ABW!R ARBEITSBÜCHER WIRTSCHAFTSRECHT

Herausgegeben von
Prof. Dr. Jörg-Dieter Oberrath
Fachhochschule Bielefeld

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4. Auflage, 2015

Print ISBN 978-3-415-05491-2
E-ISBN 978-3-415-05582-7

© 2002 Richard Boorberg Verlag

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

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Inhalt

A. Einleitung

I. Sinn und Zweck des Buches

II. Die Fallbearbeitung im Öffentlichen Recht

1. Fragestellungen

2. Die Falllösung

B. Verfassungsrecht

I. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes

1. Einführung

2. Prüfungsablauf

3. Fallbeispiel

II. Die Prüfung von Grundrechtsverletzungen

1. Allgemeiner Prüfungsablauf bei Freiheitsgrundrechten

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

2. Prüfungsablauf bei ausgewählten Freiheitsgrundrechten

a) Berufsfreiheit (Art. 12 GG)

b) Eigentumsschutz (Art. 14 GG)

c) Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG)

d) Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)

3. Prüfungsablauf beim Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG)

4. Fallbeispiele zu Grundrechtsverletzungen

III. Die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde

1. Einführung

2. Prüfungsablauf

3. Fallbeispiel

IV. Vertiefungshinweise Verfassungsrecht

1. Spezialprobleme

2. (Weitere) Übungsfälle

3. Aufsätze

C. Fragestellungen des Allgemeinen Verwaltungsrechts

I. Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung

1. Einführung

2. Prüfungsablauf

II. Rechtmäßigkeit einer kommunalen Satzung

1. Einführung

2. Prüfungsablauf

III. Die Überprüfung von Verwaltungsakten

1. Die Rechtmäßigkeit eines Ausgangs-Verwaltungsaktes

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

c) Fallbeispiel

2. Die Rechtmäßigkeit von Aufhebungsbescheiden

a) Prüfungsablauf § 48 VwVfG (Rücknahme eines Verwaltungsaktes)

b) Prüfungsablauf § 49 VwVfG (Widerruf eines Verwaltungsaktes)

c) Fallbeispiel

3. Die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides (§ 49 a VwVfG)

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

4. Besondere Prüfungsabläufe

a) Die Überprüfung von Nebenbestimmungen

b) Die Überprüfung von Vollstreckungsmaßnahmen zur Vollstreckung von Handlungen etc.

IV. Anspruch des Bürgers aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag

1. Einführung

2. Prüfungsablauf

V. Vertiefungshinweise Allgemeines Verwaltungsrecht

1. Spezialprobleme

2. (Weitere) Übungsfälle

3. Aufsätze und Rechtsprechung

D. Fragestellungen des besonderen Verwaltungsrechts

I. Fragestellungen des Baurechts

1. Die Überprüfung der baurechtlichen Zulässigkeit von Vorhaben

a) Überprüfung einer Baugenehmigung

b) Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben

c) Fallbeispiel

2. Die Überprüfung einer Baubeseitigungsanordnung

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

c) Fallbeispiel

II. Fragestellungen des Gewerberechts

1. Überprüfung gewerberechtlicher Erlaubnisse

a) Die Erteilung einer Zulassung für ein nach der GewO zulassungspflichtiges stehendes Gewerbe

b) Die Erteilung einer Reisegewerbeerlaubnis

c) Die Erteilung einer Gaststättenerlaubnis

d) Die Eintragung in die Handwerksrolle

e) Fallbeispiel

2. Überprüfung einer Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

c) Fallbeispiel

3. Überprüfung von Anordnungen zur Verhinderung des Weiterbetriebs eines zulassungspflichtigen Gewerbebetriebes

a) Materielle Rechtmäßigkeit einer Anordnung nach § 15 Abs. 2 GewO

b) Materielle Rechtmäßigkeit einer Anordnung nach § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO

