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Die Bibelstellen sind nach der im gleichen Verlag erschienenen „Elberfelder Übersetzung“ (Edition CSV Hückeswagen) angeführt.

1. Auflage 2016

© Christliche Schriftenverbreitung, Hückeswagen
Umschlaggestaltung: www.freudedesign.de
Satz und Layout: VCG, www.vvcg.de
Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

ISBN Printversion: 978-3-89287-409-6
ISBN E-Book: 978-3-89287-563-5

www.csv-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Nachdem ich vor vielen Jahren das Buch „Elisa, der Prophet“ veröffentlicht hatte, wurde ich manchmal gefragt, warum ich Elia ausgelassen hätte. Einen besonderen Grund dafür kann ich nicht nennen, doch nun habe ich ein Buch über den berühmten Vorgänger Elisas veröffentlicht. Möge seine Botschaft hilfreich für uns alle sein.

Wir laufen Gefahr, die Persönlichkeiten der Vergangenheit – insbesondere solche, deren Leben uns in der Heiligen Schrift beschrieben wird – in einem falschen Licht zu betrachten. Für den gewöhnlichen, alltäglichen Menschen unserer Zeit scheint es, als hätten diese Charaktere auf unerreichbaren Höhen gelebt. Wir blicken mit Ehrfurcht auf Abraham, Mose, Elia und Paulus (um nur einige zu nennen) und wir empfinden vielleicht, dass wir gar nicht zu hoffen brauchen, jemals so zu leben, wie sie gelebt haben, und so zu dienen, wie sie gedient haben. Dadurch bekommen wir einen unrealistischen Eindruck von diesen Persönlichkeiten.

Besonders im Fall von Elia wollte der Heilige Geist dies verhindern. In Jakobus 5,17 wird uns gesagt, dass er „ein Mensch von gleichen Empfindungen wie wir“ war. Dies bedeutet, dass dieser bemerkenswerte Mann Gottes, dessen Name nie vergehen wird, sich nicht wesentlich von irgendeinem Christen der heutigen Zeit unterschied. Sicherlich war er kühn und mutig. Aber er konnte auch niedergeschlagen, ängstlich und ich-bezogen sein. Im Gegensatz zu menschlichen Schreibern von Lebensbildern berichtet uns der Heilige Geist die vollständige Wahrheit über die Charaktere, von denen Er schreibt.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die alttestamentlichen Gläubigen nicht so bevorrechtigt waren wie wir. Sie kannten Gott als den Allmächtigen und als Herrn, aber nicht als Vater. Denn „der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist“, war noch nicht gekommen, um Ihn kundzumachen (Joh 1,18). Da sie noch auf der anderen Seite des Kreuzes lebten, kannten sie außerdem noch nichts von den Vorrechten, Segnungen und innigen Beziehungen, die in den Briefen der Apostel entfaltet werden. Der Heilige Geist war ihnen noch nicht als Gabe der göttlichen Liebe gegeben worden. Dies konnte nicht geschehen, ehe nicht der auferstandene Christus seinen Platz in der Höhe, auf der Grundlage einer vollbrachten Erlösung, eingenommen hatte (Joh 7,39). Zweifellos gab es von Zeit zu Zeit in den Gläubigen besondere Entfaltungen der Macht des Heiligen Geistes für spezielle Dienste. Aber das ist nicht das Gleiche wie die bleibende Gabe des Heiligen Geistes in den Gläubigen bis in alle Ewigkeit (Joh 14,16). Wir sind also begünstigter und es steht uns mehr zur Verfügung als dem Propheten, der der Gegenstand dieses Büchleins ist.

