Ebook Edition

Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker,
Volker Meinhardt und Dieter Vesper

IRRWEG GRUNDEINKOMMEN

Die große Umverteilung von unten
nach oben muss beendet werden

image

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Image

ISBN 978-3-86489-006-2

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2012

Satz: Publikations Atelier, Dreieich

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Lech

Printed in Germany

Inhalt

Vorwort

1  Warum Grundeinkommen?

Der Staat als Nachtwächter der Einkommensverteilung?

Reparatur der Verteilung durch Sekundärverteilung?

Grundeinkommen als Verteilungsersatz?

Eine neue Position

2  Das Grundeinkommen

Ansätze eines bedingungslosen Grundeinkommens

Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen

Grundeinkommen nein, Mindestlohn ja – warum?

3  Die große Umverteilung von unten nach oben und ihre Folgen

Ein historischer Blick auf die politischen Verhältnisse

Die Entwicklung der Arbeits- und Kapitaleinkommen in Deutschlan

Die ökonomische Theorie, die der Umverteilung zugrunde liegt, führt in die Irre

4  Der Staat als Verstärker der großen Umverteilung

Ungleichheit und Wirtschaftswachstum

Einkommen- versus Konsumbesteuerung

Der permanente Ruf nach Senkung der Steuern und der Sozialabgaben

Abgaben- und Ausgabenquoten

Steuerbelastung der Unternehmen und Investitionstätigkeit

Defizite in der Versorgung mit öffentlichen Gütern

Abbau von Sozialleistungen

Umverteilung durch die Sozialversicherung

5  Das Ende der großen Umverteilung

Die globale Stagnation ist Folge der Umverteilung

Auch der deutsche Sonderweg ist zu Ende

Das Primat der Primärverteilung

Was ist zu tun bei der Sekundärverteilung?

Dauerhaftes Wachstum bei Endlichkeit der Ressourcen?

Keine revolutionären Lösungsversuche bitte!

Abkürzungen

Anmerkungen

Literatur

Vorwort

Verteilungsfragen treten mehr und mehr in den Mittelpunkt der politischen Debatte. Nach 30 Jahren der Umverteilung von unten nach oben im Markt selbst und zusätzlich durch den Staat ist der Frage nicht mehr auszuweichen, was es gebracht hat. All die Heilsversprechen, mit denen die Reformen des »überzogenen« Wohlfahrtsstaates seit der ersten Regierung Kohl bis heute begründet wurden, haben sich nicht erfüllt. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit (im Gegensatz zur gemessenen) ist weiterhin hoch, die Investitionstätigkeit der Unternehmen ist extrem schwach, und die Auswüchse der Einkommensverteilung, die in den irrsinnigen Gehältern der »Finanzindustrie« ihren extremsten Ausdruck finden, zerstören den gesellschaftlichen Zusammenhalt bis hin zur Gefährdung der Demokratie. Deutschland, das Land, das nach der Jahrtausendwende am konsequentesten die neoliberale Umverteilungsagenda von unten nach oben umgesetzt hat, hat sich mit diesem Sonderweg in Europa nur scheinbar etwas mehr Luft verschafft: De facto ringen auch in unserem Land, ökonomisch gesehen, viele Menschen nach Atem. Da Deutschland mit dieser Politik, wie hier zu zeigen sein wird, obendrein die Grundfesten Europas schwer erschüttert, muss man ein Scheitern auf der ganzen Linie konstatieren.

Es ist naheliegend, dass die Menschen in einer solchen Situation nach einfachen und radikalen Lösungen suchen. Für den Normalbürger ist es praktisch unmöglich einzuordnen, was genau geschieht und – vor allem – warum. Er sieht, dass sich die Verhältnisse radikal ändern, dass er Einkommenszuwächse nicht mehr automatisch erwarten kann, selbst wenn die Wirtschaft wächst, und er macht sich seinen eigenen Reim darauf. Der läuft aber fast immer darauf hinaus, dass »härtere Zeiten« angebrochen seien. Nichts glaubt man leichter, als dass man selbst gerade das Ende der »guten alten Zeiten« erlebt. Viele Menschen sind überzeugt, dass gute Zeiten eher Zufall sind und dass man daher zwar dankbar sein muss für das, was man erreicht hat, aber nicht erwarten kann, dass es positiv weitergeht.

Warum nichts mehr so bleiben kann, wie es war, können Politiker dem Normalbürger auch ganz einfach plausibel machen: Das Auftreten neuer Mächte auf der Weltbühne wie China oder Indien, der damit verbundene Rationalisierungsdruck durch die Globalisierung oder die seit langem absehbare Alterung der Gesellschaft und andere unabweisbare Fakten wie Ressourcenknappheit und Klimawandel zwängen uns, den Gürtel auf Dauer enger zu schnallen und Härten zu ertragen, die der vorhergehenden Generation nicht hätten abverlangt werden müssen. Unterstützt wird diese Botschaft von orthodoxen Ökonomen und einer Medienlandschaft, die nichts lieber als genau diese eingängigen Erklärungsmuster transportiert, die alle auf das Motto hinauslaufen: Vergesst, was früher war; vergesst die Idee vom Wohlstand für alle; vergesst die Träume vom Wohlfahrtsstaat und vom sozialen Ausgleich; in der Welt von heute zählt das selbstverantwortliche Individuum, jeder kann und muss selbst seines Glückes Schmied sein, auch wenn das zu Härten führt, das ist eben der Preis der Freiheit.

Auch bei progressiv denkenden Bürgern und im politisch linken Spektrum trifft diese Botschaft auf einen fruchtbaren, wenn auch anderen Boden. Dort ist man vom Ende des Überflusses überzeugt, weil man ja weiß, dass es aus Gründen der Endlichkeit der Ressourcen und des Globus nicht so weitergehen kann wie bisher. Folglich wird in diesen Kreisen mit jeder neuen Krise das Ende des Kapitalismus, das Ende des Wachstums und das Ende der Ressourcenverschwendung ausgerufen und alle Energie darauf verwendet, wirklich durchgreifende Reformen in Gang zu setzen, die das System vollkommen umkrempeln sollen.