c) Fallbeispiel

4. Die Überprüfung der Aufhebung einer gewerberechtlichen Zulassung

a) Aufhebung nach allgemeinem Verwaltungsrecht

b) Aufhebung nach Gaststättenrecht

III. Fragestellungen des Immissionsschutzrechts

1. Überprüfung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

c) Fallbeispiel

2. Überprüfung einer Anordnung nach § 17 BImSchG

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

3. Überprüfung einer Betriebseinstellung

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

4. Überprüfung von Verfügungen bezüglich nicht genehmigungspflichtiger Anlagen

a) Einführung

b) Überprüfung einer Anordnung nach § 24 BImSchG

IV. Vertiefungshinweise Besonderes Verwaltungsrecht

1. Spezialprobleme

2. (Weitere) Übungsfälle

3. Aufsätze und Rechtsprechung

E. Verwaltungsprozessuale Fragestellungen

I. Erfolgsaussichten eines Widerspruchs

1. Einführung

2. Prüfungsablauf

3. Fallbeispiel

II. Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage

1. Einführung

2. Prüfungsablauf

3. Fallbeispiel

III. Erfolgsaussichten einer Verpflichtungsklage

1. Einführung

2. Prüfungsablauf

3. Fallbeispiel

IV. Prüfungsablauf bei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes

1. Erfolgsaussichten eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

2. Erfolgsaussichten eines Antrags nach § 123 VwGO

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

V. Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrags nach § 47 VwGO

1. Einführung

2. Prüfungsablauf

VI. Hinweise auf sonstige Verfahren

1. Allgemeine Leistungsklage

2. Allgemeine Feststellungsklage

VII. Vertiefungshinweise Verwaltungsprozessrecht

1. Spezialprobleme

2. (Weitere) Übungsfälle

3. Aufsätze und Rechtsprechung

F. Glossar/Definitionen

G. Fallfinder

A. Einleitung

I. Sinn und Zweck des Buches

1

Die Erfahrung zeigt, dass Studierende in Rechtsfächern relativ wenige Probleme damit haben, sich die theoretischen Grundlagen für die Lösung einzelner Rechtsprobleme anzueignen. Schwierigkeiten bereitet ihnen dagegen die Anwendung des Erlernten auf die in den Klausuren geforderte Bearbeitung konkreter juristischer Fälle. Das betrifft vor allem die Besonderheiten der juristischen Fallbearbeitungstechnik. Ein typisches Problem ist zum einen, dass die in dem jeweiligen Fall untergebrachten Fragestellungen oft nicht logisch korrekt in die Prüfung einer Norm eingebunden werden. Zum anderen bereitet es Schwierigkeiten, die Zusammenhänge verschiedener Regelungsbereiche zu erkennen, insbesondere das Zusammenspiel verschiedener Normen.

Hier setzt das vorliegende Buch an. Mit Hilfe von Prüfungsschemata für die gängigsten Klausurkonstellationen soll den Studierenden ein Fahrplan für die Bearbeitung eines Falles an die Hand gegeben werden. Auf die Vermittlung theoretischer Kenntnisse wird dabei weitgehend verzichtet. Das Buch soll Vorlesungen und Lehrbücher nicht ersetzen, sondern ergänzen. Es kann dabei sowohl zur Nachbearbeitung einzelner Themenkomplexe als auch zur Wiederholung des gesamten Stoffes im Rahmen der Klausurvorbereitung eingesetzt werden.

Das Buch beschränkt sich dabei nicht auf die Vorstellung verschiedener Prüfungsabläufe, sondern bietet mit den enthaltenen Fällen und dem Glossar auch die Möglichkeit, sich über die in den Übersichten auftretenden Begriffe kurz zu informieren und das einzelne Schema in einem darauf zugeschnittenen Fall direkt anzuwenden. Dementsprechend kann man sich mit dem konsequenten Durcharbeiten einen guten Überblick über typische Probleme und Fallgestaltungen des öffentlichen Wirtschaftsrechts verschaffen. Das Buch kann aber auch punktuell eingesetzt werden. Es ist möglich, gezielt einzelne Begriffe nachzuschlagen, um Sicherheit in der Beherrschung von Definitionen zu erlangen. Außerdem können konkrete Prüfungsabläufe zu einzelnen Problemen und Fallgestaltungen, auf die man in Vorlesungen oder Lehrbüchern stößt, nachvollzogen werden. Schließlich kann auch die Bearbeitung juristischer Fälle geübt werden.

Der Aufbau des Buches orientiert sich an der im öffentlichen Recht gängigen Unterscheidung zwischen Verfassungsrecht, Allgemeinem Verwaltungsrecht, Besonderem Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozessrecht. Dabei wird der Schwerpunkt auf die dem öffentlichen Wirtschaftsrecht zuzuordnenden Fragestellungen gelegt, weshalb z.B. im Verfassungsrecht nur die sog. Wirtschaftsgrundrechte dargestellt werden und aus dem Besonderen Verwaltungsrecht, nur das Gewerberecht sowie das Bau- und Immissionsschutzrecht behandelt werden. Auf Probleme aus dem Europäischen Unionsrecht wird nur punktuell eingegangen, da eine umfassende Behandlung den vorgesehenen Umfang des Buches gesprengt hätte.

