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Inge Helm

Der Liebhaber meiner Mutter geht in Pension

Edel eBooks

 

Vorwort

Bevor Sie beginnen, die folgenden Geschichten zu lesen, möchte ich Ihnen doch erzählen, warum ich überhaupt angefangen habe, welche zu schreiben; denn wenn Sie zu Ende gelesen haben, möchten Sie vielleicht ganz gern den Grund wissen.

Also, eines Tages sagten meine heranwachsenden Töchter: »Wenn du als Frau mehr vom Leben willst als einen Haufen schmutziger Wäsche und einen Stapel ungewaschener Teller, dann nimm das deine in die eigene Hand und such dir einen vernünftigen Job.« Und sie drückten mir die Stellenangebote einer Tageszeitung in die Hand.

Ich gebe zu, dass ich mich zu Hause langsam ganz schön langweilte – ich wischte bereits Staub auf der Tapete hinter den Schränken! Aber, ich frage Sie, was sollte ich mit einem Job außerhalb unserer vier Wände, wenn ich genau wusste, dass inzwischen in diesen alles drunter und drüber ging. Schließlich wusste angeblich nur ich allein, wie ein Herd ein- und ausgeschaltet wurde, wo der Sicherungskasten mit der Hauptsicherung lag, wenn diese dank Fehlbeladung der Waschmaschine mal wieder herausgeflogen war, oder wie man bei plötzlich einsetzendem Gewittersturm Fenster und Türen schloss.

Und da kam mir die Idee, das angeschlagene Image einer Hausfrau etwas aufzurichten. Erst wollte ich ja nur über mich und meine Leidensgenossinnen schreiben, aber dann fielen mir noch die Töchter ein, die nie etwas anderes in die Hand nahmen als ihre Beine, wenn es darum ging, im Haushalt einmal ein wenig mit anzufassen, ganz zu schweigen von den Söhnen. Oder zum Beispiel auch die Großmütter, die in allen Familien zum Einhüten und für den Hausputz missbraucht wurden und die fast jedes Mal einen Nervenzusammenbruch erlitten, wenn sie in allen Medien als Greisinnen apostrophiert wurden.

Und so läpperte sich eine Menge von Geschichten zusammen, allerdings mit einer gehörigen Portion Humor geschrieben; denn ich glaube, würde ich mich nicht selbst ein wenig auf die Schippe nehmen, wenn auch zugegebenermaßen manchmal auf Kosten meines Mannes und der Kinder, dann wäre das Leben einer Hausfrau doch wahrhaftig ein einziges Jammertal.

Prolog

Ich werde ihn Romeo nennen, mit der Betonung auf dem »e«, wie es in ordentlichem Italienisch üblich ist. Und es fällt wahrhaftig nicht schwer, sich in ihn zu verlieben. Er besitzt alle Attribute, die einen potenziellen Liebhaber ausmachen: große, schlanke Figur mit kräftigen breiten Schultern, schmales intelligentes Gesicht und träumerische braune Augen, die ihm zu seinem Kummer ein eher romantisches Aussehen verleihen, wo er doch ein knallharter Bursche, ein mit allen Wassern gewaschener Jagdpilot ist. Ein schmaler, sensibler Mund, das volle, dunkle Haar bereits durchzogen mit vielen weißen Fäden, beileibe nicht alt machend, gerade eben so viel, um ihn interessant erscheinen zu lassen. Und dann seine Hände, diese schlanken, behutsamen Hände, die so viel Zärtlichkeit versprechen.

Kurzum, er ist ein gut aussehender, auf Anhieb liebenswerter Mann in den besten Jahren. Und das war er auch damals, als wir uns kennen lernten, ausgerechnet im italienischen Abano, dem Mekka der Kreuzlahmen und Verschnupften.

Doch ehe ich es vergesse: Ich bin natürlich die Julia, wenngleich von Freund Fabian und Babsi, meiner erwachsenen Tochter, seit längerem zu Julchen degradiert.

