Aus der Presse

„Ein Buch, das nicht nur das Leben einer der schillerndsten Personen der Alpingeschichte nacherzählt, sondern es möglich macht, große alpine Taten besser zu verstehen.“ – Klettern

„Ein Buch, das man in einem Zuge auslesen kann.“ – DAV-Panorama

„Ein erstklassiges, von Anfang bis zum Ende spannendes Bergbuch.“ – Österreichischer Alpenverein

„Der kleine Kaminfeger war über seine großen skifahrerischen Leistungen hinaus eine Figur der Alpingeschichte, die ein solches retrospektives Buch durchaus verdient hat.“ – Neue Zürcher Zeitung

„Das Buch lässt erahnen, was für ein Mensch Heini Holzer war, wie er dachte, was ihn motivierte.“ – Alpin

„In spannender, aufrichtiger, aber ganz und gar nicht reißerischer Weise lässt uns Holzer an den Abfahrten teilnehmen. Tiefsinnige, beinahe philosophisch wirkende Randbemerkungen, die weit in eine sensible Bergsteigerseele blicken lassen, viele Bilder, das Vorwort Reinhold Messners und viele objektiv urteilende Zeitzeugenberichte machen dieses Buch zu einem Kleinod der Alpinliteratur.“ – Bergnews

© Edition Raetia, Bozen 2015

Vierte Auflage

Originalausgabe 2000

Herausgeber:

Alpenverein Südtirol

Alpenverein Südtirol

Umschlagfoto von Martin Fliri Dane;

Heini Holzer am Piz Palü

Grafik und Layout: Dall’O & Freunde

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

ISBN Print: 978-88-7283-294-3

ISBN E-Book: 978-88-7283-545-6

Unser Gesamtprogramm finden Sie unter www.raetia.com

Fragen und Anregungen richten Sie bitte an info@raetia.com

Alle Geschichte ist Legende. Jedes Zeitalter, ja fast jede Generation hat ein anderes Ideal, und mit dem Ideal ändert sich auch der Blick in die einzelnen großen Abschnitte der Geschichte.

Egon Friedell

Meine Spur, mein Leben

Meine Spur ziehe ich am liebsten,

wohin keine andere führt.

Ich kann zurückblicken

und sie beurteilen,

was ich sonst nicht könnte,

weil sie sich durch die vielen anderen

verlieren würde.

Auch mein Leben

will ich unter Kontrolle haben.

Darum gehe ich einen eigenen Weg,

dem nicht jeder folgt.

Heini Holzer

Mein Spielzeug

Oft denke ich an meine Kindertage, ich hatte kein Spielzeug zum Spielen, aber was ich hatte, war die Natur mit ihren Blumen und Tieren und mit ihrer Freiheit. Auch heute finde ich das noch in meinen Bergen.

Ein Leben, für den Berg

Schwierige Kindheit

Heinrich Holzer kommt am 7. April 1945 in Taufers im Münstertal (Südtirol), während des Überflugs eines amerikanischen Bombengeschwaders, zur Welt. Er wird in ärmlichste und unstabile Verhältnisse hineingeboren. Seine 28jährige Mutter, Maria Defatsch aus Matsch, seit 1943 mit dem Schlanderser Richard Holzer (geb.1914) verheiratet, vermißt ihren Mann bereits seit einem halben Jahr an der Ostfront. Die Mutter arbeitet als Magd auf einem Bauernhof in Taufers und muß das Neugeborene untertags zu einer verwandten Bauersfamilie in Pflege geben. In Ermangelung fehlender Muttermilch stillt die Tauferer „Schloßhof“-Bäuerin das Pflegekind zusammen mit ihrem eigenen.

Ich bin vielleicht hart zu verstehen.

1946 zieht die Magd mit ihrem Kleinen auf den „Brunnerhof“ nach Schenna. Unweit davon arbeitet ihr neuer Lebenspartner Josef Kröss (geb.1904) als „Wirtschafter“ auf dem „Greiterhof“. Ihn heiratet die junge Witwe ein Jahr später, nachdem aus Deutschland eine offizielle Bestätigung über den Tod ihres vermißten Ehemannes eingetroffen ist. Oberhalb von Schenna bezieht die junge Familie das „Salchthal“, ein ärmliches 1500 Meter hoch gelegenes Holzhäuschen. Wenngleich in bescheidensten Lebensverhältnissen und weit abseits des dörflichen Geschehens, wächst Heini inmitten einer prachtvollen Naturumgebung heran.

Heini ist zwei Jahre alt, als seine Stiefschwester Waltraud geboren wird; mit fünf Jahren versucht sich der Knirps als Gehilfe beim Hüten am Fuß des imposanten Ifinger. Auf seinen Entdeckungszügen durchstreift das Kind seine nähere Oberschennaer Umgebung. Es scheinen diese allerersten Lebensjahre zu sein, in denen in Heini jene tiefe Naturverbundenheit heranwächst, die ihn zeitlebens prägen wird.

Maria Defatsch und Richard Holzer. Heirat der Eltern in Zeiten des Krieges.

Anfang der 50er Jahre zieht die Familie nach Latsch. Im hinteren Martelltal bauen die Montecatini-Werke einen Staudamm. Heinis Stiefvater verspricht sich bessere Verdienste und läßt sich als Stollen-Arbeiter anwerben. In Latsch verbringt der Bub seine ersten beiden Schuljahre. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie bleiben jedoch äußerst bescheiden, zumal der Stiefvater zu trinken begonnen hat.

