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www.editionkoch.de

Impressum

Die Autoren: Howard Carpendale und Stefan Alberti

Deutsche Erstausgabe 2016

Coverdesign und Buchsatz: © Thomas Auer, www.buchsatz.com

Fotograf Coverabbildung: Hergen Schimpf

Owner Coverabbildung: Heimat2050

Bilder im Innenteil: Privatfotos mit freundlicher Genehmigung von Howard Carpendale, außer anders angeführt

Lektorat: Kirsten Borchardt

Korrektorat: Rainer Schöttle

© 2016 by Edition KOCH

Edition KOCH, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

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ISBN 978-3-7081-0524-6

Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-7081-0523-9

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Das hätte ich nie gedacht

1

Der lange Weg zurück ins Leben, Teil eins

2

Ich weiß auch nicht, was Schlager ist

3

Erziehung? Die gab es nicht

4

Dreißig Cent sind viel wert

5

Mein grünes Buch ist weg

6

Wenn es doch einen Reset-Knopf gäbe

7

Cricket statt Kirche

8

Meine Asche gehört auf den Golfplatz

9

Als Macho stehe ich auf drei

10

Spieglein, Spieglein an der Wand

Bildstrecke

11

Überleben im Medien-Dschungel

12

Donnice

13

Dafür lebe ich

14

Ich bin immer schuld

15

Musikalische Impulse

16

Begegnungen

17

Über Dodge City in die Zukunft

18

Der lange Weg zurück ins Leben, Teil zwei

Zugabe: Soundtracks meines Lebens

Bildnachweise

Stationen

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Das hätte ich nie gedacht

Mit diesem Mann bin ich aufgewachsen. Das ist keine Floskel, sondern eine Tatsache. Als ich im Jahre 1968 geboren wurde, hatte Howard Carpendale noch nicht richtig im Showbusiness Fuß gefasst. Mit seinen zweiundzwanzig Jahren stand er noch am Anfang seiner musikalischen Karriere – trotz erster Erfahrungen in Südafrika, England und Deutschland. 1968 – das war ein Jahr, in dem die Beatles das weltweite Musikgeschehen beherrschten. Kurze Zeit später fiel der Startschuss für die legendäre ZDF-Hitparade, die mit dafür verantwortlich war, dass sich im Laufe der folgenden Jahre der Name Howard Carpendale immer mehr in mein Gedächtnis einbrannte. Zunächst in Schwarz-Weiß, dann in Farbe.

Fast fünfzig Jahre später bat mich nun dieser Entertainer, mit ihm das vorliegende Buch zu entwickeln und zu schreiben. Bis dahin kannten wir uns aus vielen beruflichen Begegnungen, die stets von einem besonderen gegenseitigen Respekt und Vertrauen geprägt waren und in deren Rahmen wir viele tiefgründige Gespräche führten.

Nun also das Buchprojekt – eine sehr außergewöhnliche Erfahrung für mich. Warum? Weil Howard Carpendale anders und überraschender ist, als ich jemals gedacht hätte. Weil dieser Mann Ecken und Kanten hat. Weil dieser Mann ein ungewöhnlicher Typ ohne Starallüren ist. Ja, und weil dieser Mann ein Perfektionist ist. Das ging so weit, dass er mich fast zu jeder Tages- und Nachtzeit anrief, weil ihm gerade irgendein Thema oder Aspekt eingefallen war, der ihm für das Buch sehr wichtig erschien. Kein Problem – das Leben eines Autors ist eben nicht nur ein Ponyhof. Zwischendurch war ich mit ihm so eng verbunden, dass ich manchmal gar nicht merkte, wie sein unverwechselbarer Akzent gelegentlich auf meine Sprache abfärbte.

