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Verena Keil (Hrsg.)

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Wahre Storys für Teens

Über die Herausgeberin

Verena Keil arbeitet als Lektorin bei Gerth Medien. Sie ist auch Mitherausgeberin der Geschichtensammlung „Wie ich 256-mal Christ wurde“ und des Teenie-Ratgebers „Pimp your faith“.

© 2012 by Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1 , 35614 Asslar 

Bestell-Nr. 816 675

ISBN 978-3-96122-089-2

Umschlaggestaltung: Immanuel Grapentin

Umschlagfoto: Shutterstock

Satz: Die Feder Konzeption vor dem Druck GmbH, Wetzlar

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Inhalt

Vorwort

Du kannst niemals tiefer fallen als in Gottes Hände

Soll ich ins Ausland oder nicht?

Gott kommt spätestens pünktlich

Mobbing im Internat

Bewahrung auf dem Heimweg

Partner gesucht – und gefunden

Das Wunder am Passbildautomaten

„Und der Herr war nicht im Sturm …“

Die Prüfung

Mein Versuch als Supermissionarin

Nach Texas gegangen und Gott getroffen

Einfach nur Glück?

Sehnsucht nach Freundschaft

Eines Tages werde ich meine Ma wiedersehen

Gott segnet, auch wenn es erst mal ganz anders aussieht

Wie Gott mich zur Predigerin machte

„Herr, bitte nimm diese Gefühle weg“

Kleingeld sprengt Ketten

Raus aus der Pornofalle

Gottes klare Antwort

Die Freundin aus ihren Gebeten

Zurück zu dir

Das Gebet um meinen Traumprinzen

Wie Coca-Cola mein Aussehen veränderte

ADHS, Selbstmord und ich

Wie ich zu meinem Beruf gefunden habe

Gerade wenn du schwach bist

Nur ein Mensch oder doch ein Engel?

Vorwort

Stell dir vor, dein Leben ist wie ein Buch. Voller spannender Geschichten. Und dann kommt Gott und schreibt dir eine Widmung auf die erste Seite: „Hallo, … (hier steht dann dein Name), du bist mir wichtig. Egal, was du erlebt hast und was in Zukunft passieren wird, wir packen es gemeinsam. Ich liebe dich. Gott.“

Richtig cool wäre das, nicht wahr? Aber das Gute ist ja, dass uns Gott tatsächlich dauernd Liebesbotschaften schreibt. Manchmal kriegen wir das mit, manchmal auch nicht. Aber eines ist sicher: Man kann Gott tatsächlich erleben, mitten im Alltag. Dass das nicht nur eine steile Behauptung ist, zeigen die Geschichten in diesem Buch. Die Leute, die ihre Story für diesen Band beigesteuert haben, haben wirklich erlebt: Gott bewahrt mich. Er holt mich aus einer verzwickten Lage. Er schickt mir ein kleines Wunder. Er erhört mein Gebet.

Egal, ob es um eine schwierige Prüfung, Zoff mit den Eltern oder den Wunsch nach echten Freundschaften geht – Gott ist das alles nicht egal. Er kennt unsere Selbstzweifel und Ängste. Er weiß, wie sehr wir uns danach sehnen, dazuzugehören, „normal“ zu sein, etwas in dieser Welt zu bewegen. Er kennt unsere Sehnsucht danach, das Leben geregelt zu kriegen.

Vielleicht findest du dich ja in der einen oder anderen Geschichte wieder. Das wäre schön. Und noch schöner wäre es, wenn dich die Storys ermutigen, dich in deinem eigenen Leben auf die Suche nach Gott zu machen, selbst auszuprobieren, ob der Glaube „funktioniert“. Vielleicht machst du ja dann die Erfahrung, dass Gott dir tatsächlich Botschaften schickt. Ich wünsche dir jedenfalls spannende Entdeckungen!

In diesem Sinne, viel Spaß beim Chillen mit Jesus (und beim Lesen natürlich)!

Verena Keil

Du kannst niemals tiefer fallen als in Gottes Hände

Das Leben ist eine Achterbahn. Das erlebt jeder Mensch. Auch in meinem Leben gab es schon so einige Berg- und Talfahrten, gute und schlechte Zeiten. Doch das weitaus krasseste Erlebnis hatte ich in meiner Zivi-Zeit nach dem Abitur.

