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WILLIAM VOLTZ

 

 

 

DIE LETZTEN MENSCHEN

DER ERDE

 

Roman

 

 

 

 

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WING Publishing

 

Cover

Über den Autor

Vorwort

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Impressum

 

Über den Autor

 

William Voltz wurde am 28.Januar 1938 in Offenbach geboren. Er interessierte sich bereits in früher Jugend für Science Fiction, wurde Mitglied im SFCD und war Mitbegründer des SF-Clubs STELLARIS in Frankfurt.

William Voltz begann mit dem Schreiben von Kurzgeschichten und auch ein Buch mit dem Titel STERNENKÄMPFER wurde veröffentlicht. Für seine Stories, die sich großer Beliebtheit erfreuten, bekam er im Jahr 1961 den »Besten Fan-Autor Preis«.

Sein Engagement ebnete ihm 1962 den Weg ins damals noch junge und kleine PERRY RHODAN - Team.

Bis zu seinem viel zu frühen Tod am 24. März 1984 schrieb der Autor nicht nur für diese und andere Serien, sondern veröffentlichte auch Serien unabhängige Romane und Kurzgeschichten.

Bookwire gab uns die Möglichkeit, diese William Voltz Veröffentlichungen als e-books anzubieten.

Vorwort

 

Vor knapp zwanzig Jahren dachte ich mir für die PERRY-RHODAN-Serie die Figur des Don Redhorse aus. Der letzte Häuptling der Powder-River-Cheyenne erfreute sich bei den Lesern großer Beliebtheit, und ich trieb das Spielchen mit dieser Figur so weit, dass ich sie stellenweise sogar indianischen Dialekt sprechen ließ. Damit allerdings trat ich gewaltig ins Fettnäpfchen, denn aus dem Taunus schrieb mir ein Sioux-Häuptling, der sich in Deutschland niedergelassen hat, dass die von mir benutzte Sprache Oglalla sei und mit dem Dialekt der Cheyenne nichts zu tun hätte. Ich kannte den Häuptling bereits von früher; angetan mit einer kitschigen Indianerausrüstung betrieb er vor Kinos in der BRD Reklame für den Film »Buffalo Bill, der weiße Indianer«. Wie der Häuptling da mit stoischer Gelassenheit vor den Kinos saß, nötigte mir großen Respekt ab, aber ich empfand ihn auch als eine einsame, tragische Figur. Mein Interesse für die Kultur der nordamerikanischen Indianer war schon immer sehr groß (später wurde es von einem Hang für frühe südamerikanische Kulturen abgelöst, wie jeder unschwer erkennen kann, der mich besucht und sich in meiner Wohnung umschaut), und ich las alles, was es an objektiver Lektüre aufzutreiben gab. Schon in meiner frühen Jugend war mir klar, dass das Bild der grausamen Rothaut, wie es in alten Hollywood-Schinken gezeichnet wurde, in keiner Weise der Wahrheit entsprach. Besonders erschüttert hat mich seit jeher das Schicksal der Cheyenne-Indianer, die man belogen, betrogen, um ihre Heimat gebracht und schließlich fast ausgerottet hat. John Ford, der berühmte amerikanische Filmregisseur, ansonsten für sehr gefühlvolle Western bekannt, hat das Leben und Sterben der Cheyenne mit dem Film »Cheyenne autumn« realistisch und vor allem objektiv ins Bild gesetzt. Inzwischen gibt es auch eine Reihe geschichtlich authentischer Darstellungen der Ereignisse aus der Pionierzeit Nordamerikas. Ich erfuhr vom Untergang der Cheyenne erstmals aus den Büchern von Clay Fisher, der mit zur ersten Garnitur angelsächsischer Westernautoren gehört. Die Geschichte vom Auszug der Cheyenne aus ihrem Reservat und der Versuch, die eigentliche Heimat zu erreichen, beeindruckten mich sehr, so sehr, dass ich sie in eine Space Opera umarbeitete, die Sie mit diesem Roman »Die letzten Menschen der Erde« in den Händen halten. In meiner Geschichte spielen Menschen die Cheyenne, und die außerirdischen Torrels sind die Weißen. Dieser Roman erschien vor dieser endgültigen Taschenbuchfassung zweimal als Heftausgabe, aber niemals erhielt ich eine Zuschrift, in der ein Leser die Vermutung ausdrückte, meine Geschichte könnte eine Parabel auf das Schicksal eines Indianerstammes sein. Im Grunde genommen kommt es auch nicht darauf an, wer die Unterdrückten sind, denn wenn wir uns heute in der Welt umsehen, so stellen wir fest, dass niemand etwas durch den Niedergang der stolzen Indianer gelernt hat. Ethnische Minderheiten werden auch heute unterdrückt; Regierungen aller Couleurs gehen mehr und mehr dazu über, unliebsame Kritiker mit Hilfe sogenannter Todesschwadronen mundtot zu machen oder verschwinden zu lassen. Das, was der Mensch Menschen zufügt, hat Ausmaße angenommen, die mich oft mit stummem Entsetzen registrieren lassen, was da geschieht. Doch stumm zu sein, ist ein Zeichen von Resignation. Jeder von uns ist aufgerufen, ständig wachsam zu sein und zu verhindern helfen, dass Minderheiten terrorisiert werden. Die Gewalt, die unsere Welt überflutet, Rücksichtslosigkeit und Hass sind letztlich nur Zeichen von Angst. Sie muss überwunden werden, bevor eines Tages wirklich die »letzten Menschen der Erde« vor den Trümmern unserer Zivilisation stehen.