In dieser Situation ist es sehr leicht, auf beiden Seiten des politischen Spektrums mit einfachen, scheinbar überschaubaren Vorschlägen zu punkten, die diese Endzeitstimmung aufgreifen und eine »Lösung« zu bieten scheinen, die dem einzelnen ein Weiterleben in Würde erlauben, ihm dabei die Möglichkeit geben, sich aus dieser immer verrückter vor sich hin wirtschaftenden Gesellschaft zu verabschieden und sein Glück in der »Stille des Dorfteiches« (Ralph Dahrendorf) zu suchen. Genau darum geht es beim bedingungslosen Grundeinkommen. Das aber macht es so gefährlich: Es schafft für Teile des rechten politischen Spektrums die Illusion, mit einem (möglichst geringen) »Einkommen für alle« darüber hinausgehende Verteilungsfragen dauerhaft zu unterbinden und so dem eigentlichen Ziel des Liberalismus näher zu kommen, den »Tüchtigen« zukommen zu lassen, was sie am Markt erringen. Und es schafft auf der linken Seite die Illusion, die Armut erfolgreich zu bekämpfen und zugleich die ökologische Frage und die Frage nach den »wahren Werten« des Lebens sinnvoll zu beantworten.

Diese große Koalition der Grundeinkommensbefürworter unterstellt, dass Verteilungsfragen sozusagen nur das Sahnehäubchen auf dem Kuchen der Marktwirtschaft sind, das man auf die eine oder andere Weise gestalten kann, ohne in den Kuchen selbst einzudringen. Beide Seiten glauben, wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Fragen weitgehend ausklammern und sich auf die Ausgestaltung ihrer jeweiligen Systeme konzentrieren zu können. Das aber ist falsch. Die Art der Verteilung der Einkommen ist entscheidend für das Funktionieren der Wirtschaft, und deswegen sind Verteilungsfragen zutiefst und zuerst wirtschaftspolitische Fragen und können nicht befriedigend beantwortet werden, ohne sie in den Kontext einer erfolgversprechenden wirtschaftspolitischen Konzeption zu stellen.

Das genau will dieses Buch versuchen. Nur wenn verstanden wird, dass Verteilungsfragen und Verteilungskonzepte in eine wirtschaftspolitische Position eingebettet sein müssen, die auf einem realistischen Modell der Funktionsweise einer Marktwirtschaft beruht, kann man diese Fragen angemessen diskutieren und fruchtbare Ergebnisse erwarten. Genau dieser Frage, ob es mit der Funktionsweise einer Marktwirtschaft kompatibel ist, muss sich das Grundeinkommen, in welcher Variante auch immer, stellen. Das ist bisher nicht in überzeugender Weise geschehen, und wir wollen es hier zum ersten Mal versuchen. Dass ein Konzept wie das bedingungslose Grundeinkommen dabei schlecht abschneidet, ist nicht verwunderlich, weil hier in eklatanter Weise die Ziele des Konzepts die Diskussion dominieren, während die Frage der Einordnung des Konzepts in eine Theorie und eine Politik der wirtschaftlichen Entwicklung nur am Rande oder gar nicht diskutiert wird. Wir wollen die Diskussion über solche Konzepte aber keinesfalls abwürgen. Der Mindestlohn und eine negative Einkommensteuer zur sinnvollen Zusammenführung von Steuer- und Transfersystem sind absolut diskussionswürdig. Aber auch diese Ansätze dürfen nicht isoliert von der großen Frage betrachtet werden, welche Verteilung der Einkommen benötigt wird, damit eine auf Arbeitsteilung aufbauende Wirtschaft die Herausforderungen der Zukunft einschließlich der Frage des Überlebens der Menschheit auf einem begrenzten Planeten bewältigen kann.

1  Warum Grundeinkommen?

Drei Grundpositionen stehen beim Thema Grundeinkommen im Wettstreit miteinander: zum einen die neoliberale, die möglichst wenig Eingriffe des Staates in die Einkommensverteilung für richtig hält und das bedingungslose Grundeinkommen ablehnt; zum anderen die der Befürworter von Umverteilung durch den Staat, die das derzeitige Umverteilungssystem in Richtung höherer Gleichverteilung reformieren, aber nicht gänzlich umkrempeln will; und drittens die, die mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eine Art dritten Weg jenseits von möglichst unangetasteter Primärverteilung und starker Umverteilung beschreiten möchte. Wir stellen dagegen eine neue Position vor, die vor allem bei der Primärverteilung ansetzt.

Der Staat als Nachtwächter der Einkommensverteilung?

Die neoliberale Argumentation zur Einkommensverteilung in einer nach marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten produzierenden Gesellschaft basiert auf der Annahme, dass Einkommen zunächst relativ isoliert vom Staat an Märkten erzielt werden, also Marktergebnisse darstellen. Man spricht von Primäreinkommen. Die Preise an den Märkten wiederum sind das Ergebnis von Knappheit, wenn ein hinreichend starker Wettbewerb zwischen allen Marktteilnehmern herrscht. Durch den Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage werden die richtigen Anreize dafür gesetzt, dass Knappheiten beseitigt werden und ein den Wohlstand fördernder Strukturwandel stattfindet. Wo der Wettbewerb unzureichend ist (zum Beispiel bei kartellartigen Strukturen) oder gar fehlt (zum Beispiel bei natürlichen Monopolen), muss er ordnungspolitisch hergestellt werden oder müssen die Preise in dem Sinn kontrolliert werden, dass Wettbewerb sozusagen simuliert wird. Jeder darüber hinausgehende Eingriff in die Primärverteilung durch den Staat zum Beispiel mittels Steuern, Abgaben, Subventionen und Transfers verzerrt die knappheitsgerechten Preise und ist daher kritisch zu hinterfragen.