Das Abitur hatte ich mit einem ordentlichen (und besser als erwarteten) Schnitt geschafft. Ich war glücklich. Danach musste ich 9 Monate meinen Zivildienst ableisten. Das machte ich in einer Werkstätte für Menschen mit psychischer Behinderung. Dort ging es darum, die Leute nach ihrer Behandlungs- und Therapiezeit wieder in den Berufsalltag einzugliedern – mit Arbeiten, die für sie nicht zu anspruchsvoll sind, aber trotzdem dafür sorgen, dass sie einen normalen Arbeitstag erleben. Wir bauten die Schlauchwagen für eine große Gartenfirma zusammen. Ich musste körperlich ganz schön ran, war abends oft völlig erledigt, aber das war auch immer ein gutes Gefühl: „Ich habe heute was geschafft!“ Überhaupt fühlte ich mich dort sehr wohl, konnte gut mit den erkrankten Menschen umgehen und hatte nette Kollegen.

Was die weitere Zukunft nach dem Zivildienst betraf, sah es auch ganz gut aus. Ich wollte gerne ein Volontariat machen, eine Ausbildung zum Redakteur. Und das am liebsten bei meinem persönlichen Lieblings-Radiosender CrossChannel. Ich war auch schon bald zu einem Bewerbungsgespräch in Wetzlar eingeladen und erwartete mit Spannung diesen Tag. Und noch etwas trug dazu bei, dass die Glücksgefühle nicht nachließen: Zu der Zeit hatte ich schon etwas über ein Jahr lang eine Freundin. Ich schwebte immer noch auf Wolke Sieben, wir verbrachten viel Zeit miteinander und es war traumhaft schön. Auch sonst gab es in meinem Leben nichts, worüber ich mich beschweren konnte. Ich habe das Leben in diesen Wochen einfach nur genossen, fühlte mich in allen Bereichen rundum glücklich. Es waren Tage, an denen ich jeden Morgen mit einem Lächeln aufgewacht bin. Tage, an denen ich Gott sehr oft dafür gedankt habe, dass das Leben so schön ist.

Doch dann ging alles ziemlich schnell. Innerhalb von nur ein paar Wochen hat sich mein Leben völlig auf den Kopf gestellt. In der Beziehung mit meiner Freundin gab es plötzlich einige große Meinungsverschiedenheiten. Gleichzeitig bekam ich an einem Tag während der Arbeit schlimme Rückenschmerzen. Ich musste in der Werkstätte täglich viele Kisten mit Arbeitsmaterial tragen, und führte die Schmerzen darauf zurück. Doch auch die nächsten zwei Tage ohne Kistentragen wurde es nicht besser, sondern nur noch schlimmer. Ich ging zu einem Orthopäden, einem in der Stadt geschätzten Facharzt. Er konnte sich die Schmerzen nicht erklären, verschrieb mir eine Schmerztablette, verordnete Physiotherapie und meinte: „In spätestens einer Woche ist alles wieder gut.“ Doch in den nächsten Tagen wurden die Schmerzen noch schlimmer. Der Arzt gab mir eine zweite Schmerztablette, schrieb mich drei Wochen krank und meinte: „Lange können Sie die Tabletten aber nicht nehmen, die machen süchtig.“

Die anschließende Zeit zu Hause war der Horror. Ich konnte nicht sitzen, nicht stehen. Das tat so unglaublich weh. Die Schmerzen verteilten sich immer weiter auf den ganzen Rücken. So blieb mir an vielen Tagen nur noch übrig, mit Schmerzen im Bett zu liegen und mich möglichst wenig zu bewegen.

Diese Tage und Wochen trugen leider wenig dazu bei, dass die Meinungsverschiedenheiten mit meiner Freundin besser wurden. Wenn wir einen Punkt geklärt hatten, kam ein anderer dazu. Es folgten Missverständnisse, Streitereien, Verletzungen. Wir versöhnten uns danach immer wieder, trotzdem stand etwas zwischen uns. Ich kann mir bis heute nicht erklären, warum wir plötzlich nicht mehr so richtig miteinander konnten. Doch meine Liebe zu ihr wurde dadurch nicht weniger. Ich war mir sicher, dass wir bald wieder eine gemeinsame Linie finden würden.