Die Sommermonate über muß der Bub gewissermaßen auf sich selbst schauen: Gegen Kost und Logis hilft er im „Hotel Post“ im benachbarten Suldental aus, hütet die Ziegen des Hauses und die einiger Bauern. Nach nur zwei Jahren steht ein neuer Wohnortswechsel an:

Ärmlichstes Zuhause in prächtiger Umgebung. Im „Salchthal“-Höfl auf dem Oberschennaer Berg verbringt Heini Holzer einige seiner ersten Lebensjahre.

Um noch näher an seinem Arbeitsplatz zu sein, zieht Josef Kröss samt Familie ins nahe Dorf Martell. Dort kommt im Jahr 1953 Heinis Stiefbruder, Alois, zur Welt.

Wiederum gilt es für den schmächtigen achtjährigen Buben, sich in Martell an ein neues Umfeld zu gewöhnen, neue Freunde zu finden. Gewährt bleibt indessen die sommerliche Hirtentätigkeit Heinis in Sulden. Dort spürt er dem Wild nach, sammelt Geweihstücke und Vogelfedern, sucht die Felsen der Rosimwände nach den Nestern der Raubvögel ab. Allmählich interessiert er sich auch für Mineralien und Bergblumen, und Heini beginnt mit jener Beschäftigung, der er auch im Erwachsenenalter leidenschaftlich frönt: er sammelt – kistenweise.

Allgegenwärtig in seinem Blickfeld bleiben die mächtigen Eiswände von Königsspitze, Zebrù und Ortler. Und die Ortler-N-Wand, so erzählen sich die älteren Hirtenbuben im Tal, sei nach den Erstbezwingern schon ein Vierteljahrhundert niemand mehr hinaufgekommen …

Huflattich war die erste Blume, die ich in ein Gefäß einpflanzte und sehen mußte, wie sie abstarb. Damals weinte ich, kam mir vor wie ein Mörder, der ein Leben vernichtet hatte.

Für Heini sind die jeweiligen Sommer eine relativ unbeschwerte Zeit, wenngleich er als Hirte sehr viel allein ist. Ernsthaft wird sein Hüter-Dasein nur einmal unterbrochen: Man unterstellt ihm, etwas entwendet zu haben. Der Bub sieht sich zu Unrecht beschuldigt und läuft über das Madritschjoch ins hintere Martelltal hinunter, wo er den Stiefvater an der Stollenarbeit weiß. Dieser hat für Heinis Anliegen jedoch nichts übrig und versetzt dem Buben eine Ohrfeige. Von dieser wird Heini noch als Erwachsener sprechen. In Latsch schließlich setzt die Mutter den heulenden und verstörten Buben ins nächste Postauto nach Sulden. Für Heini ein traumatisches Ereignis, das ihn endgültig von seinem Stiefvater distanziert und ihn eine bittere Lektion lehrt: im Notfall nur auf sich allein gestellt zu sein. Selten früh muß sich Heini seiner Einsamkeit bewußt werden: Ist die Menschenferne ein mögliches Zuhause?

Bedingt durch den häufigen Wohnortswechsel der Eltern schult Heini während seiner Grundschulzeit dreimal neu ein. Bleibende Freundschaften sind so gut wie unmöglich.

Die Identität seines richtigen Vaters indessen wird Heini von seiner Mutter verschwiegen. Erst sehr viel später, als junger Mann, wird er diesen – anläßlich eigener Nachforschungen – das erstemal auf einem Foto sehen.

Nach knapp drei Jahren steht wieder ein Umzug an. Zurück ins Burggrafenamt, nach Riffian, wo sein Stiefvater die Arbeit bei einer Baufirma aufnimmt. In Riffian beendet Heini auch die Volksschule und muß ausschulen.

Lehrjahre

An den ärmlichen Verhältnissen der Familie ändert sich auch mit der neuen Arbeit des ungeliebten Stiefvaters wenig; dieser trinkt in einem fort. Familiäre Geborgenheit gibt es nur ansatzweise. Heini Holzers Kleinwuchs ist mittlerweile augenscheinlich und – wie für jeden Jungen – ist er Nährboden für Minderwertigkeitskomplexe, Nichtigkeitsängste. Heini entwickelt einen überdurchschnittlich starken Ehrgeiz, der ihn in Wettkämpfen, Läufen und später am Berg alles geben läßt. Einem Wettkampf gleich, mißt er sich bei seinen späteren Alleingängen an den Begehungszeiten seiner Vorgänger, um jene beinahe regelmäßig zu unterbieten.

Körperlich schmächtig und sehr sensibel, findet Heini in diesen Jahren nicht die notwendige Beachtung und Ermutigung. Die Kräfte der Mutter werden von der täglichen Sorge um die materielle Existenz, vom Kampf um den Familienfrieden und der notwendigen Fürsorge für Heinis kleinere Geschwister aufgezehrt. Heini verschließt sich zusehends: nicht aber vor den kleineren Geschwistern. Diese „halten zusammen wie Pech und Schwefel“ (Alois Kröss). Und dies über die Jugendjahre hinaus.

Um ein Zubrot bemüht, begibt sich die Mutter mit ihren zwei ältesten Kindern zeitweilig ins nahe Saltaus: Gemeinsam singt man dort in einer Pension vor Touristen – Heini begleitet Mutter und Schwester auf seiner Mundharmonika und Gitarre.

