Paul Grote

Sein letzter Burgunder

Kriminalroman

 

Originalausgabe 2012

© 2012 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

 

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Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

 

eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 41373 - 2 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 21391 - 2

 

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»Hab Acht, wie du hineinkommst, wem du traust,

lass dich nicht täuschen durch des Eingangs Weite.«

 

Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie

Inhalt

Am Morgen danach …

Hecklers Kettenhund

Barcelona bei Nacht

Dorotheas Dossier

Das Rollenspiel

Vulkanfelsen

Ein tiefer Schnitt

Gelbe Rosen

Spielerglück

Die Rufmordmaschine

Chaostheorie

Das Verhör

Der Zorn Gottes

Die Wandlung

Viererwette

Ein harter Aufprall

Schwarze Flecken

Bedenkzeit

Besuch bei Nacht

Rebeccas Auftritt

Klopfgeräusche

Die Wahrheit?

Danksagung

Am Morgen danach 

Es war spät geworden. Kaum einer der Juroren war an diesem Abend vor Mitternacht ins Bett gekommen. Henry Meyenbeeker hatte das Spielcasino erst kurz vor ein Uhr verlassen, an den Spieltischen war allerdings noch rege gesetzt worden. Besonders der Roulettetisch, wo Alan Amber weiter spielte, war umlagert gewesen, als er gegangen war, weniger von Spielern als von Neugierigen. Sie brannten darauf zu erfahren, ob der Brite hier sein Waterloo erleben oder das Verlorene zurückgewinnen würde, und das war nicht wenig. Einige mochten es dem Weinkritiker gewünscht haben, aber bei der Mehrheit der Schaulustigen meinte Henry, Häme oder sogar Schadenfreude bemerkt zu haben. Es hatte ihn nicht gewundert. Die Unsterblichen des Olymps sollten ruhig mal richtig bluten. Einige Tausend Euro würden Amber nicht schmerzen.

Von der Spannung der vergangenen Nacht war bei den Juroren, die in der Morgensonne jetzt dem Kongresszentrum zustrebten, nichts mehr zu bemerken. Knapp die Hälfte von ihnen waren Deutsche, sie gingen zusammen, der größere Teil war den Statuten nach Ausländer, auch die hielten sich an ihre Landsleute. Henry lebte im Ausland, war aber von Geburt Deutscher, seine Mutter Spanierin. Also – was war er dann? Deutscher Ausländer oder ausländischer Deutscher? Folgte ihm hier etwa der Schatten des Migranten? Den hatte er in Barcelona nie bemerkt.

Unter den Juroren wurde er als Deutscher geführt, obwohl er seit fast fünf Jahren nicht mehr im Land residierte, wo er immerhin die ersten fünfundvierzig Jahre seines Lebens verbracht hatte, von vielen Auslandsreisen abgesehen. Er selbst betrachtete sich als eine Mischung, deutsch-spanisch. Er fühlte sich in beiden Ländern gleichermaßen fremd und heimisch.

Henry spürte die Frische eines jungen Tags und die Wärme der leichten Junisonne auf der Haut und dachte mit Blick in den supergepflegten Park, wo er sich gern ins Gras gelegt hätte, an die Prozedur der Einweisung. Sie war glücklicherweise zu einer menschlichen Zeit angesetzt worden. Die Leitung der Baden-Baden Wine Challenge wusste, was sie den Weintestern zumuten konnte, im Wissen, dass die Nacht davor lang geworden war. Der Anruf des Hotelweckdienstes hatte Henry zumindest nicht mehr aus dem Tiefschlaf gerissen, und die Nacht war lang genug und dunkel genug gewesen, um den Eklat bei Ambers Rede zu vergessen, fürs Erste jedenfalls. Mit einem Nachspiel allerdings musste er rechnen. Er war gespannt, wer ihn ansprechen würde, denn er war verantwortlich, er hatte für das Debakel gesorgt. Das würde Verlagschef Heckler ihm nicht verzeihen. Henry konnte sich durchaus vorstellen, dass man ihn bitten würde, abzureisen. Aber zu ernst durfte er die Angelegenheit nicht nehmen. Gehörte ein schöner Eklat nicht auch zum Unterhaltungsprogramm?

Für ein Frühstück war genügend Zeit geblieben. Nur eine Tasse Kaffee hätte Henry nicht gereicht, wenn bis zum Mittagessen mehr als dreißig Weine probiert und bewertet werden mussten und danach noch mal knapp zwanzig. Der Kopf musste klar bleiben, wie die Sinne und die Urteilsfähigkeit.