Die drei Wochen zu Hause waren vergangen. Die Schmerzen waren etwas weniger geworden, ich hatte mich auch irgendwie an sie gewöhnt. So ging ich wieder zum Arbeiten in die Werkstatt. Die Mitarbeiter der Einrichtung waren besorgt, haben sehr darauf geachtet, dass ich nur noch im Büro war oder leichte Arbeiten ohne Rückenbelastung erledigte. Irgendwie bekam ich die Tage rum, doch die Schmerzen nahmen wieder stark zu.

Ich ging erneut zum Arzt. Er konnte sich die Schmerzen trotz verschiedenster Untersuchungen immer noch nicht erklären, schrieb mich wieder krank. Auch zu einer Zivi-Ärztin musste ich, wegen einer eventuellen Arbeitsunfähigkeitsrente. Soweit war es schon gekommen. Am Ende stand ihre bittere Aussage, die mir noch heute in den Ohren klingt: „Ich habe noch nie einen jungen Menschen wie Sie gesehen, der so einen kaputten Rücken hat.“ Peng. Das saß und trieb mir die Tränen in die Augen. Ausgerechnet ich, jemand, der den Sport liebt und sich gern bewegt!

Ein paar Tage später der nächste Schlag. Meine Freundin offenbarte mir: „Es ist Schluss.“ Das kam für mich doch ziemlich überraschend. Ich hatte gerade das Gefühl, wir bekommen die Kurve wieder, dachte, auch mein Rückenleiden schweißt uns wieder zusammen. Da verkündet sie plötzlich das Ende der Beziehung. Ich wollte das nicht wahr haben, versuchte zu reden. Für mich war es total unverständlich. Ich liebte sie doch trotz der Auseinandersetzungen immer noch so sehr! Aber sie wollte nicht mehr. Ich versuchte „um die Liebe zu kämpfen“, wie man so schön sagt. Aber kein Chance. Es war von ihrer Seite aus betrachtet vorbei. Aus und vorbei.

Manchmal fühlte ich mich nicht beachtet von Gott. Aber meistens spürte ich, wie er mir immer wieder neue Kraft zum Durchhalten gab.

Die nächsten Tage waren unerträglich. Die Schmerzen im Rücken, die Schmerzen im Herzen. Die zwei Schmerztabletten für den Rücken (war ich eigentlich schon süchtig?) wirkten absolut nicht mehr. Die Zeit zu Hause, ohne Ablenkung durch Arbeit, wurde zur Dauerqual.

In diesen Tagen hatte ich dann auch noch das Bewerbungsgespräch bei CrossChannel. Ich quälte mich trotz der Schmerzen dort hin, erzählte aber nichts von den Rückenproblemen. Kurze Zeit später bekam ich die Zusage. Ich konnte ein Volontariat bei CrossChannel machen. Mein großer Traum ging in Erfüllung! Doch da war mein Rücken. Wenn der nicht ganz schnell besser werden würde, könnte ich dort niemals arbeiten. Mit diesen Schmerzen wäre es unmöglich. Ich überlegte täglich, ob ich bei CrossChannel anrufen soll, um mitzuteilen: Ich kann nicht anfangen, mein Rücken ist kaputt. Doch irgendwie schaffte ich es nicht.

Was ich natürlich auch unbedingt an dieser Stelle erwähnen muss: In meinem Leben ist die Beziehung zu Jesus sehr wichtig. Ich bin gläubiger Christ und habe in all diesen qualvollen Tagen sehr viel mit Gott gesprochen. In der ganzen Zeit machte ich Gott keine Vorwürfe. Ich klagte ihm aber oft mein Leid, sagte ihm dauernd, dass ich das alles einfach nicht verstehen kann. Ich flehte ihn oft an, dass er mir doch wenigstens die Schmerzen nehmen solle. Manchmal fühlte ich mich weit weg und nicht beachtet von Gott. Aber meistens spürte ich, wie er mir immer wieder neue Kraft zum Durchhalten, Weitermachen und viel Trost gab. Vor allem ein kleiner Aufkleber in meiner Bibel gab mir in diesen Tagen Halt. Darauf steht: „Du kannst niemals tiefer fallen als in Gottes Hände.“ Ganz oft sah ich auf diesen Spruch und jedes Mal war es wie Balsam auf der Seele.

