»›Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne alte Küsten aus den Augen zu verlieren‹, sagte André Guide einmal. Die Autoren der DuMont Reiseabenteuer haben alte Küsten hinter sich gelassen! Sie nehmen uns als Leser mit in neue, überraschende Situationen, zu seltsamen wie faszinierenden Orten und zu Menschen, die uns von ihrem Leben erzählen. Man möchte sofort selbst losfahren! Oder einfach weiterlesen ...«

Maria Anna Hälker, Chefredakteurin DuMont Reiseverlag

DUMONT

REISEABENTEUER 2016

© 2016 DuMont Reiseverlag, Ostfildern

Alle Rechte vorbehalten

Titelfoto: Chris Tomas

www.dumontreise.de

INHALT

Wolf-Ulrich Cropp

Wie ich die Prinzessin von Sansibar suchte und dabei mal kurz am Kilimandscharo vorbeikam

Geheimes Mangrovendickicht

Stephanie Karraß & Chris Tomas

Nächster Halt: Steppe

Astana

Tian Chi

Sören Kittel

An guten Tagen siehst du den Norden

Ddang GgeutDas Ende der Welt

Martin Wittmann

Up & down under

Alan Tucker oder die Suche nach dem lieben Leben

Christoph Wöhrle

Fußball, Samba, Tropenfieber

Arme Leute gucken

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Wolf-Ulrich Cropp aus Hamburg lernte schon als Manager von Unternehmen im In- und Ausland alle Kontinente kennen. Nebenher schrieb er Bücher und zahlreiche fachkundliche Abhandlungen. Seit 1997 widmet er sich ganz dem Reisen und Schreiben. Seine Erfahrungen und Erlebnisse verarbeitete er in zweiundzwanzig Büchern, darunter Bestseller sowie in teils mit Preisen versehenen Artikeln, Essays und Kurzgeschichten. Cropp ist stellvertretender Vorsitzender der Hamburger Autorenvereinigung e.V. und Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller.

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WIE ICH DIE PRINZESSIN VON SANSIBAR SUCHTE UND DABEI MAL KURZ AM KILIMANDSCHARO VORBEIKAM

VON WOLF-ULRICH CROPP

PAPERBACK, CA. 360 SEITEN

eISBN 978-3-7701-9999-0

PREIS € 12,99 [D]/ € 12,99 [A]/SFR. 18,00

ERSCHEINT JULI 2016

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Tausendundeine Nacht in Sansibar

Das Abenteuer Sansibar beginnt auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. Auf einem Gedenkstein entdeckt Wolf-Ulrich Cropp den Hinweis auf Emily Ruete, geborene Salme, Prinzessin von Sansibar. Neugierde und Entdeckerdrang wecken in Cropp den Wunsch, die ferne Inselwelt der Prinzessin zu erkunden. Verbirgt sich hinter Salmes Lebensweg nicht auch ein historisches Zuwanderungsproblem?

Der Weg nach Sansibar führt ihn zunächst zum Fuß des Kilimandscharos, der höchsten Erhebung Afrikas und Lebensraum der Massai. Weiter geht es mit dem Überlandbus an die ostafrikanische Küste, entlang der alten Karawanen-, Sklaven- und Elfenbeinroute, nach Dar es Salaam und Bagamoyo. Auf abenteuerlichen Wegen erreicht Cropp schließlich mit einer schiffbrüchigen Dhau Sansibar, die afroarabische Welt aus Tausendundeiner Nacht. Er erkundet das Inselkleinod im Indischen Ozean, die Tour nach Stone Town wird zu einer Zeitreise zurück in die Welt der Sultane und Kalifen. Schließlich kommt es zu einer unerwarteten Begegnung: An den Palastruinen von il Mtoni erscheint eine geheimnisvolle Frau und berichtet dem Autor aus dem spannenden Leben der Prinzessin Salme. Nach und nach wird die bewegende Geschichte der Muslima bis zu ihrem tragischen Ende ausgerollt ...

