52. Kapitel

Von dem Kampfe, so Don Quijote mit dem Ziegenhirten bestand, nebst dem ungewöhnlichen Abenteuer mit den Pilgern auf der Bußfahrt, das er im Schweiße seines Angesichts zu Ende führte

Inhaltsverzeichnis

Die Erzählung des Ziegenhirten machte sämtlichen Zuhörern viel Vergnügen, besonders dem Domherrn, der mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit die eigentümliche Art beobachtete, wie jener erzählte, der, weit entfernt, sich als ein bäurischer Hirte zu zeigen, beinahe für einen feinen Hofmann gelten konnte. Daher sagte der Domherr, der Pfarrer habe recht gehabt mit seiner Behauptung, daß das Waldgebirge Leute von Bildung auferzieht. Alle erboten sich dem Hirten Eugenio zu Dienstleistungen; wer sich aber darin am freigebigsten zeigte, war Don Quijote, der zu ihm sprach: »Gewiß, Freund Ziegenhirt, wenn ich mich in der Möglichkeit fände, irgendwelch Abenteuer zu beginnen, gleich auf der Stelle würde ich mich auf den Weg begeben, auf daß Euer Abenteuer zu glücklichem Ziele käme, und aus dem Kloster, worin sie zweifelsohne wider ihren Willen weilet, würde ich Leandra reißen, trotz der Äbtissin und trotz jeglichem, der es verwehren möchte, und würde sie Euch in die Hände geben, auf daß Ihr mit selbiger ganz nach Eurem Willen und Begehr verfahret – unter Wahrung jedoch der Gesetze des Rittertums, welche vorschreiben, daß keinem Fräulein irgendeine Ungebühr angetan werde. Indessen hoffe ich zu Gott dem Herrn, es werde die Macht eines boshaften Zauberers nicht so viel vermögen, daß nicht die eines andern, günstiger gesinnten Zauberers weit mehr vermöchte, und für alsdann verheiße ich Euch meinen Schutz und Beistand, wie mich mein Beruf zu tun verpflichtet, welcher kein andrer ist, denn den Hilflosen und Bedrängten zu Hilfe zu kommen.«

Der Ziegenhirt schaute ihn an, und als er Don Quijotes schlechten Aufzug und jämmerliches Angesicht bemerkte, verwunderte er sich und sprach zu dem Barbier, den er in seiner Nähe sah: »Señor, wer ist der Mann, der so wunderlich aussieht und solcherlei Reden führt?«

»Wer wird es anders sein«, antwortete der Barbier, »als der weitberühmte Don Quijote von der Mancha, der Mann, der alle Ungebühr abstellt, alles Unrecht wieder zurechtbringt, der Schirmer aller Jungfrauen, der Schrecken aller Riesen und der Sieger in allen Kämpfen!«

»Ei«, sagte der Ziegenhirt, »das klingt mir ganz nach dem, was man in den Büchern von den fahrenden Rittern liest, die all dies taten, was Euer Gnaden von diesem Manne sagt; wiewohl ich der Meinung bin, daß entweder Euer Gnaden einen Spaß macht oder daß es bei diesem Edelmann leer im Oberstübchen aussieht.«

»Ihr seid ein ausbündiger Schelm«, rief hier Don Quijote, »Ihr, Ihr seid der dumme Tölpel, bei Euch ist es leer und schwach im Kopf; bei mir ist es voller, als es jemals bei der niederträchtigen Hure war, der schlechten Hure, die Euch auf die Welt gesetzt hat!«

Kaum gesagt, riß er ein Brot vom Tische, das gerade neben ihm lag, und schleuderte es dem Ziegenhirten so wild ins Gesicht, daß er ihm schier die Nase plattschlug. Allein als der Ziegenhirt, der keinen Spaß verstand, sah, wie man allen Ernstes ihm übel mitspielte, setzte er alle Rücksicht auf den Teppich, auf das Tischtuch und die ganze tafelnde Gesellschaft beiseite, sprang auf den Ritter los, packte ihn mit beiden Händen am Halse und hätte ihn ohne Zweifel erwürgt, wenn nicht gerade im Augenblick Sancho Pansa gekommen wäre, ihn an den Schultern gepackt und ihn über den Tisch, hingeworfen hätte, wobei Schüsseln zerschlagen, Trinkschalen zerbrochen und alles, was auf dem Tische war, verschüttet und umhergeworfen wurde. Don Quijote, der sich jetzt frei sah, stürzte sofort über den Ziegenhirten her, und dieser, voll Blut im Gesichte, von Sancho mit Fußtritten bearbeitet, zappelte auf allen vieren nach einem Messer vom Tische, um sich blutig zu rächen; allein der Domherr und der Pfarrer hinderten ihn daran. Der Barbier jedoch wußte es anzustellen, daß der Hirt den Ritter unter sich brachte, und nun ließ er auf diesen eine solche Unzahl von Faustschlägen regnen, daß vom Gesichte des armen Don Quijote ebensoviel Blut troff wie von dem seinigen. Der Domherr und der Pfarrer wollten vor Lachen bersten, die Landreiter sprangen in die Höhe vor lauter Lust, und diese wie jene hetzten drauflos, wie man mit Hunden tut, wenn sie heftig aneinandergeraten sind. Nur Sancho Pansa war schier in Verzweiflung, weil er sich nicht von einem Diener des Domherrn losmachen konnte, der ihn festhielt und ihn hinderte, seinem Herrn zu Hilfe zu kommen.

Während sie nun alle so in tollem Jubel waren, mit Ausnahme der zwei Faustkämpfer, die miteinander balgten, vernahmen sie den Klang einer Trompete, einer so trübselig tönenden, daß sich alle Blicke nach der Seite hinwendeten, von wo der Klang ihnen herzukommen schien. Wer aber am meisten darüber in Aufregung geriet, war Don Quijote, der zwar noch, freilich sehr gegen seinen Willen und mehr als nur mäßig zerbleut, unter dem Ziegenhirten lag, aber dennoch ihn ansprach: »Lieber guter Teufel, denn was andres kannst du nicht sein, da deine Tapferkeit und Kraft so groß ist, um die meinige zu bewältigen, ich bitte dich, laß uns einen Waffenstillstand schließen, nicht länger als auf eine Stunde; denn der jammervolle Klang jener Drommete, der zu unsern Ohren dringt, scheint mich zu einem neuen Abenteuer zu rufen.«

Der Ziegenhirt, bereits müde, zu prügeln und geprügelt zu werden, ließ ihn auf der Stelle los, und Don Quijote erhob sich, wendete nun ebenfalls das Gesicht dahin, wo man den Ton vernahm, und sah plötzlich, wie von einem Hügel eine Menge von Leuten herabkam, alle wie Pilger auf einer Bußfahrt weiß gekleidet. In diesem Jahre hatten nämlich die Wolken der Erde ihr Naß versagt, und in allen Ortschaften dieser Gegend wurden Wallfahrten, Bittgänge und Bußübungen abgehalten, um Gott zu bitten, daß er die Hände seiner Barmherzigkeit auftue und Regen spende, und zu diesem Zwecke kamen die Leute aus einem nahegelegenen Dorfe wallfahrend zu einer heiligen Einsiedelei gezogen, die auf einer Höhe bei diesem Tale lag.