II. Die Fallbearbeitung im Öffentlichen Recht

1. Fragestellungen

2

Auch im öffentlichen Recht ist Grundlage eines juristischen Falles die Darstellung eines tatsächlichen Lebenssachverhalts mit rechtlichen Bezügen. Sie schließt mit einer Fallfrage ab. Im öffentlichen Recht kann man im Wesentlichen zwei Fragestellungen unterscheiden.

Die erste zielt auf die Fehlerhaftigkeit einer staatlichen Maßnahme ab.

Beispiel: A erhält einen Bescheid der Stadt S, wonach er gemäß § 15 Abs. 2 GewO seinen Gewerbebetrieb einstellen muss. Ist der Bescheid der Stadt S rechtmäßig?

Fehlerhaft ist eine staatliche Maßnahme, wenn sie sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben hält, die sich aus dem Grundgesetz und den formellen Gesetzen des Verwaltungsrechts ergeben. Dementsprechend kann insbesondere danach gefragt werden, ob eine staatliche Handlung Grundrechte ihres Adressaten verletzt oder ob sie rechtmäßig ist. Dabei ist zu beachten, dass im öffentlichen Recht zwischen formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen zu unterscheiden ist. Erstere beziehen sich auf die Zuständigkeit der handelnden Stelle sowie auf die Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens und der erforderlichen Form. Die materielle Rechtmäßigkeit setzt insbesondere voraus, dass die Norm, die den Staat zu dem entsprechenden Handeln berechtigt, erfüllt ist und kein Verstoß gegen höherrangiges Recht vorliegt.

Die zweite vorkommende Fragestellung ist die Frage nach den Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs. Die Lösung hierzu ist gekennzeichnet durch die Zweiteilung der Prüfung in die Zulässigkeit und Begründetheit des Rechtsbehelfs.

Beispiel: A legt gegen den Bescheid der Stadt S Widerspruch ein. Hat dieser Aussicht auf Erfolg?

2. Die Falllösung

3

Die Falllösung erfolgt in zwei Schritten. Zunächst muss unter Berücksichtigung der bei der Vorüberlegung gefundenen Grundsätze und Normen eine These aufgestellt werden. Hauptteil der Falllösung ist dann die Prüfung, ob die aufgestellte These auf den konkreten Fall zutrifft. Man muss dabei untersuchen, ob die für die Erfüllung der These erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere die Tatbestandsvoraussetzungen der einschlägigen Normen erfüllt sind. Das dabei zu absolvierende Prüfungsprogramm wird durch die vorgestellten Prüfungsabläufe umrissen.

Für die Arbeit mit den Prüfungsabläufen gilt, dass der Leser zunächst die einzelnen Prüfungsschritte mittels Nachlesen der zitierten Normen und der im Glossar erklärten Begriffe nachvollziehen und dann die Anwendung anhand des Übungsfalls erproben sollte. Dabei ist die angebotene Lösung selbstverständlich zunächst abzudecken, da nur so eine echte Kontrolle gewährleistet ist, ob der Prüfungsablauf wirklich beherrscht wird.

Bei der Anwendung der Prüfungsabläufe ist ferner zu beachten, dass es sich nur um ein Hilfsmittel zur Prüfung von Fällen handelt. Ein sklavisches Abarbeiten der einzelnen Prüfungspunkte ist zu vermeiden. Es ist jeweils der konkrete Sachverhalt im Auge zu behalten. Dabei ist zu beachten, dass die vom Aufgabensteller in den Sachverhalt eingearbeiteten Informationen den Fallbearbeiter führen und ihm Hinweise geben sollen, welche Punkte problematisch sind und daher intensiver als andere behandelt werden sollten. Allerdings gibt es bei den meisten Schemata auch Punkte, die erfahrungsgemäß fast immer eine Rolle spielen. Auf diese Punkte wird in den Ausleitungen zu den jeweiligen Schemata besonders hingewiesen.

