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Dörte Müller

Tierische Geschichten


Für alle Tierfreunde


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Tierische Geschichten

 

 

 Inhaltsverzeichnis

 

1. Emil sucht das große Glück

 

2. Der alte Tiger

 

3. Paul Panda

 

4. Die traurige Schnecke

 

5. Pattax, der kleine Pinguin

 

6. Der grüne Vogel

 

7. Die verrückte Möwe

 

8. Ella und der Elch

 

9. Ben und die Schildkröte

 

10. Hans und der Frosch

 

11. Igor und der Igel

 

12. Die kleine Kohlmeise fliegt in den Süden

 

13. Drei Katzen wandern aus

 

14. Hase Hoppel findet einen Freund

 

15. Kai und der Papagei

 

16. Anna und das Kätzchen

 

17. Der alte Fuchs feiert Weihnachten

 

18. Das Erdmännchen, das nicht ausziehen wollte

 

 

 

Emil sucht das große Glück

 

 

Emil stand auf seiner kleinen Weide und blickte sich um. Emil war ein Esel und gehörte zu den Tieren, die auf der kleinen Farm lebten. Es war Sommer und er blickte in den blauen Himmel. Er spürte die wärmenden Strahlen der Sonne auf seinem Fell und freute sich an den Blumen, die auf seiner Weide blühten. Der Hahn krähte auf dem Misthaufen und das Schaf graste neben ihm. Das war schon immer so gewesen.

 

 

Emil war hier aufgewachsen und kannte nichts anderes. Alle waren gut zu ihm, er hatte ein Dach über dem Kopf und genug zu fressen. Jeder Tag war gleich, nur die Jahreszeiten änderten sich.

Im Winter stand er öfter im Stall, im Sommer graste er auf der Weide. In Emils Leben war noch nichts Außergewöhnliches passiert. Warum auch. 

 

 

 

Da sah er einen Schmetterling. Er war ganz bunt, setzte sich auf eine Blume und flog davon. Emil sah dem Schmetterling nach, bis er im Blau des Himmels verschwunden war.

 

 

„Ich möchte auch gerne wegfliegen können und die Welt sehen!“, dachte er da bei sich und es wurde ihm klar, dass er noch nichts von der großen weiten Welt gesehen hatte. Nachdenklich trabte er bis an sein Zäunchen. Daneben war ein kleiner Wanderweg und dann erstreckte sich bis zum Horizont ein großes Maisfeld. Ganz hinten in der Ferne sah er Bäume. Das Hängebauchschwein Bruno, das neben dem Esel auf der Wiese lag und döste, hatte ihn beobachtet.

„Was starrst du in die Ferne, Emil?“, fragte es den Esel neugierig.

„Ich denke gerade darüber nach, wie schön es sein muss, die Welt zu sehen und sein Glück zu finden!“

„Aber bist du denn nicht glücklich hier auf unserer Farm?“, fragte das Schwein nach.

„Ich weiß es nicht genau. Was ist eigentlich Glück?“, fragte Emil. Das Schwein grunzte. „Glück ist, wenn ich hier in der Sonne dösen kann und mein Futter bekomme. Mehr will ich nicht vom Leben.“ Emil seufzte. Seit er diesen schönen Schmetterling gesehen hatte, konnte er an nichts anderes denken, als sein Glück zu suchen und die Welt zu sehen. Denn wenn er so über sein Leben nachdachte, fand er, dass er nicht glücklich war.

Als es dunkel wurde und der Bauer allen Tieren das Futter gebracht hatte, ging der Esel abermals zum Zaun. Dann zögerte er nicht lange. Er ging einige Schritte zurück, nahm einen großen Anlauf und sprang mit einem Satz über den kleinen Zaun. Verwundert blickte er sich um. Dass er nicht schon viel eher auf diese Idee gekommen war ...! Sein Herz klopfte wie wild. Das hatte er vorher noch nie gespürt. Bruno war wach geworden.

„Emil, was hast du vor?“, fragte er verwundert.

„Ich ziehe in die Welt und suche mein Glück!“, antwortete der Esel und marschierte los. „Wenn das man gut geht!“, seufzte das Schwein und blickte dem Esel verwundert nach.

Emil war ganz aufgeregt. Er trabte glücklich den kleinen Weg entlang und schnupperte den Geruch der Freiheit.

„Ich bin glücklich!“, dachte er bei sich und war froh, seine kleine Weide verlassen zu haben. Doch es wurde kälter und kälter. Bald schon wusste Emil nicht mehr, wo er eigentlich war. Dann wurde er plötzlich sehr müde und seine Beine taten ihm weh. Der Mond hatte sich hinter einer Wolke versteckt und es war ziemlich dunkel.

 

 

 

Emil legte sich erschöpft ins Gras unter einen großen Baum. Am Himmel zuckten Blitze, es donnerte.

„Auch das noch!“, dachte Emil, als ihm der erste Regentropfen auf die Nase platschte.

