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Psychotherapie kompakt

 

Herausgegeben von

 

Harald J. Freyberger

Rita Rosner

Ulrich Schweiger

Günter H. Seidler

Rolf-Dieter Stieglitz

Bernhard Strauß

Harald Ullmann Andrea Friedrichs-Dachale Waltraut Bauer-Neustädter Ulrike Linke-Stillger

Katathym Imaginative Psychotherapie (KIP)

Mit Beiträgen von Götz Biel, Wilfried Dieter, Kornelia Gees, Barbara Hauler, Leonore Kottje-Birnbacher, Ulrich Sachsse, Christoph Smolenski, Beate Steiner und Eberhard Wilke

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030519-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-030520-5

epub:    ISBN 978-3-17-030521-2

mobi:    ISBN 978-3-17-030522-9

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Geleitwort zur Reihe

 

 

Die Psychotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt: In den anerkannten Psychotherapieverfahren wurde das Spektrum an Behandlungsansätzen und -methoden extrem erweitert. Diese Methoden sind weitgehend auch empirisch abgesichert und evidenzbasiert. Dazu gibt es erkennbare Tendenzen der Integration von psychotherapeutischen Ansätzen, die sich manchmal ohnehin nicht immer eindeutig einem spezifischen Verfahren zuordnen lassen.

Konsequenz dieser Veränderungen ist, dass es kaum noch möglich ist, die Theorie eines psychotherapeutischen Verfahrens und deren Umsetzung in einem exklusiven Lehrbuch darzustellen. Vielmehr wird es auch den Bedürfnissen von Praktikern und Personen in Aus- und Weiterbildung daran gelegen sein, sich spezifisch und komprimiert Informationen über bestimmte Ansätze und Fragestellungen in der Psychotherapie zu informieren. Diesem Bedürfnis soll die Buchreihe „Psychotherapie kompakt“ entgegenkommen.

Die von uns herausgegebene neue Buchreihe verfolgt den Anspruch, einen systematisch angelegten und gleichermaßen klinisch wie empirisch ausgerichteten Überblick über die manchmal kaum noch überschaubare Vielzahl aktueller psychotherapeutischer Techniken und Methoden zu geben. Die Reihe orientiert sich an den wissenschaftlich fundierten Verfahren, also der Psychodynamischen Psychotherapie, der Verhaltenstherapie, der Humanistischen und der Systemischen Therapie, wobei auch Methoden dargestellt werden, die weniger durch ihre empirische, sondern durch ihre klinische Evidenz Verbreitung gefunden haben. Die einzelnen Bände werden, soweit möglich, einer vorgegeben inneren Struktur folgen, die als zentrale Merkmale die Geschichte und Entwicklung des Ansatzes, die Verbindung zu anderen Methoden, die empirische und klinische Evidenz, die Kernelemente von Diagnostik und Therapie sowie Fallbeispiele umfasst. Darüber hinaus möchten wir uns mit verfahrensübergreifenden Querschnittsthemen befassen, die u. a. Fragestellungen der Diagnostik, der verschiedenen Rahmenbedingungen, Settings, der Psychotherapieforschung und der Supervision enthält.

Harald J. Freyberger (Stralsund/Greifswald)

Rita Rosner (Eichstätt-Ingolstadt)

Ulrich Schweiger (Lübeck)

Günter H. Seidler (Dossenheim/Heidelberg)

Rolf-Dieter Stieglitz (Basel)

Bernhard Strauß (Jena)

 

Inhalt

 

 

 