Don Quijote erblickte die seltsamen Trachten der Bußfahrer, ohne daß ihm ins Gedächtnis kam, wie oft er sie schon gesehen haben mußte, und bildete sich ein, dies sei so etwas von einem Abenteuer und ihm allein als fahrendem Ritter komme es zu; sich an dasselbe zu wagen. Und was ihn in dieser Einbildung noch mehr bestärkte, war, daß er sich einredete, eine Bildsäule, die sie in Trauerhüllen einhertrugen, sei eigentlich eine vornehme Dame, die von diesen Bösewichtern und schamlosen Wegelagerern mit Gewalt entführt werde. Und sobald ihm dies in den Kopf kam, stürzte er leichtfüßig auf Rosinante los, der dort weiden ging, nahm ihm vom Sattelbogen den Zügel und die Tartsche, zäumte ihn im Nu auf, und sein Schwert von Sancho fordernd, stieg er auf Rosinante, nahm die Tartsche in den Arm und sprach zu den Anwesenden allen mit erhobener Stimme: »Itzo, mannhafte Gesellschaft, sollet Ihr erschauen, wie hochwichtig es ist, daß es auf Erden Ritter gibt, die sich zum Orden der fahrenden Ritterschaft bekennen; itzo, also sag ich, sollet ihr an der Befreiung dieser trefflichen Dame, die sich dort in Banden zeigt, erkennen, ob die fahrenden Ritter hoher Achtung wert sind.«

Und also redend gab er dem Rosinante die Schenkel, denn Sporen hatte er nicht an, und rannte in kurzem Galopp – denn daß sich Rosinante jemals zu gestreckter Karriere verstiegen, das liest man nirgends in dieser ganzen wahrhaftigen Geschichte – auf die Bußfahrer los, wiewohl der Pfarrer und der Domherr hinliefen; um ihn zurückzuhalten; aber es war ihnen nicht möglich, und ebensowenig hielt ihn das Geschrei Sanchos zurück, der ihm zurief: »Wo wollt Ihr hin, Señor Don Quijote? Was für Teufel habt Ihr im Leib, die Euch antreiben, gegen unsern katholischen Glauben vorzugehen? Habt doch acht, o weh meiner armen Seele! daß es eine Wallfahrt von Büßern ist, und die Dame, die dort auf dem Gestell getragen wird, ist das gebenedeite Bild der unbefleckten Jungfrau; bedenket, Señor, was Ihr tut, denn diesmal kann man wirklich sagen, daß Ihr nicht tut, was Eures Berufes ist!«

Vergeblich mühte sich Sancho ab, denn sein Herr hatte es so fest im Sinn, auf die Leute in den weißen Hüllen heranzustürmen und die Dame in Trauer zu befreien, daß er kein Wort hörte, und hätte er es auch gehört, so wäre er doch nicht umgekehrt, und wenn der König selbst es ihm geboten hätte. Er erreichte also den Zug, hielt Rosinante an, der ohnehin schon große Lust hatte, ein wenig auszuruhen, und rief mit heftig erregter, heiserer Stimme: »Ihr, die ihr, vielleicht weil ihr tugendlose Leute seid, das Angesicht verhüllt traget, harret still und horchet auf die Worte, die ich Euch zu sagen habe.«

Die ersten, die anhielten, waren die Träger des Bildes. Und als einer der vier Geistlichen, welche die Litaneien sangen, das seltsame Aussehen Don Quijotes, die Magerkeit Rosinantes und andre Umstände, die zum Lachen waren, an dem Ritter bemerkte, entgegnete er ihm folgende Worte: »Lieber Herr und Freund, wenn Ihr uns etwas zu sagen habt, so sagt es rasch, denn diese frommen Brüder zergeißeln sich den Leib, und wir können und dürfen uns vernünftigerweise nicht aufhalten, irgend etwas anzuhören, wenn es nicht etwa so kurz ist, daß man es in zwei Worten sagen kann.«

»In einem Worte werde ich es euch sagen«, erwiderte Don Quijote, »und so lautet es: Ihr sollt gleich auf der Stelle diese schöne Dame freigeben, deren Tränen und betrübtes Antlitz deutlich zeigen, daß ihr sie wider ihren Willen fortschleppt und daß ihr eine offenbare Ungebühr an ihr verübt habt. Und ich, der ich zur Welt geboren bin, um dergleichen Freveltaten abzustellen, ich werde nicht gestatten, daß sie einen einzigen Schritt weiterziehe, ohne ihr die ersehnte Freiheit wiederzugeben, deren sie würdig ist.«

An diesen Worten merkten alle Hörer, Don Quijote müsse verrückt sein, und brachen in herzliches Lachen aus; aber hier zu lachen hieß Pulver auf Don Quijotes Zorneswut schütten, und ohne ein Wort weiter zu sagen, zog er das Schwert und sprengte auf die Tragbahre los. Einer der Träger stürzte, die Bürde sofort seinen Gefährten überlassend, Don Quijote entgegen, schwang als Waffe eine jener Gabelstützen, auf welche man beim Ausruhen die Bahre setzt, und nachdem er mit dieser Wehr einen gewaltigen Schwerthieb aufgefangen, der sie in zwei Stücke schlug, versetzte er mit dem letzten Drittel, das ihm in der Hand blieb, dem Ritter einen solchen Schlag über die Schulter auf der Schwertseite, die der Schild gegen die rohe bäurische Kraft nicht schützen konnte, daß der arme Don Quijote gar übel zugerichtet niederstürzte.

Als Sancho Pansa, der ihm keuchend nachgeeilt war, ihn am Boden liegen sah, schrie er dem Zerbleuer seines Herrn zu, er solle vom Prügeln ablassen, denn der sei ein armer verzauberter Ritter, der all sein Lebtag keinem ein Leides getan. Aber was den Bauern zurückhielt, war nicht Sanchos Geschrei, sondern ein Blick auf den Ritter, der weder Hand noch Fuß rührte, und da er nun glaubte, er habe diesen totgeschlagen, raffte er in aller Eile seinen Kittel bis zum Gürtel auf und machte sich hurtig wie ein Gemsbock über das Gefilde von dannen.

Inzwischen waren alle übrigen aus Don Quijotes Gesellschaft zu der Stelle gekommen, wo er lag. Aber die Leute von der Bußfahrt, die sahen, wie all die Herren dort und dabei die Landreiter mit ihren Armbrüsten herzueilten, gerieten in Furcht vor einem schlimmen Ausgang der Sache, drängten sich insgesamt im Kreis um das Bild her, schlugen ihre Kapuzen über den Kopf und faßten ihre Geißeln fest in die Fäuste. Desgleichen taten auch die Geistlichen mit ihren Altarleuchtern, und so erwarteten sie den Ansturm, mutig entschlossen zu Schutz und womöglich auch zu Trutz gegen die Angreifer.