Geheimes
Mangrovendickicht

»Mir ist lieber, in einer von Geheimnissen
umgebenen Welt zu leben, als in einer, die so klein ist,
dass mein Verstand sie begreift.«

HARRY EMERSON FOSDICK

Heute ist der erzählfreudige George zugeschnürt wie ein Kartoffelsack. Und ziemlich schlecht gelaunt. Warum?

Ich werd’s noch erfahren. Wir haben uns wieder ein Taxi besorgt, das er nach Mjini Kiuyu dirigiert. Nach meiner Karte muss das ein kleines Örtchen an einer Bucht im Nordosten sein.Wirklich merkwürdig. Was will er denn in einem so fernen Winkel? Als wir eine Weile auf der Hauptstraße unterwegs sind, sagt er:

»Pemba ist für seine Wunderheiler, Voodoopriester und Teufelsaustreiber berühmt. Nicht nur auf dieser Insel! Ihr Ruf drang früh bis über die Ostküste Afrikas hinaus an die großen Seen Zentralafrikas. Sogar auf der Insel des Voodoozaubers, Haiti, hat man von der Macht hiesiger Schamanen gehört.«

»Werden sich wohl einige dort niedergelassen haben«, behaupte ich.

»Das Problem ist, dass uns Weißen, eigentlich allen Fremden, die Zeremonien, die Heilmethoden und Geisterbeschwörungen verborgen bleiben. Spannend soll es sein, wenn Probanden Hexenmeister, die hier mganga (Plural: waganga) heißen, aufsuchen, um sich von einem besonders bösen Geist befreien zu lassen. Ein shetani (Plural: mashetani), ein böser Geist der besonderen Art, muss rasch ausgetrieben werden, da er ansteckend ist. Einheimische glauben, er könne in andere Personen schlüpfen. Extrem gefürchtet sind die mashetani ya rubamba, Pembas böse Inselgeister. Soweit ich weiß, wird ein solcher durch Opfergaben, magischen Tanz und engen Körperkontakt zwischen Schamanen und Infiziertem ausgetrieben. Doch da ist noch vieles im Dunkeln. Sind da berauschende Substanzen im Spiel? Geraten die Beteiligten in Trance? Wird Gewalt angewendet? Was wird geopfert, und was verlangt ein Hexenmeister für seine Dienste? Geld oder spezielle Leistungen?«

»Interessante Fragen, und denen willst du auf den Grund gehen?«

»Deshalb bin ich hier. Ich hatte auch Kontakt mit einem bekannten Hexenmeister von Chake Chake. Der hat mich aber versetzt, will mir nichts erzählen. Er hat …«

»… heißt der etwa Hassun?«

»Ja«, sagt George erstaunt. »Woher weißt du das?«

»Jemand aus Nungwi hat mir den Heiler wegen meines Armes empfohlen.«

»Erstaunlich! – Hassun hat mir gesagt, ein Zauberer namens Jamal könnte mir unter bestimmten Voraussetzungen etwas erzählen. Er lebe versteckt in der Nähe von Mjini Kiuyu.«

Nach fünfzehn Kilometern verlassen wir die Hauptstraße, biegen auf eine Sandpiste ab. Die endet bald darauf an einer Gruppe kläglicher Fischerhütten. Nun ist guter Rat teuer. George geht von Behausung zu Behausung, fragt nach Jamal, dem Schamanen. Kopfschütteln. Will man ihn nicht kennen oder seinen Aufenthaltsort nicht verraten? Wir stellen Schmiergeld in Aussicht, würden wir Informationen zu dem geheimnisvollen Mann erhalten. Zwecklos. Wieder im Taxi, beratschlagen wir, was jetzt am besten zu tun ist.

