Möglichkeiten, unter Gleichgestellten zu »netzwerken«. Das WEF ist eine der berühmtesten und effizientesten Begegnungsplattformen für die internationale Finanzelite. Darüber hinaus sind über 700 Journalisten anwesend, um die »Wichtigkeit« der Teilnehmer in die Welt zu verkünden. Kontakte, die hier geknüpft werden, bilden den Beginn konzentrischer Kreise, die sich auf das gesamte berufliche und persönliche Leben auswirken. Ein geflügeltes Konferenz-Sprichwort besagt, dass »drei Tage Davos drei Monate Reisen erspart«. Das ist ideal für Menschen, die zwar über unbegrenzte finanzielle Ressourcen, aber nur über begrenzte Zeit verfügen.

Viele der Anwesenden sind Teil des Epizentrums des globalen Finanzsystems. Oftmals wird dieses System einzig über die es tragenden Institutionen und die getätigten Transaktionen definiert. Aber auf dem grundlegendsten Level besteht es vor allen Dingen aus einem: Aus Menschen und ihren Beziehungen. Und wenn wir das Finanzsystem in seiner Gesamtheit verstehen wollen, müssen wir zuvörderst diese Menschen und ihre Verbindungen begreifen.

Warum ist dies relevant für uns? Weil die Handlungen einiger weniger Individuen praktisch alles beeinflussen, was unser Leben ausmacht, angefangen von der Wirtschaft bis hin zur Stabilität des gesamten Finanzsystems. Die Chefs von Banken, Private-Equity-Firmen, Hedgefonds und Zentralbanken treffen Entscheidungen, die direkte Auswirkungen auf Branchen, Arbeitsplätze und Lebensstandards haben – unsere Branchen, unsere Arbeitsplätze und unsere Lebensstandards. Wenn George Soros sich mit dem Finanzminister eines Schwellenlandes trifft, kann dies weitreichende Auswirkungen haben. Aber wer sind diese Menschen, die im Zentrum dieses Netzwerkes operieren? Wie haben sie diese Position erlangt, und wie gelingt es ihnen, sie zu behalten? Was sind ihre Schwächen und ihre Stärken? Welche Macht üben sie im globalen Finanzsystem aus? Wie setzen sie diese Macht ein und was bedeutet das für uns? Dies alles sind Fragen, die ich versuchen werde zu beantworten. Aufgrund meiner über dreijährigen Recherche und langjährigen persönlichen Erfahrung bin ich zu der Auffassung gelangt, dass uns die Netzwerktheorie in Verbindung mit der Analyse der Führungspersönlichkeiten und ihrer komplexen Beziehungsstrukturen helfen kann, das Finanzsystem in seiner Gesamtheit zu begreifen.

Das Finanzsystem aus der Perspektive der Netzwerktheorie

Was haben das Gehirn, Ameisenkolonien und das Finanzsystem gemeinsam? Bei allen dreien handelt es sich um komplexe, sich selbst organisierende Systeme. Das Gehirn ist ein Netzwerk, das aus Milliarden von Neuronen besteht, die durch Synapsen dergestalt miteinander verbunden sind, dass sie Bewusstsein schaffen.2 Das Gehirn verfügt über keine »Master«-Zelle, die den anderen Zellen signalisiert, wie sie zu funktionieren haben, sondern es organisiert sich selbst aus Millionen elektrischer und chemischer Wechselwirkungen. Ein weiteres Beispiel sind Ameisenkolonien, die auf der Grundlage kollektiven, dezentralisierten Verhaltens funktionieren. Eine einzelne Ameise weiß aufgrund der Kommunikation mit vielen ihrer Ameisenkollegen, wie sie sich zu verhalten hat. Es gibt keine »Ober«-Ameise, die die Organisation oder das Verhalten der Kolonie als Ganzes vorgibt. Alle Ameisen in ihrer Gesamtheit tragen individuell zu einem funktionierenden und effizienten System bei.3 Ähnlich führen auch im globalen Finanzsystem die Handlungen einzelner autonomer Akteure zu einem kollektiven Gesamtgeschehen. Bei den Hauptakteuren handelt es sich neben vielen anderen um Führungskräfte von Finanzinstitutionen wie Banken und Investmentfonds sowie die Chefs von öffentlichen Institutionen wie Zentralbanken und dem Internationalen Währungsfonds, die durch komplexe Beziehungen und Transaktionen miteinander verwoben sind. Es gibt keine zentrale »Kommandostelle«, die einzelnen Finanzchefs Verhaltensanweisungen vorgibt, denn auch das Wesen des Finanzsystems resultiert aus dem Zusammenspiel zahlloser Verbindungen, Interaktionen und Entscheidungen einzelner Menschen.

