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W. A. Hary, Karl-Ulrich Burgdorf

Skull 003: Ein Quantum Hölle


Nähere Angaben zum Autor siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

SKULL 003

Ein Quantum Hölle

W. A. Hary: „Es ist nicht leicht, ein Dämon zu sein“

 

Ich bin Skull. Und ich war der mächtigste Pate in der Stadt des Verbrechens, jenem Moloch aus Abermillionen von Menschen, die täglich vor allem um eines kämpfen: Ums schiere Überleben!

Doch ich wurde alt und todkrank. Ich wusste, wenn meine Schwäche publik wurde, zersprang mein Imperium in tausend Fetzen. Denn meine Söhne und Töchter hassten sich gegenseitig bis aufs Blut. Ihre sieben Mütter lagen längst irgendwo auf dem Meeresgrund. Von ihnen war wohl kaum noch mehr übrig als die Betonschuhe, die ich ihnen mit auf den letzten Weg gegeben hatte.

Und da ging ich endgültig den Pakt mit dem Teufel ein. Ich hatte ihm ein Leben lang treu gedient und durfte endlich vom Menschen zum Dämon mutieren. Dabei jedoch, sozusagen auf halbem Wege, halb Mensch noch und bereits halb Dämon, geschah etwas, was ich mir bis heute nicht erklären kann: Ich sah endlich klar, begriff endlich, was in meinem Leben schief gegangen war. Und ich beschloss, alles zu tun, um es irgendwie wieder gut zu machen. Indem ich meine Position für immer aufgab und... Polizist wurde.

Dies ist meine Geschichte – und die Geschichte von Lucia Ferror, der ungewöhnlichsten Frau aller Zeiten…

 

Impressum

 

Idee, Realisierung und sämtliche Rechte weltweit: Wilfried A. Hary

 

Covergestaltung und Porträt Lucia Ferror: Anistasius

 

Porträt Skull: Michael Mittelbach

 

Erweitertes Copyright dieser Ausgabe:

© 2016 by HARY-PRODUCTION

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: wah@HaryPro.de

 

 Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

 

SKULL ist konzipiert als eine schwarze Serie im Bereich Dark Fantasy und beruht nicht auf Tatsachen! Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen oder Ereignissen sind rein zufällig!

 

Nähere Angaben zum Autor siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary

 

1


Der Hafen der Stadt, die ich nur noch Stadt des Verbrechens nannte, hatte aus unerfindlichen Gründen eine ganz besondere Anziehungskraft für mich. Deshalb war ich oft hier. Ganz privat. Vorwiegend nachts und vorwiegend dort, wo eigentlich nicht das Geringste los war um diese Zeit. Denn ich mochte keine hektische Betriebsamkeit, sondern kam hierher, um meine Gedanken zu ordnen. Immerhin in einer Umgebung, die von den meisten Menschen gerade wegen der schon unheimlichen Einsamkeit eher gemieden wurde.

Es sollte ja auch nicht wirklich ungefährlich sein, denn es war wie in jeder Stadt: Angrenzend an das Hafengebiet befanden sich zumeist die Viertel, in denen niemand wohnen wollte, wenn er nicht zwingend musste. Und solche heruntergekommenen Viertel auch noch besuchen mochte erst recht niemand.

Ich war da die Ausnahme. Ganz klar. Und vielleicht war es genau das, was mich immer wieder hierher zog?

Und was die Gefährlichkeit betraf: Bisher hatte mir hier noch niemand ans Leder gewollt.

Bisher wohlgemerkt!

In dieser Nacht sollte sich dies drastisch ändern. Das wurde mir spätestens dann klar, als ich die heisere Stimme hinter mir hörte:

„Stopp! Und greife in den Himmel, ehe ich abdrücke!“

Ich wandte mich stirnrunzelnd um, ohne auf die Forderung einzugehen.

„Greife in den Himmel? Wie bitte?“ Ich schüttelte den Kopf. „Wo hast du das denn her? Aus einem alten Western? Heutzutage sagt man vielleicht: Überfall! Oder: Geld oder Leben!“

„Geld oder Leben? Also gut: Her damit!“

Ich betrachtete den hochgewachsenen, ziemlich schlaksigen jungen Mann mit den Händen eines Klaviervirtuosen. In seiner Rechten sah der Revolver viel zu groß und vor allem viel zu schwer aus. Er musste sie mit der linken Hand sogar unterstützen.

Ich schätzte den Burschen auf vielleicht knappe Achtzehn. Das Zittern seines Körpers hatte auf die Hand mit der Waffe übergegriffen. Es würde ihm schwer fallen, mich zu treffen, obwohl ich nur wenige Schritte vor ihm stand. Und er ahnte noch nicht einmal, dass ich seine Nervosität nicht nur sehen, sondern auch riechen konnte.

„Was treibt dich denn dazu an?“, erkundigte ich mich mit sanfter Stimme und blieb einfach stehen. Dabei scannte ich sein Gehirn, um seine Gedanken zu belauschen.

Er war dermaßen durch den Wind, dass seine Gedanken vor mir lagen wie ein offenes Buch. Allerdings waren sie ziemlich chaotisch. Das Lesen bereitete alles andere als ein Vergnügen. Ich musste erst einmal dazu beitragen, dass sich das Chaos in seinem Kopf ein wenig legte.

Und er hatte immerhin mehr Angst vor mir als er von demjenigen erwartete, den er überfiel.

Nein, nicht wirklich ein Verbrecher. Das roch viel mehr nach einer Verzweiflungstat. Und genau das weckte meine Neugierde.