  1. Geleitwort zur Reihe
  2. Vorwort
  3. Harald Ullmann
  4. 1 Geschichte der KIP
  5. Eberhard Wilke
  6. 1.1 Historische Vorläufer
  7. 1.2 KB, KIP, Symboldrama – zur wechselnden Namensgebung des Verfahrens
  8. 1.3 Eine therapeutische Schule
  9. 1.4 Innerdeutsche Entwicklung
  10. 1.5 Internationale Verbreitung
  11. 2 KIP im Vergleich zu anderen Behandlungsansätzen
  12. Götz Biel
  13. 2.1 Analytische Psychologie nach C.€G. Jung
  14. 2.2 Verhaltenstherapie (VT)
  15. 2.3 Hypnotherapie
  16. 2.4 Systemische Therapie
  17. 3 Wissenschaftliche und therapietheoretische Grundlagen
  18. Harald Ullmann
  19. 3.1 Psychotherapie mit dem Tagtraum – Behandlung von Geist und Körper
  20. 3.2 Katathyme Imagination und episodisches Gedächtnis
  21. 3.3 Symbole und Symbolisierung
  22. 3.4 Wie die Bilder gut »laufen lernen«
  23. 4 Kernelemente der Diagnostik
  24. Harald Ullmann
  25. 4.1 »Objektive« Diagnostik im Kontext der Interaktion
  26. 4.2 Initialer Tagtraum und Strukturdiagnostik
  27. 4.3 Die Beziehung im Fokus der KIP und ihrer Motivgestaltung
  28. 4.4 Zur therapeutischen Seite der diagnostischen Trias: Fallbeispiele
  29. 5 Kernelemente der Therapie
  30. Harald Ullmann
  31. 5.1 Eine psychodynamische Methode und ihre Besonderheiten
  32. 5.2 Zur vertikalen Systematik: die Grundstufe
  33. 5.3 Phantasieren – Imaginieren – Symbolisieren
  34. 5.4 Zur vertikalen Systematik: die Aufbaustufe
  35. 5.5 Zur horizontalen Systematik: der Tagtraum und was darauf folgt
  36. 5.6 Anwendungsbereiche, mnestischer Prozess und Konsolidierung
  37. 6 Fallbeispiel
  38. Waltraut Bauer-Neustädter
  39. 7 Ausgewählte Indikationsbereiche
  40. 7.1 Neurosen und Persönlichkeitsstörungen
  41. Wilfried Dieter
  42. 7.2 Psychosomatische Erkrankungen
  43. Eberhard Wilke
  44. 7.3 Somatoforme Schmerzstörungen und chronische Schmerzerkrankungen
  45. Kornelia Gees
  46. 7.4 Psychoonkologie
  47. Barbara Hauler
  48. 7.5 Psychotraumatische Belastungsstörungen
  49. Beate Steiner
  50. 8 Settings und therapeutische Beziehung
  51. Ulrike Linke-Stillger
  52. 8.1 Spezifische Qualitäten der therapeutischen Beziehung in der Einzeltherapie
  53. Ulrike Linke-Stillger
  54. 8.2 Ambulante Gruppentherapie mit KIP (G-KIP)
  55. Ulrike Linke-Stillger
  56. 8.3 KIP in der Klinik
  57. Andrea Friedrichs-Dachale
  58. 8.4 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
  59. Waltraut Bauer-Neustädter
  60. 9 Wissenschaftliche und klinische Evidenz
  61. Leonore Kottje-Birnbacher und Ulrich Sachsse
  62. 9.1 Ist KIP nach den Kriterien der Wissenschaft und Klinik eine effiziente Psychotherapiemethode?
  63. 9.2 Unterscheiden sich Imaginationen vom üblichen Miteinander-Sprechen? Physiologische Unterschiede
  64. 9.3 Wodurch wirkt KIP? Emotionale Veränderungen beim Imaginieren
  65. 10 Institutionelle Verankerung
  66. Christoph Smolenski
  67. 11 Hinweise zu Aus-, Fort- und Weiterbildung
  68. Andrea Friedrichs-Dachale
  69. Literatur
  70. Die Autorinnen und Autoren
  71. Stichwortverzeichnis

 

Vorwort

Harald Ullmann

 

 

Das vorliegende Buch über die Katathym Imaginative Psychotherapie (KIP) fügt sich in einen editorischen Rahmen, der Raum für die Darstellung unterschiedlicher Formen von Psychotherapie und ihrer jeweiligen Besonderheiten eröffnet. Die Zahl der mitarbeitenden Autoren entspricht der Vielfalt von Anwendungsmöglichkeiten und Indikationsbereichen unserer Methode. Einige davon (z. B. die Behandlung alter Menschen mit der KIP) konnten aus Platzgründen in diesem kompakten Buch nicht mit einem eigenen Kapitel Aufnahme finden. Wer sich über das gesamte Spektrum informieren möchte, sei auf das unlängst erschienene Handbuch verwiesen (Ullmann und Wilke 2012). Wer die KIP erlernen will, hat die Auswahl unter mehreren Lehrbüchern und erfährt fachliche Anleitung in einem von den Fachgesellschaften vorgehaltenen, reichhaltigen Programm der Aus-, Weiter- und Fortbildung (image Kap. 11).

Nachfolgend findet der Leser eine Art von Leitfaden durch diese tiefenpsychologisch fundierte Methode. Die Psychotherapie mit dem Tagtraum erhielt im Laufe der Zeit mehrere Bezeichnungen, die neben dem eingangs genannten offiziellen Begriff weiterhin gerne benutzt werden. Was auf den ersten Blick verwirrend erscheinen mag, verdeutlicht bei näherer Betrachtung verschiedene Aspekte eines multimodalen Therapieansatzes, die kaum je in einem einzigen Begriff unterzubringen sind. Wir haben uns deshalb dafür entschieden, keine redaktionelle Vereinheitlichung anzustreben, sondern die offenbar geschätzten und ohnehin weiter gebräuchlichen Synonyme zu erläutern, um die vorhandene Vielfalt an Metaphern zu nutzen.