Was machte Elia zu dem mächtigen Mann, der er war? Es war das Gebet, dem tiefgehende Überlegungen über die politischen und sozialen Umstände seiner Zeit vorausgegangen waren. Er lebte in bewusster Abhängigkeit von Gott, der seine Kraft und Stütze war. Dies steht auch allen Heiligen zu allen Zeiten offen. Manchmal entschuldigen wir unsere Erfolglosigkeit im Dienst mit den Worten: Es ist ein „Tag kleiner Dinge“ (Sach 4,10). Andere meinen jedoch, dass wir besser sagen sollten: „Es ist ein Tag kleiner Menschen.“ Aber warum sollten wir kleine Menschen sein? Warum sollten nicht auch wir mit Eifer für die Verherrlichung Gottes erfüllt sein? Unsere Arbeit wird sich natürlich in ihrem Wesen von der des Elia unterscheiden, denn jede Krise hat ihre eigenen Nöte und Bedürfnisse. Aber Gott weiß, wo Er seine geeigneten Werkzeuge finden kann.

Und warum sollte der Leser dieses Buches nicht wie Jesaja sagen: „Hier bin ich, sende mich“ (Jes 6,8)?

Elia, der Prophet

Nahezu 3000 Jahre sind seit dem Zeugnis Elias für Gott vergangen, und doch ist er keineswegs vergessen. Ein von Gott gewecktes Ohr hört heute noch so wie damals seine festen Tritte und scharfen Worte. Seine strenge, öffentliche Verurteilung des Bösen verursachte in allen Bevölkerungsschichten Zittern und Beben vor ihm. In seinem brennenden Eifer für Gott und in seiner gerechten Empörung über den Abfall seiner Nation war der Prophet gegenüber Königen, Priestern, Propheten und dem Volk gleichermaßen kühn. In dieser Hinsicht ähnelt ihm Johannes der Täufer. Der Herr, der Gott Israels, gegen den dieses Volk auf so schlimme Weise untreu geworden war, war für Elia lebendige Wirklichkeit. Die Kenntnis Gottes und das Bewusstsein seiner Gegenwart („vor dessen Angesicht ich stehe“; 1. Kön 17,1) ermutigte ihn mehr als alle seine Zeitgenossen.

Das Nachsinnen über einen Menschen von solchem Charakter wird für alle, die zu irgendeiner Zeit für Gott und seine Wahrheit Zeugnis ablegen wollen, ein heiliger Ansporn sein. Nie waren entschiedene Männer vom Typ eines Elia nötiger als in der oberflächlichen Gleichgültigkeit der heutigen Zeit. Die Tage der Menschen nähern sich rasch ihrem Ende. Das Gericht Gottes kommt schnell, sowohl für das Christentum als auch für die Welt, die kein christliches Bekenntnis hat. Die schrecklichen Entwicklungen in unseren Tagen erfordern sichtbare Furchtlosigkeit und Treue.[1]

In mancher Hinsicht war Elia unter den alttestamentlichen Propheten einmalig. Er war der Erste, der einen Toten auferweckte. Er verließ die Welt, ohne den Tod geschmeckt zu haben. In Elisa hinterließ er einen unmittelbaren Nachfolger und in Johannes dem Täufer hatte er auch einen moralischen Nachfolger (Lk 1,17; Mt 17,12). Mehr noch, Elia wurde sogar mit Mose auf diese Erde zurückgesandt, um dem Herrn Jesus auf dem Berg der Verklärung Ehre zu geben. Und bis heute ist sein Dienst noch nicht vollständig erfüllt: Seine Stimme wird im Land Israel noch einmal gehört werden (Mal 3,23).

Die Propheten Gottes verkündigen nicht notwendigerweise ausschließlich zukünftige Ereignisse. Zwar haben einige dies getan, insbesondere Jesaja, dessen durch den Geist geleitete Verkündigungen und Aussprüche außergewöhnlich reich und umfassend sind. Viele andere jedoch haben sich, wie Elia, ausnahmslos mit den bestehenden Zuständen unter dem Volk beschäftigt. Es ist eine einfache Regel im Bibelstudium, die erste Erwähnung eines Ausdrucks durch den Heiligen Geist zu untersuchen, um die Bedeutung zu erkennen, die dieser Ausdruck das ganze Wort Gottes hindurch hat. Jemand hat einmal gesagt, dass Gott in seiner Güte den Schlüssel direkt innen neben die Tür gehängt hat. Wir begegnen dem Wort Prophet zum ersten Mal in 1. Mose 20,7. Dort bezieht es sich auf Abraham. Durch die Belehrungen des Neuen Testaments wissen wir zwar, dass auch zwei Zeugen, die vor der Sintflut gelebt haben, Propheten genannt werden (Abel und Henoch; Lk 11,50.51; Jud 14), aber trotzdem ist Abraham der erste Mann, der im Alten Testament ganz konkret Prophet genannt wird.