Einzeln, paarweise und in Grüppchen schlenderten die Juroren aus Holland, der Schweiz und Österreich durch den frühsommerlich erblühten Kurgarten, auch belgische Weinexperten waren hier, Griechisch sprach man und Französisch, Weinkenner aus Japan, den USA und Australien gehörten zu den Gästen ebenso wie ein Chinese und ein Mann aus Chile. Sie alle verhielten den Schritt auf der Brücke und starrten hinab ins flache Wasser der Oos und wünschten wohl, sich jetzt auf eine der Bänke ans Ufer setzen zu können, sich zurückzulehnen und den Sommertag zu genießen. Aber alle hatten ein gemeinsames Ziel – das Kongresshaus: Hatte es am Abend zuvor den Eindruck vermittelt, von innen heraus zu glühen, so war es jetzt im Inneren der schlichten Konstruktion, deren Glaswände dem Beton- und Stahlbau aus den Sechzigerjahren die nötige Leichtigkeit verliehen, dunkel. Die großen Glastüren standen weit offen, und erst im weitläufigen Foyer fanden sich die Juroren gemeinsam vor den Tischen wieder, wo Namensschilder und Formulare für die Reisespesen ausgegeben wurden. Wer die Anwesenheitsliste unterschrieben hatte, hängte sich das Band mit dem Schild um den Hals, auf dem neben dem Namen auch Nationalität, Beruf und Jurygruppe vermerkt waren.

An manches Gesicht erinnerte sich Henry aus der Nacht im Casino. So wie er schielten auch andere Teilnehmer auf die Namensschilder derer, die plaudernd am Fuß der Treppe neben ihm warteten. Die Neugier, zu erfahren, wer zur selben Jurygruppe gehörte, war groß, immerhin würde man vier lange Tage eng beieinander sitzen, Ellenbogen an Ellenbogen, sozusagen auf Tuchfühlung, und würde gemeinsam an die zweihundert Weine probieren. Und jeder hoffte, dass nicht irgendein Großmaul, Besserwisser oder Klugscheißer am Tisch mit seiner Meinung die Stimmung verdarb.

Weiter vorn in der Schlange standen der Fotograf und seine schöne Frau, die Winzerin Antonia Vanzetti, die sich gerade das Band mit dem Namensschild über den Kopf streifte. Henry sah sie die Arme heben, die Armreifen rutschten auf ihren gebräunten Armen nach unten, und sie drückte ihr volles krauses Haar zusammen, denn das Band hatte sich verheddert. Ihr Mann, Frank Gatow, schaute belustigt zu und grinste, als er Henry erkannte. Der Fotograf gehörte nicht zu den Juroren, aber er wich nicht von der Seite seiner Frau, außer wenn er fotografierte – heimlich, nur von Henry bemerkt, wie letzte Nacht beim Roulette.

Kurz bevor Henry an der Reihe war sich einzutragen, bemerkte er in der übernächsten Reihe einen Spanier, der ihm die Laune verderben konnte: Patricio Mendoza, Autor und Publizist. Sie waren mehrmals aneinandergeraten, weniger in Sachen Wein als in Bezug auf Politik. Henry hielt ihn für bösartig, und er war schwarz bis auf die Knochen, seiner Einstellung nach gehörte er entweder dem rechten Movimiento Social Republicano an oder der Falange Auténtica, beides Organisationen der extremen Rechten. Mendoza hatte ihn noch nicht entdeckt oder wollte ihn nicht sehen. Henry musste jede Konfrontation vermeiden. Sollte Mendoza ihm wieder mit ausländerfeindlichen und antisemitischen Parolen auf den Wecker gehen, würde er ihm zu gern 

Marion Dörners Lächeln unterbrach den finsteren Wunsch. Ihr war anscheinend die Aufgabe zuteilgeworden, die Hostessen bei der Ausgabe der Namensschilder zu kontrollieren. Im letzten Monat in Andalusien, wo sie sich kennengelernt hatten, hatte sie mit dem Pagenkopf mehr dem Typ des jungen Mädchens entsprochen. Heute gab ihr das hochgesteckte Haar einen Hauch von Noblesse, was ihr auch gut stand. Der Eindruck wurde von ihrem offiziellen Auftreten im dunkelblauen Kostüm unterstrichen. Hatte sie bisher mit verschränkten Armen zwei Schritte hinter den Tischen gestanden, so griff sie jetzt selbst nach den Schildern, um Henry das seine umzuhängen – und um ihm möglichst nahe zu kommen? Das wäre ihm nicht recht gewesen und verbot sich hier von selbst. Er nahm das Schild mit der ausgestreckten Hand entgegen, aber um ein Bussi kam er nicht herum. Aus den Augenwinkeln bemerkte Henry, dass es Frank Gatow, der belustigt die Augenbrauen hob, nicht entgangen war. Das hatte er schon gestern in der Spielbank getan, als Marion ständig in seiner Nähe geblieben war.

»Wir sehen uns beim Mittagessen?!«

Ob Marion das als Frage oder bestätigend gemeint hatte, war ihrem Tonfall nicht zu entnehmen.

