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Kerstin Grätzer

Seefrau unter roter Socke

Wellen, Wind und Wogen - ich mittendrin und oben drauf

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© 2016 Kerstin Grätzer

Umschlag, Illustration: Aileen Grätzer Lektorat,
Korrektorat: Aileen Grätzer

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-7345-4678-5
Hardcover: 978-3-7345-4679-2
e-Book: 978-3-7345-4680-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

„Seefrau unter roter Socke, Wellen, Wind und Wogen, ich mitten drin und oben drauf”

Zu meiner Person

Geboren 1963 in Thüringen, wuchs ich bis zu meinem sechsten Lebensjahr zusammen mit meiner Cousine bei Tante und Oma auf.

Meine Eltern fuhren zur See als Personal des Fischkombinats Rostock.

1970 zogen wir nach Rostock um, meine Eltern hatten endlich eine Neubauwohnung bekommen. Meine Mutter beendete ihre Seefahrt, blieb an Land und begann beim VEB Schiffselektronik zu arbeiten. Mein Vater fuhr weiterhin zur See.

Ich hatte schon immer große Lust das Gleiche zu tun, aber mein Vater war der Meinung, ich sollte erst mal einen Beruf lernen, irgendein Handwerk, denn das hat ja bekanntlich goldenen Boden, warum also nicht auch für mich? Na, und als ich die zehnte Klasse mit einem ziemlich guten Zeugnis abgeschlossen hatte, bewarb ich mich als Herrenmaßschneiderin in einem kleinen Modeatelier in Rostock. Ich wurde angenommen und lernte Leute zu bekleiden. Das machte auch Spaß, vor allem mich selbst einzukleiden. Ich trug nicht mehr HO und das war gut so. Trotz allem ging ich darin nicht sonderlich auf und bewarb mich nach meiner Ausbildung im Volkstheater Rostock, um noch mehr von der Schneiderei zu erlernen. Sie nahmen mich und ich lernte mehr. Mein Ziel war eine eigene Werkstatt, um mich so recht zu produzieren und Einzelmodelle zu schneidern, um richtig Geld zu verdienen und um meinen Boden zu vergolden. Dafür benötigte ich einen Meisterbrief, um den ich mich bewarb. Schade war nur, dass meine Vorgesetzte ziemlich rot angehaucht war und die Meinung vertrat, nur wer in der Partei seiner Frau stand, hätte ein Anrecht auf dieses Privileg. Der Meinung war ich nicht und geriet mit ihr aufs Heftigste aneinander. Das wollte ich alles nicht.

Da kam der Zufall mir zu Hilfe. Die Deutfracht Seereederei Rostock hatte eine Stellenausschreibung in der Zeitung und ich bewarb mich ohne zu zögern. Endlich eine Chance rauszukommen. Natürlich waren meine Kolleginnen aufgebracht, als sie davon erfuhren. Erst recht meine rote Kostümdirektorin. „Da lockt das große Geld” und lauter solcher Dümmlichkeiten von den Dämlichkeiten wurden mir vorgeworfen, ach und außerdem hätte ich plötzlich doch noch ohne rotes Buch zum Zuschneidelehrgang als Vorbereitung für den Meisterbrief nach Berlin fahren können. Wer hätte das gedacht?

Mein Ziel sah jetzt aber anders aus.

Nach einem dreiviertel Jahr Bespitzelung, (die Staatssicherheit überprüfte jeden Bewerber auf eine reine Weste) erfuhr ich endlich, das mein Traum wahr wird. Ich war ohne „Westverwandtschaft” nicht fluchtgefährdet und mit meinem Vater konnte ich auch nicht zusammen abhauen, denn der fuhr auf seinem Schiff in eine ganz andere Richtung. Also es sprach nichts mehr dagegen. Ich durfte endlich raus.

Während einer dieser Reisen begann ich Aufzeichnungen über meine Erlebnisse zu machen. Tatsächlich wurde dieser Erlebnisbericht erst Jahre später von mir beendet, als ich schon nichts mehr mit der Seefahrt zu tun hatte. Aber da diese für mich schöne Zeit wie ein Programm in meinem Kopf gespeichert ist, fiel es mir nicht schwer all meine Erinnerungen aufzuschreiben. So wie beschrieben ist meine Seefahrt verlaufen. Ich habe nichts dazu gedichtet.

Es sind keine Geschichten, die ein Passagier auf einem Kreuzfahrtschiff erleben würde, sondern Episoden aus der Seefahrt. Ich gehe bewusst nicht auf Schiffsladungen und die ganze Besatzung ein, denn ich war bestrebt über meine Eindrücke und Erfahrungen zu schreiben. Ich denke jeder Lesestoff spricht eine bestimmte Zielgruppe an. Ich würde mir kein Buch über das Gärtnern kaufen, wenn ich lieber koche. So einfach ist das.

Auch wirken sicherlich einige Passagen etwas makaber, so zum Beispiel die Äquatortaufe. Sie war keine lustige Angelegenheit sondern ein Ritual, was übrigens international vollzogen wurde und nicht nur DDR-intern.

Falls einige Bemerkungen oder Aussagen etwas frech ausfallen, ist es tatsächlich mein Empfinden in dieser Situation gewesen und ich kann es einfach nicht beschönigen. Es würde das Ereignis nicht hergeben, wie dargestellt.

Die hier beschriebenen Geschehnisse entspringen nicht meiner Phantasie, aus rechtlichen Gründen darf ich aber auch nicht behaupten sie sind tatsächlich passiert, deshalb nenne ich keine Namen und wenn, sind sie erfunden. Falls sich tatsächlich der Eine oder Andere wiedererkennen sollte, handelt es sich um eine Verwechselung.

Wer nun interessiert ist, lässt sich auf diese Lektüre ein, vielleicht trifft es eine Seefrau oder einen Seemann, die sehr wohl wissen worüber ich berichte und sich selbst an diese Zeit erinnern.

Also tauchen Sie ein in ein Stück Seefahrt, die so wohl nie wieder existieren wird und auch einen Abschnitt DDR-Geschichte widerspiegelt.

Kerstin Grätzer

Für meine liebe Familie, besonders für meine Tochter, die mir mit ehrlicher Kritik auf den richtigen Weg geholfen hat. Dankeschön mein liebes Kind.