Während der Zeit der ersten Experimente mit therapeutisch induzierten, spezifischen Tagträumen wurden diese als Katathymes Bilderleben (KB) oder Symboldrama bezeichnet. Der erste Begriff zielt auf das essentielle affektive Element und die Qualität der lebhaften Erfahrung, der zweite auf den Symbolgehalt und die szenisch-dramaturgische Potenz der anfänglich so genannten Tagtraumtechnik. Daraus wurde mit dem Zuwachs an technischem Repertoire und therapeutischen Erfolgen schließlich eine eigenständige Behandlungsform, die nun als Tagtraummethode gelten konnte. Der konventionelle Begriff Katathym Imaginative Psychotherapie (KIP) macht deutlich, dass die im begleiteten Tagtraum zur Entfaltung kommende »katathyme« (affektgetragene) Imagination als zentrales Moment wie als integraler Bestandteil eines therapeutischen Prozesses zu betrachten und zu handhaben ist. In unserem heutigen Verständnis ist die KIP eine psychodynamische Methode, die andere Ansätze der Psychotherapie partiell auf kreative Weise zu integrieren vermag.

Auf den folgenden Seiten lässt sich die KIP von den historischen Anfängen und den Grundlagen her Schritt für Schritt erkunden. Andererseits haben die empirischen und fallbezogenen Momente in der Entwicklung wie in der didaktischen Vermittlung der Methode stets eine wichtige Rolle gespielt. So wäre es durchaus angemessen, die Lektüre dieses Buchs mit der ausführlichen Darstellung eines Behandlungsprozesses zu beginnen (image Kap. 6). Wer darüber hinaus an einer repräsentativen Zusammenstellung längerer Fallgeschichten interessiert ist, sei auf ein Buch mit dem Titel »Das Bild und die Erzählung in der Psychotherapie mit dem Tagtraum« (Ullmann 2001) hingewiesen, das zusammen mit den Lehrbüchern und dem Handbuch im Rahmen der methodischen Kernelemente erwähnt ist (image Kap. 4 und 5). Behandlungsprozesse im gruppentherapeutischen Setting werden im Kapitel über KIP in der Klinik nachgezeichnet (image Kap. 8.3).

Seit Begründung der Methode wurden die Möglichkeiten der KIP von ihren Anwendern und Dozenten in einem Zeitraum von sieben Jahrzehnten immer wieder ausgeweitet, begleitet von entsprechenden Veränderungen in der Theorie der Praxis. Die dem vorliegenden Buch zu entnehmende Zusammenstellung von Anwendungsgebieten und Indikationen (image Kap. 5.6) ist als vorläufiger Stand der Dinge zu betrachten, denn die KIP wird fortlaufend weiterentwickelt.

 

1          Geschichte der KIP

Eberhard Wilke

 

 

Hanscarl Leuner (1919–1996) wurde bei seiner Emeritierung als Leiter der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Göttingen von Journalisten gefragt, was denn eigentlich der Kern des von ihm entwickelten Verfahrens sei, das ursprünglich »Katathymes Bilderleben« (KB) hieß und später die Bezeichnung »Katathym Imaginative Psychotherapie« (KIP) erhielt. Er antwortete: Der Therapeut fordert seinen Patienten auf, er möge sich bequem hinsetzen, die Augen schließen, sich ein wenig entspannen, aber nicht zu sehr, sich dabei locker und neugierig fühlen, um dann vor seinem inneren Auge die Vorstellung einer Blume entstehen zu lassen, es könne auch etwas anderes auftauchen, das sei dann nicht weniger gut. Wichtig sei, dass er alles, was er sehen, hören oder fühlen könne, ihm, dem Therapeuten mitteile und dabei besonders auf die Gefühle achte. Dies sei der Kern der Methode.

1.1       Historische Vorläufer

Aus seiner Psychoanalyse nach C. G. Jung, der sich H. Leuner als junger Psychiater bei Schmaltz, einem Schüler Jungs, unterzog, kannte er die aktive Imagination und die Macht der Symbole. Er war davon überzeugt, den therapeutischen Prozess intensivieren zu können, wenn der Imaginierende seinem Therapeuten den Tagtraum – anders als bei C. G. Jung – bereits im Moment seines Entstehens simultan mitteilt und ihn so durch einen Bericht »in statu nascendi« in seinen kreativen Prozess einbezieht.

Leuner berief sich u. a. auf Arbeiten von Silberer über die »Symbolik des Erwachens und Schwellensymbolik überhaupt« (1909, 1911), auf das »Bildstreifendenken« von Kretschmer (1922), auf das »Bildbewusstsein« von Happich (1932) und auf Frederking (1948). Die Kenntnis der Oberstufe des Autogenen Trainings (AT) nach J. H. Schultz war bedeutsam, allerdings sind der imaginative Prozess und der Bericht darüber bei Schultz – wie bei C. G. Jung – zeitlich versetzt, und es ist weniger evident, dass es sich um einen gemeinsamen kreativen Prozess von Patient und Therapeut handelt, wie dies bei der KIP augenscheinlich der Fall ist. Mehr Übereinstimmungen gibt es mit der Tagtraumtechnik nach Desoille (1945). Der »rêve éveillé dirigé« als gelenkter Wachtraum zeigt eine methodische Ähnlichkeit, ist aber direktiver angelegt. Der Imaginationsforscher Singer hielt das damals noch so genannte Katathyme Bilderleben im Vergleich mit anderen europäischen Ansätzen für die am besten konzipierte und strukturierte imaginative Psychotherapiemethode (Singer und Pope 1986, S. 147).