»Ich werde mich meiner Jurygruppe anpassen müssen, wahrscheinlich machen wir nach dem dritten Flight Pause. Dann hätten wir nur noch einen Flight von zehn oder fünfzehn Flaschen vor uns und können es ruhig angehen. Heute Abend sehen wir uns bestimmt.« Es wäre undiplomatisch, ihr Ansinnen gänzlich auszuschlagen, obwohl Henry sich bedrängt fühlte.

»Ich hoffe es«, gurrte Marion und zog sich mit einem charmanten Lächeln auf ihre Position zurück, denn Oliver Koch war aufgetaucht, finster wie immer und so wichtig wie am Abend zuvor.

»Sie haben unseren Gast ziemlich alt aussehen lassen, zu alt!«

»Das war nicht ich, das war die Roulettekugel«, erwiderte Henry. Bevor Koch auf das andere Thema kommen konnte, wandte er sich der Treppe zu, wo Frank Gatow auf ihn wartete.

»Du lässt deiner Frau den Vortritt?«, fragte Henry und legte ihm freundschaftlich die Hand auf den Rücken.

Gatow war der Typ Fotograf, mit dem er als Journalist sich vorstellen konnte, auf eine lange Reportagereise zu gehen. Auf der kollegialen Ebene hatten sie sich sofort verstanden.

»Man hat mir ausnahmsweise gestattet, als Ehemann einer geladenen Jurorin unentgeltlich an den Events teilzunehmen. Doch seit gestern darf ich nirgends mehr mit der Kamera rein«, antwortete Gatow mit gespieltem Bedauern. »Der da«, er neigte den Kopf in Richtung Koch, »hat es verboten.«

»Der kann nicht anders, er spielt sich auf, das ist seine Lieblingsbeschäftigung. Er ist der Einpeitscher des Verlags oder der Kettenhund vom Chef. Nehmen Sie ihn nicht ernst. Aber ich muss jetzt da rauf, in den Saal. Sehen wir uns später im Hotel?«

»Es gibt viele wunderschöne Ecken hier in Baden-Baden, ich werde mich ein wenig dort umsehen, wo die Russenmafia investiert hat. Angeblich hat sie einige kleine und große Hotels gekauft, auch der ›Europäische Hof‹ ist in östlicher Hand, die beste Art, Geld zu waschen, dann gehören ihr bereits an die achtzig Villen …«

»Ihr Italiener kennt euch mit der Mafia aus?«

»Auch mit der Cosa Nostra, der Sacra Corona Unita, ’Ndrangheta, Camorra … Ach, Unsinn, ich verstehe nichts davon, es wird viel gemunkelt – aber wir treffen uns bestimmt.«

»Auch beim ›Fidelio‹ im Festspielhaus?«

»Nein, dafür sind die Karten abgezählt.«

»Ich gebe dir meine, angeblich lieben Italiener die Oper. Ich hasse sie. Das Gesinge macht mich krank, ich kriege Eurodermitis davon.«

Frank Gatow prustete los. »Du meinst Neurodermitis!«

»Wieso? Was habe ich gesagt?«

»Eurodermitis …«

Henry schloss sich dem Lachen an. »Passt auch, daran leiden nicht nur unsere griechischen Kollegen. Zwei oder drei von denen sind heute dabei, damit sie sich mal wieder richtig satt essen können, aber jetzt muss ich wirklich los. Eine Frage noch.« Er beugte sich Gatow zu. »Den Angriff auf Amber hast du fotografiert – und was ist mit den Fotos aus dem Casino mit dem Burgunder?«

Gatow zwinkerte ihm zu. »So was macht mir am meisten Spaß.« Er wandte sich zum Gehen.

»Paparazzo!«, warf Henry ihm nach, und Gatow drehte sich winkend um. »Sehr richtig. Aber sag es nicht noch einmal. Das hat schon mal jemand gesagt, und der ist jetzt im Knast.«

Wie schnell man durch ein unbedachtes Wort den wunden Punkt eines Menschen treffen konnte, dachte Henry, als er den halbdunklen Saal betrat, unschlüssig wie viele andere, wo er sich hinsetzen sollte. Wer einen Platz und einen gesprächigen Nachbarn gefunden hatte, probierte natürlich sofort das Mikrofon zwischen den Sitzen aus, aber Koch, um die Verspieltheit seiner Branchenkollegen wissend, hatte die Mikrofone ausgeschaltet. Hecklers Kettenhund bezog mit finsterem Blick am Fuß der halbhohen Bühne seinen Posten, wichtige Papiere unter den Arm geklemmt, und tat, was er allem Anschein nach am liebsten machte, er gab Anweisungen.

Henry ließ sich weit hinten in einen der blauen Sessel fallen, stellte sich dem neben ihm sitzenden Portugiesen kurz vor, und man sprach über die Unannehmlichkeit der weiten Anreise.