„Glaubst du wirklich, dass du mich triffst mit deiner Waffe, Billy Kane?“

„Billy…?“

„Ja, ich weiß, wer du bist, mein Junge. Warum tust du so etwas? Wieso überfällst du mich?“

„Ich – ich brauche das Geld!“

„Und wenn ich nichts bei mir habe? Nur mal angenommen. Würdest du dann wirklich schießen?“

Ich las in seinem Kopf ganz klar, dass er das überhaupt nicht fertig bringen würde. Allerdings hatte er das vorher gar nicht bedacht.

„Ich weiß, du hast mit dem Ding da in deinen zittrigen Händen geübt. Auf Zielscheiben, aber nicht auf Menschen. Es ist dein erster Überfall. Du hast dir mehr zugetraut als du wirklich zu tun in der Lage bist. Danke deinem Gott, dass es so ist – falls du noch einen hast. Willst du wirklich zu einem Mörder werden? Nur wegen ein wenig Geld?“

„Ich - ich brauche das Geld für meine kranke Schwester!“

Es war eine der ältesten Ausreden von Kleinkriminellen überhaupt, aber in diesem einen Fall stimmte es sogar. Auch das konnte ich in seinem Kopf lesen.

Ich ging auf ihn zu.

„Halt, stehenbleiben! Ich – ich schieße!“

Als ich nahe genug war, nahm ich ihm einfach die Waffe ab.

Billy Kane sank regelrecht in sich zusammen. Er stand da wie ein wankender Halm im Wind. Ich trat neben ihn und legte ihm den Arm beruhigend auf die Schultern.

„Alles in Ordnung Billy. Ich bin zwar ein Cop, aber ich werde dich jetzt nicht festnehmen.“

„Ein – ein Cop?“, stotterte er.

„Du bist nicht nur ein lausiger Verbrecher, sondern vor allem ein absoluter Pechvogel, und das macht dich mir nur umso sympathischer. Aber hast du schon einmal davon gehört, dass einer Glück im Unglück haben könnte?“

Er war unfähig, mir zu antworten. Wenn ich ihn nicht festhielt, kippte er mir hier doch tatsächlich aus den Latschen.

Ich hielt ihn fest.

„Pass auf, Junge, ich weiß, dass du mich nicht belügst. Deiner jüngeren Schwester geht es beschissen und das Geld ist alle. Du kriegst keinen ordentlichen Job, konntest dein Studium an der Musikhochschule nicht mehr fortsetzen und natürlich könnt ihr medizinische Hilfe für deine Schwester unmöglich bezahlen. Du bist nicht wirklich ein Verbrecher. Die Not hat dich dazu getrieben. Aber wo hast du eigentlich die Waffe her?“

Er antwortete mir nicht, aber ich las ja seine Gedanken:

„Aha, Billy, ich sehe schon, es ist so ziemlich das einzige, was dir dein Vater hinterlassen hat, außer der Wohnung, die ihr nicht mehr bezahlen könnt. Mit einem Haufen Munition, die du in erster Linie zum Üben benutzt hast. Dein Vater hat die Waffe gekauft, weil er Angst hatte. Die ist in dieser Stadt durchaus berechtigt. Doch sie hat ihm nichts genutzt. Er ist genauso verschwunden wie eure Mutter.“

„Woher – woher wissen Sie das alles?“, heulte Billy verzweifelt.

„Weil ich deine Gedanken lesen kann, mein Junge. Ich kann dir nur dringend raten, das Verbergen deiner Gedanken zu üben. Dies ist keine normale Stadt, wie du weißt. Es ist die Stadt des Verbrechens, und hier laufen Typen herum wie ich, die Gedanken lesen können.“

„Tatsächlich?“

„Wieso sind deine Eltern plötzlich beide verschwunden, was euch letztlich in dieses Elend gestürzt hat?“

„Ich – ich weiß es nicht.“

Das war die Wahrheit.

„Also gut“, beschloss ich. „Gehen wir zu deiner Schwester. Ich will sie mir ansehen. Ich will wissen, was sie hat.“

„Nein!“, widersprach er mit fester Stimme. „Ich werde Ihnen nicht zeigen, wo wir wohnen.“

„Aha? Du traust mir immer noch nicht?“

„Sollte ich denn?“

„Alles klar, kann ich verstehen.“ Ich ließ ihn los. Jetzt schaffte er es auch ohne meine Unterstützung, stehenzubleiben. „Vorschlag: Ich gehe schon mal voraus. Ich kenne ja jetzt die Adresse. Aus deinem Kopf. Wenn du willst, kannst du mir folgen. Wenn nicht… Du kannst hingehen, wohin zu willst.“

„Sie – Sie werden mich nicht festnehmen?“

„Ist das denn nicht sowieso schon klar, Billy? Immer in der Hoffnung, dass sich so ein Vorfall nicht wiederholt, verstanden?“ Ich reichte ihm die Waffe. „Hier, ich brauche sie nicht. Ich habe ja meine Dienstwaffe. Und es ist allemal besser in dieser Stadt, wenn man bewaffnet ist. Schließlich kann man nicht wissen, wer es darauf anlegt, einen zu überfallen, nicht wahr?“

Er nahm die Waffe entgegen und betrachtete sie in dem diffusen Licht wie eine Fata Morgana.

Ich achtete gar nicht darauf, sondern wandte mich zum Gehen.

„Und Sie können wirklich meine Gedanken lesen?“, erkundigte er sich.

Ich antwortete gar nicht. Dann hörte ich seine Schritte hinter mir. Er hielt Abstand, weil er immer noch misstrauisch war.

Ich konnte es ihm nicht verdenken und war erst einmal neugierig auf seine kranke Schwester.