Wir wollen nun versuchen, diesen vom Heiligen Geist gebrauchten Ausdruck zu verstehen. Weit entfernt davon, durch Gott geleitet zu sein, ging Abraham hinab, um sich in Gerar, der Stadt der Philister, aufzuhalten. Um eine mögliche Gefahr von sich selbst abzuwenden, behauptete er, dass Sara seine Schwester sei. Der König Abimelech fühlte sich von ihr angezogen und ließ sie in sein Haus holen. Doch hier griff Gott ein, indem Er in einem Traum zu Abimelech redete: „Gib die Frau des Mannes zurück; denn er ist ein Prophet und wird für dich bitten, und du wirst am Leben bleiben“ (1. Mo 20,7). Diese Begebenheit ist zweifellos bemerkenswert, denn sie erweckt den Eindruck, dass zu diesem Zeitpunkt in dem Herzen des Philisterkönigs mehr Gottesfurcht vorhanden war als bei dem Hebräer Abraham – dem „Freund Gottes“. Trotzdem war Abraham ein Prophet und besaß als Fürsprecher einen Einfluss, den Abimelech nicht hatte! Nebenbei bemerkt können wir hieraus lernen, dass sogar dann, wenn unser geistlicher Zustand niedrig ist, unsere Vorrechte als Heilige, Priester etc. nicht von uns genommen sind, obwohl wir zu dieser Zeit keinen Genuss daran haben und sie nicht zum Segen für andere gebrauchen können.

Abraham hatte, soweit die Schrift berichtet, weder in prophetischer Hinsicht geredet noch geschrieben – obwohl ihn sein „geistliches Auge“, als es sich in einem gesunden geistlichen Zustand befand, befähigte, weit vorauszuschauen und mit Frohlocken den Tag Christi zu sehen (Joh 8,56). Ein Prophet war einfach ein Mensch, der die Gesinnung Gottes hatte und in der Lage war, dies auch auszudrücken. So werden in Psalm 105 andere Patriarchen ebenso wie Abraham als Propheten bezeichnet (V. 6.8–15). Sie waren Männer, die in Verbindung mit Gott waren und seine Gedanken so weitergeben konnten, wie es in ihren Tagen kein anderer vermochte.

Hier helfen uns auch die Worte der samaritischen Frau in Johannes 4,19. Sie sagte zu dem geheimnisvollen Fremden, der sich mit ihr unterhielt: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.“ Dabei hatte Jesus weder von zukünftigen Herrlichkeiten noch von kommenden Gerichten zu ihr gesprochen. Aber seine unerwarteten Worte über ihre fünf Ehemänner und den Mann, mit dem sie nun zusammenlebte, ließen sie empfinden, dass Er unmittelbar von Gott aus mit ihr sprach. Tatsächlich war Er Gott, offenbart im Fleisch – das hatte die Frau jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkannt.

Auch im Neuen Testament wird von Propheten gesprochen (Eph 2,20; 4,11). Zwischen ihrem Dienst und dem solcher Männer wie Jesaja oder Jeremia besteht aber keine Ähnlichkeit. Sie beschäftigten sich nicht mit der Zukunft. Ihnen war es gegeben, die Gedanken Gottes über das neue, wunderbare Werk in der Christenheit vorzustellen – vorher war die Heilige Schrift nicht vollständig. In Apostelgeschichte 21,8.9 lesen wir sogar von vier Frauen – Töchter des Evangelisten Philippus –, die weissagten. Dieser Dienst wird jedoch nicht öffentlich geschehen sein (1. Kor 14,34.35).

