Cover

Tina Zang

Das Geheimnis
der Magischen Ohren

Mit Illustrationen
von Barbara Korthues

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Über Tina Zang

Tina Zang wurde 1960 geboren, hatte von Kindheit an Freude an Büchern und fand nach einem abgebrochenen Physikstudium über viele Umwege zu ihrem Traumberuf: Schriftstellerin.

Seit 15 Jahren denkt sie sich romantische, spannende und witzige Geschichten für Kinder und Jugendliche aus. Über 40 sind es inzwischen. Mit jedem neuen Buch wächst ihre Lust am Schreiben. Zum Glück bleibt ihr dabei noch genug Zeit zum Musikmachen, Malen und Reisen. Sie lebt mit ihrer Familie in einem idyllischen Dorf und unterhält sich bei langen Spaziergängen gern mit den Katzen, denen sie unterwegs begegnet.

Über dieses Buch

Mica, die die Sprache der Tiere versteht, und Marty, ein kleiner Rattenjunge mit ausgeprägtem detektivischem Spürsinn, sind ein unschlagbares Team, wenn es um geheimnisvolle Abenteuer geht. Und ihr größtes lauert hinter einem Seidenvorhang, durch den sie ins magische Valanna gelangen. Dort ist Lauro plötzlich spurlos verschwunden. Alle Zeichen weisen auf einen geheimnisvollen Turm, der nicht betreten werden darf. Mit all ihrem Mut und ihrem Einfallsreichtum machen sich Mica und Marty auf die Suche ...

 

Spannend – geheimnisvoll – zweisprachig.

 

Für Leser mit ersten Englischkenntnissen!

Impressum

 

Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2012

Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Lektorat Silke Kramer

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

Umschlag- und Innenillustrationen Barbara Korthues

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Buchausgabe 978-3-499-21650-3 (1. Auflage 2012)

ISBN Digitalbuch 978-3-644-47131-3

www.rowohlt-digitalbuch.de

ISBN 978-3-644-47131-3

1 My Dream Pet

Als wir Anfang des Jahres nach Neuseeland ausgewandert sind, war das für mich erst mal ein Kulturschock. Ich litt entsetzlich darunter, meine Freunde und mein geliebtes Hamburg zurückzulassen. Sogar meine alte Schule fehlte mir. Mein großer Bruder Ken hingegen fand es spannend, in dem Land zu leben, in dem «Der Herr der Ringe» gedreht worden war.

In den ersten Monaten störte mich besonders die Tatsache, dass ich plötzlich eine Schuluniform tragen musste. Ein karierter Faltenrock, ich bitte euch! Wenn man ihn als Kilt bezeichnet, hört sich das zwar besser an, ist aber immer noch eine modische Katastrophe. Der schottische Einfluss ist hier in Dunedin im Süden Neuseelands überall spürbar. Man spielt Dudelsack, züchtet Schafe und isst Cookies.

Die Logan Park High School, auf die ich gehe, ist eine sogenannte coeducational school, was bedeutet, dass hier sowohl Mädchen als auch Jungs unterrichtet werden. Die meisten Schulen in Dunedin sind «single sex schools». Manchmal frage ich mich, ob eine reine Mädchenschule für mich nicht die bessere Wahl gewesen wäre, denn einige der Jungs in meiner Klasse sind totale Nervensägen. Andererseits hätte ich auf einer anderen Schule nicht Huhana kennengelernt, die jetzt meine beste Freundin ist. Ihre Mutter ist Maori – das sind die Ureinwohner Neuseelands. Ihr Vater ist halb Schotte, halb Deutscher. Huhana ist also dreisprachig aufgewachsen und hilft mir immer, wenn ich Probleme mit der Sprache habe, denn der Unterricht findet natürlich auf Englisch statt.

Es ist ein sonniger Novembernachmittag. Wir schreiben eine Spanischklausur und Huhanas Füller tanzt über ihr Heft, während meiner langsam vor sich hin trocknet.

Die Lehrerin, Mrs. Spartan, lässt ihren Blick über die Klasse kreisen wie ein Leuchtturm. Sie trinkt pro Unterrichtsstunde eine Flasche Sprudel und stößt ständig auf. Nervig!

