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Über dieses Buch:

Schwesternschülerin Lilly kann ihr Glück nicht fassen! Sie hat ein Date mit Rufus, dem mega-süßen Physiotherapeuten. Dumm nur, dass dessen großes Vorbild Dr. Wiener ist – ausgerechnet der Oberarzt, der Lilly das Leben zur Hölle macht. Sie kann Rufus doch unmöglich erzählen, was sie wirklich von Dr. Wiener hält, erst recht nicht, wenn er sie so lieb anlächelt! Lilly greift zu einer kleinen Notlüge, die jedoch ungeahnte Folgen nach sich zieht …

Über die Autorin:

Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie – auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian – Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2015 die Münchner Schreibakademie.

Zur Reihe S.O.S – Schwestern für alle Fälle gehören die folgenden Bände:

Willkommen in der Chaos-Klinik
Ein Oberarzt macht Zicken
Flunkern, Flirt und Liebesfieber
Rettender Engel hilflos verliebt
Prinzen, Popstars, Wohnheimpartys

Mehr Informationen auch auf der Website der Autorin: www.beatrix-mannel.de

www.münchner-schreibakademie.de/

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eBook-Neuausgabe Mai 2016

Dieses Buch erschien bereits 2004 unter dem Titel Help! Die Krankenhausserie. Flunkern, Flirt und Liebesfieber bei Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Copyright © der Originalausgabe 2004 Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

Titelbildabbildung: ©Minerva Studio - Fotolia.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-123-4

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Beatrix Mannel

S.O.S. – Schwestern für alle Fälle
Flunkern, Flirt und Liebesfieber

Roman

jumpbooks

Wer schön sein will ...

Wenn ich es nicht schaffe, diesen grauen Storch in meinem Spiegel während der nächsten Stunden in eine bezaubernde Schönheit – oder wenigstens in mich – zu verwandeln, sollte ich wohl besser nicht zu der wichtigsten Verabredung meines Lebens gehen.

Nicht nur, dass ich aussehe wie ein Storch, der den Abflug nach Süden verpasst hat, nein, auch mein eigentlich ganz passables, polanges schwarzes Haar ist heute fahl und matt. Erinnert an den Regen vor meinem Fenster. Dazu schimmert mein Gesicht bleich wie das Innere einer Makrele. Nein, ich sehe wirklich nicht im Entferntesten so glamourös aus, wie man das als Eliza-Lolita sollte. Ich schaue schon eher aus wie eine Lilly – so nennen mich ja auch alle. »Lilly, das Luder aus dem Odenwald«, murmle ich, ziehe den engen beigen Strickpullover – meinen letzten Versuch, lässig und sexy zu wirken – wieder aus und feuere ihn auf den Haufen aus T-Shirts, Jeans und Miniröcken auf meinem Bett.

Abwechselnd kommt es mir so vor, als würde die Zeit stillstehen oder rasen, was meinen Puls ständig unmotiviert aus der Reihe hüpfen lässt. In diesen Momenten möchte ich voller Vorfreude auf den Abend laut singen. Doch dann verschiebt sich wieder alles. Im Hals wird es eng, und ich kriege keine Luft mehr.

Trotzdem bin ich kein Fall für den Arzt, so viel habe ich als Schwesternschülerin im fünften Monat der Ausbildung schon mitgekriegt. Nein, diese Krankheit kann ich ganz alleine diagnostizieren. Man nennt sie auch verliebt sein. Die schwere akute Form.

Ich schiebe die Kleider zur Seite, lasse mich aufs Bett fallen und starre auf das Poster der Boygroup über mir. Das habe ich bei meinem Einzug ins Schwesternwohnheim aus Faulheit hängen lassen, und mittlerweile sind mir die Jungs darauf so vertraut wie Brüder.

»Also, welches Outfit findet ihr am besten?«, frage ich sie und überlege, welche Antwort ich am liebsten hören würde: »Lilly, du bist sowieso nackt am allerschönsten ...« Oder ...