Über die Vorgeschichte Elias ist uns nichts berichtet. Nichts wird über seine Abstammung, sein Alter und seine Erziehung mitgeteilt, außer seinem Namen, der bedeutet: Gott ist der Herr oder Dessen Gott der Herr ist. Dies lässt auf einen gottesfürchtigen Vater schließen, der seinem Sohn im Glauben diesen Namen gab. Auch von Haggai und Maleachi beispielsweise wissen wir außer ihrem Namen nichts. Aber was macht das schon? Es ist nicht die Absicht des Geistes Gottes, uns mit Personen zu beschäftigen, sondern mit den Botschaften, die sie überbracht haben und die ihren geistlichen Wert bis an das Ende der Welt behalten werden. Lasst uns daran denken, wenn wir in den Zusammenkünften oder bei anderen Gelegenheiten Menschen zuhören, die im Namen des Herrn reden. Es ist denkbar, dass wir von einem uns völlig unbekannten Redner, dessen Fähigkeiten noch nicht einmal einen guten Eindruck auf uns machen, etwas ausdrücklich von Gott erhalten (und seien es auch nur fünf Worte; 1. Kor 14,19). Lasst uns nicht auf den Boten, sondern auf die Botschaft achten. „Den Geist löscht nicht aus; Weissagungen verachtet nicht; prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1. Thes 5,19–21).


Fußnoten

[1] Der Autor schrieb das Werk während des Zweiten Weltkriegs.

Die schlimme Vergangenheit des Volkes Israel

Das unvermittelte Auftreten Elias in der Öffentlichkeit mit seiner furchtbaren Ankündigung an den König und das Volk erfordert eine Erklärung. Furchtlos betrat er den Königshof und sagte: „So wahr der HERR lebt, der Gott Israels, vor dessen Angesicht ich stehe, wenn es in diesen Jahren Tau und Regen geben wird, es sei denn auf mein Wort!“ (1. Kön 17,1). Was für eine Botschaft des Gottes, der an anderer Stelle und zu anderer Zeit gesagt hatte: „Als Israel jung war, da liebte ich es, und aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“ (Hos 11,1). Was war der Grund für diese schreckliche, in der Weltgeschichte wahrscheinlich beispiellose Züchtigung, die durch Elia auf diese Weise angekündigt wurde?

Wie es scheint, war Ahab angesichts der Furchtlosigkeit des Boten und der Schrecklichkeit der Botschaft wie gelähmt, denn er unternahm in diesem Moment nichts gegen Elia. Dabei hatte er doch sonst keine Skrupel, unschuldiges Blut zu vergießen! Um diese Situation richtig verstehen zu können, ist es notwendig, darüber nachzudenken, in welcher Beziehung Israel zu Gott stand.

Eine mit Israel vergleichbare Stellung auf der Erde hat keine andere Nation je gehabt und das wird auch in Zukunft nicht geschehen. Israel bildete den Mittelpunkt der Wege Gottes hinsichtlich seiner Regierung und seiner Segnungen. Die Könige und Staatsmänner dieser Erde haben darüber kein Verständnis – daher sind all ihre Verhandlungen nutzlos, zur Enttäuschung für Millionen. Israel wird nicht beachtet, Christus wird nicht beachtet, Gott wird nicht beachtet! Wie kann da Beständigkeit selbst in den sorgfältigst ausgearbeiteten Plänen sein, die das friedliche Miteinander der Nationen zum Ziel haben?