Das liegt auch darin begründet, dass Leuner sich früh um eine gute Lehrbarkeit bemühte. Er teilte seine Methode in Grundstufe, Mittelstufe und Oberstufe ein (image Kap. 5) und entwickelte Standardmotive die dem Patienten vor allem in der Grundstufe den Zugang zu seiner inneren Welt erleichtern und dem Therapeuten eine gewisse Handlungssicherheit geben.

1.2       KB, KIP, Symboldrama – zur wechselnden Namensgebung des Verfahrens

In den ersten grundlegenden Publikationen (1954, 1955, 1964) nannte Leuner sein Verfahren zunächst »Katathymes Bilderleben«. Das Wort »Bilderleben« sollte den bildhaften Erlebnischarakter des imaginativen Geschehens betonen. Der Ausdruck »katathym« (griech. »von der Seele herab«, »der Seele gemäß«) die Bindung der Imagination an die Emotion. In der Tat ist die emotionale Aktivierung eine wesentliche Eigenheit der KIP. In manchen Ländern wird die Methode als »Symboldrama« bezeichnet, so in Holland, Schweden und in russischsprachigen Ländern. Dieser Ausdruck nimmt Bezug darauf, dass sich hier innerseelische Spannungen in dramatischer Form inszenieren und so verdeutlichen. Der Wechsel der ursprünglichen Bezeichnung zum offiziellen Begriff »Katathym Imaginative Psychotherapie« macht deutlich, dass es sich nicht nur um eine bestimmte Erlebnisform, sondern um eine spezifische Methode der Psychotherapie handelt. In der angelsächsischen Welt hat sich die Bezeichnung »Guided Affective Imagery« (GAI) durchgesetzt (Leuner 1969), in Frankreich und der französischen Schweiz spricht man von »imagination catathymique«.

1.3       Eine therapeutische Schule

Leuner versammelte bald eine Gruppe von Ärzten und Psychologen um sich, die zum Bekanntwerden der Therapiemethode beitrugen. Viele brachten eine psychoanalytische Ausbildung mit und waren auf der Suche nach einer Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten. Die Anwendung der KIP ist in Deutschland bis heute dem Beruf des Psychologen oder Arztes vorbehalten (image Kap. 10). Leuner war ein neugieriger und kreativer Mensch, in der Gruppe seiner Schüler herrschte ein offener und stets weiter fragender Geist, der bis heute und über seinen Tod hinaus fortwirkt.

Mit der Zeit kamen neue Anwendungsgebiete hinzu, etwa die Anwendung in der Gruppe, in der Paartherapie, in der Familientherapie oder in Kombination mit anderen Ansätzen der Psychotherapie. Wirksamkeitsnachweise führten zur kassentechnischen Anerkennung im Rahmen eines psychodynamischen Therapiekonzepts.

Die Entdeckung einer besonderen Wirksamkeit der KIP bei der Behandlung psychosomatischer Patienten (einer »zweiten« therapeutischen Dimension nach der zunächst entwickelten Neurosentherapie entsprechend) bedeutete für die Methode als solche einen wichtigen Entwicklungsschritt (image Kap. 7.2), ebenso die Entdeckung der Möglichkeit, traumatisierte Menschen mit einem imaginativen Ansatz zu behandeln. Hier stehen im Rahmen der KIP heute ausdifferenzierte Strategien zur Verfügung (image Kap. 7.5).

1.4       Innerdeutsche Entwicklung

Die KIP gehörte zu den wenigen psychodynamischen Ansätzen, die in der DDR der Vorwendezeit verbreitet waren. Im Zentrum der Aktivitäten stand eine Arbeitsgruppe um H. Hennig und E. Fikentscher in Halle. Ein großer Internationaler Kongress dort wurde in der Vorwendezeit geplant und fand 1990 schließlich bei offener Grenze statt.

1.5       Internationale Verbreitung

Die katathyme Imaginationsmethode hat sich rasch auch in anderen Ländern verbreitet (image Kap. 10), zunächst in Österreich und in der Schweiz, dann in Schweden und in den Niederlanden. Erstaunlich groß war das Interesse im Baltikum, in Tschechien und in der Slowakei. Auch dort gibt es mittlerweile nationale Gesellschaften, die ihre eigenen Curricula vorhalten und schon Gastgeber internationaler Kongresse waren. In den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion haben sich die Aktivitäten und Mitgliederzahlen der Fachgesellschaft besonders beeindruckend entwickelt.

 

2          KIP im Vergleich zu anderen Behandlungsansätzen

Götz Biel

 

 

Kernstück der therapeutischen Arbeit in der Katathym Imaginativen Psychotherapie (KIP) ist der differenzierte, systematische Einsatz von Imaginationen. Die Phasen des Umgangs mit Imaginationen sind detailliert in diesem Buch beschrieben (image Kap. 5.5). Die Arbeit mit Imaginationen in der KIP ist charakteristischerweise » affektgetragen, primärprozessnah, symbolvermittelt, dialogisch und als zentraler Parameter in den therapeutischen Prozess integriert« (Ullmann 2012a, S. 31, Hervorhebung im Original).