Es klopft an der Tür. »Ja!«, sage ich. Vielleicht ist es doch besser, mit einem anderen Menschen zu reden als mit einem Poster.

Mascha, meine Mitbewohnerin und beste Freundin, stürmt herein. »Was ist denn hier los?«, fragt sie und deutet auf die verstreuten Kleider.

»Nichts! Ich überlege gerade, welches Outfit sich am besten eignet, um sich aus dem Fenster zu stürzen«, erkläre ich ihr. »Und weißt du, was? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich in allem eine eins a Leiche abgeben würde. Allerdings sollte ich vielleicht doch ein bisschen Lipgloss auflegen, damit ich nicht sogar als Leiche zu bleich bin.«

Statt zu lächeln, setzt Mascha sich neben mich aufs Bett und sortiert geschäftig T-Shirts und Röcke auf kleine getrennte Stapel. »Lilly, warum machst du eigentlich so ein großes Drama aus dieser Verabredung? Du gehst mit Rufus Pizza essen. So what

»Es ist absolut dramatisch«, stelle ich klar. »Für mich ist das wie ein Lottogewinn!«

»Das glaubst du doch selbst nicht. Rufus ist schließlich verheiratet. So jemand kann nicht der Hauptgewinn sein!«

»Mascha, nett, dass du vorbeigeschaut hast, aber ich will dich nicht aufhalten.« Ich zeige zur Tür. Maschas Kommentare sind immer dann schwer zu ertragen, wenn sie Recht hat. Und das kommt leider viel zu oft vor.

»Auf keinen Fall möchte ich eine Leiche zu verantworten haben, Lilly!« Jetzt lächelt sie doch. »Und so kannst du auch nicht zu deiner Verabredung gehen. Oder wolltest du bei drei Grad Celsius und Nieselregen in Nylonstrumpfhose und BH losziehen?«

»Nein.« Erst durch Maschas zweideutiges Grinsen wird mir bewusst, wie leicht bekleidet ich hier herumliege. Gut, dass Mascha und nicht unsere männlichen Mitbewohner Torsten oder Jonas geklopft haben.

»Okay, du brauchst Hilfe.« Sie zählt mit den Fingern mit. »Erstens ein schönes T-Shirt, zweitens ein Make-up und drittens eine Frisur. Sehe ich das richtig?«

»Nein. Ja«, sage ich und stöhne dann ziemlich laut. Das wird knapp. Wie sollen wir das alles denn bis acht Uhr schaffen?

Mascha hat währenddessen schon meine T-Shirts durchgesehen. Sie schüttelt den Kopf. »Das meiste finde ich ziemlich spießig«, meint sie. »Ich hätte da ein T-Shirt, das dir bestimmt gefällt.« Mit diesen Worten rauscht sie aus dem Zimmer, und bevor ich noch protestieren kann, ist sie schon wieder zurück.

Atemlos hält mir Mascha ein rotes Shirt mit üppigen Rüschen vorne dran entgegen.

»Ich bin doch keine Klorolle, die eine Abdeckung sucht!« Ich tippe mir an die Stirn. »Ehrlich, das ist mir ein bisschen zu viel.« So etwas Romantisches passt gut zu Maschas blondem Engelslockenkopf, aber ich würde darin aussehen wie ein Aal, der in Tomatensoße ertrinkt. Außerdem hat Mascha einen ziemlich großen Busen, da wirken so Rüschen ganz anders.

»Vielleicht hast du Recht«, gibt sie ungewöhnlich friedlich zu. »Wir gehen zu mir rüber, dann können wir alles anprobieren, was infrage kommt.«

Nachdem ich meine Sachen schon erfolglos durchgecheckt habe und mich für nichts entscheiden konnte, gebe ich nach. Bevor ich ihr über den Flur folge, ziehe ich vorsichtshalber noch ein riesiges altes T-Shirt an, das mir fast bis zu den Knien geht. An der Tür schaue ich kurz, ob auch keiner kommt, dann husche ich in Maschas Zimmer. Mascha hat eine doppelt so große Auswahl an Kleidern wie ich.