Auch während der Jahre in Riffian wird der Junge zur Entlastung der Familienkasse zum Hüten ins hintere Passeiertal geschickt. Zwei Sommersaisonen lang hütet er unweit des Jaufens, im Passeirer Waltental, das Galtvieh. Er freundet sich mit einem Jagdaufseher an, der ihm Einzelheiten der alpinen Tierwelt näherbringt. Der Berg, dessen Fauna und Flora – sie prägen sich dem jungen Heini Holzer endgültig ein. Am Berg findet er jene elementaren Gewißheiten und Freuden, die ihm anderswo verwehrt bleiben; dort kann sich Heini bewähren. Die Natur urteilt nicht, verurteilt niemanden.

Der erste Bergausflug mit dem AVS bringt Heini Holzer auf den Schlerngipfel; akribisch genau führt der Jugendliche fortan Buch über seine Bergfahrten.

Ende der 50er Jahre beginnt Heini Holzer mit der Kaminkehrerlehre in Marling bei Meran. Das wenige Lehrgeld muß er zu Hause abgeben. Doch mit dem Trinkgeld, das er bei seiner Arbeit erhält, kauft sich Heini Ausrüstungsgegenstände für seine ersten Bergtouren.

1960 schließlich erneuter Wohnortswechsel: Die Familie kehrt nach Schenna zurück. Die wirtschaftliche Situation verbessert sich leicht. Die Mutter vermietet einzelne Zimmer an Feriengäste; der Vater, schwergezeichnet, läßt vom Alkohol.

In Schenna ist der 15jährige sofort wieder an seinem Hausberg, dem Ifinger, unterwegs. Dort beginnt er auch mit seinen ersten ernsthaften Klettertouren. Das Wissen rund um Seil- und Sicherungstechnik erliest sich der Autodidakt aus einer kleinen Kletterfibel. Der Eintritt in den Bergrettungsdienst bringt ein übriges an Detailwissen rund um die Seiltechnik mit sich.

Es folgt die Mitgliedschaft im Südtiroler Alpenverein AVS. Über die Vereinsfahrten eröffnen sich für den mittellosen Jugendlichen bislang unerreichbare Berge: der Rosengarten, die Dolomiten, die Zillertaler Alpen, ja sogar die Berninagruppe. Während die große Mehrzahl der AVS-Ausflügler die angepeilten Gipfel über Normalwege erreicht oder auf Almhütten verweilt, nützt Heini Holzer die Gelegenheit für schwierigere Gipfelanstiege. Einer seiner ersten AVS-Ausflüge bringt ihn in den Rosengarten: Dort erklimmt er die gleichnamige Spitze über den Südgrat mit Stellen im IV. Schwierigkeitsgrad; im Anschluß, macht sich Holzer in den nahen Vajolettürmen an die Delagokante, um sie in eineinviertel Stunden hinter sich zu bringen. Zuweilen wartet auch schon mal eine ganze Ausflugsgesellschaft auf den rastlosen Jugendlichen. Der Ruf des Eigenbrötlers und Individualisten ist ihm sicher. Dieser Stempel wird ihn zeitlebens begleiten.

Hermann Buhl ist mein Vorbild. Auch er war oft als Alleingänger unterwegs. Wenige verstanden ihn. Ich las sein Buch – keines verstand ich so gut wie dieses.

In Wiesen in Pfitsch absolviert der Kaminkehrerlehrling an Wochenenden die ausbildungspflichtige Berufsschule. Von Wiesen aus begeht der Bergbegeisterte teils allein, teils in Begleitung anderer Kaminkehrerlehrlinge einige Gipfel des Pflersch- und Pfitschtales: Die Erkundung von Stubaier und Zillertaler Alpen steht an. Auf seinem Programm stehen Normalwege, aber auch schwierigere Aufstiege wie etwa der Westgrat am Goldkappl in der Tribulaungruppe. Dort wähnt sich der junge Bergsteiger auch auf Tuchfühlung mit seinem größten Vorbild, Hermann Buhl. Dieser war rund 15 Jahre zuvor ebendiesen Grat bei Nacht abgestiegen, nachdem er mit einem Gefährten in der Südwand nur knapp einer Katastrophe entgangen war. Buhls Südwand, vielleicht ist auch sie einmal in Reichweite …

An den freien Wochenenden seiner Lehrzeit klopft Holzer fast sämtliche Gipfel „seiner“ Texelgruppe ab. Das Bestreben, sich im Hochgebirge zu bewähren, und zwar zu jeder Jahreszeit, läßt ihn auch gefährliche winterliche Alleingänge, vorwiegend zwischen Tschigat und Similaun, unternehmen. Heini Holzer sucht das Extreme und darin letztlich wohl sich selbst. Das Vorankämpfen in hüfthohem Schnee, das Sichabhärten ist ganz nach seinem Geschmack. Es dient dem Bestehen des Daseins. Sein Erfahrungsdrang im kombinierten Gelände läßt sich nur von akuter Lawinengefahr einbremsen: für den Unermüdlichen die einzige Legitimation, umzukehren. Heini, dem nie etwas geschenkt worden war, schenkt auch sich selbst nichts.

In den Vajolettürmen begibt sich Holzer erstmals auf klassische Kletterfahrt. Am Delagoturm klettert er die gleichnamige Kante (punktierter Routenverlauf).

Klettern als Daseinsform

Nach dreijähriger Ausbildung legt Heini Holzer 1962 die Gesellenprüfung ab. Nachdem er vom Militärdienst wegen seines Kleinwuchses freigestellt wird, beginnt das Arbeitsleben. Es erweist sich kräftezehrender und aufreibender, als es dem Jugendlichen lieb ist, fallen doch mehrere größere Dörfer in das Arbeitsgebiet seines Chefs in Marling. Die Freizeit ist knapp bemessen. Zu knapp.

