Ich grüße dich!

Ich werde immer wieder von den Lesern meiner Bücher gefragt: „Haben Sie das auch erlebt?“

Und als Antwort kann ich immer nur sagen:

Ja!

So auch diesmal – leider …

Denn das Thema der erlebten Gewalt und des Mobbings ist kein schönes, keines, das man gerne erlebt. Und trotzdem ist es da, überall, und bestimmt auch an deiner Schule.

Als es mir damals in der fünften Klasse „an den Kragen“ ging, war ich in keiner Weise in der Lage, darauf zu reagieren. Damals gab es das Wort „Mobbing“ oder „Bullying“ auch noch nicht. Und auch Gewaltprävention, Streitschlichter oder Vertrauenslehrer waren mir unbekannt. Also fraß ich meine Angst und meinen Kummer in mich hinein. Ich versteckte mich vor denen, die mich fertigmachen wollten. Zu allem Übel schämte ich mich auch noch dafür, dass ausgerechnet mir das passierte.

Zum Glück bekam ich Hilfe, und die Bedrohung durch die älteren Schüler hörte auf. Heute weiß ich, was mir damals am meisten gefehlt hatte.

Es waren der Mut und das Vertrauen in die Hilfe der anderen – und zwar bevor es zu spät ist. Ich habe dieses Buch geschrieben, damit möglichst viele Jugendliche, denen Ähnliches geschieht oder geschehen ist, eine Unterstützung bekommen.

Und jetzt wünsche ich dir eine gute Zeit mit dem Buch – auch wenn das Thema kein sorgenfreies und glückliches ist!

Armin Kaster

Drei Wochen lang hatte ich Ärger. Und ich weiß noch immer nicht, warum ausgerechnet mir das passieren musste. Aber eins weiß ich jetzt:

Es kann jeden treffen.

Am besten erzähle ich einfach mal der Reihe nach.

Wir hatten unser erstes Spiel nach den Sommerferien. Alex und ich gingen zum Fußballplatz.

Bei den Umkleiden trafen wir auf unsere Gegner: FC-Unitas, die Meister der letzten Saison. Wir waren nur Zweiter geworden. Doch das sollte in diesem Jahr anders werden.

„Da sind sie ja“, sagte Alex und ballte die Hand zur Faust.

Ich musste lachen. Alex saß meistens auf der Bank, und jetzt spielte er den Helden.

„Ich hoffe, Sebastian ist fit“, sagte ich.

Sebastian war unser Stürmer.

„Und Burak“, meinte Alex. „Den brauchen wir am meisten.“

Burak war unser zweiter Stürmer. Er machte fast immer sein Tor. Manchmal auch zwei.

„Dieses Jahr bin ich besser“, sagte Alex.

„Ich hab trainiert.“

Ich musste wieder lachen. Alex’ Training waren das Freibad und jede Menge Pommes rot-weiß gewesen. Mit anderen Worten: Alex hatte nichts drauf. Er spielte nur Fußball, um mit Burak und mir zusammen zu sein.

Wir kamen bei den Umkleidekabinen an. Da sah uns schon der Trainer von Unitas: „Hallo, ihr beiden. Ausgeschlafen für die nächste Runde?“ Wir nickten nur. Von unseren Leuten war noch keiner da.

Der Trainer drehte sich wieder zu seinen Spielern.

Unsere Kabine war genau da, wo die Spieler von Unitas standen. Neben den Umkleiden lungerten ein paar ältere Typen herum. Ich kannte sie vom Sehen. Sie gingen in unsere Schule und waren in der siebten Klasse. Sie waren dafür bekannt, dass es in ihrer Nähe Stress gab. Ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt, dass es dort rauer zuging als an meiner alten Schule. Und dass alle älter waren als ich.

„Kennst du die?“, fragte Alex.

„Die sind auf unserer Schule“, antwortete ich. Alex und ich waren nach den Sommerferien auf die Realschule gekommen. Wir gingen in die fünfte Klasse.

„Sehen irgendwie komisch aus“, meinte Alex. Die drei Jungs rauchten und schauten aus den Augenwinkeln zu uns rüber.

Der Trainer von Unitas hatte die Typen auch entdeckt. Er zeigte auf die Zigaretten und rief:

„Seid ihr nicht zu jung für so’n Quatsch?“

Einer der drei spuckte auf den Boden und grinste den Trainer an. Es war ein blonder Junge mit Sommersprossen. Dann drehte er sich zurück zur Wand. Die beiden anderen machten es ihm nach.

„Ich hab euch was gefragt“, sagte der Trainer. Jetzt stand er direkt hinter ihnen.

„Das ist ein ordentlicher Sportplatz“, redete er weiter. „Verschwindet von hier, aber schnell!“ Der Trainer hatte seine Arme verschränkt und wippte mit dem Fuß. Er sah ziemlich bedrohlich aus.

Mir war die ganze Situation eher peinlich. Obwohl wir mit dem Trainer nichts zu tun hatten. Die Typen schlugen sich gegenseitig in die Hände und gingen einfach weg.

„Ich kenn euch“, rief ihnen der Trainer noch nach.

Dann kam er zu seinen Spielern zurück. In dem Moment drehte sich der Typ mit den Sommersprossen um. Er hob seinen Arm und streckte den Mittelfinger raus. Alle sahen es, nur der Trainer nicht.

Und dann machte der Typ etwas, das mir einen ziemlichen Schrecken einjagte. Er ließ seinen Arm sinken und zeigte auf mich. Mit dem Mittelfinger. Direkt auf mich.

Das Spiel hatten wir knapp verloren. Am Ende stand es 1:0 für Unitas.

„Alles klar, mein Lieber?“, begrüßte mich meine Mutter, als ich nach Hause kam.

„Geht so …“, sagte ich und ließ die Tasche fallen.

Meine Mutter sah mich an. „Verloren?“

„Mmh …“, machte ich und zuckte mit den Schultern.

„Die Saison ist noch lang“, versuchte sie, mich zu trösten.

„Klar“, sagte ich. „Trotzdem blöd.“

„Gleich gibt’s Abendessen“, sagte meine Mutter.

Ich nickte nur.

In dem Moment dachte ich an die drei Typen. Und besonders dachte ich an den einen, der auf mich gezeigt hatte. Mir war noch immer unwohl.