Noch ein Beispiel für den anderen und überraschenden ­Howard Carpendale gefällig? Mir war es wichtig, dass er sich für die Arbeit an dem Buch Orte aussuchte, an denen er sich wohlfühlte, um völlig entspannt und befreit seinen Gedanken, Geschichten und Erinnerungen freien Lauf lassen zu können. Nicht gerechnet hatte ich mit seiner Reaktion: „In Ordnung, aber du musst dich bitte auch wohlfühlen“, hielt mir Howard Carpendale entgegen. Ein Mann, ein Satz – Respekt! Er suchte nicht nur die passenden Orte für sich aus, sondern checkte auch höchstpersönlich die Unterkunft, in der ich während unserer gemeinsamen Arbeit mein Journalistenleben führte.

Wir haben diskutiert. Wir haben gelacht. Wir haben gestritten. Wir haben uns auch gegenseitig beleidigt – so, wie es unter Freunden eben üblich ist. Ach ja, und damit niemand irritiert ist, wenn wir uns auf den folgenden Seiten duzen: Das „Du“ ist für Howard Carpendale selbstverständlich, „weil man in einem Team ,du‘ zueinander sagt“.

Das Ergebnis dieser speziellen Spurensuche haben wir in diesem Buch festgehalten. Es enthält die intensiven, nachdenklichen, rührenden und fesselnden Erinnerungen und Gedanken des Künstlers, Menschen und Zeitzeugen Howard Carpendale, mit denen die Kapitel eröffnet werden. Danach folgen jeweils ebenso intensive Gespräche – als Generationendiskurs, Gedankenaustausch und manchmal auch als Streitgespräch zwischen zwei Männern.

Stefan Alberti

Stefan Alberti, Redakteur der Neuen Osnabrücker Zeitung, beschäftigt sich seit vielen Jahren tiefgründig und unterhaltend mit den Künstlern der Showbranche und Musikwelt. Über seine journalistische Arbeit entwickelte sich auch ein intensiver Kontakt zu Howard Carpendale. Nach zahlreichen Gesprächen und Diskussionen entwickelten beide die Idee und das Konzept für dieses Buch.

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„Howard, ich mache mir Sorgen um dich. Du bist sehr gefährdet.“

„Wie kommst du darauf?“

„Weil ich Tausende von Patienten in meinem Leben behandelt habe und glaube, dass ich genau einschätzen kann, was in deinem Kopf vor sich geht: Du denkst an Selbstmord. Und leider bist du der Typ, der es auch macht, wenn du damit im Reinen bist.“

„Verdammt noch mal“, dachte ich. In seiner Gegenwart hatte ich das Wort nie in den Mund genommen. Dabei hatte ich schon einen ganz genauen Plan, was das Wie und Wo betraf. Nur das Wann war noch nicht klar. „Hör mal“, hörte ich ihn sagen, „fahr heute Abend nicht zurück nach Zist. Komm mit mir nach Hause und bleib über Nacht. Morgen ist Samstag. Meine Frau macht uns Frühstück. Und dann reden wir weiter.“ Ich ging mit.

Es war angenehm bei Marc. Seine Frau war mir gegenüber sehr warm und herzlich, und für ein paar Stunden wurde ich durch unser Gespräch abgelenkt. Aber als ich ins Bett ging, war sie wieder da – diese Stimme in meinem Kopf, die mir immer wieder sagte, dass mein Leben keinen Sinn mehr habe. Die mir immer wieder einhämmern wollte, dass mein glückliches Leben vorbei sei. Auch meine Familie wusste nicht mehr weiter. Wie oft hatten sie mit mir geredet? Claudia und Wayne in Deutschland, Donnice und Cass in Amerika. Hier hielt die Familie wieder ganz besonders zusammen. Jeder auf seine spezielle Art. Und ich hatte auch alles gehört und verstanden. Aber dieses Loch war sehr tief, und ich kam nicht heraus. Es war unglaublich. Sobald ich im Bett lag, übernahm die Stimme wieder das Kommando. Das Einzige, worauf ich mich freute, war das Einschlafen und – das ist mein voller Ernst – auf das Umdrehen. Denn in den zehn Sekunden, in denen ich mich drehte und meine Kissen zurechtlegte, da war die Stimme still.