Die Prüfungsabläufe sind so angelegt, dass sie alle notwendigen Prüfungsschritte erfassen. Die dargestellte Prüfungsreihenfolge ist allerdings nicht immer zwingend, weil sich aus den Gesetzen oder aus der Logik nicht überall eine bestimmte Abfolge ableiten lässt. Insoweit handelt es sich lediglich um einen Vorschlag. Andere Möglichkeiten der Prüfungsreihenfolge sind denkbar. Entsprechendes gilt für die Lösung der Fälle. Auch hier sind je nach Auffassung und Argumentation bei einigen Problemen auch andere Meinungen vertretbar. Die Autoren haben sich bemüht, bei Meinungsstreitigkeiten der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu folgen. Insbesondere bei Klausuren kann davon natürlich auch abgewichen werden. Entscheidend ist letztlich vor allem, dass die vertretene Auffassung nachvollziehbar begründet wird.

B. Verfassungsrecht

I. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes

1. Einführung

4

Bei verfassungsrechtlichen Klausuren ist die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ein Standardproblem. Die Frage kann isoliert, im Rahmen einer Grundrechtsprüfung (siehe Übersichten 2–7 Rn. 8ff.) oder bei einer Verfassungsbeschwerde (siehe Übersicht 8 Rn. 29) gestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht prüft aber auch bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetz auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestages die umstrittene Rechtsnorm auf ihre Verfassungsmäßigkeit (abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). Außerdem kann die Überprüfung eines formellen Gesetzes durch den Vorlagebeschluss eines Gerichtes ausgelöst werden, das ein Gesetz für verfassungswidrig und deshalb für nichtig hält. Da dieses selbst nicht darüber entscheiden darf, muss es das dafür zuständige Verfassungsgericht einschalten (konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG). Die folgende Übersicht zeigt, welche Punkte im Rahmen solcher Kontrollverfahren zu prüfen sind, wenn es um die Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes geht. Auf die – von der Struktur her ähnliche – Vorgehensweise bei der Überprüfung von Landesgesetzen wird nicht weiter eingegangen. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rechtsverordnungen wird unter C. behandelt.

2. Prüfungsablauf

5

Übersicht 1

Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes

  1. Formelle Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes
    1. Gesetzgebungskompetenz
      • Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 71 und 73 GG
      • Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes
      • aa) Vorliegen eines der Gegenstände des Art. 74 Abs. 1 GG

        bb) Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG

        • Zulässigkeit von bundesgesetzlichen Regelungen ohne Nachweise der Erforderlichkeit bei den in Art. 72 Abs. 2 GG nicht aufgezählten Gegenständen des Art. 74 Abs. 1 GG („Vorrangkompetenz“)
        • Nachweis der Erforderlichkeit einer Bundesregelung im Sinne der genannten Kriterien (z.B. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse) bei den in Art. 72 Abs. 2 GG aufgezählten Gegenständen des Art. 74 Abs. 1 GG („Bedarfskompetenz“)
    2. Gesetzgebungsverfahren

      aa) Gesetzesinitiative und Vorlageberechtigung nach Art. 76 GG

      bb) Gesetzesberatung (§§ 80–86 GeschO-BT) und Gesetzesbeschluss (Art. 77 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 42 Abs. 2 GG, § 45 GeschO-BT)

      cc) Ordnungsgemäße Beteiligung des Bundesrates (Art. 77 Abs. 2–4, 78 GG)

      • bei Zustimmungsgesetzen
        • Vorliegen eines zustimmungspflichtigen Gesetzes (z.B. gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 6, 85 Abs. 1 GG, Art. 104a Abs. 3–5, 106 Abs. 3–6, 107 Abs. 1 GG)
        • Zustimmung (evtl. nach Durchführung eines Vermittlungsverfahrens und erneuter Beschlussfassung des Bundestages gemäß Art. 77 Abs. 2 u. 2 a GG)
      • bei Einspruchsgesetzen
        • Verzicht des Bundesrates auf Anrufung des Vermittlungsausschusses oder dessen Anrufung und bei Änderungsvorschlägen erneute Beschlussfassung des Bundestages (Art. 77 Abs. 2 GG),
        • Verzicht des Bundesrates auf einen Einspruch (Art. 77 Abs. 3 GG) oder – nach Durchführung eines Vermittlungsverfahrens gemäß Art. 77 Abs. 2 GG – Einlegen eines Einspruchs und dessen Zurückweisung durch den Bundestag (Art. 77 Abs. 4 GG)

      dd) Ausfertigung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten (Art. 82 Abs. 1, 58 GG)

      ee) Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt (Art. 82 GG)

  2. Materielle Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes
    1. Kein Verstoß gegen Verfassungsrecht
      • Verletzung eines Grundrechts (vgl. Übersicht 2 Rn. 8)
      • aa) Betroffenheit des Schutzbereichs eines Grundrechts

        bb) Eingriff in den Schutzbereich

        cc) Rechtfertigung des Eingriffs

      • Verletzung sonstiger Verfassungsbestimmungen
    2. bei Verfassungsänderungen: Beachtung des Art. 79 Abs. 3 GG!

