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1.

Auf einer langen Dünung segelte die „Isabella von Kastilien“ mit schäumender Bugwelle auf Nordwestkurs in den Atlantik hinaus.

Die Belle Ile lag schon weit hinter der Galeone, vor achterlichem Wind lief das Schiff gute Fahrt.

Philip Hasard Killigrew stand auf dem Quarterdeck. Der Wind zerrte an seinen schwarzen Haaren. Seine eisblauen Augen blickten prüfend auf den schmalen hellen Streifen, der an Steuerbord der „Isabella“ den nahenden Morgen ankündigte. Dann sah er Ben Brighton, seinen Bootsmann, an.

„Ich traue dem Frieden nicht, Ben“, sagte er. „Irgendwo lauern die Karavellen auf uns. Diese Schlappe schlucken die Kerle nie.“

Ben Brighton nickte. Noch einmal zogen die vergangenen Stunden in seiner Erinnerung vorbei: Das plötzliche Auftauchen der fünf bretonischen Karavellen, der heimtückische Trick, mit dem die bretonischen Freibeuter ein Kommando auf die „Isabella“ schleusten, der erbitterte Kampf, in dessen Verlauf Hasard und seine Crew eine der Karavellen zu den Fischen schickten, eine andere schwer beschädigten. Dann ihr tollkühnes Unternehmen auf der Belle Ile, durch das sie sich das verlorengegangene Trinkwasser wiederbesorgten. Nein, Hasard hatte recht: Diese Schlappe würden die Bretonen niemals hinnehmen.

Auch Ben Brightons Blick wanderte jetzt zu dem hellen Streifen an Steuerbord.

„Wir müssen mit vier Karavellen rechnen“, sagte er dann. „Sie sind schneller als wir, besonders bei diesem Wind. Eine gute Chance, ihnen zu entwischen, hätten wir nur bei schwerem Sturm, aber danach sieht es noch nicht aus. Vielleicht wird der Wind noch steifer – aber diese Bastarde haben wir im Nakken, das ist auch meine Meinung. Und ich glaube, sie werden sich nach Sonnenaufgang an uns heranpirschen.“

Hasard wußte, wie recht sein Bootsmann hatte. Die vier Karavellen waren für die Galeone eine geradezu tödliche Gefahr. Sie waren wesentlich schneller und beweglicher als die schwere, dickbauchige „Isabella“, die außerdem noch dreißig Tonnen Silber in ihrem Rumpf mit sich schleppte.

Hasard preßte die Lippen zusammen, bis sie nur noch ein schmaler Strich waren.

„Ben, du weißt, daß wir Plymouth auf jeden Fall erreichen müssen. Nicht nur wegen des Silbers, sondern vor allem wegen der Kassette, die wir dem Don abgenommen haben. Ihr Inhalt ist für uns und England wertvoller als alles Gold und Silber, was wir den Dons noch irgendwann abjagen. Los, Ben, schick Dan in den Hauptmars. Er hat von uns allen die schärfsten Augen. Er wird die Karavellen entdecken, noch bevor sie uns ausmachen können.“

Ben Brighton nickte nur kurz, dann wandte er sich um. Gleich darauf dröhnte seine mächtige Stimme über Deck:

„Dan, raus aus der Koje und rauf in den Ausguck. Und der Teufel wird dich lotweise holen, wenn du da oben weiterpennst!“

Der Seewolf grinste. Ben Brightons Stimme konnte wirklich Tote erwecken. Gleich darauf sah er den schlanken Jungen wie ein Schemen über das Deck huschen und die Wanten hochentern.

Der Seewolf sah ihm nach, bis er im Hauptmars verschwand. Er hatte diesen Jungen in sein Herz geschlossen, und es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn er aus Dan nicht einen Kerl machte, der später einmal als Kapitän mit seinem Schiff quer durch die Hölle segelte, wenn es sein mußte.

„Ferris!“ brüllte er dann und beugte sich gleichzeitig zum Rudergänger Pete Ballie hinab, der unter dem Quarterdeck am Kolderstock stand.

„Kurs weiterhin Nordwest, Pete, bis ich einen anderen Befehl gebe, klar?“

„Klar“, sagte Ballie nur und seine riesigen Fäuste umklammerten den Kolderstock noch fester.