Inhalt

1. Kapitel „Die Freiheit winkt”

2. Kapitel „Der Aufstieg, klar vorn und achtern”

3. Kapitel „Die Balz”

4. Kapitel „Göteborg und die „Schwarze Gang””

5. Kapitel „Ziel Murmansk, Steinbutt und Sturm”

6. Kapitel „Und immer noch Kurs Murmansk, Fischkauf und ein heulender Ing.”

7. Kapitel „Eier nach Qual, Vogel flieg, Zoll – Zoll ”

8. Kapitel: „Südamerika, Füße, Götter, Taufe – es geht zur Sache”

9. Kapitel „Die ernsten Dinge”

10. Kapitel „Weihnachten auf See”

11. Kapitel „Endlich Rio – Scheiß Rio”

12. Kapitel „Auf nach Hause, Leberknödel, Stasi gib acht!”

13. Kapitel „El-Ferrol, schon wieder Zoll, der Wein und die Füße”

14. Kapitel „Fußball und ´n bisschen viel Eiweiß”

15. Kapitel „Der Luxusliner”

16. Kapitel „Die Schere und der einfältige Zöllner”

17. Kapitel „Nobel ausstaffiert, die Fahrt ins Ungewisse”

18. Kapitel „A-Deck achtern, Vorsicht Badewanne”

19. Kapitel: „Gen Kuba, Bier und Skat und andere Begebenheiten”

20. Kapitel: „Don Dödel, Schneewittchen, Santiago de Cuba und `n Happen Bräune”

21. Kapitel: „Havanna und wann steige ich ab?”

22. Kapitel „Die Kieler Werft und der Weisheitszahn im Pornokino”

23. Kapitel „Das alte Reptil und der gute Einkauf”

24. Kapitel „Immer lockt das Neue und was heißt hier Ostsektor?”

25. Kapitel „Aktion Kühlschrank”

26. Kapitel „Abstecher auf MS „Möwitz” und der Hund in der Reisetasche”

27. Kapitel „Die Amis kommen, Mildred und Alexis”

28. Kapitel „Abschied”

29. Kapitel „Wieder ein Frachter, ein verbrannter Matrose und die heilige Kuh”

30. Kapitel „Große Elefanten, aus einem Kamel mach neun”

31. Kapitel “My Zeh is broken”

32. Kapitel „Vietnam, schwere See, glatte Pantry”

33. Kapitel „Fiese Krabbler”

34. Kapitel „Singapur – Hongkong”

35. Kapitel „Saigon, Else von der Tankstelle und der schielende Henker”

36. Kapitel „Die Gier, Transparenz im Rock und Pflanzenklau”

37. Kapitel „Gewürm und Gespinste”

38. Kapitel „Multis durch Nierenbinde, Reede Haiphong und Krebstausch”

39. Kapitel „Eier im Kittel und Turmkauf”

40. Kapitel „Piraten, rote Lippen und Spaghetti”

41. Kapitel „Die Oberstewardess, beste Kumpel wo gibt, ein Bootsmann verschwindet, der Pope so was von penetrant”

42. Kapitel „Shanghai Werft, auf der Fähre is was los“

43. Kapitel „Seltene Tiere im Zoo und klebrige Gläser”

44. Kapitel „Hamsterkauf im Chinesenstil”

45. Kapitel „Essen, Essen, Essen – wer geht mit dem Kaptän?”

46. Kapitel „Kühlschrankgrippe – voll erwischt”

47. Kapitel „Der Chiefmate muckt auf”

48.Kapitel „Was für ein Früchtchen?”

49. Kapitel „Das Botschaftshaus lockt und das Geheimnis fliegt auf”

50. Kapitel „Das letzte Geld für Rotterdam, meine Nieren drehen durch”

51. Kapitel „Vergiss Italien, ich werd jetzt Oberstewardess”

52. Kapitel „Eine Lektion für den Backmann”

53. Kapitel „Heiraten, Wohnung und vor allem Urlaub, aber nicht so!!!”

54. Kapitel „Rizinusöl und Abführtee. Ich lass mich nicht ärgern.”

55. Kapitel „Eine heiße Nacht in einem singenden Frosch”

56. Kapitel „Wirtschaftskrieg und eine verwegene Taxifahrt”

57. Kapitel „Alles hat ein Ende”

1. Kapitel „Die Freiheit winkt”

Die Freiheit winkt. Ist es denn zu fassen? Nach langem Bangen und Zweifeln ob es klappt, ob ich „rot“ genug bin und politisch tragbar diesen dämlichen „Honecker-Staat” im Ausland zu vertreten, endlich eine Zusage der „Deutfracht Seereederei Rostock”.

Ich war wie aus dem Häuschen. Die Wochen vorher sind vergangen in unsagbarer Spannung nach meiner Bewerbung auf die Annonce in der Ostsee-Zeitung als Wirtschaftshelfer bei der „Deutfracht Seereederei Rostock”.

Eine Zusage hatte ich nun, aber war ich auch seetauglich?

So wie für die Seetauglichkeit wurde ich noch nie auf körperliche Gebrechen und Krankheiten untersucht. Von den Zähnen bis zu den Innereien, ich wurde unter die Lupe genommen. Auch gynäkologisch hatte alles in Ordnung zu sein, hätte ja noch gefehlt wegen einer schwangeren Stewardess, oder einem schmerzenden Zahn irgendwo im Ausland Station machen zu müssen. Das kostet doch Valuta! Schlimmer noch einen Arzt aufzutreiben rund rum nur Wasser. Jedoch meine körperliche Verfassung stellte sich als die beste heraus, auch röntgentechnisch durchleuchtet keine Mängel, sowie keine innerlichen Fremdkörper.

Nachdem ich die Hürde der Seetauglichkeit hinter mich gebracht hatte, begann ein Einstellungslehrgang für ungefähr dreißig Bewerber mit allem Pipapo, Theorie und Praxis über Manöver und Rettungsmittel und natürlich auch haufenweise trockenes rotes Zeug, was wir in die Hirne zu speichern hatten. Es war anstrengend das alles im Zeitraffer von drei Wochen aufzusaugen und zu verstehen, aber nach diesen drei Wochen wussten wir eine ganze Menge mehr und der Tag der Entscheidung kam - der Tag der Seefahrtsbuchübergabe und der Flottenbereichseinteilung.

Das Seefahrtsbuch, lang ersehntes Dokument mit zehnjähriger Gültigkeit, was mir erlaubte hemmungslos über die Weltmeere zu fahren. Kostbar zu hüten, wie einen Schatz. Das war ein besonderes Gefühl es in den Händen zu halten.

Doch ein Makel war da. Ich starrte wie hypnotisiert auf meinen Arbeitsvertrag. „Flottenbereich FE 4” hieß damals Spezialschifffahrt. Ich wusste nur so viel, wie andere, Hauptanlaufziel Russland! Damit hatte ich nicht gerechnet.

Ich sah mich schon seit Monaten im Geiste irgendwo unter tropischer Sonne rumgondeln, sodass es mir dermaßen grotesk vorkam nun nach Russland zu fahren. Natürlich fuhren auch Schiffe aus diesem Flottenbereich nach Südamerika, Kuba, Spanien und ähnliches, aber keines davon hatte ich erwischt.