Im Bereich der formellen Verfassungsmäßigkeit – um die es auch in Fall 1 geht (siehe unten) – erweisen sich sowohl bei Klausuren als auch in der Praxis häufig die Gesetzgebungskompetenzen und die Frage nach der Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes als Schwerpunkte der Prüfung. Insgesamt gesehen steht aber vor allem bei Klausuren meist die materielle Verfassungsmäßigkeit im Mittelpunkt der Prüfung. Dabei geht es in der Regel um die Frage, ob das Gesetz Grundrechte verletzt (vgl. zur Grundrechtsprüfung B. II).

3. Fallbeispiel

Fall 1

6

Nach dem Scheitern mehrerer Landesgesetze für den Nichtraucherschutz vor den Verfassungsgerichten hat sich die Bundesregierung entschlossen, eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen. Der in den Bundestag eingebrachte Entwurf eines Bundes-Nichtraucherschutzgesetzes (BNichtRSG) ist dort nach den üblichen drei Lesungen mit den Stimmen der Regierungsparteien beschlossen worden. Das BNichtRSG enthält ein vollständiges Rauchverbot für alle Arten von Gastronomiebetrieben und Diskotheken; Ausnahmetatbestände z.B. für die Einrichtung von Raucherzimmern in Nebenräumen – wie sie teilweise in den gescheiterten Landesgesetzen vorgesehen waren – gibt es nicht. In der Begründung des Gesetzes heißt es dazu, dem Schutz der Nichtraucher vor den nach gesicherten medizinischen Erkenntnissen durch das Passivrauchen verursachten Gesundheitsgefahren werde absolute Priorität eingeräumt.

Der Bund hat im Bereich des Gesundheitsschutzes allerdings keine generelle Gesetzgebungskompetenz. Er stützt sich daher beim BNichtRSG auf die Kompetenz zur konkurrierenden Gesetzgebung für den Arbeitsschutz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG sowie auf Art. 74 Nr. 19 GG, wo es u.a. um Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten geht. Die meisten Bundesländer sind gegen das BNichtRSG. Nach ihrer Auffassung fehlt dem Bund für ein vollständiges Rauchverbot in Gaststätten die Gesetzgebungskompetenz. Eine Regelung für den Arbeitsschutz dürfe nur Gastronomiebetriebe erfassen, in denen die Gesundheit von Arbeitnehmern tatsächlich gefährdet sei. Außerdem sei es nach der Änderung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG durch die Föderalismusreform allein Sache der Länder, das Gaststättenrecht zu regeln. Ein Vermittlungsverfahren scheitert. Die Länder, die das Gesetz nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG für zustimmungsbedürftig halten, weil die zuständigen Landesbehörden die Durchsetzung des Rauchverbots durch die Gastwirte überwachen sollen, lehnen daraufhin im Bundesrat eine Zustimmung ab. Außerdem legen sie vorsorglich Einspruch ein, weil die Bundesregierung das Gesetz nicht für zustimmungsbedürftig hält. Dieser Einspruch wird jedoch von den Regierungsparteien im Bundestag überstimmt. Daraufhin wird das BNichtRSG nach Gegenzeichnung und Ausfertigung durch den Bundespräsidenten im Bundesgesetzblatt verkündet.

Ist das BNichtRSG formell verfassungsgemäß zustande gekommen?

Lösung:

Das BNichtRSG ist formell verfassungsgemäß zustande gekommen, wenn der Bund dafür die Gesetzgebungskompetenz hat und das Gesetzgebungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

1. Zuerst ist zu prüfen, ob der Bund über die notwendige Gesetzgebungskompetenz für das BNichtRSG verfügt. Ein Anknüpfungspunkt im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung nach Art. 71, 73 GG ist nicht ersichtlich, es könnte aber ein Fall der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72, 74 GG gegeben sein. Dazu müsste sich der Nichtraucherschutz einem in Art. 74 Abs. 1 GG aufgeführten Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung zuordnen lassen.