Ferris Tucker, der hünenhafte Schiffszimmermann, tauchte auf dem Quarterdeck auf.

„Ferris, stell jeden verfügbaren Mann an die Kanonen. Sorg dafür, daß Backbord und Steuerbord feuerbereit sind. Laß jedes einzelne Geschütz sorgfältig überprüfen. Schick mir ein paar Leute aufs Vor- und aufs Achterkastell, ich kümmere mich mit ihnen um die Drehbassen. Laß alle verfügbaren Musketen laden.“

Ferris Tucker schob die schrankbreiten Schultern vor. Und der Seewolf wußte, was diese Bewegung bedeutete: Kampfeslust und die Entschlossenheit, sich eher in Stücke schießen zu lassen, als aufzugeben.

„Wieviel Kartuschen haben wir noch, Ferris?“ fragte Hasard.

„So viel, daß wir die Bastarde damit zur Hölle schicken können, wenn sie es noch mal mit uns versuchen.“

Hasard hob fragend die Brauen, aber der riesige Schiffszimmermann grinste ihn an.

„Ich habe im Ballast noch einen Posten Segeltuch entdeckt, der uns bisher entgangen war. Meine Leute sind seit Stunden damit beschäftigt, neue Kartuschen herzustellen. Und glaube mir, daß sie es gern tun. Wenn diese Kerle wirklich wieder mit uns anbändeln, dann gnade ihnen Gott!“

Damit drehte sich Tucker um und war gleich darauf verschwunden.

Der Seewolf hob unwillkürlich die Oberlippe hoch. Bei allen Stürmen der sieben Weltmeere – das war eine Bande, mit der sich etwas anfangen ließ.

Wieder ließ er seine Blicke über die Kimm hinter der „Isabella“ gleiten. Aber er vermochte keine Mastspitze zu entdecken, obwohl sich inzwischen die Morgendämmerung den Horizont hinaufgeschoben hatte und erstes, fahles Licht über die schwarze See warf.

Um dieselbe Zeit trieb Capitain La Roche, den die bretonischen Freibeuter wegen seiner Habgier und Grausamkeit „den Hai“ nannten, seine Leute an. Der Hai kochte vor Wut. Er konnte es nicht fassen, daß die fünf Karavellen, die unter seinem Kommando standen, von einer einzigen Galeone geschlagen worden waren. Daß offenbar auch die Männer, die er mit soviel List an Bord dieses verdammten schwarzen Teufels geschmuggelt hatte, so jämmerlich versagt hatten und allesamt getötet worden waren.

Vom Hauptdeck vernahm er die brüllende Stimme seines Bootsmanns, dann Schreie. Gleich darauf dumpfe, klatschende Schläge.

„Ich mache euch Beine, ihr verdammten faulen Hunde!“ hörte er den Bootsmann brüllen. „Los, bewegt euch, ihr Affen. Ist das Großsegel noch nicht klar? Wollt ihr hier anwachsen?“

La Roche verfolgte die Arbeiten vom Achterdeck aus schmalen Augen. Er sah, wie sich das Großsegel im Wind blähte, spürte, wie die Karavelle an Fahrt gewann.

Er warf einen flüchtigen Blick auf die drei anderen Schiffe, die achteraus an Backbord und Steuerbord aufstaffelten.

Nein, dieser schwarze Teufel mit den weißen, blitzenden Zähnen, der das Schiff seines Bruders vernichtet hatte, sollte ihm nicht entkommen. La Roche wußte, daß sie die schwerfällige Galeone schon bald eingeholt haben würden. Der achterliche, steife Wind war für seine Karavellen geradezu ideal. Im Gegensatz zu ihrem unheimlichen Gegner hatten die Karavellen nur wenig Tiefgang, liefen wesentlich schneller und manövrierten besser und leichter. Und genau das war ihre Stärke. Allerdings – La Roche wußte, daß ihnen diesmal kein Fehler mehr unterlaufen durfte. Beim ersten Angriff waren sie sich ihrer Beute zu sicher gewesen. Aber dieser Engländer verstand zu kämpfen. Der Hai kannte Männer dieser Art, und er wußte, daß dieser große Mann mit den tiefschwarzen Haaren beißen und kämpfen würde, solange noch ein einziger Funke Leben in ihm war.