Einige strahlten. „FE I” auf ihrem Blatt Papier, Relation (Fahrtgebiet) Asien-Amerika. Klingt gut, ist gut. War von allen Bereichen der Begehrteste.

Ich war nicht nur sauer, sondern auch geknickt. Nach einem dreiviertel Jahr spannungsvoller Warterei (solange hat es gedauert, ehe ich stasitechnisch richtig überprüft war und eine Antwort bekam. Verhängnisvoll wären zum Beispiel Verwandte in der BRD, zu denen man hätte abhauen können), ist mir nie die Möglichkeit in den Kopf gekommen, dass man mich eventuell in die falsche Richtung schicken würde. Ich dachte meine Abenteuer beginnen endlich. Nicht im Entferntesten zog es mich zu meinen roten Brüdern und Schwestern deutsch-sowjetische Freundschaft hin oder her. Doch es war eine Tatsache, ich sollte nach Russland.

Die Schriftstücke wurden uns ausgehändigt und man erklärte uns wo wir uns am nächsten Tag zu melden hatten.

Die Dame, an die ich am darauf folgenden Tag geriet, ruhte förmlich in sich in ihrem handgestrickten Rundhalspullover und sah mir sofort an, dass etwas nicht stimmte. Aber ich sagte nichts, wartete nur, bis dann der Schiffsname „Taube” fiel und das Reiseziel „Murmansk” (Sowjetunion). Aus der Traum. Ich hatte es ja schon geahnt. Also doch Russland. Meine Augen wurden tränenfeucht.

„Na so was”, sagte mein Gegenüber völlig entspannt und dauergewellt, „für die erste Reise ist so etwas nicht schlecht. Nur drei Wochen Reisedauer und überhaupt, warst du schon mal in der SU?” Hä, was? Was sollte ich denn da? Natürlich nicht! Da wollte ich noch nie hin!

Das war keine Antwort, das war der blanke Bock, den ich ausstieß.

„Nein!”

„Na gut”, sagte die nette wollpulloverte Dame mit mütterlichem Blick, „hier hast du deinen Heuerschein. Lass den Kopf nicht hängen. Du hörst ja wohl morgen nicht gleich wieder auf zu fahren und von der großen weiten Welt wirst du auch noch genug zu sehen bekommen. Die Besatzung der „Taube” ist in Ordnung, die Oberstewardess, deine Vorgesetzte, ein nettes Mädel. Mit der kommst du klar. (Und woher willste das jetzt schon wissen?) Also los! Viel Glück! Bei Einlaufen wieder hier melden.” Sprich, ab zu den Russen, dawei, dawei, du bist dabei! Mit wackelnden Fingern und zitterndem Kinn nahm ich resigniert meinen ersten Heuerschein entgegen.

Ich ging und zwar zum Hafentor, nahm ein Taxi, versuchte klar zu denken, denn ich sollte in zwei Tagen aufsteigen. Den Taxifahrer hab ich vorsorglich gleich für diesen Tag engagiert. Der Mann hatte vollstes Verständnis für meine Lage und ich hielt ihn für geeignet mich zu meinem ersten Abenteuer zu chauffieren, denn irgendwie musste ich zum Überseehafen kommen. Mein Papa, der sonst immer für sein Kind da ist, hatte alles versucht um frei zu bekommen, da er auch als Seemann selbst im Einsatz war, aber es klappte nicht. Leider, wäre wirklich einfacher gewesen. Jedenfalls das Taxi mit Fahrer hatte ich sicher. Ist ja auch mal eine Abwechslung `ne kleine Meerjungfrau zu ihrer ersten Schiffsreise zu fahren.

Ich verfiel dem Stress. Schon immer etepetete, brauchte ich ja diverse Mengen an Kosmetik. Eine Unzahl an Reinigungsmilch, Gesichtswasser, Haarspray usw. was man nun mal mit 21 Jahren als Mädchen dringend zum Überleben braucht. Damit nicht genug. Als gelernte Schneiderin hatte ich ein Riesensortiment Klamotten. Zu jeder Gelegenheit das Passende. Mein Problem war nur, was für Gelegenheiten hatte ich auf einem Schiff? Und was zog man dort zu was an?

Egal, der größte Koffer musste her. Ich stürzte los und fand ihn. Er war fade, aus Pappe und spektakulär groß. Ziemlich hässlich, billig, einfach und geschmacklos. Seine Größe machte ihn zu meinem Favoriten. Zum Vergleich zu meiner Körpergröße 1.59 m ein Unikum. Zur Not hätte ich da selber reingepasst. Natürlich hab ich spontan dieses Ding geschnappt und nach Hause geschleppt ohne an die Folgen zu denken.

Und die Folgen folgten. Es überkam mich ein leises Unbehagen beim Packen meiner Pappe, was ich mir nicht erklären konnte und rigoros zur Seite schob. Der große Tag kam. Ich hatte mich morgens von meiner Mama verabschiedet, vollkommen aufgeregt, das erste Mal ohne meine Eltern, denn ich war ein Einzelkind. Verwöhnt, verhätschelt und was weiß denn ich, was man den Einzelkindern gehässig versucht alles anzuhängen. Einiges ist wahr, gebe ich ja zu, aber alles nicht.

Jedenfalls machte sich mein Herz langsam auf Richtung Hose, um da sinnlos rumzuhängen, denn die Zeiten sich zu Hause auszuheulen, wenn irgendwas nicht klappt, waren nun endgültig vorbei. Nun lauerte ich mit Herzklopfen auf mein Taxi. Es brauste pünktlich heran. Der Fahrer stieg eilfertig aus und wollte meinen Koffer, sowie meine Reisetasche „mal so eben in den Kofferraum wuppen“, wie er breit grinsend vom Stapel ließ. So wie das „Köfferchen” da stand, groß und hässlich, sah es richtig harmlos aus und man ahnte die Hinterhältigkeit nicht mal im Ansatz. Doch traten ihm fast die Augen aus den Höhlen, als er meinen Koffer ansackte. Ein kurzer Schnaufer und er beförderte ihn hinein.

Wir kannten uns ja schon und als er die „Wuppung“ hinter sich gebracht hatte, fragte er, ob die Reise über drei Jahre gehen sollte. Verständnislos hab ich gefragt, ob er das erste Mal den Koffer eines jungen Mädchens hebt und ich doch gerade 3 Wochen „Überlebenstraining“ hinter mir hätte und ich ganz genau wüsste, was ich tue!

Natürlich ging ich davon aus, dass alle so verrückt sind wie ich und bevor man etwas vergisst, packt man eben ein. Ich hatte schließlich schon immer „alles“ dabei - man weiß ja nie! Also dann, rein ins Taxi und ab die Post, bis zum Hafentor Rostock-Überseehafen. Ich war so aufgeregt, wie der Tag verlaufen würde. Als ich ausgestiegen war, sagte der Taxifahrer brav: „Es ist doch ein Jammer, dass wir nicht in den Hafen fahren dürfen. Wäre einfacher für dich, Mädel.

