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Die großen Western
– 169 –

Black Jack Charly

Joe Juhnke

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-071-6

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Ich war mit dem Buckboard auf dem Weg zur alten Sägemühle, um die letzten Hölzer abzuholen, die noch für die Aufbauten des Ranchgebäudes und des Bunkhauses benötigt wurden. Bei dieser Gelegenheit wollte ich meinen irischen Freund in Sander City besuchen, der dort als Townmarshal die Belange der Stadt vertrat. Wir hatten uns während des Krieges angefreundet und waren zusammengeblieben.

O’Neal war ein verdammt sturer Bursche, der auf eigenen Füßen stehen wollte. Nach dem Krieg hatte ich ihm die Partnerschaft angeboten, doch er lehnte mit der Begründung ab, dass er sein eigenes Leben führen wollte. Darum hatte er sich in der Stadt um den freien Posten des Marshals beworben und ihn auch bekommen.

Zwei Monate lang hatten wir uns nicht mehr gesehen, denn die Instandsetzungsarbeiten auf mei­ner Ranch hatten mich vollauf beschäftigt. Ich freute mich auf diesen Abend und der damit verbundenen Geselligkeit, bei der wir alte Erinnerungen auffrischen würden.

Shorty, mein einbeiniger Veteran, führte die Zügel des Flachwagens und redete mir ununterbrochen Löcher in den Bauch.

»Die Ranch wird schöner und größer, als sie zu deines Vaters Zeiten war«, sagte er einmal mit niederträchtigem Grinsen. »Das Haupthaus hast du so großzügig ausgestattet, als trügest du dich mit Heiratsgedanken. Hältst du irgendwo eine Braut versteckt, Roy?«

Ich wandte überrascht den Kopf. Ich sah das angespannte Lauern, das sich hinter seinem Grinsen verbarg. Deshalb erwiderte ich bissig: »Deine Fantasie schlägt Kapriolen, Alter. Ich habe alles Mögliche im Sinn, nur nicht, dass ich mich von einem Langrock an die Kandare legen lasse. Ich bin nicht reif für eine Ehe. Bevor …«

Er glotzte mich an, als wäre ich ein Säugling, ehe er mir ins Wort fiel. »Wie alt muss man eigentlich sein, um ehereif zu werden, Boss? Du gehst auf die Dreißig zu, und nach den ungeschriebenen Gesetzen der Frontiers gehörst du fast zum alten Eisen. Du baust das Ranchunternehmen wieder auf, hast riesige Landparzellen. Für wen das alles?«

Ich ließ ihn eine Weile über die Vorzüge einer Ehe reden, ehe ich ihm in die Parade fuhr. »Du sprichst, als wäre die Ehe das Paradies auf Erden. Verrate mir doch mal, warum du nie eine Frau genommen hast, Shorty?«

Da traf ich wohl seine empfindlichste Stelle. Denn er schnaufte plötzlich los und ließ die Peitsche über den Köpfen der Gäule knarren, als säße eine Meute Banditen auf unseren Fersen.

Erst hinter dem Sklenhornborn, wo wir das Holz für den Aufbau der Ranch geschlagen hatten, ließ er die Pferde auslaufen.

»Vielleicht hast du recht, Roy«, sagte er einlenkend. »Vielleicht ist die Ehe kein Paradies, sondern ein Stück verborgener Hölle.«

»Möglich.« Ich lachte. »Das kommt auf die Frau an, die man erwischt. Gewöhnlich sind sie wie schnurrende Kätzchen, die erst die Krallen zeigen, wenn sie dich sicher in den Fängen haben. Aber sicher erwischt es auch mich einmal, denn die Griffin Ranch braucht irgendwann einen Erben. Doch darüber zu sprechen ist es zu früh, Freund.« Ich schwenkte den Arm über das weite öde Land westlich des Buchenwaldes. »Die Ranch besteht nur dem Namen nach und auf einem Stück Papier. Wir haben ein halbes Dutzend Milchkühe, die uns das Nötigste liefern, ein paar Schweine, Hühner und Enten. Was uns fehlt sind Rinder, die die Sicherheit der Ranch garantieren. Dazu reicht das Geld aber nicht.«

Shorty nickte. Er kannte die Misere. Er sagte, worüber ich des Öfteren nachdachte. »Reite rauf in die Black Mesa, Junge. Im Indianerland treiben sich so viele ungebrannte Rinder herum, dass du sie nicht zählen kannst. Such dir in Oklahoma ein paar Leute und treibe eine Herde nach Texas. Damit wäre auch das Existenzproblem der Griffin Ranch geklärt.«

Ich schwieg. Shorty hatte ohne Zweifel recht. Im Texas- oder Oklahomapanhandle gab es unzählige herrenlose Tiere, die nur darauf warteten, dass man sie einfing. Sie waren das Überbleibsel des Krieges und stammten aus einer Zeit, als sich kein Rancher um seine Herden kümmern konnte, weil er irgendwo gegen Yankees kämpfen musste, genau wie ich es getan hatte.