Am nächsten Morgen nach dem gemeinsamen Frühstück sagte Marc: „Komm, wir gehen mal spazieren.“ Nun, spazieren gehen war nie mein Ding. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass ich jemals spazieren gegangen bin. Jogging – ja. Auf dem Golfplatz hinter dem Ball herlaufen – ja. Nur so, ohne Ziel? Aber hier war ein Arzt, der weltweit anerkannt war als eine große Kapazität. Und er wollte mir etwas sagen. Es dauerte mehrere Stunden. Wir liefen durch Wälder, irgendwo in Südbayern. Und er redete über viele Dinge. Über bekannte Psychopathen, Charakterstrukturen, das Entstehen von psychischen Problemen und das Leiden der Seele. Er sprach dabei klar und ruhig. Einige Sätze schlugen ein wie der Blitz. Verdammt noch mal, es traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Manchmal machten wir Pause, saßen auf Bänken im Wald und redeten gar nicht. Aber irgendwann sagte er: „Howard, du musst wieder auf die Bühne. Das ist dein Sauerstoff, und es ist deine Heimat. Du warst nicht fertig, als du aufgehört hast. Wenn du nicht da oben stehst, wirst du nicht mehr lange leben.“

Abends fuhr ich zurück nach Zist – und zum ersten Mal seit Jahren war ich wieder in der Lage, im Auto Musik zu hören. Meine Musik. Ich legte das Album „Danke … Ti amo“ ein.

Zist? Ich weiß, das muss ich erklären: Wenn man die A95 von München in Richtung Garmisch fährt, dann kommt irgendwann die Ausfahrt Penzberg. Wie oft bin ich schon an dieser Ausfahrt vorbeigefahren? Meistens völlig in Gedanken versunken. Okay, man verlässt also in Penzberg die Autobahn, fährt drei bis vier Kilometer durch ein Waldgebiet – und irgendwann tauchen einige kleine Holzhütten auf. Keine große Klinik, kein Luxus. Zist steht für „Zentrum zur Entwicklung menschlicher Kompetenz durch Selbsterfahrung“. Ab Januar 2007 war Zist für einige Monate der Mittelpunkt meines Lebens. Es gab nichts, was mich an mein früheres Leben erinnerte. Unerwartet. Plötzlich. Befremdlich.

Howard, so, wie du dieses Zentrum schilderst, hattest du dort offensichtlich nicht nur mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, sondern auch mit einem Kulturschock.

Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein schönes Gefühl ich in der Anfangszeit verspürte, wenn ich zwischendurch mal mit einem Mietwagen nach Penzberg fahren konnte, um mir in einer Bäckerei ein Stück Kuchen zu holen. Der Wechsel von der sechshundert Quadratmeter großen Luxusvilla in Amerika in ein etwa acht Quadratmeter großes Zimmer auf dem Zist-Areal – das war tatsächlich ein großer Kulturschock. Mir war das scheißegal.

Ein Mann wie ein Baum, der gegen eine Depression kämpfen muss. Passt eigentlich nicht zu einem Howard Carpendale, oder?

Das hatte ich vorher auch gedacht. Ich war immer ein Typ, der andere Menschen geführt hat. In den Mannschaften beim Sport war ich immer der Kapitän. Ich hätte nie geglaubt, dass mich mein Leben jemals in diese Krankheit führen würde. Zum ersten Mal lernte ich das Wort Depression kennen. Erst wenn es dich trifft, kannst du spüren, dass es eine Krankheit ist. Und man ist ziemlich machtlos dagegen.

Kannst du mir diese Machtlosigkeit näher beschreiben?

Eine Depression hat verschiedene Stufen. In der Klinik habe ich einige Menschen kennengelernt. Menschen, die mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen ihrer Depression zu kämpfen hatten. Ich war auf der höchsten Stufe angekommen. Ich wollte mir das Leben nehmen – und wusste genau wie: Ich würde mit einem Auto einen steilen Hang herabstürzen. Der Druck, es endlich tun zu müssen, wurde immer größer, der Ausweg schien immer unwahrscheinlicher. Es gibt eine Stelle, die sich für diesen Plan geeignet hätte. Ein Wahnsinn! Es war mir alles, aber wirklich alles scheißegal.