 

Heusenstamm, Herbst 1983

William Voltz

1.

 

»Ich bin eine lebendige Registriermaschine«, sagte Jaynays gelassen. »Auch wenn mich der Staub von Jahrhunderten zu bedecken scheint, bin ich doch eine unerschöpfliche Quelle wichtiger Informationen.«

Macaya starrte nachdenklich auf das Bild des Händlers, das sich deutlich im Übertragungsschirm abzeichnete. Wenn sich Jaynays einer solch farbigen Sprache bediente, dann bot er gewöhnlich teure Informationen an – sehr teure Informationen. Vergeblich versuchte Sektoren-Meister Macaya in Jaynays' ausdruckslosem Gesicht nach einem Hinweis.

»Ich weiß nicht, ob ich Sie vorlassen soll«, sagte Macaya nachdenklich.

Der Händler lächelte. Obwohl er den Sektoren-Meister selbst nicht sehen konnte, blickte er direkt auf die Wanne, in der Macaya saß.

»Ich könnte Ihnen die Informationen von hier aus geben«, schlug er vor.

Macaya verzog das Gesicht. »Wir können abgehört werden.«

»Natürlich.« Jaynays nickte sorglos. »Ich will Sie auch nicht beeinflussen.«

Macaya blickte auf die Blasen, die zwischen seinen Beinen hochstiegen und an der Oberfläche des Ölbades zerplatzten. Früher hätte er sofort eine Entscheidung getroffen. Die Verwaltungsarbeit konnte einen Mann sterben lassen, dachte er grimmig. Nicht körperlich, aber in geistiger Hinsicht. Man wurde träge und scheute jede Verantwortung. Vielleicht bedeutete die Information, die Jaynays zu verkaufen hatte, Ärger – vielleicht auch nicht.

»Ich werde Sie empfangen«, sagte Macaya. »Halten Sie sich bereit, ich schalte den Transmitter ein.«

Wenn Jaynays triumphierte, so zeigte er das nicht. Macaya fragte sich, wie ein Mann, der so viel wusste wie der Händler, derart ruhig bleiben konnte. Mindestens sieben Sippen in Macayas Sektor hatten dem Händler den Tod geschworen.

Macaya schnaubte und stieg aus der Wanne. Er hinterließ eine dampfende Spur, als er sich an seinen Arbeitsplatz begab. Durch einen Schalterdruck ließ er die Wanne unter dem Boden verschwinden. Er lehnte sich in seinen Sitz zurück.

Wie alt ist dieser Bursche eigentlich?, fragte er sich mit einem ärgerlichen Blick zum Bildschirm. Dann schaltete er den Transmitter ein.

Jaynays trat aus der Übertragungskammer und schnüffelte argwöhnisch.

»Schwefel«, stellte er sachlich fest. »Sie sind noch immer ein ziemlich harter Mann, Sektoren-Meister.«

Macaya machte eine müde Geste. »Ich bin der Mann, der die Finanzen dieses Sektors verwaltet, Händler. Das allein interessiert Sie.«

Jaynays grinste verschlagen. Sein altes Gesicht war so zusammengeschrumpft, dass der Nahrungssack wie ein nasser Lappen daran herabhing. Die Augen des Händlers jedoch leuchteten und bewegten sich flink hin und her.