Aber ich muss auch zugeben: Mit der Zeit und mit jeder neuen schlechten Nachricht, mit jedem neuen Tiefschlag verschwanden meine Hoffnung und Lebensfreude etwas mehr. Ich wusste einfach nicht mehr weiter. Wie sollte mein Leben nur weitergehen? Musste ich alle Pläne und Träume aufgeben?

An einem Samstagmorgen machte ich einen Spaziergang mit meinem Freund Anatol, der auch Pastor in meiner Gemeinde war. Wir gingen bei Sonnenschein durch die Felder und sprachen über die zerbrochene Beziehung und über meine Zukunft. Am Ende beteten wir zusammen, redeten mit Jesus über alles, was in meinem Leben gerade so abging. Wir baten Jesus auch um Heilung für den Rücken.

Und das Unglaubliche geschah. Am nächsten Morgen wachte ich auf und merkte sofort: Irgendetwas war anders. Ich stand auf und hatte keine Schmerzen mehr im Rücken. Ich nahm aber die Schmerztabletten wie gewöhnlich ein. Doch der Tag verging und ich hatte am Abend immer noch keine Schmerzen. Das konnte doch nicht wahr sein, oder? Den ganzen Tag lief ich kopfschüttelnd herum, fragte mich dauernd: Wirken die Tabletten endlich? Oder hat mich Jesus sogar vollständig geheilt? Am Abend beschloss ich: Morgen machst du die Probe.

Nach vielen Wochen mit täglich zwei Schmerztabletten, nach denen ich eigentlich längst süchtig sein müsste, ließ ich beide weg. Das Ergebnis: Keine Schmerzen. Den ganzen Tag nicht. Die ganzen nächsten Tage nicht. Das Wunder war wirklich geschehen! Ich war gesund, komplett geheilt. Nicht süchtig. Ich habe Jesus in den Tagen so viel gedankt und ihn dafür gelobt, dass er auch heute noch Wunder tut. Denn ich kann es bis heute nicht erklären. Für mich war und ist das ein großes Wunder.

Bis heute habe ich seither keine Schmerzen mehr im Rücken gehabt. Noch immer blicke ich auf diese Momente zurück und danke Jesus dafür. Kurze Zeit später schrieb Samuel Harfst ein Lied mit dem Titel „Das Privileg zu sein“. Diese Zeilen singe ich immer wieder mit unendlich viel Dankbarkeit und aus vollem Herzen mit:

Ist es nicht wunderbar,

an diesem Tag zu sein.

Es ist ein Privileg,

erachte es nicht als klein.

Wenn du nicht weiterweißt,

sich Wahrheit als falsch erweist

und deine Philosophie,

bleibt nur tote Theorie.

Auch wenn du nicht mehr glaubst,

Erwartungen zurückschraubst

und sagst ‚an Gott glaub ich nicht‘,

sag ich dir ‚Gott glaubt an dich!‘

Und er tut auch heute noch Wunder,

Stunde um Stunde,

Tag für Tag.

Tut der Herr heute noch Wunder,

Stunde um Stunde,

Tag für Tag.

Tag für Tag.

Legst du dein Leben hin,

gibt er deinem Leben Sinn.

Macht dein Leben keinen Sinn,

leg ihm dein Leben hin.

Das wird ein Wunder sein,

weder zu groß, zu klein.

Lebe die Zeit in Perspektive Ewigkeit.

Denn der Herr tut auch heute noch Wunder,

Stunde um Stunde,

Tag für Tag.

Tut der Herr heute noch Wunder,

Stunde um Stunde,

Tag für Tag.

Tag für Tag.*

Stefan Kleinknecht hat bei CrossChannel das Volontariat erfolgreich bestanden und ist seit September 2011 Redakteur beim Bundes-Verlag in Witten.

*„Das Privileg zu sein“, aus der CD „Audiotagebuch“, © Samuel Harfst, www.samuelharfst.de

Soll ich ins Ausland oder nicht?

Da war sie nun, die Zeit der Entscheidung, die ich in der 10. Klasse treffen musste: Soll ich im kommenden Schuljahr nach Amerika oder doch lieber hierbleiben?

Meine Freundin Sonja würde nach Amerika gehen. Und ich wollte auch gerne – oder doch nicht? Ich war hin- und hergerissen, traute mich nicht, mit 16 schon zwölf Monate von zu Hause fort zu sein, wollte es aber doch irgendwie wagen. Was soll ich denn hier, alleine ohne Sonja?