Für die Bereitstellung öffentlicher Güter (öffentliche Verwaltung, Sicherheit, Bildung, Infrastruktur etc.) muss der Staat zwar Einnahmen erzielen, also Steuern und Abgaben erheben. Und für bestimmte sozialpolitische Aufgaben (Arbeitslosen-, Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung etc.) benötigt er ebenfalls Ressourcen, die seine Bürger erwirtschaftet haben. Aber insgesamt dürfen Mittelentzug und Mittelvergabe nicht zu umfangreich sein. Denn beide können die Preise als Knappheitssignale beeinträchtigen und Fehlanreize setzen, je nachdem, an welcher Stelle Mittelentzug und Mittelvergabe stattfinden. Hohe Lohnnebenkosten zum Beispiel verteuern den Faktor Arbeit und verringern auf diese Weise die Nachfrage nach Arbeitskräften. Zu großzügig gewährte Transfers oder Subventionen senken die Leistungsanreize für Transfer- und Subventionsempfänger, zu hohe Steuern und Abgaben wiederum verringern die Leistungsbereitschaft der Zahler. In diesem Zusammenhang werden sinkende Arbeitsteilung (Stichwort »Boom der Heimwerkermärkte«) und damit verbundene Produktivitätsverluste bis hin zu Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung beklagt.

Das allerdings zeigt: Die durch den Staat vorgenommene Umverteilung nimmt bereits auf die Entstehung der Primäreinkommen und deren Verteilung Einfluss. Weil das so ist, fordert die neoliberale Position die Minimierung staatlicher Eingriffe, da sonst das Wachstumspotential verringert würde und der langfristige Wohlstand der Gesellschaft in Gefahr sei. Das gelte insbesondere in Zeiten der Globalisierung, in denen der internationale Konkurrenzdruck zugenommen habe. Das vor Jahrzehnten noch einigermaßen tragbare Wohlfahrtsstaatsmodell müsse den neuen Gegebenheiten angepasst werden, indem die Umverteilung auf das absolut notwendige Minimum begrenzt werde.

Reparatur der Verteilung durch Sekundärverteilung?

Die zunehmende Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung und die reale Schlechterstellung der untersten Einkommensgruppen im Verlauf der letzten zehn bis 20 Jahre haben die Kritik an der neoliberalen Position lauter werden lassen. Wenn immer weniger Menschen an den Wohlstandsgewinnen einer wachsenden Wirtschaft teilhaben, dient die Marktwirtschaft offenbar nur den oberen oder obersten Einkommensschichten, so der Vorwurf. Und das sei in einer auf demokratischen Strukturen aufbauenden Gesellschaft nicht hinnehmbar. Warum sollten die Bürger unterer Einkommensschichten das Wirtschaftssystem eines Landes mittragen, wenn sie sich im Vergleich zur Oberschicht laufend schlechtergestellt sehen? Dabei sei nicht einmal der dauernde Verlust in der relativen Einkommensposition das Schlimmste, sondern die absolute Verschlechterung der Realeinkommen in den unteren Einkommensschichten. Ein System, das auf Dauer nur den einen nützt und den anderen schadet, könne sich nicht glaubwürdig auf das demokratische Prinzip »one man one vote« stützen.

Die von den Neoliberalen üblicherweise mitgelieferte Erklärung, die Entwicklung der Primäreinkommen sei vor allem der Globalisierung geschuldet, helfe den Schlechtergestellten hierzulande nicht weiter, sondern verstärke Gefühle der Unsicherheit und Bedrohung, die letzten Endes Fremdenfeindlichkeit und eine Art Wagenburgmentalität förderten. Freihandel und Freizügigkeit würden nicht als Voraussetzung für steigenden Wohlstand erfahren, sondern als Einfallstor für sozialen Abstieg.

Dieser Situation versuchen diejenigen zu begegnen, die für eine deutliche Korrektur der Einkommensverteilung durch den Staat eintreten. Eine wieder zunehmende Umverteilung der Markteinkommen und Vermögen von oben nach unten, also eine »gleichere« Sekundärverteilung soll die entstandene Schieflage in der Primäreinkommensverteilung beseitigen helfen. Selbst wenn Umverteilung Wachstumseinbußen mit sich bringen sollte, müsse die Demokratie in Form des Wohlergehens vieler im Rang über der maximal möglichen Steigerung des Gesamtergebnisses des Marktes stehen, so die Überlegung. Eine schlüssige Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung, wie sie die Neoliberalen sehen, bleiben die Befürworter verbesserter Sekundärverteilung allerdings zumeist schuldig.

So stehen sich beide Positionen unversöhnlich gegenüber. Die Neoliberalen kritisieren an denjenigen, die für Umverteilung plädieren, sie verstünden nichts von Wirtschaft, machten den Leistungseliten das Leben schwer, wollten die Veränderungen durch die Globalisierung nicht wahrhaben und stattdessen den Dornröschenschlaf des Wohlfahrtsstaates aus den 1970er Jahren weiterschlafen. Die Umverteilungsbefürworter werfen den Neoliberalen Egoismus, mangelndes Demokratieverständnis und politische Kurzsichtigkeit vor.

Grundeinkommen als Verteilungsersatz?