Nicht weil sie mehr Geld hätte. Nein, als Schwesternschülerinnen sieht es bei uns beiden auf dem Konto ziemlich mau aus. Sie ist einfach genial darin, günstige Klamotten aufzutreiben. Außerdem kann sie aus zwei alten, öden T-Shirts etwas aufregend Neues basteln. Mascha hat nähen gelernt, weil es ihrer Meinung nach ab ihrer Größe nur noch langweiligen Mutti-Schick gibt.

Kaum in ihrem Zimmer angekommen, wühlt Mascha in der voll gestopften Kleidertruhe. Maschas orangerotes Zimmer erinnert stark an die Hollywoodversion von einem Haremsgemach. Es gibt keine Tische, Stühle oder Schränke. Alles befindet sich am Boden, der mit dicken Teppichen und Kissen belegt ist. Ihre Kleidertruhe sieht aus wie eine Schatzkiste.

Mascha zieht ein hellblaues, glänzendes T-Shirt heraus. »Du bist ein Frühlingstyp, das steht dir bestimmt!«, sagt sie und wirft es zu mir.

Ich bin mit 1,79 m zwölf Zentimeter größer als Mascha und dünn wie eine Bohnenstange, weshalb ich in den meisten Sachen von Mascha wie eine Vogelscheuche aussehe. Doch dieses Mal hat Mascha Recht. Das Blau betont meine Augen. Außerdem ist das Shirt elastisch und sitzt gut. Und der Ausschnitt ist schön groß.

»Du solltest noch einen Wonderbra drunterziehen, das hätte einen tollen Effekt«, sagt Mascha und deutet mit den Händen einen Riesenbusen an.

»Darauf kann ich verzichten. Stell dir doch mal vor, wie blöd ich dastehen würde, wenn Rufus den BH aufhakt und dann nur noch ein mickriger Rest übrig ist. Da stehe ich lieber gleich zu dem, was ich habe.« Ich werde mitten im Satz blass. Ausziehen! Daran sollte ich nicht mal denken. Rufus würde sich bestimmt nicht mit mir verabreden, wenn er wüsste, was ich für Fantasien habe.

Mascha macht tztztztz. »Ich dachte, eure Freundschaft wäre rein platonisch ...?«, sagt sie prompt. »Hast du mir nicht erzählt, dass es heute bei eurem Treffen nur darum geht, Rufus in aller Ruhe zu erzählen, wie die Orthopädieprüfung bei Dr. Wiener gelaufen ist?«

»Klar!«, sage ich, »aber man wird doch noch hoffen dürfen!«

»Wenn Hoffnung im Spiel ist, solltest du vielleicht doch lieber einen Wonderbra ...«, grinst Mascha und wühlt in einer großen Kleiderkiste.

Ich finde das nur halb so witzig. »Hey, gib dir keine Mühe!«

Mascha hört auf zu wühlen. »Na gut. Dann nehmen wir uns jetzt dein Gesicht vor.« Sie schiebt vorsichtig den schillernden Fliegenvorhang aus Perlen und Pailletten, den sie als Sichtschutz vor ihr Waschbecken gehängt hat, zur Seite und kommt mit einem großen Beutel zurück.

»Ich will nicht verreisen, ich möchte nur gut aussehen!«, stelle ich mit Blick auf den Beutel klar und setze mich auf ein dickes rotes Kissen.