»Heraus damit«, sagte Macaya. »Was wissen Sie?«

Jaynays seufzte. »Wie lange kennen wir uns schon, Sektoren-Meister?«

»Wie viel?«, brummte Macaya.

Der Händler nannte eine Summe.

Macaya sprang zornig auf. »Sie werden unverschämt, Jaynays. Soll ich Sie einkerkern lassen und die Information aus Ihnen herauspressen?«

»In Ordnung«, sagte Jaynays versöhnlich. »Bezahlen Sie mir die Hälfte sofort. Sollte sich die Information als wertvoll erweisen, reden wir über den Rest der Summe.«

Macaya schrieb einen Wertschein aus und schob ihn über den Tisch. Er fragte sich, was man in der Zentrale unternehmen würde, wenn man je davon erfuhr, wozu er die Scheine benutzte, die er angeblich für den Geheimdienst benötigte. Macaya hatte in seinem Sektor nie einen Geheimdienst gebraucht. Jaynays ersetzte hundert Agenten.

Umständlich steckte der Händler den Schein in die Tasche.

»Es handelt sich um die Terraner«, eröffnete er.

Auch ein weniger scharfer Beobachter als Jaynays hätte festgestellt, dass der Sektoren-Meister einen Augenblick den Atem anhielt, bevor er hervorstieß: »Was ist mit ihnen?«

Jaynays schaute auf den Boden. Er sagte: »Sie werden zur Erde zurückkehren.«

Traurig blickte Macaya auf die Zweitschrift des Wertscheins auf dem Tisch.

»Soeben habe ich Sie für eine Nachricht bezahlt, die Sie von einem Narren bekommen haben«, erklärte er. »Jaynays, Sie wissen so gut wie ich, dass es für die Terraner keine Rückkehr gibt. Die Zentrale wird ihren Standpunkt nicht ändern.«

Der Händler schüttelte den Kopf. »Niemand sagte, dass die Zentrale ihren Standpunkt ändert. Die Terraner werden es tun.«

Beide schwiegen einige Zeit. Als der Sektoren-Meister wieder sprach, klang seine Stimme ungewöhnlich ernst. »Ich halte Sie für klug, Jaynays. Ich glaube nicht, dass Sie je versuchen würden, mich zu betrügen. Aber Sie müssen verrückt sein, mir eine solch unsinnige Information zu verkaufen.«

»Ich bin nicht verrückt«, verteidigte sich Jaynays. »Ein Schiff meiner Sippe ist gestern vom Staubplaneten zurückgekommen. Als der Kommandant mir davon berichtete, dass die Terraner unruhig seien, habe ich mich sofort darum gekümmert.« Jaynays zupfte erregt an den Haarwarzen, die seine Handrücken bedeckten. »Die Terraner sind entschlossen, in ihre Heimat zurückzukehren.«

»Es kann sich dabei nur um eine rein symbolische Entschlossenheit handeln«, erwiderte Macaya. »Zwei Wachschiffe fliegen ständig eine Kreisbahn um den Staubplaneten. Allein in meinem Sektor halten sich sechs Flotten auf, die den Weg zum Solsystem abriegeln können. Den Wachring um Terra brauche ich fast nicht mehr zu erwähnen. Die Terraner besitzen sieben veraltete Raumschiffe. Das allein lässt Ihre Information wertlos erscheinen.«

Mit einem Ruck holte Jaynays den Wertschein aus der Tasche und warf ihn vor Macaya auf den Tisch. Einen Moment waren die Blicke der beiden Männer auf das Papier gerichtet, dann trafen sie sich. Macaya spürte, wie sich eine Wand zwischen ihnen aufrichtete, eine Wand des Misstrauens und der Unversöhnlichkeit. Er hätte Jaynays gern beruhigt, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Stumm sah er zu, wie der Händler zur Übertragungskammer schritt. Kurz vor dem Eingang blieb Jaynays stehen.

»Ich werde mein Geld noch bekommen«, sagte er, dann verschwand er in der Kammer.

Macaya betätigte den Transmitterschalter. Der dramatische Auftritt des Händlers beunruhigte ihn. Aus irgendeinem Grund schien Jaynays erregt zu sein.