Na, wie dem auch sei, Romeo und Julia gibt es gespielt, getanzt und gesungen. Und immer gehen die klassischen Liebesgeschichten tragisch aus. Wollen doch mal sehen, ob im wirklichen Leben nicht irgendwie daran zu drehen ist.

Am Nachmittag hatten sintflutartige Regenfälle die Straßen der Stadt total überflutet, da sämtliche Gullys verstopft waren. Selbst Keller hatten sich in schmutzige Schwimmbäder verwandelt, und die Feuerwehr war pausenlos im Einsatz gewesen. Wir hatten alles mit eigenen Augen um neunzehn Uhr in den Fernsehnachrichten verfolgen können.

Um dreiundzwanzig Uhr regnete es noch immer, als wir mit dem Wagen zum Hauptbahnhof unterwegs waren.

»Und das nennt sich nun goldener Oktober«, sagte Babsi, die am Steuer saß und geschickt um Riesenpfützen herumkurvte, »hoffen wir, dass er dir wenigstens im Süden noch begegnet.«

»Wie meinst du das?«, fragte ich misstrauisch.

Meine Tochter grinste nur viel sagend und schwieg vorsichtshalber. Schließlich brachte sie mich nicht ganz uneigennützig zum Bahnhof, bloß um mich davonzuwinken. Nein. Mein Auto sollte ihr für ganze vierzehn Tage zu erb und eigen sein, voll getankt wohlgemerkt. Ich hatte es mit den Bandscheiben und war auf dem Weg nach Abano, das schon zur Zeit der alten Römer besonders berühmt für seine Schlammschlachten und deren heilende Wirkung war.

Ich hoffte, auf dieser Reise das Nützliche mit dem Schönen verbinden zu können: Kur einerseits – Entspannung, Kunst und Ausflüge in die Umgebung andererseits. Schließlich lagen Padua, Verona und Venedig sozusagen direkt vor der Haustür.

Grundsätzlich konnte ich mir eine so kostspielige Reise natürlich nicht leisten, lebte ich doch als Mitglied der schreibenden Zunft mit meiner kleinen Familie buchstäblich von der Hand in den Mund. Aber diesen Urlaub hatte ich geschenkt bekommen, und das kam so: Babsi hatte gerade ihren Führerschein gemacht und wünschte sich nichts sehnlicher als einen eigenen fahrbaren Untersatz. Da uns beiden das nötige Kleingeld dafür fehlte, warf sie sich auf jedes Preisausschreiben, welches ihr in die Finger kam und ein Auto als Hauptgewinn versprach. Wider besseres Wissen übernahm ich die Portokosten.

Und dann geschah das Unfassliche. Urplötzlich war meine Tochter stolze Besitzerin eines dritten Preises, der allerdings zu ihrer Enttäuschung nicht aus einem Auto, sondern aus einer Reise bestand, und zwar mit einem so abartigen Ziel wie dem Kurort Abano.

»Was soll ich denn da unter all den angestaubten Gruftis«, moserte sie und bot mir das Ganze großzügig für läppische dreitausend Mark als günstige Gelegenheit an. Zu unser beider Leidwesen besaß ich keine müde Mark und musste dankend ablehnen. Doch dann lag ein paar Tage später das Heft mit Gutscheinen für Fahrt und Aufenthalt zusammen mit einem ordentlichen Taschengeld für Schlammbäder und Massagen neben meinem Abendbrotteller. Es war ein Geschenk von Fabian, der sich meiner Tochter erbarmt und ihr den Preis abgekauft hatte, um ihn mir als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk zu bescheren. Ich brauchte nur noch die entsprechende Bescheinigung von meinem Hausarzt über meinen gruftigen Zustand, und das Abenteuer Abano konnte beginnen. Einen Zuschuss von der Krankenkasse gab es allerdings nicht für nur vierzehn Tage Kur, und schon gar nicht im Ausland. Und ausgerechnet Babsi sagte, ich solle bloß nicht so geldgierig sein.

Dabei hatte ich mich persönlich ja ganz gewaltig über den enormen Geschäftssinn meines Nachwuchses geärgert, doch bald siegte die Freude darüber, endlich einmal richtig ausspannen und etwas für meine morschen Knochen tun zu können.