Koch durfte den Moderator spielen. Er begann mit der Laudatio auf die Baden-Baden Wine Challenge und insbesondere auf seinen Chef, Verlagsdirektor Dirk Heckler, der unter höflichem Beifall die Bühne betrat und das Wort ergriff. Er freue sich über die große internationale Bedeutung des von ihm ins Leben gerufenen Wettbewerbs, über die Beteiligung der weltweit besten Weinerzeuger, die ihre Weine zu dieser wichtigsten Prüfung in Deutschland angestellt hatten. Das Medienecho der unter Ägide der OIV stehenden Veranstaltung sei gewaltig, und man sei stolz, dass die Internationale Organisation für Rebe und Wein, die achtundvierzig Länder repräsentiere, wieder die Schirmherrschaft übernommen habe. Besonders glücklich sei er natürlich über die Anwesenheit von Alan Amber, dieser herausragenden Persönlichkeit der internationalen Weinwelt, und er bedauere, dass er aufgrund wichtiger Verpflichtungen nicht an der gesamten Challenge teilnehmen könne. Den Skandal des gestrigen Abends überging Heckler. Henry war sich nicht sicher, ob Heckler ihn als Rädelsführer der Aktion vom Vorabend begriff. Koch tat es sicherlich. Stattdessen freute sich der Verlagschef, gute Laune versprühend, dass die hier versammelten Experten aus fünf Kontinenten mit ihrem Fachwissen, ihrer Kompetenz und ihrer Hingabe an den Beruf die Veranstaltung zu einem großartigen Erfolg werden lassen würden.

Das Lob der Menge kam immer gut an, der Beifall war entsprechend. »I love you all« hätte nur noch gefehlt. Dann sagte er einige Sätze zu den »wichtigen und in der Branche hoch geschätzten Publikationen« des Verlags und zu ihrer Bedeutung für die Weinbranche, diskret das Zusammenspiel von Redaktion, Anzeigen und Preisverleihung noch einmal hervorhebend, nicht ohne gleichzeitig doppelzüngig an die Unvoreingenommenheit und Verantwortung der Juroren zu appellieren.

Koch trat aus dem Hintergrund, er kommentierte die in Gold, Silber und Bronze gehaltene Präsentation, in Anlehnung an die in den nächsten Tagen zu verteilenden Medaillen. Die Organisatoren und das Präsidium wurden vorgestellt, Koch selbst würde als Koordinator der zwanzig Teamleiter fungieren, die am Tisch mit jeweils sechs Juroren den ordnungsgemäßen Ablauf der Proben garantierten und für die Dokumentation der Bewertungen sorgten.

Er wird es so eingerichtet haben, dass wir möglichst wenig zusammentreffen, dachte Henry. Nach den schlechten Erfahrungen auf unserer Weinreise durch Andalusien wird er mich kaum in seiner Nähe ertragen – und nach dem gestrigen Abend wird er jede Gelegenheit nutzen, um mich bloßzustellen. Aber er weiß auch, dass er trotz seiner Selbstüberschätzung keine Chance hat, und doch kann er mir schaden.

Einhundertvierzig Juroren kamen hier zusammen. Jemandem die Kompetenz abzusprechen wäre Unsinn gewesen, jemandem den Willen zur Manipulation zu unterstellen ebenfalls, höchstens den Veranstaltern, nur sie hatten in alles Einblick und die Möglichkeit dazu. Wo die Schwachstellen waren, würde Henry sicher entdecken. Wer die OIV-Schirmherrschaft beanspruchte, musste sich den Regeln dieses zwischenstaatlichen Verbandes unterordnen. Einer ihrer Vertreter würde als Beobachter den gesamten Wettbewerb begleiten.

Als Heckler darauf hinwies, dass es auf die fachliche Einschätzung eines Weins und nicht auf persönliche Vorlieben ankam, »wir sind ja vorurteilslos und unbestechlich und legen objektive Kriterien an«, konnte Henry sich das Schmunzeln nicht verbeißen. Was war objektiv? Nur industriell hergestellte Produkte ließen sich objektiv bewerten, für sie konnte ein Hundert-Punkte-Schema gelten. Beim handwerklich oder künstlerisch gemachten Wein kam es immer auch auf die Empfindung an. Auf der Weinreise durch Andalusien hatte Henry erlebt, wie Koch probierte, und seine Vorliebe für konventionell gemachte Weine bemerkt. Nun gut, es war nicht sein Problem, er würde sich an die Vorgaben halten.

Es folgte eine Übersicht der Weine, die sie bewerten würden. Unter »Stillwein« gab es die trockenen und halbtrockenen Roten und Weißen, desgleichen beim Rosé. Liebliche Weine entsprachen nicht seinen Vorlieben, aber er würde sich bemühen … doch bei Süßweinen zog er gern mit. Nur wenn sie schlecht gemacht waren, wenn kein Körper die Süße stützte und wenig Säure den Wein pappig machte, schmeckten sie widerlich. Genau um das zu bewerten, war er hier. Schaumwein war wie alles, das prickelte, in der Beurteilung am schwierigsten. Man benötigte Übung, um an der Kohlensäure vorbeizuriechen.