Ich hätte ihn nicht vorlassen sollen, dachte er ärgerlich.

Dann begann er sich zu fragen, ob die Information des Händlers Hintergründe hatte. Die letzten siebenhundert Terraner, die auf dem Staubplaneten lebten, konnten zu keiner Gefahr werden. Macaya erinnerte sich, dass er dreimal vorgeschlagen hatte, die Terraner zur Erde zurückzubringen. Jedes Mal hatte die Zentrale abgelehnt.

Siebenhundert kranke, hungernde Wesen. Macaya schüttelte den massiven Kopf. Gab ihnen ein gewonnener Krieg das Recht, so zu handeln? Der Sektoren-Meister glaubte manchmal, in der Behandlung der verbannten Gegner eine wohlüberlegte Absicht zu sehen. Auf dem Staubplaneten würden die Terraner aussterben. Die Gefahr, dass sie jemals wieder in den Raum vorstoßen konnten, wurde dadurch gegenstandslos.

Was, fragte sich Macaya, wollte mir Jaynays wirklich berichten?

Er war zu stolz, den Händler wieder zu sich zu rufen. Eine Weile saß er unentschlossen da, dann stellte er eine Bildverbindung nach Puston her. Es dauerte einige Zeit, bis sich der Bildschirm erhellte. Ein Vermittler in der einfachen Uniform der Forschungsabteilung wurde sichtbar.

»Schaffen Sie mir Pootsepp an den Apparat!«, verlangte Macaya.

Der Vermittler erstarrte vor Ehrfurcht, als er den Sektoren-Meister erkannte. Sein Gesicht löste sich auf, und wenig später erschien dafür die magere Gestalt eines kleinen Mannes.

»Hallo, Tiit!«, sagte Macaya.

Der Mann verbeugte sich förmlich. Er war alt, noch älter als Jaynays.

Bei ihm sah man es auch an den Augen. Wie immer, wenn er Pootsepp sah, fühlte sich Macaya unbehaglich. Das war auch jetzt der Fall, obwohl 650 Lichtjahre sie voneinander trennten.

»Wie geht's, Tiit?«, erkundigte sich Macaya mit erzwungener Fröhlichkeit.

Pootsepp hustete.

»Puston ist ein kalter Planet«, sagte er. »Die Hälfte der Mannschaft leidet unter der Kälte. Sie wissen, dass wir immer wieder ins Freie müssen, wenn wir genaue Ergebnisse haben wollen. Es ist bereits zu Erfrierungen gekommen.«

»Ich rufe Sie nicht nur an, um über Ihre Arbeiten auf Puston zu sprechen«, sagte Macaya. Er sprach schneller, als er es hätte tun sollen. Pootsepp konnte solche Anzeichen von Nervosität leicht deuten. Nicht nur das, er konnte sie für seine Zwecke ausnutzen.

»Ich muss Sie etwas fragen, Tiit«, fuhr Macaya fort. »Es handelt sich um die Terraner.« Unbewusst gebrauchte Macaya die gleiche Redewendung wie Jaynays. Viel zu spät erkannte er jetzt, wie schwer es dem Händler gefallen sein musste, eine so unglaubwürdige Information weiterzuleiten.

Macaya fühlte, dass sich Pootsepp versteifte, als das Wort Terraner fiel.

»Hat man ihnen endlich die Rückkehr erlaubt?«, fragte der Forscher.

Macaya schüttelte stumm den Kopf. Der Blick Pootsepps rief ein Schuldgefühl in ihm hervor. Ich habe mein möglichstes getan, dachte er heftig. Drei offizielle Schreiben, das war mehr, als ein Sektoren-Meister tun durfte, ohne seine Stellung zu gefährden.

»Man hat mir eine Nachricht übermittelt«, sagte Macaya langsam. »Angeblich wollen die Terraner zur Erde zurückkehren.«

»Das wollen sie schon immer«, entfuhr es Pootsepp.

»Mein Gewährsmann behauptet, dass es ihnen jetzt ernst ist. Wenn seine Informationen stimmen, dann kann es zu einem gewaltsamen Ausbruch kommen.«

»Sie hätten nie eine Chance«, murmelte Pootsepp.