Die von Gott für Israel bestimmte Stellung wird so beschrieben: „Und der HERR wird dich zum Haupt machen und nicht zum Schwanz, und du wirst nur immer höher kommen und nicht abwärts gehen, wenn du den Geboten des HERRN, deines Gottes, gehorchst“ (5. Mo 28,13). Als die Nachkommen Noahs mit ihren verschiedenen Sprachen weit zerstreut wurden und hier und da nach ihrem Gutdünken Länder in Besitz nahmen, leitete die unsichtbare Hand Gottes sie so, wie Er es im Blick auf das zukünftige Israel für nötig erachtete. Zu dieser Zeit erkannte niemand dieses Wirken Gottes. Vielleicht hat Gott zu Abraham und zu anderen davon gesprochen; dies erklärt die Worte Moses, als er die Stellung Israels unter den Nationen beschrieb, kurz bevor die Stämme Israels das Land Kanaan betraten: „Gedenke der Tage der Vorzeit, merkt auf die Jahre von Geschlecht zu Geschlecht; frage deinen Vater, und er wird es dir kundtun, deine Ältesten, und sie werden es dir sagen. Als der Höchste den Nationen das Erbe austeilte, als er voneinander schied die Menschenkinder, da stellte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der Kinder Israel“ (5. Mo 32,7.8). Die Menschen können jederzeit gewaltsam Hand an die Gebiete legen, die sie für sich begehren, doch nur wenn Gott dies zulässt, können sie dabei auch den Sieg erringen. Der allwissende Schöpfer sieht so manche Wege, in denen der Grimm der Menschen seinen Absichten dient. Es gibt also eine beherrschende Hand, die alle Bewegungen der Nationen kontrolliert – selten nimmt der Mensch sie wahr. Dies war zu den frühesten Zeiten wahr und ist es auch heute noch.

Als die ersten Nationen sich in ihren Ländern niederließen, warfen sie die Erkenntnis Gottes fort, die sie von Noah und seinen Nachkommen übernommen hatten, und stürzten sich in den Götzendienst. Römer 1,28 sagt, dass „sie es nicht für gut befanden, Gott in Erkenntnis zu haben“. Ihre Vorstellungen von einer Gottheit sanken unter dem täuschenden Einfluss Satans tiefer und tiefer. Zuerst haben sie „die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes verwandelt in das Gleichnis eines Bildes von einem verweslichen Menschen“ (Röm 1,23), dann wurden Bilder von Vieh, von Vögeln und von kriechenden Tieren aufgerichtet. Die Schlangenverehrung breitete sich aus. Es waren keine „nackten Wilden“, die auf diese Weise tiefer und tiefer stürzten, denn die alten Königreiche Babylon, Assyrien und Ägypten (neben anderen) besaßen viel Wissen und viele Kenntnisse. Aber es ist dem Menschen unmöglich, sich moralisch über das Niveau der Gegenstände seiner Verehrung zu erheben. Demzufolge werden die Verehrer von Tieren schon bald ein tierisches Verhalten annehmen. Hierbei sollte Römer 1,18–32 sorgfältig erwogen werden. Gott beschreibt hier in schrecklicher Weise die Tiefen der Verderbtheit und der Torheit, in die der Mensch hinabsinkt, wenn er Gott den Rücken zuwendet. Möge sich doch der fortschrittliche Mensch vor der immer weiter zunehmenden Gottlosigkeit hüten!

Das Land, dessen durch Gott gegebener Name „das Land Israel“ ist und von dem Gott sagt, dass es „die Zierde von allen Ländern“ ist (Hes 20,6), befand sich im Besitz von sieben anderen Nationen, als das Volk Israel seine Grenzen erreichte. Die immense Verderbtheit, mit der diese Nationen das Land erfüllt hatten, war völlig ausreichend, um ihnen jeden noch so geringen Anspruch auf weiteres Besitztum zu nehmen. In den Tagen Abrahams war das Maß ihrer Ungerechtigkeit noch nicht voll gewesen (1. Mo 15,16). Als aber die Heerscharen Israels als die Scharfrichter Gottes über sie kamen, war das Maß bereits voll und am Überlaufen. Wenn jemand daran zweifelt, dass es rechtmäßig war, diese Nationen zu vertreiben, um Raum für das auserwählte Volk des Herrn zu schaffen, so findet er in 3. Mose 18,25 die Erklärung: „Und das Land wurde verunreinigt, und ich suchte seine Ungerechtigkeit an ihm heim, und das Land spie seine Bewohner aus.“