Aber im Indianerland gab es noch andere Probleme. Dieses Territorium, das ein halbes Dutzend Staaten beanspruchte, war zum Paradies für Outlaws geworden, die einsame Reisende schon wegen ihrer staubigen Stiefel umlegten. Wie sollte ich dort Männer finden, denen ich vertrauen konnte?

Am Abend lagerten wir am Waldrand, und ich träumte von einer gewaltigen Maverickherde, die ich mit einer Handvoll Männer durchs Texaspanhandle zum Rio Grande trieb. Aber am Morgen sah die Sache kahl und nüchtern aus, und ich musste erkennen, dass Träume doch nur Schäume waren.

Und dennoch ließ der Gedanke mich nicht wieder los.

*

Als wir über den Hügel zogen, zügelte Shorty unvermutet die Pferde. Er deutete mit dem Peitschenstiel zur Town hinunter, vor dessen westlichem Ausgang sich eine Menschenmenge versammelt hatte. Ich hörte ihre lachenden und fluchenden Stimmen bis zur Anhöhe heraufschallen.

»Was mag dort unten los sein?«, fragte mein Veteran bedächtig. Er kratzte sich an den Stoppeln seines Kinns, als könnte er dort die Antwort auf seine Frage finden. Ich zuckte die Achseln: »Lass die Gäule laufen, Shorty, dann werden wir es bald wissen.«

Im Trab ging es den Hügel hinunter. Ich schätzte, dass sich dort unten zwei Dutzend Menschen versammelt hatten, die grölend zwei einzelne Burschen anfeuerten, die sich gegenseitig drohend die Karabiner um die Ohren schwangen und wüste Reden von sich gaben.

Ich suchte vergeblich meinen rothaarigen Iren inmitten der Menschentraube.

»Das sind Flynn Menning und Budd Spences«, rief Shorty, als wir uns dem Schauplatz näherten. »Sie sind besoffen wie zwei ausgeflippte Dragoner und wollen sich gegenseitig in die Wolle gehen.«

Ich hörte ihre wüsten Beschimpfungen. »Lenke den Buckboard zum Straßenrand, Shorty. Vielleicht kann ich die Burschen zur Vernunft bringen.«

Ich kannte Menning und Spences, die als Cowboys bei meinem südlichen Nachbarn arbeiteten. Heißblütige Burschen, die schon manchen Streit in der Stadt entfacht hatten.

Als Shorty die Pferde zügelte, hielt er mich warnend an der Schulter zurück und deutete auf das aufgeputzte Frauenzimmer zwischen den Männern.

»Halte dich raus aus der Sache, Roy. Sie schießen sich wegen des Tingeltangelmädchens. Jeder von ihnen behauptet, dass Molly Logan ihm die Ehe versprochen hat und beschimpfen sich gegenseitig der Lüge. Das ist nichts für uns, lass uns weiterfahren. Außerdem kannst du sie nicht mehr aufhalten.«

Mit einer Kopfbewegung deutete er zu den Streithähnen, die sich beide in entgegengesetzter Richtung entfernten, ehe sie nach hundert Yards Distanz Aufstellung nahmen. »Sie sind so besoffen, dass sie ihr Ziel nicht mehr sehen, Ringo. Lass uns verschwinden, ehe ihre Kugeln uns um die Ohren fliegen.«

Ich hörte das anfeuernde Geschrei der Meute und sah zu Molly Logan. Sie war hübsch und aufgetakelt, aber keinen Schuss Pulver wert. Sie war eines der Tanzmädchen im Christal Palace. Wer Molly heiratete, war schon in der Hochzeitsnacht betrogen, weil sie von Treue wenig hielt.

»Für so was schießen sich zwei ausgewachsene Männer«, knurrte ich wütend und sprang trotz Shortys Einwände vom Bock.

»Ein Mann wird zum dummen Esel, wenn er Frauen wittert«, krächzte Shorty. Er schob die Peitsche in die Buchse und drehte an den Bremsen. Ächzend kletterte er vom Flachwagen und bemühte sich, mit seinem einen Bein mir zu folgen.

Ich sah eine Menge fremder Gesichter, die mir nie in Sander City begegnet waren. Stieß dann auf Tanner, den Drugstorebesitzer.