Zufall oder nicht – mit dem Eintritt ins Berufsleben werden auch die Klettertouren mit einem Mal anspruchsvoller. Hatte sich Heini Holzer bislang sehr bedächtig den höheren Schwierigkeitsgraden angenähert, so stellt der Sommer ’63 die Wende hin zur Extremkletterei dar. Während er noch zunächst auf IVer und Ver-Touren unterwegs ist, wie beispielsweise an den Südwänden von Scheibenspitze, Euringer, Grohmannspitze und Marmolata oder der Dibonaführe der Rotwand, so schlägt der junge Holzer am Winklerturm indessen ein neues Kapitel auf.

Mit der Winklerturm-S-Wand in den Vajolettürmen schafft der 18jährige im Seil mit dem Meraner Dieter Drescher seine erste Tour im VI. Schwierigkeitsgrad. Ob freie oder künstliche, sprich hakentechnische Kletterei: VI+ gilt in diesen Jahren als die oberste Grenze des Kletterbaren. Heini Holzer darf sich in Südtirol fortan zum kleinen Kreis der sogenannten Extremen zählen.

Klettern ist kein Spiel mit dem Leben, sondern mit dem Berg.

Erfahrungshungrig beginnt Holzer die Grenze des Kletterbaren auszuloten. Die Eisensteckenroute am Fensterleturm im Rosengarten, die UKK-Führe auf die Scheibenspitze und die SW-Wand des Margarethenturms dienen ihm in der Folge als ideales Experimentierfeld. In einigen Mitgliedern des exklusiven zehnköpfigen Meraner Kletterklubs UKK (Unsere Kletterkameraden) findet Holzer zudem auch gleichgesinnte Partner für seine gewagten Touren.

Um mit den sprichwörtlich Großen mitzuhalten, gilt es für Heini mit 1,53 m Körpergröße das Manko seines Kleinwuchses wettzumachen. Nachdem auf vielen Führen entscheidende Haken für den kleinen Mann zu hoch geschlagen sind, bastelt er sich eine künstliche Verlängerung: ein zirka 30 cm langes Drahtgestänge, mit dessen Hilfe er Seilschlingen, Trittleiter usw. in unerreichbare Haken einzuhängen vermag. In der Blütezeit der künstlichen Kletterei, wo technische Hilfsmittel den Traum der Machbarkeit „unmöglicher“ Wände realisieren helfen, fällt Holzers „Griff-Fiffi“ – in Bekanntenkreisen „Schiarhangl“ (Schürhaken) genannt – höchstens als Kuriosum auf. So gut wie unsichtbar indessen erweist sich Holzers Messerhaken, der, in kleinste Ritzen geschoben, zum Einhängen der Trittleiter dient.

In der Ifinger-Nordwand. Immer wieder ist Holzer an seinem Hausberg unterwegs.

Nahezu sämtliche Klassikertouren im Südtiroler Umfeld liegen nunmehr im Bereich des Machbaren. Doch der Hauch des Unberührten, welchen Holzers Vorbilder Auckenthaler, Comici, Micheluzzi, Rebitsch – um nur einige zu nennen – spürten, hat sich in den Dolomiten bereits seit Jahren verzogen; für den Tatendrang eines jungen Mannes, der sein Leben bedingungslos dem Berg verschrieben hat und dessen Tourenprogramm (noch) von Geldnot bestimmt wird, eine beträchtliche Einschränkung. Zudem wissen Holzers Eltern nichts von den extremen Touren Heinis. Lediglich seine Geschwister haben von der heimlichen Leidenschaft Kenntnis: Wenn Heini sich offiziell zu einer „Wanderung“ verabschiedet, sind sie es, die ihm, versteckt vom Fenster aus, die Klettersachen nachreichen.

In den erschlossenen Alpen dieser frühen 60er Jahre ist so etwas wie alpine Pionierluft beinahe nur mehr bei Winter-Erstbegehungen zu schnuppern. Wie viele andere Extrembergsteiger erblickt auch Holzer darin eine Möglichkeit, knapp gewordenes Neuland zu betreten. Und offengebliebene Probleme im kombinierten Gelände gibt es zudem in einer nahen Berggruppe, die Holzer seit Kindestagen vertraut ist: an den Eiswänden und -graten der Ortlerberge.

Mit Helmut Larcher und Dieter Drescher geht er im Winter ’64 die Nordwand des Ortlers an: zwar „nur“ als Winter-Zweitbegehung, doch der Abstieg durch die Schückrinne ist als Premiere geplant.

Die Nordwand! Seit Kindestagen hat dieser Eiskanal Heini beeindruckt. Nun endlich geht er sie an. Hans Ertl, der Erstersteiger, hatte sich drei Jahrzehnte zuvor nicht gerade mutmachend geäußert:

„An dieser 1400 m hohen Wand, einer lotrechten Eismauer, zu deren beiden Seiten reiche Vorräte an Stein- und Eisschlag-Munition in den Wülsten und Überhängen vorbereitet sind, haftet das Auge des gewöhnlichen Sterblichen nur mit Grauen. Und wer dem Toben und Heulen der Stein- und Eislawinen gelauscht, die von Zeit zu Zeit die Wand herabdonnern (…), der wendet entsetzt den Blick weg von dem schaurigsten aller Erdenwinkel und kann verstehen, daß es bisher keinem Menschen gelang, sich dort in einem Lotteriespiel einen Weg zu erkämpfen.“