Ich glaubte zu der Zeit schon irgendwie an Gott – heute würde ich sagen: Es waren die Anfänge meines Glaubens. Gott hat sich mir auf charmante Weise immer mehr genähert, sich aber nie aufgedrängt, bis ich dann zwei Jahre später eine konkrete Entscheidung für ein Leben mit Jesus getroffen habe. Meine Freundin Sonja war Christ, und manchmal besuchte ich ihren Jugendbibelkreis, lernte neue Lieder kennen, über die Bibel zu diskutieren und zu beten – aber so richtig überzeugt davon, dass er in mein Leben eingreifen könnte, war ich noch nicht.

Es sprach ja nun auch eigentlich überhaupt nichts gegen ein Auslandsjahr: Meine Eltern würden mir das Jahr finanzieren, sie überließen mir die Entscheidung. Die Lehrer konnten sich das gut vorstellen, schulisch war es kein Problem. Meine Freunde machten mir ebenfalls Mut.

Aber ich konnte mich einfach nicht entscheiden.

Es war wirklich eine nervenaufreibende Zeit, weil sich meine Gedanken ständig im Kreis drehten: Wenn ich hierbleibe, bin ich ganz alleine, ohne meine beste Freundin. Wenn ich weggehe, kenne ich da auch niemanden. Was soll ich hier in Deutschland nur machen ohne sie? Aber trau ich mir andererseits zu, so jung allein in der Weltgeschichte herumzureisen?

Eines Tages, als ich in der Stadt unterwegs war, setzte ich mich in die große Kirche bei uns in der Innenstadt. Das war damals für mich der Ort, wo ich mir am ehesten vorstellen konnte, von Gott Antwort zu erwarten. (Inzwischen weiß ich, dass er immer und überall zu mir reden kann, wenn ich mir die Zeit nehme, auf ihn zu hören.)

Diese Kirche mitten in der Stadt ist riesig, dämmrig, kalt, und total still. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich dort saß, der ganze Straßenlärm war einmal ausgeblendet, und wie ich Gott dann diese Frage stellte: „Soll ich hierbleiben oder nach Amerika gehen, Gott? Bitte hilf mir bei der Entscheidung! Bitte!!! Ich muss jetzt endlich wissen, wie es weitergehen soll! Ich weiß es einfach nicht – was willst Du denn???“

Ich blieb eine Zeit lang in der Kirche sitzen. Das tat irgendwie gut, die Stille und diese dämmrige Atmosphäre. Alle Gedanken und alle Argumente für oder gegen ein Auslandsjahr waren weg. Es schwebte nur diese Frage an Gott im Raum. Und dann war mir auf einmal klar: Ich bleibe hier. Ich gehe nicht nach Amerika.

Es kam keine weitere Erklärung von Gott, keine Stimme aus dem Nichts oder in mir drin. Nur diese Gewissheit war auf einmal da. Als ich die Frage nicht mehr mir selbst stellte und mir nicht mehr 1.000 Argumente und Gegenargumente durch den Kopf gehen ließ, sondern die Frage direkt an Gott richtete – und alles andere beiseiteließ –, wurde mir seine Antwort klar: Ich bleibe in Deutschland!

Nun hätte ich gleich wieder mit Argumentieren anfangen können, weil Amerika doch auch ganz nett wäre … Aber nein, diese Gewissheit war eindeutig: Ich bleibe hier und das ist gut so – auch wenn ich nicht so genau weiß, warum. Aber Gott wird schon wissen, warum er mich hierlässt. Mein Gedankenkarussell war zum Stillstand gekommen, ich spürte einen Frieden in mir und wusste: Das ist die richtige Entscheidung.

Es ist total krass, wie gut Gott für mich in dieser Zeit gesorgt hat.

Ich teilte den Entschluss daraufhin meinen Eltern, Lehrern und Freunden mit. Er löste Verwunderung aus, weil fast alle damit gerechnet hatten, dass ich ins Ausland gehen würde, und die ganze Zeit einfach nur zu aufgeregt gewesen war, eine Entscheidung zu treffen. Aber nein, ich war mir jetzt absolut sicher: Gott hatte mir gesagt, ich solle hierbleiben! Eine andere Erklärung hatte ich nicht für die Entscheidung.