Nachdem die Nummerierung der Flaschen erläutert worden war, wurde der Bewertungsbogen vorgestellt, den man zu jedem Wein vorgelegt bekam. Der organisatorische Ablauf wurde besprochen, wie die Bewertungsbögen zu handhaben waren, dass sie unterschrieben und an den Chef des Tisches weitergereicht werden mussten, der sie auf Vollständigkeit zu überprüfen hatte und sie abzeichnen musste. Es war ein höllischer Aufwand. Henry überschlug kurz, dass bei zwanzig Teams und maximal fünfzig Weinen pro Tag in vier Tagen insgesamt etwa viertausend Weine zur Beurteilung anstanden. Wenn er diese Zahl dann noch mit der Startgebühr von hundertvierzig Euro je Flasche multiplizierte, kamen fünfhundertsechzigtausend Euro zusammen – war das ein gutes oder schlechtes Geschäft für den Veranstalter? Seine alte Freundin Dorothea, die beim konkurrierenden Wettbewerb in Hamburg mitmachte, hatte berichtet, dass die Preise dort niedriger waren und Winzern Rabatte eingeräumt wurden, damit auch die weniger starken sich das Vergnügen leisten konnten, eine Medaille auf ihre Flaschen zu kleben.

Nach der Vorstellung des Programms für die nächsten Tage ging das Licht an, und wie nach einer Kinovorstellung schoben sich die Önologen, Sommeliers, Großhändler, Einkäufer, Marketingdirektoren und Weinjournalisten durch den Ausgang. Man ging zum Hotel zurück, wo die viertausend Weine der Verkostung harrten. Den wichtigsten Prüfern schüttelte der Verlagschef die Hand, weniger wichtige wurden von Koch begrüßt.

Unter den Anwesenden war außer Mendoza niemand, den Henry zu kennen glaubte. Er sah sich nach Alan Amber um, er reckte den Hals, er musste mit ihm reden, das Interview mit ihm war für den späten Nachmittag angesetzt, seine persönliche Sekretärin hatte es arrangiert, aber der Star unter den Prüfern ließ sich nicht blicken. War ihm der Spätburgunder im Casino nicht bekommen? Der Mann musste Derartiges gewohnt sein, und wenn der Wein schlecht gewesen wäre, hätte er es sicherlich auf einen Meter Entfernung von der Flasche sofort gemerkt – das zumindest wurde von ihm behauptet.

Für Henry war es überraschend, in dieser großen Gruppe von Kollegen außer Mendoza kein einziges bekanntes Gesicht zu finden. Doch, da war der kantige Kopf mit grimmigem Gesicht auf dem massigen Körper, und der gehörte zu Aguirre, dem Zorn Gottes, wie Henry Jacobo Arienzo, den spanischen Önologen, nannte. So grimmig, wie er aussah, war er auch, aber er war ehrlich. Außer ihm gab es sicher noch weitere Spanier, mit Sicherheit sympathischere Typen als den Widerling Mendoza, der sich großspurig »Publizist« nannte. Henry hatte bei seinen Besuchen spanischer Weingüter mehr mit Winzern, Kellermeistern und Weinbauern zu tun und nicht wie hier mit Vertriebsleitern und Geschäftsführern, mit Marketingdirektoren und Weinberatern. Von denen bekam man sowieso meistens ähnliche Vorträge zu hören.

Ja, da war noch Antonia Vanzetti, sie stieg vor ihm angeregt plaudernd inmitten eines Trupps bestens gelaunter Italiener die Treppe hinab. Zwei ihrer Begleiter meinte er gestern bereits im Gartenrestaurant des »Il Calice« gesehen zu haben, die Valianos, ein Winzerehepaar aus Süditalien. Leider sprach er zu schlecht Italienisch, um sich ihnen anzuschließen.

Henrys Französisch hingegen reichte, um mit dem Herrn, der neben ihm auf der Brücke über die Oos stehen geblieben war, über den Concours Mondial de Bruxelles zu plaudern, an dem Pierre Faudot teilgenommen hatte, wie Henry dem Namensschild entnahm, das an dessen Hals baumelte. Brügge, Belgien, Weinkontrolleur, Jurygruppe neun. Also gehörte auch er nicht zu Henrys Team der Gruppe dreizehn. Monsieur Faudot war genauso gespannt wie er, wie er durchblicken ließ, mit wem er die nächsten Tage zusammensitzen würde, und betrachtete das spärlich fließende Rinnsal.

»Wenn einer da ertrinken will, muss er schon volltrunken sein und mit dem Gesicht nach unten liegen«, meinte der Belgier.