Unter dem Stichwort „Die weiße Hölle“ schreibt Holzer ungewohnt schreibfreudig in sein Tourenbuch: „Die Nordwand hatte gute Verhältnisse, aber Staublawinen grollten über unsere Köpfe. Mir persönlich fegten zwölf über den Rücken. Alles ging gut, außer dem Nervenkitzeln und der Todesangst.“

Der Nervenkitzel dauert acht Stunden, doch die Beinahe-Katastrophe passiert beim Abstieg in der Schückrinne. Eine der zahlreichen Schneerutschen, welche die drei selbst lostreten, reißt die Angeseilten mit sich. Holzer und Gefährten stürzen über 300 Meter die Rinne hinab. „Ich dachte an zu Hause und an das Ende.“ Bei Stillstand der Lawine bleibt Heini Holzer dank seines Federgewichts und der geistesgegenwärtigen Schwimmbewegungen als einziger unverschüttet. Unverletzt befreit er seine ohnmächtigen und nur leicht verletzten Seilpartner aus der eisigen Todesfalle.

Auszug aus dem Tourenbuch Holzers vom Sommer 1962.

Das Unglück tut Holzers bergsteigerischer Betriebsamkeit keinen Abbruch – im Gegenteil:

Die erstmals spürbar empfundene Möglichkeit des Todes, in Verbindung mit dem unerschütterlichen Bewußtsein des eigenen Könnens, stellt für Heini Holzer ein seltenes Lebenselixier dar. Nur der Berg verspricht ihm Lebensglück; nur dort ist der gläubige Christ sich und der Schöpfung am nächsten.

Die Felsen, das Eis, sie sprechen zu mir; sie lassen mich tiefer denken, denn ich habe nichts außer mich selber.

Es folgt die Erstbegehung des Nordpfeilers der Thurwieserspitze (Ortlergruppe). Mit dieser Tour betritt Holzer auch in einer zweiten Hinsicht Neuland. Der „Feger“, wie der neunzehnjährige Kaminkehrer in der Kletterszene nunmehr genannt wird, schreibt das erste Mal für die Alpinseite der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“. Für ihn eröffnen sich damit ungeahnte Möglichkeiten. Erstmals kann er die eigenen Leistungen einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren und im medialen Forum der lokalen Größen – nebst Tourenvorschlägen – auch seine eigene alpinistische Sichtweise darlegen.

Die Suche nach Bestätigung und Anerkennung auf der einen Seite, Bescheidenheit und Verschlossenheit auf der anderen – in seinen schriftlichen Beiträgen lebt Holzer diesen Widerspruch geradezu auf exemplarische Weise. Sich in alpinistischen Belangen zu Wort zu melden, ist ihm jedoch auch eine Herzensangelegenheit. Selbst Idealist und Naturromantiker und wenngleich sehr einfach und sachlich schreibend, scheint ihm der verklärende, naturromatische Geist der „Bergsteiger“-Seite auf den Leib geschrieben. Hier wird er verstanden und kann – ja soll sogar! – von sich und seinen Bergen erzählen. „Der Bergsteiger in den Dolomiten“, die einzige langjährige Tageszeitungsbeilage im deutschen Sprachraum, wird Heini ein zweites Zuhause, wenngleich er sich später auch noch in den Alpinzeitschriften „Bergsteiger“ und „Alpinismus“ einen Namen machen soll.

Zu Hause in Schenna hat Heini Holzer seit dem glimpflichen Absturz in der Schückrinne außerdem nichts mehr zu verheimlichen. Selbst im Radio wird von der Beinahe-Tragödie berichtet. Heinis Leidenschaft bleibt bei Mutter und Stiefvater unverstanden, ja sie wird mißbilligt.

Was aber ist das für ein Zuhause, wenn selbst Grundbedürfnisse verleugnet werden sollen?

Unverstanden bleibt Heini Holzer zuweilen aber auch unter Berggefährten.

Als eigenwillige Persönlichkeit eingeschätzt, gilt er in Meraner Alpinkreisen nicht als der Pflegeleichteste. Bei Skitouren zieht er mitunter sprichwörtlich seine eigene Spur, ja biwakiert auch schon mal abseits, um am nächsten Tag seine Aufstiegsroute selbst und ohne Diskussionen bestimmen zu können. In alpinistischen Fragen gibt er sich streitbar, Übertreibungen und alpinistisches Jägerlatein mißbilligt er aufs schärfste. Was die Tourenwahl anbelangt, hat Holzer zudem genaue Vorstellungen: Für fade Kompromisse ist die Zeit am Berg zu knapp. Herdenmensch um der Herde willen – dafür ist der Individualist Holzer nicht zu haben.

Mit Bergfreunden auf Skitour. Von links nach rechts: Ulli Kössler, Fritz Pichler, Heini Holzer und Walter Alber.

Nichtsdestotrotz gibt er sich gesellig und ist als musizierender Stimmungsmacher überall gern gesehen. Als Kletterpartner ist er zudem äußerst zuverlässig und gefragt. Holzer ist bekannt dafür, schwierige Routen bis ins kleinste Detail vorzubereiten. Für Meraner Topkletterer, wie Leo Breitenberger oder Helmut Larcher, ein willkommener Aspekt, wenn es an Zitterpartien wie die Westverschneidung der Punta Pilatus in der Kreuzkofelgruppe geht.

An letzterer ist Holzer besonders gelegen. Die beim Erstbegeher, dem Lienzer Extremkletterer Sepp Mayerl, eingeholten Informationen sind knapp und eindeutig: „Wenn ihr die (Westverschneidung, Anm. d. Hrsg.) schafft, dann könnt ihr in den Dolomiten alles machen.“

Ich habe es sehr eilig, beruflich. Doch schauen für mich Metallski und Schnallschuhe heraus. Vier Tage Stiegen auf und ab, jeder Kundschaft ein Händedruck, gutes Neujahr und Gesundheit anwünschen, ca. tausend Kundschaften. Dann die Silvesternacht auf den Bällen. Es sind fünf Bälle abzuklopfen, Neujahr dann weiter. Ja, Beruf ist Beruf.