In Betracht kommt zunächst der in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG genannte Arbeitsschutz, denn die in Gaststätten beschäftigten Arbeitnehmer sind den durch das Passivrauchen verursachten Gesundheitsgefahren ausgesetzt. Allerdings soll das BNichtRSG nicht nur für diese gelten, sondern auch den Schutz der Gaststättenbesucher sicherstellen. Außerdem kann es sein, dass es in kleineren Einraumkneipen oder „Eckkneipen“ gar kein schützenswertes Personal gibt, weil der Besitzer seine Kundschaft selbst bedient. Solche Fälle müssten aus einer nur dem Arbeitsschutz dienenden Regelung ausgeklammert werden. Deswegen reicht die Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht aus, um ein umfassendes Rauchverbot für alle Gaststätten zu ermöglichen.

Weiter ist daher zu untersuchen, ob das BNichtRSG als Maßnahme gegen gemeingefährliche Krankheiten angesehen und auf die in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG geregelte Kompetenz gestützt werden kann. Durch das Passivrauchen erhöht sich insbesondere die Gefahr, an Lungenkrebs zu erkranken. Diese Krankheit kann als „gemeingefährlich“ eingestuft werden, weil sie häufig tödlich verläuft. Dass sie nicht ansteckend ist, spielt dabei keine Rolle, denn in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG wird zwischen gemeingefährlichen oder übertragbaren Krankheiten differenziert und es können Maßnahmen gegen beide Arten ergriffen werden. Das gilt auch für präventive Maßnahmen, sodass ein Rauchverbot darauf gestützt werden kann (so auch Siekmann, NJW 2006, 3382ff.). Der Inanspruchnahme dieser Kompetenz durch den Bund könnte jedoch entgegenstehen, dass das BNichtRSG speziell für Gaststätten gelten soll, nach der Föderalismusreform die Gesetzgebung für diese Gewerbebetriebe aber Ländersache ist. Das verdeutlicht die Aufzählung der aus der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das „Recht der Wirtschaft“ ausgeklammerten Bereiche in Art. 74 Abs. 11 GG. Sofern der Gegenstand eines Gesetzes unterschiedliche Kompetenzbereiche berührt, muss eine eindeutige Zuordnung nach dem Schwerpunkt der Regelung vorgenommen werden. Dieser Schwerpunkt liegt hier im Bereich des Gesundheitsschutzes, der nur einen von mehreren Aspekten des Gaststättenrechts darstellt, sodass die dafür bestehende Kompetenz der Länder im Wesentlichen unberührt bleibt. Demnach fällt das BNichtRSG unter die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG.

Außerdem ist noch zu prüfen, ob eine bundeseinheitliche Regelung für den Nichtraucherschutz erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG ist, da der Bund seine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nur unter dieser Voraussetzung in Anspruch nehmen darf. Diese Erforderlichkeit lässt sich beim BNichtRSG unproblematisch feststellen, weil die Kompetenz für Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ebenso wie der Arbeitsschutz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zu den Gegenständen gehören, die nicht in Art. 72 Abs. 2 GG aufgezählt sind, sodass eine nähere Prüfung anhand der dort genannten Kriterien entfällt. Vielmehr besteht für die in Art. 72 Abs. 2 GG nicht genannten Gegenstände seit der Föderalismusreform eine Art Vorrangkompetenz des Bundes, bei der die Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung unterstellt wird. Der Bund hat somit die für das BNichtRSG notwendige Gesetzgebungskompetenz.

2. Ein Gesetz kommt ferner nur dann formell verfassungsgemäß zustande, wenn die Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren beachtet worden sind. Nach dem Sachverhalt kann davon ausgegangen werden, dass die Bundesregierung den Entwurf des BNichtRSG entsprechend Art. 76 GG in den Bundestag eingebracht hat und dass er dort gemäß Art. 77 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 42 Abs. 2 GG und den einschlägigen Vorschriften der Geschäftsordnung des Bundestages beraten und beschlossen worden ist. Näher zu untersuchen ist allerdings, ob die Beteiligung des Bundesrates ordnungsgemäß war. Das hängt davon ab, ob es sich um ein Zustimmungsgesetz handelt – für das die erforderliche Zustimmung des Bundesrates fehlen würde – oder ob nur ein Einspruchsgesetz vorliegt.