Allein das Glück fügte es besser, als man dachte; denn Sancho tat nichts weiter, als daß er sich über den Körper seines Herrn warf und, im Glauben, er sei wirklich tot, über ihn die schmerzlichste und zugleich lächerlichste Klage erhob, die sich denken läßt.

Der Pfarrer ward von einem andern Pfarrer erkannt, der mit bei der Bußfahrt war, und diese Bekanntschaft beschwichtigte die Besorgnis im Gemüte beider Geschwader. Der erste Pfarrer erklärte dem zweiten mit ein paar Worten, wer Don Quijote sei, und der ganze Haufe der Bußfahrer kam herbei, um zu sehen, ob der arme Ritter tot sei. Da hörten sie, wie Sancho Pansa mit Tränen in den Augen sprach: »O du Blume des Rittertums, der du mit einem einzigen Knüppelhieb die Bahn deiner so trefflich verwendeten Jahre abgeschlossen! O du Preis deines Geschlechtes, Ehre und Ruhm der ganzen Mancha, ja der ganzen Welt, welche nun, da du ihr gebrichst, voller Übeltäter bleiben wird, die da nicht mehr fürchten müssen, für ihre Missetaten gezüchtigt zu werden! O du, freigebig über alle Alexanders hinaus, sintemal du mir für nicht mehr als acht Monde Dienstes die beste Insul gegeben hattest, die das Meer umgürtet und umfleußt! O du, demütig gegen die Hochmütigen und stolz gegen die Demütigen, trotzbietend den Gefahren, Erdulder feindlichen Schimpfes, verliebt ohne allen Grund, Nachahmer der Guten, Geißel der Bösen, Feind der Schlechten; in einem Wort, fahrender Ritter! Was alles enthält, was sich sagen läßt!«

Von Sanchos Schreien und Ächzen lebte Don Quijote wieder auf, und das erste Wort, das er sprach, war dieses: »Wer ferne von Euch lebt, süßeste Dulcinea, ist noch größerem Elend als diesem preisgegeben. Hilf mir, Freund Sancho, mich auf den verzauberten Karren zu setzen, denn ich bin nicht mehr imstande, Rosinantes Sattel zu belasten, sintemal mir diese ganze Schulter zu Stücken zerschlagen ist.«

»Das will ich sehr gerne tun, Herre mein«, antwortete Sancho, »und laßt uns in unser Dorf heimkehren, in Gesellschaft dieser Herren, die Euer Bestes wollen; und dort wollen wir Anstalt zu einer neuen Ausfahrt treffen, die uns zu größerem Vorteil und Ruhm gereichen soll.«

»Wohlgesprochen, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »und es wird sehr klug sein, den übeln Einfluß der Gestirne, der jetzt waltet, vorübergehen zu lassen.«

Der Domherr, der Pfarrer und der Barbier erklärten ihm, er würde sehr gut daran tun, so zu handeln, wie er gesagt; und höchlich belustigt von Sanchos einfältigen Redensarten setzten sie Don Quijote auf den Karren, darauf er vorher gefahren war. Die Bußfahrt wurde wieder in die rechte Ordnung gebracht und setzte ihren Weg fort; der Ziegenhirt verabschiedete sich von allen; die Landreiter wollten nicht weiter mitziehen, und der Pfarrer zahlte ihnen, was man ihnen schuldig war. Der Domherr bat den Pfarrer, ihn zu benachrichtigen, wie es mit Don Quijote erginge, ob er von seiner Narrheit genesen oder ob er auch fernerhin bei ihr beharren werde; und hiermit nahm er Urlaub, um seine Reise weiter zu verfolgen. Kurz, alle trennten sich und schieden voneinander; es blieb niemand als nur der Pfarrer und der Barbier, Don Quijote und Pansa und der gute Kerl von Rosinante, der bei allem, was er erlebt hatte, ebensoviel Geduld bewahrte wie sein Herr.

Der Ochsenkärrner spannte seine Ochsen ein, machte Don Quijote auf einer Schicht Heu ein Lager zurecht, und langsam und gelassen, wie gewohnt, verfolgte er den Weg, den der Pfarrer vorschrieb; und nach Verfluß von sechs Tagen kamen sie in Don Quijotes Dorf, wo sie um Mittag einzogen. Es war gerade Sonntag, und die Einwohner standen alle auf dem Marktplatz umher, über den Don Quijotes Karren mitten darüberfuhr. Alle liefen herbei und wollten sehen, was auf dem Karren war, und als sie ihren Landsmann erkannten, waren sie höchlich verwundert; und ein Junge lief eilends hin, um seiner Haushälterin und seiner Nichte anzusagen, daß ihr Oheim und Herr ankomme, abgemagert und bleich und auf einem Heubündel ausgestreckt und auf einem Ochsenkarren. Es war ein Jammer, zu hören, wie die zwei guten Frauenzimmer ein Geschrei erhoben, sich vor den Kopf schlugen und wiederum Verwünschungen gegen die verwünschten Ritterbücher ausstießen. Und das alles fing aufs neue an, als sie Don Quijote ins Tor seines Hauses einfahren sahen.

Auf die Nachricht von seiner Ankunft eilte auch Sancho Pansas Frau herbei, die längst erfahren hatte, ihr Mann sei mit dem Ritter als dessen Schildknappe fortgezogen; und als sie Sancho erblickte, war das erste, was sie fragte, ob es dem Esel wohlgehe. Sancho antwortete, es gehe ihm besser als seinem Herrn.

»Gott sei Lob und Dank«, sprach sie dagegen, »daß er mir diese Gnade erwiesen hat! Aber erzählet mir nun, mein Lieber, was für einen Gewinn habt Ihr aus Eurer Schildknapperei gezogen? Was für einen neuen Rock bringt Ihr mir mit? Was für Schühchen für Eure Kinder?«

»Nichts dergleichen bring ich mit, mein Weib«, versetzte Sancho, »wiewohl ich andere Sachen von größerer Wichtigkeit und Bedeutung mitbringe.«

»Das soll mir recht sein«, entgegnete die Frau; »zeigt mir doch diese Sachen von größerer Bedeutung und Wichtigkeit, denn ich brenne darauf, sie zu sehen, damit ich darob mein Herz erheitere, das alle die Jahrhunderte Eurer Abwesenheit hindurch traurig und mißvergnügt war.«

»Zu Hause will ich sie Euch zeigen, Frau«, sprach Pansa, »und für jetzt seid vergnügt, denn wenn es Gott beliebt, daß wir noch einmal auf die Suche nach Abenteuern ausziehen, werdet Ihr mich bald als Grafen sehen oder als Statthalter einer Insul, und zwar nicht einer solchen Insul, wie sie da und dort herumliegen, sondern der allerbesten, die zu finden ist.«

»Das gebe Gott, lieber Mann, denn wir haben's wahrlich nötig. Aber sagt mir doch, was ist das mit den Insuln? Ich verstehe es nicht.«

»Der Honig ist nicht da für Esels Maul«, antwortete Sancho; »seiner Zeit wirst du es schon erleben, Frau; ja du wirst dich wundern, wenn du hörst, wie dich all deine Vasallen mit Euer Herrlichkeit anreden.«

»Was sagst du, Sancho, von Herrlichkeiten, Insuln und Vasallen?« entgegnete Hanne Pansa; denn so hieß Sanchos Frau, nicht als ob sie Blutsverwandte gewesen wären, sondern weil es in der Mancha bräuchlich ist, daß die Frau den Familiennamen des Mannes annimmt.