Der Herr hatte das Land Abraham, Isaak und Jakob uneingeschränkt verheißen. Im tausendjährigen Friedensreich werden ihre Nachkommen es vom Nil bis an den Euphrat besitzen. Doch in den Tagen Josuas betraten sie es unter dem Bund vom Sinai, auf der Grundlage der Verantwortlichkeit. Die Bedingungen des Gesetzes, die vielen „Wenn“, wurden ihnen zum Verhängnis. Als Mose, der Fürsprecher und Vermittler des Volkes, starb, hinterließ er keinen Nachfolger in Bezug auf diese Aufgaben. Das Hohepriestertum war als Verbindung zwischen dem Herrn und dem Volk eingerichtet worden, und der Führer des Volkes war dessen Leitung unterstellt. „Und er soll vor Eleasar, den Priester, treten, und der soll für ihn das Urteil der Urim vor dem HERRN befragen: Nach seinem Befehl sollen sie ausziehen, und nach seinem Befehl sollen sie einziehen, er und alle Kinder Israel mit ihm“ (4. Mo 27,21).

Als das Priestertum moralisch verderbt geworden war, sprach Gott von einem König. Wenn wir die verhängnisvolle Episode von Saul, dem König nach dem Willen des Volkes, beiseitelassen, haben wir in David den von Gott erwählten König. Das Priestertum stand dann nur noch an zweiter Stelle. Unter David und Salomo erreichte das Königtum seine höchste Macht und Blüte. Diese Könige sind beide Vorbilder auf Christus, die einzig wahre Hoffnung Israels und der Nationen. David stellt Ihn als Mann des Krieges vor, der über alle Widersacher seines Volkes siegreich sein wird. Salomo ist sein Vorausbild als Mann des Friedens. Beispiellose Herrlichkeit und Wohlstand erfüllten während der Regierung Salomos das Land. Aber leider wurde dieser höchstbegabte Monarch auch zum Anführer des Volkes in Bezug auf das schwerwiegende Abweichen von Gott. Um seine vielen fremden Frauen zufriedenzustellen, füllte er das Land mit fremden Göttern (1. Kön 11).

Als der Gott der Herrlichkeit Abraham berief und ihm seine Gedanken offenbarte (Apg 7,2), war es seine Absicht, alle Nationen durch den Nachkommen Abrahams zu segnen (1. Mo 12,2.3; 22,18). Die ganze Erde war zu dieser Zeit in die Dunkelheit und Unreinheit des Götzendienstes gesunken – sogar Abrahams eigene Familie diente fremden Göttern (Jos 24,2). Es war deshalb unumschränkte Gnade Gottes, dass er Abraham so segnete und ihn dann zu einem Segen für andere machte. Das Königtum wurde in Israel als Zeugnis für Gott auf der Erde eingerichtet. Das Volk hätte als Licht für alle die Lampe der göttlichen Wahrheit treu hochhalten sollen. Als sie aber auf das Niveau der sie umgebenden Nationen herabsanken, verschwand das Zeugnis und die Segnungen der Nationen wurden damit unmöglich. Die Nationen erwarten den Tag Christi. Wenn Er in königlicher Majestät erscheinen wird, wird Er all das, was unter den Händen Adams, Noahs, Davids, Salomos und anderer misslungen ist, aufnehmen und herrlich vollenden und erfüllen.

Auf den Tod Salomos folgte die Spaltung Israels. Dieser Bruch wurde bis heute nicht geheilt. Zehn Stämme folgten der Führung Jerobeams, des Sohnes Nebats. Die übrigen beiden Stämme blieben bei dem Haus Davids. Der Herr verhieß Jerobeam ein beständiges Haus, wenn er auf seinen Wegen wandeln würde, denn Jerobeam hatte erkannt, dass Gott das untreue königliche Haus durch ihn züchtigte. Trotzdem besaß Jerobeam kein Vertrauen in Gott und sein Wort und fürchtete um die Sicherheit seines Throns, falls das Volk weiterhin nach Jerusalem zur Anbetung gehen würde. Er errichtete goldene Kälber in Bethel und Dan und baute ihnen wahrscheinlich sogar Heiligtümer (1. Kön 11,37.38; 12,26–30; Amos 7,13). Er setzte Priester aus allen Stämmen ein und missachtete so das besondere Vorrecht der Leviten. Er richtete nach seinen eigenen Vorstellungen Feste ein und handelte somit entgegen der Anordnung Gottes in 3. Mose 23. Dadurch wurde das Volk völlig von Gott als seinem Mittelpunkt und von seinen Ordnungen abgelenkt. Dies alles war weit mehr als Untreue – es war offener Abfall.

