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MEDICAL TRAINING
FÜR HUNDE

KÖRPERPFLEGE UND TIERARZTBESUCHE
VERTRAUENSVOLL MEISTERN

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(Foto: Archiv Animal Training Center/salonloewe.org)

Anna Oblasser-Mirtl
und Barbara Glatz

MEDICAL TRAINING
FÜR HUNDE

KÖRPERPFLEGE UND TIERARZTBESUCHE
VERTRAUENSVOLL MEISTERN

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Haftungsausschluss

Autorinnen und Verlag haben den Inhalt dieses Buches mit großer Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch und Tier, die als Folge von Handlungen und/oder gefassten Beschlüssen aufgrund der gegebenen Informationen entstehen, kann dennoch keine Haftung übernommen werden.

IMPRESSUM

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Copyright © 2016 Cadmos Verlag, Schwarzenbek

Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

ISBN Print: 978-3-8404-2521-9

ISBN EPUB: 978-3-8404-6434-8

INHALT

Vorwort von Ken Ramirez

Tiertraining im 21. Jahrhundert

Die Vorteile des Medical Trainings

Welches Training ist sinnvoll?

Die drei Säulen des erfolgreichen Medical Trainings

Säule 1: Vertrauen – Bindung und Ehrlichkeit

Säule 2: Respekt – Selbstbestimmung und Kooperation

Säule 3: Training – Erklärung und Generalisierung

Der perfekte Start ins Leben

Vertrauensaufbau bei Welpen

Doktorspiele – die Sozialisierungsphase nutzen

Tipps für Züchter

Management und Troubleshooting

Ein vertrauensvolles Umfeld schaffen

Hilfe, es klappt nicht!

Medical Training in der Praxis

Trainingspläne für Kooperationsverhaltensweisen

Trainingspläne für Übungen aus dem Medical Training

Anhang

Hilfreiche Quellen

Videos zu diesem Buch

VORWORT VON KEN RAMIREZ

Ich habe schon immer an die Wichtigkeit von Medical Training geglaubt. Daher trete ich seit Jahren dafür ein, dass Training, das zu einer besseren medizinischen Betreuung führt, ein Schwerpunkt im Tiertraining sein sollte. Menschen trainieren ihre Tiere aus den unterschiedlichsten Gründen wie Erziehung, Erhaltung, Forschung, Unterhaltung, Sport, Arbeit und viele andere. Sie alle halte ich jedoch für zweitrangig. Ich bin der Überzeugung, dass es drei Hauptgründe für Training gibt, von denen jeder direkt zu einem gesteigerten Wohlbefinden des jeweiligen Tieres beiträgt:

1. Körperliche Auslastung: Wenn ein Tier in unserer Obhut ist, wird es mit allen Ressourcen versorgt. Das Tier kann es sich leicht bequem machen und erhält dann nicht die nötige Bewegung. Ein gutes Trainingsprogramm stellt sicher, dass ein Tier die Bewegung bekommt, die für seine Gesunderhaltung erforderlich ist.

2. Geistige Auslastung: Egal, ob man mit domestizierten oder exotischen Tieren arbeitet, alle brauchen regelmäßige geistige Stimulierung. Das Gehirn wild lebender Tiere ist ständig gefordert, sie müssen sich um die Beschaffung ihrer nächsten Mahlzeit kümmern, sich vor Feinden schützen, einen Partner suchen, ein Nest oder eine Höhle bauen. Wenn das Tier in einem Zoo aufwächst, haben wir über Training die Möglichkeit, sein Leben spannender zu gestalten und es zum Denken anzuregen. Auch Haustieren kann es langweilig werden, wenn sie zu wenig geistige Auslastung bekommen. Über Training können wir unsere Begleiter mental fordern.

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Ken Ramirez ist einer der weltweit renommiertesten Tiertrainer. (Foto: Archiv Animal Training Center)

3. Kooperationsverhalten: Der wahrscheinlich wichtigste Grund, um mit Tieren zu trainieren, ist, ihnen beizubringen, bei der eigenen Pflege mit dem Menschen zu kooperieren. Das kann viele Verhaltensweisen beinhalten (wie An-lockerer-Leine-Gehen, In-die-Box-Gehen, Auf-die-Waage-Steigen, Krallenschneiden zulassen und vieles mehr). Einem Tier Kooperationsverhalten beizubringen, fördert dessen Vertrauen und reduziert gleichzeitig Stress bei medizinischer Versorgung.