»Wo steckt O’Neal, der diesen Blödsinn verhindern kann?«, fragte ich ihn beunruhigt.

Tanner antwortete mit hochrotem erhitztem Gesicht: »Der Marshal reitet droben am Lesterpass. Tom Libbens Zuchtbulle ist verloren gegangen.«

»Gestohlen?«, fragte ich aufhorchend.

»Verdammt, was weiß ich, Mr Griffin!«, fluchte er los, »stören Sie mich nicht. Vielleicht werde ich solch ein Duell nicht wieder erleben.«

Tanners Augen funkelten, als wünschte er, dass einer der Kontrahenten bald im Staub des Hügels läge. Angewidert wandte ich mich ab und marschierte schnurgerade auf die Frau zu.

Noch ehe ich sie erreichte, krachten die ersten Schüsse. Umherfliegendes Blei brachte Bewegung in die sensationslüsterne Menge.

Ein Teil von ihnen warf sich fluchend hinter die nächste Bodenerhebung, ein anderer Teil flüchtete hinter die schützenden Fassaden der Häuser.

Ich sah, dass Menning und Spences wankend aufeinander zu marschierten. Sie trugen ihre Karabiner in der Armbeuge, und bei jedem dritten Schritt blitzte das Mündungsfeuer ihrer Waffen auf.

Es war ein Höllenspektakel, das sie veranstalteten. Ich sah keine Chance, in den Kampf einzugreifen. Ich hatte wohl auch kein Recht dazu.

Ich ging zu Molly Logan, die Urheberin des Duells. Sie kniete im Schutz eines Baumes. Als unweit von mir einige Staubfontänen hochspritzten, warf ich mich zu Boden und robbte zu diesem Biest hinüber.

Sie lächelte aus ihren großen grünen Augen wie ein Vamp, der sich ein neues Opfer sucht. Ihre Zähne blitzten in der Sonne wie das Mündungsfeuer einer Winchester.

»Toll, Mr Griffin!«, rief sie lachend, »wenn eine Frau erkennt, wie begehrenswert sie ist.«

Ich war heran und roch ihr betäubendes Parfüm, das mich an die Mädchen aus dem Rotscheinbezirk von Midland erinnerte. Ich war wütend und fragte: »Finden Sie es auch toll, wenn einer von ihnen auf dem Boothill landet, Miss Logan? Sie haben den beiden Burschen den Kopf verdreht, dass sie nicht nur mit Fäusten, sondern gleich mit Karabinern aufeinander losgehen. Für wen von den beiden haben Sie sich entschieden?«

Sie lauschte mit verzücktem Lächeln den peitschenden Abschüssen, und ich sah mit einem Seiten blick, dass die Kontrahenten sich auf vierzig Yards näher gekommen waren. Gefährlich nahe für ein Gewehrduell. Selbst wenn die versoffenen Kerle ihre Waffen aus der Armbeuge heraus abfeuerten.

»Für wen der beiden?« Sie lachte schrill wie eine Sirene. »Was sind sie schon? Saufende und raufende Cowboys, die nach Kuhmist stinken und nach Schweiß. Wo bei einem vernünftigen Mann der Verstand sitzt, haben sie ein großes Loch. Schauen Sie sich die Idioten an. Mit beiden habe ich ein paar nette Worte gewechselt, na gut, auch mit ihnen geschlafen. Was machen diese Trottel aus solch einer losen Verbindung? Gleich ein festes Verhältnis. Wenn ich so wie Flynn und Budd denken würde, hätte ich mit der halben Stadt ein Verhältnis, Mr Griffin. Wenn ich mich mal binde, müsste es ein Mann sein wie Mr Libben oder einer wie Sie, Mr Griffin, wenn Sie erst einmal Ihr Unternehmen aufgebaut haben.«

In mir kochte der Zorn, als ich sah, wie wenig Molly Logan die beiden Heißsporne interessierte, die im Begriff waren, sich gegenseitig mit Blei vollzustopfen.

Ich spürte Shortys warnende Hand auf meiner Schulter, und er flüsterte: »Mach dir nicht die Finger dreckig, lass uns lieber von hier verschwinden.«

Ich blickte an ihm vorbei zu den Kampfhähnen. Sie standen sich nun kaum fünfundzwanzig Yards entfernt gegenüber, beschimpften sich auf übelste Weise und luden dabei die leer geschossenen Gewehre auf.

Wütend schob ich Shortys Hand von der Schulter und verließ die Deckung. »Hee, ihr Idioten!«, schrie ich lautstark, dass sie mich hören mussten. »Lasst dieses verdammte Geballer und prügelt euch mit den Fäusten, wenn es schon sein muss.«