Andreas Schlüter • Irene Margil

Fallrückzieher

Fünf Asse

Sport-Krimi

 

 

Originalausgabe 2010

© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

 

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Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

 

eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 41234 - 6 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 71396 - 2

 

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Inhalt

Überraschende Einladung

Südafrika

Oh nein!

Zwischenfall

Training

Besuch

Das Turnier beginnt

Gewonnen!

Noch mehr Überraschungen

Ein wichtiger Hinweis

Das Spiel ist aus

Die Entscheidung

Vorbereitungen

Das Entscheidungsspiel

Überraschende Einladung

Michael nahm ganz genau Maß. In voller Konzentration flutschte seine Zungenspitze unbemerkt aus dem Mund hervor und tänzelte über seine Unterlippe. Der nächste Schuss sollte sitzen. Unbedingt. Mit nur einem Schritt Anlauf peilte er das untere Loch in der Torwand an, stieß den Ball diesmal mit der Fußspitze, in der Hoffnung, er würde zielgenau unten rechts durch die Öffnung kullern. Stattdessen segelte der Ball weit rechts außen an der Torwand vorbei.

Lennart kicherte. »Wieder nicht mal die Torwand getroffen. Immer noch 3:0 für mich.«

Lennart hatte seine drei Schüsse unten zielgenau versenkt, während Michael jetzt das dritte Mal danebengehauen hatte.

»Das war Pech!«, behauptete Michael. Und erntete erneutes Gelächter von Lennart.

»Ja,« lästerte der. »Pech, dass du nicht Fußball spielen kannst.«

Die beiden vertrieben sich die Zeit auf dem Schulhof mit einem Spiel auf die Torwand, während sie auf Ilka und Linh warteten, die sich am Schwarzen Brett noch einige Trainingstermine abschreiben wollten. Danach ging es schnurstracks ins Schwimmbad. Es war der erste heiße Tag im Frühling. Und ein so strahlend blauer Himmel, dass sich sogar Frau Kick hatte erweichen lassen, die Kinder früher nach Hause zu schicken. Allerdings hatte Frau Kick diese Entscheidung nicht ganz uneigennützig getroffen. Denn auch sie fieberte darauf, bei diesem herrlichen Wetter für ihren Triathlon endlich mal nicht im Schwimmbad, sondern draußen im See zu trainieren.

Jabali war schnell nach Haus gelaufen, weil er als Einziger trotz des herrlichen Wetters nicht vorausgeahnt hatte, dass sie nach der Schule gemeinsam schwimmen gehen würden. So hatte er auch als Einziger kein Schwimmzeug dabei. Kurz hatte er überlegt, ob er überhaupt mitgehen oder lieber einen langen Lauf absolvieren sollte. Aber dann hatte er sich doch breitschlagen lassen.

Lennart traf gerade mit dem ersten von drei Schüssen oben links das Loch, als die Mädchen ankamen.

Michael klemmte sich den Ball unter den Arm.

»Glück gehabt«, prahlte er. »Oben hätte ich alle drei versenkt.«

»Klar«, nickte Lennart ihm schmunzelnd zu. »Dann hätte ich aber immer noch 4:3 gewonnen. Du schuldest mir ein Eis.«

Michael winkte ab. Er wusste, dass Lennart ohnehin lieber eins von Jabalis selbst gemachtem Eis statt eines gekauften essen würde. So kam Michael um die Einlösung seiner Wettschulden elegant herum.

Die vier schwangen sich auf ihre Räder und sausten durch die Stadt zum Freibad. Am Fußballplatz mussten sie abbiegen.

»Mann!«, stöhnte Michael. »Wie kann man bei dem Wetter Fußball spielen, statt schwimmen zu gehen?«

Die Mädchen sahen sich kurz an und schüttelten lachend die Köpfe. Als ob Michael es nicht selbst wüsste. Schließlich fand er auch nichts dabei, bei jedem Wetter Sprints, lange Läufe und Kraft zu trainieren. Er war ein begeisterter Zehnkämpfer. Da blieb so gut wie kein Tag ohne Training. Selbst an diesem Tag würde er nach dem Badespaß im Schwimmbad noch eine Krafteinheit einlegen. Nicht nur deshalb fieberte Michael darauf, so schnell wie möglich ins Wasser zu kommen.

Aber vor dem Schwimmbad mussten sie erst noch auf Jabali warten.

Michael murrte deshalb schon, noch während sie ihre Räder anschlossen.

»Oh Mann!«, meckerte er. »Nur weil Jabali bestimmt wieder läuft, statt das Rad zu nehmen, müssen wir uns hier die Beine in den Bauch stehen.«

Jabali nutzte wirklich stets jede Strecke als Lauftraining. Aufs Rad stieg er nur, wenn er speziell für Radrennen trainierte. Umso ungewöhnlicher war es, als Ilka ihn auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus dem Bus aussteigen sah.

»Was ist denn mit dem los?«, wunderte sie sich. »Hat er sich etwa verletzt?«

Auch Linh und die beiden Jungs schauten besorgt hinüber zu Jabali. Wenn Jabali den Bus nahm, musste etwas Schreckliches passiert sein.

Doch Jabali rannte – wie immer in Laufkleidung und nachdem er sich sorgsam vergewissert hatte, dass die Straße frei war – flink und leichtfüßig über die Straße auf seine Freunde zu. Ungewöhnlich war nur, dass er ihnen dabei heftig zuwinkte.