Wieder warf er einen Blick auf die hinter ihm segelnden Karavellen. Sie schlossen auf.

La Roche überlegte. Er versuchte sich in die Situation des Fremden zu versetzen. Welchen Kurs hätte er an Stelle der Englänger gesegelt?

Ein böses Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.

„Signal an alle: Kurs Nordwest. Verband ausschwärmen auf Sichtweite. Keiner greift ohne meinen ausdrücklichen Befehl an, keiner nähert sich der Galeone auf Schußweite!“ befahl er.

Es war kein Problem, den Befehl zu signalisieren. La Roche und seine Schiffe waren aufeinander eingespielt. Sie verfügten über genügend Signale, um sich gegenseitig alles Notwendige zu übermitteln, ohne daß Fremde in der Lage gewesen wären, diese Signale zu deuten.

Auf dem Hauptmars der Karavelle flammte eine speziell für diesen Zweck hergerichtete Signallampe in rhythmischen Intervallen auf.

Es dauerte nur Minuten, dann hatten die anderen ihr „Verstanden“ übermittelt.

Der Hai ging unruhig auf dem Achterdeck auf und ab. Unter seinen Füßen hob und senkte sich die „Minouche“ in der langen Dünung.

Donegal Daniel O’Flynn starrte sich die Augen aus dem Kopf. Es war heller geworden. Die Kimm trat jetzt scharf und klar aus dem Morgendunst hervor. Unter ihm blähte sich das Großmarssegel im Wind. Weißer Gischt sprang über das Vorkastell, wenn die „Isabella“ eine See durchpflügte. Kommandos und Befehle schallten über Deck und drangen bis zu ihm im Großmars herauf.

Plötzlich zuckte Dan zusammen. Unwillkürlich krampften sich seine Finger um eine der zum Großtopp führenden Wanten.

Zuerst sah er eine Mastspitze, dann zwei und dann auch die restlichen beiden. Und dann erkannte er den Umriß eines Lateinersegels.

Dan beugte sich aus dem Hauptmars und legte beide Hände an den Mund.

„Masten, achteraus an Backbord und an Steuerbord! Vier Karavellen segeln in weit auseinandergezogener Formation auf!“

Der Seewolf fuhr herum.

Also doch, dachte er. Dann lief er zum Großmast hinüber und enterte auf. Er erreichte den Großmars in Rekordzeit, riß sein Spektiv aus der Tasche seiner dunkelblauen Segeltuchjacke und blickte zu den Verfolgern hinüber.

Dan stand neben ihm, verfolgte jede seiner Bewegungen voll Spannung, versuchte, in den Zügen des Seewolfs zu lesen. Aber im Gesicht Philip Hasard Killigrews zuckte kein Muskel. Endlich setzte er das Spektiv ab, schob es zusammen und ließ es wieder in seiner Tasche verschwinden.

„Sie wollen uns in die Zange nehmen, Dan. Von beiden Seiten. Gut, wir werden ihnen einen heißen Empfang bereiten.“

Er blickte nochmals zu den Karavellen hinüber. Und aus ihren Manövern erkannte er, daß auch sie die Galeone entdeckt hatten.

Er wandte sich Dan wieder zu.

„Sie werden uns gegen Mittag eingeholt haben. Du bleibst hier oben, Dan. Ich will über jede Bewegung der Karavellen sofort unterrichtet werden. Ich laß dir etwas zu essen und zu trinken heraufschicken. Wenn sie heran sind, kommst du ’runter. Und du hältst dich an meiner Seite auf, weichst mir nicht von der Pelle, ist das klar, Dan?“

Der Seewolf sah das Zucken in Dans Zügen, die Enttäuschung, die über die Züge des Jungen flog.

„Du wirst kämpfen, Dan. Jeder von uns wird kämpfen. Aber ich will, daß du an meiner Seite bleibst, Dan. Das ist ein Befehl!“

Dans Augen leuchteten auf.

„Wir werden zusammen kämpfen, wir …“

Der Seewolf nickte ihm zu. Dann enterte er ab. Und er tat es so schnell und so geschmeidig, daß selbst Dan ihm für einen Moment überrascht nachstarrte.

Doch dann wandte der Junge sich wieder den vier Gegnern zu. Er sah, daß sich die Karavellen formierten. Eine fiel etwas nach Backbord ab, eine andere scherte nach Steuerbord aus. Die beiden anderen folgten der Galeone im Kielwasser.