Mit großer Freude erfüllte mich daher, dass Anna Oblasser-Mirtl und Barbara Glatz sich in ihrem neuen Buch dem Medical Training für Hunde widmen. In der Welt des Zootiertrainings hat man schon vor Jahrzehnten den Nutzen des Medical Trainings erkannt, aber dieses Wissen hat sich noch nicht ganz bis in die Welt des Haustiertrainings durchgesetzt. Dieses Buch soll die Lücke füllen und Hundehaltern vermitteln, wie wichtig Medical Training ist und wie man es möglichst einfach und erfolgreich umsetzen kann. Wir Menschen sind für unsere vierbeinigen Freunde verantwortlich. Jeder Versuch, deren Lebensqualität zu verbessern, kann daher nur uneingeschränkte Zustimmung finden. Ich bin sicher, dass dieses Buch zum gesteigerten Wohlbefinden von Hunden beitragen wird.

Ken Ramirez ist stellvertretender Vorsitzender und Ausbildungsleiter bei „Karen Pryor Clicker Training“, wo er für die Philosophie, Entwicklung und Umsetzung der Aus- und Fortbildungen der Organisation verantwortlich ist. Davor war Ken als stellvertretender Vorsitzender für Tierpflege und -training im Chicago Shedd Aquarium tätig, wo er für die Weiterentwicklung und Beaufsichtigung der Tierpflege und der Programme für Tiergesundheit, für Mitarbeiterschulungen sowie für die öffentliche Vorführung von über 32 000 Tieren zuständig war. Im Shedd Aquarium arbeitete Ken mehr als 25 Jahre; bis heute steht er dort als Berater zur Verfügung. Der Biologe und Verhaltensforscher hat mehr als 35 Jahre Erfahrung und war bereits für viele Zoos weltweit als Berater und Betreuer von Trainingsprojekten tätig. Seine Trainerkarriere begann mit dem Training von Blindenhunden und Haustiertraining, das bis heute eine seiner Leidenschaften geblieben ist. In zwei erfolgreichen Staffeln der TV-Serie Talk to the Animals verglich er das Training von Haustieren mit der wichtigen Trainingsarbeit, die in Zoos durchgeführt wird. Jüngst arbeitete Ken mit unterschiedlichsten Such- und Rettungshundestaffeln, Assistenzhunden und Sprengstoff- und Drogenspürhunden. Er engagiert sich in verschiedenen professionellen Organisationen wie der „International Marine Animal Trainer’s Association“ (IMATA), wo er auch Vorsitzender war, und hat aktiv an einem Zertifizierungsverfahren für Tiertrainer in Zoos mitgearbeitet. Er hat etliche wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht und zahllose beliebte Artikel verfasst. 1999 erschien sein Buch ANIMAL TRAINING: Successful Management through Positive Reinforcement. Aktuell unterrichtet er unter anderem einen Universitätslehrgang an der Universität von Western Illinois.

TIERTRAINING IM 21. JAHRHUNDERT

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(Foto: Archiv Animal Training Center/salonloewe.org)

Im modernen Training versteht man es, Hunden Unglaubliches beizubringen. Verschiedenste Hundesportarten füllen mittlerweile zahllose Kurse. Immer mehr dieser Sportarten beschäftigen sich bereits mit für Körper und Psyche wertvollen Themen wie Gymnastik und Bindungsarbeit.

Relativ neu hält das sogenannte Medical Training Einzug in die Hundeszene. Medical Training beinhaltet jene Verhaltensweisen, die bei der medizinischen Versorgung und der allgemeinen Pflege von Tieren hilfreich sind. In zoologischen Anlagen ist es vor allem in den USA seit Langem üblich, Tiere so zu trainieren, dass sie bei diesen Dingen freiwillig kooperieren. Dadurch kann bei vielen medizinischen Eingriffen auf eine Sedierung oder Narkose verzichtet werden. So lassen sich nicht nur deren Nebenwirkungen und Risiken vermeiden, sondern das gezielte Training bietet dem jeweiligen Tier darüber hinaus eine tolle geistige Beschäftigung.

In Zoos, wo viele Tiere eher zurückhaltend sind und sich nicht einfach so aus aller Nähe betrachten oder gar anfassen lassen, ist Medical Training offensichtlich enorm hilfreich und mittlerweile nicht mehr wegzudenken.