In dieser Kontroverse treten die Befürworter des Grundeinkommens dafür ein, jedem Bürger eine menschenwürdige und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigende Grundversorgung durch das Grundeinkommen zu garantieren, unabhängig von seiner Bedürftigkeit und unabhängig von seiner Teilnahme am Produktionsprozess durch Erwerbsarbeit. Keiner müsse mehr aus Angst um seine nackte Existenz menschenunwürdige Arbeitsbedingungen akzeptieren, vielmehr stehe es jedem frei, prekäre Arbeitsverhältnisse und Niedriglöhne abzulehnen. Finanziert werden könne das Grundeinkommen je nach Modell durch Verbrauchsteuern1, Einkommensteuern, Lohnsummensteuern und diverse andere Abgaben und Steuern.2

Der vermeintliche Hauptunterschied zur neoliberalen und zur Position der verbesserten Sekundärverteilung besteht beim Grundeinkommen darin, dass eine Art dritter Weg suggeriert wird: Es könne sozusagen unabhängig von der an den Märkten erzielten (Primär-)Einkommensverteilung eine positive materielle Ausgangsposition für alle Mitglieder der Gesellschaft geschaffen werden. Zwar müssten natürlich auch hier die Mittel dafür aus dem Produktionsprozess stammen – woher sonst? –, aber sie würden ihm – zumindest in der Grundeinkommensvariante von Götz Werner – nicht nach der Leistungsfähigkeit der Bürger entzogen und in vielen Modellen würden sie nicht gemäß der Bedürftigkeit der Bürger verteilt. Wie hoch das Grundeinkommen sein solle, sei eine politische Entscheidung und damit Sache der gesellschaftlichen Mehrheit. Diese Legitimierung schaffe Ausgleich zwischen den (ungleichen) Ergebnissen der Marktwirtschaft und den Anforderungen an menschenwürdige Existenzbedingungen und Gleichheit in einer Demokratie.

Eine neue Position

Die Frage nach den Spielregeln, unter denen die Primärverteilung gegenwärtig und nach einem Systemwechsel dann zukünftig zustande kommt, wird allerdings weder von den Befürwortern des Grundeinkommens noch von denen ernsthaft gestellt, die auf die herkömmliche, zu verstärkende Sekundärumverteilung von oben nach unten setzen. Von den Neoliberalen hingegen wird diese Frage gestellt, aber – wie zu zeigen sein wird – falsch beantwortet. Hier liegt unserer Ansicht nach der Kern der zu führenden Auseinandersetzung. Denn wenn man die momentanen Ergebnisse der primären Einkommensverteilung für ungerecht, unsozial und die Gesellschaft schädigend ansieht – wie das die Autoren dieses Buches tun –, muss man sich zuerst mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit sie systembedingt sind. Gehören zunehmende Ungleichheit und Verarmung der unteren Einkommensschichten auf Dauer und unter den Bedingungen der Globalisierung unvermeidlich zum Marktmechanismus dazu?

Wenn ja – davon sind die Neoliberalen überzeugt –, muss die Frage gestellt und beantwortet werden, ob die Marktwirtschaft heute und vor allem in Zukunft noch mit einer demokratischen Gesellschaftsordnung in Einklang zu bringen ist. Denn wenn die Reparaturversuche der sozialen Schäden, die die Marktwirtschaft dann offenbar systematisch anrichtet, mittels der Sekundärverteilungsmöglichkeiten des Staates das System Marktwirtschaft selbst wiederum schädigen oder zumindest beeinträchtigen (wie das die Neoliberalen meinen), scheinen sich die Anforderungen des Wirtschaftssystems und die des politischen Systems logisch zu widersprechen. Dann wäre der Kampf gegen Armut und gesellschaftliche Spaltung innerhalb eines marktwirtschaftlichen Systems letzten Endes zum Scheitern verurteilt. Die Suche nach einem anderen politischen System, in dem sich ökonomische Ungleichheit und politische Teilhabe entsprechen (etwa in einem Ständestaat mit Klassenwahlrecht), wäre dann aufrichtiger als das Hinauszögern des Unabänderlichen, indem man die Sozialversicherungssysteme lieber dahinsiechen lässt, statt sie ganz abzuschaffen, oder indem man das Steuersystem nur nach und nach zu einer Umverteilungsmaschinerie von unten nach oben abändert, statt es sofort und offen zugunsten der Oberschicht auszugestalten. Man kann den besagten Widerspruch natürlich auch andersherum aufzulösen versuchen und nach einem anderen Wirtschaftssystem Ausschau halten, das sich als demokratie-kompatibler als die Marktwirtschaft erweist. Doch fündig wird man seit dem Untergang des real existierenden Sozialismus derzeit offenbar nicht. Dass die Ideen zum Grundeinkommen hier ebenfalls keine neuen Wege weisen, dazu weiter unten mehr.

Beantwortet man die Frage nach der Zwangsläufigkeit der gesellschaftlichen Spaltung durch Marktprozesse mit nein, wie das die Autoren dieses Buches tun, bedarf es der Analyse, warum diese Entwicklung dennoch de facto so gekommen ist und ob und wie sie wieder abgestellt werden kann. Wäre eine andere, nämlich von vornherein »gleichere« Primäreinkommensverteilung auch unter den Bedingungen der Globalisierung systemkonform oder für das System Marktwirtschaft sogar notwendig, dann läge hier der Schlüssel zur Lösung der Armutsprobleme. Dann stünde es um die Dringlichkeit der Armutsbekämpfung durch staatliche Umverteilung ganz anders. Und dann würden sich auch die Vorwürfe, unser bisheriges Umverteilungssystem habe sich überlebt, da es nicht mehr finanzierbar sei, sehr stark relativieren.

Da auch die Finanzierung jeder Variante des Grundeinkommens letzten Endes auf dem beruht, was produziert wird, ist es reine Augenwischerei zu behaupten, man habe eine Art »dritten Weg« gefunden, die Bedürfnisse der von den Märkten Benachteiligten in Einklang zu bringen mit den Ergebnissen ebendieser Märkte. Die Schwerkraft kann niemand per Beschluss abstellen, und auch die grundlegende Budgetrestriktion des Wirtschaftens, dass nur verbraucht werden kann, was produziert worden ist, lässt sich nicht mit schlaraffenlandähnlichen Ideen außer Kraft setzen, egal, wem die Früchte dieser Ideen zugedacht sind.