Zu seinem Erstaunen hörte sich Macaya aufatmen. »Sie glauben also nicht, dass sie ausbrechen werden, Tiit?«

»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte Pootsepp. »Der Staubplanet tötet sie, wenn sie ihn nicht verlassen können. Immer mehr erkranken, die Geburtenzahl geht ständig zurück. Sie sind hungrig und verzweifelt. Sie sehen keine Hoffnung. Unter diesen Umständen ist es durchaus möglich, dass sie es versuchen.«

Die Ruhe des Zimmers, nur vom Summen des Bildschirms unterbrochen, legte sich plötzlich wie ein dumpfer Druck auf Macaya. Er hatte das Gefühl, hundert Dinge gleichzeitig tun zu müssen, aber alles, was er zustande brachte, war ein hilfloser Einwand.

»Aber sie müssen doch wissen, dass wir sie angreifen, wenn sie gewaltsam ausbrechen.«

»Sie wissen es.« Pootsepp nickte bitter.

Macaya gab sich einen Ruck. Er war bereit, sich zu erniedrigen. Er wollte alles tun, um das Schlimmste zu verhindern.

»Was kann ich machen?«, fragte er beinahe demütig.

»Sprechen Sie mit ihnen«, sagte Pootsepp.

Macaya erhob sich und ging langsam auf den Bildschirm zu.

»Nicht ich«, sagte er. »Sie müssen mit ihnen sprechen, Tiit. Die Terraner vertrauen Ihnen. Mich würden sie nicht anhören. Machen Sie ihnen klar, dass sie auf dem Staubplaneten bleiben müssen, bis die Zentrale ihre Meinung ändert. Sobald sie ausbrechen, muss ich sie gnadenlos jagen. Sie würden nicht weiter als drei Lichtjahre kommen, dann hätten meine Schiffe sie umzingelt.«

Pootsepp gab sich einen sichtbaren Ruck.

»Drohungen«, murmelte er grimmig. »Immer wieder Drohungen. Wir sollten ihnen helfen, aber wir schüchtern sie ein. Ich soll ihnen Angst einjagen, damit sie ihren verzweifelten Plan aufgeben.«

Macaya senkte den Kopf.

»Gibt es einen anderen Weg?«, fragte er leise.

»Nein«, gestand Pootsepp ein. »Was geschieht, wenn ich sie nicht dazu bringen kann, ihr Vorhaben aufzugeben?«

Macaya hob vielsagend die Schultern.

»Die Erde ist fast zwölftausend Lichtjahre von ihrer jetzigen Heimat entfernt«, sagte er. »Sie müssen ihnen klarmachen, dass es unmöglich ist, weiter als drei Lichtjahre zu kommen.«

In Pootsepps Gesichtsausdruck ging eine plötzliche Veränderung vor.

»Ich glaube, sie würden mehr als drei Lichtjahre schaffen«, sagte er.

»Aber niemals zwölftausend. Ihr Fluchtweg wäre von ihren eigenen Toten gekennzeichnet.«

Pootsepp straffte sich. »Bekomme ich ein Schiff mit allen nötigen Sondervollmachten für diesen Sektor?«

»Ja«, sagte Macaya.

»Ich will versuchen, etwas für sie zu tun«, sagte der Forscher.

Die Verbindung brach ab. Der Sektoren-Meister starrte auf den schwarzen Bildschirm. Er wusste, was Pootsepp riskierte. Wenn der Forscher einen Fehler machte, würde ihn die Zentrale strafversetzen, denn Macaya konnte sich nicht erlauben, Pootsepp in einem solchen Fall zu decken.

Als Macaya zum Tisch zurückkehrte, legte er den Wertschein des Händlers sorgfältig zusammen und schob ihn in eine Mappe. Ein untrügliches Gefühl sagte ihm, dass er ihn noch benötigen würde.

2.

 

Martin Dennister stemmte seinen hageren Körper gegen die Tür und drückte sie so weit auf, dass er in den anschließenden Staubfangsack eintreten konnte. Er spürte den Druck des Sturmes wie eine zentnerschwere Last auf der Tür. Am Boden des Fangsacks ballte sich der klebrige Staub, der Dennister bis zu den Knöcheln reichte. Dennister hörte das schwache Summen der Absaugvorrichtung, und er sah das Glitzern unzähliger Staubpartikel im Lichtschein der runden Lampe an der Decke. Dennister hatte den Eindruck, auf einen geballten Schwarm winziger Insekten zu blicken, deren Silberflügel das Licht reflektierten.