»Steife dich doch nicht darauf, Hanne, daß du alles so eilig erfahren mußt; genug, daß ich dir die Wahrheit sage, und jetzt nähe dir den Mund zu. Ich kann dir nur so im Vorübergehen sagen, es gibt nichts Vergnüglicheres auf Erden, als wenn man ein angesehener Mann und Schildknappe eines fahrenden Ritters ist, der auf Abenteuer auszieht. Zwar gehen sie meistens nicht so nach Wunsch aus, wie man eben möchte, denn von hundert, auf die man stößt, pflegen neunundneunzig verkehrt und schief zu gehen. Ich weiß das aus Erfahrung, denn aus etlichen bin ich gewippt und aus anderen zerbleut davongekommen. Aber trotz alledem ist es prächtig, wenn man die Gegebenheiten an sich herankommen läßt und dabei Waldgebirge durchwandert, Forsten durchsucht, Felsen besteigt, Burgen besucht, in Schenken frei nach Belieben herbergt, und der Pfennig, den man da bezahlt, den soll der Teufel holen!«

Diese ganze Unterhaltung fand zwischen Sancho Pansa und Hanne Pansa, seiner Frau, statt, während die Haushälterin und Nichte Don Quijotes diesen empfingen und auszogen und ihn auf sein altväterliches Bett streckten. Er betrachtete sie mit verdrehten Augen und konnte es nicht fassen, an welchem Ort er sich befinde. Der Pfarrer trug der Nichte auf, die möglichste Sorge auf die Verpflegung ihres Oheims zu wenden und aufzupassen, daß er ihnen nicht nochmals entkomme; wobei er ihnen erzählte, was alles vonnöten gewesen, um ihn nach Hause zu bringen. Nun erhob sich aufs neue das Jammergeschrei der beiden gen Himmel; nun erklangen die Verwünschungen gegen die Ritterbücher von neuem; nun flehten sie zum Himmel, er wolle die Schreiber so vieler Lügen und Ungereimtheiten zum tiefsten Abgrund der Hölle verdammen. Und zum Ende wurden sie von größter Bestürzung und Angst ergriffen, sich von ihrem Herrn und Oheim wieder verlassen zu sehen, sobald er einige Besserung verspüren werde. Und in der Tat geschah es so, wie sie es sich vorstellten.

Allein der Verfasser dieser Geschichte, wiewohl er achtsam und beflissen den Taten nachspürte, die Don Quijote bei seiner dritten Ausfahrt vollbracht, konnte von derselben keine Nachricht auffinden, wenigstens nicht in beglaubigten Aufzeichnungen. Nur das Gerücht hat in den Erinnerungen der Mancha den Umstand aufbewahrt, daß Don Quijote, als er zum drittenmal von daheim auszog, sich nach Zaragoza verfügte und sich dort bei einem großen Turnier einfand, welches in jener Stadt abgehalten wurde, und daß dort sich manches zutrug, was seinem Heldensinn und seinem verständigen Geiste in würdiger Weise entsprach.

Auch über sein Ende und Hinscheiden hat der Verfasser keine Nachricht erlangen können und hätte nie eine erlangt noch etwas darüber erfahren, wenn nicht ein glücklicher Zufall ihm einen alten Arzt zugeführt hätte, der eine bleierne Kiste im Besitz hatte, welche nach seiner Angabe sich in den zerfallenen Grundmauern einer alten, in der Wiederherstellung begriffenen Einsiedelei gefunden habe. In dieser Kiste hatte man Pergamentrollen entdeckt, ganz beschrieben mit gotischen Buchstaben. Es waren jedoch kastilianische Verse, und diese schilderten viele von Don Quijotes Heldentaten und gaben Bericht über die Schönheit der Dulcinea von Toboso, über Rosinantes Gestalt und Aussehen, über Sancho Pansas Treue und über das Grab Don Quijotes selbst, mit verschiedenen Grabschriften und Lobgedichten auf sein Leben und Treiben. Diejenigen Verse, die es möglich war zu lesen und ins reine zu schreiben, sind die folgenden, die der glaubwürdige Verfasser dieser ganz neuen und nie erhörten Geschichte hierhersetzt.

Besagter Verfasser aber, zum Lohn der unermeßlichen Arbeit, die es ihn gekostet, alle geheimen Urkundengewölbe der Mancha zu untersuchen und zu durchforschen, um sotane Geschichten ans Licht zu ziehen, bittet die Leser um nichts weiter, als daß sie ihm dieselbe Glaubwürdigkeit zuerkennen wie alle verständigen Leute den Ritterbüchern, die in der Welt allgemein so hohe Gunst genießen. Damit wird er sich für wohlbelohnt und zufriedengestellt erachten und sich ermutigt fühlen, noch andere Geschichten aufzusuchen und ans Licht zu ziehen, die, wenn auch nicht so wahr, wenigstens ebenso reich an Erfindungsgabe sein und ebensoviel Zeitvertreib bieten sollen.

Die ersten Worte, die auf dem in der bleiernen Kiste gefundenen Pergament geschrieben standen, waren diese:

DIE AKADEMIKER VON ARGAMASILLA, EINEM ORTE IN DER MANCHA, AUF LEBEN UND TOD DES MANNHAFTEN DON QUIJOTE VON DER MANCHA

HOC SCRIPSERUNT

Der Schwarzaffe, Akademiker zu Argamasilla, auf die Grabstätte Don Quijotes

Grabschrift

Der hohle Fratz, der mehr mit Siegeszeichen,
Als Jason Kreta einst, die Mancha schmückte;
Der seltne Geist, der kluge, der verrückte,
Schier einer Wetterfahne zu vergleichen;

Der Arm, der von Gaeta zu den Reichen
Katais' den Schild trug und das Schlachtschwert zückte;
Der tollste Musenzögling, dem's je glückte,
Auf Erze seinen Ruhm herauszustreichen;

Der weit ließ hinter sich die Amadíse;
Dem, weil er nur für Lieb und Ruhm entbrannte,
In Galaor verhaßt war das Gemeine;

Vor dem verstummten selbst die Belianise:
Der Held, der irrend ritt auf Rosinante,
Der liegt hier unter diesem kalten Steine.

Vom Tellerlecker, Akademiker zu Argamasilla, in laudem der Dulcinea von Toboso

Sonett

Seht hier, das Antlitz ganz in Fett verschwommen,
Läßt sich hochbrüstig, feurig von Gebaren,
Tobosos Königin Dulcinee gewahren,
Für die der Held Quijote in Lieb entglommen.