Zwar haben diese keine Kontrolle über das System als solches, aber sie beeinflussen dessen Dynamik durch ihre Handlungen. Keine Einzelperson ist in der Lage, den Preis von Rohstoffen festzulegen oder in – zumindest größeren – Volkswirtschaften merkliche Marktschwankungen auszulösen. Obwohl sie den Regeln des Systems unterliegen, können sie dieses durch ihre Handlungen beeinflussen, insbesondere wenn sie ihre Macht aufgrund ihrer Beziehungen bündeln und koordiniert zu Werke gehen.

Ihre Spitzenstellung verleiht ihnen eine vollumfängliche Perspektive über das globale Finanzsystem. Damit eröffnet sich ihnen auch die zugrunde liegende komplexe Beziehungsarchitektur und das Wissen darüber, wie man diese Beziehungen im Einzelnen aufbaut und nutzt. Je besser sie das System verstehen, desto erfolgreicher können sie Kapital daraus schlagen. Und das ist genau der Grund, warum wir versuchen sollten, es zu verstehen.

Analysen des Finanzsystems und der von ihm ausgehenden Risiken haben sich bisher hauptsächlich auf die Vernetzung von Institutionen, makroökonomische Theorien und quantitative Modelle konzentriert und dabei die Menschen, die die Fäden ziehen, weitgehend unberücksichtigt gelassen. Aber gerade der menschliche Aspekt ist ausschlaggebend, wobei er die Analyse auch erschwert, da menschliche Beziehungen nicht schematisch, objektiv messbar und berechenbar sind. Die undurchsichtigen globalen Beziehungsgeflechte sind mithilfe der Netzwerktheorie allerdings einfacher zu verstehen. Sie bietet eine Blaupause für das Entstehen, die Struktur und das Verhalten jeglicher Netzwerke und hat in jüngster Zeit im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken enorm an Bedeutung gewonnen. Genauso gut kann man mit ihrer Hilfe aber auch erklären, warum es manchen Investoren gelungen ist, Milliardengewinne einzufahren, wie den Hedgefonds-Titanen George Soros und John Paulson. Oder warum keiner der Topmanager in letzter Konsequenz für die Verluste der Finanzkrise 2008 zur Rechenschaft gezogen wurde. Auch das Verhalten der WEF-Teilnehmer in Davos spiegelt die Gesetzmäßigkeiten der Netzwerktheorie wieder.

Nachfolgend werden wir das Finanzsystem durch das Prisma von Netzwerksystemen betrachten, weil es uns eine übergreifende Perspektive über das globale Finanzsystem vermittelt. Die zunehmende Technologisierung, Finanzialisierung und Globalisierung der vergangenen Jahre hat immer engere Verknüpfungen innerhalb der Finanzwelt selbst sowie zwischen der Finanzwelt und anderen Bereichen wie der Wirtschaft und der Politik geschaffen. Problematisch ist jedoch, dass unser Verständnis hinter dieser von uns geschaffenen, zunehmenden Komplexität zurückbleibt. Dies wurde insbesondere deutlich bei der Nichtrettung der US-Investmentbank Lehman Brothers, bei der man den Vernetzungsgrad und die Ansteckungsgefahr völlig unterschätzt hatte.