Auch andere Behandlungsansätze haben auf teils unterschiedlicher theoretischer Basis Imaginationen als therapeutisches Agens in ihrem Repertoire. Gemeinsame Auffassungen im Umgang mit Imaginationen sind methodenübergreifend: je mehr Sinnesmodalitäten involviert sind, desto besser; wichtig ist die Kontrollfähigkeit über die Imagination; Lernen gelingt am besten bei beherrschbarem, mittlerem Angstniveau (Kast 2012). Hier soll eine Standortbestimmung gegenüber der Analytischen Psychologie nach C. G. Jung, der Verhaltenstherapie, der Hypnotherapie und der Systemischen Therapie vorgenommen werden.

2.1       Analytische Psychologie nach C. G. Jung

Die Aktive Imagination als eigenständiges therapeutisches Vorgehen im Rahmen der Analytischen Psychologie war ursprünglich monologisch konzipiert:

»Der Patient begibt sich bei wachem Bewusstsein in einen Dialog mit Traumgestalten, in der Regel zuhause, dokumentiert dann diese Gespräche und Erlebnisse. In der nächsten therapeutischen Sitzung berichtet er seinem Psychoanalytiker darüber. Im Kontext der psychoanalytischen Behandlung werden die Inhalte der Aktiven Imagination durchgearbeitet und integriert« (Bolle 2005, S. 41).

Ein solches Vorgehen des Psychotherapeuten setzt ein gut strukturiertes Ich des Patienten voraus. Dieses gut strukturierte Ich haben Menschen mit gravierenden Entwicklungsdefiziten und komplex Traumatisierte allerdings nicht im erforderlichen Maße.

Der von Kast (2012) beschriebene, moderne Umgang mit Imaginationen in der Analytischen Psychologie ist ähnlich wie in der KIP auch dialogisch konzipiert. Zentrale Unterscheidungsmerkmale zwischen der Analytischen Psychologie und der KIP sind die unterschiedliche Handhabung der Psychodynamik in der Nachfolge Freuds sowie Unterschiede in der Auffassung vom Unbewussten und der Regelmäßigkeit des Einsatzes von Imaginationen.

2.2       Verhaltenstherapie (VT)

In der VT wird mit Imaginationen im Rahmen eines allgemeinen Problemlöseprozesses gearbeitet. Die Grundelemente der Problemanalyse, mit Beschreibung des Ist-Zustands, Zielanalyse und Mittelanalyse, sowie die Erprobung und Bewertung des Ergebnisses (Kirn et al. 2009) können grundsätzlich auch im imaginativen Modus realisiert werden. Dieser Modus ist auch auf aktuelle und vergangene emotional bedeutsame Situationen anzuwenden. Jacob und Tuschen-Caffier (2011) sehen den Einsatz von imaginativen Techniken außerdem bei stark ausgeprägten emotionalen Problemen im Zusammenhang mit z. B. Ekel, Scham und Angst sowie im Falle der Vermeidung von Emotionen als indiziert an. Nach Lammers (2011) sind Imaginationen eine der wichtigsten Techniken in der erlebnisorientierten Therapie. Reddemann und Stasing (2013) betonen, es sei unerlässlich, stetig zu wiederholen, zu üben und das Zielverhalten in den Alltag zu integrieren.

Verhaltenstherapeutische Autoren und Autorinnen wie Kirn et al. (2009) und Zarbock (2011) machen keinen Hehl daraus, dass Motive und Interventionstechniken aus der KIP und anderen Verfahren entnommen wurden, allerdings »without buying the whole package« (Kirn et al. 2009, S. 107), d. h. ohne Berücksichtigung essentieller tiefenpsychologischer Konzepte (psychodynamisches Modell der Persönlichkeit, dynamisches Unbewusstes, Abwehr, Widerstand, Übertragung, Gegenübertragung). Auf Trancevertiefung wird dezidiert verzichtet (Zarbock 2011). Imaginationen in der Verhaltenstherapie werden nicht symbolvermittelt und primärprozessnah genutzt. Im tiefenpsychologischen Verständnis des symbolischen Elements der Imagination unterscheiden sich KIP und VT kategorial voneinander, denn die VT hat kein solches Symbolverständnis.

2.3       Hypnotherapie

Herzstück der Hypnotherapie nach Erickson ist die durch eine hypnotische Induktion erreichte »Trance.« Durch sie kommt es ähnlich wie in der KIP zu einer vermehrten Innenorientierung und einem Ausfiltern irrelevanter Umweltreize, einer veränderten Körperwahrnehmung, einer Denkweise, die eine vermehrte Toleranz gegenüber logischen Widersprüchen und zeitlichen Brüchen aufweist, einer Zunahme der »Einbildungskraft«, einer vermehrten Ansprechbarkeit gegenüber therapeutischen Suggestionen und einem leichteren Zugang zu Gefühlen (Ullmann 2005).