Diese Art von Humor konnte Henry teilen, und er stimmte in das Lachen ein, fragte sich allerdings, wer darin ertrinken solle, als Koch alle Nachzügler mit ausgebreiteten Armen vor sich her zum Hotel trieb.

Beinahe als Letzter betrat Henry die Lobby und spürte sofort, dass sich etwas verändert hatte. Die Stimmung hatte sich gewandelt. Die Leichtigkeit und Fröhlichkeit des Neubeginns waren verflogen. In der Lobby herrschte eine gespannte Stille, die Menschen an der Rezeption flüsterten. Sie sahen nicht wie Hotelgäste aus. Ein besonders großer Mann fiel ihm auf, und niemand trug das Namensschild mit dem Zeichen der BBWC. War eine neue Reisegruppe eingetroffen? Ohne Gepäck? Reisende benahmen sich anders, waren aufgeregter, ausgelassen. Niemand füllte ein Formular aus. Der Ernst und die Haltung des Personals verunsicherten Henry, da war nicht ein Lächeln im Gesicht, nicht einmal das auf der Hotelfachschule eingeübte.

Irritiert folgte Henry dem belgischen Kollegen hinauf in den Verkostungssaal und ließ seinen Blick über die weiß gedeckten Tische streifen, wo sie die nächsten vier Tage zubringen würden. Hier war die Stimmung gänzlich anders.

An seinem Tisch, dem mit der Nummer dreizehn, waren bis auf seinen alle Stühle besetzt, und erst jetzt wurde er wirklich gewahr, welche Zahl man ihm verpasst hatte. Ihn an die Dreizehn zu setzen konnte nur Kochs Werk gewesen sein. Die Dreizehn ist keine gute Zahl, sagte er sich und sah die schwarze Katze vor sich, die in jener Nacht in Laguardia die Straße vor ihm überquert hatte, bevor der Önologe Jaime Toledo ermordet worden war. Nein, das hat damit nichts zu tun, sagte er sich, schüttelte im Geiste die Erinnerung ab und ging auf fünf neugierige Gesichter zu, von denen bis auf eines alle lächelten, als er die Hand auf die Lehne des freien Stuhls legte. Die Dreizehn bezieht sich nicht auf mich, sagte sich Henry, hier ist keiner böse – doch, einer schaut hinterhältig.

Statt sich zu setzen, trat Henry zu der farblosen, ungeschminkten Dame mit dem Fransenschnitt und dem grauen Kleid, das zu den grauen Augen passte, und gab ihr die Hand. Er kannte sie – vom Foto her. Das Eleganteste an ihr war die echte Perlenkette. Isabella hatte eine von ihrer Mutter geerbt und ihm gezeigt, woran man die Echtheit erkannte.

Isabella – Henry durchzuckte der Gedanke an die Drohbriefe, die sie erhalten hatte, inzwischen waren es drei 

»Mrs. Josephine Rider, aus London, wie ich vermute?« Er gab ihr erfreut die Hand. »Von Ihnen habe ich viel gehört, nur Gutes – und gelesen. Sie schreiben für das britische ›Decanter Magazine‹? Ich halte es für das beste Weinmagazin überhaupt, und zwei Ihrer Bücher stehen in meinem Büro.«

Das dankbare Lächeln Mrs. Riders strafte ihre Erscheinung Lügen. Keiner ist, was er scheint, dachte Henry, wandte sich der anderen, elegant, aber konservativ gekleideten Dame zu und deutete eine Verbeugung an.

Es war die Schweizerin Beatrix Stöckli aus Winterthur. »Ich verkaufe unseren lieben Mitmenschen das, was sie glücklich macht.«

Henry lächelte und war gespannt, wo sich ihre Bewertungen decken würden.

Der Nächste, dem er die Hand schüttelte und der fest zugriff, war der Winzer François Dillon von der Loire. Er kam aus Sancerre. »Sauvignon Blanc ist meine Spezialität«, sagte er, und Henry fragte sich, ob die Weine eines groben Winzers fein ausfallen konnten. Gleichzeitig merkte er, dass er der Begrüßung des blonden Mannes am Tisch auswich, der ihn über seine randlose Lesebrille hinweg aus blauen Augen beobachtete. Er trug, anders als der hemdsärmelige Winzer, einen Anzug mit karierter Fliege und hatte sein Haar zu einem Zopf gebunden. Nichts passte. Henry war gespannt auf die Stimme.

Mehr als ein sonores und dabei distanziertes »Good Morning« kam nicht, nicht einmal der Name. Henry musste sich hinunterbeugen, um den Namen auf dem Schild zu lesen, das Bram van Buyten neben der Mappe mit den Verkostungsbögen abgelegt hatte. Er war Wein-Großhändler aus Rotterdam. Die Abneigung war spontan und gegenseitig.

Der Italiener Paolo Castellani war von anderem Kaliber. Der Önologe aus Meran in Südtirol, dunkler Anzug, weißes, offenes Hemd, stand auf und hätte Henry fast umarmt.