Es spricht jedoch nichts dagegen, die oft beherrschende Stellung der »Marktkräfte« in unserem Denken zu hinterfragen. Die Budgetrestriktion zu beachten erfordert nicht, sich über ihr Zustandekommen und ihre konkrete Höhe keine Gedanken zu machen. Allzu oft wird vergessen, dass Marktergebnisse selbst zu erheblichen Teilen Ergebnisse politischer Entscheidungen und keinesfalls Folgen eines unabänderlichen Naturgesetzes sind. Denn die Wirtschaftspolitik setzt mit der Ordnungspolitik den institutionellen Rahmen für die Märkte und wirkt mit der Lohn-, Fiskal- und Geldpolitik massiv auf die Abläufe innerhalb der Märkte ein. Wie die Wirtschaftspolitik besser – und zwar vor allem besser im Sinne der Armen in unserer Gesellschaft und im Sinne des Erhalts unserer Demokratie – auf diese Marktergebnisse einwirken kann und dringend sollte und wie sie es nicht tun kann, darum geht es in diesem Buch.

2  Das Grundeinkommen

Ansätze eines bedingungslosen Grundeinkommens

In der öffentlichen Diskussion werden unter dem Begriff »Grundeinkommen« ganz unterschiedlich motivierte und sehr verschieden konstruierte Ansätze verstanden. Undifferenziert werden Bürgergeld, Grundsicherung und (bedingungsloses) Grundeinkommen in einen Topf geworfen. Zudem werden leicht modifizierte, als solche aber nur schwer erkennbare Hartz-VI-Ansätze zu den Grundeinkommensmodellen hinzugezählt. Eine präzise Definition ist daher notwendig, will man die Grundprinzipien dieser Vorschläge vorstellen und auf ihre Vor- und Nachteile hin untersuchen.

Unter einem sozialen Absicherungssystem mit einem bedingungslosen Grundeinkommen wird ein System verstanden, in dem alle Menschen eines Staates Anspruch auf eine monetäre Leistung haben, die folgende Kriterien erfüllt:3

1. Die Höhe der Leistung muss existenzsichernd sein.

2. Es besteht ein individueller Rechtsanspruch auf sie.

3. Es erfolgt keine Überprüfung der Bedürftigkeit.

4. Es besteht kein Zwang zur Arbeit.

Ein großer Teil der Modelle eines Grundeinkommens, die in der Bundesrepublik Deutschland diskutiert werden, ist nach diesen Kriterien nicht als »bedingungslos« zu bezeichnen. Eine Zusammenstellung der diversen Ansätze ergibt 24 Modelle, zwölf davon werden nach Ronald Blaschke zu der Gruppe der bedingungslosen Grundeinkommensmodelle gezählt. Allerdings erfüllen nur drei Modelle die oben genannten Kriterien vollständig. Blaschke unterstellt mittels Berechnungen auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe und der Ausgaben für Unterkunft, dass die Mindesthöhe für die Existenzsicherung derzeit 850 Euro pro Monat beträgt. Modelle, die die oben genannten Kriterien, vor allem das Kriterium einer existenzsichernden Höhe, nur teilweise erfüllen, werden zu der Kategorie »partielles Grundeinkommen« zusammengefasst.

Von diesen Modellen klar zu unterscheiden sind solche, bei denen weiterhin eine Überprüfung der Bedürftigkeit für den Leistungsbezug vorgesehen ist. Diese Gruppe umfasst das gegenwärtige System der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe sowie die Modelle, die dieses System nur in Teilen modifizieren. Dazu gehören auch das Modell »Grüne Grundsicherung« von Bündnis 90/Die Grünen und die negative Einkommensteuer von Joachim Mitschke.4

Im Folgenden konzentrieren wir unsere Darstellung auf drei Ansätze, die die oben genannten Kriterien weitgehend erfüllen und die entweder im Vordergrund der öffentlichen Diskussion stehen (das Modell von Götz Werner und das solidarische Bürgergeld nach Dieter Althaus) oder am weitesten bezüglich der Finanzierung und der sozialen Sicherungssysteme ausmodelliert sind (das emanzipatorische Grundeinkommen).

Keine der großen politischen Parteien hat bisher ein umfassendes Grundeinkommenskonzept in den Katalog ihrer parteipolitischen Ziele aufgenommen. Vorschläge dieser Art sind sowohl bei Bündnis 90/Die Grünen als auch bei der Linken auf Bundeskongressen mehrheitlich abgelehnt worden. Die Konzepte, die diese Parteien (einschließlich der FDP) im Bereich der Grundsicherung vertreten, beschränken sich – bis auf Einzelmaßnahmen wie das Kindergrundeinkommen bei Bündnis 90/Die Grünen – auf Modifikationen des bestehenden Grundsicherungssystems.

Bei der Bewertung und Einschätzung der folgenden Ausführungen ist zu beachten: Mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bürger werden sowohl das gegenwärtig geltende soziale Sicherungssystem als auch das Steuer- und Abgabensystem grundlegend verändert. Die Befreiung von Gegenleistungen betrifft einerseits die Verpflichtung zu (zumutbarer) Arbeit und andererseits – in einigen Modellen – die bisherige Kopplung des Leistungsbezuges beziehungsweise der Höhe von Leistungen an die vorherige Zahlung von Beiträgen oder die Bedürftigkeit. Außerdem werden bestehende Abgabenlasten strukturell verändert und – je nach Erwerbsbeteiligung und Einkommenshöhe – teilweise im Vergleich zum Status quo deutlich erhöht. Es ist davon auszugehen, dass die Zahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens, dessen Höhe existenzsichernd sein soll und folglich die materielle Sicherung ohne Erwerbsarbeit ermöglicht, ebenso wie die veränderten Abgabenbelastungen erwirtschafteter Erwerbseinkommen das Verhalten der Menschen in vielerlei Hinsicht verändern können. Auswirkungen auf die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme, das Anstreben bestimmter Einkommenshöhen, auf Bildungsambitionen, weitere Absicherungsmaßnahmen und auf das Konsumverhalten sowie die Familienplanung sind zu erwarten.