Unterschiede zwischen der Hypnotherapie und der KIP gibt es in Bezug auf metapsychologische Annahmen: Bei Freud ist das Unbewusste ein Produkt der Verdrängung, bei Erickson ist das Unbewusste eine unerschöpfliche Ressource zur kreativen Selbstheilung. Das Unbewusste besteht nach Zeig (2006) aus allem, was man im Leben gelernt hat. Deutliche Unterschiede zwischen der Hypnotherapie und der KIP ergeben sich aufgrund der spezifischen Kombination aus dialogischen, affektiven und primärprozesshaften Momenten (Ullmann 2005) und in den zentralen Konzepten von Übertragung, Widerstand und Konfliktdynamik, die in der Hypnotherapie nicht im gleichen Maße berücksichtigt werden (Ullmann 2012c). Insgesamt ist die Hypnotherapie als direktiver, suggestiver und weniger dialogisch einzuschätzen.

2.4       Systemische Therapie

Zu den Grundelementen der gegenwarts- und zukunftsorientierten systemischen Therapie gehört – im Unterschied zu klassischen psychoanalytischen Ansätzen – die Annahme, dass »Ursache und Wirkung in sozialen Situationen nicht linear, sondern zirkulär verlaufen« (Rieforth und Graf 2014, S. 104). Therapeut und Patient treten als gleichberechtigte Partner und Teile eines Veränderungssystems in Wechselwirkung. Auch die Selbstentwicklung ist demzufolge stets ein soziales Geschehen, ein dynamischer Prozess, der durch ständige Wechselwirkungen gekennzeichnet ist. Diese Vorstellung entspricht in weiten Teilen den moderneren psychodynamischen Ansätzen, wie sie beispielsweise im Zuge der analytischen Säuglingsforschung oder der Intersubjektivitätstheorien entwickelt wurden. Im Unterschied zum psychodynamischen Denken spielen unbewusste Prozesse im systemischen Verständnis jedoch keine Rolle, »bis heute (bleiben) die unbewussten Fantasien der einzelnen Personen im Kontext der familiären Beziehungsfantasien … unberücksichtigt« (ebd., S. 121).

Systemische Therapien sind gekennzeichnet durch verbales Vorgehen und Verwendung einer Sprache, die auf Unterschiede und Lösungen zielt. Der Einsatz von Imaginationen ist gering, und diese weisen, vor dem Hintergrund des zuvor Beschriebenen, eine andere Qualität und ein anderes Vorgehen auf.

Kottje-Birnbacher (1998, S. 58), die bereits früh in der Geschichte der KIP die Potenziale der systemischen Ansätze für die Methode einbrachte, fasst die Unterschiede folgendermaßen zusammen:

»Letztlich scheinen beide Ansätze einseitig zu sein, die klassische Konzeption des Konfliktfokus ist zu einseitig vergangenheits- und pathologiezentriert, die systemische Konzentration auf Ressourcen und Ziele ist zu einseitig auf Positives zentriert … Wenn man die Zielorientierung und Ressourcenorientierung des systemischen Ansatzes in den tiefenpsychologischen integriert, wird das klassische Konfliktdreieck ergänzt, so dass als Fokus der Behandlung ein umfassenderes, entwicklungsorientiertes Bild der Dynamik des Patienten entsteht, das seine Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft berücksichtigt.«

 

3          Wissenschaftliche und therapietheoretische Grundlagen

Harald Ullmann

 

3.1       Psychotherapie mit dem Tagtraum – Behandlung von Geist und Körper

Die Psychotherapie ist mehr als eine Behandlung der Seele oder des Geistes mit rein sprachlichen Mitteln. Zu den »guten Worten«, die in Platons Dialogschrift »Charmides« als das heilsame Prinzip erscheinen, kommen bildhafte Vorstellungen und leibhaftige Erfahrungen hinzu – auch und gerade in der Psychotherapie mit dem Tagtraum. Denn die therapeutisch induzierten und begleiteten Tagträume der Katathym Imaginativen Psychotherapie (KIP) stehen über ihre sinnlichen und affektiven Momente stets mit dem körperlichen Substrat in Verbindung. »Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war«, heißt es schon bei Aristoteles, für den die »Seele« – im Gegensatz zu Platon – weder als präexistent oder unsterblich noch als vom Körper getrennt zu denken ist (Krapinger 2011). Für Aristoteles ist die Seele kein eigenständiges Wesen, das unabhängig vom Körper existiert, sondern eine aus der körpervermittelten Erfahrung heraus entwickelte Form, die bestimmten Zwecken zu dienen hat und an den Körper gebunden bleibt. In der aristotelischen Erkenntnistheorie vollzieht sich das Denken durch Vorstellungen, die aus der Sinneswahrnehmung abgeleitet sind.