Früher ging das alles. Tja, aber nun... jedenfalls wünsche ich dir viel Glück”.

„Hm, Dankeschön.“

2. Kapitel „Der Aufstieg, klar vorn und achtern”

Ich packte meinen Koffer und meine Reisetasche und schleppte alles unter großer Anstrengung bis zum Zoll. Seefahrtsbuch ganz neu stolz gezeigt und durch.

Meine Hände zitterten schon. Der Koffer hatte es in sich und mein Unbehagen war auch wieder da. Gott sei Dank gab sich das Wetter heute von seiner besten Seite, was mir in diesem „tragenden” Zustand bald ein bisschen viel war. Bis zum Duty-Free-Shop, dem sogenannten Seemannsbasar, etwa 50 m, hab ich mich noch gequält. Dann war es aus. Hochrot im Gesicht und beinahe laut fluchend über Gott und die Welt und vor allem über mich, mit meinem Wahn alles, aber auch alles einzupacken für meine „Weltreise”, stand ich keuchend da. Mit beinahe raushängender Zunge, Fingern, die sich unansehnlich weinrot um den Koffergriff krallten und einfach nicht mehr gerade werden wollten. Gott, wie peinlich! Unmöglich würde ich mit diesem Gepäck meinen Weg alleine bewältigen. Wie konnte ich nur völlig vergessen, dass ich den Koffer selbst irgendwohin schleppen muss?

Planlos und völlig überfordert überlegte ich, wo ich eigentlich hin wollte. Liegeplatz 23, „Schweine-Pier”. So wurden die Liegeplätze bezeichnet, an denen Apatit und Eisenerz gelöscht wurden - natürlich nur im Seemannsmund. Dieses Zeug war gerne flugintensiv, wenn es windete und dort staubte es dermaßen, dass man aussah wie eine gammlige Ratte, wenn man sein Ziel erreicht hatte. Aber von derlei Dingen hatte ich natürlich keine Ahnung. Ich stand nur da und wusste nicht wohin. Drei junge Männer kamen beschwingt auf mich zu. Kein Wunder, ihre Hände waren leer, der Himmel blau, die Sonne schien, neidisch dachte ich: „Sowas muss ja gute Laune hervorrufen“.

Ich weiß nicht, was ich für einen Anblick geboten habe, wahrscheinlich irgendwie verwundet, jedenfalls sahen sie mich mächtig mitleidig an. Bis plötzlich einer der drei Männer mich ansprach. „Na wo will denn der Koffer mit dir hin?” „Na Klasse“, dachte ich, „was schon so anfängt, DAS ist wirklich ein ganz, ganz alter dämlicher Witz. Den wendet schon langer keiner mehr an, aber bitte!“

Mit unübersehbarer Heiterkeit über seinen schalen Gag stand er vor mir und lauerte fast spitzbübisch auf eine Antwort.

Ein OPFER! Es stand harmlos vor mir, machte flache Witze und fühlte sich „noch“ überlegen. Von Gott gesandt? Mein Hirn war fix am Rattern, wie ich es anstelle, dass er mir den Krempel aufs Schiff transportiert. Da sagte er sooo hilfsbereit: „Na komm schon, sag wo du hinwillst. Ich trag dir das Zeug. Bist doch sicher Neueinstellung?”

- was vermutlich auf meiner Nase scharf eingemeißelt stand.

Ich hauchte ein scheinheiliges „Danke das ist nett, Liegeplatz 23”.

„Ach du liebes Bisschen. Na ja, das schaffen wir schon. Los geht`s”.

„Jaha, das hast du dir bestimmt einfacher vorgestellt“, dachte ich etwas gehässig, jedoch überglücklich, dass nun endlich meine Hände leer waren, noch immer der Himmel blau war, die Sonne schien. Da kommt doch wirklich gute Laune auf. Nun wusste auch ich wie das ist. Herrlich!

Tapfer schleppte er nun meine Klamotten und hat wahrscheinlich schnell gemerkt auf was er sich da eingelassen hatte. Erleichtert trabte ich fröhlich hinterher. Mit Mühe schaffte ich es mir das Lachen zu verkneifen, da der Herkules langsam anfing zu japsen und schwächlich die Schultern hängen ließ. Kein Wort kam über seine verkniffenen Lippen. Auch nicht über meine. Jetzt womöglich was Verkehrtes sagen und ihn gegen mich und meinen Koffer aufbringen wäre dann doch voreilig. Noch konnte ich „mein Schiff“ nicht erspähen. So lief ich brav nebenher, zumal ich spürte, wie das Blut sich langsam und wonnig wieder in meinen Fingern verteilte. Aber er hielt durch und wir kamen wohin wir wollten. Die Gangway hoch war sein letzter Akt. Als wir oben ankamen fragte ich höflich, wie ich das wieder gutmachen könnte?

„Das kannst du nicht wieder gutmachen, in zehn Jahren nicht”, zischte er unter den Schweißtropfen hervor, die auf seiner Oberlippe perlten.

Und ging. So, der war sauer. Na, na, na! Hatte ich ihn gezwungen? Nein, aber egal, ich war ja nun da, wo ich hin wollte und wie durch ein Wunder auch mein Gepäck.

Der Gangwaymatrose fragte grinsend, ob das mein Freund wäre. „Nee, das war nur der Kofferträger! Ich bin Wirtschaftshelfer und soll mich bei der Oberstewardess melden. Bitte bring mich hin!”

Die freute sich nicht gerade über eine Neueinstellung. Denn bei „Spezial” fuhr man in der Wirtschaft nur mit Oberstewardess und Stewardess, Koch und Bäcker.

In anderen Flottenbereichen hatte die Oberstewardess drei Stewardessen unter ihren Fittichen. Da war die Arbeit besser zu verteilen und weniger Stress.

So, nun hatte sie mich, schön geschminkt und nagelneu!

Wo sowieso schon viel Arbeit zu zweit war, musste sie mir nun erst einmal alles beibringen. Aber irgendwie mochte sie gleich meine Art und ich ihre und uns war klar, wir werden ein Team, egal wie. Hatte der selbstgestrickte Wollpullover mit Rundhals in der Arbeitskräftelenkung doch noch dauergewellt recht behalten!

Der Matrose an der Gangway war so nett, auf dem Weg zu ihr meinen hinterhältigen Koffer zu übernehmen. Als wir in ihrer Kammer ankamen, fragte er, ob ich die Steine für mein Haus im Koffer hätte, was ich wohl während der Reise bauen wollte.