Als die Sonne die Mittagslinie erreichte, hatte die „Isabella von Kastilien“ fast den 48. Breitengrad erreicht und segelte etwa fünfzig Meilen westlich von der Ile de Sein unter vollem Zeug nach Norden.

Ein Umstand, der für Hasard und seine Männer noch von allergrößter Bedeutung werden sollte.

Die vier Karavellen waren auf rund tausend Yards heran. Deutlich erkannten Hasard und seine Männer die an Deck der Schiffe hin und her laufenden Männer. Dan, der neben Hasard auf dem Achterkastell stand, sah, wie eine der Karavellen plötzlich ihren Kurs änderte. Wir ein wütender Schwan mit ausgebreiteten Schwingen rauschte sie von Luv heran.

„Es ist soweit, Männer, sie greifen an!“ rief Hasard. Er wußte, daß er sich gegenwärtig in einer üblen Lage befand. Er konnte die von Luv herannahende Karavelle nicht ausmanövrieren, denn auf der Leeseite befand sich die andere.

In diesem Moment begannen auch die beiden Karavellen, die ihnen bisher im Kielwasser gefolgt waren, aufzusegeln.

Der Seewolf stand wie ein Baum. Auf Entermanöver durfte er sich nicht einlassen, das wußte er. Gegen die vier Karavellen mit ihren zahlenmäßig viel stärkeren Besatzungen hatte er nicht die geringste Chance, auch wenn sie alle wie leibhaftige Teufel kämpfen würden. Aber zusammen mit Ben Brighton, Ferris Tucker und dem dicken Lewis Pattern, dem Segelmacher der „Isabella“, hatte er sich etwas einfallen lassen. Eine böse Überraschung für die Angreifer, wie er hoffte.

Er blickte zum Hauptdeck hinunter. Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, grinste ihn an und zeigte dabei sein Raubtiergebiß. Er hockte hinter den Geschützpforten vor einer Pfanne mit glühenden Kohlen. Neben der Pfanne sah Hasard die Pfeile, die mit geteertem Segeltuch umwickelten Spitzen, den riesigen Bogen, mit dem Batuti meisterhaft umzugehen wußte.

Neben dem herkulischen Schwarzen stand mit schwelender Lunte Smoky, der ehemalige Decksälteste der „Marygold“. In seinem harten Gesicht zuckte es bereits vor Ungeduld, es dem Gegner zu zeigen, ihm an die Kehle zu springen. Auch er blickte für einen Moment zum Seewolf empor, und sein Kinn stieß unwillkürlich nach vorn.

An den Brassen, zum sofortigen Manöver bereit, die besten und schnellsten Männer, eigenhändig von Ben Brighton ausgesucht für diesen Zweck.

Hasard wußte, daß er mit der Pfanne voller glühender Kohlen gegen eine der wichtigsten Regeln des Kampfes auf See verstieß: Außer an den Geschützen alles Feuer auf dem Schiff zu löschen. Aber das nahm er in Kauf – die vier Karavellen waren da ein weit größeres Risiko.

Dan starrte aus großen Augen auf die heranbrausende Karavelle. Er sah die gestikulierenden Männer auf dem Voderkastell, sah den Kapitän auf dem Achterdeck, glaubte schon, die Befehle, die er brüllte, durch das brausende Geräusch der weiß gischtenden Bugwelle zu hören.

Dann zuckten die Augen Dans nach Lee. Und trotz seines Mutes erschrak er. Auch diese Karavelle schien auf sie zuzujagen – aber das lag daran, weil der Seewolf die Galeone in diesem Moment auf einen anderen Kurs legen ließ.

Knapp fünfhundert Yards trennten die Galeone und die Karavelle an ihrer Luvseite noch. Noch immer unternahm der Seewolf nichts. Aus scharfen Augen fixierte er das Schiff. Und dann, in einer Entfernung von knapp dreihundert Yards, gab er das Zeichen.

Die Stückpforten flogen hoch. Die Galeone schwang abermals herum, die Steuerbordkanonen brüllten auf, das Deck erzitterte unter den Füßen der Männer. Aus den Rohren der Geschütze flogen Tod und Verderben zu der schräg heranlaufenden Karavelle hinüber.