Jetzt bin ich überrascht. Keiner hätte wohl gedacht, dass deine Depression so stark gewesen ist.

Ich denke, dass ich wirklich gut beurteilen kann, wohin eine Depression jemanden führen kann. Meine Erfahrungen liegen jetzt schon einige Jahre zurück. Und wenn ich mich heute umschaue und die Medien verfolge, habe ich das Gefühl, dass die Depression fast eine Volkskrankheit ist. Nicht ohne Grund ist sie in etlichen Zeitungen und Zeitschriften immer wieder ein großes Thema. Eines möchte ich noch einmal deutlich machen: Eine Depression kann einen Menschen komplett aus der Bahn werfen. Ich kann allen Betroffenen nur wünschen, dass sie mit professioneller und effektiver Hilfe da wieder rauskommen. Leider ist es aber auch so, dass nicht jeder in unserer Gesellschaft beim Kampf gegen diese Krankheit auf dieselben Angebote zurückgreifen kann.

Wie kann ein erfolgreicher Künstler, der eigentlich alles erreicht hat, in solch einen Teufelskreis geraten?

Bei meinem Abschied von der Bühne hatte ich in der Tat das Gefühl, alles erreicht zu haben. Die Abschiedstour war gigantisch, ausverkaufte Konzerte in den großen Arenen – und dann das letzte Konzert am 13. Dezember 2003 in Köln. An diesem Tag allein sind zweiundzwanzigtausend Menschen in die Lanxess-Arena gekommen. Meine achtundachtzigjährige Mum war extra aus Südafrika angereist. Nach diesem letzten Konzert wuchs zunächst täglich das gute Gefühl, dass der Entschluss richtig gewesen war. Der richtige Moment? Ich dachte, den richtigen Moment erwischt zu haben.

Und dann wurde die Sehnsucht nach der großen Bühne und nach Anerkennung immer größer und quälender?

Stefan, bevor ich jetzt mit dir ins Detail gehe, lass dir versichert sein: Geld war nie meine Motivation. Es ging um viel mehr.

Dann bin ich ja beruhigt. Wenn jetzt Geld der Grund für das Comeback und alles andere gewesen wäre, dann hätte mich das auch sehr enttäuscht, weil ich dich inzwischen kenne.

Also starten wir. Mein größter Wunsch war es, erst mal wieder als Mensch zu leben – ohne diese ständige Beobachtung durch die Öffentlichkeit. Ich wohnte am schönsten Flecken Floridas. Alles war perfekt. Es fühlte sich an wie im Paradies. Die ersten drei Jahre waren herrlich. Ich konnte alles machen, was ich mir bis dahin zu wenig gegönnt hatte. Ein Zustand, den ich seit meinem elften Lebensjahr nicht mehr kannte. Mein Vater legte als angesehener Politiker sehr viel Wert auf ein tadelloses Ansehen der Familie Carpendale und übertrug dies natürlich auch auf seine Kinder. Schon als Jugendlicher achtete ich bei allem, was ich tat, nicht nur auf mich, sondern auch auf die Wirkung in der Öffentlichkeit.

Was geschah dann, nach diesen drei Jahren?

Die Depression entwickelte sich schleichend – es gab auslösende und verstärkende Situationen, über deren Wirkung ich mir erst im Nachhinein wirklich bewusst wurde. Wie ich schon sagte, ich lebte in Admirals Cove in purem Luxus. Doch ich spürte immer mehr, dass irgendwas fehlte. Alle Gespräche auf dem Golfplatz wiederholten sich. Jeder lebte von der Vergangenheit. Auch ich erzählte viel zu viel von damals. Ich spürte Stillstand. Es gab keine Spannung mehr. Visionen? Fehlanzeige. Große Momente kann man sich auch mit viel Geld nicht kaufen.

Ich fing verzweifelt an, woanders nach Freunden zu suchen – und lernte tatsächlich einen Mann kennen, der nicht nur vorgab, als Berater meine Investitionen organisieren zu können, sondern sich im Laufe der Zeit auch zu einem engen Freund entwickelte. So war zumindest mein Gefühl. Ich hatte anfangs überhaupt keinen Grund, an seiner Loyalität, an seiner Freundschaft und an seinem Fachwissen zu zweifeln. Er empfahl mir Investments, die ich fast blind umsetzte oder ihn direkt umsetzen ließ.