Mascha kniet sich vor mich und starrt mich an. »Deine Nase ist nicht schlecht, ein bisschen breit, aber irgendwie auch süß. Und aus deinen dunkelblauen Augen könnten wir leuchtende Sterne machen.« Sie kramt in der Tasche herum. »Bloß diese fahle Haut ... hmm. Zieh vorsichtshalber mal das Shirt wieder aus und das alte an. Nicht, dass noch Schminke drankommt!«

Je länger ich darüber nachdenke, desto blöder finde ich das alles, auch mich selbst. Rufus arbeitet schließlich wie ich in der Nordendklinik und weiß genau, wie ich aussehe, wenn ich noch müde zur Frühschicht antrete. Warum mache ich mich so verrückt? Es ist ja kein Blind Date! Ich schlüpfe wieder in das T-Shirt, in dem ich gekommen bin.

Mascha feuchtet ein Schwämmchen an, tupft in eine braune Pampe und verstreicht sie dann auf meinem Gesicht. Es fühlt sich an, als ob Nacktschnecken über mein Gesicht kriechen würden.

Dann betrachtet sie ihr Werk. Sie schüttelt den Kopf. »Nein, jetzt siehst du noch gelber aus!«

»Was? Wieso gelb? Vorher habe ich nicht gelb ausgesehen!«, protestiere ich.

»Ich meinte fahl«, erklärt Mascha und studiert mein Gesicht wie einen fremden Stadtplan. »Ich denke, alles was noch fehlt, ist ein Tupfer Rouge auf deinen Wangenknochen. Das macht frisch. Außerdem brauchst du noch etwas Kajal um die Augen und natürlich Lippenstift. Zusammen wirkt das dann ganz natürlich.«

Mascha starrt mir konzentriert ins Gesicht, während sie spricht.

»Kann ich mich mal anschauen?«, frage ich.

Mascha schüttelt den Kopf. »Lass mich dich doch erst fertig schminken.«

»Na gut.« Mich kribbelt es mittlerweile am ganzen Körper, weil ich so viele Kleider an- und ausgezogen habe. Am liebsten möchte ich unter die heiße Dusche.

Mascha fuchtelt mit einem Pinsel auf meinen Wangen herum, dann muss ich die Augen schließen, und sie malt meine Lider und Wimpern an.

»Mach auf!«, kommandiert sie.

Vorsichtig blinzle ich, meine Wimpern fühlen sich schwerer an als vorher.

»Wow, du siehst aus wie Liz Taylor als Kleopatra!«, stellt Mascha beeindruckt von ihrem Werk fest.

Ich stürze zum Spiegel und bleibe mit einer Hand an dem Vorhang hängen.

»Bitte pass auf!«, mahnt Mascha und erinnert sich bestimmt daran, wie ich den ersten ihrer Perlenvorhänge ruiniert habe.

Erwartungsvoll schaue ich in den Spiegel. Wenn ich mir vorher wie ein harmloser grauer Storch vorgekommen bin, dann sehe ich jetzt aus wie ein Storch, der zum Vampir geworden ist und vergessen hat, sich die Blutspuren von den Lippen zu waschen.

»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, frage ich nach. »So gehe ich nirgends hin.«

»Du brauchst noch eine Frisur, weißt du, so etwas Lässiges, Hochgestecktes, aus dem die Locken dann sexy herausrieseln ...«

»Welche Locken?«, frage ich und greife in meine Haare, die glatt sind wie gebügelter Schnittlauch.

»Lass mich nur machen.«

Seufzend gebe ich nach.

Mascha toupiert mit Feuereifer Haarsträhne für Haarsträhne, rammt mir Nadeln in die Kopfhaut und sprüht ausgiebig Haarspray drüber.

»Und wie ist es?« Ich traue mich kaum, den Kopf zu bewegen, weil ich Angst habe, dass die Nadeln wieder herausfallen.

Mascha grinst mich an. »Ich würde sagen, es ist ... ähh ... experimentell ...«

Ich stolziere langsam zum Spiegel.

Ich glaube es nicht! Kann das sein? Der Storch im Vampirlook trägt jetzt auf dem Kopf auch noch ein Riesennest. Ich drehe mich zu Mascha um. »Du spinnst doch! Willst du wirklich, dass ich so verunstaltet auf die Straße gehe?«, brülle ich sie an.