Und so war endlich der Tag der Abreise gekommen. Mein Zug ging um dreiundzwanzig Uhr fünfunddreißig vom Kölner Hauptbahnhof ab. Fabian hatte keinen blassen Schimmer von diesem Termin, da er bereits seit vier Wochen als Diplomingenieur und Vertreter einer großen deutschen Stahlfirma im fernöstlichen China weilte.

Als meine Tochter schließlich einen Parkplatz in einer Tiefgarage ergattert hatte – »hoffentlich irre ich nachher nicht stundenlang in diesem Labyrinth herum« –, blieben uns noch genau zehn Minuten bis zur Abfahrt. Wir rasten in den Bahnhof, warfen einen Blick auf den Abfahrtsplan und hasteten dann die Treppe zum Bahnsteig fünf hinauf. Oben empfing uns ein Höllenlärm. Mindestens zehn Gruppen bayrisch verkleideter Reisender meist jugendlichen Alters mit Tröten und Gitarren um den Hals tuteten und klampften, was das Zeug hielt, und nahmen zwischendurch immer wieder einen Schluck aus den Bierdosen, die sie in ihrem Reisegepäck mit sich herumtrugen. Himmel, das Oktoberfest! Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht: Der Intercity endete ja in München! Na dann gute Nacht, im wahrsten Sinne des Wortes. Babsi hakte mich fürsorglich unter, als sie mein entsetztes Gesicht sah.

»Dir kann überhaupt nichts passieren«, sagte sie tröstend, »du fährst doch Schlafwagen. Da kann man bekannterweise den Schlüssel rumdrehen, mindestens zweimal.«

»Hi«, sagte in diesem Moment eine der bunten Gestalten und reichte uns eine Bierdose, »wollen Sie mal trinken? Der Zug hat nämlich zwanzig Minuten Verspätung!«

Bevor wir uns entscheiden konnten, wie das Angebot am besten abzulehnen sei, erklang eine vertraute Stimme hinter mir.

»Gott sei Dank habe ich euch doch noch erwischt.« Völlig außer Atem stand mein treuer Fabian da. »Ich dachte schon, ich schaffe es nicht mehr. Dafür bekomme ich aber nachher bestimmt ein saftiges Knöllchen, ich stehe nämlich im absoluten Halteverbot.«

»Woher wusstest du denn, dass ich heute fahre?«, fragte ich völlig überrascht. »Du warst doch die ganze Zeit verreist.«

Er grinste übermütig: »War ich auch … bis vor zwei Stunden. Ich komme direkt vom Flughafen. Als ich von dort aus bei euch anrufen wollte und sich niemand meldete, da habe ich meine sprichwörtliche Scheu vor potenziellen Verwandten kurzfristig abgelegt und bei deiner Mutter angerufen. Hier bin ich also, um mich gebührend von dir zu verabschieden.«

Doch bevor er zeigen konnte, was er unter gebührend verstand, fuhr mit einem Pfeifton der Intercity ein, und wir klaubten überstürzt mein Gepäck zusammen und warfen uns ins Gedränge. Babsis energischen Ellenbogen hatten wir es schließlich zu verdanken, dass wir in der letzten Sekunde das richtige Schlafwagenabteil erreichten. Denn kaum waren meine Koffer auf dem Gang verstaut und ich hinterhergestolpert, da schlug der Schaffner von außen die Tür zu, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Enttäuscht ob der abrupten Trennung liefen Fabian und Babsi noch ein Stück nebenher. Und da sich das Fenster nicht öffnen ließ, signalisierte mir mein Freund durch Handzeichen, er gedenke jetzt mit meiner Tochter einen ausgedehnten Bummel durch die Altstadt zu machen. Ätsch!

Es goß in Strömen, als wir in München einfuhren. Ich packte meine Siebensachen und schob mich langsam, eingekeilt in einen Pulk Mitreisender, bis zur Tür. Vorsichtig hielt ich Ausschau nach den rheinischen Oktoberfestlern, allzeit bereit, als Letzte den Waggon zu verlassen, um nicht sozusagen unter die Räder zu kommen. Doch was an mir vorbeischlich, waren traurige, kalkweiße bis giftgrüne Bierleichen, denen die Tröten und Klampfen schlaff um die Nacken hingen, und ich fragte mich erstaunt, was diese trübseligen Gestalten wohl noch auf der »Wies’n« wollten.