Absolut nicht komisch für mich. Na jedenfalls war er der Letzte, der ihn getragen hat. Vorläufig würde ich vor diesen Kofferwitzen meine Ruhe haben. Auspacken und aus. Nun erfuhr ich, dass wir erst in drei Tagen auslaufen sollten. Also würde ich am Abend nach Hause fahren können.

Der kurze Blick, den ich auf das Schiff werfen konnte, als ich die Pier entlang lief, eingehüllt in Eisenerzstaub von interessant rötlicher Farbe, ließ mich nicht viel erkennen. Es lag verstaubt an der Pier und vermutlich sah ich auch so aus. Im Inneren dann bemerkte ich die wahren Werte. Ein ziemlich altes Mädel, denn das Mobiliar sah schon etwas verwohnt und verjährt aus. Meine Vorgesetzte machte mit mir einen Rundgang, um mir jeden Winkel des Schiffes zu zeigen, schließlich war das hier ab jetzt mein Arbeitsplatz.

Mein erster aufregender Arbeitstag begann. Die Oberstewardess brachte mir bei wie man die Mannschaftsmesse eindeckt, wie man Kammern saubermacht, Gänge fegt, wischt und bohnert, Wäsche bündelt und noch einiges mehr.

Ich war fix und fertig, um nicht zu sagen, ich hatte die Schnauze voll von dem ersten Tag, denn es war kein Zuckerlecken und alles neu und viel zu viel für den Anfang. Das artete in schwere körperliche Arbeit aus und mit dem Gedanken, den Wischeimer vollgefüllt mit Wasser in Zukunft die Niedergänge hoch und runter zu balancieren, während das Schiff womöglich schaukelt, konnte ich mich überhaupt nicht anfreunden. Von meinen restlichen Bedenken, die mir kamen, versuchte ich mich so gut wie möglich abzulenken. Nein, ich wollte meinen Schritt zur See zu fahren mit Gewalt nicht bereuen. Die große weite Welt wartete auf mich, war mir schnurz, ob das erst mal mit Wischeimer und Feudel begann. Nach Feierabend hatte ich keine Lust mehr meine Kammer aufzuklaren, sondern ich wollte nach Hause. Schnell geduscht und ab zu Mama.

Als ich im Bus saß, der nach Rostock Innenstadt fuhr, spürte ich ein Brennen im Gesicht. Als meine Hände die Sache untersuchten, dachte ich, nun kommt sie, die zweite Pubertät. Das Gefühl verpickelt zu sein war echt. Ich war verpickelt. Keine Ahnung, woher dieser plötzliche Ausbruch kam. Auf alle Fälle hatte ich mich so noch nie gesehen.

Das war ein Tiefschlag. „Bekämpfen” dachte ich, „das muss man ganz schnell bekämpfen. Bloß mit dieser Maßnahme musste ich nun bis zum nächsten Morgen warten, denn natürlich hatte ich auch mein Für-alle-Fälle-Antipickelprogramm eingepackt und das lagerte zur Zeit schon auf der „Taube”. Mit so was rechnet ja auch keiner. Das „Schiffswasser“ war´s, als ich an das Wasser gewöhnt war, hatte ich auch meine Pickel verloren.

Die letzte Nacht zu Hause, drei Tage waren um. Als ich aufwachte wusste ich, heute ist der ganz große Tag, es geht los. Endlich war es soweit.

Eine eigenartige Stimmung machte sich auf dem ganzen Schiff breit, heute war Auslauftag. Der Zoll hatte jeden Einzelnen in seiner Kammer aufgesucht zwecks Kontroletti, wo jeder allein mit seinem Seefahrtsbuch saß, und war nun von Bord. Das Schiff war freigegeben und auslaufbereit.

„Deckbesatzung klar vorn und achtern, die Stationen besetzen!” klang schön zackig durch die Lautsprecher und ich bekam Gänsehaut, aber wie!

Das war ein ganz besonderer Augenblick. Eine ungewohnte spannende Atmosphäre umgab die ganze Situation. Ich war dermaßen hibbelig und konnte mich nicht erinnern jemals so etwas Ungewisses und Wagemutiges getan zu haben.

Mir wurde komisch. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich wusste diese Reise sollte nur drei Wochen dauern, aber wer weiß wie lang drei Wochen werden können, wenn es einem nicht gefällt. Meine Neugier siegte und ich ging an Deck um zuzusehen, wie wir die Leinen los schmissen und Rostock langsam verließen. Fasziniert sah ich, wie das Schiff durchs Wasser pflügte, hörte das erste Mal dieses Geräusch, was so ein großes Schiff hervorruft, wenn es durchs Wasser gleitet und sah auf die großen Wellen links und rechts vom Schiff. Meine Gänsehaut wollte einfach nicht enden. Vor lauter Glück hatte ich Tränen in den Augen. Mein Gott, war das ergreifend! Wir fuhren an der Warnemünder Mole vorbei und da es Sommer war, gingen viele Urlauber dort spazieren. Einige sahen durch ihre Ferngläser und winkten. Ich winkte all den fremden Menschen fröhlich zurück und stolz kamen mir die Gedanken, wie gerne wohl diese Menschen mit mir tauschen würden, um auf solch einem großen Schiff in die Welt hinauszufahren. Ganz weit wech, aus der Deutschen Demokratischen Republik! Hihi. Sensationell. Egal, ob jetzt erst mal nach Russland. Hauptsache ich fuhr endlich zur See. Die ganz große weite Welt angucken!

Plötzlich war ich allein unter lauter fremden Menschen. Irgendwie war mir wirklich ziemlich flau zu Mute. Da es Abendbrotzeit war, konnte ich nicht mehr lange darüber nachdenken, denn ich musste die Mannschaftsmesse eindecken. Und das nahm meine Aufmerksamkeit voll in Anspruch. Ich hatte immerhin vier Backs einzudecken und die Monkey-Messe. Diese Messe (auf Deutsch: „Affenmesse“) war der Raum, in welchem die Besatzung mit Arbeitssachen essen konnte. Da die „Taube” ein Wachschiff war, auf dem rund um die Uhr die Maschine besetzt sein musste, wurde dort ebenfalls zu jeder Mahlzeit eingedeckt. Demzufolge musste ich zwei Messen bedienen und zwischen diesen immer hin und herlaufen. Es dauerte eine Weile, bis ich das in den Griff bekam. Es hatte ja nun auch jeder das Bedürfnis die neue Stewardess kennenzulernen und auszuhorchen. Deshalb vergaß ich oft bei dem ganzen Gequatsche mal in die andere Messe zu sehen, ob da vielleicht schon jemand saß. Doch das hatte ich schnell begriffen und da ich schon immer ziemlich flink in meinen Bewegungen war, händelte ich bald beide Messen ohne Probleme. Später bei Seegang hat es mir allerdings unheimlich viele blaue Flecken eingetragen. Denn beide Hände bestückt mit großen Mittagstellern, und das bei Seegang, da blieb nur noch der Beckenknochen als Prellbock für Ecken und Kanten um abzubremsen, damit die Teller nicht schneller flogen als ich. Hätte ich mich daran gehalten was jeder Seemann sagt: „Eine Hand fürs Schiff und eine Hand für mich”, hätte ich weniger blaue Flecken gehabt, aber auch länger gebraucht, um die Jungs mit Essen zu versorgen. Wer lässt sich schon gern als lahm abstempeln?