Dann kam der Abschied von Sonja, es war der Beginn der 11. Klasse. Das hat echt wehgetan, denn wir waren doch die besten Freundinnen (und sind es heute noch!) – und beste Freundinnen verbringen viel Zeit miteinander und können stundenlang über alles Mögliche reden. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie das in der Klasse ohne sie werden würde. Nachts weinte ich manchmal vor Sehnsucht nach ihr, schließlich konnten wir nur sehr selten miteinander telefonieren, schreibfaul wie sie war, konnte ich nicht auf viele Briefe von ihr hoffen – und E-Mail, Skype, SMS, Facebook und Co. gab es damals noch nicht ...

Doch Gott wusste schon, warum ich hierbleiben sollte – es ist total krass, wie gut er für mich in dieser Zeit gesorgt hat. Er kennt mich am allerbesten! Mir sind in dem Jahr ohne Sonja immer mehr Dinge aufgefallen, warum es gut war, dass ich hiergeblieben bin:

Das Klassensystem wurde in der 11. vom Kurssystem abgelöst, ich war also auf einmal mit vielen neuen Leuten zusammen und nicht mehr in meinem alten Klassenverbund, wo meine Freundin und ich eher eine Außenseiterrolle hatten.

Dann hatte ein gemeinsamer Freund von uns echte Probleme, die ihn an den Rand des Selbstmords trieben – und ich merkte, wie wichtig es war, dass er jemanden zum Reden hatte. Gott hatte mir die Tür ins Ausland verschlossen, aber mir hier in Deutschland gleichzeitig eine wichtige Aufgabe gegeben: für diesen Freund da zu sein.

Und noch etwas passierte: Gott hatte in dieser Zeit eine Tür vom Ausland nach Deutschland geöffnet: An unsere Schule, in unseren 11. Jahrgang, kam nämlich eine Austauschschülerin aus Amerika – Yvette! Sie sowie ihre Gastschwester wurden in der Zeit, in der Sonja in Amerika war, zwei sehr gute Freundinnen von mir, mit denen ich viel Zeit verbrachte, redete und vor allem viel gesungen habe.

Gott hat mir damals in der dämmrigen Kirche konkret auf meine Frage geantwortet – gleichzeitig aber auch alles andere im Blick gehabt: ich musste in der Klasse nicht darunter leiden, dass ich nun allein ohne meine Freundin war, er hat mir eine wichtige Aufgabe gegeben – einem Freund zu helfen – und das Beste von allem: Er hat mir eine neue wunderbare Freundschaft mit einer Amerikanerin geschenkt, während meine beste Freundin selbst in Amerika war.

Sonja hatte in Amerika keine leichte Zeit, sie musste sogar die Gastfamilie wechseln. Die Telefonate und der Briefwechsel mit ihr waren kurz, aber so intensiv, dass ich das Gefühl hatte, vieles mit ihr mitzuerleben. Das hat unsere Freundschaft auf eine wunderbare Weise noch mehr vertieft. Und als sie dann am Ende der 11. Klasse wieder nach Deutschland zurückkehrte, merkten wir, dass der Auslandsaufenthalt unserer Freundschaft nicht geschadet hat. Nach dem Abitur habe ich mich dann endlich doch in die weite Welt aufgemacht und Sonjas amerikanische Freunde besucht – das hat mir dieses für sie schwierige Jahr näher gebracht und mich noch mal mit Dankbarkeit erfüllt, dass ich hier in Deutschland einen wichtigen Platz hatte.

Wenn ich zurückdenke, kann ich mir gut vorstellen, dass Gott liebevoll lächelnd schon alles vorbereitet hatte, als ich damals in der kalten, dämmrigen Kirche saß, den Kopf voller Fragen und wirrer Gedanken, und auf eine Antwort von ihm wartete. Dieses Bild eines liebevoll lächelnden Vaters, der alles in der Hand hat, der alles ordnen kann, der auf alle Fragen Antworten geben kann, hilft mir auch heute bei schwierigen Entscheidungen.

Maren Weniger, Diplompädagogin, erlebt auch heute noch Auswirkungen ihres Entschlusses, erst nach der Schule ins Ausland zu gehen. Manchmal muss man eine lange Zeit auf Antwort warten. Aber das ist eine andere Geschichte.