Was hat der denn?, fragte sich Lennart.

»Hey!«, rief Jabali ihnen schon von Weitem zu. »Ich muss euch was erzählen!«

»Deine Eismaschine ist kaputt«, vermutete Michael. Jabali war berühmt für sein selbst gemachtes Eis. Die Eismaschine in der Küche seiner Eltern nutzte er fast täglich.

Jabali winkte ab. »Quatsch!«

Er griff in seine Sporttasche, die über seiner Schulter hing, knisterte in einer speziellen Plastiktüte für Tiefgefrorenes herum und fischte für jeden seiner Freunde ein Eis am Stiel heraus. Auch selbst gemacht, wenngleich ebenso ungewöhnlich wie sein gesamter Auftritt. Normalerweise gab es bei Jabali nur Kugeleis oder aufwendige Eiskunstwerke.

»Südafrika!«, rief Jabali.

Michael betrachtete sein Eis voller Skepsis. »Aus Südafrika?«, fragte er. »Dafür ist es aber noch gut gefroren.«

Jabali schüttelte ungeduldig den Kopf. »Unsinn! Wir können hinfliegen!«

Erwartungsvoll schaute er in die Gesichter seiner Freunde und wunderte sich, weshalb sie nicht vor Freude in die Luft sprangen.

»Nun mal langsam«, versuchte Linh ihn zu beruhigen. »Und erzähl mal der Reihe nach. Wer fliegt nach Südafrika?«

»Die Fußballnationalmannschaft«, warf Lennart ein. »Aber erst im Juni. Dieses Jahr ist doch Fußball-WM.«

Jabali nickte aufgeregt. »Genau.«

Michael verzog schon wieder das Gesicht. »Und deshalb machst du so einen Aufstand? Stell dir vor, das wussten wir schon.«

Jabali versuchte, seine Gedanken zu sortieren und seine Neuigkeit verständlicher zu erklären. »WIR können nach Südafrika fliegen. Schon in zehn Tagen.«

»Oh, Glückwunsch«, gratulierte Ilka ihm, in der Annahme, Jabali spreche von seiner Familie, die ihren Urlaub dort verbringen würde. »Dann müssen wir in den Pfingstferien wohl ohne dich auskommen«, stellte sie enttäuscht fest.

»Nein, nein!«, rief Jabali aufgeregt. »Also«, begann er nun endlich der Reihe nach und berichtete, dass es in Südafrika verschiedene Sozialprojekte gäbe, die mit Fußballspielen Straßenkindern halfen. Im Vorfeld der WM lud nun eine Organisation solcher Projekte einige Fußballmannschaften, Schulen und so weiter aus der ganzen Welt ein, an einem internationalen Jugendfußballturnier in Südafrika teilzunehmen.

Michael, Lennart, Linh und Ilka nahmen diesen Bericht still zur Kenntnis. Sie ahnten noch nicht, was dieses Turnier mit ihnen zu tun haben sollte.

»Und ihr wisst ja«, berichtete Jabali weiter, »dass mein Vater hier im südafrikanischen Konsulat arbeitet.«

Seine Freunde nickten. Sie wussten auch von Jabalis Mutter, die hier in Deutschland als Journalistin für verschiedene Zeitungen und sogar fürs Fernsehen in Südafrika arbeitete.

»Und beide haben vor und während der WM direkt in Südafrika beruflich zu tun«, erzählte Jabali.

Ilka verstand. Klar, dass die Eltern da ihre Kinder mitnahmen. So würden Jabali und sein Bruder Rasul nach Südafrika kommen. »Glückwunsch«, wiederholte sie. Und gab ehrlich mit ein wenig Fernweh zu: »Da würde ich auch gern mitkommen.«

»Aber das ist es doch!«, rief Jabali aus. Fast wäre ihm das Eis aus der Hand gefallen, so wild gestikulierte er mit den Armen. »Ihr kommt mit!«

»Hä?«, fragte Lennart.

Michael wollte sich schon verwirrt am Kopf kratzen. Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass er ein Eis in der Hand hatte.

Endlich ließ Jabali die Katze aus dem Sack und zog seine Überraschung aus der Hosentasche: eine feine, auf Karton gedruckte Einladungskarte.

»Hier!«, präsentierte er stolz. »Dies ist eine Sondereinladung an unsere James-Conolly-Schule, an dem Turnier teilzunehmen!«

»Aber wir sind doch nur Fußballfans! Wir spielen doch gar nicht Fußball«, stellte Linh fest. Ein wenig Enttäuschung lag in ihrer Stimme. Gern wäre sie mit nach Südafrika geflogen. Doch Jabali konnte sie sogleich beruhigen.

»Wir sind nicht als Mannschaft eingeladen, sondern als Abordnung unserer Sport-Schule«, erklärte er. »Sozusagen als special guests oder VIPs, Very Important Persons

An dem Grinsen in seinem Gesicht erkannte Linh, dass Jabalis Vater als diplomatischer Mitarbeiter des Staates Südafrika bei der Einladung wohl ein bisschen mitgeholfen hatte.

»Und wer wäre eine bessere Abordnung unserer Schule als wir?«, fragte Jabali.

Unter den Fünf Assen brach ein riesiger Jubel aus. So laut, dass andere Kinder, die ins Schwimmbad gingen, sich erstaunt nach ihnen umdrehten.