Das sitzt. Seilpartner Larcher erfährt von den bevorstehenden Schwierigkeiten nichts – im Gegenteil: Es sei eine unschwere Tour, läßt Holzer wissen. Die Notlüge hat für Holzer ihren guten strategischen Grund: Zumindest einer sollte diese Zweitbegehung unbelastet angehen können.

Die Schwierigkeiten in der „Mayerl-Verschneidung“ lassen nicht auf sich warten. Holzer rutscht als Führender auf den nassen Platten an der Schlüsselstelle aus und baut seinen bislang schlimmsten Sturz. Er fällt rund 30 Meter ins Seil – ohne größeren Schaden zu erleiden. Nach 12 Stunden Kletterzeit und neun Seillängen ist auch dieser bislang schwierigste Brocken geschluckt. Knapp schreibt Heini Holzer in sein Tourenbuch: „sehr schwierige Tour“.

Freunde und Rosinen

Immer wieder zieht es Heini Holzer in das fels- und eiskombinierte Gelände der Ortlergruppe. Doch der Traum von der ersten Solo-Winterbegehung der Ortler-Nordwand währt nur kurz: Auch für die erste Solobegehung der Nordwand der Königsspitze kommt der Tatendurstige zu spät. Dieter Drescher kommt ihm zuvor. Als nach einem abgebrochenen Versuch Holzers schließlich auch noch die winterliche Erstbegehung am Ortler Marltgrat ohne ihn im Februar 1965 fällt – Drescher und Larcher verbuchen diese nach dreitägigem Schneesturm für sich –, ist es um die „Pioniertaten“ in dieser Berggruppe vorerst geschehen.

Doch Holzer ist mit den Spielregeln der „Extremen“ längst vertraut: Man bleibt sich und den anderen nichts schuldig. Trotz aller Kameradschaftlichkeit sind die seltenen Lorbeeren hart umkämpft. Heini selbst schweigt sich über Erstbegehungen eisern aus. Auch zeitweilige Seilpartner sind im alpinistischen Erstbegehungs-Wettlauf mögliche „Konkurrenten“.

Mit Renato Reali (rechts) auf Buhls Spuren am Piz Ciavazes.
Auf Anhieb gelingt den beiden Freunden die begehrte Zweitbegehung.

In Ermangelung bedeutender Wanderschließungen rückt bei manchen Extremen ein anderer Maßstab für Leistungsfähigkeit in den Mittelpunkt: die Begehungszeit.

Heini Holzer entwickelt sich zum glühenden Vorreiter eines solch sportlich orientierten Tempobergsteigens. Im meist zu seinen Gunsten ausfallenden Vergleich mit vorausgegangenen Begehungszeiten vergewissert er sich der eigenen Leistungsfähigkeit – und des eigenen Selbstwerts.

Einen völlig Unbedarften hinsichtlich der extremalpinistischen Gepflogenheiten lernt Heini an seinem Hausberg kennen: Renato Reali, einen jugendlichen Alleingänger. Vom Klettern versteht der italienischsprachige Meraner so gut wie nichts. Doch als ihn Holzer unvermittelt von der Wand herab einlädt, am heruntergelassenen Seil nachzusteigen, und dieser auch noch eine überhängende Rißverschneidung im Nu hinter sich bringt, wird klar: An Holzers Seite befindet sich ein Ausnahmetalent.

In Reali findet Holzer einen idealen Partner und Freund. Nachdem er diesen in die Seil- und Sicherungstechnik eingewiesen hat, gelingen den beiden bedeutende Touren. Darunter sind die Südwand der Großen Cirspitze in der Sellagruppe, die – nach Buhl – zweite Begehung der Kleinen Südverschneidung am Piz Ciavazes, die Nordwand des Comiciturms. Wände an der Sturzgrenze.

Die Zweierseilschaft erregt aber nicht nur wegen ihrer extremen Kletterfahrten Aufmerksamkeit. Mit einem „Walschen“ – sprich einem Italiener – auf Südtirols Bergen unterwegs zu sein, ist in den politisch heißen 60er Jahren bei der großen Mehrheit der deutschsprachigen Südtiroler immerhin erstaunlich. Nur wenige Jahre nach der berüchtigten „Feuernacht“, der von Südtirol-Aktivisten durchgeführten Attentatswelle und den anschließenden Verhaftungen, wird in deutschen Kreisen generell und vorwiegend die Sprachgruppentrennung praktiziert. Vor diesem Hintergrund passiert es, daß dem unorthodoxen Gespann Holzer/​Reali auf einzelnen AVS-Schutzhütten von deutschsprachigen Südtiroler Bergsteigern ein rauher politischer Wind entgegenschlägt. Um die Ifingerhütte bittet Reali seinen Freund einen Bogen zu machen, auf der „Schlernbödelehütte“ will man Reali gar den Eintritt verwehren. Für Holzer kennt Kameradschaftlichkeit, zumal eine solche am Berg, keine politischen oder sprachlichen Barrieren. Interethnisch ist der an und für sich unpolitische Holzer aus einem natürlichen, intuitiven Empfinden heraus. Damit ist er seiner Zeit weit voraus.