Und dann kam der große Knall, dass er dich komplett über den Tisch gezogen hatte?

So ist es, ja. Er hat mir Dinge empfohlen, die nicht gut gelaufen sind, für die er aber regelmäßig seine Provisionen kassierte. Investitionen in angeblich lukrative Immobilien, darunter zum Beispiel auch ein Restaurant und eine Tank- und Rastanlage. Nichts von dem, was er versprochen hatte, ging auf. Als der ganze Schwindel aufflog, war er schon über alle Berge. Ich setzte alles daran, ihn zu finden, aber ich kam einfach nicht mehr an ihn heran.

Jetzt könnte manch einer zu Recht meinen, dass ich ziemlich naiv gehandelt hätte. Ja, in diesem Fall habe ich das wohl. Weißt du, Stefan, ich habe darüber natürlich viel nachgedacht. Mein Fehler war, dass ich jemandem komplett vertraute, dass ich glauben wollte, er sei mein Freund, mein Buddy – und zu spät kapiert habe, dass meine Hoffnung falsch war, mit ihm jemanden an meiner Seite zu haben, der es mit unserer Freundschaft ernst meinte.

Gab es für dich denn keine Möglichkeiten, ihn zur Verantwortung zu ziehen? Über einen Anwalt?

Natürlich habe ich einen Anwalt eingeschaltet. Aber es war alles sehr kompliziert und nicht mehr zu durchschauen.

Um welche Summe ging es denn überhaupt?

Es ging um eine siebenstellige Summe. Das ist viel Geld. Womit wir auch wieder bei dem Punkt sind, dass manch einer nun behaupten könnte, ich sei ja nur wegen finanzieller Sorgen auf die Bühne zurückgekehrt.

Na ja, ganz abwegig finde ich solche Behauptungen nicht.

Okay, das kann ich auch verstehen. Deswegen muss ich erklären, was diese Geschichte in mir angerichtet hat. Wegen des Geldes hätte ich nicht auf die Bühne zurückkehren müssen. Wirtschaftlich stand ich sehr gut da. Weißt du, es war die Enttäuschung, die große Enttäuschung über einen Mann, den ich zu meinen besten Freunden in Amerika zählte. Der Gedanke daran, dass ich dieses Problem nicht innerhalb kurzer Zeit aus der Welt schaffen konnte, hat mich innerlich zerrissen. Ich hasse Probleme, die sich über Jahre hinziehen.

In den folgenden Monaten habe ich mich für nichts mehr interessiert. In meinem Kopf herrschte totale Leere. Selbst mein Appetit auf die schönen Dinge war weg. Wenn es etwas Positives gab, dann allenfalls die Tatsache, dass ich innerhalb eines halben Jahres mein ständiges Gewichtsproblem in den Griff bekam: Ich war zehn Kilo leichter. Ein schwacher Trost. Ich lebte nur noch in den Tag hinein. Eigentlich saß ich nur rum und starrte Löcher in die Luft. Keine Pläne. Keine Ziele. Ich hatte nicht mal mehr Lust auf Golf. Wer mich kennt, kann erahnen, was das heißt. Damals riefen mich meine Golfzockerfreunde an und fragten, was los sei. Ich vertröstete sie immer mit irgendwelchen Ausreden. Irgendwann fielen mir aber keine mehr ein.

Von einem Arzt wolltest du dir zu diesem Zeitpunkt noch nicht helfen lassen?

Nein, zu dem Zeitpunkt nicht. Ich war der Meinung, dass ich das alles schon irgendwie selbst meistern könne. Irgendwie. Ein Howard Carpendale macht das schon. Was für ein Trugschluss. Ich war schon längst mitten in meiner tiefen Depression angekommen. Dass meine Frau Donnice in dieser Phase auch schwer mit ihrer Suchtkrankheit zu kämpfen hatte, machte die ganze Situation nicht gerade einfacher. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich nach Deutschland telefonierte, um mit meiner Exfrau Claudia und unserem Sohn Wayne über meine ganzen Probleme zu sprechen. Dann kam dieses Weihnachten 2006. Wayne stand vor meiner Tür in Amerika, um mich abzuholen.