Glücklicherweise verabscheute eine beträchtliche Anzahl der Menschen dieses Böse, weil das Wort Gottes noch Autorität über ihre Herzen besaß. Sie kehrten den schlimmen Neuerungen Jerobeams den Rücken zu – in einigen Fällen unter Aufgabe ihrer Häuser und Äcker – und gingen nach Süden, wo es immer noch eine gewisse Achtung vor dem Wort Gottes gab und wo sie wenigstens in dem Haus, das nach seinem Namen genannt wurde, anbeten konnten. Dass diese beträchtliche Bewegung ein echtes Wirken des Geistes war, wird aus der folgenden Stelle deutlich: „Und ihnen folgten aus allen Stämmen Israels die, die ihr Herz darauf richteten, den HERRN, den Gott Israels, zu suchen; sie kamen nach Jerusalem, um dem HERRN, dem Gott ihrer Väter, zu opfern“ (2. Chr 11,16). Der Einfluss dieser gottesfürchtigen Einwanderer war so hoch, dass die zwei Stämme drei Jahre lang auf den Wegen Davids und Salomos wandelten. Der beklagenswerte Aufbruch dieser Nation, der Bericht über die Verderbtheit Jerobeams und seiner Anhänger und das Zusammentreffen mit dieser Menge gottesfürchtiger Seelen, die ihre ganze Habe zurückgelassen hatten, öffneten offensichtlich Rehabeam und seinen beiden getreuen Stämmen die Augen für diese schwerwiegenden Gräuel, die sich seit mehreren Jahren in dem Land entwickelten. Und für eine Weile – leider nur für eine kurze Zeit – liefen die Dinge gut.

Diese Bewegung der Bewohner des nördlichen Reiches, die den Wunsch hatten, auch dann in Treue mit dem Herrn voranzugehen, wenn die große Masse von ihm abgefallen war, hat auch für uns heute eine Botschaft. Die Geschichte Israels ist zu unserer Ermahnung geschrieben (1. Kor 10,11). Wir, die wir nun statt Israel als Zeugen für Gott in dieser Welt sind, sollten aus diesen Berichten Nutzen ziehen.

Aber wie sieht es heutzutage mit uns aus? Wenn wir unsere Bibeln bei den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte öffnen, lesen wir mit innerer Freude von den Anfängen des Christentums. Welche Liebe! Welche Hingabe! Welch frohes Festhalten an den Belehrungen der Apostel, die das Sprachrohr Gottes für diese neue Haushaltung waren!

Selbst ein flüchtiger Blick auf die dazwischenliegenden Jahrhunderte zeigt uns, dass der geistliche Verfall immer schlimmer geworden ist. Die Einheit wurde zerstört. Rivalisierende Kirchen (nationale und andere) entstanden. Die längste Zeit des Christentums hindurch wurde eindeutig Götzendienst ausgeübt. Und sogar solche Gemeinschaften, die behaupten, griechischen und römischen Aberglauben zu verabscheuen, sind von tödlichen Irrlehren durchsetzt. Deutlich erklingt der Ruf nach Absonderung aus Gottes Wort, insbesondere aus 2. Korinther 6,14–18 und 2. Timotheus 2,15–26. Aber die Absonderung muss auch gründlich und vollständig sein, wenn Gott Gefallen daran haben soll. Sie muss sich auf alle Bereiche unseres Lebens erstrecken. Der große Aufruf nach religiöser Absonderung in 2. Korinther 6,14–18 wird von dem ernsten Appell gefolgt: „Lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes“ (2. Kor 7,1). Dies geht sehr weit.