Mit knapp 21 Jahren kann Heini Holzer bereits eine beachtliche Tourensammlung vorweisen, darunter einige der schwierigsten Führen in den Dolomiten. Doch Holzer will mehr. Bei einer Winterüberschreitung der Plattenspitzen in der Ifingergruppe mit seinem Klettergefährten und Freund Hans Authier kommt Holzer im jugendlichen Überschwang in seinem Schneebiwak eine zündende Idee: nämlich nichts weniger als einer der allerbesten Extrembergsteiger der Welt zu werden. Für Holzer, dem das Klettern zur alles bestimmenden Daseinsform geworden ist und der bislang nur am Berg seinen Selbstwert erkennt, ein durchaus legitimes Ziel. Daß er der beste Steilwandfahrer werden sollte, davon freilich ahnt er noch nichts.

Torre Trieste, der Turm der Türme in der Civetta, mit der von Holzer nachgezeichneten Cassin-Route.

Und als ginge es daran, für sein hochgestecktes Ziel die Voraussetzungen zu schaffen, geht Heini Holzer klassische Routen im höchsten Schwierigkeitsgrad an – im Winter. An der Westwand der Rotwand in der Rosengartengruppe schafft er erstmals die Eisensteckenführe als Winterbegehung. Nach dem Scheitern an der Verschneidung der Mugoni-S-Wand auf den Spuren Vinatzers belagert er mit seinem getreuen Seilgefährten Authier die Geierwand in den Sextner Dolomiten, um schließlich deren Südwandverschneidung als erste Winterbegehung hinter sich zu bringen.

Doch um in die internationale Elite vorzustoßen, bedarf es der Lösung von gewichtigeren „Problemen“, keiner auch noch so schweren Kurztouren. Etwa eines winterlichen Alleingangs durch die Nordwand des Matterhorns. Mit einer solchen Unternehmung hatte beispielsweise ein Walter Bonatti 1965 Alpingeschichte geschrieben. Die großen Wände der Alpen aber liegen (noch) nicht in Reichweite des aufstrebenden Jungkletterers aus Schenna.

Immerhin schafft sich Holzer mit neuen Freundschaften beste Voraussetzungen für eine mögliche Realisierung seiner Träume. Nach Reali lernt er – nach vorausgegangenem Briefkontakt – den Lienzer Sepp Mayerl nun auch persönlich kennen. Gemeinsam geht man im Sommer 1965 mit Helmut Larcher und Sepp Hölzl die Westwand des Campanile Basso an. Beweise für Holzers Kletterfähigkeiten braucht Kirchturmrestaurator Mayerl keine mehr. Ihm ist nicht entgangen, daß es Holzer und Larcher waren, welche „seine“ Verschneidung an der Punta Pilatus zweitbegangen hatten. Im Team mit dem erfahrenen Mayerl gelingt die Tour denn auch ohne größere Schwierigkeiten. Und als ob es keine Zeit zu vergeuden gäbe, findet sich das Gespann Holzer/​Mayerl an der Cassin-Führe am Torre Trieste in der Civetta wieder. Nach elfeinhalb Stunden im nassen Fels haben die beiden die berüchtigte Südostkante (VI A) unter sich.

Eine weitere Kletterfreundschaft soll Holzer nachhaltig beeinflussen. Als er mit Authier wieder einmal in der Rotwand im Rosengarten klettert, lernt er jenen Mann kennen, der tatsächlich Alpingeschichte schreiben sollte: Reinhold Messner. Es ist der Auftakt zu einer intensiven Freundschaft.

Der Campanile Barbante in einer Studie von Heini Holzer. Der gemeinsam mit Reinhold Messner verbrachte Civetta-Urlaub ist ein früher Höhepunkt im Bergsteigerleben Holzers.

Holzers wohl glücklichste Kletterzeit beginnt. Mit Reali, Mayerl Reinhold Messner und seinem Bruder Günther gelingen Holzer die kühnsten Dolomitentouren. In wechselnder Zusammensetzung finden sich die durchsetzungsfähigsten Extremkletterer des gesamten Tiroler Raums gemeinsam an ein-zwei Seilen. Mit Sepp Mayerl, dem Ältesten in der Truppe, hält zunächst auch der Erfahrenste die Zügel in der Hand. In ihm, dem „Blasl-Sepp“, finden die jungen Ehrgeizlinge auch so etwas wie eine väterliche Leitfigur. Von ihm lernen sie noch entschlossener zu klettern, sichere Standplätze einzurichten, saubere Sicherungstechnik. Und so fallen in der Folge Nordwände wie die an der Rochetta Alta („Via delle Grotte“) oder am Delagoturm (Schrott/​Hasse).

Einen Meilenstein in Holzers Alpinistenkarriere bildet der Kletterurlaub mit seinem Freund Reinhold Messner in der Civetta im August 1966. Zwei Wochen lang holen sich die beiden von ihrem Zeltlager am Coldaisee aus die schönsten „Rosinen“ (Holzer) in der Civetta und den Pelmo-Wänden. Ihr „Basislager“ bleibt schon die erste Nacht verwaist. Die beiden hängen nach einem Wettersturz hoch droben in der Aste/​Susatti-Führe unterhalb der Punta Civetta. „Bis heute meine schwerste Freikletterei“, notiert Holzer. Den beiden scheint in diesen Tagen nichts verwehrt: zwei Erstbegehungen, eine Wiederholung der berüchtigten Philipp/​Flamm-Route, die Zweitbegehung der Plattenwand am Torre d’Alleghe. Letztere wird etliche Jahre später gar mit dem (noch undenkbaren) 7. Schwierigkeitsgrad bewertet werden. Nach 14 Tagen ziehen die Klettermaxen mit einer ansehnlichen Ausbeute ab: 12 der schwierigsten Routen vor Ort liegen hinter ihnen. Die gemeinsamen Fahrten haben sich in beider Gedächtnis eingegraben. „Bergsteigerisch gesehen waren das wohl die erfolgreichsten Wochen meiner Kletterlaufbahn überhaupt“, wird Messner zweieinhalb Jahrzehnte später unumwunden erklären!