Vom Ufer her nähert sich ein Mann mit Netz und Paddel auf der Schulter. George springt aus dem Wagen und spricht mit ihm. Während des Palavers dreht sich der Mann nach allen Seiten um, als fürchte er, beobachtet zu werden. Endlich passiert etwas: Der Fischer geht ans Ufer zurück. George kommt und sagt:

»Der weiß etwas, wir sollen ihm in fünf Minuten folgen.«

Dem Taxifahrer hämmern wir ein, zu warten, egal wie lange wir wegbleiben. Dann machen wir uns auf. Schlammig ist das Ufer. Luftblasen blubbern. Unsere Schritte scheuchen Armeen grauer Krebse auf. Feuerrote Gespensterkrabben huschen davon. Überall in Fäulnis verstecktes Leben. Forschen Schrittes folgen wir dem Fischer eine Böschung aus verwittertem Korallenkalk hinauf und wieder hinab. Schließlich stehen wir vor einer Mangrovenwand, von engen Kanälen durchzogen. Ein dichter Wald der Stelzenwurzler im seichten Wasser. Im Schlamm liegt ein kleiner Einbaum. Da sollen wir einsteigen? Ich wende mich dem Ufer zu. In den Fuß einer Kokospalme hat sich ein furchterregendes Tier mit starken Scheren verkrallt. Ich stoße George an.

»Das ist ein Palmendieb, Birgus lato, auch Kokosnusskrabbe genannt, weil er bisweilen Palmen hinaufklettert und an Kokosnüssen knabbert. Das größte an Land lebende Krebstier der Erde, es kann vier Kilogramm schwer werden.« (Heute weiß ich, dass Birgus lato gar kein Palmenkletterer ist. Forscher haben die nachtaktiven Krabben beobachtet und herausgefunden, dass sie kleinere Schalentiere jagen und Kokosnüsse nur am Boden anknabbern).

Der Fischer wirft Paddel und Netz ins Boot, klettert nach hinten und fordert uns auf zu folgen. Im Gebüsch kreischen Affen. Irgendwo schreit ein Seeadler.

»Hörst du das Trompeten?«, fragt der Journalist. »Das ist ein Hornschnabel.«

Bis über die Knöchel im Schlamm stehend, stoßen wir ab, tauchen in einen grünen Tunnel und gleiten lautlos durch die geheimnisvolle Welt der Mangroven, ein eigenes, faszinierendes Ökosystem aus Schlick, Wasser, Bäumen und Büschen vieler Pflanzenfamilien mit um die siebzig Arten. Alles salztolerante Laubpflanzen, von denen einige überschüssiges Salz über Drüsen der Blätter ausscheiden. Wurzeln anderer Arten nehmen schädliche Salzionen gar nicht erst auf. Bestimmte Mangrovenbäume erreichen eine Höhe von fast zwanzig Metern. Ihre Luftwurzeln fingern wie Krakenarme im Schlick, der je nach Wasserstand mehrere Meter unter der Oberfläche liegt. Mangrovenwälder sind in vielen Teilen der Welt gefährdet, zum Beispiel durch Garnelenzucht oder Holzwirtschaft.

Wie eine Wasserschlange schlängeln wir uns durch Furten, die gerade noch unseren Einbaum durchlassen. Wurzelwerk schrammt an der Bordwand. Hin und wieder taucht eine Sandbank auf, dort tummeln sich Schlammspringer. Farbenprächtige Eisvögel lauern auf Beute, schießen wie Pfeile ins Wasser … tauchen auf, einen Fisch quer im Schnabel. Fliegendes Getier fällt wie im Blutrausch über uns her, sticht oder saugt sich fest. Drückende, schwüle Hitze wabert im Zwielicht des grünen Irrgartens. Wir sind dem stummen Fischer ausgeliefert. Wo mag er uns hinbringen? Können Menschen hier leben?

Natürlich! Der Mangrovenwald ist das richtige Umfeld, ja eine Heimstatt für Geister und Dämonen. Hier ist das Mysterium zu Hause. Eine treffliche Wirkungsstätte für Schamanen, Zauberer, Wahrsager, Hexenmeister … Es kommt mir vor, als glitten wir direkt hinab in die Unterwelt.