Mascha lässt vor Schreck den Stielkamm fallen. Mit dem würde ich sie gern erdolchen.

»Hey, Lilly ...« Sie hebt beschwichtigend die Hände. »Okay, du hast ja Recht, die Frisur ist nicht so ganz perfekt.«

»Nicht so ganz perfekt? Meine Mutter würde mich in die Klapsmühle einliefern lassen, wenn sie mich sehen könnte, und du findest das nicht ganz perfekt

Mascha fängt an zu lachen. »Ehrlich, Lilly, entschuldige, aber wenn du dich aufregst mit dieser Frisur auf dem Kopf, dann ist das einfach komisch.«

Ich schaue nochmal in den Spiegel. »Wenn Rufus mit mir so ausgeht, dann ist er wirklich ein Gentleman.«

Ich werfe noch einen Blick auf die sich mittlerweile vor Lachen krümmende Mascha und verbessere mich: »Nein, nicht bloß ein Gentleman, er wäre ein Held! Oder blind ...«

Und dann wackle ich ein bisschen mit dem Kopf, das Storchennest schwankt hin und her und löst sich in klebrige Haarsträhnen auf, aus denen die Haarnadeln wie riesige Bienenstacheln herausstehen.

»Mascha, nicht mal als ich in den alten Leggins meiner Mutter auf eine Bad-Taste-Party gegangen bin, habe ich so bescheuert ausgesehen«, bringe ich gerade noch heraus.

Dann muss ich auch lachen, obwohl ich eigentlich heulen möchte.

»Entschuldige, Lilly«, japst Mascha, »ich habe wirklich gedacht, ich kriege das hin. Ich wollte, dass du wie diese eine Sängerin von der Gruppe Dings, na du weißt schon, aussiehst.«

»Also wie Dings hast du das gut hingekriegt!«, sage ich und muss wieder kichern. Doch dann fällt mein Blick auf Maschas Wecker. Schon halb acht!

Jetzt wird es aber langsam Zeit.

»Ich gehe duschen, da kann ich am besten die ganze Pampe abkratzen und meine Haare zurück in ihren Normalzustand versetzen«, beschließe ich und renne aus Maschas Zimmer.

»Das T-Shirt!«, schreit sie hinter mir her.

»Ich hol's mir nach der Dusche!«, rufe ich ihr über die Schulter zu, schnappe mir in meinem Zimmer alles, was ich zum Duschen brauche, und mache mich ins Bad auf.

Eigentlich sollten alle Wohnheimzimmer schon letztes Jahr mit Nasszellen ausgestattet werden. Doch die Handwerker sind damit nur bis zum Erdgeschoss gekommen. Dann war angeblich kein Geld mehr da. Deshalb haben wir immer noch das Gemeinschaftsbad.

Als ich die Tür zu den Duschen öffne, sehe ich, dass Evas rosa Bademantel am Haken hängt.

Das ist ja eine Überraschung!

Eva wohnt genauso wie Rügül, Jonas und Torsten auf unserem Stockwerk. Eigentlich.

Doch das Einzige, was wir von Eva in den letzten Wochen zu Gesicht bekommen haben, waren Postkarten. Vorne nackte Männer drauf. Hinten reichlich rätselhafte Botschaften, die sich alle um einen Typ namens Haiko – ihre Skiurlaubs-Liebe – drehten.

»Eva?«, rufe ich zu den Duschkabinen. Niemand antwortet.