Die zwei völlig unterschiedlichen Charaktere scheinen sich zu ergänzen: Heini, der Spezialist in Kaminen und Rissen, Reinhold, der Freikletterer und Stratege. Das Gespann trifft man in der Folge noch häufig an – natürlich an schwierigsten Wänden wie der Peitlerkofel-Westwand, der Mugoni-Südostverschneidung, der Südostwand des Campanile Caigo …

Sommer 1967. Holzers Höhenflug setzt sich fort – im erweiterten Freundeskreis. Gemeinsam mit Reinhold Messner, Sepp Mayerl und Heindl Messner wagt er sich an die „Via dell’Ideale“ an der Marmolata d’Ombretta. Amando Aste und Franco Solina hatten als Erstbegeher sechs Tage in der Wand zugebracht. Ihr Fazit: „Es handelt sich wahrscheinlich um die schwierigste und gefährlichste Felsfahrt der ganzen Alpen.“ Für die jungen Stürmer gerade recht. Nach zwei Tagen, einem nächtlichen Wettersturz und 34 Seillängen im obersten Schwierigkeitsgrad ist die Zweitbegehung geschafft. „Schöne, aber gefährliche Tour“, schreibt Holzer gewohnt lapidar in sein Tourenbuch.

Eine Tour jedoch gräbt sich unauslöschlich in Holzers Erinnerung ein – der „Weg der Freunde“ in der Civetta. Die Unternehmung im Juli 1967 hat alle Zutaten, das Herz des Jungbergsteigers höher schlagen zu lassen. Zum einen weiß Holzer neben Messner mit Mayerl und Reali seine derzeit liebsten Bergfreunde um sich. Zum anderen hat man eine Neutour im Visier, deren Begehung heißbegehrt ist. Daß sie dem bewährten Vierergespann so schnell gelingt, ist paradoxerweise den konkurrierenden Mitbewerbern Dietrich Hasse, Heinz Steinkötter und deren Gefährten zu danken. Als die Neutour-Aspiranten am Vorabend des Unternehmens zufällig aufeinandertreffen, ändern die „Jungen“ unvermittelt ihre Pläne und preschen nächtens zum Einstieg voraus. Nach zwei Tagen des Kletterns taufen Holzer und Co. ihre erfolgreiche Neutour auf den bezeichnenden Namen „Weg der Freunde.“

Unter solch günstigen Vorzeichen scheinen selbst die großen Wände der Westalpen kein Wunschtraum mehr zu sein.

Tatsächlich findet sich Holzer wenige Tage später, Anfang August, in Chamonix ein, um mit Reinhold Messner, dessen Bruder Günther und Sepp Mayerl alpines Neuland anzugehen. Um dieses ist es bereits knapp bestellt. Doch ein Tip der Bergsteiger-Zeitschrift „Alpinismus“, wonach die direkte Nordostwand der Aiguille d’Argentière noch auf ihre Erstbegehung wartet, weist den Weg. In Martigny besuchen die vier zuvor noch Pierre Mazeaud, einen der Besten unter Europas Spitzenalpinisten. Für den 22jährigen Holzer ist der Aufenthalt vor Ort eine Tuchfühlung mit der internationalen Elite. Gaston Rébuffat, ebenfalls bereits Alpinlegende, hatte wenige Tage zuvor eine direkte Ostwandführe auf die Aiguille d’Argentière eröffnet. Die Zeit für die Nordwand drängt. Und so fällt in der Folge zwar keine sensationelle alpine Neutour, doch immerhin gelingt Holzer und Freunden nichts weniger als die Erstbegehung der 800 Meter hohen Nordostwand der Aiguille d’Argentière, eine kombinierte Fels- und Eistour in rein klassischem Stil. Für Heini ist es eine „Rosine“, für die ein anderer Extremer, Pit Schubert, einige Tage danach, bereits zu spät kommt.

Fast zeitgleich mit der Erstbegehung der Argentière-Nordwand fährt Kameramann Jürgen Gorter mit Skiern filmend von der Nordflanke des Montblanc ab. Noch mutet die Episode kurios an. Daß Holzer ein knappes Jahrzehnt später für Gorters Kinofilm „Abenteuer Ski“ selbst eine Steilwand abfahren sollte, ist – noch – undenkbar. In dem für Holzer so erfolgreichen 67er Jahr steht ausschließlich die Bergsteigerei im Vordergrund. So sehr, daß dem 22jährigen schon kurz nach den Westalpen eine weitere bedeutende Erstbegehung in der Pala gelingt: die direkte Nordostwand des Monte Agnèr, gemeinsam mit seinen Freunden Reinhold und Günther Messner.

Heini Holzer steht im Zenit seiner Kletterkarriere. Und er weiß Freunde um sich, wie er sie noch nie hatte. Neue Kletterfreunde, wie Hans Pescoller und Hermi Lottersberger, ergänzen sein Freundesglück. Mit ihnen lernt der Verschlossene sich zu öffnen; für Heini ein mehr als gewagtes Unternehmen. In der Zillertalerin findet er überdies eine „mütterliche Freundin.“