Außer der Oberstewardess und mir gehörten noch der Koch und der Bäcker zum Wirtschaftspersonal. So dick wie der Koch war, so gemütlich war er auch. In seinem Umgangston zwar ein ziemliches Raubein, aber auf alle Fälle gutmütig. Von der Kombüse aus war eine kleine Durchreiche zur Mannschaftsmesse. Dort lugte er immer durch, um zu sehen wie sein Essen schmeckte. Die Besatzungen unserer Schiffe wurden ziemlich verwöhnt, denn es gab dreimal am Tag warmes Essen, also auch abends, wie an diesem Tag - lecker Spinat und Spiegeleier. Der Koch schilpte wieder durch seine Klappe und beobachtete die Jungs („seine alten Frauen”), wie sie genüsslich oder weniger genüsslich vor sich hin schmatzten. Da ein Speiseplan vor jeder Messe hing, konnte sich jeder informieren, was er vorgesetzt bekommen würde und reedereiüblich war die Frage der Stewardessen nach dem Hauptgericht: „Einmal neu?”.

Über den Speiseplan informierten sie sich alle, also wusste auch der von mir angesprochene Matrose Bescheid, als ich fragte: „Einmal neu?”

Der Matrose jedenfalls hasste Spinat, „So`n Fraß? Nee, ich nicht!". Im selben Moment sauste ein grüner Flatschen durch die Luft und klatschte ihm schmatzend mitten ins Gesicht. Watsch, und der Koch rief grinsend aus tiefster Inbrunst: „Dann friss doch Arschlöcher”. Nicht zu fassen, wie der dort saß und zwinkerte, von oben bis unten grün. Vor lauter Schreck konnte er gar nicht reagieren. Alles grölte. Irgendwer schrie: „Da fehlt ja nur noch das Ei auf dem Kopf.” Das war ausschlaggebend. Der Bengel stürzte mehr rutschend aus der Messe, verlor dabei klumpenweise den Spinat und nun hatte ich die Arbeit. Na das war nun auch egal. Der Spaß war es wert. So war eben unser Dicker, fit und flink mit der Kelle gegen seine Kostverächter. Er sprach auch alle Besatzungsmitglieder statt mit Herr Soundso, einfach mit „die alte Frau Schmidt” usw. an. Es waren alle alte Frauen und er war die sogenannte Frau Fuchs, genauer „Gloria Fuchs”. Da er gern Kasselerfleisch kochte und aß und das von ihm als Fuchsfleisch (weil rot) benannt wurde, nannte er sich eben selbst Frau Fuchs.

Langeweile hatte er nie, immer am rühren und brutzeln, egal welche Tageszeit. Da die Besatzung des Schiffes schon lange miteinander fuhr, kannten sie sich alle gut und machte das „Köchlein” Programm, waren alle dabei. Eines abends, zwei drei Tage nach Auslaufen, lief ich ganz allein achtern an Deck herum und wusste nichts Rechtes mit mir anzufangen. Da sah ich das Kombüsenschott offen stehen. Gloria wirtschaftete angetan mit Schweißtuch um die Stirn emsig in der Kombüse herum. „Was schleichst du da rum? Komm rein und hilf mit!”

Ich war vielleicht froh. Ich wollte gerade vor lauter Heimweh in mich gehen und mich bemitleiden. Gott sei Dank wurde nun nichts draus. „Was wird denn das?” wollte ich wissen. „Guck mal ans schwarze Brett!” kam die Antwort. Ich ging um die Ecke zum schwarzen Brett. Dort wo die „Neuesten Nachrichten” aufgehängt wurden und las: „Heute Abend Fuchsfleisch und Schweineschnauze abschmecken in der Monkey!” Aha, also wird es heute doch nicht langweilig. Wir legten dampfende Schweinerüssel und Kasselerknochen auf große Platten und schleppten alles in die Monkey-Messe. Da standen schon ein Kasten Bier, einige Becher Senf, aufgeschnittenes Brot und ein Recorder. Und plötzlich waren alle da, die wachfrei hatten und das große Mampfen in der „Affenmesse” begann. Richtig schön, ohne Besteck, nur die Finger. Die Bierflaschen klebten auch schön fettig, kichernd passten wir auf, dass sie uns beim Trinken nicht aus den Fingern glipschten. „Popeye” (der Spinatgetaufte) war auch da und sah sich vor irgendwelche dümmlichen Sprüche über das Essen loszulassen. Lief er doch Gefahr, diesmal mit nem fettigen Schweinerüssel malträtiert zu werden.

Natürlich haben wir nicht immer in diesem großen Rahmen gefeiert. Zwischen der Kombüse und der Mannschaftsmesse befand sich noch ein schmaler Raum mit einer langen Back und im Boden verankerten Drehstühlen. Übrigens, in der Mannschaftsmesse und der Monkey-Messe waren auch die Stühle im Boden befestigt. So kippten sie beim Schaukeln nicht um.

Also dieser kleine schmale Raum zwischen Messe und Kombüse war die Wirtschaftsmesse, wurde aber von uns allen hochkarätig als „Dorfkrug” bezeichnet. Und in diesem feierte genauso hochkarätig nur die „Weiße Mafia”, das Wirtschaftspersonal und uns besonders sympathische Typen hatten Zutritt. Der Rest musste draußen bleiben, da der Dorfkrug hermetisch abgeschlossen wurde. Der absolute Renner der Mixkünste war Glorias „Schlüpferstürmer”. Wahrscheinlich hatte „die alte Frau Fuchs” Jahre dazu gebraucht um dieses Getränk genießbar zu machen. Aber auf alle Fälle war das Zeug tatsächlich ungeheuer schmackhaft und der größte Vorteil war, auch wenn man es in riesigen Mengen in sich kippte, hielt man lange zur Stange und am nächsten Morgen viel das Aufstehen nicht schwer.

Es war die Wahnsinnskomposition von Eiern, Gin, Milch, Zitrone und vielem mehr. Einfach Klasse.

Nun waren wir schon einige Tage unterwegs, saßen wieder mal im „Dorfkrug”, als es langsam zu schaukeln anfing. „Na endlich, nun wird‘s gemütlich”. Michael, der als Matrose fuhr, guckte mich forschend an. „Gloria, mix den Schlüpperstürmer! Mal sehen, wie lange unser Küken durchhält?”