Dennister trat unter die Staubdusche. Auch jetzt, am letzten Tag seines Hierseins, empfand er diesen Vorgang nicht als unnötig, er gehörte einfach zum Leben auf dieser Welt und ging einem Mann in Fleisch und Blut über. Die chemische Lösung spülte Dennisters Kleidung sauber. Er entledigte sich seiner Sachen und schlüpfte in zwei Plastiksohlen, von denen mehrere hinter der Dusche standen.

Dennister war groß und hager. Wie bei allen Männern über Dreißig lagen seine schmalen, ewig zusammengekniffenen Augen zwischen unzähligen Falten. Auch mit einer Staubmaske wagte sich kein Mann ins Freie, ohne die Augen bis zu einem Spalt zu schließen. Dennisters Haar war weiß, es schimmerte gelb, wenn Licht darauffiel. Sein Mund wirkte weich, ebenso wie sein Kinn. Dabei galt Martin Dennister als einer der härtesten Männer des Staubplaneten.

Einen Augenblick blieb Dennister hinter der Dusche stehen. Sein Kopf war leicht zur Seite geneigt, als lausche er auf das Tosen des Sturmes. Doch das war eine Täuschung, denn kein Mann in Dennisters Alter maß dem Lärm des ewigen Orkans noch eine Bedeutung bei. Was Dennister hören wollte, waren die Stimmen im hinteren Teil des Treibhauses. Sie klangen nur schwach zu ihm herein, und er vermochte sie nicht zu unterscheiden. Alles, was er wahrnahm, war ein auf- und abschwellendes Gemurmel.

Dennister verließ die Dusche. Sofort schlug ihm die schwüle Luft des Treibhauses entgegen. Zu beiden Seiten des Hauptganges breiteten sich die Beete aus. Bewässerungsleitungen führten darüber hinweg. Direkt über dem Hauptgang hingen zwei große Ventilatoren. Die Beete rechts von Dennister waren bewachsen. Auf der anderen Seite lag überall Kunstdünger in runden Ballen. Weiter hinten hatten die Männer bereits angefangen, ihn zu verteilen.

Hinter den Beeten erweiterte sich das Treibhaus, und man gelangte in eine Lagerhalle.

Dennister hob den Kopf und sah die drei anderen Männer dort stehen.

Sie hatten ihre Unterhaltung abgebrochen und schauten ihm erwartungsvoll entgegen.

Alle drei waren älter als Dennister. Im Gegensatz zu ihm hatten sie sich freiwillig gemeldet. Doch Dennister war der einzige, dem man zutraute, das zusammengestückelte Ding dort draußen an sein Ziel zu bringen. Dennister selbst hatte nie darüber gesprochen, wie er seine Aussichten beurteilte. Wahrscheinlich hegte er wenig Zuversicht, denn als Fachmann konnte er dieses sogenannte Raumschiff am besten beurteilen.

Dennister blickte die drei alten Männer an, die seine Begleiter sein würden, und er empfand Bewunderung für sie. Ihre Gesichter sahen grau und leblos aus. Wie Steine, dachte Dennister beklommen, die von Wind und Staub abgeschliffen sind. Und dieser Gedanke war noch nicht einmal so abwegig.

»Guten Morgen«, sagte Martin Dennister, als er vor seinen Begleitern stehenblieb. Er hatte nicht vermeiden können, dass seine Stimme einen leicht ironischen Unterton bekam, denn die Welt, auf der sie lebten, war ständig in dunkelbraune Dämmerung gehüllt. Nur die Uhren zeigten ihnen, welche Tageszeit gerade auf der Erde anbrach.

Der Gedanke an die Erde ließ in Dennister den alten Zorn aufsteigen. Er gab sich einen Ruck und konzentrierte sich auf das, was er sagen musste.

»Wir haben alle Frauen und Kinder an Bord der Shanton gebracht«, berichtete er. Die Shanton trug den Namen des letzten Präsidenten der Erde. Sie war das weitaus größte der sieben Schiffe, die ihnen zur Verfügung standen. »Dreißig Männer gingen als Bedienungsmannschaft mit an Bord. Die übrigen haben sich auf die sechs anderen Schiffe verteilt. Es ist zu keinen Zwischenfällen gekommen. Alle sieben Schiffe sind startbereit.« Dennister lächelte schwach. »Es kann losgehen.«

»Glauben Sie, dass wir eine Chance haben, Martin?«, fragte Gosword.