Ich gehe unter die Dusche und verbiete es mir energisch, darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn Rufus hier mit mir unter der Dusche stünde. Ich schäume meine elend langen Haare mit Pfirsichshampoo ein, atme dieses leckere Aroma ein und muss daran denken, wie Rufus riecht. Er duftet nach Schokolade. Dunkler Schokolade. Natürlich nicht nur nach Schokolade – auch ein bisschen nach Meersalz und Zitronenlimo und nach Stärke (kommt vielleicht vom Kittel). Diese Kombination macht mich ganz kribbelig und hungrig. Ich würde zu gern an Rufus' herrlich rotem Johannisbeermund knabbern. Ob seine Lippen auch nach den Beeren schmecken? Halt. Stopp, Lilly.

So weit sind wir noch nicht. Mascha würde schon wieder den Kopf schütteln und fragen: Wieso noch nicht? So weit wird es nie kommen, denn Rufus hat schon eine Frau.

Während ich mühsam das Haarspray aus meinen Haaren wasche, höre ich, wie neben mir die Duschkabinentür auf- und zugeht.

»Eva?«, frage ich. Aber es bleibt still. Schade, ich hätte sie gern über ihr Abenteuer mit Haiko ausgefragt. Wie schön, dass sie aus Kitzbühel zurück ist, so sind wir endlich wieder komplett.

Na, dann muss das eben bis morgen warten, denn jetzt muss ich mich wirklich beeilen. Ich renne über den Flur zu meinem Zimmer, ziehe mich in Rekordzeit an und föhne mir die Haare.

Als ich gerade fertig bin, kommt Mascha mit dem blauen T-Shirt. Sie sieht ein bisschen schuldbewusst aus, wie sie mir da ihre neue Strickjacke hinhält. »Im Lokal kannst du die Jacke ausziehen, damit das Shirt zur Geltung kommt. Aber jetzt zum Rausgehen ist es ein bisschen zu kalt ohne Jacke, findest du nicht?«

Die Strickjacke ist schwarz und schimmert ein wenig. Sie gefällt mir. »Danke.« Ich probiere die Jacke an, sie ist ein bisschen zu groß, aber sie sieht trotzdem gut aus.

»Ich habe wirklich gedacht, ich kriege das hin mit der Frisur!«, murmelt Mascha.

Ich lege meine Hand auf ihren Arm. »Ist schon okay. Jetzt weiß ich wenigstens, dass es gar nicht übel ist, so auszusehen, wie ich bin. Das ist doch auch viel wert, oder?« Und zu meinem großen Erstaunen stimmt diese Antwort wirklich.

»Ich wünsch dir viel Spaß. Und ich bin schon gespannt, was Rufus von der Wiener-Geschichte hält!«, sagt Mascha, winkt mir noch einmal zu und verlässt mein Zimmer.

Dr. Wiener – dass sie mich an dieses Drama erinnern muss! Ich möchte Rufus nämlich gar nicht erzählen, wie die Prüfung bei dem fiesen Oberarzt von der orthopädischen Station gelaufen ist. Ich habe Angst, dass Rufus das nicht verstehen wird. Vor allem, weil er glaubt, dass Dr. Wiener ein netter Mensch ist. Dabei ist er das definitiv nicht. Das habe ich sogar bewiesen.

Ich gehe zum Fenster, um zu schauen, ob es noch regnet. Nein, stattdessen fallen jetzt dicke schwammige Schneeflocken durch die Dunkelheit vom Himmel und werden unten auf der Straße sofort zu Matsch. Nicht sehr einladend.

Hoffentlich kommt Rufus mit dem Auto. Bei dem Wetter habe ich keine Lust, durch die Stadt zu laufen. Oder könnte das vielleicht romantisch werden? So zu zweit unter einem kleinen Regenschirm ...

Sieben vor acht. Noch zu früh, um runterzugehen.

Mein Blick fällt auf das Würstchen, das silbrig glänzend auf meinem Bücherregal liegt. So haben wir das Ding genannt, das ich in der Silvesternacht beim Bleigießen produziert habe.