Die Wirkung der Breitseite war verheerend. Der Fockmast der Karavelle zersplitterte, Rahen, laufendes und stehendes Gut stürzten auf Deck, der Mast krachte auf das Schanzkleid an Backbord, das Focksegel deckte die schreienden Männer zu.

Das war der Augenblick für Batuti. Er sprang auf, hatte den riesigen Bogen in seinen Fäusten, zündete einen der Brandpfeile und schoß ihn auf die Karavelle ab.

Dann sofort den nächsten, dann wieder einen. Der Schwarze entwickelte dabei ein Tempo, daß Dan nur noch Mund und Nase aufreißen konnte.

Batuti traf. Nicht einer seiner Pfeile verfehlte sein Ziel, und im Nu standen die Segel der havarierten Karavelle in hellen Flammen.

Unterdessen blieb der Seewolf auch nicht untätig. Seine Kommandos gellten über Deck. Die Männer an den Brassen reagierten blitzartig, ohne zu denken. Sie taten nur das, was der Seewolf von ihnen verlangte. Ebenso der Rudergänger Pete Ballie am Kolderstock, der wieder einmal vor sich hin fluchte, weil er unter Deck stand und von dem ganzen Kampf so gut wie nichts sah.

Die Galeone schwang herum. Ihre Segel füllten sich mit Wind. Sie nahm Kurs auf die Karavelle leewärts, auf der die Entermannschaften bereits brüllend und die Entermesser schwingend in den Wanten hingen.

„Klar bei Drehbassen, klar bei Backbordkanonen!“ schrie der Seewolf und sprang selbst an die Drehbassen auf dem Achterkastell.

„Dan, hierher, die Lunte!“

Und Dan war schon neben ihm. Gleichzeitig hatte Batuti die Kohlenpfanne nach Backbord geschleppt, auch die restlichen Brandpfeile, und einer der Männer zündete sie an den glühenden Kohlen an.

Die beiden Schiffe näherten sich einander rasendschnell. Denn auch die Karavelle schwang herum und ging auf Gegenkurs. Der Kapitän hatte die Gefahr, die ihm vom Seewolf drohte, erkannt.

Die Geschütze der Karavelle brüllten auf. Dumpfe Schläge erschütterten den Rumpf der Galeone. Einer der Männer an Backbord schrie auf, dann ein zweiter.

Der Seewolf hörte das, er spürte auch die Einschläge, aber er war jetzt in seinem Element.

„Backbordkanonen Feuer!“ brüllte er und wußte, daß Ferris Tucker und seine Männer die Geschütze längst auf die Karavelle eingerichtet hatten.

Wieder brüllten die schweren Kanonen auf, wieder erzitterte der schwere Rumpf der Galeone unter den zurückrollenden Lafetten der Geschütze, unter den mörderischen Rucken, mit denen die Brooktaue diese Bewegungen stoppten. Und die Männer auf dem Hauptdeck arbeiteten wie die Teufel. Auswischer mit nassen Schwämmen fuhren in die glühendheißen Geschützrohre, Kartuschen wurden eingeschoben und verdämmt, dann Kugeln und abermals Verdämmung.

Die Drehbassen auf dem Vor- und auf dem Achterkastell entluden sich donnernd, spuckten tödliches, gehacktes Blei in die Männer der feindlichen Besatzung, zerfetzten Tauwerk und rissen Stücke aus den Masten und den Decksplanken. Dann schoß Batuti. Seine Brandpfeile zischten zum Gegner hinüber und setzten auch diese Karavelle im Nu in Brand.

Schreie der Wut, der Schmerzen, des Grauens durchbrachen den Geschützdonner.

Und wieder gab der Seewolf seine Kommandos. Erneut schwang die „Isabella“ herum. Und diesmal wußte der Seewolf, wußte jeder seiner Männer, daß es um Haaresbreite abgehen würde.

Die Karavelle auf der Luvseite, die lichterloh brannte und von der das Prasseln der weiter und weiter um sich greifenden Flammen zu ihnen herüberdrang, trieb auf sie zu. Der Seewolf mußte mit seiner Galeone abfallen, wenn er nicht gerammt werden wollte. Dadurch näherte er sich aber auch der anderen Karavelle in Lee bedenklich, die von der Breitseite der Backbordkanonen zwar schwer beschädigt, jedoch nicht so vernichtend getroffen worden war wie die andere. Auch sie brannte, aber die Männer ihrer Besatzung schossen noch mit Musketen. Klatschend fuhren die Kugeln in die Bordwand der „Isabella“, schlugen in Masten und das Schanzkleid an Backbord der Galeone.