Es würde sich um ein Zustimmungsgesetz handeln, wenn die Auffassung der Länder zutreffend wäre, dass die Zustimmung aufgrund der Zuständigkeit der Landesbehörden für die Durchsetzung des Rauchverbots als erforderlich nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG angesehen werden kann. Diese Auffassung ist jedoch unzutreffend. Grundsätzlich gilt, dass die Landesbehörden immer für die Umsetzung von Bundesgesetzen zuständig sind und dabei die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren selbst regeln (Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG). Sofern ein Bundesgesetz etwas anderes bestimmt, sind die Länder daran zwar gebunden, können aber abweichende Regelungen treffen (Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG). Zustimmungspflichtig ist ein Bundesgesetz nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG erst dann, wenn der Bund – ausnahmsweise – bundeseinheitliche Regelungen für das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit schaffen will. Dafür gibt es hier aber nach dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte.

Demnach ist davon auszugehen, dass das BNichtRSG kein Zustimmungsgesetz, sondern ein Einspruchsgesetz ist. Die dafür geltenden Anforderungen an die Beteiligung des Bundesrates sind beachtet worden. Zwar hat der Bundesrat nach dem Scheitern eines Vermittlungsverfahrens Einspruch gegen das Gesetz eingelegt (Art. 77 Abs. 3 GG), dieser ist jedoch durch Beschluss der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zurückgewiesen worden (Art. 77 Abs. 4 GG). Dadurch ist das Gesetz zustande gekommen (Art. 78 GG). Es ist nach dem Sachverhalt außerdem gemäß Art. 82 GG ordnungsgemäß ausgefertigt und verkündet worden.

3. Im Ergebnis ist somit festzustellen, dass das BNichtRSG formell verfassungsgemäß zustande gekommen ist.

Hinweis: Die materielle Verfassungsmäßigkeit eines vollständigen Rauchverbots in Gaststätten wäre ebenfalls zu bejahen, denn das BVerfG hat durch Urteil v. 20.7.2008 (NJW 2008, 2409 ff.) zu zwei Landesgesetzen bestätigt, dass der Gesundheitsschutz ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut ist, das auch den mit einem vollständigen Rauchverbot verbundenen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der betroffenen Gastwirte rechtfertigt.

II. Die Prüfung von Grundrechtsverletzungen

1. Allgemeiner Prüfungsablauf bei Freiheitsgrundrechten

a) Einführung

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Ein „klassisches“ Thema für Klausuren ist die Frage, ob Freiheitsgrundrechte durch staatliche Maßnahmen ungerechtfertigt eingeschränkt und damit verletzt werden. Das folgende Prüfschema stellt das allgemein gültige „Grundgerüst“ der Prüfungsabfolge für Freiheitsgrundrechte dar. Für die bezüglich wirtschaftlicher Betätigung besonders relevanten Grundrechte und die dabei zu beachtenden Besonderheiten ist auf die Übersichten 3–6 (Rn. 12ff.) zu verweisen. Es kann – je nach Sachverhalt – auch notwendig sein, mehrere Grundrechte zu prüfen! Die Übersicht ist auf Grundrechtseingriffe zugeschnitten, die sich unmittelbar aus einem Bundesgesetz ergeben, kann sinngemäß aber auch auf Eingriffe durch andere staatliche Handlungen (insbesondere Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsakte oder Gerichtsurteile) angewandt werden. In der Klausur wird entweder direkt nach der Grundrechtsverletzung durch eine staatliche Maßnahme gefragt sein oder diese im Rahmen der Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde (Übersicht 8 Rn. 29) abgeprüft.

b) Prüfungsablauf

8

Übersicht 2

Eingriffe in Freiheitsgrundrechte

  1. Betroffenheit des Schutzbereichs eines Grundrechts
    1. Sachlicher Schutzbereich: Sachverhalt/ein bestimmtes Verhalten des Betroffenen erfasst?
    2. Persönlicher Schutzbereich:
      • wird der Betroffene geschützt (beachte Art. 19 Abs. 3 GG)?
  2. Eingriff in den Schutzbereich
    • Beeinträchtigung einer grundrechtlich geschützten Position durch staatliche Maßnahmen?
  3. Rechtfertigung des Eingriffs
    • Eingriff durch ein formelles Bundesgesetz
      1. Vorliegen einer Grundrechtsschranke
        • Vorliegen eines Gesetzesvorbehalts
        • Vorliegen sog. verfassungsimmanenter Schranken
      2. Formelle Verfassungsmäßigkeit

        aa) Gesetzgebungskompetenz (Art. 70–75 GG)

        bb) Gesetzgebungsverfahren (Art. 76–78, 82 GG)