Dennister blickte den kleinen Mann an, der vor zwölf Jahren einmal für kurze Zeit als Stellvertreter des Bürgermeisters gearbeitet hatte.

»Die Aussicht, bei diesem Unternehmen zu sterben, ist nicht größer als die, auf dieser Welt langsam zugrunde zu gehen«, erwiderte Dennister ernst.

»Ich denke an die Frauen und Kinder«, sagte Pinch Ollison, ein Mann mit hässlicher Hakennase und schwarzen Augen. »Sie sind jetzt auf der Shanton zusammengedrängt. Wir hätten sie auf alle Schiffe verteilen sollen. Wenn es zu einem Kampf kommt und die Shanton einen Volltreffer erhält, dann ...« Ollison brach kopfschüttelnd ab.

Dennister wusste, dass Ollison immer wieder versucht hatte, den Bürgerrat zu Verhandlungen zu überreden. Doch Späth, der Bürgermeister, hatte sich für den Plan der jüngeren Generation entschlossen und es verstanden, den Bürgerrat auf seine Seite zu ziehen. Allein die Tatsache, dass über dreißig Versuche, mit den Torrels zu verhandeln, gescheitert waren, ließ die Argumente Ollisons und seiner Freunde unlogisch erscheinen.

Martin Dennister erinnerte sich noch genau, wie John Späth nach der letzten entscheidenden Sitzung des Bürgerrats aufgestanden war, um der wartenden Menge das Ergebnis der Beratungen zu verkünden.

»Wir leben auf einer feindlichen Welt«, hatte Späth gesagt. »Auf einer Welt, die uns krank macht und tötet. Wir hungern und sind durstig. Unsere Kinder sterben.«

In diesem Augenblick hatte Martin Dennister erkannt, dass John Späth der geborene Führer war. Der Bürgermeister hatte völlig ohne Pathos gesprochen, aber jeder musste seine grimmige Entschlossenheit gespürt haben, die bestehende Situation zu ändern.

»Die Torrels haben uns in einem Krieg besiegt, der über zwanzig Jahre dauerte«, hatte Späth seine Zuhörer erinnert. »Es waren nicht mehr ganz zwölfhundert Terraner, die sie auf der Erde fanden und gefangen nahmen. Sie brachten sie zum Staubplaneten und machten aus der Erde einen Vergnügungspark. Ich bin überzeugt davon, dass die Torrels wissen, dass sie uns damit zum endgültigen Aussterben verurteilt haben. Vielleicht lag das sogar in ihrer Absicht. Wir kennen die Mentalität unseres Gegners nicht. Sie haben uns sieben unserer Raumschiffe überlassen und uns gestattet, alles Material mitzunehmen, das wir auf einer fremden Welt benötigten. Jeder von uns weiß, dass wir – und unsere Väter vor uns – nichts unversucht gelassen haben, im Kampf gegen diese feindliche Umwelt zu bestehen.« Späth hatte den Kopf geschüttelt. »Alle Bemühungen scheiterten. Deshalb werden wir versuchen, zur Erde zurückzukehren, auch wenn wir dabei alle den Tod finden sollten.«

Dennisters Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Nach terranischer Zeitrechnung lag diese Rede Späths nun drei Jahre zurück. Drei Jahre hatten sie benötigt, um die Schiffe funktionsfähig zu machen und alle anderen Vorbereitungen zu treffen.

»Ich hoffe, dass die Torrels die Shanton nie zu sehen bekommen«, sagte Dennister zu Ollison. »Ich bezweifle auch, dass sie eines unserer Schiffe vernichten werden, wenn es ihnen gelingen sollte, eines zu stellen. Sie würden die Besatzung zwingen, auf diesen Planeten zurückzukehren.«

»Das stimmt«, warf Rowden ein, der dritte von Dennisters Begleitern. Seine Stimme klang rau. Er gehörte zu den Außenarbeitern, einer der wenigen, die älter als Fünfzig waren. Ein Drittel seines Lebens hatte Rowden im Staubanzug verbracht. Wenn er seine riesigen Hände bewegte, sprangen die Adern hervor. Wie alle Außenarbeiter war auch Rowden wortkarg. Diese Männer, überlegte Dennister, mochten die einzigen sein, die eine gewisse Beziehung zu der neuen Welt gefunden hatten, auf der zu leben sie gezwungen waren.