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Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-8448-7300-9

Inhalt

A. EINLEITUNG

B. TEXT

I.   Originaltext des Fragmentes 1

II.  Übersetzung des Fragmentes 1 – Grundstück

III. Originaltext des Fragmentes 2

IV. Übersetzung des Fragmentes 2-: Wein und Weizen

C. Inskription

I. Zur Person des lulius Paulus

1. Vita und Datierung

2. Zum Beruf, möglichen Vorbildern, und dem weiteren Kollegenumfeld des lulius Paulus

3. Das literarische Werk des lulius Paulus

4. Die Textüberlieferung

D. AUSLEGUNG

I. Auslegung des Fragment 1 – Grundstück -

II. Wie wäre im modernen Recht über die Grundstücke zu entscheiden?

1. Leistungsgefahr

2. Vergütungsgefahr

II. AUSLEGUNG DES FRAGMENTES 2

1. Die im Fragment 2 als ersatzfähig bezeichneten Teile der „omnis utilitas emptoris“

2. Die Beispielsfälle für nicht ersatzfähige „utilitas extra ipsam rem“.

II. Vergleich des Fragmentes 2 mit dem geltenden deutschen Recht

1. Grundsätzliches

2. Ersatz des entgangenen Gewinns im Weinkauf-Beispiel a?

3. Weizenkauf- Beispiel und Ersatz weiterer Schäden (Folgeschäden)

4. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des Schadensersatzes

5. Ausschluss des Schadenersatzes durch womöglich verspätete Klageerhebung?

E: Ergebnisse aus dem rechtshistorischen Vergleich, Lokalisierung, regionalgeschichtliche Datierung und Schluss

I. Textbezogene Ergebnisse

II. Lokalisierung und regionalgeschichtliche Datierung

III. Schluss

A. EINLEITUNG1

Eutrop und Orosius schrieben von Obergermanien trans Renum, nämlich „…. urbes trans Renum in Germania reparavit…“2 und „…mox Germaniam trans Renum in pristinum statum reduxit…“3 im Zusammenhang mit der Statthalterschaft des späteren Kaiser Trajan, dem Gründer von Ladenburg als Ort4 im Jahre 98 n. Chr.

Trans Renum meinte bei beiden, bei Eutrop und Orosius, unsere Gegend entlang des Rheines von der Quelle bis zur Mündung in Batavia5 auf dem rechten, dem östlichen Ufer, nicht jedoch etwa in den mehr donau-orientierten römischen Provinzen Raetia 6, und noch weniger in der noch weiter östlich gelegenen Provinz Noricum 7 gelegen, wobei rechtsrheinisch, nördlich der Linie Koblenz und Remagen keine8 dauerhaften Besiedlungen mehr vorkamen.

Durchforstet man nicht nur die (kaiser-)geschichtswissenschaftliche und militärgeschichtliche Literatur, sondern auch einmal die rechtshistorische Literatur, nach den Worten „Germania trans renum“ springen bei näherem Besehen, zwei eng beieinander überlieferte Fragmente 9 eines Paulus ins Auge, von der sich eine Stelle (hier: Fragment 1 ) ausdrücklich, schon dem Wortlaut nach, mit trans Renum befasst, und wobei die zweite, mehr ausführliche und komplexe, Stelle (hier: Fragment 2) in ganz engem zeitlichen, inhaltlichen und stilistischen Entstehungszusammenhang mit der ersten steht.

Bei noch näherem Hinsehen in die beiden Texte und bei gleichzeitiger Anwendung der rechtswissenschaftlichen Methode der Digestenexegese lassen sich auch für das Hier und Jetzt interessante Einsichten, d.h. wirtschafts-, sozial-, und mentalitätsgeschichtliche, in das damalige Alltagsleben in provinzialrömischen Gebieten rechts des Rheines, und ganz wahrscheinlich auch in Ladenburg, entwickeln.

Beide Fragmente stoßen uns ein lebendiges Fenster in das Wirtschaften, Zusammenleben und Konfliktlösen in unserer Heimat in vergangenen Zeiten, auf, durch welches wir gegliedert nach -A I 1 a, etc. – nun mit:

B. Text, I. Originaltext des Fragmentes 1, II. Übersetzung des Fragmentes 1, III. Originaltext des Fragmentes 2, IV. Übersetzung des Fragmentes 2, C. Inskription, I. Vita und Datierung, II. Zu Beruf, möglichen Vorbildern, und dem weiteren Kollegenumfeld des lulius Paulus, III. Das literarische Werk, IV. Die Textüberlieferung, V. Auslegung, 1. Auslegung des Fragmentes 1, 2. Wie wäre im modernen Zivilrecht über die Grundstücke zu entscheiden?, 1.) Leistungsgefahr, 2.) Gegenleistungsgefahr, B. Auslegung des Fragment 2,1. Die im Fragment 2 als ersatzfähig bezeichneten Teile der „omnias utilitas emptoris”, II. Beispielsfälle für nicht ersatzfähige „utiltas extra ipsam rem“, 1. Der Kauf von Wein, 2. Der Kauf von Weizen, II. Der Vergleich mit geltendem deutschen Recht, 1. Grundsätzliches, 2. Ersatz des entgangenen Gewinns im Weinkauf-Beispiel, 3. Das Weizenkauf-Beispiel mit Ersatz weiterer Schäden, 4. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des Schadenersatzes, Ausschluss des Schadenersatzes durch womöglich verspätete Klageerhebung, D. Ergebnisse aus dem rechtshistorischen Vergleich mit den Nummern 1-25, Lokalisierung, regionalgeschichtliche Datierung und Schluss.

hineinschauen.

Bedacht werden sollte dabei, dass die Entscheidungen des lulius Paulus beim Kauf von Waren bis heute das Alltagsverhalten europäischer Menschen entscheidend, zwar manchmal bewusst, aber meist auch nur unbewusst prägen. Denn, wer von uns kennt nicht die oft nur wenige Sekunden (manchmal aber auch länger) andauernden Situationen, beispielsweise des Brötchenkaufens, des Kaufens einer Zeitung, das Sich-anliefern-Iassens von Heizöl, oder aber auch das Bestellen von Kleidung im Versandhandel -zeitlich zwischen Kaufentscheidung und Zusage des Käufers an den Verkäufer und Übergabe der gekauften Sache durch den Verkäufer an den Käufer-, die uns im Alltag bestimmt mehrmals in der Woche begegnen? Bei der erfolgreichen Abwicklung (Normalfall) und auch beim Scheitern solcher Alltagsgeschäfte (Extremfall) klingt das darunter liegende Schuldvertragsrecht als Verhaltensmaßgabe jedenfalls bis heute mit.

B. TEXT

I. Originaltext des Fragmentes 1

(D 21.2.11 – Paulus libro sextum responsorum-):

Lucius Titius praedia in Germania trans Renum emit et partem pretii intulit: cum in residuam quantitatem heres emptoris conveniretur, quaestionem rettulit dicens has possesiones ex praecepto principali partim distractas, partim veteranis in praemia adsignatas:

quaero an huius rei periculum ad venditorem pertinere possit. Paulus respondit futuros casus evictionis post contractum emptionem ad venditorem non pertinere et ideo decundumea quae proponuntur pretium praedorium peti posse.

II. Übersetzung des Fragmentes 1 – Grundstück

Lucius Titius hatte Grundstücke in Germanien jenseits des Rheins gekauft und einen Teil des Kaufpreises entrichtet. Als der Erbe des Käufers auf die Restsumme verklagt wurde, erbat er eine Rechtsauskunft, wobei er vortrug, diese Besitzungen seien teils auf kaiserliche Anordnung veräußert (enteignet) worden, teils Veteranen als Kriegsbeute zugeschrieben worden.

Die Frage ist, ob die Gefahr dieser Sache den Käufer treffen kann. Paulus erstattete folgendes Gutachten: In der Zeit nach Abschluss des Kaufvertrages zukünftig eintretende Herausgabefälle betreffen nicht den Verkäufer und daher kann – nach dem, was vorgetragen ist – der Preis für die Grundstücke gefordert werden.

III. Originaltext des Fragmentes 2

(D. 19,1,21,3 – Paulus libro trigessimo tertio ad edictum-)

Cum per venditorem steterit, quo minus rem tradat, omnis utilitas emptoris in aestimationem venit, quae modo circa ipsam rem consistit: neque enim si potuit ex vino puta negotiari et lucrum facere, id aestimandum est, non magis quam si tricium emerit et ob eam rem, quod non sit traditum, familia eius fame laboraverit: nam pretium tritici, non servorum fame necatorum Consequitur nec maior fit obligatio, quod tardius agitur, quamvis crescat, si vinum hodie pluris sit, merito, quia sive datum esset, haberem emptor, sive non, quondam saltem hodie dandum est qoud iam alim dari oportuit.