Die Finanztitanen oder »Super-hubs« in Aktion

Nirgendwo sind die Gesetzmäßigkeiten der Netzwerktheorie deutlicher sichtbar als in Davos. Ein Teil des Erfolgs des Weltwirtschaftsforums resultiert aus der Tatsache, dass es in einem entlegenen Ort stattfindet, der wenig Ablenkung bietet, sodass sich die Anwesenden schon allein deswegen aufeinander konzentrieren. Spitzenmanager und andere hochkarätige Persönlichkeiten sind zugänglicher als sonst, da sie ihrer gewohnten Umgebung, Routine und Privilegien entbehren. Ständig stecken sie in Sicherheitskontrollen, an der Garderobe und an Shuttle-Haltestellen fest, und was vordergründig als Unannehmlichkeit erscheint, ist in Wirklichkeit ein großer Vorteil, da sie so auf ungezwungene Art und Weise ins Gespräch kommen. Scheinbare Ineffizienzen stellen damit eine absolute Netzwerk-Optimierung dar, so dass es praktisch unmöglich ist, dem Networking zu entgehen. Andere Veranstalter haben versucht, mit ähnlichen Konzepten zu konkurrieren, aber bisher ist es noch niemandem gelungen, dem Weltwirtschaftsforum den Rang abzulaufen.

In Davos sind diese Power Player entspannt und gesellig, stets offen für neue Kontakte und jederzeit bereit, Deals abzuschließen, die kurz darauf für Schlagzeilen sorgen. Über die Hälfte der Anwesenden ist als Redner und Diskussionsteilnehmer auf den großen Bühnen des Kongresszentrums präsent, und auf Grundlage gemeinsamer Erfahrungen mit Diskussionspartnern und Publikum werden neue Beziehungen geknüpft und bestehende vertieft. Fast alle nutzten die Gelegenheit auch für informelle bilaterale Treffen im Kongress-Café oder in einem der privaten Tagungsräume abseits der Hauptkorridore. Der Zufall beschert häufig die wertvollsten Gelegenheiten, sei es dass man Personen begegnet, die sich als wichtig fürs Geschäft herausstellen, die einem Zugang zu einem vormals unzugänglichen Kreis von Menschen eröffnen, oder dass Dialoge mit neuen Gesprächspartnern überraschende Perspektiven eröffnen. Vor nicht allzu langer Zeit saß ich beispielsweise an einen Tisch im Kongresszentrum, als mich ein unbekannter Mann fragte, ob er sich dazusetzen dürfe. Nach und nach gesellten sich zwei Milliardäre und zwei prominente Fondsmanager zu ihm. Nach 30 Minuten hatte ich fünf neue wertvolle Kontakte geknüpft. Partys, die von Regierungen, Firmen, Eliteuniversitäten und Individuen gegeben werden, bieten weitere wertvolle Networking-Gelegenheiten.

Jedes Jahr lädt JPMorgan zu einem glamourösen Cocktailempfang ins Kirchnermuseum. Für die geladenen Gäste ist diese hochkarätige Veranstaltung ein absolutes Muss. Am Eingang bildet das Topmanagement der Bank ein Empfangskomitee und begrüßt jeden der prominenten Gäste mit Handschlag. In den letzten Jahren war auch Tony Blair, der ehemalige Premierminister von Großbritannien, stets mit von der Partie. Die Teilnahme an diesem Event gehört zu seinem Job als hoch dotierter Berater der Bank. Blair ist ein begehrter »Anker-Gast«, da er allein durch seine Präsenz andere VIP-Gäste wie ein Magnet anzieht. An der Spitze des Empfangskomitees begrüßt Jamie Dimon über drei Stunden lang mehrere hundert Gäste persönlich. Er strahlt, posiert geduldig für Fotos und unterhält sich angeregt. Die außergewöhnlichen expressionistischen Kunstwerke finden an diesem Abend wenig Beachtung, dienen sie doch hauptsächlich als stillvolle Kulisse für das intensive Networking der prominenten Gäste. Über Cocktails und Kanapees plaudern hier ungezwungen der ehemalige israelische Verteidigungsminister Ehud Barack, Islands Präsident Ólafur Ragnar Grímsson, der Private-Equity-König Steve Schwarzman, der russische Oligarch Oleg Deripaska und viele andere der mehr als 100 vertretenen Milliardäre aller Nationalitäten. Willkommen im Mikrokosmos der Weltelite!