      3. Materielle Verfassungsmäßigkeit

        aa) Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

        aaa) legitimer Zweck des Gesetzes

        bbb) Geeignetheit des Mittels

        ccc) Erforderlichkeit des Mittels (Wahl des mildesten geeigneten Mittels)

        ddd) Angemessenheit des Mittels (Verhältnismäßigkeit i.e.S.)

        bb) Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes

        cc) keine unzulässige Rückwirkung

        dd) Verbot der Einzelfallgesetzgebung (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG)

        ee) Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG)

    • Eingriff durch anderen staatlichen Akt
      1. Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage bzw. der angewandten Norm (soweit Bundesgesetz, siehe Prüfung oben)
      2. grundrechtskonforme Anwendung des gesetzlichen Tatbestandes
      3. Verhältnismäßigkeit der Rechtsfolgen

        aa) Geeignetheit

        bb) Erforderlichkeit

        cc) Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i.e.S.)

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Die Frage nach der Betroffenheit des Schutzbereichs eines Grundrechts ist wichtig, weil ein staatlicher Akt unter Umständen mehrere Grundrechte betreffen kann und teilweise eine Rangfolge in deren Prüfung besteht (Art. 2 Abs. 1 GG ist gegenüber spezielleren Grundrechten subsidiär). Erst wenn feststeht, dass ein Grundrecht betroffen sein kann, ist zu prüfen, ob in geschützte Positionen eingegriffen wird. Im Rahmen der Rechtfertigung muss zuerst festgestellt werden, ob der Eingriff auf ein formelles Gesetz gestützt werden kann und ob dieses durch einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt gedeckt wird oder – wenn nicht – ob sog. verfassungsimmanente Schranken eine Einschränkung des jeweiligen Grundrechts zulassen. Dann ist immer die formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu prüfen (siehe Übersicht 1 Rn. 5), wobei allerdings nur auf Einzelheiten einzugehen ist, wenn der Sachverhalt dafür Anhaltspunkte bietet. Den Schwerpunkt bildet i.d.R. die materielle Verfassungsmäßigkeit, insbesondere die Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Bei Vorliegen eines Einzelaktes kommt es zusätzlich zur Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage insbesondere auf die Verhältnismäßigkeit der Rechtsfolgen im Einzelfall an.

2. Prüfungsablauf bei ausgewählten Freiheitsgrundrechten

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Das Grundgesetz gewährleistet eine ganze Reihe von Freiheitsgrundrechten: Neben der in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Handlungsfreiheit z.B. die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit in Art. 4 GG, die für eine Demokratie wesentliche Meinungs- und Pressefreiheit in Art. 5 GG (die u.a. auch bei der Gestaltung von Werbemaßnahmen eine Rolle spielen kann) und die Versammlungsfreiheit in Art. 8 GG sowie die Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet in Art. 11 GG. Die folgenden Übersichten können allerdings nicht alle Freiheitsgrundrechte erfassen. Dargestellt werden nur die Prüfungsabläufe bei den für die wirtschaftliche Betätigung wesentlichen Garantien, die auch als „Wirtschaftsgrundrechte“ bezeichnet werden, nämlich die Berufsfreiheit in Art. 12 GG, die Eigentumsgarantie in Art. 14 GG, die im Arbeitsrecht sehr bedeutsame Koalitionsfreiheit (als besondere Form der Vereinigungsfreiheit) in Art. 9 Abs. 3 GG sowie die allgemeine Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG. Gerade bei diesen Grundrechten gibt es einige Besonderheiten, die bei der Prüfung zu Abweichungen vom „Grundschema“ (siehe Übersicht 2 Rn. 8) führen.

a) Berufsfreiheit (Art. 12 GG)

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Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit gehören zum klausurrelevanten Standardwissen. Insbesondere die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgeleitete Dreistufentheorie ist für die Bewältigung von Prüfungsarbeiten bedeutsam. Dem entspricht es, dass die Berufsfreiheit einerseits für die wirtschaftliche Betätigung von Bürgern und Unternehmen eine erhebliche praktische Bedeutung hat und dass es andererseits eine Vielzahl rechtlicher Regelungen gibt, aus denen sich – unmittelbar oder mittelbar – Einschränkungen der Berufsfreiheit ergeben.

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