Okay, zurück zum Text. Ich muss mich konzentrieren. Es muss doch dadrin ein paar Wörter geben, die mir wenigstens ein klein wenig bekannt vorkommen. Ich hätte lieber Deutsch als Fremdsprache genommen, da hätte ich nicht mal büffeln müssen. Aber Mum fand, es wäre Zeitverschwendung, und außerdem würde ich Höllenqualen leiden, wenn ich mitanhören müsste, wie meine Mitschüler die deutsche Grammatik verhunzen. Was für Qualen ich bei einer Spanischklausur erleiden würde, daran hat sie leider nicht gedacht.

Augenblick mal. Ich erspähe einen ganzen Satz, den ich übersetzen kann: Los piratas salieron de puerto. Das heißt: «Die Piraten verlassen den Hafen.» Also schreibe ich ins Klausurheft «The pirates are leaving the port» und lese weiter. Hm, wie blöd, nachdem das Schiff ausgelaufen ist, verliert es sich auf hoher See, und ich tappe wieder im Dunkeln.

Was soll’s, mit ein wenig Fantasie werde ich schon einen ordentlichen Text zustande kriegen. Ich stelle mir vor, wie es ist, der Schrecken der Weltmeere zu sein. So gut mein Englisch es zulässt, beschreibe ich, wie ich Schiffe entere und Goldschätze in geheimen Buchten verstecke. Jack Sparrow würde vor Neid erblassen!

Meine Übersetzung ist fast doppelt so lang wie der spanische Text. Irgendwas Richtiges ist sicher dabei. Immerhin brauche ich keine Angst zu haben, dass ich eine Sechs bekommen könnte. Die Noten im neuseeländischen Schulsystem lauten «Achieved», «Merit» und «Excellence». Ich liege in den meisten Fächern im Bereich «Merit», was etwa einer Zwei entspricht. In den Genuss von «Excellence» komme ich nur in den sportlichen Fächern, von denen es hier zum Glück sehr viele gibt. Die Neuseeländer sind total sportverrückt und risikofreudig.

Nach der Spanischklausur ist Schulschluss. Das ist hier immer erst um halb vier. Und obwohl wir so lange Unterricht haben, gibt es noch Hausaufgaben!

Ich verabschiede mich von Huhana, die den Bus nimmt, schwinge mich auf mein Mountainbike und klemme den Rock zwischen die Oberschenkel, damit er nicht stört.

Dunedin ist eine sehr hügelige Stadt. Fahrräder sieht man hier nur wenige, aber dank der einundzwanzig Gänge bezwinge ich jede Steigung.

Daheim angekommen laufe ich in mein Zimmer im ersten Stock, befreie mich von der Schuluniform, ziehe wohlig seufzend Jeans und ein T-Shirt an und fühle mich wieder wie ein richtiger Mensch.

Ich laufe hinunter, gehe in den Garten und pfeffere mich schwungvoll in die Hängematte, die zwischen zwei Bäume gespannt ist. Von Enterhaken und Säbelgeklirr habe ich erst mal genug.

Dad grillt Steaks auf dem riesigen Barbecue-Grill.

Mum hat den Gartentisch gedeckt und schreitet jetzt die Büsche ab. «Hier gehört mal gemäht», ruft sie zu Dad hinüber, «und Unkraut gezupft.»

«Das ist kein Unkraut», protestiert Dad. «It’s biodiversity.»

Mein Bruder Ken kommt aus der Terrassentür gestapft. «Which university?»

«Biodiversity bedeutet Artenvielfalt», erklärt Dad. «Zwischen Weihnachten und Neujahr habe ich viel Zeit, mich um den Garten zu kümmern», versichert er Mum.

In Neuseeland ist an Weihnachten Sommer, weil auf der Südhalbkugel die Jahreszeiten genau umgekehrt sind. Wie das wohl sein wird, bei strahlendem Sonnenschein «Silent Night, Holy Night» zu singen?

«Wir verreisen also nicht über die Feiertage?», frage ich. «Könnte ich dann ein Haustier haben? Das wäre mein schönstes Weihnachtsgeschenk.» Ich schwinge mich aus der Hängematte und gehe nachsehen, wie weit die Steaks sind. «Es muss ja kein großes Tier sein», sage ich, während ich mir Senf auf den Teller löffle. In Hamburg hatte ich einen Hamster. Smitty hieß der und war ein so süßer Kerl. In Neuseeland hält sich niemand Hamster als Haustiere, das ist hier völlig unbekannt. «Eine Ratte wäre toll. Ratten sind liebenswürdig und intelligent.»