„Glück hat seinen Preis!“, ging es ihm durch den Kopf und dann schlief er ein. Er war so müde, dass er von dem Gewitter kaum etwas mitbekam. Die Zweige des Baumes hatten ihn geschützt, das war sein Glück gewesen.

Am Morgen wachte er erst sehr spät auf. Sein Magen knurrte vor Hunger und er fraß sich erst mal so richtig satt. Die Gräser waren dick und saftig, ganz anders als auf seiner kleinen Weide. Als er sich satt gefressen hatte, hörte er das Geräusch eines Treckers. Sein Herz fing wieder an, sehr schnell zu schlagen. „Ob der Bauer mich sucht?“, ging es ihm durch den Kopf. Schnell versteckte er sich in dem hohen Maisfeld. Der Trecker fuhr ratternd an ihm vorbei. Da kratze ihn auf einmal etwas an seinem linken Bein. Er blickte an sich hinunter und sah eine kleine Maus.

„Was machst du hier in meinem Maisfeld?“, fragte die Maus neugierig und sah den Esel herausfordernd an. „Ich komme von weither und suche das Glück!“, antwortete der Esel nicht ohne Stolz. Die Maus sah den Esel interessiert an.

 

 

„Ich habe das Glück hier in diesem Feld gefunden!“, sagte sie schließlich. „Hier gibt es genug zu essen und ich habe Schutz vor der Hitze!“ Der Esel freute sich. Er war froh, dass er das Glück so schnell gefunden hatte. Er beschloss, ebenfalls hier im Maisfeld zu leben. Doch schon nach kurzer Zeit war ihm alles zu langweilig. „Ich kann gar nicht frei herumgaloppieren und ich habe keinen schönen Ausblick!“, beklagte er sich. „Das macht doch nichts!“, entgegnete die Maus fröhlich und knabberte an einem Maiskolben herum. Traurig schüttelte der Esel den Kopf. Das Maisfeld war nicht sein Glück. Er musste weiter. Er verabschiedete sich von der Maus und trabte davon.

Nachdem er lange Zeit gelaufen war, kam er an einen Teich. Hier machte er eine Pause und trank einen Schluck Wasser. Ein kleiner Frosch, der auf einer Seerose saß, gesellte sich zu ihm und fragte ihn, woher er käme. „Ich suche das Glück!“, antwortete der Esel. „Dann bleibe hier. Hier ist es wunderschön. Du kannst baden, wann immer du willst und die Sonne spiegelt sich so herrlich auf dem Wasser!“ Der Esel sprang in den Teich und schwamm. Es war sehr schön erfrischend, doch bald hatte er sich in einigen Algen verfangen und viele Mücken schwirrten um seinen Kopf. Er wollte den stechenden Mücken entkommen und tauchte unter Wasser. Das hatte er noch nie in seinem Leben gemacht. Hunderte von Fischen schwammen ihm entgegen und er hatte das Gefühl, etwas Bedrohliches bewegte sich auf ihn zu. Es kam näher und näher. War es ein Ungeheuer, das in der Tiefe lauerte? Der Esel bekam Panik und schwamm um sein Leben. Das unheimliche Wesen war schneller als er und hatte ihn bald eingeholt. Es sah aus wie ein Mensch mit Flossen.

„Ich muss hier raus!“, rief der Esel und schwamm an Land. Der Froschmann war ihm noch immer auf den Fersen. „Ich fasse es nicht, ein tauchender Esel!“, rief er aus und versuchte, Emil zu knipsen. Emil fühlte sich bedroht und verfolgt. Was war so schlimm daran, in einem See zu schwimmen?

Zum Glück war er schneller als der Froschmann und hatte ihn schließlich abgehängt. Im Schatten der Bäume konnte er sich ausruhen. Erschöpft fiel er ins Gras. Da sah er wieder den bunten Schmetterling, der auf einer Blume landete. „Wegen dir bin ich losgezogen!“, murmelte der Esel vor sich hin und konnte plötzlich nicht mehr begreifen, warum er sich überhaupt auf den Weg gemacht hatte.

Langsam wurde es Abend. Der Esel legte sich zum Schlafen unter einen Baum. Da wurde ihm das Herz plötzlich schwer und er dachte an das Hängebauchschwein und an seine kleine Weide. Plötzlich wurde ihm klar, wie er seine kleine Welt vermisste. Den netten Bauern, die kleine Farm, den krähenden Hahn und das freundliche Schaf. Der Esel heulte dicke Tränen und nahm sich vor, gleich morgen wieder nach Hause zu wandern.

„Ich glaube, ich hatte das Glück zu Hause. Leider war es mir nicht klar!“

 

Am nächsten Morgen machte er sich sofort auf den Weg. In Gedanken überlegte er schon, wie er dem Schwein, dem Schaf und dem Hahn von seinen Abenteuern erzählen würde. Er musste lächeln. Dieser Gedanke war es, der ihn schließlich glücklich machte.