IV. Übersetzung des Fragmentes 2-: Wein und Weizen

Wenn der Verkäufer die Nichtlieferung einer Sache zu vertreten hat, so berechnet sich der Schadensersatz des Käufers nach seinem gesamten Schaden, jedoch nur insoweit, als dieser sich aus dem Umkreis der verkauften Sache selbst herleiten lässt. Handelt es sich beispielsweise um den Kauf von Wein, so ist nicht in Anschlag zu bringen, dass der Käufer mit diesem Wein Handel treiben und Gewinn erzielen konnte. Das gleiche gilt, wenn er Weizen gekauft hat und deswegen, weil dieser nicht geliefert wurde, sein Hausstand Hunger leiden musste. Hier ist dem Käufer der Preis des Weizens zu ersetzen, nicht aber der Preis der aus Hunger gestorbenen Sklaven. Grundsätzlich erhöht sich die Verpflichtung des Verkäufers, wenn der nichtgelieferte Wein heute teurer ist als bei Kaufabschluss. Sie erhöht sich aber nicht deswegen, weil der Käufer die Klage verzögert. Diese Entscheidung ist gerecht, denn wenn geleistet worden wäre, besäße der Käufer heute die Ware, ist aber nicht geleistet worden, so hat er bekanntlich immer noch wenigstens seinen bisherigen Anspruch auf Leistung.

C. Inskription

I. Zur Person des lulius Paulus

1. Vita und Datierung

Der Verfasser der Stelle, Paulus, gehört zu den bedeutendsten römischen Juristen der klassischen Zeit. Sein Geburts- und Todesjahr sind ebenso wie seine genaue Herkunft, sein Geburtsort, sein Familienstand und gewöhnlicher Aufenthalt in der Stadt Rom, unbekannt10. Er war Schüler des Quintus Cervidius Scaevola und begegnet uns zum ersten Mal als Rechtsassessor11 lulius Paulus des Aemilius Papinian12 in seiner Eigenschaft als praefectus praetorio, als magister memoriae und unter Kaiser Septimus Severus und Kaiser Caracalla – dann gleichzeitig mit Papinian – auch einmal als Mitglied des kaiserlichen consilium.

lulius Paulus muss Kollege des Respondierjuristen Domitius Ulpianus13 gewesen sein, da dieser wie unser Paulus ein Assessor des Papinian war. Schließlich bekleidete lulius Paulus das politische Amt des Prätorianerpräfekten, wahrscheinlich unter Kaiser Alexander Severus14. Daneben hat er sich als Rechtsgelehrter betätigt und er besaß vor allem auch das ius respondendendi ex auctoritate principis15.

2. Zum Beruf, möglichen Vorbildern, und dem weiteren Kollegenumfeld des lulius Paulus

Was waren dies nun für Leute, welche ein Recht zum Respondieren, hier sogar aus kaiserlicher Machtfülle verliehen, hatten? Was hatte das Recht zum „Respondieren“ zu bedeuten? – Der römische Jurist Gaius führt unter den Rechtsquellen16 auch die responsa prudentium auf und sagt, das seien die Auffassungen derer, denen es erlaubt worden sei, Rechtssätze zu schaffen17. Hatte noch der Princeps Augustus nur Juristen aus dem Senatorenstand die Befugnis verliehen, öffentliche Rechtsgutachten zu erstatten, so werden in der Folgezeit auch stadtrömische Ritter berücksichtigt. Schließlich kommen, wie Kunkel nachgewiesen haben will, im 2. Jahrhundert n. Chr. die Respondierjuristen aus allen Ständen und aus allen Teilen des römischen Reichs. Stets schien es sich aber um einen Kreis einiger weniger besonders gutsituierter, universalistisch gebildeter, viel gereister, sehr privilegierter Juristen gehandelt haben, welche die Kaiser ja auch nur zu sich vorlassen und auf welche sie hörten. Einer dieser Respondierjuristen, nämlich M. Coccesius Nerva, mit dem Spitznamen Nerva Pater, gestorben 33. n. Chr. war immerhin der Großvater des späteren Kaisers Nerva.

Andere Respondierjuristen waren diejenigen der Rechtsschule der Proculianer, nämlich M. Antistus Labeo, ein Zeitgenosse und Vertrauter des Princeps Augustus, Pegasus, der nach Juristentätigkeit um 70 n. Chr. Konsul wurde, Neratius Priscus, der dasselbe Schicksal wie der Vorgenannte, nämlich die Berufung zum Konsul im Jahre 87 n. Chr., teilte, und P. luventius Celsus, Sohn des genialen Juristen luventius Celsus, dann Jurist und Prätor um 106/107 n. Chr. und Konsul 129 n. Chr, und danach Mitglied im consilium (dem Kaiserrat) des Hadrian, aber auch solche der Prägung Sabianischer Scholastik, wie etwa C. Aetius Capito, Konsul 5 n. Chr., C. Cassius Longinus, Konsul im Jahre 30 n. Chr., C. lavolenus Priscus, Konsul 86 n. Chr., Salvius lulianus, Konsul 148 n. Chr., Quintus Cervidius Scaevola, später Mitglied des kaiserlichen consilium unter Kaiser Marc Aurel.