Das Prinzip einer leibseelischen Natur der Erkenntnis steht im Gegensatz zu der cartesianischen Trennung von Körper und Seele, die sich nachhaltig in Philosophie und Alltagsdenken eingeschrieben hat. Die aristotelische Argumentationslinie einer Erkenntnis, die auf körperlich vermittelten Erfahrungen basiert, weist in eine andere Richtung von Philosophie und Wissenschaft: über den Sensualismus und den Empirismus bis hin zu heutigen Konzepten vom psychosomatischen Simultangeschehen oder vom Embodiment. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Psychotherapie im Allgemeinen wie die der KIP im Besonderen wurzeln demgemäß zugleich in den Geisteswissenschaften und in den Naturwissenschaften. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen, metapsychologische Theorien und Erkenntnisse aus der Säuglingsforschung müssen letztlich mit den gegenwärtigen Konzepten der Kognitions- und Gedächtnisforschung wie mit deren neurobiologischer Fundierung kompatibel sein.

In der Perspektive eines psychodynamisch orientierten Ansatzes der Kognitionsforschung geht es bei problemerzeugenden und krankmachenden Vorgängen um die Auswirkungen eines »maladaptiven« Wissens, also um eine Form von Wissen, das für den angemessenen, erfolgreichen Umgang mit der Wirklichkeit nicht taugt (Koukkou und Lehmann 1998, S. 198). Psychotherapie lässt sich demzufolge als ein mnemonischer oder mnestischer Prozess beschreiben, d. h. ein professionell induzierter und begleiteter Vorgang der Veränderung von maladaptivem Wissen, der zu dauerhaften strukturellen Veränderungen in den beteiligten Gedächtnissystemen führt (Ullmann 2012b). Hierbei gilt es auch vorbestehende Erkenntnis leitende Strukturen zu berücksichtigen, die sich im Zuge der Phylogenese ins Erbgut eingeschrieben haben und für den Bauplan des menschlichen Gehirns maßgeblich sind. Ein Beispiel dafür wären die gleichsam vorprogrammierten Amygdala-Kompartimente als neuronales Substrat für so genannte Basis-Emotionen (Panksepp 1998). Dem einzelnen Menschen steht damit ein vorgegebenes Set von Wahrnehmungs- und Handlungs-Schablonen zur Verfügung, das im Laufe der Ontogenese durch »adaptive« übergeordnete Strukturen zur Regulation von Affekten, Kognitionen und Handlungen epigenetisch ergänzt werden muss.

Erkenntnis leitende Strukturen sind einerseits über die Generationen hinweg in Genen (oder auch kulturell, in kollektiven Formen der mnestischen Tradition) verankert, zum anderen Teil werden sie im Laufe der Ontogenese unter Verwendung von älterem Material neu geschaffen und strukturell implementiert. Im Rahmen einer Auffassung von Psychotherapie, die metapsychologische wie neurobiologische Gesichtspunkte berücksichtigt, haben wir es mit einem bipolaren Strukturbegriff zu tun. Zum einen nehmen wir innerpsychische mentale Strukturen für die affektive, kognitive und handelnde Bewältigung der relevanten Realitäten in den Blick, und diese reichen von den basalen körperlichen Vorgängen bis zur Beziehungsgestaltung. Zum anderen schauen wir auf neurobiologische Strukturen, in denen sich Erfahrungen niedergeschlagen haben, die den Umgang mit der inneren wie der äußeren Welt beeinflussen. Die Möglichkeiten der so genannten »Bildgebung« haben unter den Seelenforschern einen Hype entfacht, der mit der Verführung einhergeht, mentale Strukturen in neurobiologischen zu verorten oder gar beides miteinander gleichsetzen zu wollen. Das wäre ein kategorialer Fehler.

Mental zu definierende Strukturen oder Repräsentanzen haben keinen umschriebenen »Ort« im Gehirn. So ist beispielsweise das hypothetische Über-Ich der psychodynamischen Metapsychologie ebenso wenig im präfrontalen Cortex zu Hause wie das menschliche Gewissen. Ein anderer kategorialer Fehler wäre es, die für mentale Vorgänge notwendigen Organe des Gehirns nach Art der alten Lokalisationslehre als Sitz oder Ausgangspunkt für bestimmte Funktionen zu betrachten. So wird z. B. »die Amygdala« gerne als Zentrum der Angstbereitschaft dargestellt oder gar mit anthropomorph erinnerungsfähigen und handelnden Qualitäten ausgestattet. Der Beitrag einzelner Hirnbereiche zu einem handlungsvorbereitenden emotionalen Gedächtnis ist vielmehr an das Zusammenwirken neuronaler Netzwerke gebunden.

Gedächtnis tragende Strukturen und ihre Netzwerke finden sich nicht nur im Gehirn, sondern auch an anderen Stellen des Körpers. Was im Gehirn als Angstsignal körpernah (z. B. mit klopfendem Herzen) empfunden, kognitiv entschlüsselt und mental bewältigt wird, läuft simultan im Körper ab, etwa in Form von Regelkreisen und Kaskaden des Stoffwechsels von Kortison oder Katecholaminen. Dies gilt in ähnlicher Weise für andere affektive Zustände (z. B. Traurigkeit), die wir über das Gehirn sprachlich zu fassen und mental zu verarbeiten gelernt haben. Das Gehirn könnte somit als der primäre Ansprechpartner einer verbalen Psychotherapie erscheinen. Nur bahnt sich hier erneut ein möglicher kategorialer Fehler an, wenn wir jenes komplexe Organ – anthropomorphen Vorstellungen aufsitzend – nunmehr für ein Gegenüber halten, das hierarchisch strukturiert ist und von einem inneren Chef geleitet wird. Nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens ist das menschliche Gehirn vielmehr ein sich selbst organisierendes System mit über- oder gleichgeordneten Funktionsbereichen und verschiedenen energetischen Niveaus (Deneke 2011; Schiepek 2011).