»Sie sind auf dem Weg zur Weinmesse in Verona oder an die Adria sicher bei uns vorbeigekommen, durch unser wunderschönes Tal gerast, ganz bestimmt zu schnell, auf dieser schrecklichen Brenner-Autobahn.«

»Das stimmt, man fühlt sich zwischen den Leitplanken wie eingesperrt, zum Weiterfahren gezwungen, einen Zwanzigtonner im Nacken, dabei möchte man bleiben …«

»Autobahnen sind eine deutsche Erfindung.«

Mrs. Rider unterbrach sie auf Deutsch, der für Engländer typische Akzent gefiel Henry, ihm lag ihre bescheiden snobistische Art. Er wunderte sich sowieso, dass er der einzige Deutsche war und alle anderen die Sprache ebenfalls beherrschten.

»Meine Herren, wir werden in den nächsten Tagen sicher ausführlich Gelegenheit haben, uns auszutauschen, aber jetzt sollen wir arbeiten. Vor Ihnen liegt Ihr persönlicher Aktenordner mit den Bewertungsbögen. Es gibt einen für jeden Juror und jeden Wein. Die Flights, also die zuvor …« Sie suchte nach dem richtigen Wort.

Henry half ihr aus: »… in Gruppen nach gemeinsamen oder ähnlichen Merkmalen zusammengestellten Weine …«

Sie nickte ihm vornehm zu. »… sind von einem grauen Zwischenblatt getrennt. Alle Bögen sind nummeriert. Es lässt sich also genau zurück well … nachprüfen, wer welchen Wein wie und mit welcher Punktzahl bewertet hat. Oh well … ich muss erklären … dass ich nur ersatzweise eure Teamleiterin, Vorsitzerin des Tisches bin, weil …«

Sie war endgültig aus dem Konzept und ins Stammeln gekommen, denn sie hatte sich von Koch und seiner Hampelei ablenken lassen. Er war mit erhobenen Händen in den Saal getreten, als stünde jemand mit einem Revolver hinter ihm, und ging zur Fensterfront, das Licht im Rücken. Er bat um Ruhe. Das Gemurmel verstummte nur widerwillig, und erst in der absoluten Stille ließ er sich oberlehrerhaft herab, das Prozedere zu erklären, wobei ihn Verlagschef Heckler von der Tür aus beobachtete.

Alle gemeinsam würden jetzt den Referenzwein probieren, die Ergebnisse der Beurteilung in den Musterbogen eintragen, und der Vorsitzende des Tisches würde das Ergebnis vor dem Auditorium präsentieren. So könne man die Bewertungen harmonisieren und das eigene Urteil hinterfragen.

An der fensterlosen Längsseite des Saals standen die Tische mit Batterien verhüllter Flaschen. Die Eleven der hiesigen europäischen Hotelfachschule, ganz in Schwarz mit langer weißer Schürze als Kontrast, warteten mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf das Signal zum Einschenken. Jeder Tisch hatte seinen eigenen Mundschenk. Die jungen Leute würden flitzen müssen, denn nach jeder Probe verlangte jeder Juror ein sauberes Glas. Natalie, die junge Frau, die am Tisch dreizehn bediente, hatte es leichter, denn ein Juror fehlte, der Inhaber der Weinwerbeagentur Önostyle aus Wien, der den Vorsitz hätte führen sollen, war nicht erschienen. Das waren etwa zweihundert Gläser weniger für Natalie.

Der rote Referenzwein war gut, interessant in den Aromen und sauber gemacht, Henry hatte keine Schwierigkeiten, eine entsprechende Punktzahl zu geben. Für ihn war es eine französische Assemblage aus den Rebsorten Mourvedre, Carignan und Syrah, etwa zwei Jahre alt. Aber er hielt sich mit dieser Äußerung zurück.

Gastgeber Heckler freute sich nach dem gestrigen Fiasko über den gelungenen Auftakt. Sein Kettenhund strich an den Tischen vorbei und schaute, ob auch alles zu seiner Zufriedenheit ausgeführt wurde, dann bat er laut um die ersten Resultate. Die Punktzahl bewegte sich in der oberen Hälfte der achtziger, also wäre es eine Goldmedaille geworden, nur ein Tisch machte wegen der extrem niedrigen Punktzahl von sich reden.

Ein unwilliges Gemurmel erhob sich, da stürzte ein grauhaariger, elegant gekleideter Herr mit lachsfarbener Krawatte in den Saal, dem ansonsten sicher eine vornehmere Gangart zu eigen war. Hektisch sah er sich um, seine Augen flogen über die Tische, er entdeckte Heckler, hob den Arm und drängte rücksichtslos durch die Tischreihen, sodass der Unmut jetzt ihm galt statt dem Urteil. Es war ihm gleichgültig. Atemlos beugte er sich zu Heckler, packte ihn bei den Schultern und raunte ihm etwas zu.