Das Ziel dieses Trainings ist ein entspanntes Miteinander, auch in oft stressigen Situationen. Es liegt nahe, dass davon längst nicht nur Zootiere, sondern auch Hunde und alle anderen Tiere profitieren. Mittels positiver Bestärkung wird dem jeweiligen Tier „erklärt“, was gleich passieren wird und dass es für seine Kooperation eine reichliche Belohnung erwartet. Unter Berücksichtigung der wichtigen Säulen des Medical Trainings, die im Folgenden vorgestellt werden, kann also jeder Hund in strukturierten, kurzen Einheiten lernen, dass er vor dem Bürsten keine Angst haben muss, die Pfote zum Krallenschneiden freiwillig nach vorn streckt und auch bei Spritzen und Blutabnahmen stillhält. Das Geheimnis ist, aus ehemaligen Horrorszenarien bei der Pflege oder beim Tierarzt lustige Übungen zu machen, bei denen der Hund sich etwas ganz Besonderes verdienen kann.

Meine ersten Erfahrungen mit dem Medical Training

von Anna Oblasser-Mirtl

Während meines Studiums am Moorpark College in Kalifornien habe ich den Auftrag erhalten, den Siamang-Affen Malay zu trainieren. In den USA ist es Pflicht, Primaten jährlich auf Tuberkulose zu testen. Normalerweise wird das Tier dafür mit einem Pfeil aus dem Blasrohr narkotisiert. Im ersten Schreck flüchten die meisten Tiere möglichst weit hinauf. Wenn die Narkose dann wirkt, können sie sich nicht mehr halten und fallen häufig unsanft auf den Boden, wobei es zu Verletzungen kommen kann. Danach wird eine kleine Menge des Testmittels ins Augenlid injiziert, damit die Reaktion nach 48 Stunden ohne weitere Narkose, jedoch durch eine optische Kontrolle überprüft werden kann. Dieser gesamte Prozess birgt unnötige Gefahren und versetzt das Tier in Angst und Stress.

Dabei lässt sich das alles so einfach vermeiden. Da Malay auf vorhergehende Narkosen allergische Reaktionen zeigte, war es meine Aufgabe, ihr beizubringen, sich diese für sie unangenehme Prozedur ohne Narkose gefallen zu lassen. Innerhalb einer relativ kurzen, jedoch von Vertrauen geprägten Zeit lernte sie, für besonders gute Leckerbissen ihren Arm aus dem Gehege zu strecken, sich an einer bestimmten Stelle am Arm rasieren und das Mittel injizieren zu lassen. Zwei Tage später konnte der Tierarzt das Ergebnis des Tests durch erneutes Zeigen der Einstichstelle wunderbar einfach kontrollieren. Malay hat sich dabei sehr wohlgefühlt und ihre Belohnung gern angenommen.

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Durch das Training ist eine einzigartige Freundschaft zwischen Anna und Malay entstanden. (Foto: Archiv Animal Training Center/Anna Oblasser-Mirtl)

Dieses Erlebnis war für meine Arbeit mit Tieren ein ausschlaggebender Wendepunkt. Von da an wurde es für mich oberste Priorität, zum Wohl des Tieres zu trainieren. Durch Malays Vertrauen und ihren Lerneifer haben wir viele magische Momente erlebt, die uns wohl beide für immer geprägt haben.

Die Vorteile des Medical Trainings

Früher wurden Tiere trainiert, um dem Menschen zu nutzen. Ziel des modernen Trainings ist es, dass auch das Tier profitiert, nämlich indem seine Lebensqualität verbessert wird.

Viele Haustiere haben große Angst vor dem Tierarzt, dem Hundefriseur oder auch einfach nur davor, berührt zu werden. Schlechte Erfahrungen oder eine mangelnde Sozialisierung sind die häufigsten Ursachen dafür. Manche Tiere möchten sich auch einfach nicht von fremden Personen anfassen lassen. Medical Training kann hier Abhilfe schaffen und bringt dabei folgende Vorteile:

Stressreduktion

Durch das tierfreundliche und gut verständliche Training wird dem Hund gezeigt, was mit ihm passiert, sodass er sich darauf einstellen kann. Wenn der Hund kooperiert, muss er nicht mehr gezwungen werden. Das kann den Stress des Tieres enorm verringern.

Selbstbestimmung

Der Hund bekommt die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob er sich für einen Eingriff bereit fühlt. Das erhöht die Kooperationsbereitschaft wesentlich.

Vertrauen

Medical Training erfordert bedingungslose Ehrlichkeit. Der Hund wird niemals mit einer Untersuchung oder Pflegemaßnahme überfallen, sondern er kennt die Vorgänge genau. Unangenehmes wird immer angekündigt. Dies führt zu einem tiefen Vertrauen und einer unerschütterlichen Bindung zwischen Mensch und Hund.