Das hört sich jetzt an wie der Anfang eines Weihnachtsmärchens.

Soll es ruhig. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie stolz ich auf meine Jungs war, bin und immer sein werde. Das Weihnachtsfest 2006 schien eine sehr einsame Angelegenheit zu werden. Donnice war in der Klinik, und unser gemeinsamer Sohn Cass und ich saßen alleine zu Hause. Wir waren nicht gerade in Weihnachtsstimmung. Am Tag vor Heiligabend klingelte es plötzlich an der Tür. Ich öffnete und sah Wayne vor mir.

Wenn ich das heute erzähle, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Ein unbeschreibliches Gefühl. Mein Sohn hatte im fernen Deutschland den Entschluss gefasst, zu mir zu fliegen, weil er spürte, dass bei seinem Vater der Punkt erreicht war, an dem er seine Probleme nicht mehr selber meistern konnte. Wayne war zu der Zeit mit Yvonne Catterfeld liiert. Sie musste damals das Weihnachtsfest in Deutschland ohne Wayne verbringen, weil der eine Mission bei seinem Vater zu erfüllen hatte. Na ja, wir haben das Beste aus den Feiertagen gemacht – wie drei Männer eben versuchen, ein kleines Fest zu feiern. Wir redeten und redeten. Für Wayne war klar, dass ich dringend professionelle Hilfe brauchte. „Ich fliege nicht ohne dich nach Deutschland zurück“, gab er mir deutlich zu verstehen. Eine klare Ansage von einem sehr entschlossenen Sohn.

Und Cass?

Genau diese Frage schoss mir damals auch durch den Kopf. Was sollte mit Cass passieren? Der Junge war gerade mal achtzehn Jahre alt, er ging noch zur Schule, sein Leben war bis dahin sehr behütet verlaufen. „Wir müssen eine Wohnung für Cass finden, und das muss schnell gehen“, erklärte Wayne noch immer sehr entschlossen. Er war überzeugt, dass dieser Weg einem Achtzehnjährigen durchaus zuzutrauen sei. Fünf Tage später fand Wayne tatsächlich eine Wohnung für Cass. Jetzt war Wayne der Chef im Ring. Er führte die nötigen Gespräche von Bruder zu Bruder.

Mir tat Cass unglaublich leid, aber der Junge schlug sich mehr als tapfer: „Es ist nicht so schlecht, das wird schon klappen“, meinte er zu mir. Dieser Satz konnte mein Gewissen nur bedingt beruhigen. Mir blieb aber auch keine andere Wahl. Ich wusste, dass Waynes Entscheidung richtig war. Anfang Januar 2007 flogen wir gemeinsam nach Deutschland. Detlev, mein langjähriger Assistent, reiste nach Amerika, um Cass bei der Einrichtung seiner Wohnung zu helfen. Eine weitere kleine Gewissensberuhigung für mich. Wesentlich ruhiger wurde ich allerdings erst, als ich einige Zeit später erfuhr, dass Cass bei den Eltern seiner Schulfreundin einziehen durfte. Ein unendliches Glück, dass diese Familie Cass zur Seite stand.

In Deutschland begann deine Therapie?

Ja. Wayne hatte zuvor mit Marc, dem Psychologen, alles detailliert besprochen. Beide entschieden sich für diesen Weg. Für mich. Für den Weg nach Zist. Ich habe es ja bereits geschildert: eine Klinik ohne Luxus. Ein ganz stiller Ort. Im Januar 2007. Bitterkalt, mitten im Winter. Wayne brachte mich auf direktem Weg vom Flughafen dorthin. Als ich mein kleines Zimmer bezog, brachen bei mir alle Dämme. Ich weinte hemmungslos. Fünfundvierzig Minuten später rief ich Wayne an, dass er mich wieder abholen müsse. Mir erschien es unmöglich, die Zeit dort zu überstehen. Wayne machte sich auf den Weg. In der Zwischenzeit ging ich an die frische Luft, ich musste atmen – und lernte dort einen der Köche kennen. Er machte gerade eine kleine Pause, und wir führten ein zufälliges Gespräch. Manchmal kommt so etwas gerade zur rechten Zeit. Irgendwie fasste ich neuen Mut – und als Wayne vorfuhr, versicherte ich ihm, er könne nun wirklich ohne mich wieder nach München zurückkehren.