Für sie hat er das Schwarzgebirg erklommen
Nordwärts und südwärts, trieb den Feind zu Paaren
Im Feld von Montiel, zog in Gefahren
Bis Aranjuez, zu Fuß und schier verkommen

Durch Rosinantes Schuld. O Schicksal, bitter
Strafst du die Mancha-Königin und diesen
Fahrenden Ritter! Denn in jungen Jahren

Starb mit ihr ihre Schönheit, und der Ritter,
Obschon auf Marmor ewiglich gepriesen,
Nie konnt er sich vor Lieb und Täuschung wahren.

Vom Grillenfänger, dem höchst geistvollen Akademiker zu Argamasilla, zum Preise Rosinantes, Schlachtrosses des Helden Don Quijote von der Mancha

Sonett

Am Thron von Demant, wo auf blutig heißen
Fußspuren Mars, der wilde, siegreich waltet,
Hat der Manchaner Held tollkühn entfaltet
Sein Banner, läßt es stolz im Winde kreisen.

Da hängt er auf die Rüstung und das Eisen,
Das scharfe, das zerstückt, zerstört, zerspaltet:
Großtaten neuer Art! Doch Kunst gestaltet
Dem neuen Paladin auch neue Weisen.

Ruht Galliens Ruhm auf seinem größten Sohne,
Dem Amadís, durch dessen Enkelkinder
Der Griechen Lande sich mit Ruhm bedecken –

Quijoten reicht Bellonas Hof die Krone
Anitzt; die Mancha rühmt sich sein nicht minder
Als Griechenland und Gallien ihrer Recken.

Des Ruhm wird nie Vergessenheit beflecken,
Da Rosinante schon, der wenig wagte,
Den Brillador und Bayard überragte.

Vom Spötter, Argamasillanischen Akademiker, auf Sancho Pansa

Sonett

Schaut Sancho Pansa hier, der Knappen Krone,
An Körper klein, doch Wunder! groß an Geiste;
Ein Knappe frei von Witz, der allermeiste
Von jedem Falsch, ich schwör's beim höchsten Throne.

Fast war er Graf geworden, 's war nicht ohne,
Wenn sich nicht gegen ihn verschwur die feiste
Gemeinheit und die Ränkesucht, die dreiste,
Zu boshaft, daß sie nur ein Eslein schone!

Auf diesem Tier zog, mit Verlaub zu sagen,
Der gute Knappe hinter jenem guten
Gaul Rosinante her und seinem Reiter.

O leere Hoffnungen, die Frucht nie tragen!
Ihr flieht vorüber, wo wir gerne ruhten,
Und werdet Schatten, Träume, Rauch – nichts weiter!

Vom Teufelsfratz, Akademiker zu Argamasilla, auf Don Quijotes Grabstätte

Grabschrift

Hier tät man zur Ruhe legen
Einen Ritter wohlzerschlagen,
Übelfahrend, den getragen
Rosinant' auf manchen Wegen.

Sancho Pansa liegt daneben,
Dumm von Geist, grob von Gebärden,
Doch der Treuste, den's auf Erden
Je im Knappendienst gegeben.

Vom Kunterbunt, Akademiker zu Argamasilla, auf das Grab Dulcineas von Toboso

Grabschrift

Hier ruht Dulcinea; loben
Mußte man die drallen Glieder;
Und doch warf der Tod sie nieder,
Daß zu Asche sie zerstoben.

Sie, von christlich reinem Stamme,
Tat, als ob sie adlig wäre;
Sie war Held Quijotes Flamme
Und des Dorfes Stolz und Ehre.

Dies waren die Verse, die noch zu lesen waren; die übrigen übergab man, weil die Schrift von Würmern zerfressen war, einem Akademiker, damit er sie mittels seiner gelahrten Konjekturen entziffern möchte. Man hat Kunde davon, daß er es mit Hilfe vieler durchwachter Nächte und großer Mühsal vollbracht hat und daß er beabsichtigt, in Hoffnung einer dritten Ausfahrt Don Quijotes sie ans Licht zu ziehen.

Forse altri canterà con miglior plettro.

Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha – Erstes Buch

Inhaltsverzeichnis

Vorrede
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
46. Kapitel
47. Kapitel
48. Kapitel
49. Kapitel
50. Kapitel
51. Kapitel
52. Kapitel

1. Kapitel

Welches vom Stand und der Lebensweise des berühmten Junkers Don Quijote von der Mancha handelt

Inhaltsverzeichnis

An einem Orte der Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern will, lebte vor nicht langer Zeit ein Junker, einer von jenen, die einen Speer im Lanzengestell, eine alte Tartsche, einen hagern Gaul und einen Windhund zum Jagen haben. Eine Schüssel Suppe mit etwas mehr Kuh- als Hammelfleisch darin, die meisten Abende Fleischkuchen aus den Überbleibseln vom Mittag, jämmerliche Knochenreste am Samstag, Linsen am Freitag, ein Täubchen als Zugabe am Sonntag – das verzehrte volle Dreiviertel seines Einkommens; der Rest ging drauf für ein Wams von Plüsch, Hosen von Samt für die Feiertage mit zugehörigen Pantoffeln vom selben Stoff, und die Wochentage schätzte er sich's zur Ehre, sein einheimisches Bauerntuch zu tragen – aber vom feinsten! Er hatte bei sich eine Haushälterin, die über die Vierzig hinaus war, und eine Nichte, die noch nicht an die Zwanzig reichte; auch einen Diener für Feld und Haus, der ebensowohl den Gaul sattelte als die Gartenschere zur Hand nahm. Es streifte das Alter unsres Junkers an die fünfzig Jahre; er war von kräftiger Körperbeschaffenheit, hager am Leibe, dürr im Gesichte, ein eifriger Frühaufsteher und Freund der Jagd. Man behauptete, er habe den Zunamen Quijada oder Quesada geführt – denn hierin waltet einige Verschiedenheit in den Autoren, die über diesen Kasus schreiben –, wiewohl aus wahrscheinlichen Vermutungen sich annehmen läßt, daß er Quijano hieß. Aber dies ist von geringer Bedeutung für unsre Geschichte; genug, daß in deren Erzählung nicht um einen Punkt von der Wahrheit abgewichen wird.