An Steuerbord dröhnten die Kanonen abermals auf. Ferris Tucker hatte eine weitere Breitseite auf die brennende Karavelle feuern lassen. Dies war ein Kampf, bei dem es für die Männer des Seewolfs ums nackte Leben ging, und jeder wußte das. Pardon gab es nicht.

Die Breitseite lag wiederum voll im Ziel. Tucker hatte einige der Kanonen auf die Wasserlinie der Karavelle richten lassen. Seine kundigen Augen erkannten sofort, daß diese Breitseite ihr den Rest gegeben hatte.

Seine Männer brüllten vor Freude – aber dann blieben ihnen die Freudenschreie plötzlich im Hals stecken. Die Galeone lief auf die Karavelle an Backbord zu.

Hasard erkannte die Gefahr.

„Alle Mann an Backbord! Paßt auf, daß die Kerle nicht entern, laßt keinen an Bord!“ durchschnitt seine gewaltige Stimme den Kampfeslärm.

Unterdessen hatte Dan die beiden Drehbassen auf dem Achterkastell nachgeladen. Gerade wollte er die Lunte an das Zündloch halten, als ein Ruck durch die „Isabella“ ging.

Dan stieß einen Schrei aus, stürzte rücklings zu Boden und schlug schwer auf die Decksplanken.

Der Seewolf sah es aus den Augenwinkeln, aber er hatte jetzt keine Zeit, sich um den Jungen zu kümmern.

Mit gewaltigem Stimmaufwand gab er seine Befehle – und er hatte Glück: Die „Isabella“ gehorchte Ruder und Segeln, kam von der Karavelle, die sie gestreift hatte, wieder frei und gewann Raum. Ferris Tuckers Stimme donnerte durch den allgemeinen Aufruhr – und ein zweites Mal entluden sich die Kanonen an der Backbordseite. Diesmal aus allernächster Nähe. Keine der Kugeln verfehlte ihr Ziel. Die Wirkung dieser Breitseite war verheerend.

Die Karavelle legte sich unter der Wucht der Einschläge weit nach Steuerbord über. Ihre Bordwand zersplitterte unter den schweren Kugeln der „Isabella“, die Schreie an Bord der Karavelle verstummten, dann segelte die Galeone in freies Wasser.

Philip Hasard Killigrew sah sich um. Wo, zum Teufel, waren die beiden anderen Karavellen geblieben? Er entdeckte sie wenige Augenblicke später. Die eine hatte abgedreht. Die andere stand noch achteraus an Steuerbord, zu weit entfernt, um in den Kampf eingreifen zu können.

Hasard zückte sein Spektiv, richtete es auf die Karavelle, die direkt auf die beiden sinkenden Schiffe zuhielt. Und zu seinem Erstaunen sah er einen massigen Mann, der sich auf dem Achterkastell wie rasend gebärdete und drohend beide Fäuste in Richtung der Galeone schüttelte.

Dan war inzwischen wieder aufgestanden, Blut rann ihm von der Stirn. Sein Schädel schmerzte, als habe man ihm soeben einen Morgenstern um die Ohren geschlagen. Aber er grinste, wenn auch mit schmerzlich verzogenem Gesicht.

Hasard lachte.

„Die kommen sobald nicht wieder, Dan. Ich denke, die haben genug“, sagte er.

Der Junge nickte.

„Verdammt, ich könnte jetzt einen Schluck gebrauchen“, sagte er.

Hasard fixierte ihn aus schmalen Augen. Das Bürschchen gefiel ihm von Tag zu Tag besser.

„Wir können alle einen gebrauchen, nicht nur du, Dan“, sagte er dann. „Aber erst werden wir uns jetzt mal um das Schiff kümmern, ich denke, wir haben einiges abgekriegt. Los, ab mit dir, melde dich bei Ferris Tucker, der wird jetzt jede Hand brauchen können.“

Damit verließ er selbst das Achterkastell und stieg zum Quarterdeck hinab.