«Also das krasse Gegenteil von dir», stichelt Ken.

Ich ignoriere ihn. «Ich habe mich um Smitty immer gut gekümmert», erinnere ich meine Eltern. Das ist ja meistens das Gegenargument, wenn man ein Haustier will: Man würde es vernachlässigen und die ganze Arbeit bliebe an den Eltern hängen. «Eine Ratte könnte ich auf der Schulter überallhin mitnehmen. Ich könnte ihr Kunststücke beibringen und –»

Mum unterbricht mich mit einer abwehrenden Handbewegung. «Ratten haben nackte Schwänze. Brrr. So was kommt mir nicht ins Haus. Dann lieber eine Ziege, die das Unkraut frisst.»

2 A Rhyming Parrot

Am Freitag haben wir wieder Spanisch. Schon in der Pause davor fühle ich mich total daneben. Hoffentlich bekommen wir nicht die Klausur zurück. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl herum. «Mrs. Spartan wird mir ganz schön die Leviten lesen.»

Huhana meint grinsend: «Ja, sie wird dich in Grund und Boden rülpsen.»

In dem Moment kommt eine Überraschung zur Tür hereinspaziert: Es ist nicht die mit Sprudelflaschen bepackte Mrs. Spartan, sondern ein Mann mit Locken, die für drei Pudel reichen würden. Ich bin schon drauf und dran, mich zu freuen, weil ich denke, dass er nur eine Vertretungsstunde macht, aber da sehe ich die Klausurhefte, die er sich unter den Arm geklemmt hat. Der Pudelkopf strahlt uns an. «Emma Spartan is on maternity leave.»

Huhana flüstert mir ins Ohr: «Sie ist im Mutterschaftsurlaub.»

Mrs. Spartan ist schwanger? Und ich dachte, sie wäre nur aufgebläht vom vielen Sprudeltrinken.

Pudelkopf stellt sich vor. «I’m Mr. Charles, and I’ll get to know all your names as I hand out the tests.» Er beginnt, die Namen von den Heften abzulesen.

Ich seufze und ergebe mich in mein Schicksal.

«Michaela Maier?»

Ich hebe eine Hand und sehe Pudelkopf unter zusammengekniffenen Augenlidern an. «Sir?»

Er hält mir das Heft hin. «It seems that Mrs. Spartan gave you the wrong text.»

«No, the text was okay», murmle ich und starre auf meine Fingernägel. «I didn’t translate it, I wrote my own story.»

«Good on ya.»

Ich hebe erstaunt eine Augenbraue. «Good on ya» heißt so viel wie «Gut gemacht». Das muss er ironisch meinen.

«Your story was very interesting.» Pudelkopf nickt so heftig, dass seine Locken Übergewicht bekommen. Er wischt sie sich aus dem Gesicht. «I’m sure you’re a clever girl. Come and see me after the lesson, Michaela.»

 

Mit den Spanischbüchern im Rucksack stapfe ich am nächsten Tag das Treppenhaus eines Altbaus hoch. Das dunkle Holz knarrt. Es riecht nach Bienenwachs und trockenem Staub. Mr. Charles wohnt im vierten Stock. Er hat mir nach der Spanischstunde angeboten, mir am Samstagvormittag zwei Stunden lang kostenlos Nachhilfe zu geben. Ich finde das zwar sehr nobel von ihm, aber ich wäre an diesem sonnigen Tag lieber mit Freunden ans Meer gefahren.

Pudelkopf öffnet die Tür, bittet mich rein und führt mich ins Wohnzimmer, wo ich meine Bücher und Hefte auf dem Esstisch ausbreite und mich dann ein wenig umsehe. Sofort fällt mir ein Papagei auf, der in einem Käfig auf einem Ast hockt. Er ist rot und blau mit gelbem Untergefieder. Ich gehe ihn mir von nahem ansehen. «What a beauty!»

«He belonged to my neighbour who died a couple of days ago.»

«What’s his name?»