Man muß nun wissen, daß dieser obbesagte Junker alle Stunden, wo er müßig war – und es waren dies die meisten des Jahres –, sich, dem Lesen von Ritterbüchern hingab, mit so viel Neigung und Vergnügen, daß er fast ganz und gar die Übung der Jagd und selbst die Verwaltung seines Vermögens vergaß; und so weit ging darin seine Wißbegierde und törichte Leidenschaft, daß er viele Morgen Ackerfeld verkaufte, um Ritterbücher zum Lesen anzuschaffen; und so brachte er so viele ins Haus, als er ihrer nur bekommen konnte. Und von allen gefielen ihm keine so gut wie die von dem berühmten Feliciano de Silva verfaßten; denn die Klarheit seiner Prosa und die verwickelten Redensarten, die er anwendet, dünkten ihm wahre Kleinode; zumal wenn er ans Lesen jener Liebesreden und jener Briefe mit Herausforderungen kam, wo er an mancherlei Stellen geschrieben fand: Der Sinn des Widersinns, den Ihr meinen Sinnen antut, schwächt meinen Sinn dergestalt, daß ein richtiger Sinn darin liegt, wenn ich über Eure Schönheit Klage führe. Und ebenso, wenn er las: ...die hohen Himmel Eurer Göttlichkeit, die Euch in göttlicher Weise bei den Sternen festigen und Euch zur Verdienerin des Verdienstes machen, das Eure hohe Würde verdient. Durch solche Redensarten verlor der arme Ritter den Verstand und studierte sich ab, um sie zu begreifen und aus ihnen den Sinn herauszuklauben, den ihnen Aristoteles selbst nicht abgewonnen noch sie verstanden hätte, wenn er auch zu diesem alleinigen Zweck aus dem Grab gestiegen wäre. Er war nicht sonderlich einverstanden mit den Wunden, welche Don Belianís austeilte und empfing; denn er dachte sich, wie große Ärzte ihn auch gepflegt hätten, so könnte er doch nicht anders als das Gesicht und den ganzen Körper voll Narben und Wundenmale haben. Aber bei alldem lobte er an dessen Verfasser, daß er sein Buch mit dem Versprechen jenes unbeendbaren Abenteuers beendet; und oftmals kam ihm der Wunsch, die Feder zu ergreifen und dem Buch einen Schluß zu geben, buchstäblich so, wie es dort versprochen wird; und ohne Zweifel hätte er es getan, ja er wäre damit zustande gekommen, wenn andere größere und ununterbrochen ihn beschäftigende Ideen es ihm nicht verwehrt hätten.

Vielmals hatte er mit dem Pfarrer seines Ortes – der war ein gelehrter Mann und hatte den Grad eines Lizentiaten zu Siguenza erlangt – Streit darüber, wer ein besserer Ritter gewesen, Palmerín von England oder Amadís von Gallien; aber Meister Nikolas, der Barbier desselbigen Ortes, sagte, es reiche keiner an den Sonnenritter, und wenn einer sich ihm vergleichen könne, so sei es Don Galaor, der Bruder des Amadís von Gallien, weil dessen Naturell sich mit allem zurechtfinde; er sei kein zimperlicher Rittersmann, auch nicht ein solcher Tränensack wie sein Bruder, und im Punkte der Tapferkeit stehe er nicht hinter ihm zurück.

Schließlich versenkte er sich so tief in seine Bücher, daß ihm die Nächte vom Zwielicht bis zum Zwielicht und die Tage von der Dämmerung bis zur Dämmerung über dem Lesen hingingen; und so, vom wenigen Schlafen und vom vielen Lesen, trocknete ihm das Hirn so aus, daß er zuletzt den Verstand verlor. Die Phantasie füllte sich ihm mit allem an, was er in den Büchern las, so mit Verzauberungen wie mit Kämpfen, Waffengängen, Herausforderungen, Wunden, süßem Gekose, Liebschaften, Seestürmen und unmöglichen Narreteien. Und so fest setzte es sich ihm in den Kopf, jener Wust hirnverrückter Erdichtungen, die er las, sei volle Wahrheit, daß es für ihn keine zweifellosere Geschichte auf Erden gab. Er pflegte zu sagen, der Cid Rui Diaz sei ein sehr tüchtiger Ritter gewesen, allein er könne nicht aufkommen gegen den Ritter vom flammenden Schwert, der mit einem einzigen Hieb zwei grimmige ungeheure Riesen mitten auseinandergehauen. Besser stand er sich mit Bernardo del Carpio, weil dieser in Roncesvalles den gefeiten Roldán getötet, indem er sich den Kunstgriff des Herkules zunutze machte, als dieser den Antäus, den Sohn der Erde, in seinen Armen erstickte. Viel Gutes sagte er von dem Riesen Morgante, weil dieser, obschon von jenem Geschlechte der Riesen, die sämtlich hochfahrende Grobiane sind, allein unter ihnen leutselig und wohlgezogen gewesen. Doch vor allen stand er sich gut mit Rinald von Montalbán, und ganz besonders, wenn er ihn aus seiner Burg ausreiten und alle, auf die er stieß, berauben sah und wenn derselbe drüben über See jenes Götzenbild des Mohammed raubte, das ganz von Gold war, wie eine Geschichte besagt. Gern hätte er, um dem Verräter Ganelon ein Schock Fußtritte versetzen zu dürfen, seine Haushälterin hergegeben und sogar seine Nichte obendrein.

Zuletzt, da es mit seinem Verstand völlig zu Ende gegangen, verfiel er auf den seltsamsten Gedanken, auf den jemals in der Welt ein Narr verfallen; nämlich es deuchte ihm angemessen und notwendig, sowohl zur Mehrung seiner Ehre als auch zum Dienste des Gemeinwesens, sich zum fahrenden Ritter zu machen und durch die ganze Welt mit Roß und Waffen zu ziehen, um Abenteuer zu suchen und all das zu üben, was, wie er gelesen, die fahrenden Ritter übten, das heißt jegliche Art von Unbill wiedergutzumachen und sich in Gelegenheiten und Gefahren zu begeben, durch deren Überwindung er ewigen Namen und Ruhm gewinnen würde. Der Arme sah sich schon in seiner Einbildung durch die Tapferkeit seines Armes allergeringsten Falles mit der Kaiserwürde von Trapezunt bekrönt; und demnach, in diesen so angenehmen Gedanken, hingerissen von dem wundersamen Reiz, den sie für ihn hatten, beeilte er sich, ins Werk zu setzen, was er ersehnte.

Und das erste, was er vornahm, war die Reinigung von Rüstungsstücken, die seinen Urgroßeltern gehört hatten und die, von Rost angegriffen und mit Schimmel überzogen, seit langen Zeiten in einen Winkel hingeworfen und vergessen waren. Er reinigte sie und machte sie zurecht, so gut er nur immer konnte. Doch nun sah er, daß sie an einem großen Mangel litten: es war nämlich kein Helm mit Visier dabei, sondern nur eine einfache Sturmhaube; aber dem half seine Erfindsamkeit ab, denn er machte aus Pappdeckel eine Art von Vorderhelm, der, in die Sturmhaube eingefügt, ihr den Anschein eines vollständigen Turnierhelms gab. Freilich wollte er dann auch erproben, ob der Helm stark genug sei und einen scharfen Hieb aushalten könne, zog sein Schwert und führte zwei Streiche darauf, und schon mit dem ersten zerstörte er in einem Augenblick, was er in einer Woche geschaffen hatte; und da konnte es nicht fehlen, daß ihm die Leichtigkeit mißfiel, mit der er ihn in Stücke geschlagen. Um sich nun vor dieser Gefahr zu bewahren, fing er den Vorderhelm aufs neue an und setzte Eisenstäbe innen hinein, dergestalt, daß er nun mit dessen Stärke zufrieden war; und ohne eine neue Probe damit anstellen zu wollen, erachtete und erklärte er ihn für einen ganz vortrefflichen Turnierhelm.