Ich nahm sie an – die Herausforderung Zist. In aller Abgeschiedenheit. Andere Bewohner und Patienten nahmen mir die Geschichte ab, dass ich Gast in Zist sei, um ein Buch zu schreiben. Das funktionierte offensichtlich. Nicht mal die Boulevardmedien bekamen davon etwas mit. So konnte ich drei Monate lang sehr gründlich über mein Leben nachdenken.

Mit Erfolg?

In sehr kleinen Schritten und natürlich mit Hilfe von Medikamenten. Ich habe nicht sofort eine Besserung gespürt. Meine Gedanken drehten sich zunächst völlig im Kreis. Ich bekam sie einfach nicht geordnet. Nur die Gedanken an einen Suizid, die bildeten sich in dieser Phase klar heraus. Ich bin sicher, sie wären wahr geworden, wenn ich mein Leben nicht in den Griff bekommen hätte. Niemand würde bei mir auf derartige Gedanken kommen – dachte ich. Einem Top-Psychologen wie Marc konnte ich jedoch kein Theater vorspielen. Er durchschaute mich. Er konnte mich lesen – so wie ein guter Fußballtrainer die Taktik des Gegners liest und exakt analysiert.

Zweimal wöchentlich fuhr ich nach München, um dort Gespräche mit Marc zu führen. Im Zentrum selbst besuchte mich regelmäßig eine sehr freundliche Psychologin. Wir sprachen miteinander – über mein Leben, meine Probleme, meine Karriere, meine Kinder, Donnice und Claudia. In den Anfangswochen war meine Verzweiflung derart groß, dass ich fast bei jedem Gespräch sehr heftig weinen musste. Irgendwie waren diese Tränen aber auch befreiend. Und ganz allmählich spürte ich, dass mein Kopf klarer wurde. Meine Gedanken fanden wieder eine wohltuende Ordnung. Der Nebel in meinem Gehirn lichtete sich. Nach langen Wochen der Leere, Unsicherheit und Verzweiflung empfand ich wieder etwas Stabilität. Ich fühlte mich nun derart stark, dass ich bereit war, wieder auf Tour zu gehen. Willkommen zurück im Leben! So dachte ich zumindest, aber so weit war ich noch nicht.

Das heißt, dass du Zist verlassen hast, aber damit nicht komplett wieder gesund warst?

So ist es. Ich war nach den drei Monaten dort sicher ein ganz anderer Mensch als im Januar 2007. Die Medikamente und begleitenden Gespräche gaben mir ein solides und stabiles Gefühl. Meine Gedanken waren absolut positiv, ohne dass ich deswegen ab sofort ein komplett fröhlicher Mensch gewesen wäre. Die Depression war schon noch da. Ja, sie war immer noch eine Begleiterin, die ich aber weitgehend auf Distanz halten konnte. Bei meiner Ankündigung in der Talkshow von Johannes B. Kerner, wieder zurück auf die Bühne gehen zu wollen, war die Euphorie unglaublich. „Ich will wieder“ – diese drei Worte fühlten sich sehr gut an.

Man könnte meinen, dass solche tollen Momente doch sofort eine Depression komplett wegpusten müssten. Ich habe dann diese Tournee sehr genossen. Meine engsten Vertrauten konnten aber an meinen Augen und Blicken ablesen, dass ich noch nicht der Alte war. Aber, Stefan, du wirst überrascht sein, wenn ich später erzähle, wann ich mich zum ersten Mal wieder richtig gesund fühlte.

Da bin ich gespannt …

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