»Ach«, sagte ein älterer Herr neben mir, offenbar des Gedankenlesens mächtig, »in diesem Alter genügt ein Bierchen hier, ein Schnäpschen dort und zwischendurch eine echt bayrische Weißwurscht, und schon sind die Burschen wieder die Alten.«

Beruhigt kletterte ich aus dem Zug und schleppte meine Sachen zu einem einsam herumstehenden Kofferkuli. Der Zeiger der Bahnhofsuhr sprang gerade auf sechs Uhr dreißig, als ich den Karren belud, und mir blieb bis zur Weiterfahrt noch eine knappe halbe Stunde. Inzwischen hatte sich der Bahnsteig weitgehend geleert, und ich schob meinen Wagen ungehindert bis zum Kopf des Bahnhofs, hielt an einem Zeitungskiosk an und erstand ein paar Journale als Lektüre für die vielen Stunden bis Padua, um dann nach links auf den übernächsten Perron einzuschwenken. Mein Zug stand schon bereit, da er in München eingesetzt wurde, und ich fand diesmal auf Anhieb mein gebuchtes Abteil, das erfreulicherweise noch völlig leer war. Nachdem ich mein umfangreiches Gepäck – wie immer der gesamte Inhalt eines dreitürigen Kleiderschrankes – verstaut hatte, ließ ich mich erschöpft in die dunkelroten Polster sinken. Bis zur Abfahrt blieb ich gottlob allein und konnte so ein wenig Schlaf nachholen, den ich in der Nacht nicht gefunden hatte.

Als ich die Augen wieder öffnete, befanden wir uns bereits in Österreich. Der Zug rollte durch regennasse Gegend, rechts und links gesäumt von tropfnassem, mit Bergnelken und Geranien garniertem, lüftlmalereiverziertem, barockem Charme und vielen Kirchen mit verspielten Zwiebeltürmchen, und davor diese braunen samtäugigen und lang bewimperten Kühe.

In Innsbruck stiegen zwei ältere Damen zu, die sich offensichtlich auf einen längeren Aufenthalt im Abteil vorbereiteten. Sie behängten sämtliche freie Haken mit Mänteln, Jacken und Hüten, besetzten mit Taschen und Koffern die restlichen Sitzplätze und würdigten mich im Übrigen keines Blickes. Sie nahmen ein offenbar durch das Stürmen des Zuges unterbrochenes Gespräch wieder auf.

»Und was glaubst du, Hedwig, was dieser Quacksalber meinte, als ich auf meiner Kur bestand wegen meiner unerträglichen Rückenschmerzen, un-erträääglich, sage ich dir? Andere Leute hätten es auch im Kreuz, würden sich aber beileibe nicht so anstellen. Ist doch die Höhe, oder?«

Hedwig stimmte eifrig zu: »Und ob, Malchen, und ob.« Und dann wurden sämtliche Leiden der beiden und der aller näheren und weiteren Verwandten und Bekannten durchgehechelt. Ich stellte meine Ohren auf Durchzug, griff nach einer Zeitschrift und las verbissen eine Rezension über ein Buch aus der Reihe »Frau in der Gesellschaft« und war froh, als wir endlich Padua erreichten. Trotz ihrer so blumenreich beschriebenen Gebrechen rafften die Damen in Windeseile Koffer, Taschen, Mäntel und Hüte zusammen und strebten der Tür zu. Im Bahnhof verlor ich sie glücklicherweise aus den Augen und betete zu Gott, er möge sie nicht in demselben Kurhotel absteigen lassen wie mich.

Da weit und breit kein Träger oder Wagen zu sehen war, holte ich tief Luft und wankte mit meinen Koffern zum Ausgang in der Hoffnung, dort ein Taxi zu finden.

albergo Primavera, per favore