Es kann passieren, dass wir uns entschieden von den Verbindungen mit der Welt in religiösen Dingen trennen und uns außerdem noch sehr nachdrücklich gegen eine Gleichförmigkeit oder Anpassung mit der Welt aussprechen, und doch in anderen Bereichen ungerührt mit der Welt gemeinsame Sache machen; so trügerisch ist das Fleisch, sogar in den Heiligen Gottes! Es wird oft in ernster Weise vom Sonntagschristentum gesprochen – hüten wir uns vor einer Sonntags-Absonderung. Unsere Taufe lehrt, dass wir der Sünde und der Welt gestorben sind (Röm 6) – sind wir dazu bereit?

Die Israeliten, die sich selbst von der Gottlosigkeit Jerobeams und seiner Anhänger absonderten und sich in das Königreich Juda begaben, hatten den Wunsch, an den Wegen des Herrn festzuhalten, wie sie im Wort Gottes niedergeschrieben sind. Die Neuerungen durch die unheiligen Männer im Nordreich waren abscheulich in ihren Augen. Dieses vortreffliche Beispiel wollen wir nachahmen!

Die rivalisierenden Führer

Man kann sich nur schwer vorstellen, dass nach dem Tod Salomos nur wenig mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen war, als Elia mit seiner schrecklichen Ankündigung von der bevorstehenden Dürre aus der Wüste Gilead her den Jordan durchquerte. Um die ernste Bedeutung dieses Augenblicks besser zu verstehen, müssen wir uns die bösen Handlungen des Zehnstämme-Reichs, nachdem es vom Haus Davids abgefallen war, vor Augen halten. Ebenso müssen wir daran denken, dass es den Herrn aufgegeben und dafür die Götter der Heiden gewählt hatte. Mit großer Langmut hatte Gott die Handlungen des Volks in diesen Jahren ertragen, jetzt aber war der Augenblick gekommen, um durchzugreifen. Da die Regierungswege des Herrn stets gerecht sind, musste er für sich selbst einstehen. Außerdem beabsichtigte Er, das Volk von der Torheit des Götzendienstes und seinem hartnäckigen Ungehorsam seinem Wort gegenüber zu überführen.

Nach der Spaltung bestand das nördliche Königreich noch etwa 260 Jahre. Dann wurde es durch die Könige von Assyrien zerstört und das Volk wurde weggeführt. Insgesamt regierten neunzehn Könige über die zehn Stämme. Leider gab es nicht einen einzigen gottesfürchtigen König darunter, nur manche, die noch schlimmer waren als andere! Wenn wir die Geschichte untersuchen, finden wir häufig die bedrückende Wiederholung: „Und er wandelte auf allen Wegen Jerobeams, des Sohnes Nebats, und in seinen Sünden, wodurch er Israel veranlasst hatte zu sündigen“ (1. Kön 16,26 u. a.).

Das südliche Königreich überdauerte das nördliche um 130 Jahre. Der König von Babylon war das von Gott benutzte Werkzeug zu seinem Untergang. Das Volk wurde in die Gefangenschaft verschleppt, „bis das Land seine Sabbate nachgeholt hätte. Alle Tage seiner Verwüstung hatte es Ruhe, bis siebzig Jahre voll waren“ (2. Chr 36,21). Neunzehn Könige und eine Königin regierten über die zwei Stämme, von denen einige genauso gottlos waren, wie die, die das nördliche Königreich moralisch verdorben hatten. Andere jedoch, wie Josaphat, Hiskia und Josia, waren ausgezeichnete Männer. Das Salz dieser gottesfürchtigen Anführer bewahrte das mehr und mehr verfallende Königreich lange Jahre vor dem Ruin. Doch es kam der Tag, an dem der Herr es keinem einzigen der Stämme Israels mehr erlaubte, in dem verheißenen Land zu bleiben. Seine Gerechtigkeit forderte, dass alle Stämme hinausgetrieben werden mussten.