«McKovack.»

«That’s a funny name for a parrot.»

Pudelkopf lacht. «No, my neighbour’s name was McKovack. The bird’s name is Peter McParrot.»

«Hallo, Peter», sage ich und sehe dem Papagei direkt in die Augen.

Da passiert etwas Eigenartiges. Meine Gedanken werden weit, mein Atem scheint sich bis in die Unendlichkeit auszudehnen, mir wird schwindelig und ich frage mich, was in aller Welt los ist.

«Come, let’s get started», drängt Pudelkopf.

Peter McParrot öffnet den Schnabel und krächzt:

«This cage is much too small for me.

Please let me out, please set me free.»

«Do you ever let him out of the cage?», erkundige ich mich.

Pudelkopf verneint. Das Geflatter würde ihn nervös machen.

«But he’s asking for it.»

«Nonsense. He’s only croaking.»

Ich bin fassungslos. «But didn’t you hear him talking?»

«Don’t you start, too.» Er fährt sich durch die dichten Locken, sodass seine Hand kaum mehr den Weg ins Freie findet. «McKovack said that it was possible to talk to animals on a higher level if you have magic ears, or some such nonsense.»

Mit Tieren auf höherer Ebene sprechen? Magische Ohren? Das hört sich total irre an. Ich staune immer mehr, als Pudelkopf mir erzählt, dass der verstorbene McKovack außer Peter noch weitere Tiere hatte. Einen Schäferhund, Waldo McDog, der angeblich lesen konnte, und den er darum der Bücherei vermacht hat. Eine Katze, Scratchy McCat, die er seiner Yogalehrerin hinterlassen hat. Den Papagei hat Mr. Charles geerbt, weil er Gedichte mag, und Peter angeblich reimen kann. «But ‹croak croak› is no rhyme.»

Ich trete näher an den Käfig. «Peter, please say something else.»

«By night the cats are making love.

The eagle pees from high above», gibt der Papagei zum Besten.

«There you are!», rufe ich entzückt. Es stimmt!

Pudelkopf verdreht die Augen. «You can’t put the Spanish lesson off any longer.»

Ich bin wie betäubt. Mein Spanischlehrer hat einen Papagei, der sprechen und reimen kann, und er versteht ihn nicht. Darum denkt er, ich will den Beginn des Unterrichts hinauszögern. Offensichtlich hört er nur Gekrächze, während ich jedes Wort verstehe. Ich muss ganz besondere Ohren haben. Magische Ohren!

Mir wird noch schwindliger. Zitternd setze ich mich wieder und frage, ob McKovack weitere Tiere hatte.

Pudelkopf schlägt das Grammatikbuch auf. «Yes, there was Marty McRat.»

Eine Ratte? Ich kann es kaum fassen. «What … what happened to the rat?»

«McKovack left him to Mrs. Borrington on the first floor. She loves mystery novels. McKovack said that Marty wanted to be a private detective. The man was crazy.»

Von wegen crazy – der Mann war ein Genie! Ob ich seine Ratte genauso verstehen kann wie den Papagei? Das muss ich unbedingt herausfinden.

Ich habe ziemliche Mühe, mich in den nächsten zwei Stunden zu konzentrieren. Ich denke immer nur an die sprechende Ratte. Kaum sagt Pudelkopf: «We’re done for today», da stopfe ich die Bücher in meinen Rucksack und rufe beim Hinausgehen: «See you.»

Peter McParrot krächzt mir nach:

«Take care and give my regards to the rat.

He’s one of the best friends I’ve ever had.»

Mir wird schon wieder schwindlig, und ich muss mich am Türknauf festhalten. Dieser Papagei kann nicht nur reden, er ahnt anscheinend auch, was ich vorhabe. Ich drehe mich um und zeige Peter den hochgereckten Daumen. Dann poltere ich die Treppe hinunter.

Im ersten Stock klingle ich mit Herzklopfen bei Mrs. Borrington. Nichts. Ich klingle noch mal. Die Tür gegenüber geht auf. Ein älterer Herr mit Hornbrille mustert mich kritisch. «Mrs. Borrington is at work.»

«Where does she work?»

Er reibt sich den Nasenrücken und sagt mürrisch: «At the furniture store near the market place.»

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