Daher sind Abschätzungen zur Finanzierbarkeit von Grundeinkommensmodellen schwierig. Zunächst geht man zwar von den gegenwärtigen Gegebenheiten wie etwa dem aktuellen Volkseinkommen aus, um etwa die zur Finanzierung des Grundeinkommens notwendigen Steuersätze zu berechnen. Es ist allerdings fraglich, ob diese Bemessungsgrundlagen in einer neuen »Grundeinkommenswelt« in gleicher Höhe und Struktur weiterbestehen werden. Wahrscheinlicher ist, dass sich hier – möglicherweise sogar erhebliche – Abweichungen ergeben würden. Somit sind die hier vorgenommenen Berechnungen und Vergleiche mit Anleihen am gegenwärtigen Status quo unter dem Vorbehalt zu sehen, dass die wirtschaftliche Entwicklung genau wegen des Systemwechsels doch ganz anders kommen könnte. Dieser spezifische Unsicherheitsfaktor kommt zur Problematik der allgemeinen Unsicherheit von Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung noch hinzu.

Jede auf dem Status quo basierende Abschätzung enthält somit die implizite Wertung: »So anders ist die neue Welt nicht.« Treten mit der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens jedoch gravierende Verhaltensänderungen ein (wofür vieles spricht, wie noch zu zeigen sein wird), reduziert sich die Aussagekraft der rein rechnerisch korrekten Ableitungen erheblich.

Das Modell von Götz Werner

In der Öffentlichkeit dürfte das Modell von Götz Werner zum bedingungslosen Grundeinkommen das bekannteste sein.5 Es besticht durch seine Einfachheit (vgl. Abbildung 1). Bisher lässt sich die Idee in zwei Kernpunkten zusammenfassen:

1. Es wird an alle Personen ein Grundeinkommen gezahlt von zur Zeit diskutierten 1 000 Euro pro Monat, wobei diese Höhe in einzelnen Schritten erreicht werden und nach demokratischer Beschlussfassung auch höher ausfallen kann. Jede Art sonstiger Einkünfte wird auf dieses Grundeinkommen angerechnet, das heißt, ein gegenwärtiges Erwerbseinkommen wird um diesen Betrag des Grundeinkommens gekürzt. Das Gesamteinkommen von Einkommensbeziehern mit einem Einkommen von mehr als 1 000 Euro bleibt somit der Höhe nach gleich. Einkommensbezieher mit einem Erwerbseinkommen unterhalb des Grundeinkommens erfahren eine Aufstockung ihres Einkommens auf 1 000 Euro. Diese Anrechnungsvorschrift gilt auch für alle Transfers wie zum Beispiel Renten.

2. Als einziges staatliches Finanzierungsinstrument ist eine Konsumsteuer vorgesehen, die wie die gegenwärtige Mehrwertsteuer funktioniert, allerdings mit einem deutlich höheren Steuersatz. Alle sonstigen Besteuerungsarten entfallen.

Abbildung 1: Grundeinkommensmodell nach Werner

image

Quelle: Eigene Darstellung nach Götz Werner

Bei einer Bevölkerung von knapp 82 Millionen sind somit jährlich 984 Milliarden Euro als Grundeinkommen auszuzahlen. Diese Mittel werden über die genannte Konsumsteuer mit einem Steuersatz von 100 Prozent aufgebracht. Für den einzelnen bleibt laut Werner die Kaufkraft gleich, denn erstens sinken durch die Anrechnung des Grundeinkommens auf das Erwerbseinkommen die Lohnkosten und damit die Stückkosten bei der Herstellung der Güter. Und zweitens entfallen alle bisher im Bruttopreis enthaltenen steuerlichen Belastungen. Da die Staatsquote (das ist der Anteil aller Staatsausgaben einschließlich der Sozialversicherungen am Bruttoinlandsprodukt) circa 50 Prozent beträgt, wird die steuerliche Belastung aller Güter auf 50 Prozent veranschlagt. Bei Wegfall dieser Belastung halbiert sich der Bruttopreis. Erfolgt die Besteuerung in Höhe von 100 Prozent auf diesen neuen Nettopreis, ergibt sich der alte Preis. Der Konsument sieht sich also dem alten Preisniveau gegenüber.

Die Implikationen dieses Modells sind vielfältig. Erschwert wird eine Bewertung, wenn die verschiedenen Parameter variiert werden, wie das in der gegenwärtigen politischen Diskussion der Fall ist. So ist weder die Grundeinkommenshöhe von 1 000 Euro eine unumstößlich fixe Größe noch ist die Frage geklärt, ob dieser Betrag auch für Kinder in voller Höhe ausgezahlt werden soll oder möglicherweise nur die Hälfte.

Unabhängig von der Höhe der Leistung lassen sich einige Folgen aufzeigen, die das Modell mit sich brächte:

1. Die Konsumsteuer als einzige Abgabe an den Staat wirkt regressiv, weil die Konsumquote in den unteren Einkommensschichten höher ist als in den oberen. Daher verschärft sie die Vermögens- und Einkommenskonzentration.

2. Wenn die Höhe des Konsumsteuersatzes durch die Höhe der gegenwärtigen Staatsquote bestimmt wird und die entsprechenden Konsumsteuereinnahmen nur zur Finanzierung des Grundeinkommens dienen, können keine weiteren staatlichen Ausgaben finanziert werden. Das bedeutet, dass alle übrigen staatlichen Aufgaben – von der inneren Sicherheit über Schulen bis hin zum Straßennetz – privatisiert werden müssen und jeder Bürger für die Nutzung beziehungsweise Finanzierung selbst aufkommen muss.