In solchen Kreisen (Kaisergroßväter, Prätoren, Ritter, Konsuln und Ratgebern von sich als Götter fühlenden und sich später auch als Götter weltweit darstellenden Kaisern) muss sich unser lulius Paulus bewegt haben, als er als Jurist über rechtsrheinische Grundstücke von Zivilisten und andere Gegenstände zu entscheiden hatte.

3. Das literarische Werk des lulius Paulus

Das äußerst umfangreiche und sehr vielseitige literarische Schaffen behandelt alle denkbaren Rechtsgebiete und war eine der wichtigsten Quellen für die Digesten des lustinians, die zu mehr als 15 %18 auf lulius Paulus entfallen.

Er schrieb einen Kommentar in 78 (in Worten achtundsiebzig!) Büchern zum prätorischen Edikt, 16 Bücher ad sabinum und zahlreiche Einzeldarstellungen zu ausgewählten, besonders schwierigen, Themen19. Die Beurteilung seines riesigen Werkes war in der modernen Wissenschaft nicht ganz einheitlich.

lulius Paulus wird jedoch heute nicht mehr als vorwiegend unselbständiger Kommentator und Kompilator betrachtet (dies zeigt sich auch unten in diesem Text, als er sich im Fragment 1 gerade nicht auf ein historisches Vorbild bei seiner Entscheidungsfindung „periculum est emptoris“ berief), sondern insbesondere Vertreter der modernen US-amerikanischen Rechtswissenschaft schätzen ihn nun wegen Selbständigkeit, scharfem und folgerichtigem Denken, Schärfe der Beweisführung und Genauigkeit der Darstellung20.

4. Die Textüberlieferung

Die beiden hier vorgestellten Fragmente stammen aus dem Ediktskommentar, dem größten Werk des lulius Paulus21, dessen Darstellung sich genau an das prätorische Edikt in der hadrianischen Fassung anschließt22.

Für die Entstehungszeit des Werkes fehlen genauere Anhaltspunkte, es wird jedoch bei beiden Fragmenten aufgrund sprachtheoretischer Analyse vermutet, dass es sich um späte Werke des Juristen handelt23, etwa im zweiten Viertel des 3. Jahrhunderts n. Chr. Die hier in dieser Untersuchung genommenen Texte gehen wahrscheinlich auf eine frühnachklassische Ausgabe des Paulus-Textes zurück24. Nach Lenels Palingenesie25 befasst sich das 33. Buch mit dem Kaufrecht beweglicher Sachen (Mobilien), das 6. Buch mit unbeweglichen Sachen (Immobilien), dem Grundstücksrecht.

Die beiden oben angeführten Fragmente, die uns ein Bild vom kaufmännischen Handeln und Schlichten im rechtsrheinischen Germanien der 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts geben, wurden uns durch die sog. Digesten überliefert, welche wir dem oströmischen Kaiser Justinian (geb. 482; 527 bis 565 n. Chr. Kaiser) zu verdanken haben. Justinian, im übrigen auch der Erbauer der Hagia Sophia, verfolgte hochgesteckte Ziele mit ungeheurer Tatkraft. Nach außen ging es ihm um die Wiederaufrichtung des ungeteilten imperium Romanum, welches, wie wir wissen, im Jahre 47626 im Westteil mitsamt der Stadt Rom von germanischen Goten unter Odovakar erobert und verbrannt wurde.

Im Jahre 530 setzte der in Konstantinopel residierende lustinian eine Kommission zur Sammlung von repräsentativen Auszügen aus klassischen Juristenschriften ein. Sie bestand aus dem Beamten Triboniam als Vorsitzendem, vier Professoren, davon zwei aus Beirut, und zwei aus Konstantinopel27, einem weiteren Beamten und elf Rechtsanwälten. Diese mussten sich anscheinend an lulius Paulus erinnern und nahmen ihn in ihre Ausgabe, der Digesta („Zusammengestelltes“) bzw. unter dem entsprechenden griechischen Namen Pandectae („Allumfassendes“), auf.

Als lustinian das Westreich militärisch für ein gemeinsames Rom wieder eroberte und die besiegte Ostgotenhauptstadt Ravenna zum neuen Schwerpunkt Italiens machte, führte er von dort die Digesten, neben den Institutionen, seinem Codex, und den leges novellae, mit Gesetzeskraft ein, um sog. weströmisch-ostgotisch-alemannisch-fränkisch-germanisches Vulgarrecht28 durch klassisches römisches Recht zu verdrängen, was aber in Italien nie ganz 29 gelang.

Dass lustinian30Justinian31lulius PaulusJustinians32