Wie meint denn der das? Ich saß da wie ein angeschossenes Kaninchen und lauerte regelrecht auf mein grünes Gesicht. Nix.

„Mir ham doch alle mäschtisch een zu loofen!“ ,entfährt es Gloria. „Du sachstes! Da droff een Schlüpperstürmer! Jetzt, fix, her damit, eiskalt!“, jetzt wollte ich es wissen, verdammt nochmal!

Nicht mal Glorias Schlüpferstürmer schlug an. Eigenartig. Der Seegang nahm immer mehr zu. Wir mussten schon die Gläser festhalten und uns an die Tischkante krallen. Mir wurde nicht schlecht. Es passierte einfach nichts. Ich beschloss mich ins Bett zu legen und zu warten wie meine Innereien das mit der Schaukelei händelten. Außerdem wollte ich doch lieber allein sein, wenn mir das große Elend kam. Es sollte wirklich keiner zugucken, falls doch was aus mir rausschwappt. Lange hab ich nicht gewartet. Das rhythmische Schaukeln lullte mich mitsamt meinen entspannten Eingeweiden ein und ich schlief wie in einer Wiege. Selten hab ich so gut geschlafen, wie in dieser Nacht. Seekrank bin ich nie geworden und konnte auch nicht mitreden wie es ist. Im Gegenteil. Bei mir stieg stets der Appetit und ich musste laufend irgendwas essen. Die anderen, die es ständig erwischte, bekamen jedes Mal das neue Würgen, wenn sie sahen wie ich essen konnte und ihnen ging es schlecht. Das hat manchmal richtig Spaß gemacht. Ich bedankte mich im Geiste überschwänglich bei meinen braven Innereien für diesen großen Vorteil.

So verlief die Überfahrt ganz gut ohne Komplikationen außer, dass natürlich die große Balzerei schon ziemlich im Gange war.

3.Kapitel „Die Balz”

Da ich zu allen gleich freundlich war und keiner sich bevorzugt fühlte, hatte ich auch einige Zeit die Sympathie aller. Am Schlimmsten waren natürlich die Herren im gesetzten Alter. Diejenigen die auf alle Fälle mein Vater hätten sein können, aber auf der anderen Seite wahrscheinlich nicht so alt werden würden, wie sie aussahen. Mit solchen Dämlichkeiten wie: „Mir ist ein Knopf vom Hemd gerissen. Könnten Sie ihn mir vielleicht wieder annähen? Ein Mann ist ja doch nicht so bewandert in solchen Dingen!” Oder: „Wie wäre es denn mal mit einer Flasche Sekt heute Abend, ganz unverbindlich?” Aber den absoluten Vogel schoss doch der Herr „Kapitän” ab. Ein alterndes, leicht aufgedunsenes Exemplar, natürlich zu mir besonders freundlich. Könnte ja vielleicht klappen, wie bei den anderen bisher auch, wie ich später erfuhr. Er lud mich eines Tages listig zwinkernd ein. Ein alter Seebär wie er könnte mir doch allerhand erzählen, denn er hätte ja die jahrelange Erfahrung. So ein Gespräch könnte doch sehr erfrischend sein und überhaupt unterhielte er sich sehr gerne mit weiblichen Besatzungsmitgliedern. Die Männer hätte man ja sowieso schon den ganzen Tag um sich rum.

Ach so!

Ich erzählte es dem Koch und der Oberstewardess, weil ich dachte, diese beiden hätten hier die Pflicht, mal auf mich aufzupassen. Und beide waren der Meinung es gäbe keinen Grund nicht hinzugehen. Außerdem wäre es nicht nett ausgerechnet den Kapitän vor den Kopf zu stoßen. Ja, wohin denn sonst?

Nun ja, also ich sagte, ich würde mal reinschauen. Tja, es war Feierabend und als ich endlich mit duschen und anziehen fertig war, ging ich zu der bewussten Einladung. Irgendwie war mir komisch in meiner Haut. Ja, es gruselte mich regelrecht. Die Zeit hatte ihn unschön verformt und wenn er nicht so derart selbstsicher auftreten würde, hätte ich angenommen, er leidet äußerst stark unter diesen Umstand. Ich wusste nicht so richtig was ich bei diesem alten „Onkel Kapitän“ mit dem lüsternen Blick sollte. Aber selbstverständlich wurde mir das schnell klar.

„Was darf ich denn zu trinken anbieten?“

Der guckte mir gar nicht in die Augen, sondern etliche Etagen tiefer!

Ich trank wenig, wenn überhaupt, dann höchstens ein, zwei Gläser. Aber die Situation erschien mir irgendwie zu schwitzig, um überhaupt etwas zu trinken.

„Nein danke, keinen Alkohol, ich trinke höchstens eine Cola.”

„Na, wir sind doch schon erwachsen, da kann man doch ruhig ein Gläschen trinken!” Wir? Erwachsen? Na, na, na!!! Meine Sensoren bimmelten schon mal Alarmstufe rot.

Es war gar nicht so einfach unseren Kapitän, Chef über alles, davon abzubringen.

„Nein danke, ich möchte tatsächlich nur ein Glas Cola.” Ich kam mir so verlassen und verschreckt vor und ahnte überhaupt nichts Gutes. Rehlein, dachte ich, sei auf der Hut! Und er kam auch gleich lüstern zwinkernd zur Sache.

„Ja also wenn ich sie so sehe Mädchen, in den engen T-Shirts, dann läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich bin dein Freund und wenn du irgendwelche Probleme hast, du kannst immer kommen und wenn es nachts halb zwei ist. Du weißt ja wo mein Schlafraum ist. Manchmal träume ich schon nachts von dir. Ich bin ein sehr guter Liebhaber und unter vier Stunden ist bei mir so eine Sache nicht beendet. Was kann dir schon so ein junger Schniepel bieten? Die haben noch gar keine Erfahrung und sind noch nicht trocken hinter den Ohren“. In einem Satz vom „Sie” zum „Du”. Ich konnte förmlich hören, wie ihm das Wasser im Mund zusammenschlapperte und kreischte innerlich auf. Jetzt wurde mir schlecht. Ich hatte es ja geahnt. Der führte sich auf, wie ein Auerhahn auf der Balzjagd. Das bei seinem Outfit!!! Labberiges T-Shirt, ausgebeulte Hose, DOPPELKINN!!! Was nahm der sich denn raus? Wie komme ich hier bloß wieder weg? Dickliche Finger zuckten wie Sago Maden schon unappetitlich in meine Richtung. Ich hatte mit einem Mal solch große Angst, ich hätte am liebsten laut losgeheult. Mir kam der Gedanke an so Tierchen, die sich totstellen bei Gefahr. Die Idee, ich stell mich tot, mit einundzwanzig, wie schrecklich! Aber was dann? Meine Gedanken wirbelten. Mir fiel sofort der Ernstfall ein: Erste Hilfe, womöglich Mund-zu-Mund-Beatmung! Wenn ich auch nicht seekrank wurde, aber dann….??? Bloß nicht auch noch DAS!!! Warum hilft denn jetzt hier keiner?