Gesundheit

Medical Training erleichtert die Grundversorgung des Hundes und führt zu einem gesünderen, gepflegteren und vor allem zufriedeneren Hund. Sowohl die Pflege als auch die medizinische Versorgung werden mit relativ wenig Aufwand effizienter und einfacher.

Beschäftigung

Medical Training ergänzt die Liste der Beschäftigungsmöglichkeiten für Hunde um eine besonders wertvolle Komponente. Richtig aufgebaut ist Medical Training für den Hund dasselbe wie Tricktraining, jedoch kommen viele kleine Vertrauensbeweise dazu. Durch das gemeinsame Überwinden von kleinen und größeren Hürden wird das Vertrauen zwischen Hund und Besitzer immer wieder neu gestärkt.

Praxisbeispiel

Das Fell eines Pudels muss alle paar Wochen geschoren werden. Es ist also sehr sinnvoll, dies besonders gut zu trainieren, um dem Hund regelmäßigen Stress zu ersparen. Ein Golden Retriever wird normalerweise nur dann geschoren, wenn er eine Verletzung hat oder ihm Blut abgenommen wird. Für diesen Hund genügen wahrscheinlich andere vorbereitende Übungen wie Geräuschsozialisierung, Anfassen, Stillhalten oder ein Ich-bin-bereit-Signal.

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Für Corona ist der Tierarztbesuch eine lustige Übung ohne Stress.
(Foto: Archiv Animal Training Center/Daniela Juwan)

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Daphie bestimmt selbst, wann ihre Krallen geschnitten werden.
(Foto: Archiv Animal Training Center/salonloewe.org)

Wichtig!

Je mehr der Hund zu einer Behandlung gezwungen wird, desto größer wird sein innerer Widerstand. Bekommt der Hund hingegen mehr Kontrolle über Eingriffe, die seinen Körper betreffen, trägt dies zu seinem Wohlbefinden bei. Was, wann und wie schnell welcher Eingriff durchgeführt wird, darf er – solange es die Situation erlaubt – selbst mitbestimmen.

Welches Training ist sinnvoll?

Welches Training für welchen Hund sinnvoll ist, ist sehr individuell. Überlegen Sie genau, welche Pflegemaßnahmen, Untersuchungen und Behandlungen für Ihren Hund bisher notwendig waren, derzeit notwendig sind oder in Zukunft wichtig werden könnten. Schreiben Sie dann fürs Erste fünf Verhaltensweisen auf, die Ihr Hund zeigen sollte und die derzeit noch Verbesserungspotenzial haben. Überlegen Sie auch, ob es Dinge gibt, die schon gut klappen, und schreiben Sie diese auf eine weitere Liste, um den Überblick über alle bereits erfolgreich trainierten Verhaltensweisen zu behalten. Genießt Ihr Hund beispielsweise die Fellpflege mit der Bürste und hat absolut kein Problem damit, ist das schon ein toller Erfolg. Ihr Hund findet das Bürsten keineswegs von Geburt an toll. Sie oder andere Personen, mit denen Ihr Hund Kontakt hatte, haben es erfolgreich geschafft, ihm zu zeigen, dass Bürsten etwas Angenehmes ist. Wählen Sie für den Beginn des Trainings eine Übung, die für Sie selbst und Ihren Hund möglichst klar und einfach ist. Arbeiten Sie in kleinen Schritten daran, damit Zwischenziele leicht und innerhalb relativ kurzer Zeit erreicht werden können. Das motiviert und gibt das nötige Selbstvertrauen, um später echte „Problemzonen“ in Angriff nehmen zu können.

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Findet eine Maßnahme wie das Scheren regelmäßig statt, ist es zur Stressvermeidung ratsam, die freiwillige Teilnahme zu trainieren. (Foto: Archiv Animal Training Center/Daniela Juwan)

Nun wünschen wir Ihnen und Ihrem Hund viel Spaß und Erfolg bei der Umsetzung der Übungen aus diesem Buch. Ganz nach dem Motto: „Don’t complain, train!“

DIE DREI SÄULEN DES ERFOLGREICHEN MEDICAL TRAININGS

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(Foto: Archiv Animal Training Center/salonloewe.org)

Wie bereits angesprochen, basiert das Medical Training auf drei Säulen, die das Fundament für den Erfolg bilden. In diesem Kapitel geht es also darum, woraus diese Säulen bestehen und wie sie aufgebaut werden können.

Säule 1: Vertrauen – Bindung und Ehrlichkeit