Heckler hatte mit offenem Mund zu ihm aufgeschaut, er wirkte entsetzt, seine angewinkelten Arme fielen herunter wie die eines vom Zug der Strippe erlösten Hampelmannes. Er schüttelte den Kopf und hob beide Hände, flehend oder um etwas Unangenehmes fernzuhalten. Dann strich sein entsetzter Blick über die Köpfe der Juroren, von denen einer nach dem anderen von der Stimmung erfasst wurde. Das Gemurmel erstarb.

Koch huschte eilig zwischen den Tischen hindurch – Heckler legte ihm eine Hand auf die Schulter, als müsse er sich festhalten. Jetzt wiederholte der Bote einer anscheinend schrecklichen Nachricht das Gesagte, und Koch schaute nach anfänglicher Verblüffung noch finsterer als in seinen dunkelsten Momenten, wie Henry empfand. Dann verließ das Trio mit fliegenden Jacketts den Saal, aber die Unruhe blieb, wie die Bedrohung, die jeder spürte.

Fragende Blicke wurden am Tisch ausgetauscht, gepaart mit hilflosem Achselzucken. »Wissen Sie, worum es geht?« »Nein, woher auch?« »Irgendwas muss passiert sein …« Aber da es keine Antworten gab, erhielten die Hotelfachschüler das Zeichen, mit den Flaschen auszuschwärmen und die Gläser zu füllen, und nur mühsam fanden alle zu einer brüchigen Konzentration zurück.

Der erste Flight für Tisch dreizehn bestand aus dreizehn jungen trockenen Weißweinen.

Schon wieder diese Zahl, fluchte Henry im Stillen und ärgerte sich über seine Unfähigkeit, seinen Aberglauben zu überwinden. Mühsam richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Wein. Farbe, Klarheit, Duft und Geschmack standen zur Beurteilung, die Harmonie, das Verhältnis von Süße und Säure. Ihre Einbettung in die gesamte Komposition war ein spezieller Punkt. Henry, der zwischen der Engländerin und dem Italiener saß, merkte, dass der Holländer auf die Bögen seiner Nachbarn schielte und seine Punktzahlen korrigierte, bis er bemerkte, dass Henry ihn beobachtete.

Sogar beim fünften Wein war kaum jemand richtig bei der Sache. Die Reaktion der Veranstalter war zu heftig gewesen, um vergessen zu werden, und als sie beim siebten Wein angekommen waren – mit Besprechung dauerte das Verkosten einer Probe zwischen fünf und sieben Minuten –, betrat Heckler erneut den Saal, ernst und gefasst und in Begleitung des Grauhaarigen und eines elend langen Mannes, den Henry an der Rezeption bereits bemerkt hatte. Sofort wurden alle Gläser abgesetzt.

Die Lautsprecheranlage knackte, der Grauhaarige mit lachsfarbener Krawatte griff nach dem Mikrofon, das Koch ihm hinhielt.

»Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte dringend um Ihre Aufmerksamkeit. Mein Name ist Horowitz, ich bin …«

… ein Namensvetter des Pianisten Vladimir Horowitz, dachte Henry, auch einer, den deutscher Größenwahn nach dreiunddreißig aus dem Land getrieben hatte.

»Ist das nicht ein jüdischer Name?«, fragte Bram van Buyten leise und giftig.

»… ich bin der Geschäftsführer dieses Hotels.« Horowitz’ Räuspern war seiner Aufgeregtheit geschuldet und machte die Spannung bedrohlicher. »Statt Sie herzlich zu begrüßen, wie Sie es verdient hätten, habe ich eine schreckliche Pflicht. Ich muss Ihnen eine … entsetzliche Nachricht … äh … überbringen. Der von uns allen … hochgeschätzte Mister Alan Amber, ein Wein … experte von … äh … internationalem Ruf und … äh … Ansehen, ein großer Mann, eine Persönlichkeit von Weltruf, wurde heute Morgen tot in seiner Suite ….«

Da brach der Tumult los.

Tisch dreizehn, dachte Henry, verflucht, und dann noch dreizehn Flaschen, so ein Dreck. Es musste so kommen, sie werden ihn umgebracht haben, an Herzschlag ist er sicher nicht gestorben. Und er wunderte sich, dass sein Entsetzen sich in Grenzen hielt. Statt schockiert zu sein, erinnerte Henry sich an den Moment, als Frank Gatow heimlich das Foto von Amber am Spieltisch gemacht hatte. Er hatte ihn vor Augen, als man ihm die Jetons zum Weiterspielen zusteckte, er sah nur die Hände dessen, der sie ihm zugeschoben hatte, er sah Hände, dann ein Tablett, darauf die Flasche Spätburgunder mit dem Glas – es wird sein letzter gewesen sein, dachte Henry und hörte wieder das helle Klicken der Jetons auf dem grünen Filz