Gerade als ich vorsichtig erwähnen wollte, dass ich unser Zusammentreffen unter diesem Aspekt nicht gesehen hätte, verlor ich vor lauter jämmerlicher Angst den Faden, den ich gerade gefunden hatte. Also hörte ich nur verschüchtert zu und hoffte, mich heil aus der Situation schleichen zu können. Wie, war noch völlig unklar.

„Ich werde jetzt gehen, es ist schon spät und ich muss morgen wieder früh aufstehen. Ich hoffe, sie verstehen das?”, hoffte ich wirklich.

„Aber eine rauchen wir noch!”, bestimmte mein Kapitän.

Igitt!

Das kann doch nicht wahr sein. Süßlich grinsend ließ er nicht locker. Es schien, er hatte noch ganz was Besonderes mit mir vor.

„Also, mir brummt schon der Kopf und ich hab heute schon genug geraucht. Ich würde doch ganz gerne gehen.”

„Eine Zigarette noch, so spät ist es ja nun auch wieder nicht!”, bettelte er.

„SOETWAS“ war auch noch verheiratet! Mit so lieben Frauen, die ich manchmal kennenlernte. Da fehlen einem einfach die Worte.

Obwohl mein Mitleid auch ganz schnell verschwinden konnte, wenn sich einige, zwar wenige, aber die gab es eben auch, dieser Frauen auf dem Schiff präsentierten wie stolze Vögel und uns Stewardessen herablassend behandelten. Die verkannten völlig die Lage. Wir alle auf so einem Schiff, ob Männlein oder Weiblein, kamen raus und sahen uns die Welt an, was unser aller Sinn und Trachten war. Sie saßen nur schön eingemauert in Ostdeutschland und warteten auf ihre lieben Männer mitsamt ihren Reiseberichten. Wer war denn nun besser dran? Die „arme” kleine Stewardess oder „die Frau Kapitän”? Teilweise waren sie auch noch so unansehnlich. Wahrscheinlich ein Garant für ihre Göttergatten, dass sie noch da saßen, wenn sie nach der Reise nach Hause kamen. Da hörte sogar mein Mitleid auf. Die sogenannte Frau „Kapitän” spreizt sich, lässt sich das Geschirr von den Stewardessen abspülen, obwohl sie vor Langeweile den ganzen Tag auf dem Schiff nicht weiß was sie machen soll. Wenn die wüsste!

Jedenfalls musste er sich endlich mal erheben.

Die Gelegenheit war günstig. Ich rannte aus der Kammer und mir liefen die Tränen vor Angst. Mein Herz hämmerte in den Ohren. Schnurstracks bin ich zur Oberstewardess in die Kammer gerast und hab heulend erzählt was sich abgespielt hat. Sie hatte auch gleich die vernünftigste Idee und sagte: „Wir machen dir die leere Kammer zurecht und du ziehst um, denn zu deiner Kammer hat er einen Schlüssel und es ist besser, wenn du dort ausziehst. Da in der Ecke hört niemand wenn was ist”. Was is los??? Unglaublich mit was man alles rechnen musste, wo der doch schon von mit träumte! Im Leben wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, dass so ein alter Mann ernsthaft glaubt, ein junges Mädchen würde sich mit ihm einlassen. Gesagt getan, ich zog um und hatte tatsächlich meine Ruhe.

Einige der Männer konnten nach einer bestimmten Reisedauer auch ziemlich fies werden. Der sogenannte treuliebende Vater. Einfach lächerlich. Es gab hier, wie überall auch, schwarze Schafe. Langeweile und dieser tierische Trieb, wenn Fräulein „Faust” auch nicht weiter hilft, machten manchem doch schwer zu schaffen. Später bin ich auf verschiedenen Schiffen nach Brasilien gefahren. Wir hatten meistens drei bis fünf Häfen. Dann stürzten sie los. Natürlich nicht alle, der größte Teil war wirklich treu, aber es kristallisierte sich meist ein harter Kern heraus, der los musste zum „energiegeladenen Einkaufsbummel“.

Hach ja und bei Einlaufen dann der schön in Folie verpackte rote Kasten „Mon Cheri” und so frei von der Leber wech ne Predigt: „Vor Sehnsucht kaum ausgehalten...? In Gedanken immer bei dir...?”, schmachtender Blick in Richtung Gattin. Welch eine Impertinenz?

Ach du lieber Gott, da muss doch was zu machen sein in kleiner Form von „Bußgeld“ oder „Auswärtsbummelsteuer“ ?“

Ansonsten verlief die Überfahrt weiterhin ohne große Komplikationen. Wir kamen unserem Ziel immer näher. Auch mit der Mannschaft war ich vertraut und ich kam mir nun auch nicht mehr fremd und einsam vor. Dank Gloria war auch die Arbeitszeit recht lustig. Mit ihm gab es immer was zu lachen. Das ging gar nicht anders. Tatsächlich tönte dann endlich der Lautsprecher: „Klar vorn und achtern, Stationen besetzen!”

Einlaufen Murmansk. In mir brodelte alles vor Aufregung. Wir hatten uns auch über den Landgang unterhalten. Die Oberstewardess kannte Murmansk von innen und außen und hat mir die Freiheit gelassen immer an Land zu gehen, wenn ich nicht arbeiten musste. Oder wenn wir wussten, es waren viele an Land und sie würde das Abendbrot alleine schaffen, dann durfte ich schon am Nachmittag gehen und konnte bis zum Landgangsende wegbleiben. Natürlich nicht ohne die verlorengegangenen Stunden nachzuarbeiten. Und der Chiefmate (1. Nautischer Offizier) musste auch informiert werden. Denn er war außer für die Ladung und die Decksgang auch für die Wirtschaft zuständig. Nebenbei bemerkt, redete er die Besatzungsmitglieder mit Genosse und mit Genossin an. Da legte er großen Wert drauf. Diese Angewohnheit teilten einige der Offiziere mit ihm.

Dafür gab es in meinem Fall keinen Anlass, denn ich war noch immer nicht in der Partei. Es machte ihn jedes Mal komplett fusselig, wenn er mir begegnete und ich ihn mit: „Guten Morgen, Herr Blindkowski“, begrüßte.

„Genosse Blindkowski oder Chiefmate!“, schnarrte er dann entrüstet zurück.

„Wie Sie meinen, Herr Blindkowski!“. Schnarrr, und rauschte ab.