Mit einigen seiner untereinander kooperierenden Teilsysteme und als Ganzes steht unser Gehirn in ständigem Austausch mit relevanten Innen- und Außenwelten. Erkenntnis und Handlungsoptionen vollziehen sich in Niveauveränderungen, die allenfalls auf statistische Weise vorhersagbar sind. Ebenso wenig lassen sich die Einwirkungen einer Psychotherapie punktgenau vorhersagen. Sie treffen auf ein vieldimensionales Gegenüber, das in seinen Teilbereichen und ihren Funktionszuständen unterschiedlich »ansprechbar« ist. Die KIP hat hier in diagnostischer (image Kap. 4) wie in therapeutischer Hinsicht (image Kap. 5) eine besondere Ausgangsbasis, und zwar durch den ihr eigenen Parameter des begleiteten Tagtraums.

3.2       Katathyme Imagination und episodisches Gedächtnis

Die in der Psychotherapie mit dem Tagtraum zum Tragen kommende Form von Imagination ist über ihre affektiven und sinnlichen Momente multimodal mit körperlichen Vorgängen und nicht-bewussten Bereichen des Erlebens vernetzt. Durch »prozessuale Aktivierung (Grawe 1998, S. 240) werden relevante Episoden in Erinnerung gerufen und auf der Bildebene in Szene gesetzt. Das episodische Gedächtnis das dem expliziten (bewusst zu machenden) und deklarativen (in Sprache zu fassenden) System der Gedächtnisorganisation zugerechnet wird (Markowitsch und Welzer 2006), kommt im aktivierten Zustand stets auch in Kontakt mit impliziten, primär nicht in Sprache gefassten Inhalten. Auf dem impliziten Niveau eröffnet sich hier der Zugang zu basalen, von Körperempfindungen und Affekten geprägten Beziehungserfahrungen, die im Format des prozeduralen Gedächtnisses abgespeichert sind. Auf dem expliziten Niveau sind mentale »Zeitreisen« möglich, die einen spielerischen Umgang mit Vergangenheit wie Zukunft erlauben. So lässt sich z. B. ein früheres Misserfolgserlebnis auf der Bildebene der KIP erneut in Szene setzen, um probehandelnd alternative Lösungsansätze durchzuspielen und das zu erwartende Gefühl des Stolzes sinnlich-affektiv-körperlich im prozeduralen Gedächtnis wie in den korrespondierenden neuronalen Netzwerken zu verankern. Visuelle Eindrücke, die aus dem unmittelbaren Erleben der Realität kommen, werden in dieselben Hirnregionen projiziert wie die in der Imagination produzierten Vorstellungen (Kosslyn et al. 1995). Dies entspricht unserer klinischen Erfahrung der äquipotenten Wirksamkeit von »Einbildungen«.

Alles Erinnern spielt sich – Bild für Bild und Szene für Szene – nirgendwo anders als in der Gegenwart ab. Insofern ist das gegenwärtige Erleben in therapeutischer Hinsicht funktionell gleichwertig mit dem Erinnern. Aus dem gegenwärtigen Erleben heraus können die in der Episodenaktivierung aufs Neue zugänglich gewordenen Szenen der Vergangenheit im Rahmen der KIP für ein künftiges Erinnern im Dienste einer besseren Bewältigung der Realitäten umgeformt werden. Da der Erinnerungsvorgang kontextuell erheblich von der jeweiligen Situation und Gestimmtheit beeinflusst wird, kommt es nun darauf an, im gegenwärtigen Kontext günstige Bedingungen vorzuhalten. Hierzu gehören eine für die KIP typische kooperative Beziehung (Ullmann 2012c; image Kap. 8.1) und spezifische Vorgehensweisen, die für eine angemessene Vorbereitung der Imaginationsübungen sorgen. Die Aufmerksamkeit des Therapeuten sollte auf Ressourcen, Kompetenzen, anzustrebende Ziele und eine förderliche Gemütsverfassung seines Patienten gerichtet sein, bevor die ersten Tagtraumübungen durch ein passendes Vorstellungsmotiv eingeleitet werden. So wäre es z. B. unpassend und schädlich, einen Patienten in der akuten depressiven Phase einer rezidivierenden Depression zum Imaginieren anzuleiten oder bei traumatisierten Menschen mit Vorstellungsmotiven zu beginnen, die das durchgemachte Leid zur Unzeit reaktivieren würden.

Die Inhalte des episodischen Gedächtnisses können wegen der bei jedem Abruf erfolgenden Umformung nicht deckungsgleich mit der ursprünglich erlebten Realität sein, die ja ihrerseits bereits subjektiv ausgestaltet