Die Finanztitanen leiten ihren Status sowohl von ihrer Position innerhalb des Netzwerks als auch von der besonderen Bedeutung des Netzwerks selbst ab. Dessen Bedeutung liegt in der Tatsache begründet, dass in unserer Gesellschaft Finanzen die Grundlage für alles sind und wir für fast alle unsere Aktivitäten Geld benötigen, sei es für den Bau eines Hauses oder den Aufbau eines Unternehmens.

Um die Macht dieser Mogule ermessen zu können, sollten wir zunächst die Institutionen einordnen, über die sie ihre Macht ausüben. Diese sind vielfältig. Da sind zunächst die Banken, die Spareinlagen nehmen und Kredite vergeben. Durch diese Vermittlung machen sie verschiedensten sozialen Gruppen Kapitalmittel zugänglich, insbesondere solchen mittlerer und unterer Einkommensklassen. Darüber hinaus stellen Banken Zahlungssysteme zur Verfügung, ohne die unsere hochvernetzte Finanz- und Wirtschaftswelt zum Stillstand kommen würde.

Hinzu kommen die sogenannten Schattenbanken. Bei ihnen handelt es sich um Finanzvermittler, die keine Banklizenz besitzen, wie Investment-Banken, Hedgefonds, Private-Equity-Fonds und Geldmarktfonds. Schattenbanken bieten Finanzdienstleistungen und tätigen Investitionen. Aufsichtsbehörden wie die US Securities and Exchange Commission (SEC), das Bundesaufsichtsamt für das Finanzwesen (BaFin) und der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) überwachen das Finanzsystem; Zentralbanken und andere Institutionen, wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) und der Finanzstabilitätsrat (FSB), sind für die Stabilität des Geldsystems zuständig. Denkfabriken, auch Thinktanks genannt, entwickeln neue Perspektiven, beraten und vertreten ihre Interessen gegenüber der Politik. Wissenschaftler und Vordenker entwickeln innovative ökonomische Theorien und untermauern oder entkräften bestehende Paradigmen.

Die Menschen, die diesen Organisationen vorstehen, haben enormen Einfluss auf die Finanzwelt und die Wirtschaft. Sie entscheiden, welche Firmen Darlehen erhalten und bestimmen damit, welche Industrien die Chance haben zu florieren und Jobs zu schaffen. Sie entscheiden, wer Hypotheken bekommt, welche Unternehmen gekauft oder an die Börse gebracht werden. Sie beeinflussen Märkte durch die Vermögenswerte, die sie kontrollieren, die Kapitalflüsse, die sie anweisen, und die Währungen, mit denen sie handeln. Die Preise von lebensnotwendigen Gütern wie Energie und Lebensmitteln sind von ihren Spekulationen betroffen, und sie können sowohl Blasen produzieren als auch deren Platzen verursachen. Wenn Länder unter wirtschaftlichem oder finanziellem Druck stehen, können Spekulationsgeschäfte eine Abwärtsspirale in Gang setzen. Sie beeinflussen die Politik nachhaltig durch ihre Spenden, ihre persönlichen Beziehungen zu Politikern und ihren Lobbyismus. So war während der Finanzkrise 2008 die Finanzbranche die treibende Kraft hinter den staatlichen Rettungspaketen. Die Beziehungen zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor werden insbesondere durch die »Drehtür« beflügelt, durch die Spitzenvertreter zwischen Jobs auf beiden Seiten hin und her wechseln.