3. Ebenfalls privatisiert wird jegliche soziale Absicherung, da die Sozialversicherungen bei ausreichender Höhe des Grundeinkommens ersetzt beziehungsweise abgeschafft werden.

4.  Offen sind die Übergänge vom bisherigen System in das neue. Unklar ist zum Beispiel, wovon die bis heute erworbenen Leistungsansprüche gegenüber den Sozialversicherungen (vor allem Rentenansprüche), die die Höhe des Grundeinkommens übersteigen, bezahlt werden sollen, wenn keine Beiträge mehr eingezahlt werden.

Nach Götz Werner entsteht durch ein bedingungsloses Grundeinkommen »Leistungsvermögen«: Befreit von Existenzangst kann der einzelne sich gemäß den eigenen Fähigkeiten und Neigungen frei entfalten und die Arbeit aufnehmen, die seinen Interessen entspricht. Diese freie Entfaltung hat für Werner aber Grenzen: Wer nichts mit sich anzufangen weiß und sich dem Nichtstun hingibt, dem wird sozialpädagogische Behandlung angeboten, weil derjenige hilfsbedürftig zu sein scheint. Freiheit hat somit auch bei Werner ihre Grenzen.

Solidarisches Bürgergeld

Das solidarische Bürgergeld hat zum Ziel, das Steuer- und Transfersystem besser aufeinander abzustimmen und zu vereinfachen. Es integriert Transfer- und Einkommensteuersystem zu einem durchgängigen Tarifverlauf, basiert somit auf der Idee der negativen Einkommensteuer. Wer kein Einkommen bezieht, erhält den vollen Betrag des Bürgergeldes. Erwerbseinkommen oberhalb von null führen zu einer Kürzung des Bürgergeldes, jedoch nicht eins zu eins. Das entspräche nämlich einem Grenzsteuersatz von 100 Prozent (für jeden selbstverdienten Euro würde einem ein Euro des Bürgergeldes weggenommen). Die Kürzung findet in geringerem Umfang statt, der Grenzsteuersatz ist kleiner als 100 Prozent. Die Obergrenze des Einkommens, bis zu der ein Bürgergeld gezahlt wird – man spricht von der Transfergrenze –, hängt von diesem Steuersatz ab. Bei einem Steuersatz von zum Beispiel 50 Prozent beträgt die Transfergrenze das Doppelte des Bürgergeldes. Bei einem niedrigeren Steuersatz verschiebt sich die Transfergrenze nach oben, das heißt, auch bei einem höheren Einkommen kann noch ein Teil des Bürgergeldes bezogen werden. Bei einem höheren Steuersatz erfolgt eine schnellere Anrechnung, die Transfergrenze sinkt. Je mehr Primäreinkommen also auf das Bürgergeld angerechnet wird, desto weniger lange macht sich das Bürgergeld positiv bemerkbar im verfügbaren Einkommen und umgekehrt.

Ursprüngliches Althaus-Modell

Bekannt geworden ist das Modell des solidarischen Bürgergeldes von Dieter Althaus als zweistufiges Modell mit den Steuersätzen von 50 Prozent und 25 Prozent.6 Für Erwachsene mit einem Einkommen von null bis unter 1 600 Euro monatlich beträgt das »große« Bürgergeld 800 Euro monatlich. Das »kleine« Bürgergeld von 400 Euro monatlich wird für Einkommensbezieher mit mehr als 1 600 Euro gezahlt. In diesem Bürgergeld enthalten ist jeweils eine »Gesundheitsprämie« in Höhe von 200 Euro zur Finanzierung notwendiger Versorgung im Krankheitsfall, so dass das frei verfügbare »Nettobürgergeld« beim »großen« Bürgergeld 600 Euro, beim »kleinen« Bürgergeld 200 Euro beträgt. Kinder unter 18 Jahren erhalten pauschal ein Bürgergeld von 500 Euro, bei darin enthaltener »Gesundheitsprämie« somit ein »Nettobürgergeld« von 300 Euro monatlich.

Die Steuersätze variieren mit der Höhe des erwirtschafteten Einkommens. Bei einem Primäreinkommen von unter 1 600 Euro beträgt der Steuersatz 50 Prozent. Primäreinkommen ab 1 600 Euro werden mit 25 Prozent besteuert. So erhält man bei einem Primäreinkommen von null das »große« Bürgergeld in voller Höhe, also nach Abzug der Gesundheitsprämie 600 Euro. Jedes Primäreinkommen über null führt zu einer Reduzierung des Bürgergeldes um 50 Prozent dieses Primäreinkommens. Das gilt bis zur Transfergrenze von 1 200 Euro (gleich zwei mal 600 Euro). Ab diesem Einkommen führt die Besteuerung dazu, dass das Bürgergeld entfällt und Steuern gezahlt werden. Ab 1 200 Euro wird das Primäreinkommen also nicht mehr aufgestockt, sondern reduziert.

Ein paar Beispiele: Verdient man 400 Euro, werden diese mit 50 Prozent besteuert. Diese Steuerlast führt zu einer Kürzung des Nettobürgergeldes (600 Euro) um 200 Euro auf 400 Euro. Letzten Endes hat man also 400 Euro (Primäreinkommen) plus 400 Euro (Transfereinkommen) gleich 800 Euro verfügbares Einkommen. Die 200 Euro Gesundheitsprämie wird an einen Gesundheitsfonds weitergereicht.7

Bei einem Primäreinkommen von 1400 Euro fällt bei einer Besteuerung mit 50 Prozent eine Steuer von 700 Euro an. Dieser Betrag übersteigt die Höhe des Nettobürgergeldes von 600 Euro und führt damit zu einer positiven Steuerzahlung von 100 Euro. Das heißt, bei einem Primäreinkommen von 1400 Euro beträgt das verfügbare Einkommen 1300 Euro. Auch hier wird die erhaltene Gesundheitsprämie weitergereicht.