Ich nehme es in die Hand und drehe es hin und her. Mit diesem Würstchen hat das »Bleiorakel« sogar voll ins Schwarze getroffen. Denn Dr. Wiener, der hinter seinem Rücken nur das Würstchen genannt wird, hat in den letzten Wochen eine wichtige und schreckliche Rolle in meinem Leben gespielt. Am liebsten würde ich die Erinnerung daran ganz aus meinem Kopf löschen. Aber das geht natürlich nicht. Mein Leben hat ja leider keine Delete-Taste.

Was passiert ist, ist passiert.

Ich drehe das Bleiwürstchen, halte es vor die Schreibtischlampe und betrachte den Schatten, den es an die Wand wirft.

Der Schatten sieht gar nicht aus wie ein Würstchen, eher wie ein Pferdeschwanz. Blödsinn. Da spielt mir nur meine Fantasie einen Streich. Oder ist das Wunschdenken? Denn ich kenne nur einen, der einen Pferdeschwanz trägt. Und das ist Rufus. Interessant.

Das Telefonklingeln überrascht mich so, dass mir das Bleiding beinahe aus der Hand fällt. Oh Gott, lass es nicht Rufus sein, der unsere Verabredung wieder absagt!

»Lilly Podeschwa!«, melde ich mich und muss mich ein paarmal räuspern, damit ich ganz normal klinge.

»Eliza-Lolita, wie geht es dir? Hier spricht dein Vater!«, höre ich die Stimme von Papa. Was für ein Glück! Ich bin erleichtert, und deshalb trällere' ich viel überschwänglicher als sonst in den Hörer: »Wie schön, dass du anrufst, Papa!«

»Seit wann freust du dich denn derart über meinen Anruf?«, fragt er erstaunt.

»Ich freue mich immer. Aber ich bin verabredet und muss gleich los. Gibt es irgendetwas Wichtiges?« Papa ist im Stande und erzählt mir Romane. Das ist immer so. Mama verhört mich eher, und Papa erzählt Geschichten.

»Nein, eigentlich nicht. Ich wollte nur wissen, ob bei meiner einzigen Tochter im fernen, großen Frankfurt alles okay ist.«

»Ja, alles bestens«, sage ich. »Morgen fange ich in der Traumatologie an.«

»Gehört die Traumatologie denn nicht immer zur orthopädischen Station dazu?«

»Nein«, stelle ich klar, »in der Nordendklinik ist das getrennt. Ich freue mich jedenfalls schon darauf. Die Oberärztin dort soll sehr nett sein«, erkläre ich Papa, dem ich das Dr.-Wiener-Drama verschwiegen habe. Schließlich ist Papa auch Orthopäde und glaubt, die wären unfehlbar.

»Ja, dann lass es dir gut gehen. Und wenn du irgendetwas brauchst, dann sag einfach Bescheid, ja?«

»Mach ich! Danke, Papa. Tschüss!« Ich lege auf. Der Blick auf meine Uhr sagt mir, dass ich jetzt los sollte, damit Rufus nicht auf mich warten muss. Wir haben uns unten vor dem Haus verabredet.

Wie immer überlege ich, ob ich es wagen kann, den altersschwachen Aufzug zu benutzen. Anders als sonst entscheide ich mich heute für die Treppe. Schließlich möchte ich Rufus um alles in der Welt nicht versetzen – und stattdessen im Aufzug feststecken!

Oh Schreck, ein Fleck!

Als ich in das Februar-Matschwetter hinaustrete, wartet Rufus schon auf mich. Ich kann ihn nur erkennen, weil hinten sein roter Pferdeschwanz baumelt. Der ganze Rest von seinem Kopf ist mit einem langen Strickschal aus grober Wolle vermummt. Er streckt mir ganz förmlich seine Hand hin. Die fühlt sich merkwürdig kalt und feucht an. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich registriert habe, dass das nur seine Handschuhe sind.

»Hallo Lilly!«, sagt er, was durch den Schal wie »ouhh ii-ii« klingt.

»Hallo Rufus. Und, wo gehen wir hin?«, frage ich.