Jetzt ging er, alsbald nach seinem Gaule zu sehen, und obschon dieser an den Hufen mehr Steingallen hatte als ein Groschen Pfennige und mehr Gebresten als das Pferd Gonellas, das tanium pellis et ossa fuit, dünkte es ihn, daß weder der Bukephalos des Alexander noch der Babieca des Cid sich ihm gleichstellen könnten. Vier Tage vergingen ihm mit dem Nachdenken darüber, welchen Namen er ihm zuteilen sollte; sintemal – wie er sich selbst sagte – es nicht recht wäre, daß das Roß eines so berühmten Ritters, das auch schon an sich selbst so vortrefflich sei, ohne einen eigenen wohlbekannten Namen bliebe. Und so bemühte er sich, ihm einen solchen zu verleihen, der deutlich anzeige, was der Gaul vorher gewesen, ehe er eines fahrenden Ritters war, und was er jetzo sei; denn es sei doch in der Vernunft begründet, daß, wenn sein Herr einen andern Stand, auch das Roß einen andern Namen annehme und einen solchen erhalte, der ruhmvoll und hochtönend sei, wie es dem neuen Orden und Beruf zieme, zu dem er sich selbst bereits bekenne. Und so, nachdem er viele Namen sich ausgedacht, dann gestrichen und beseitigt, dann wieder in seinem Kopfe andre herbeigebracht, abermals verworfen und aufs neue in seiner Vorstellung und Phantasie zusammengestellt, kam er zuletzt darauf, ihn Rosinante zu heißen, ein nach seiner Meinung hoher und volltönender Name, bezeichnend für das, was er gewesen, als er noch ein Reitgaul nur war, bevor er zu der Bedeutung gekommen, die er jetzt besaß, nämlich allen Rossen der Welt als das Erste voranzugehen.

Nachdem er seinem Gaul einen Namen, und zwar so sehr zu seiner Zufriedenheit, gegeben, wollte er sich auch selbst einen beilegen, und mit diesem Gedanken verbrachte er wieder volle acht Tage; und zuletzt verfiel er darauf, sich Don Quijote zu nennen; woher denn, wie schon gesagt, die Verfasser dieser so wahren Geschichte Anlaß zu der Behauptung nahmen, er müsse ohne Zweifel Quijada geheißen haben und nicht Quesada, wie andre gewollt haben. Jedoch da er sich erinnerte, daß der tapfere Amadís sich nicht einfach damit begnügt hatte, ganz trocken Amadís zu heißen, sondern den Namen seines Königreichs und Vaterlands beifügte, um es berühmt zu machen, und sich Amadís von Gallien nannte, wollte er ebenso als ein guter Ritter seinem Namen den seiner Heimat beifügen und sich Don Quijote von der Mancha nennen; damit bezeichnete er nach seiner Meinung sein Geschlecht und Heimatland ganz lebenstreu und ehrte es hoch, indem er den Zunamen von ihm entlehnte.

Da er nun seine Waffen gereinigt, aus der Sturmhaube einen Turnierhelm gemacht, seinem Rosse einen Namen gegeben und sich selbst neu gefirmelt hatte, führte er sich zu Gemüt, daß ihm nichts andres mehr fehle, als eine Dame zu suchen, um sich in sie zu verlieben; denn der fahrende Ritter ohne Liebe sei ein Baum ohne Blätter und Frucht, ein Körper ohne Seele. Er sagte sich: Wenn ich um meiner argen Sünden willen oder durch mein gutes Glück draußen auf einen Riesen stoße, wie dies gewöhnlich den fahrenden Rittern begegnet, und ich werfe ihn mit einem Speerstoß darnieder oder haue ihn mitten Leibes auseinander, oder kurz, besiege ihn und zwinge ihn zu meinem Willen, wird es da nicht gut sein, eine Dame zu haben, der ich ihn zusenden kann, um sich ihr zu stellen, so daß er eintrete und sich auf die Knie niederlasse vor meiner süßen Herrin und mit demütiger und unterwürfiger Stimme sage: Ich bin der Riese Caraculiambro, Herr der Insel Malindrania, den im Einzelkampf der nie nach voller Gebühr gepriesene Ritter Don Quijote von der Mancha besiegt hat, als welcher mir befohlen, ich solle mich vor Euer Gnaden stellen, auf daß Euer Herrlichkeit über mich nach Dero Belieben verfüge?

O wie freute sich unser Ritter, als er diese Rede getan, und gar erst, als er gefunden, wem er den Namen seiner Dame zu geben hätte! Und es verhielt sich dies so – wie man glaubt –, daß an einem Ort in der Nachbarschaft des seinigen ein Bauernmädchen von recht gutem Aussehen lebte, in die er eine Zeitlang verliebt gewesen, obschon, wie man vernimmt, sie davon nie erfuhr noch acht darauf hatte. Sie nannte sich Aldonza Lorenzo, und dieser den Titel einer Herrin seiner Gedanken zu geben deuchte ihm wohlgetan. Er suchte für sie nach einem Namen, der vom seinigen nicht zu sehr abstäche und auf den einer Prinzessin und hohen Herrin hinwiese und abziele, und so nannte er sie endlich Dulcinea von Toboso, weil sie aus Toboso gebürtig war; ein Name, der nach seiner Meinung wohlklingend und etwas Besonderes war und zugleich bezeichnend wie alle übrigen, die er sich und allem, was ihn betraf, beigelegt hatte.

2. Kapitel

Welches von der ersten Ausfahrt handelt, die der sinnreiche Don Quijote aus seiner Heimat tat

Inhaltsverzeichnis

Nachdem er alle diese Vorkehrungen getroffen, wollte er nicht länger warten, sein Vorhaben ins Werk zu setzen; es drängte ihn dazu der Gedanke an die Entbehrung, die die Welt durch sein Zögern erleide, derart waren die Unbilden, denen er zu steuern, die Ungerechtigkeiten, die er zurechtzubringen, die Ungebühr, der er abzuhelfen, die Mißbräuche, die er wiedergutzumachen, kurz, die Pflichten, denen er zu genügen gedachte. Und so, ohne irgendeinem von seiner Absicht Kunde zu geben und ohne daß jemand ihn sah, bewehrte er sich eines Morgens vor Anbruch des Tages – es war einer der heißen Julitage – mit seiner ganzen Rüstung, stieg auf den Rosinante, nachdem er seinen zusammengeflickten Turnierhelm aufgesetzt, faßte seine Tartsche in den Arm, nahm seinen Speer und zog durch die Hinterpforte seines Hofes hinaus aufs Feld, mit gewaltiger Befriedigung und Herzensfreude darob, mit wie großer Leichtigkeit er sein löbliches Vorhaben auszuführen begonnen.