Personen mit einem Einkommen oberhalb von 1600 Euro erhalten das »kleine« Bürgergeld von netto 200 Euro und müssen ihr Einkommen mit 25 Prozent versteuern, also 400 Euro Steuern zahlen. So fällt bei diesem Primäreinkommen insgesamt saldiert eine positive Steuerzahlung von 200 Euro an. Das verfügbare Einkommen beträgt (nach Durchreichen der Gesundheitsprämie) 1400 Euro. Eine Person mit einem Primäreinkommen von 2 000 Euro hat eine Steuerlast von 500 Euro, die – verrechnet mit dem Nettobürgergeld von 200 Euro – zu einer tatsächlichen Steuerzahlung von 300 Euro führt. Netto bleiben also 1700 Euro übrig.

Für Rentner ist eine zusätzliche Regelung vorgesehen. Auch sie erhalten, sofern keine anderen Einkünfte vorliegen, das »große« Bürgergeld als Grundrente. Darüber hinaus sieht das Modell eine Zusatzrente von – je nach früherem Erwerbseinkommen – bis zu 600 Euro monatlich vor. Übergangsweise wird für den Fall, dass Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung höher sind als Summe aus Bürgergeld und Zusatzrente, eine Rentenzulage gezahlt. Die gesamte Rente ist steuerfrei. Die Grundrente soll aus der Einkommensteuer finanziert werden. Für die Zusatzrente und die Rentenzulage ist eine Lohnsummensteuer in Höhe von zwölf Prozent der gezahlten Löhne und Gehälter vorgesehen, die von den Arbeitgebern abzuführen ist.

Nach den Modellberechnungen von Michael Opielka und Wolfgang Strengmann-Kuhn sind die reinen Bürgergeldausgaben bei den unterstellten Modellannahmen aus der beschriebenen Einkommensteuer finanzierbar.8 Es bleibt insgesamt eine Finanzlücke in Höhe der Ausgaben für die Gesundheitsprämie (circa 190 Milliarden Euro). Das heißt, die Grundvariante von Althaus ist ohne Veränderung der Steuersätze oder der Höhe des Bürgergeldes nicht voll finanzierbar.

Um die Gesundheitsversorgung zu finanzieren, schlagen Opielka und Strengmann-Kuhn bei Beibehaltung der Höhen des Bürgergeldes von 800 Euro beziehungsweise 400 Euro drei Varianten vor. Entweder werden die Steuersätze verändert, nämlich 80 Prozent (statt 50 Prozent) des Einkommens unterhalb der dann niedrigeren Transfergrenze (bei circa 1000 Euro) und 35 Prozent für Einkommen ab dieser neuen Transfergrenze. Oder man wählt, wiederum mit veränderter Transfergrenze, eine Kombination von 70 und 40 Prozent Steuersatz. Als dritte Möglichkeit wird unter Beibehaltung der Einkommensteuersätze des Modells von 50 und 25 Prozent zusätzlich eine Gesundheitsteuer von 14 Prozent vorgeschlagen, deren Einnahmen in einen Gesundheitsfonds fließen. Auch in diesem Fall ändert sich die Transfergrenze. Mit diesen Modellvarianten wären Bürgergeld und Gesundheitsprämie rein rechnerisch finanzierbar.

Neues Althaus-Modell

Die Probleme des Modells des solidarischen Bürgergeldes in puncto Finanzierbarkeit der Gesundheitsprämie haben Althaus dazu veranlasst, das Modell zu modifizieren.9 Das neue Modell bleibt weiterhin ein Ansatz der negativen Einkommensteuer. Es gibt in dem neuen Modell nur noch ein Bürgergeld in Höhe von 600 Euro, das jedem Bürger mit einer Daueraufenthaltsgenehmigung für Deutschland zusteht. Die Höhe des Bürgergeldes ist vom Alter unabhängig. In diesem Betrag ist eine Gesundheitsprämie von 200 Euro enthalten. Der Nettobetrag beläuft sich damit auf 400 Euro. Zusätzlicher Bedarf und die Kosten der Unterkunft werden nach Bedürftigkeit gewährt. Da das Bürgergeld das soziokulturelle Existenzminimum sichern soll, ist unklar, wie dann zusätzliche Bedarfe und Bedürftigkeit definiert werden.

Personen, die älter als 60 Jahre sind, können eine Bürgergeldrente beziehen, die sich aus dem Bürgergeld und einer Zusatzrente zusammensetzt. Die Höhe der Zusatzrente kann maximal den dreifachen Betrag des Bürgergeldes ausmachen, also 1800 Euro. Die Gesamtrente kann somit brutto 2 400 Euro (600 Euro Bürgergeld plus 1800 Euro Zusatzrente) betragen, netto, das heißt nach Abzug der Gesundheitsprämie von 200 Euro, also 2 200 Euro. Eltern erhalten für die Erziehungsleistung eine Elternrente, die vom Staat durch eine Lohnsummenabgabe auf fiktive Elterngehälter finanziert wird. Während des Übergangs werden Altansprüche, wenn sie den Maximalbetrag übersteigen, weiter gewährt. Unklar ist, nach welchen Kriterien die neuen Rentenansprüche erworben werden. Die bisher bestehenden Sozialversicherungszweige werden abgeschafft.

Die Finanzierung des solidarischen Bürgergeldes soll durch drei Finanzierungsinstrumente sichergestellt werden:

1. Eine Einkommensteuer in Höhe von 40 Prozent auf alle Einkünfte, einschließlich der Einkünfte aus Vermietung und Kapital.

2. Eine Konsumsteuer mit einem einheitlichen Steuersatz von 19 Prozent, wobei lediglich Lebensmittel und alkoholfreie Getränke mit einem reduzierten Satz von sieben Prozent besteuert werden.