Aber kaum sah er sich in freiem Feld, als ihn ein schrecklicher Gedanke anfiel, und zwar ein solcher, der ihn beinahe dahin gebracht hätte, das angefangene Unternehmen wieder aufzugeben: nämlich der Gedanke, daß er nicht zum Ritter geschlagen sei und daß gemäß dem Gesetze des Rittertums er gegen keinen Ritter die Waffen führen könne noch dürfe; und wenn er es sogar schon wäre, so müßte er doch eine weiße Rüstung tragen, ohne ein Abzeichen auf dem Schild, bis er sich eines durch seine Tapferkeit gewänne. Diese Erwägungen machten ihn in seinem Vorsatze wankend; aber da seine Torheit mehr vermochte als jeglicher Vernunftgrund, nahm er sich vor, sich von dem ersten besten, auf den er stieße, zum Ritter schlagen zu lassen, in Nachahmung vieler andern, die so getan, wie er in den Büchern gelesen hatte, die ihn in solche Geistesrichtung versetzt hatten. Was die weiße Rüstung betraf, so dachte er die seine, wenn er Gelegenheit habe, dergestalt zu putzen, daß sie weißer werde als ein Hermelin. Und damit beruhigte er sich und setzte seinen Weg fort, ohne einen andern einzuschlagen, als den sein Pferd wollte; denn er meinte, gerade darin bestünde das rechte Wesen der Abenteuer.

Wie nun unser funkelnagelneuer Abenteurer des Weges hinzog, pflog er ernsten Gespräches mit sich selbst und sagte: Wer zweifelt, daß in kommenden Zeiten, wann die wahrhafte Geschichte meiner ruhmvollen Taten dereinst ans Licht tritt, der weise Zauberer, der sie verfassen wird, wenn er an die Erzählung gelangt dieser meiner ersten Ausfahrt so frühmorgens, folgendermaßen hinschreibt: Kaum hatte der rotwangige Apollo über das Antlitz der großen weithingedehnten Erde die goldnen Fäden seiner schönen Haupthaare ausgebreitet und kaum hatten die kleinen buntfarbigen Vögelein mit ihren spitzigen Zungen und mit sanfter honigsüßer Harmonie das Kommen der rosigen Aurora begrüßt, welche, das weiche Lager des eifersüchtigen Gemahls verlassend, sich aus den Pforten und Erkern des Manchaner Horizontes hervor den Sterblichen zeigte, als der berühmte Ritter Don Quijote von der Mancha, die müßigen Daunen verlassend, auf seinen berühmten Hengst Rosinante stieg und des Weges zu ziehen begann über das alte weitbekannte Gefilde von Montiel. – Und in der Tat ritt er eben darüber hin.

Und er sagte weiter: Glücklich das Zeitalter und glücklich das Jahrhundert, wo dereinst ans Licht treten die ruhmvollen Taten mein, würdig, in Erz gegraben, in Marmor gemeißelt, auf Tafeln gemalt zu werden zum Angedenken in aller Zukunft! O du weiser Zauberer, wer auch immer du seiest, dem es zuteil werden soll, der Chronist dieser merkwürdigen Geschichte zu sein, ich bitte dich, meines guten Rosinante nicht zu vergessen, meines ewigen Gefährten auf all meinen Wegen und Bahnen.

Dann sagte er wieder, als wäre er wirklich verliebt: O Prinzessin Dulcinea, Herrin dieses mit Gefangenschaft bestrickten Herzens! Große Unbill habt Ihr mir getan, mich abzuweisen und wegzustoßen mit der grausamen Strenge des Gebotes, daß ich vor Euer Huldseligkeit mich nicht mehr zeigen soll. Es beliebe Euch, Herrin, dieses Euch untertänigen Herzens zu gedenken, das so viele Nöten um Eurer Liebe willen erduldet.

An diese Ungereimtheiten reihte er noch vielfach andre an, alle in der Art jener, die seine Bücher ihn gelehrt, indem er ihre Sprache, soviel es ihm möglich war, nachahmte; und dabei ritt er so langsam fürbaß, und die Sonne stieg so eilig und mit solcher Glut herauf, daß es hingereicht hätte, ihm das Hirn breiweich zu schmelzen, wenn er welches gehabt hätte.

Beinahe diesen ganzen Tag zog er dahin, ohne daß ihm etwas begegnete, was zum Erzählen wäre, und darüber wollte er schier verzweifeln; denn gern hätte er gleich zur Stelle auf jemand treffen mögen, an dem er die Tapferkeit seines starken Armes erproben könnte.

Es gibt Schriftsteller, die da sagen, das erste Abenteuer, das ihm zustieß, sei das im Bergpaß Lápice gewesen; andre sagen, das mit den Windmühlen. Was ich jedoch über diesen Kasus ermitteln konnte und was ich in den Jahrbüchern der Mancha geschrieben fand, ist, daß er den ganzen Tag seines Weges zog und beim Herannahen des Abends er und sein Gaul erschöpft und bis zum Tode hungrig waren; und daß, nach allen Seiten hin spähend, ob er irgendeine Burg oder einen Hirtenpferch entdeckte, wo er eine Zuflucht finden und seinem großen Notstand abhelfen könnte, er nicht weit von dem Weg, den er ritt, eine Schenke erblickte. Da war ihm, als sähe er einen Stern, der ihn zur Pforte – wenn auch nicht in den Palast – seiner Erlösung leitete. Er beschleunigte seinen Ritt und langte eben zur Zeit an, wo es Abend wurde.

Hier standen von ungefähr an der Tür zwei junge Frauenzimmer, aus der Zahl jener, welche man Die von der leichten Zunft benennt; sie waren auf der Reise nach Sevilla mit Maultiertreibern, die zufällig diese Nacht in der Schenke Rast hielten. Und da es unsern Abenteurer bedünkte, alles, was er auch immer dachte, sah oder sich einbildete, sei so beschaffen und trage sich so zu wie die Dinge, die er gelesen hatte, so kam es ihm sogleich vor, da er die Schenke sah, sie sei eine Burg mit ihren vier Türmen und Turmhauben von glänzendem Silber, ohne daß ihr ihre Zugbrücke und ihr tiefer Graben fehlte, nebst allen jenen Zubehörungen, womit man dergleichen Burgen malt. Er ritt näher an die Schenke heran – die ihm eine Burg schien –, und eine kurze Strecke von ihr hielt er seinem Rosinante die Zügel an und wartete, daß irgendein Zwerg sich zwischen den Zinnen zeige, um mit einer Drommete oder dergleichen das Zeichen zu geben, daß ein Ritter der Burg nahe. Da er aber sah, daß man zögerte, und Rosinante nach dem Stall Eile hatte, ritt er vor die Tür der Schenke und erblickte die beiden liederlichen Dirnen, die dort standen und die ihm als zwei schöne Fräulein oder anmutvolle Edelfrauen erschienen, die vor der Burgpforte sich erlusten mochten.